V
Das Erkennen der Welt
Aus den vorhergehenden
Betrachtungen folgt die Unmöglichkeit, durch
Untersuchung unseres Beobachtungsinhalts den Beweis zu
erbringen, daß unsere Wahrnehmungen Vorstellungen sind.
Dieser Beweis soll nämlich dadurch erbracht werden,
daß man zeigt: wenn der Wahrnehmungsprozeß in der
Art erfolgt, wie man ihn gemäß den
naiv-realistischen Annahmen über die psychologische und
physiologische Konstitution unseres Individuums sich
vorstellt, dann haben wir es nicht mit Dingen an sich,
sondern bloß mit unseren Vorstellungen von den Dingen zu
tun. Wenn nun der naive Realismus, konsequent verfolgt, zu
Resultaten führt, die das gerade Gegenteil seiner
Voraussetzungen darstellen, so müssen diese
Voraussetzungen als ungeeignet zur Begründung einer
Weltanschauung bezeichnet und fallen gelassen werden.
Jedenfalls ist es unstatthaft, die Voraussetzungen zu
verwerfen und die Folgerungen gelten zu lassen, wie es der
kritische Idealist tut, der seiner Behauptung: die Welt ist
meine Vorstellung, den obigen Beweisgang zugrunde legt.
(Eduard von Hartmann gibt in seiner Schrift «Das
Grundproblem der Erkenntnistheorie» eine
ausführliche Darstellung dieses Beweisganges.)
Ein anderes ist die Richtigkeit des kritischen
Idealismus, ein anderes die Überzeugungskraft seiner
Beweise. Wie es mit der ersteren steht, wird sich später
im Zusammenhange unserer Ausführungen ergeben. Die
Überzeugungskraft seines Beweises ist aber gleich Null.
Wenn man ein Haus baut, und bei Herstellung des ersten
Stockwerkes bricht das Erdgeschoß in sich zusammen, so
stürzt das erste Stockwerk mit. Der naive Realismus und
der kritische Idealismus verhalten sich wie dies
Erdgeschoß zum ersten Stockwerk.
Wer der Ansicht ist, daß die ganze
wahrgenommene Welt nur eine vorgestellte ist, und zwar die
Wirkung der mir unbekannten Dinge auf meine Seele, für
den geht die eigentliche Erkenntnisfrage natürlich nicht
auf die nur in der Seele vorhandenen Vorstellungen, sondern
auf die jenseits unseres Bewußtseins liegenden, von uns
unabhängigen Dinge. Er fragt: Wieviel können wir
von den letzteren mittelbar erkennen, da sie unserer
Beobachtung unmittelbar nicht zugänglich sind?
Der auf diesem Standpunkt Stehende kümmert sich nicht um
den inneren Zusammenhang seiner bewußten Wahrnehmungen,
sondern um deren nicht mehr bewußte Ursachen, die ein
von ihm unabhängiges Dasein haben, während, nach
seiner Ansicht, die Wahrnehmungen verschwinden, sobald er
seine Sinne von den Dingen abwendet. Unser Bewußtsein
wirkt, von diesem Gesichtspunkte aus, wie ein Spiegel, dessen
Bilder von bestimmten Dingen auch in dem Augenblicke
verschwinden, in dem seine spiegelnde Fläche ihnen nicht
zugewandt ist. Wer aber die Dinge selbst nicht sieht, sondern
nur ihre Spiegelbilder, der muß aus dem Verhalten der
letzteren über die Beschaffenheit der ersteren durch
Schlüsse indirekt sich unterrichten. Auf diesem
Standpunkte steht die neuere Naturwissenschaft, welche die
Wahrnehmungen nur als letztes Mittel benutzt, um
Aufschluß über die hinter denselben stehenden und
allein wahrhaft seienden Vorgänge des Stoffes zu
gewinnen. Wenn der Philosoph als kritischer Idealist
überhaupt ein Sein gelten läßt, dann geht sein
Erkenntnisstreben mit mittelbarer Benutzung der Vorstellungen
allein auf dieses Sein. Sein Interesse überspringt die
subjektive Welt der Vorstellungen und geht auf das Erzeugende
dieser Vorstellungen los.
Der kritische Idealist kann aber so weit gehen,
daß er sagt: ich bin in meine Vorstellungswelt
eingeschlossen und kann aus ihr nicht hinaus. Wenn ich ein
Ding hinter meinen Vorstellungen denke, so ist dieser Gedanke
doch auch weiter nichts als meine Vorstellung. Ein solcher
Idealist wird dann das Ding an sich entweder ganz leugnen
oder wenigstens davon erklären, daß es für uns
Menschen gar keine Bedeutung habe, das ist, so gut wie nicht
da sei, weil wir nichts von ihm wissen können.
Einem kritischen Idealisten dieser Art erscheint
die ganze Welt als ein Traum, dem gegenüber jeder
Erkenntnisdrang einfach sinnlos wäre. Für ihn kann
es nur zwei Gattungen von Menschen geben: Befangene, die ihre
eigenen Traumgespinste für wirkliche Dinge halten, und
Weise, die die Nichtigkeit dieser Traumwelt durchschauen, und
die nach und nach alle Lust verlieren müssen, sich
weiter darum zu bekümmern. Für diesen Standpunkt
kann auch die eigene Persönlichkeit zum bloßen
Traumbilde werden. Gerade so wie unter den Bildern des
Schlaftraums unser eigenes Traumbild erscheint, so tritt im
wachen Bewußtsein die Vorstellung des eigenen Ich zu der
Vorstellung der Außenwelt hinzu. Wir haben im
Bewußtsein dann nicht unser wirkliches Ich, sondern nur
unsere Ichvorstellung gegeben. Wer nun leugnet, daß es
Dinge gibt, oder wenigstens, daß wir von ihnen etwas
wissen können: der muß auch das Dasein
beziehungsweise die Erkenntnis der eigenen
Persönlichkeit leugnen. Der kritische Idealist kommt
dann zu der Behauptung: «Alle Realität verwandelt
sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem
geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt;
in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst
zusammenhängt» (vergleiche Fichte, Die
Bestimmung des Menschen).
