VORBESPRECHUNG
vor
dem sechzehnten Vortrag
Dornach, 20. September 1924
Rudolf Steiner: Sie haben gewünscht, daß noch
etwas besprochen wird vor dem Vortrag.
Johannes Werner Klein spricht. [Der Wortlaut wurde nicht
mitgeschrieben.]
Rudolf Steiner: Nicht wahr, ich wollte ja natürlich
auf Ihre Frage hin meine Worte genauso formulieren, wie die
Frage formuliert war, und Ihre Frage stand schon in organischem
Zusammenhang mit dem, was Sie von dem Abbau der physischen und
seelischen
Kräfte geschrieben hatten, als eine Art von
Begründung oder Beleg für die Alternative, ob Sie
entweder mehr extensiv oder mehr intensiv arbeiten sollten. Und
ich konnte kaum einen anderen Schluß daraus ziehen als
den, daß das Bemerken dieses Abbaus der Kräfte im
Sinne der gestellten Frage auch dazu hätte führen
können, daß den Winter hindurch weniger extensiv
gearbeitet würde und mehr ein Zurückziehen der
Priesterschaft auf die innere Arbeit stattfinden sollte. So
hatte ich die Frage aufgefaßt, daß diese Alternative
vorliegt: Soll es beim extensiven Arbeiten bleiben, wie es
inauguriert ist, oder soll man mit Rücksicht auf die
physischen und seelischen Kräfte einmal eine Zeitlang mehr
innerhalb der Priesterschaft arbeiten? - Ich weiß nicht,
ob ich die Frage, so wie sie formuliert war, mißverstanden
habe.
Johannes Werner Klein spricht dazu. [Der Wortlaut wurde
nicht mitgeschrieben.]
Rudolf Steiner: Also nicht wahr, das lag auch in meiner
Antwort, daß die extensive Arbeit vorläufig eine
Notwendigkeit ist. Aber das schließt natürlich nicht
aus, daß, wenn die Dinge so liegen, wie Sie es darstellen,
sich daraus vielleicht eine Notwendigkeit ergeben könnte,
über das zu sprechen, was da der Abbau der seelischen
Kräfte ist. Der Abbau der physischen Kräfte ist ja
nicht anders zu nehmen als eben als eine medizinische Aufgabe.
Der Abbau der seelischen Kräfte ist ja natürlich
etwas, was unter Umständen schon erörtert werden
müßte, in der Art, wie es verstanden wird. Doch, will
zunächst noch ein anderer darüber sprechen?
Emil Bock fragt über karmische Zusammenhänge.
Danach spricht Friedrich Doldinger. [Die
Ausführungen wurden nicht mitgeschrieben.]
Rudolf Steiner: Was ich allein, ich möchte sagen,
als die einzige Schwierigkeit fühle, ist, daß man
überhaupt von Schwierigkeiten nach der seelischen Seite
hin redet. Man redet nicht von Schwierigkeiten nach der
seelischen Seite hin, wenn man überzeugt ist, daß sie
nicht da sind. Da müssen wir doch eines nehmen, und das
ist dies: Die Art, wie sich seit zwei Jahren, seitdem die erste
Menschenweihehandlung stattgefunden hat, die Bewegung für
religiöse Erneuerung entwickelt hat, ist doch so, daß
sie - wenn man alle Faktoren in Betracht zieht, die für
eine solche Entwickelung in Betracht kommen - eigentlich alle
wirklich mit Befriedigung erfüllen kann. Natürlich,
Mißerfolge oder Hemmungen, die von außen kommen, die
auch natürlich daher kommen, daß nicht jeder gleich
in der alleridealsten Weise seiner Aufgabe gewachsen sein kann,
die gibt es überall. Aber wenn wir absehen von diesen
Einzelheiten, die ja vielfach mit der Fortentwickelung der
Arbeit selbst überwunden werden können, und die nach
dem Hauptzug der Entwickelung der Bewegung für
religiöse Erneuerung auch ganz sicher versprechen
überwunden zu werden, wenn wir das alles wirklich in
Erwägung ziehen, dann müssen wir sagen: In bezug auf
die seelischen Hemmungen - wenn wir sie als Hemmungen der
Bewegung selber ansehen -, liegt in einem gewissen Sinne eine
Illusion vor, denn innerhalb der Bewegung leben sich diese
Hemmungen nicht als Hemmungen aus. Es geht ja, trivial
gesprochen, ganz gut vorwärts mit der Entwickelung der
Bewegung. So muß man sagen: Die Hemmungen, die vorhanden
sind, sind mehr oder weniger privater Natur bei den einzelnen
Persönlichkeiten. Wenigstens muß man es so ansehen.
