Giordano Bruno und Angelus Silesius
Im ersten Jahrzehnt
des sechzehnten Jahrhunderts ersinnt auf dem Schloß
zu Heilsberg in Preußen das naturwissenschaftliche
Genie des Nikolaus Kopernikus (1473-1543) ein
Gedankengebäude, das die Menschen der folgenden
Zeitalter zwingt, mit anderen Vorstellungen zum
gestirnten Himmel aufzusehen, als ihre Ahnen im Altertum
und Mittelalter gehabt haben. Diesen war die Erde ihr im
Mitte]-punkt des Weltalls ruhender Wohnplatz. Die
Gestirne aber waren ihnen Wesenheiten von einer
vollkommenen deren Bewegung in Kreisen verlief, weil der
Kreis das Bild der Vollkommenheit ist. - In dem, was die
Sterne den menschlichen Sinnen zeigten, wurde unmittelbar
etwas Seelisches, Geistiges erblickt. Eine andere Sprache
redeten zu dem Menschen die Dinge und Vorgänge auf
der Erde; eine andere die leuchtenden Gestirne, die
jenseits des Mondes im reinen Äther wie ein den Raum
erfüllendes Geistwesen erschienen. Nicolaus von Kues
hat sich bereits andere Gedanken gebildet. Durch
Kopernikus wurde für den Menschen die Erde ein
Bruderwesen gegenüber den anderen
Himmelskörpern, ein Gestirn, das sich wie andere
bewegt. Alle Unterschiedenheit, die sie für den
Menschen aufweist, konnte dieser nunmehr nur darauf
zurückführen, daß sie sein Wohnplatz ist.
Er wurde gezwungen, nicht mehr verschieden über die
Vorgänge dieser Erde und über diejenigen des
andern Weltraumes zu denken. Seine Sinnenwelt hatte sich
bis in die fernsten Räume erweitert. Er mußte,
was vom Äther in sein Auge drang, nunmehr ebenso als
Sinnenwelt gelten lassen, wie die Dinge der Erde. Er
konnte in dem Äther nicht mehr auf sinnliche Weise
den Geist suchen.
Mit dieser erweiterten Sinneswelt mußte
sich auseinandersetzen, wer fortan nach höherer
Erkenntnis strebte. In früheren Jahrhunderten stand
der sinnende Menschengeist vor einer anderen
Tatsachenwelt. Nun war ihm eine neue Aufgabe gestellt.
Nicht mehr die Dinge dieser Erde allein konnten von des
Menschen Innern heraus ihr Wesen aussprechen. Dieses
Innere mußte den Geist einer Sinnenwelt umfassen,
die in überall gleicher Art das räumliche All
erfüllt. - Vor einer solchen Aufgabe stand der
Denker aus Nola, Philotheo Giordano Bruno
(1548-1600). Die Sinne haben sich das räumliche
Weltall erobert; der Geist ist nun nicht mehr im Raume zu
finden. So wurde der Mensch von außen darauf
hingewiesen, den Geist fortan nur mehr dort zu suchen, wo
ihn, aus tiefen inneren Erlebnissen heraus, die
herrlichen Denker gesucht haben, deren Reihe die
vorhergehenden Ausführungen an uns
vorübergeführt haben. Diese Denker
schöpfen aus sich eine Weltanschauung, zu der
später eine fortgeschrittene Naturwissenschaft die
Menschen zwingt. Die Sonne der Ideen, die später auf
eine neue Naturanschauung fallen soll, steht bei ihnen
noch unter dem Horizont; aber ihr Licht erscheint bereits
als Morgendämmerung in einer Zeit, als die Gedanken
der Menschen über die Natur selbst noch im
nächtlichen Dunkel liegen. - Das sechzehnte
Jahrhundert hat für die Naturwissenschaft den
Himmelsraum der Sinnenwelt gegeben, der er
rechtmäßig angehört; bis zum Ende des
neunzehnten Jahrhunderts war diese Wissenschaft so weit,
daß sie auch innerhalb der Erscheinungen des
pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebens
dasjenige der sinnlichen Tatsachenwelt geben konnte, was
dieser zukommt. Weder droben im Äther, noch in der
Entwicklung der Lebewesen darf nunmehr diese
Naturwissenschaft etwas anderes suchen als
tatsächlich-sinnliche Prozesse. Wie der Denker im
sechzehnten Jahrhundert sagen mußte: Die Erde ist
ein Stern unter Sternen, den gleichen Gesetzen
unterworfen wie andere Sterne - so muß derjenige des
neunzehnten Jahrhunderts sagen: «Der Mensch, mag
seine Entstehung, seine Zukunft sein, wie sie wolle, ist
für die Anthropologie nur ein Säugetier, und
zwar dasjenige, dessen Organisation, Bedürfnisse und
Krankheiten die verwickeltesten sind, und dessen Gehirn
mit seiner bewunderungswürdigen
Leistungsfähigkeit den höchsten Grad der
Entwicklung erreichte.» (Paul Topinard:
«Anthropologie», Leipzig 1888, S. 528.) - Von
einem solchen durch die Naturwissenschaft erreichten
Gesichtspunkt kann eine Verwechslung von Geistigem und
Sinnlichem nicht mehr eintreten, wenn der Mensch sich
selbst recht versteht. Die entwickelte Naturwissenschaft
macht es unmöglich, in der Natur einen, nach Art des
Materiellen gedachten Geist zu suchen, wie ein gesundes
Denken es unmöglich macht, den Grund des
Vorrückens der Uhrzeiger nicht in den mechanischen
Gesetzen (dem Geist der unorganischen Natur), sondern in
einem besonderen Dämon zu suchen, der die
Zeigerbewegung bewirkte. Mit Recht mußte Ernst
Haeckel die grobe Vorstellung von dem nach materieller
Art gedachten Gott als Naturforscher zurückweisen.