Gleichgültig, ob derjenige, der das
unmittelbare Leben als Traum zu erkennen glaubt, hinter
diesem Traum nichts mehr vermutet, oder ob er seine
Vorstellungen auf wirkliche Dinge bezieht: das Leben selbst
muß für ihn alles wissenschaftliche Interesse
verlieren. Während aber für denjenigen, der mit dem
Traume das uns zugängliche All erschöpft glaubt,
alle Wissenschaft ein Unding ist, wird für den andern,
der sich befugt glaubt, von den Vorstellungen auf die Dinge
zu schließen, die Wissenschaft in der Erforschung dieser
«Dinge an sich» bestehen. Die erstere Weltansicht
kann mit dem Namen absoluter Illusionismus
bezeichnet werden, die zweite nennt ihr konsequentester
Vertreter, Eduard von Hartmann, transzendentalen
Realismus[1].
Diese beiden Ansichten haben mit dem naiven
Realismus das gemein, daß sie Fuß in der Welt zu
fassen suchen durch eine Untersuchung der Wahrnehmungen. Sie
können aber innerhalb dieses Gebietes nirgends einen
festen Punkt finden.
Eine Hauptfrage für den Bekenner des
transzendentalen Realismus müßte sein: wie bringt
das Ich aus sich selbst die Vorstellungswelt zustande?
Für eine uns gegebene Welt von Vorstellungen, die
verschwindet, sobald wir unsere Sinne der Außenwelt
verschließen, kann ein ernstes Erkenntnisstreben sich
insofern erwärmen, als sie das Mittel ist, die Welt des
an sich seienden Ich mittelbar zu erforschen. Wenn die Dinge
unserer Erfahrung Vorstellungen wären, dann gliche unser
alltägliches Leben einem Traume und die Erkenntnis des
wahren Tatbestandes dem Erwachen. Auch unsere Traumbilder
interessieren uns so lange, als wir träumen, folglich
die Traumnatur nicht durchschauen. In dem Augenblicke des
Erwachens fragen wir nicht mehr nach dem inneren
Zusammenhange unserer Traumbilder, sondern nach den
physikalischen, physiologischen und psychologischen
Vorgängen, die ihnen zum Grunde liegen. Ebensowenig kann
sich der Philosoph, der die Welt für seine Vorstellung
hält, für den inneren Zusammenhang der Einzelheiten
in derselben interessieren. Falls er überhaupt ein
seiendes Ich gelten läßt, dann wird er nicht
fragen, wie hängt eine seiner Vorstellungen mit einer
anderen zusammen, sondern was geht in der von ihm
unabhängigen Seele vor, während sein
Bewußtsein einen bestimmten Vorstellungsablauf
enthält. Wenn ich träume, daß ich Wein trinke,
der mir ein Brennen im Kehlkopf verursache und dann mit
Hustenreiz aufwache (vergleiche Weygandt, Entstehung
der Träume, 1893), so hört im Augenblicke des
Erwachens die Traumhandlung auf, für mich ein Interesse
zu haben. Mein Augenmerk ist nur noch auf die physiologischen
und psychologischen Prozesse gerichtet, durch die der
Hustenreiz sich symbolisch in dem Traumbilde zum Ausdruck
bringt. In ähnlicher Weise muß der Philosoph,
sobald er von dem Vorstellungscharakter der gegebenen Welt
überzeugt ist, von dieser sofort auf die dahinter
steckende wirkliche Seele überspringen. Schlimmer steht
die Sache allerdings, wenn der Illusionismus das Ich an sich
hinter den Vorstellungen ganz leugnet, oder es wenigstens
für unerkennbar hält. Zu einer solchen Ansicht kann
sehr leicht die Beobachtung führen, daß es dem
Träumen gegenüber zwar den Zustand des Wachens
gibt, in dem wir Gelegenheit haben, die Träume zu
durchschauen und auf reale Verhältnisse zu beziehen,
daß wir aber keinen zu dem wachen Bewußtseinsleben
in einem ähnlichen Verhältnisse stehenden Zustand
haben. Wer zu dieser Ansicht sich bekennt, dem geht die
Einsicht ab, daß es etwas gibt, das sich in der Tat zum
bloßen Wahrnehmen verhält wie das Erfahren im
wachen Zustande zum Träumen. Dieses Etwas ist das
Denken.
Dem naiven Menschen kann der Mangel an Einsicht,
auf den hier gedeutet wird, nicht angerechnet werden. Er gibt
sich dem Leben hin und hält die Dinge so für
wirklich, wie sie sich ihm in der Erfahrung darbieten. Der
erste Schritt aber, der über diesen Standpunkt hinaus
unternommen wird, kann nur in der Frage bestehen: wie
verhält sich das Denken zur Wahrnehmung? Ganz einerlei,
ob die Wahrnehmung in der mir gegebenen Gestalt vor und nach
meinem Vorstellen weiterbesteht oder nicht: wenn ich irgend
etwas über sie aussagen will, so kann es nur mit Hilfe
des Denkens geschehen. Wenn ich sage: die Welt ist meine
Vorstellung, so habe ich das Ergebnis eines Denkprozesses
ausgesprochen, und wenn mein Denken auf die Welt nicht
anwendbar ist, so ist dieses Ergebnis ein Irrtum. Zwischen
die Wahrnehmung und jede Art von Aussage über dieselbe
schiebt sich das Denken ein.
Den Grund, warum das Denken bei der Betrachtung der
Dinge zumeist übersehen wird, haben wir bereits
angegeben (vergleiche Seite 42f.). Er liegt in dem Umstande,
daß wir nur auf den Gegenstand, über den wir
denken, nicht aber zugleich auf das Denken unsere
Aufmerksamkeit richten. Das naive Bewußtsein behandelt
daher das Denken wie etwas, das mit den Dingen nichts zu tun
hat, sondern ganz abseits von denselben steht und seine
Betrachtungen über die Welt anstellt. Das Bild, das der
Denker von den Erscheinungen der Welt entwirft, gilt nicht
als etwas, was zu den Dingen gehört, sondern als ein nur
im Kopfe des Menschen existierendes; die Welt ist auch fertig
ohne dieses Bild. Die Welt ist fix und fertig in allen ihren
Substanzen und Kräften; und von dieser fertigen Welt
entwirft der Mensch ein Bild. Die so denken, muß man nur
fragen: mit welchem Rechte erklärt ihr die Welt für
fertig, ohne das Denken? Bringt nicht mit der gleichen
Notwendigkeit die Welt das Denken im Kopfe des Menschen
hervor, wie die Blüte an der Pflanze? Pflanzet ein
Samenkorn in den Boden. Es treibt Wurzel und Stengel. Es
entfaltet sich zuBlättern und Blüten. Stellet die
Pflanze euch selbst gegenüber. Sie verbindet sich in
eurer Seele mit einem bestimmten Begriffe. Warum gehört
dieser Begriff weniger zur ganzen Pflanze als Blatt und
Blüte? Ihr saget: die Blätter und Blüten sind
ohne ein wahrnehmendes Subjekt da; der Begriff erscheint
erst, wenn sich der Mensch der Pflanze gegenüberstellt.
