III
Das Denken im Dienste der Weltanschauung
Wenn ich beobachte, wie eine Billardkugel, die
gestoßen wird, ihre Bewegung auf eine andere
überträgt, so bleibe ich auf den Verlauf dieses
beobachteten Vorganges ganz ohne Einfluß. Die
Bewegungsrichtung und Schnelligkeit der zweiten Kugel ist
durch die Richtung und Schnelligkeit der ersten bestimmt.
Solange ich mich bloß als Beobachter verhalte, weiß
ich über die Bewegung der zweiten Kugel erst dann etwas
zu sagen, wenn dieselbe eingetreten ist. Anders ist die
Sache, wenn ich über den Inhalt meiner Beobachtung
nachzudenken beginne. Mein Nachdenken hat den Zweck, von dem
Vorgange Begriffe zu bilden. Ich bringe den Begriff einer
elastischen Kugel in Verbindung mit gewissen anderen
Begriffen der Mechanik und ziehe die besonderen Umstände
in Erwägung, die in dem vorkommenden Falle obwalten. Ich
suche also zu dem Vorgange, der sich ohne mein Zutun
abspielt, einen zweiten hinzuzufügen, der sich in der
begrifflichen Sphäre vollzieht. Der letztere ist von mir
abhängig. Das zeigt sich dadurch, daß ich mich mit
der Beobachtung begnügen und auf alles Begriffesuchen
verzichten kann, wenn ich kein Bedürfnis danach habe.
Wenn dieses Bedürfnis aber vorhanden ist, dann beruhige
ich mich erst, wenn ich die Begriffe: Kugel,
Elastizität, Bewegung, Stoß, Geschwindigkeit usw.
in eine gewisse Verbindung gebracht habe, zu welcher der
beobachtete Vorgang in einem bestimmten Verhältnisse
steht. So gewiß es nun ist, daß sich der Vorgang
unabhängig von mir vollzieht, so gewiß ist es,
daß sich der begriffliche Prozeß ohne mein Zutun
nicht abspielen kann.
Ob diese meine Tätigkeit wirklich der
Ausfluß meines selbständigen Wesens ist, oder ob
die modernen Physiologen recht haben, welche sagen, daß
wir nicht denken können, wie wir wollen, sondern denken
müssen, wie es die gerade in unserem Bewußtsein
vorhandenen Gedanken und Gedankenverbindungen bestimmen
(vergleiche Ziehen, Leitfaden der physiologischen
Psychologie, Jena 1893, S. 171), wird Gegenstand einer
späteren Auseinandersetzung sein. Vorläufig wollen
wir bloß die Tatsache feststellen, daß wir uns
fortwährend gezwungen fühlen, zu den ohne unser
Zutun uns gegebenen Gegenständen und Vorgängen
Begriffe und Begriffsverbindungen zu suchen, die zu jenen in
einer gewissen Beziehung stehen. Ob dies Tun in Wahrheit
unser Tun ist, oder ob wir es einer
unabänderlichen Notwendigkeit gemäß
vollziehen, lassen wir vorläufig dahingestellt. Daß
es uns zunächst als das unsrige erscheint, ist ohne
Frage. Wir wissen ganz genau, daß uns mit den
Gegenständen nicht zugleich deren Begriffe mitgegeben
werden. Daß ich selbst der Tätige bin, mag auf
einem Schein beruhen; der unmittelbaren Beobachtung stellt
sich die Sache jedenfalls so dar. Die Frage ist nun: was
gewinnen wir dadurch, daß wir zu einem Vorgange ein
begriffliches Gegenstück hinzufinden?
Es ist ein tiefgreifender Unterschied zwischen der
Art, wie sich für mich die Teile eines Vorganges
zueinander verhalten vor und nach der Auffindung der
entsprechenden Begriffe. Die bloße Beobachtung kann
dieTeile eines gegebenen Vorganges in ihrem Verlaufe
verfolgen; ihr Zusammenhang bleibt aber vor der Zuhilfenahme
von Begriffen dunkel. Ich sehe die erste Billardkugel in
einer gewissen Richtung und mit einer bestimmten
Geschwindigkeit gegen die zweite sich bewegen; was nach
erfolgtem Stoß geschieht, muß ich abwarten und kann
es dann auch wieder nur mit den Augen verfolgen. Nehmen wir
an, es verdecke mir im Augenblicke des Stoßes jemand das
Feld, auf dem der Vorgang sich abspielt, so bin ich — als
bloßer Beobachter — ohne Kenntnis, was nachher
geschieht. Anders ist das, wenn ich für die
Konstellation der Verhältnisse vor dem Verdecken die
entsprechenden Begriffe gefunden habe. In diesem Falle kann
ich angeben, was geschieht, auch wenn die Möglichkeit
der Beobachtung aufhört. Ein bloß beobachteter
Vorgang oder Gegenstand ergibt aus sich selbst nichts
über seinen Zusammenhang mit anderen Vorgängen oder
Gegenständen. Dieser Zusammenhang wird erst ersichtlich,
wenn sich die Beobachtung mit dem Denken verbindet.