Sie sind nicht so, daß man von ihnen so sprechen sollte,
als könnte irgend etwas in der Bewegung davon
beeinflußt werden. Diejenigen Dinge aber, die in der
Bewegung selber liegen und die sich vielleicht heute noch als
Hemmungen abspielen, das sind einige Punkte, die vielleicht ja
doch eine Besprechung notwendig machen. Nur handelt es sich
darum, wie man diese Besprechung gestalten will. Vielleicht ist
es möglich, daß ich zuerst mit den Lenkern allein
über ein paar Punkte spreche, namentlich über einen,
bevor eine allgemeine Besprechung stattfindet. Oder vielleicht
ist es nicht tunlich, eine Besprechung über den Kreis der
Lenker hinaus zu führen, sondern es dann den Lenkern ...
zu überlassen, wie sie das in dem Priesterkreis selbst
behandeln wollen. Also das sind Fragen, die einfach in der
Linie der Entwickelung liegen. Aber seelische Hemmungen, die
geeignet wären, als Hemmungen der Bewegung als solcher
aufgefaßt zu werden, die brauchen eigentlich nach der
ganzen Art der Entwickelung, die die Christengemeinschaft
genommen hat, nicht anerkannt zu werden, ich möchte sagen,
nicht als Realität, sondern da ist manches
Illusionäre da.
Ich
muß sagen, wichtig ist heute noch gar nicht das, was in
Ihrer Frage gelegen hat, das intensive oder das extensive
Element in der Arbeit. Nicht wahr, dasjenige, was in Ihrer
Frage liegt, das ist in vieler Beziehung, ich möchte
sagen, gar nicht da, vor allem doch durch die Tatsachen, denn
das Wesentliche für die Bewegung ist die Intensität
im Substantiellen, die Tatsache, daß die Bewegung
vorliegt. Und da muß ich sagen, in bezug auf diese
Intensität im Substantiellen finde ich, daß die
Bewegung essentiell in einer wirklich richtigen Orientierung
vorhanden ist und heute den Charakter hat, mit dem Spirituellen
zu gehen. Ich könnte ja verschiedenes anführen als
äußeren Beleg für die Sache, was sich mir
ergeben hat beim Durchschauen Ihres letzten Heftes, wo Sie ja
über Punkte der Apokalypse gesprochen haben, wie sie auf
die Gegenwart anwendbar ist. Man braucht ja gar nicht darauf
einzugehen, inwieweit das zutrifft oder nicht. Darauf kommt es
gar nicht an. Aber daß überhaupt die Fragen so
aufgeworfen und in dieser Weise behandelt werden, daß man
also vom Substantiellen aus schreibt, das sich mit dem
Geistigen verbinden kann, das sind Dinge, die zeigen, daß
die Bewegung wirklich in der richtigen Bahn läuft.
Und
so könnte vieles angeführt werden über die
Erfolge, die Sie haben; ich meine wirkliche, intensive, nach
der Intensität gehende innere Erfolge. Ich möchte das
so formulieren: Es ist doch ein Erfolg, daß es
überhaupt möglich ist, in einer so ernsten Weise, wie
das aufgefaßt werden muß, was von dieser Gemeinschaft
ausgeht, über alle solche Punkte zu sprechen, und wenn man
weiß, daß die Zeitschrift schon eine Auflage von 6000
hat. Ja, nicht wahr, Sie müssen doch auch das Positive in
Rechnung ziehen; das ist doch ein starkes positives Ergebnis.