Ganz wohl. Aber auch Blüten und Blätter entstehen
an der Pflanze nur, wenn Erde da ist, in die der Keim gelegt
werden kann, wenn Licht und Luft da sind, in denen sich
Blätter und Blüten entfalten können. Gerade so
entsteht der Begriff der Pflanze, wenn ein denkendes
Bewußtsein an die Pflanze herantritt.
Es ist ganz willkürlich, die Summe dessen, was
wir von einem Dinge durch die bloße Wahrnehmung
erfahren, für eine Totalität, für ein Ganzes
zu halten, und dasjenige, was sich durch die
denkende Betrachtung ergibt, als ein solches
Hinzugekommenes, das mit der Sache selbst nichts zu tun habe.
Wenn ich heute eine Rosenknospe erhalte, so ist das Bild, das
sich meiner Wahrnehmung darbietet, nur zunächst ein
abgeschlossenes. Wenn ich die Knospe in Wasser setze, so
werde ich morgen ein ganz anderes Bild meines Objektes
erhalten. Wenn ich mein Auge von der Rosenknospe nicht
abwende, so sehe ich den heutigen Zustand in den morgigen
durch unzählige Zwischenstufen kontinuierlich
übergehen. Das Bild, das sich mir in einem bestimmten
Augenblicke darbietet, ist nur ein zufälliger Ausschnitt
aus dem in einem fortwährenden Werden begriffenen
Gegenstande. Setze ich die Knospe nicht in Wasser, so bringt
sie eine ganze Reihe von Zuständen nicht zur
Entwickelung, die der Möglichkeit nach in ihr lagen.
Ebenso kann ich morgen verhindert sein, die Blüte weiter
zu beobachten und dadurch ein unvollständiges Bild
haben.
Es ist eine ganz unsachliche, an
Zufälligkeiten sich heftende Meinung, die von dem in
einer gewissen Zeit sich darbietenden Bilde erklärte:
das ist die Sache.
Ebensowenig ist es statthaft, die Summe der
Wahrnehmungsmerkmale für die Sache zu erklären. Es
wäre sehr wohl möglich, daß ein Geist zugleich
und ungetrennt von der Wahrnehmung den Begriff mitempfangen
könnte. Ein solcher Geist würde gar nicht auf den
Einfall kommen, den Begriff als etwas nicht zur Sache
Gehöriges zu betrachten. Er müßte ihm ein mit
der Sache unzertrennlich verbundenes Dasein zuschreiben.
Ich will mich noch durch ein Beispiel deutlicher
machen. Wenn ich einen Stein in horizontaler Richtung durch
die Luft werfe, so sehe ich ihn nacheinander an verschiedenen
Orten. Ich verbinde diese Orte zu einer Linie. In der
Mathematik lerne ich verschiedeneLinienformen kennen,
darunter auch die Parabel. Ich kenne die Parabel als eine
Linie, die entsteht, wenn sich ein Punkt in einer gewissen
gesetzmäßigen Art bewegt. Wenn ich die Bedingungen
untersuche, unter denen sich der geworfene Stein bewegt, so
finde ich, daß die Linie seiner Bewegung mit der
identisch ist, die ich als Parabel kenne. Daß sich der
Stein gerade in einerParabel bewegt, das ist eine Folge der
gegebenen Bedingungen und folgt mit Notwendigkeit aus diesen.
Die Form der Parabel gehört zur ganzen Erscheinung, wie
alles andere, was an derselben in Betracht kommt. Dem oben
beschriebenen Geist, der nicht den Umweg des Denkens nehmen
müßte, wäre nicht nur eine Summe von
Gesichtsempfindungen an verschiedenen Orten gegeben, sondern
ungetrennt von der Erscheinung auch die parabolische Form
derWurflinie, die wir erst durch Denken zu der
Erscheinung hinzufügen.
Nicht an den Gegenständen liegt es, daß
sie uns zunächst ohne die entsprechenden Begriffe
gegeben werden, sondern an unserer geistigen Organisation.
Unsere totale Wesenheit funktioniert in der Weise, daß
ihr bei jedem Dinge der Wirklichkeit von zwei Seiten her die
Elemente zufließen, die für die Sache in Betracht
kommen: von seiten des Wahrnehmens und des
Denkens.
Es hat mit der Natur der Dinge nichts zu tun, wie
ich organisiert bin, sie zu erfassen. Der Schnitt zwischen
Wahrnehmen und Denken ist erst in dem Augenblicke vorhanden,
wo ich, der Betrachtende, den Dingen
gegenübertrete.Welche Elemente dem Dinge angehören
und welche nicht, kann aber durchaus nicht davon
abhängen, auf welche Weise ich zur Kenntnis dieser
Elemente gelange.
Der Mensch ist ein eingeschränktes Wesen.
Zunächst ist er ein Wesen unter anderen Wesen. Sein
Dasein gehört dem Raum und der Zeit an. Dadurch kann ihm
auch immer nur ein beschränkter Teil des gesamten
Universums gegeben sein. Dieser beschränkte Teil
schließt sich aber ringsherum sowohl zeitlich wie
räumlich an anderes an. Wäre unser Dasein so mit
den Dingen verknüpft, daß jedes Weltgeschehen
zugleich unser Geschehen wäre, dann gäbe
es den Unterschied zwischen uns und den Dingen nicht. Dann
aber gäbe es für uns auch keine Einzeldinge. Da
ginge alles Geschehen kontinuierlich ineinander über.