Beobachtung und Denken sind die beiden
Ausgangspunkte für alles geistige Streben des Menschen,
insoferne er sich eines solchen bewußt ist. Die
Verrichtungen des gemeinen Menschenverstandes und die
verwickeltesten wissenschaftlichen Forschungen ruhen auf
diesen beiden Grundsäulen unseres Geistes. Die
Philosophen sind von verschiedenen Urgegensätzen
ausgegangen: Idee und Wirklichkeit, Subjekt und Objekt,
Erscheinung und Ding an sich, Ich und Nicht-Ich, Idee und
Wille, Begriff und Materie, Kraft und Stoff, Bewußtes
und Unbewußtes. Es läßt sich aber leicht
zeigen, daß allen diesen Gegensätzen der von
Beobachtung und Denken, als der für
den Menschen wichtigste, vorangehen muß.
Was für ein Prinzip wir auch aufstellen
mögen: wir müssen es irgendwo als von uns
beobachtet nachweisen, oder in Form eines klaren Gedankens,
der von jedem anderen nachgedacht werden kann, aussprechen.
Jeder Philosoph, der anfängt über seine
Urprinzipien zu sprechen, muß sich der begrifflichen
Form, und damit des Denkens bedienen. Er gibt damit indirekt
zu, daß er zu seiner Betätigung das Denken bereits
voraussetzt. Ob das Denken oder irgend etwas anderes
Hauptelement der Weltentwickelung ist, darüber werde
hier noch nichts ausgemacht. Daß aber der Philosoph ohne
das Denken kein Wissen darüber gewinnen kann, das ist
von vornherein klar. Beim Zustandekommen der
Welterscheinungen mag das Denken eine Nebenrolle spielen,
beim Zustandekommen einer Ansicht darüber kommt ihm aber
sicher eine Hauptrolle zu.
Was nun die Beobachtung betrifft, so liegt es in
unserer Organisation, daß wir derselben bedürfen.
Unser Denken über ein Pferd und der Gegenstand Pferd
sind zwei Dinge, die für uns getrennt auftreten. Und
dieser Gegenstand ist uns nur durch Beobachtung
zugänglich. So wenig wir durch das bloße Anstarren
eines Pferdes uns einen Begriff von demselben machen
können, ebensowenig sind wir imstande, durch bloßes
Denken einen entsprechenden Gegenstand hervorzubringen.
Zeitlich geht die Beobachtung sogar dem Denken
voraus. Denn auch das Denken müssen wir erst durch
Beobachtung kennenlernen. Es war wesentlich die Beschreibung
einer Beobachtung, als wir am Eingange dieses Kapitels
darstellten, wie sich das Denken an einem Vorgange
entzündet und über das ohne sein Zutun Gegebene
hinausgeht. Alles was in den Kreis unserer Erlebnisse
eintritt, werden wir durch die Beobachtung erst gewahr. Der
Inhalt von Empfindungen, Wahrnehmungen, Anschauungen, die
Gefühle, Willensakte, Traum, und Phantasiegebilde,
Vorstellungen, Begriffe und Ideen, sämtliche Illusionen
und Halluzinationen werden uns durch die Beobachtung
gegeben.
Nur unterscheidet sich das Denken als
Beobachtungsobjekt doch wesentlich von allen andern Dingen.
Die Beobachtung eines Tisches, eines Baumes tritt bei mir
ein, sobald diese Gegenstände auf dem Horizonte meiner
Erlebnisse auftauchen. Das Denken aber über diese
Gegenstände beobachte ich nicht gleichzeitig. Den Tisch
beobachte ich, das Denken über den Tisch führe ich
aus, aber ich beobachte es nicht in demselben Augenblicke.
Ich muß mich erst auf einen Standpunkt außerhalb
meiner eigenen Tätigkeit versetzen, wenn ich neben dem
Tische auch mein Denken über den Tisch beobachten will.
Während das Beobachten der Gegenstände und
Vorgänge und das Denken darüber ganz
alltägliche, mein fortlaufendes Leben ausfüllende
Zustände sind, ist die Beobachtung des Denkens eine Art
Ausnahmezustand. Diese Tatsache muß in entsprechender
Weise berücksichtigt werden, wenn es sich darum handelt,
das Verhältnis des Denkens zu allen anderen
Beobachtungsinhalten zu bestimmen. Man muß sich klar
darüber sein, daß man bei der Beobachtung des
Denkens auf dieses ein Verfahren anwendet, das für
dieBetrachtung des ganzen übrigen Weltinhaltes den
normalen Zustand bildet, das aber im Verfolge dieses normalen
Zustandes für das Denken selbst nicht eintritt.
Es könnte jemand den Einwand machen, daß
das gleiche, was ich hier von dem Denken bemerkt habe, auch
von dem Fühlen und den übrigen geistigen
Tätigkeiten gelte. Wenn wir zum Beispiel das Gefühl
der Lust haben, so entzünde sich das auch an einem
Gegenstande, und ich beobachte zwar diesen Gegenstand, nicht
aber das Gefühl der Lust. Dieser Einwand beruht aber auf
einem Irrtum. Die Lust steht durchaus nicht in demselben
Verhältnisse zu ihrem Gegenstande wie der Begriff, den
das Denken bildet. Ich bin mir auf das bestimmteste
bewußt, daß der Begriff einer Sache durch meine
Tätigkeit gebildet wird, während die Lust in mir
auf ähnliche Art durch einen Gegenstand erzeugt wird,
wie zum Beispiel die Veränderung, die ein fallender
Stein in einem Gegenstande bewirkt, auf den er auffällt.