Wenn ich alles nehme, was in dieser Richtung liegt, sage ich
mir: was ist heute religiös möglich geworden, in
einer ganz anderen Weise, als das vorher möglich war. Wo
ist denn vorher die Möglichkeit gewesen vor 6000 Menschen
- Leser sind natürlich mehr da -, wo ist vorher die
Möglichkeit gewesen, in einer Zeitschrift über solche
Dinge überhaupt zu sprechen? Es ist die Möglichkeit
gewesen bei Sektierern, großen oder kleinen Sekten, die im
Grunde genommen nicht ernstgenommen werden; und wiederum, wenn
in der modernen Theologie, die ganz auf der Höhe der Zeit
sein will, über diese Dinge gesprochen wurde, wurden sie
in einem ungläubigen, rationalisierenden Sinne behandelt.
Aber auch der Ton, in dem hier in Ihrer Zeitschrift über
die Apokalypse gesprochen wird das ist doch eine
Errungenschaft, daß das in einer Zeitschrift, die eine
Auflage von 6000 hat, getan werden kann. Solche Dinge muß
man als das Positive in Rechnung stellen. Ganz objektiv
möchte ich das werten. Da kann man nicht davon sprechen,
daß die Bewegung in ihrer eigenen Entwickelung irgend
etwas von Hemmungen zeigt, die heute als Hemmungen aufzufassen
wären. Ebenso müssen Sie bedenken, wie ungeheuer
stark der Kultus wirkt bei allen Gelegenheiten, wo er
stattfindet. Stellen wir uns also vor, daß dies in
derselben Weise fortgeht, wie es bis jetzt gegangen ist, so
wird die Bewegung nach zehn Jahren wirklich der Menschheit
dasjenige sein können, was sie ihr sein soll. Deshalb,
wenn mit Ihrer Frage gemeint war, ob der bisherige Kurs einfach
fortgeführt werden soll oder nicht - etwas anderes konnte
ich aus Ihrer Frage nicht herauslesen -, so kann ich nur sagen:
Es liegt nicht der geringste Grund vor, daran zu denken, in
irgendeiner anderen Weise die Dinge zu imputieren, als es
bisher geschehen ist. Das ist dasjenige, was ich meine in bezug
auf die Bewegung für religiöse Erneuerung.
Es
liegt nun aber dies vor, daß in mancher Beziehung die
einzelnen nicht auf der Höhe der Bewegung waren. Verzeihen
Sie, daß ich bis zu diesem Grade deutlich werde.
Darüber sollte man nicht unzufrieden, sondern höchst
befriedigt sein, denn das bietet alle Garantie, daß der
einzelne in die Bewegung immer mehr hineinwachsen wird, die
eine solche geistige Substanz hat. Das alles ist doch etwas,
was die Seelen stärken kann. Und wenn Sie dazu noch dies
nehmen, das doch auch etwas ist, daß mit Ihnen zusammen
zum Beispiel jetzt die Apokalypse nach den verschiedensten
Seiten hin enthüllt wird, so müßte das auch
wieder als etwas Positives genommen werden. Mir scheint,
daß viel Illusionäres darin liegt, daß man die
privaten seelischen Hemmungen, die da sind, auf die Bewegung
überträgt. Denn das, was sich von Ihnen auf die
Bewegung überträgt, wird durch das Persönliche
gemacht, und das ist etwas, was nach und nach ganz sicher
wieder heraus kommt. So möchte ich die Sache ansehen. Ich
weiß nicht, ob das in der Tendenz Ihrer Fragestellung
liegt.
Dann dürfen Sie nicht davor zurückschrecken, in bezug
auf diese Sache sich zu sagen: Wie können wir es dahin
bringen, daß der Rest von evangelisch-protestantischer
Theologie, der noch in uns ist, aus unserer Seele herauskommt?