Der Kosmos wäre eine Einheit und eine in sich
beschlossene Ganzheit. Der Strom des Geschehens hätte
nirgends eine Unterbrechung. Wegen unserer Beschränkung
erscheint uns als Einzelheit, was in Wahrheit nicht
Einzelheit ist. Nirgends ist zum Beispiel die
Einzelqualität des Rot abgesondert für sich
vorhanden. Sie ist allseitig von anderen Qualitäten
umgeben, zu denen sie gehört, und ohne die sie nicht
bestehen könnte. Für uns aber ist es eine
Notwendigkeit, gewisse Ausschnitte aus der Welt
herauszuheben, und sie für sich zu betrachten. Unser
Auge kann nur einzelne Farben nacheinander aus einem
vielgliedrigen Farbenganzen, unser Verstand nur einzelne
Begriffe aus einem zusammenhängenden Begriffssysteme
erfassen. Diese Absonderung ist ein subjektiver Akt, bedingt
durch den Umstand, daß wir nicht identisch sind mit dem
Weltprozeß, sondern ein Wesen unter anderen Wesen.
Es kommt nun alles darauf an, die Stellung des
Wesens, das wir selbst sind, zu den anderen Wesen zu
bestimmen. Diese Bestimmung muß unterschieden werden von
dem bloßen Bewußtwerden unseres Selbst. Das
letztere beruht auf dem Wahrnehmen wie das Bewußtwerden
jedes anderen Dinges. Die Selbstwahrnehmung zeigt mir eine
Summe von Eigenschaften, die ich ebenso zu dem Ganzen meiner
Persönlichkeit zusammenfasse, wie ich die Eigenschaften:
gelb, metallglänzend, hart usw. zu der Einheit
«Gold» zusammenfasse. Die Selbstwahrnehmung
führt mich nicht aus dem Bereiche dessen hinaus, was zu
mir gehört. Dieses Selbstwahrnehmen ist zu unterscheiden
von dem denkenden Selbst-bestimmen. Wie ich eine
einzelne Wahrnehmung der Außenwelt durch das Denken
eingliedere in den Zusammenhang der Welt, so gliedere ich die
an mir selbst gemachten Wahrnehmungen in den Weltprozeß
durch das Denken ein. Mein Selbstwahrnehmen schließt
mich innerhalb bestimmter Grenzen ein; mein Denken hat nichts
zu tun mit diesen Grenzen. In diesem Sinne bin ich ein
Doppelwesen. Ich bin eingeschlossen in das Gebiet, das ich
als das meiner Persönlichkeit wahrnehme, aber ich bin
Träger einer Tätigkeit, die von einer höheren
Sphäre aus mein begrenztes Dasein bestimmt. Unser Denken
ist nicht individuell wie unser Empfinden und Fühlen. Es
ist universell. Es erhält ein individuelles Gepräge
in jedem einzelnen Menschen nur dadurch, daß es auf sein
individuelles Fühlen und Empfinden bezogen ist. Durch
diese besonderen Färbungen des universellen Denkens
unterscheiden sich die einzelnen Menschen voneinander. Ein
Dreieck hat nur einen einzigen Begriff. Für den Inhalt
dieses Begriffes ist es gleichgültig, ob ihn der
menschliche Bewußtseinsträger A oder B faßt.
Er wird aber von jedem der zwei Bewußtseinsträger
in individueller Weise erfaßt werden.
Diesem Gedanken steht ein schwer zu
überwindendes Vorurteil der Menschen gegenüber. Die
Befangenheit kommt nicht bis zu der Einsicht, daß der
Begriff des Dreieckes, den mein Kopf erfaßt, derselbe
ist, wie der durch den Kopf meines Nebenmenschen ergriffene.
Der naive Mensch hält sich für den Bildner seiner
Begriffe. Er glaubt deshalb, jede Person habe ihre eigenen
Begriffe. Es ist eine Grundforderung des philosophischen
Denkens, dieses Vorurteil zu überwinden. Der eine
einheitliche Begriff des Dreiecks wird nicht dadurch zu einer
Vielheit, daß er von vielen gedacht wird. Denn das
Denken der Vielen selbst ist eine Einheit.
In dem Denken haben wir das Element gegeben, das
unsere besondere Individualität mit dem Kosmos zu einem
Ganzen zusammenschließt. Indem wir empfinden und
fühlen (auch wahrnehmen), sind wir einzelne, indem wir
denken, sind wir das all-eine Wesen, das alles durchdringt.
Dies ist der tiefere Grund unserer Doppelnatur: Wir sehen in
uns eine schlechthin absolute Kraft zum Dasein kommen, eine
Kraft, die universell ist, aber wir lernen sie nicht bei
ihrem Ausströmen aus dem Zentrum der Welt kennen,
sondern in einem Punkte der Peripherie. Wäre das erstere
der Fall, dann wüßten wir in dem Augenblicke, in
dem wir zum Bewußtsein kommen, das ganze
Welträtsel. Da wir aber in einem Punkte der Peripherie
stehen und unser eigenes Dasein in bestimmte Grenzen
eingeschlossen finden, müssen wir das außerhalb
unseres eigenen Wesens gelegene Gebiet mit Hilfe des aus dem
allgemeinen Weltensein in uns hereinragenden Denkens kennen
lernen.
Dadurch, daß das Denken in uns übergreift
über unser Sondersein und auf das allgemeine Weltensein
sich bezieht, entsteht in uns der Trieb der Erkenntnis. Wesen
ohne Denken haben diesen Trieb nicht. Wenn sich ihnen andere
Dinge gegenüberstellen, so sind dadurch keine Fragen
gegeben. Diese anderen Dinge bleiben solchen Wesen
äußerlich. Bei denkenden Wesen stößt dem
Außendinge gegenüber der Begriff auf. Er ist
dasjenige, was wir von dem Dinge nicht von außen,
sondern von innen empfangen. Den Ausgleich, die Vereinigung
der beiden Elemente, des inneren und des äußeren,
soll die Erkenntnis liefern.
Die Wahrnehmung ist also nichts Fertiges,
Abgeschlossenes, sondern die eine Seite der totalen
Wirklichkeit. Die andere Seite ist der Begriff. Der
Erkenntnisakt ist die Syn these von Wahrnehmung und Begriff.