Für die Beobachtung ist die Lust in genau derselben
Weise gegeben, wie der sie veranlassende Vorgang. Ein
gleiches gilt nicht vom Begriffe. Ich kann fragen: warum
erzeugt ein bestimmter Vorgang bei mir das Gefühl der
Lust? Aber ich kann durchaus nicht fragen: warum erzeugt ein
Vorgang bei mir eine bestimmte Summe von Begriffen? Das
hätte einfach keinen Sinn. Bei dem Nachdenken über
einen Vorgang handelt es sich gar nicht um eine Wirkung auf
mich. Ich kann dadurch nichts über mich erfahren,
daß ich für die beobachtete Veränderung, die
ein gegen eine Fensterscheibe geworfener Stein in dieser
bewirkt, die entsprechenden Begriffe kenne. Aber ich erfahre
sehr wohl etwas über meine Persönlichkeit, wenn ich
das Gefühl kenne, das ein bestimmter Vorgang in mir
erweckt. Wenn ich einem beobachteten Gegenstand
gegenüber sage: dies ist eine Rose, so sage ich
über mich selbst nicht das geringste aus; wenn ich aber
von demselben Dinge sage: es bereitet mir das Gefühl der
Lust, so habe ich nicht nur die Rose, sondern auch mich
selbst in meinem Verhältnis zur Rose
charakterisiert.
Von einer Gleichstellung des Denkens mit dem
Fühlen der Beobachtung gegenüber kann also nicht
die Rede sein. Dasselbe ließe sich leicht auch für
die andern Tätigkeiten des menschlichen Geistes
ableiten. Sie gehören dem Denken gegenüber in eine
Reihe mit anderen beobachteten Gegenständen und
Vorgängen. Es gehört eben zu der eigentüm
lichen Natur des Denkens, daß es eine Tätigkeit
ist, die bloß auf den beobachteten Gegenstand gelenkt
ist und nicht auf die denkende Persönlichkeit. Das
spricht sich schon in der Art aus, wie wir unsere Gedanken
über eine Sache zum Ausdruck bringen im Gegensatz zu
unseren Gefühlen oder Willensakten. Wenn ich einen
Gegenstand sehe und diesen als einen Tisch erkenne, werde ich
im allgemeinen nicht sagen: ich denke über einen Tisch,
sondern: dies ist ein Tisch. Wohl aber werde ich sagen: ich
freue mich über den Tisch. Im ersteren Falle kommt es
mir eben gar nicht darauf an, auszusprechen, daß ich zu
dem Tisch in ein Verhältnis trete; in dem zweiten Falle
handelt es sich aber gerade um dieses Verhältnis. Mit
dem Ausspruch: ich denke über einen Tisch, trete ich
bereits in den oben charakterisierten Ausnahmezustand ein, wo
etwas zum Gegenstand der Beobachtung gemacht wird, was in
unserer geistigen Tätigkeit immer mit-enthalten ist,
aber nicht als beobachtetes Objekt.
Das ist die eigentümliche Natur des Denkens,
daß der Denkende das Denken vergißt, während
er es ausübt. Nicht das Denken beschäftigt ihn,
sondern der Gegenstand des Denkens, den er beobachtet.
Die erste Beobachtung, die wir über das Denken
machen, ist also die, daß es das unbeobachtete Element
unseres gewöhnlichen Geisteslebens ist.
Der Grund, warum wir das Denken im
alltäglichen Geistesleben nicht beobachten, ist kein
anderer als der, daß es auf unserer eigenen
Tätigkeit beruht. Was ich nicht selbst hervorbringe,
tritt als ein Gegenständliches in mein Beobachtungsfeld
ein. Ich sehe mich ihm als einem ohne mich zustande
Gekommenen gegenüber; es tritt an mich heran; ich
muß es als die Voraussetzung meines Denkprozesses
hinnehmen. Während ich über den Gegenstand
nachdenke, bin ich mit diesem beschäftigt, mein Blick
ist ihm zugewandt. Diese Beschäftigung ist eben die
denkende Betrachtung. Nicht auf meine Tätigkeit, sondern
auf das Objekt dieser Tätigkeit ist meine Aufmerksamkeit
gerichtet. Mit anderen Worten: während ich denke, sehe
ich nicht auf mein Denken, das ich selbst hervorbringe,
sondern auf das Objekt des Denkens, das ich nicht
hervorbringe.
Ich bin sogar in demselben Fall, wenn ich den
Ausnahmezustand eintreten lasse, und über mein Denken
selbst nachdenke. Ich kann mein gegenwärtigesDenken nie
beobachten; sondern nur die Erfahrungen, die ich über
meinen Denkprozeß gemacht habe, kann ich nachher zum
Objekt des Denkens machen. Ich müßte mich in zwei
Persönlichkeiten spalten: in eine, die denkt, und in die
andere, welche sich bei diesem Denken selbst zusieht, wenn
ich mein gegenwärtiges Denken beobachten wollte. Das
kann ich nicht. Ich kann das nur in zwei getrennten Akten
ausführen. Das Denken, das beobachtet werden soll, ist
nie das dabei in Tätigkeit befindliche, sondern ein
anderes. Ob ich zu diesem Zwecke meine Beobachtungen an
meinem eigenen früheren Denken mache, oder ob ich den
Gedankenprozeß einer anderen Person verfolge, oder
endlich, ob ich, wie im obigen Falle mit der Bewegung der
Billardkugeln, einen fingierten Gedankenprozeß
voraussetze, darauf kommt es nicht an.