- Der muß eigentlich ganz und gar heraus, weil das eben
ein Extrem vorstellt, ebenso wie nach der anderen Seite die
katholische Praktizierung ein Extrem ist. Die katholische
Kirche sagt: Was geht uns der einzelne Priester an, der hat
überhaupt keine Bedeutung, der einzelne Priester; sondern
das, was in Betracht kommt, ist das Substantielle, das durch
die Kirche vorliegt. - Der einzelne Priester, sobald er die
Stola trägt, ist eben der Repräsentant der Kirche,
und niemals habe ich gesehen, daß die maßgebenden
Persönlichkeiten in der katholischen Kirche irgendwie
unglücklich sind über Depressionen einzelner Priester
oder über noch viel andere Dinge, als es Depressionen
sind. Sie sind nie unglücklich darüber, weil sie
rechnen auf die geistige Führung, die allerdings heute
sehr anfechtbar ist, aber die ja doch zum Geistigen hingeht.
Aber der Protestantismus hat sich dadurch, daß er alles
auf die Persönlichkeit gestellt hat, aus dem Geist mehr
oder weniger herausgelöst. Das war das andere Extrem, und
das muß eben noch aus den Gemütern heraus. Es
muß wirklich auf die Realität des spirituellen Lebens
gesehen werden, denn diese Realität ist eben einfach da;
und wenn der einzelne weiß: Was auch mit mir selbst sein
kann, was auch da brodelt und dünstet in meiner eigenen
Seele - der objektive Gang des spirituellen Lebens ist da. -
Wenn man es von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, daß
ja in den Seelen begreiflicherweise noch etwas
evangelisch-protestantisch-theologisches Bewußtsein ist,
schon aus dem Studium, aus der Erziehung und so weiter heraus,
dann werden Sie natürlich innerlich geheilt werden
können von den Schwierigkeiten, die sich ergeben mit bezug
auf die Bewegung. Ich meine nicht, mit Bezug auf die einzelnen
Seelen mit ihrem privaten Fühlen, das gehört auf
einen ganz anderen Platz. Das ist auch im Katholizismus so da;
natürlich wird der Betreffende immer zu einem anderen
kommen, sich Rat holen können und so weiter, aber die
Kirche steht als geschlossene Einheit den Laien und
Gläubigen gegenüber. Nur liegt bei der katholischen
Kirche natürlich das vor, daß sie allmählich in
eine ahrimanisch spirituelle Führung gekommen ist, was man
ja wirklich belegen kann, daß es so ist.
Es
gab am Anfang des Jahrhunderts eine Enzyklika des
damaligen Papstes gegen den Modernismus. Sie wissen, daß
solche Dinge so geschrieben sind, daß es immer heißt:
Wir verwehren oder wir verbieten das und jenes -, und dann
werden die positiven
Behauptungen hingestellt. So ist der Syllabus der sechziger
Jahre geschrieben und so ist auch die Modernistenbulle
geschrieben. Bei der Prüfung, die ich anstellte, stellte
sich heraus, daß das, was damals päpstliche Enzyklika
war, tatsächlich eine geistige Offenbarung war, nur war
bei dem Offenbaren in die Schrift überall dort, wo eine
positive Behauptung war in der geistigen Urschrift, eine
negative Behauptung hineingekommen, so daß die Bulle das
genaue Gegenteil von dem sagte, was geistig geoffenbart wurde.
Daraus ist zu sehen, daß die katholische Kirche
überall ihre spirituellen Inspirationen durch Ahriman
gefälscht erhält. Aber das hindert nicht, daß
eben doch Spirituelles da ist. Dieses Spirituelle ist in dieser
Christengemeinschaft im eminentesten Sinne in derjenigen
Richtung da, die der heutigen Entwickelungsetappe der
Menschheit entspricht. Die Christengemeinschaft ist auf
geistigem Boden von geistigen Wesenheiten gestiftet in
Wirklichkeit. Das ist das, was, wenn es in vollem Ernste
genommen wird, alle Schwächezustände der Seelen
heilen kann. Wir werden noch über manches sprechen.
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