Wahrnehmung und Begriff eines Dinges machen aber erst das
ganze Ding aus.
Die vorangehenden
Ausführungen liefern den Beweis, daß es ein Unding
ist, etwas anderes Gemeinsames in den Einzelwesen der Welt zu
suchen, als den ideellen Inhalt, den uns das Denken
darbietet. Alle Versuche müssen scheitern, die nach
einer anderen Welteinheit streben als nach diesem in sich
zusammenhängenden ideellen Inhalt, welchen wir uns durch
denkende Betrachtung unserer Wahrnehmungen erwerben. Nicht
ein menschlich-persönlicher Gott, nicht Kraft oder
Stoff, noch der ideenlose Wille (Schopenhauers) können
uns als eine universelle Welteinheit gelten. Diese
Wesenheiten gehören sämtlich nur einem
beschränkten Gebiet unserer Beobachtung an. Menschlich
begrenzte Persönlichkeit nehmen wir nur an uns, Kraft
und Stoff an den Außendingen wahr. Was den Willen
betrifft, so kann er nur als die
Tätigkeitsäußerung unserer beschränkten
Persönlichkeit gelten. Schopenhauer will es
vermeiden, das «abstrakte» Denken zum Träger
der Welteinheit zu machen und sucht statt dessen etwas, das
sich ihm unmittelbar als ein Reales darbietet. Dieser
Philosoph glaubt, daß wir der Welt nimmermehr beikommen,
wenn wir sie als Außenwelt ansehen. «In der Tat
würde die nachgeforschte Bedeutung der mir lediglich als
meine Vorstellung gegenüberstehenden Welt, oder der
Übergang von ihr, als bloßer Vorstellung des
erkennenden Subjekts, zu dem, was sie noch außerdem sein
mag, nimmermehr zu finden sein, wenn der Forscher selbst
nichts weiter als das rein erkennende Subjekt
(geflügelter Engelskopf ohne Leib) wäre. Nun aber
wurzelt er selbst in jener Welt, findet sich nämlich in
ihr als Individuum, das heißt sein Erkennen,
welches der bedingende Träger der ganzen Welt als
Vorstellung ist, ist dennoch durchaus vermittelt durch einen
Leib, dessen Affektionen, wie gezeigt, dem Verstande der
Ausgangspunkt der Anschauung jener Welt sind. Dieser Leib ist
dem rein erkennenden Subjekt als solchem eine Vorstellung wie
jede andere, ein Objekt unter Objekten: die Bewegungen, die
Aktionen desselben sind ihm insoweit nicht anders als wie die
Veränderungen aller anderen anschaulichen Objekte
bekannt, und wären ihm ebenso fremd und
unverständlich, wenn die Bedeutung derselben ihm nicht
etwa auf eine ganz andere Art enträtselt wäre....
Dem Subjekt des Erkennens, welches durch seine Identität
mit dem Leibe als Individuum auftritt, ist dieser Leib auf
zwei ganz verschiedene Weisen gegeben: einmal als Vorstellung
in verständiger Anschauung, als Objekt unter Objekten,
und dem Gesetzen dieser unterworfen; sodann aber auch
zugleich auf eine ganz andere Weise, nämlich als jenes
jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille
bezeichnet. Jeder wahre Akt seines Willens ist sofort und
unausbleiblich auch eine Bewegung seines Leibes: er kann den
Akt nicht wirklich wollen, ohne zugleich wahrzunehmen,
daß er als Bewegung des Leibes erscheint. Der Willensakt
und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte
verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität
verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache
und Wirkung; sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf
zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz
unmittelbar und einmal in der Anschauung für den
Verstand.» Durch diese Auseinandersetzungen glaubt sich
Schopenhauer berechtigt, in dem Leibe des Menschen
die «Objektität» des Willens zu finden. Er ist
der Meinung, in den Aktionen des Leibes unmittelbar
eine Realität, das Ding an sich in concreto zu
fühlen. Gegen diese Ausführungen muß
eingewendetwerden, daß uns die Aktionen unseres Leibes
nur durch Selbstwahrnehmungen zum Bewußtsein kommen und
als solche nichts voraus haben vor anderen Wahrnehmungen.
Wenn wir ihre Wesenheit erkennen wollen, so
können wir dies nur durch denkende Betrachtung,
das heißt durch Eingliederung derselben in das ideelle
System unserer Begriffe und Ideen.
Am tiefsten eingewurzelt in das naive
Menschheitsbewußtsein ist die Meinung: das Denken sei
abstrakt, ohne allen konkreten Inhalt. Es könne
höchstens ein «ideelles» Gegenbild der
Welteinheit liefern, nicht etwa diese selbst. Wer so urteilt,
hat sich niemals klar gemacht, was die Wahrnehmung ohne den
Begriff ist. Sehen wir uns nur diese Welt der Wahrnehmung an:
als ein bloßes Nebeneinander im Raum und Nacheinander in
der Zeit, ein Aggregat zusammenhangloser Einzelheiten
erscheint sie. Keines der Dinge, die da auftreten und abgehen
auf derWahrnehmungsbühne, hat mit dem andern unmittelbar
etwas zu tun, was sich wahrnehmen läßt. Die Welt
ist da eine Mannigfaltigkeit von gleichwertigen
Gegenständen. Keiner spielt eine größere Rolle
als der andere im Getriebe der Welt. Soll uns klar werden,
daß diese oder jene Tatsache größere Bedeutung
hat als die andere, so müssen wir unser Denken befragen.
Ohne das funktionierende Denken erscheint uns das
rudimentäre Organ des Tieres, das ohne Bedeutung
für dessen Leben ist, gleichwertig mit dem wichtigsten
Körpergliede. Die einzelnen Tatsachen treten in ihrer
Bedeutung in sich und für die übrigen Teile der
Welt erst hervor, wenn das Denken seine Fäden zieht von
Wesen zu Wesen. Diese Tätigkeit des Denkens ist eine
inhaltvolle. Denn nur durch einen ganz bestimmten
konkreten Inhalt kann ich wissen, warum die Schnecke auf
einer niedrigeren Organisationsstufe steht als der Löwe.