Zwei Dinge vertragen sich nicht: tätiges
Hervorbringen und beschauliches Gegenüberstellen. Das
weiß schon das erste Buch Moses. An den ersten sechs
Welttagen läßt es Gott die Welt hervorbringen, und
erst als sie da ist, ist die Möglichkeit vorhanden, sie
zu beschauen: «Und Gott sahe an alles, was er gemacht
hatte; und siehe da, es war sehr gut.» So ist es auch
mit unserem Denken. Es muß erst da sein, wenn wir es
beobachten wollen.
Der Grund, der es uns unmöglich macht, das
Denken in seinem jeweilig gegenwärtigen Verlauf zu
beobachten, ist der gleiche wie der, der es uns unmittelbarer
und intimer erkennen läßt als jeden andern
Prozeß der Welt. Eben weil wir es selbst hervorbringen,
kennen wir das Charakteristische seines Verlaufs, dieArt, wie
sich das dabei in Betracht kommende Geschehen vollzieht. Was
in den übrigen Beobachtungssphären nur auf
mittelbare Weise gefunden werden kann: der
sachlich-entsprechende Zusammenhang und das Verhältnis
der einzelnen Gegenstände, das wissen wir beim Denken
auf ganz unmittelbare Weise. Warum für meine Beobachtung
der Donner auf den Blitz folgt, weiß ich nicht ohne
weiteres; warum mein Denken den Begriff Donner mit
dem des Blitzes verbindet, weiß ich unmittelbar aus den
Inhalten der beiden Begriffe. Es kommt natürlich gar
nicht darauf an, ob ich die richtigen Begriffe von Blitz und
Donner habe. Der Zusammenhang derer, die ich habe, ist mir
klar, und zwar durch sie selbst.
Diese durchsichtige Klarheit in bezug auf den
Denkprozeß ist ganz unabhängig von unserer Kenntnis
der physiologischen Grundlagen des Denkens. Ich spreche hier
von dem Denken, insoferne es sich aus der Beobachtung unserer
geistigen Tätigkeit ergibt. Wie ein materieller Vorgang
meines Gehirns einen andern veranlaßt oder
beeinflußt, während ich eine Gedankenoperation
ausführe, kommt dabei gar nicht in Betracht. Was ich am
Denken beobachte, ist nicht: welcher Vorgang in meinem
Gehirne den Begriff des Blitz es mit dem des Donners
verbindet, sondern, was mich veranlaßt, die beiden
Begriffe in ein bestimmtes Verhältnis zu bringen. Meine
Beobachtung ergibt, daß mir für meine
Gedankenverbindungen nichts vorliegt, nach dem ich mich
richte, als der Inhalt meiner Gedanken; nicht nach den
materiellen Vorgängen in meinem Gehirn richte ich mich.
Für ein weniger materialistisches Zeitalter als das
unsrige wäre diese Bemerkung natürlich
vollständig überflüssig. Gegenwärtig
aber, wo es Leute gibt, die glauben: wenn wir wissen, was
Materie ist, werden wir auch wissen, wie die Materie denkt,
muß doch gesagt werden, daß man vom Denken reden
kann, ohne sogleich mit der Gehirnphysiologie in Kollision zu
treten. Es wird heute sehr vielen Menschen schwer, den
Begriff des Denkens in seiner Reinheit zu fassen. Wer der
Vorstellung, die ich hier vom Denken entwickelt habe,
sogleich den Satz des Cabanis entgegensetzt:
«Das Gehirn sondert Gedanken ab wie die Leber Galle, die
Speicheldrüse Speichel usw.», der weiß einfach
nicht, wovon ich rede. Er sucht das Denken durch einen
bloßen Beobachtungsprozeß zu finden in derselben
Art, wie wir bei anderen Gegenständen des Weltinhaltes
verfahren. Er kann es aber auf diesem Wege nicht finden, weil
es sich, wie ich nachgewiesen habe, gerade da der normalen
Beobachtung entzieht. Wer den Materialismus nicht
überwinden kann, dem fehlt die Fähigkeit, bei sich
den geschilderten Ausnahmezustand herbeizuführen, der
ihm zum Bewußtsein bringt, was bei aller andern
Geistestätigkeit unbewußt bleibt. Wer den guten
Willen nicht hat, sich in diesen Standpunkt zu versetzen, mit
dem könnte man über das Denken so wenig wie mit dem
Blinden über die Farbe sprechen. Er möge nur aber
nicht glauben, daß wir physiologische Prozesse für
Denken halten. Er erklärt das Denken nicht, weil er es
überhaupt nicht sieht.
Für jeden aber, der die Fähigkeit hat,
das Denken zu beobachten — und bei gutem Willen hat sie
jeder normal organisierte Mensch — , ist diese Beobachtung
die allerwichtigste, die er machen kann. Denn er beobachtet
etwas, dessen Hervorbringer er selbst ist; er sieht sich
nicht einem zunächst fremden Gegenstande, sondern seiner
eigenen Tätigkeit gegenüber. Er weiß, wie das
zustande kommt, was er beobachtet. Er durchschaut die
Verhältnisse und Beziehungen. Es ist ein fester Punkt
gewonnen, von dem aus man mit begründeter Hoffnung nach
der Erklärung der übrigen Welterscheinungen suchen
kann.
Das Gefühl, einen solchen festen Punkt zu
haben, veranlaßte den Begründer der neueren
Philosophie, Renatus Cartesius, das ganze menschliche Wissen
auf den Satz zu gründen: Ich denke, also bin
ich. Alle andern Dinge, alles andere Geschehen ist ohne
mich da; ich weiß nicht, ob als Wahrheit, ob als
Gaukelspiel und Traum. Nur eines weiß ich ganz unbedingt
sicher, denn ich bringe es selbst zu seinem sichern Dasein:
mein Denken. Mag es noch einen andern Ursprung seines Daseins
haben, mag es von Gott oder anderswoher kommen; daß es
in dem Sinne da ist, in dem ich es selbst hervorbringe,
dessen bin ich gewiß. Einen andern Sinn seinem Satze
unterzulegen hatte Cartesius zunächst keine
Berechtigung. Nur daß ich mich innerhalb des
Weltinhaltes in meinem Denken als in meiner ureigensten
Tätigkeit erfasse, konnte er behaupten. Was das
daran-gehängte: also bin ich heißen soll,
darüber ist viel gestritten worden. Einen Sinn kann es
aber nur unter einer einzigen Bedingung haben. Die einfachste
Aussage, die ich von einem Dinge machen kann, ist die,
daß es ist, daß es existiert. Wie dann
dieses Dasein näher zu bestimmen ist, das ist bei keinem
Dinge, das in den Horizont meiner Erlebnisse eintritt,
sogleich im Augenblicke zu sagen. Es wird jeder Gegenstand
erst in seinem Verhältnisse zu andern zu untersuchen
sein, um bestimmen zu können, in welchem Sinne von ihm
als einem existierenden gesprochen werden kann. Ein erlebter
Vorgang kann eine Summe von Wahrnehmungen, aber auch ein
Traum, eine Halluzination und so weiter sein. Kurz, ich kann
nicht sagen, in welchem Sinne er existiert. Das werde ich dem
Vorgange selbst nicht entnehmen können, sondern ich
werde es erfahren, wenn ich ihn im Verhältnisse zu
andern Dingen betrachte. Da kann ich aber wieder nicht
mehr wissen, als wie er im Verhältnisse zu
diesen Dingen steht. Mein Suchen kommt erst auf einen festen
Grund, wenn ich ein Objekt finde, bei dem ich den Sinn seines
Daseins aus ihm selbst schöpfen kann. Das bin ich aber
selbst als Denkender, denn ich gebe meinem Dasein den
bestimmten, in sich beruhenden Inhalt der denkenden
Tätigkeit. Nun kann ich von da ausgehen und fragen:
Existieren die andern Dinge in dem gleichen oder in einem
andern Sinne?
Wenn man das Denken zum Objekt der Beobachtung
macht, fügt man zu dem übrigen beobachteten
Weltinhalte etwas dazu, was sonst der Aufmerksamkeit entgeht;
man ändert aber nicht die Art, wie sich der Mensch auch
den andern Dingen gegenüber verhält. Man vermehrt
die Zahl der Beobachtungsobjekte, aber nicht die Methode des
Beobachtens. Während wir die andern Dinge beobachten,
mischt sich in das Weltgeschehen — zu dem ich jetzt das
Beobachten mitzähle — ein Prozeß, der
übersehen wird. Es ist etwas von allem andern Geschehen
verschiedenes vorhanden, das nicht mitberücksichtigt
wird. Wenn ich aber mein Denken betrachte, so ist kein
solches unberücksichtigtes Element vorhanden. Denn was
jetzt im Hintergrunde schwebt, ist selbst wieder nur das
Denken. Der beobachtete Gegenstand ist qualitativ derselbe
wie die Tätigkeit, die sich auf ihn richtet. Und das ist
wieder eine charakteristische Eigentümlichkeit des
Denkens. Wenn wir es zum Betrachtungsobjekt machen, sehen wir
uns nicht gezwungen, dies mit Hilfe eines
Oualitativ-Verschiedenen zu tun, sondern wir können in
demselben Element verbleiben.
Wenn ich einen ohne mein Zutun gegebenen Gegenstand
in mein Denken einspinne, so gehe ich über meine
Beobachtung hinaus, und es wird sich darum handeln: was gibt
mir ein Recht dazu? Warum lasse ich den Gegenstand nicht
einfach auf mich einwirken? Auf welche Weise ist es
möglich, daß mein Denken einen Bezug zu dem
Gegenstande hat? Das sind Fragen, die sich jeder stellen
muß, der über seine eigenen Gedankenprozesse
nachdenkt. Sie fallen weg, wenn man über das Denken
selbst nachdenkt. Wir fügen zu dem Denken nichts ihm
Fremdes hinzu, haben uns also auch über ein solches
Hinzufügen nicht zu rechtfertigen.
Schelling sagt: Die Natur erkennen,
heißt die Natur schaffen. — Wer diese Worte des
kühnen Naturphilosophen wörtlich nimmt, wird wohl
zeitlebens auf alles Naturerkennen verzichten müssen.
Denn die Natur ist einmal da, und um sie ein zweites Mal zu
schaffen, muß man die Prinzipien erkennen, nach denen
sie entstanden ist. Für die Natur, die man erst schaffen
wollte, müßte man der bereits bestehenden die
Bedingungen ihres Daseins abgucken. Dieses Abgucken, das dem
Schaffen vorausgehen müßte, wäre aber das
Erkennen der Natur, und zwar auch dann, wenn nach erfolgtem
Abgucken das Schaffen ganz unterbliebe. Nur eine noch nicht
vorhandene Natur könnte man schaffen, ohne sie
vorher zu erkennen.