Der bloße Anblick, die Wahrnehmung gibt mir keinen
Inhalt, der mich über die Vollkommenheit der
Organisation belehren könnte.
Diesen Inhalt bringt das Denken der Wahrnehmung aus
der Begriffs, und Ideenwelt des Menschen entgegen. Im
Gegensatz zum Wahrnehmungsinhalte, der uns von außen
gegeben ist, erscheint der Gedankeninhalt im Innern. Die
Form, in der er zunächst auftritt, wollen wir als
Intuition bezeichnen. Sie ist für das Denken,
was die Beobachtung für die Wahrnehmung ist.
Intuition und Beobachtung sind die Quellen unserer
Erkenntnis. Wir stehen einem beobachteten Dinge der Welt so
lange fremd gegenüber, so lange wir in unserem Innern
nicht die entsprechende Intuition haben, die uns das in der
Wahrnehmung fehlende Stück der Wirklichkeit
ergänzt. Wer nicht die Fähigkeit hat, die den
Dingen entsprechenden Intuitionen zu finden, dem bleibt die
volle Wirklichkeit verschlossen. Wie der Farbenblinde nur
Helligkeitsunterschiede ohne Farbenqualitäten sieht, so
kann der Intuitionslose nur unzusammenhängende
Wahrnehmungsfragmente beobachten.
Ein Ding erklären, verständlich
machen heißt nichts anderes, als es in den
Zusammenhang hinein versetzen, aus dem es durch die oben
geschilderte Einrichtung unserer Organisation herausgerissen
ist. Ein von dem Weltganzen abgetrenntes Ding gibt es nicht.
Alle Sonderung hat bloß subjektive Geltung für
unsere Organisation. Für uns legt sich das Weltganze
auseinander in: oben und unten, vor und nach, Ursache und
Wirkung, Gegenstand und Vorstellung, Stoff und Kraft, Objekt
und Subjekt usw. Was uns in der Beobachtung an Einzelheiten
gegenübertritt, das verbindet sich durch die
zusammenhängende, einheitliche Welt unserer Intuitionen
Glied für Glied; und wir fügen durch das Denken
alles wieder in eins zusammen, was wir durch das Wahrnehmen
getrennt haben.
Die Rätselhaftigkeit eines Gegenstandes liegt
in seinem Sonderdasein. Diese ist aber von uns hervorgerufen
und kann, innerhalb der Begriffswelt, auch wieder aufgehoben
werden.
Außer durch Denken und Wahrnehmen ist uns
direkt nichts gegeben. Es entsteht nun die Frage: wie steht
es gemäß unseren Ausführungen mit der
Bedeutung der Wahrnehmung? Wir haben zwar erkannt, daß
der Beweis, den der kritische Idealismus für die
subjektive Natur der Wahrnehmungen vorbringt, in sich
zerfällt; aber mit der Einsicht in die Unrichtigkeit des
Beweises ist noch nicht ausgemacht, daß die Sache selbst
auf einem Irrtume beruht. Der kritische Idealismus geht in
seiner Beweisführung nicht von der absoluten Natur des
Denkens aus, sondern stützt sich darauf, daß der
naive Realismus, konsequent verfolgt, sich selbst aufhebe.
Wie stellt sich die Sache, wenn die Absolutheit des Denkens
erkannt ist?
Nehmen wir an, es trete eine bestimmte Wahrnehmung,
zum Beispiel Rot, in meinem Bewußtsein auf. Die
Wahrnehmung erweist sich bei fortgehender Betrachtung in
Zusammenhang stehend mit anderen Wahrnehmungen, zum Beispiel
einer bestimmten Figur, mit gewissen Temperatur-und
Tastwahrnehmungen. Diesen Zusammenhang bezeichne ich als
einen Gegenstand der Sinnenwelt. Ich kann mich nun fragen:
was findet sich außer dem angeführten noch in jenem
Raumausschnitte, in dem mir obige Wahrnehmungen erscheinen.
Ich werde mechanische, chemische und andere Vorgänge
innerhalb des Raumteiles finden. Nun gehe ich weiter und
untersuche die Vorgänge, die ich auf dem Wege von dem
Gegenstande zu meinem Sinnesorgane finde. Ich kann
Bewegungsvorgänge in einem elastischen Mittel finden,
die ihrer Wesenheit nach nicht das geringste mit den
ursprünglichen Wahrnehmungen gemein haben. Das gleiche
Resultat erhalte ich, wenn ich die weitere Vermittelung vom
Sinnesorgane zum Gehirn untersuche. Auf jedem dieser Gebiete
mache ich neue Wahrnehmungen; aber was als bindendes Mittel
sich durch alle diese räumlich und zeitlich
auseinanderliegenden Wahrnehmungen hindurchwebt, das ist das
Denken. Die den Schall vermittelnden Schwingungen der Luft
sind mir gerade so als Wahrnehmungen gegeben wie der Schall
selbst. Nur das Denken gliedert alle diese Wahrnehmungen
aneinander und zeigt sie in ihren gegenseitigen Beziehungen.
Wir können nicht davon sprechen, daß es außer
dem unmittelbar Wahrgenommenen noch anderes gibt, als
dasjenige, was durch die ideellen (durch das Denken
aufzudeckenden) Zusammenhänge der Wahrnehmungen erkannt
wird. Die über das bloß Wahrgenommene hinausgehende
Beziehung der Wahrnehmungsobjekte zum Wahrnehmungssubjekte
ist also eine bloß ideelle, das heißt nur durch
Begriffe ausdrückbare. Nur in dem Falle, wenn ich
wahrnehmen könnte, wie das Wahrnehmungsobjekt das
Wahrnehmungssubjekt affiziert, oder umgekehrt, wenn ich den
Aufbau des Wahrnehmungsgebildes durch das Subjekt beobachten
könnte, wäre es möglich, so zu sprechen, wie
es die moderne Physiologie und der auf sie gebaute kritische
Idealismus tun. Diese Ansicht verwechselt einen ideellen
Bezug (des Objekts auf das Subjekt) mit einem Prozeß,
von dem nur gesprochen werden könnte, wenn er
wahrzunehmen wäre. Der Satz «Keine Farbe ohne
farbenempfindendes Auge» kann daher nicht die Bedeutung
haben, daß das Auge die Farbe hervorbringt, sondern nur
die, daß ein durch das Denken erkennbarer ideeller
Zusammenhang besteht zwischen der Wahrnehmung Farbe und der
Wahrnehmung Auge. Die empirische Wissenschaft wird
festzustellen haben, wie sich die Eigenschaften des Auges und
die der Farben zueinander verhalten; durch welche
Einrichtungen das Sehorgan die Wahrnehmung der Farben
vermittelt usw. Ich kann verfolgen, wie eine Wahrnehmung auf
die andere folgt, wie sie räumlich mit andern in
Beziehung steht; und dies dann in einen begrifflichen
Ausdruck bringen; aber ich kann nicht wahrnehmen, wie eine
Wahrnehmung aus dem Unwahrnehmbaren hervorgeht. Alle
Bemühungen, zwischen den Wahrnehmungen andere
alsGedankenbezüge zu suchen, müssen notwendig
scheitern.