Was bei der Natur unmöglich ist: das Schaffen
vor dem Erkennen; beim Denken vollbringen wir es. Wollten wir
mit dem Denken warten, bis wir es erkannt haben, dann
kämen wir nie dazu. Wir müssen resolut darauf
losdenken, um hinterher mittels der Beobachtung des
Selbstgetanen zu seiner Erkenntnis zu kommen. Der Beobachtung
des Denkens schaffen wir selbst erst ein Objekt. Für das
Vorhandensein aller anderen Objekte ist ohne unser Zutun
gesorgt worden.
Leicht könnte jemand meinem Satze: wir
müssen denken, bevor wir das Denken betrachten
können, den andern als gleichberechtigt entgegenstellen:
wir können auch mit dem Verdauen nicht warten, bis wir
den Vorgang des Verdauens beobachtet haben. Das wäre ein
Einwand ähnlich dem, den Pascal dem Cartesius machte,
indem er behauptete, man könne auch sagen: ich gehe
spazieren, also bin ich. Ganz gewiß muß ich auch
resolut verdauen, bevor ich den physiologischen Prozeß
der Verdauung studiert habe. Aber mit der Betrachtung des
Denkens ließe sich das nur vergleichen, wenn ich die
Verdauung hinterher nicht denkend betrachten, sondern essen
und verdauen wollte. Das ist doch eben auch nicht ohne Grund,
daß das Verdauen zwar nicht Gegenstand des Verdauens,
das Denken aber sehr wohl Gegenstand des Denkens werden
kann.
Es ist also zweifellos: in dem Denken halten wir
das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein
müssen, wenn etwas zustandekommen soll. Und das ist doch
gerade das, worauf es ankommt. Das ist gerade der Grund,
warum mir die Dinge so rätselhaft gegenüberstehen:
daß ich an ihrem Zustandekommen so unbeteiligt bin. Ich
finde sie einfach vor; beim Denken aber weiß ich, wie es
gemacht wird. Daher gibt es keinen ursprünglicheren
Ausgangspunkt für das Betrachten alles Weltgeschehens
als das Denken.
Ich möchte nun einen weitverbreiteten Irrtum
noch erwähnen, der in bezug auf das Denken herrscht. Er
besteht darin, daß man sagt: das Denken, so wie es an
sich selbst ist, ist uns nirgends gegeben. Das Denken, das
die Beobachtungen unserer Erfahrungen verbindet und mit einem
Netz von Begriffen durchspinnt, sei durchaus nicht dasselbe,
wie dasjenige, das wir hinterher wieder von den
Gegenständen der Beobachtung herausschälen und zum
Gegenstande unserer Betrachtung machen. Was wir erst
unbewußt in die Dinge hineinweben, sei ein ganz anderes,
als was wir dann mit Bewußtsein wieder
herauslösen.
Wer so schließt, der begreift nicht, daß
es ihm auf diese Art gar nicht möglich ist, dem Denken
zu entschlüpfen. Ich kann aus dem Denken gar nicht
herauskommen, wenn ich das Denken betrachten will. Wenn man
das vorbewußte Denken von dem nachher bewußten
Denken unterscheidet, so sollte man doch nicht vergessen,
daß diese Unterscheidung eine ganz äußerliche
ist, die mit der Sache selbst gar nichts zu tun hat. Ich
mache eine Sache dadurch überhaupt nicht zu einer
andern, daß ich sie denkend betrachte. Ich kann mir
denken, daß ein Wesen mit ganz anders gearteten
Sinnesorganen und mit einer anders funktionierenden
Intelligenz von einem Pferde eine ganz andere Vorstellung
habe als ich, aber ich kann mir nicht denken, daß mein
eigenes Denken dadurch ein anderes wird, daß ich es
beobachte. Ich beobachte selbst, was ich selbst vollbringe.
Wie mein Denken sich für eine andere Intelligenz
ausnimmt als die meine, davon ist jetzt nicht die Rede;
sondern davon, wie es sich für mich ausnimmt. Jedenfalls
aber kann das Bild meines Denkens in einer andern
Intelligenz nicht ein wahreres sein als mein eigenes. Nur
wenn ich nicht selbst das denkende Wesen wäre, sondern
dasDenken mir als Tätigkeit eines mir fremdartigen
Wesens gegenüberträte, könnte ich davon
sprechen, daß mein Bild des Denkens zwar auf eine
bestimmte Weise auftrete; wie das Denken des Wesens aber an
sich selber sei, das könne ich nicht wissen.
Mein eigenes Denken von einem anderen Standpunkte
aus anzusehen, liegt aber vorläufig für mich nicht
die geringste Veranlassung vor. Ich betrachte ja die ganze
übrige Welt mit Hilfe des Denkens. Wie sollte ich bei
meinem Denken hiervon eine Ausnahme machen?
Damit betrachte ich für genügend
gerechtfertigt, wenn ich in meiner Weltbetrachtung von dem
Denken ausgehe. Als Archimedes den Hebel erfunden hatte, da
glaubte er mit seiner Hilfe den ganzen Kosmos aus den Angeln
heben zu können, wenn er nur einen Punkt fände, wo
er sein Instrument aufstützen könnte. Er brauchte
etwas, was durch sich selbst, nicht durch anderes getragen
wird. Im Denken haben wir ein Prinzip, das durch sich selbst
besteht. Von hier aus sei es versucht, die Welt zu begreifen.
Das Denken können wir durch es selbst erfassen. Die
Frage ist nur, ob wir durch dasselbe auch noch etwas anderes
ergreifen können.
Ich habe bisher von dem Denken gesprochen, ohne auf
seinen Träger, das menschliche Bewußtsein,
Rücksicht zu nehmen. Die meisten Philosophen der
Gegenwart werden mir einwenden: bevor es ein Denken gibt,
muß es ein Bewußtsein geben. Deshalb sei vom
Bewußtsein und nicht vom Denken auszugehen. Es gebe kein
Denken ohne Bewußtsein. Ich muß dem gegenüber
erwidern: Wenn ich darüber Aufklärung haben will,
welches Verhältnis zwischen Denken und Bewußtsein
besteht, so muß ich darüber nachdenken. Ich setze
das Denken damit voraus. Nun kann man darauf allerdings
antworten: Wenn der Philosoph das Bewußtsein
begreifen will, dann bedient er sich des Denkens; er
setzt es insoferne voraus; im gewöhnlichen Verlaufe des
Lebens aber entsteht das Denken innerhalb des
Bewußtseins und setzt also dieses voraus. Wenn diese
Antwort dem Weltschöpfer gegeben würde, der das
Denken schaffen will, so wäre sie ohne Zweifel
berechtigt. Man kann natürlich das Denken nicht
entstehen lassen, ohne vorher das Bewußtsein zustande zu
bringen. Dem Philosophen aber handelt es sich nicht um die
Weltschöpfung, sondern um das Begreifen derselben. Er
hat daher auch nicht die Ausgangspunkte für das
Schaffen, sondern für das Begreifen der Welt zu suchen.
Ich finde es ganz sonderbar, wenn man dem Philosophen
vorwirft, daß er sich vor allen andern Dingen um die
Richtigkeit seiner Prinzipien, nicht aber sogleich um die
Gegenstände bekümmert, die er begreifen will. Der
Weltschöpfer mußte vor allem wissen, wie er einen
Träger für das Denken findet, der Philosoph aber
muß nach einer sichern Grundlage suchen, von der aus er
das Vorhandene begreifen kann. Was frommt es uns, wenn wir
vom Bewußtsein ausgehen und es der denkenden Betrachtung
unterwerfen, wenn wir vorher über die Möglichkeit,
durch denkende Betrachtung Aufschluß über
die Dinge zu bekommen, nichts wissen?
Wir müssen erst das Denken ganz neutral, ohne
Beziehung auf ein denkendes Subjekt oder ein gedachtes Objekt
betrachten. Denn in Subjekt und Objekt haben wir bereits
Begriffe, die durch das Denken gebildet sind. Es ist nicht zu
leugnen: Ehe anderes begriffen werden kann, muß es
das Denken werden. Wer es leugnet, der übersieht,
daß er als Mensch nicht einAnfangsglied der
Schöpfung, sondern deren Endglied ist. Man kann deswegen
behufs Erklärung der Welt durch Begriffe nicht von den
zeitlich ersten Elementen des Daseins ausgehen, sondern von
dem, was uns als das Nächste, als das Intimste gegeben
ist. Wir können uns nicht mit einem Sprunge an den
Anfang der Welt versetzen, um da unsere Betrachtung
anzufangen, sondern wir müssen von dem
gegenwärtigen Augenblick ausgehen und sehen, ob wir von
dem Späteren zu dem Früheren aufsteigen
können. Solange die Geologie von erdichteten
Revolutionen gesprochen hat, um den gegenwärtigen
Zustand der Erde zu erklären, solange tappte sie in der
Finsternis. Erst als sie ihren Anfang damit machte, zu
untersuchen, welche Vorgänge gegenwärtig noch auf
der Erde sich abspielen und von diesen zurückschloß
auf das Vergangene, hatte sie einen sicheren Boden gewonnen.
Solange diePhilosophie alle möglichen Prinzipien
annehmen wird, wie Atom, Bewegung, Materie, Wille,
Unbewußtes, wird sie in der Luft schweben. Erst wenn der
Philosoph das absolut Letzte als sein Erstes ansehen wird,
kann er zum Ziele kommen. Dieses absolut Letzte, zu dem es
die Weltentwickelung gebracht hat, ist aber das
Denken.
Es gibt Leute, die sagen: ob unser Denken an sich
richtig sei oder nicht, können wir aber doch nicht mit
Sicherheit feststellen. Insoferne bleibt also der
Ausgangspunkt jedenfalls ein zweifelhafter. Das ist gerade so
vernünftig gesprochen, wie wenn man Zweifel hegt, ob ein
Baum an sich richtig sei oder nicht. Das Denken ist eine
Tatsache; und über die Richtigkeit oder Falschheit einer
solchen zu sprechen, ist sinnlos. Ich kann höchstens
darüber Zweifel haben, ob das Denken richtig verwendet
wird, wie ich zweifeln kann, ob ein gewisser Baum ein
entsprechendes Holz zu einem zweckmäßigen
Gerät gibt. Zu zeigen, inwieferne die Anwendung des
Denkens auf die Welt eine richtige oder falsche ist, wird
gerade Aufgabe dieser Schrift sein. Ich kann es verstehen,
wenn jemand Zweifel hegt, daß durch das Denken über
die Welt etwas ausgemacht werden kann; das aber ist mir
unbegreiflich, wie jemand die Richtigkeit des Denkens an sich
anzweifeln kann.