Was ist also die Wahrnehmung? Diese Frage ist, im
allgemeinen gestellt, absurd. Die Wahrnehmung tritt immer als
eine ganz bestimmte, als konkreter Inhalt auf. Dieser Inhalt
ist unmittelbar gegeben, und erschöpft sich in dem
Gegebenen. Man kann in bezug auf dieses Gegebene nur fragen,
was es außerhalb der Wahrnehmung, das ist: für das
Denken ist. Die Frage nach dem «Was» einer
Wahrnehmung kann also nur auf die begriffliche Intuition
gehen, die ihr entspricht. Unter diesem Gesichtspunkte kann
die Frage nach der Subjektivität der Wahrnehmung im
Sinne des kritischen Idealismus gar nicht aufgeworfen werden.
Als subjektiv darf nur bezeichnet werden, was als zum
Subjekte gehörig wahrgenommen wird. Das Band zu bilden
zwischen Subjektivem und Objektivem kommt keinem im naiven
Sinn realen Prozeß, das heißt einem wahrnehmbaren
Geschehen zu, sondern allein dem Denken. Es ist also für
uns objektiv, was sich für die Wahrnehmung als
außerhalb des Wahrnehmungssubjektes gelegen darstellt.
Mein Wahrnehmungssubjekt bleibt für michwahrnehmbar,wenn
der Tisch, der soeben vor mir steht, aus dem Kreise meiner
Beobachtung verschwunden sein wird. Die Beobachtung des
Tisches hat eine, ebenfalls bleibende, Veränderung in
mir hervorgerufen. Ich behalte die Fähigkeit
zurück, ein Bild des Tisches später wieder zu
erzeugen. Diese Fähigkeit der Hervorbringung eines
Bildes bleibt mit mir verbunden. Die Psychologie bezeichnet
dieses Bild als Erinnerungsvorstellung. Es ist aber
dasjenige, was allein mit Recht Vorstellung des
Tisches genannt werden kann. Es entspricht dies nämlich
der wahrnehmbaren Veränderung meines eigenen Zustandes
durch die Anwesenheit des Tisches in meinem Gesichtsfelde.
Und zwar bedeutet sie nicht die Veränderung irgendeines
hinter dem Wahrnehmungssubjekte stehenden «Ich an
sich», sondern die Veränderung des wahrnehmbaren
Subjektes selbst. Die Vorstellung ist also eine subjektive
Wahrnehmung im Gegensatz zur objektiven Wahrnehmung bei
Anwesenheit des Gegenstandes im Wahrnehmungshorizonte. Das
Zusammenwerfen jener subjektiven mit dieser objektiven
Wahrnehmung führt zu dem Mißverständnisse des
Idealismus: die Welt ist meine Vorstellung.
Es wird sich nun zunächst darum handeln, den
Begriff der Vorstellung näher zu bestimmen. Was wir
bisher über sie vorgebracht haben, ist nicht der Begriff
derselben, sondern weist nur den Weg, wo sie im
Wahrnehmungsfelde zu finden ist. Der genaue Begriff der
Vorstellung wird es uns dann auch möglich machen, einen
befriedigenden Aufschluß über das Verhältnis
von Vorstellung und Gegenstand zu gewinnen. Dies wird uns
dann auch über die Grenze führen, wo das
Verhältnis zwischen menschlichem Subjekt und der Welt
angehörigem Objekt von dem rein begrifflichen Felde des
Erkennens hinabgeführt wird in das konkrete individuelle
Leben. Wissen wir erst, was wir von der Welt zu
halten haben, dann wird es ein leichtes sein, auch uns danach
einzurichten. Wir können erst mit voller Kraft
tätig sein, wenn wir das der Welt angehörige Objekt
kennen, dem wir unsere Tätigkeit widmen.
Zusatz zur Neuausgabe (1918). Die
Anschauung, die hier gekennzeichnet ist, kann als eine solche
angesehen werden, zu welcher der Mensch wie
naturgemäß zunächst getrieben wird, wenn er
beginnt, über sein Verhältnis zur Welt
nachzudenken. Er sieht sich da in eine Gedankengestaltung
verstrickt, die sich ihm auflöst, indem er sie bildet.
Diese Gedankengestaltung ist eine solche, mit deren
bloßer theoretischer Widerlegung nicht alles für
sie Notwendige getan ist. Man muß sie
durchleben, um aus der Einsicht in die Verirrung, in
die sie führt, den Ausweg zu finden. Sie muß in
einer Auseinandersetzung über das Verhältnis des
Menschen zur Welt erscheinen nicht darum, weil man andere
widerlegen will, von denen man glaubt, daß sie über
dieses Verhältnis eine unrichtige Ansicht haben, sondern
weil man kennen muß, in welche Verwirrung sich jedes
erste Nachdenken über ein solches Verhältnis
bringen kann. Man muß die Einsicht gewinnen,
wie man sich selbst in bezug auf dieses erste
Nachdenken widerlegt. Von einem solchen Gesichts punkte aus
sind die obigen Ausführungen gemeint.
Wer sich eine Anschauung über das
Verhältnis des Menschen zur Welt erarbeiten will, wird
sich bewußt, daß er mindestens einen Teil dieses
Verhältnisses dadurch herstellt, daß er sich
über die Weltdinge und Weltvorgänge Vorstellungen
macht. Dadurch wird sein Blick von dem, was
draußen in der Welt ist, abgezogen und auf
seine Innenwelt, auf sein Vorstellungsleben gelenkt. Er
beginnt sich zu sagen: ich kann zu keinem Ding und zu keinem
Vorgang eine Beziehung haben, wenn nicht in mir eine
Vorstellung auftritt. Von dem Bemerken dieses Tatbestandes
ist dann nur ein Schritt zu der Meinung: ich erlebe aber doch
nur meine Vorstellungen; von einer Welt draußen
weiß ich nur, insofern sie Vorstellung in mir
ist. Mit dieser Meinung ist der naive Wirklichkeitsstandpunkt
verlassen, den der Mensch vor allem Nachsinnen über sein
Verhältnis zur Welt einnimmt. Von diesem Standpunkt aus
glaubt er, er habe es mit den wirklichen Dingen zu tun. Von
diesem Standpunkt drängt die Selbstbesinnung ab. Sie
läßt den Menschen gar nicht hinblicken auf eine
Wirklichkeit, wie sie das naive Bewußtsein vor sich zu
haben meint. Sie läßt ihn bloß auf seine
Vorstellungen blicken; diese schieben sich ein
zwischen die eigene Wesenheit und eine etwa wirkliche Welt,
wie sie der naive Standpunkt glaubt behaupten zu dürfen.
Der Mensch kann nicht mehr durch die eingeschobene
Vorstellungswelt auf eine solche Wirklichkeit schauen. Er
muß annehmen: er sei blind für diese Wirklichkeit.
So entsteht der Gedanke von einem für die Erkenntnis
unerreichbaren «Ding an sich». — Solange man bei
der Betrachtung des Verhältnisses stehenbleibt, in das
der Mensch durch sein Vorstellungsleben mit der Welt zu
treten scheint, wird man dieser Gedankengestaltung nicht
entgehen können. Auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt
kann man nicht bleiben, wenn man sich dem Drang nach
Erkenntnis nicht künstlich verschließen will.
Daß dieser Drang nach Erkenntnis des Verhältnisses
von Mensch und Welt vorhanden ist, zeigt, daß dieser
naive Standpunkt verlassen werden muß. Gäbe der
naive Standpunkt etwas, was man als Wahrheit anerkennen kann,
so könnte man diesen Drang nicht empfinden. — Aber man
kommt nun nicht zu etwas anderem, das man als Wahrheit
ansehen könnte, wenn man bloß den naiven Standpunkt
verläßt, aber — ohne es zu bemerken — die
Gedankenart beibehält, die er aufnötigt. Man
verfällt in einen solchen Fehler, wenn man sich sagt:
ich erlebe nur meine Vorstellungen, und während ich
glaube, ich habe es mit Wirklichkeiten zu tun, sind mir nur
meine Vorstellungen von Wirklichkeiten bewußt; ich
muß deshalb annehmen, daß außerhalb des
Umkreises meines Bewußtseins erst wahre Wirklichkeiten,
«Dinge an sich» liegen, von denen ich unmittelbar
gar nichts weiß, die irgendwie an mich herankommen und
mich so beeinflussen, daß in mir meine Vorstellungswelt
auflebt. Wer so denkt, der setzt in Gedanken zu der ihm
vorliegenden Welt nur eine andere hinzu; aber er
müßte bezüglich dieser Welt eigentlich mit
seiner Gedankenarbeit wieder von vorne beginnen. Denn das
unbekannte «Ding an sich» wird dabei gar nicht
anders gedacht in seinem Verhältnisse zur Eigenwesenheit
des Menschen als das bekannte des naiven
Wirklichkeitsstandpunktes. — Man entgeht der Verwirrung, in
die man durch die kritische Besonnenheit in bezug auf diesen
Standpunkt gerät, nur, wenn man bemerkt, daß es
innerhalb dessen, was man innen in sich und
außen in der Welt wahrnehmend erleben kann, etwas gibt,
das dem Verhängnis gar nicht verfallen kann, daß
sich zwischen Vorgang und betrachtenden Menschen die
Vorstellung einschiebt. Und dieses ist das
Denken. Dem Denken gegenüber kann der Mensch
auf dem naiven Wirklichkeitsstandpunkt verbleiben. Tut er es
nicht, so geschieht das nur deshalb, weil er bemerkt hat,
daß er für anderes diesen Standpunkt verlassen
muß, aber nicht gewahr wird, daß die so gewonnene
Einsicht nicht anwendbar auf das Denken ist. Wird er dies
gewahr, dann eröffnet er sich den Zugang zu der anderen
Einsicht, daß im Denken und durch das
Denken dasjenige erkannt werden muß, wofür sich der
Mensch blind zu machen scheint, indem er zwischen der Welt
und sich das Vorstellungsleben einschieben muß. — Von
durch den Verfasser dieses Buches sehr geschätzter Seite
ist diesem der Vorwurf gemacht worden, daß er mit seiner
Ausführung über das Denken bei einem naiven
Realismus des Denkens stehenbleibe, wie ein solcher vorliege,
wenn man die wirkliche Welt und die vorgestellte Welt
für eines hält. Doch der Verfasser dieser
Ausführungen glaubt eben in ihnen erwiesen zu haben,
daß die Geltung dieses «naiven Realismus»
für das Denken sich aus einer unbefangenen
Beobachtung desselben notwendig ergibt; und daß der
für anderes nicht geltende naive Realismus durch die
Erkenntnis der wahren Wesenheit des Denkens überwunden
wird.
1.
Transzendental wird im Sinne dieser
Weltanschauung eine Erkenntnis genannt, welche sich
bewußt glaubt, daß über die Dinge an sich
nicht direkt etwas ausgesagt werden könne, sondern
welche indirekt Schlüsse von dem bekannten
Subjektiven auf das Unbekannte, jenseits des Subjektiven
Liegende (Transzendente) macht. Das Ding an sich ist nach
dieser Ansicht jenseits des Gebietes der uns
unmittelbar erkennbaren Welt, d.i. transzendent.
— Unsere Welt kann aber auf das Transzendente
transzendental bezogen werden. Realismus heißt
Hartmanns Anschauung, weil sie über das Subjektive,
Ideale hinaus, auf das Transzendente, Reale geht.
|