Zusatz zur Neuausgabe (1918). In den
vorangehenden Ausführungen wird auf den bedeutungsvollen
Unterschied zwischen dem Denken und allen andern
Seelentätigkeiten hingewiesen als auf eine Tatsache, die
sich einer wirklich unbefangenen Beobachtung ergibt. Wer
diese unbefangene Beobachtung nicht anstrebt, der wird gegen
diese Ausführungen versucht sein, Einwendungen zu machen
wie diese: wenn ich über eine Rose denke, so ist damit
doch auch nur ein Verhältnis meines «Ich» zur
Rose ausgedrückt, wie wenn ich die Schönheit der
Rose fühle. Es bestehe geradeso ein Verhältnis
zwischen «Ich» und Gegenstand beim Denken, wie zum
Beispiel beim Fühlen oder Wahrnehmen. Wer diesen Einwand
macht, der zieht nicht in Erwägung, daß
nur in der Betätigung des Denkens das
«Ich» bis in alle Verzweigungen der Tätigkeit
sich mit dem Tätigen als ein Wesen weiß.
Bei keiner andern Seelentätigkeit ist dies restlos der
Fall. Wenn zum Beispiel eine Lust gefühlt wird, kann
eine feinere Beobachtung sehr wohl unterscheiden, inwieferne
das «Ich» sich mit einem Tätigen eins
weiß und inwiefern in ihm ein Passives vorhanden ist, so
daß die Lust für das «Ich» bloß
auftritt. Und so ist es auch bei den andern
Seelenbetätigungen. Man sollte nur nicht verwechseln:
«Gedankenbilder haben» und Gedanken durch das
Denken verarbeiten. Gedankenbilder können traumhaft, wie
vage Eingebungen in der Seele auftreten. Ein Denken
ist dieses nicht. — Allerdings könnte nun jemand sagen:
wenn das Denken so gemeint ist, steckt das Wollen in dem
Denken drinnen, und man habe es dann nicht bloß mit dem
Denken, sondern auch mit dem Wollen des Denkens zu tun. Doch
würde dies nur berechtigen zu sagen: das wirkliche
Denken muß immer gewollt sein. Nur hat dies mit der
Kennzeichnung des Denkens, wie sie in diesen
Ausführungen gemacht ist, nichts zu schaffen. Mag es das
Wesen des Denkens immerhin notwendig machen, daß dieses
gewollt wird: es kommt darauf an, daß nichts
gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem
«Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm
überschaubare Tätigkeit erscheint. Man muß
sogar sagen, wegen der hier geltend gemachten
Wesenheit des Denkens erscheint dieses dem Beobachter als
durch und durch gewollt. Wer alles, was für die
Beurteilung des Denkens in Betracht kommt, wirklich zu
durchschauen sich bemüht, der wird nicht umhin
können, zu bemerken, daß dieser
Seelenbetätigung die Eigenheit zukommt, von der hier
gesprochen ist.
Von einer Persönlichkeit, welche der Verfasser
dieses Buches als Denker sehr hochschätzt, ist ihm
eingewendet worden, daß so, wie es hier geschieht, nicht
über das Denken gesprochen werden könne, weil es
nur ein Schein sei, was man als tätiges Denken zu
beobachten glaube. In Wirklichkeit beobachte man nur die
Ergebnisse einer nicht bewußten Tätigkeit, die dem
Denken zugrunde liegt. Nur weil diese nicht bewußte
Tätigkeit eben nicht beobachtet werde, entstehe die
Täuschung, es bestehe das beobachtete Denken durch sich
selbst, wie wenn man bei rasch aufeinanderfolgender
Beleuchtung durch elektrische Funken eine Bewegung zu sehen
glaubt. Auch dieser Einwand beruht nur auf einer ungenauen
Anschauung der Sachlage. Wer ihn macht, berücksichtigt
nicht, daß es das «Ich» selbst ist, das
im Denken drinnen stehend seine
Tätigkeit beobachtet. Es müßte das
«Ich» außer dem Denken stehen, wenn es so
getäuscht werden könnte, wie bei rasch
aufeinanderfolgender Beleuchtung durch elektrische Funken.
Man könnte vielmehr sagen: wer einen solchen Vergleich
macht, der täuscht sich gewaltsam etwa wie jemand, der
von einem in Bewegung begriffenen Licht durchaus sagen
wollte: es wird an jedem Orte, an dem es erscheint, von
unbekannter Hand neu angezündet. — Nein, wer in dem
Denken etwas anderes sehen will als das im « Ich»
selbst als überschaubare Tätigkeit Hervorgebrachte,
der muß sich erst für den einfachen, der
Beobachtung vorliegenden Tatbestand blind machen, um dann
eine hypothetische Tätigkeit dem Denken zugrunde legen
zu können. Wer sich nicht so blind macht, der muß
erkennen, daß alles, was er in dieser Art zu dem Denken
«hinzudenkt», aus dem Wesen des Denkens
herausführt. Die unbefangene Beobachtung ergibt,
daß nichts zum Wesen des Denkens gerechnet werden kann,
was nicht im Denken selbst gefunden wird. Man kann
nicht zu etwas kommen, was das Denken bewirkt, wenn
man den Bereich des Denkens verläßt.
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