«In den höheren und abstrakteren
Religionsformen wird diese körperliche Erscheinung
aufgegeben und Gott nur als ‹reiner
Geist›, ohne Körper verehrt. ‹Gott
ist ein Geist, und wer ihn anbetet, soll ihn im Geist und
in der Wahrheit anbeten.› Trotzdem bleibt aber die
Seelentätigkeit dieses reinen Geistes ganz dieselbe
wie diejenige der anthropomorphen Gottesperson. In
Wirklichkeit wird auch dieser immaterielle Geist nicht
unkörperlich, sondern unsichtbar gedacht,
gasförmig. Wir gelangen so zu der paradoxen
Vorstellung Gottes als eines gasförmigen
Wirbeltieres.» (Haeckel, «Die
Welträtsel», S.333.) In Wirklichkeit darf ein
sinnlich-tatsächliches Dasein eines Geistigen nur da
angenommen werden, wo unmittelbare sinnliche Erfahrung
Geistiges zeigt; und es darf nur ein solcher Grad des
Geistigen vorausgesetzt werden, als auf diese Art
wahrgenommen wird. Der ausgezeichnete Denker B.
Carneri durfte (in der Schrift «Empfindung
und Bewußtsein», S. 15) sagen: «Der Satz:
Kein Geist ohne Materie, aber auch keine Materie ohne
Geist, - würde uns berechtigen, die Frage auch auf
die Pflanze, ja, auf den nächsten besten Felsblock
auszudehnen, bei welchem kaum etwas zugunsten dieser
Korrelatbegriffe sprechen dürfte.» Geistige
Vorgänge als Tatsachen sind die Ergebnisse
verschiedener Verrichtungen eines Organismus; der Geist
der Welt ist nicht auf materielle Art, sondern eben nur
auf geistige Art in der Welt vorhanden. Die Seele des
Menschen ist eine Summe von Vorgängen, in denen der
Geist am unmittelbarsten als Tatsache erscheint.
In der Form einer solchen Seele ist aber der Geist
nur im Menschen vorhanden. Und es heißt den
Geist mißverstehen, es heißt, die schlimmste
Sünde wider den Geist begehen, wenn man den Geist in
Seelenform anderswo als im Menschen sucht, wenn man sich
andere Wesen so beseelt denkt, wie den Menschen. Wer dies
tut, zeigt nur, daß er den Geist selbst in sich
nicht erlebt hat; er hat nur die in ihm waltende
äußere Erscheinungsform des Geistes, die Seele,
erlebt. Das aber ist gerade so, wie wenn jemand einen mit
Bleistift hingezeichneten Kreis für den wirklich
mathematisch-idealen Kreis hielte. Wer nichts anderes in
sich erlebt, als die Seelenform des Geistes, der
fühlt sich dann gedrängt, auch in den
nichtmenschlichen Dingen solche Seelenform
vorauszusetzen, damit er nicht bei der grob-sinnlichen
Materialist stehen zu bleiben brauche. Statt den Urgrund
der Welt als Geist zu denken, denkt er ihn als Weltseele,
und nimmt eine allgemeine Beseelung der Natur an.
Giordano Bruno, auf den die neue
kopernikanische Naturbetrachtung eindrang, konnte auf
keine andere Art den Geist in der Welt fassen, aus der er
in der alten Form vertrieben war, denn als
Weltseele. Man hat, wenn man sich in Brunos
Schriften vertieft (insbesondere in sein tiefsinniges
Buch «Von der Ursache, dem Prinzip und dem
Einen»), den Eindruck, daß er sich die Dinge
beseelt dachte, wenn auch in verschiedenem Grade. Er hat
den Geist in Wirklichkeit nicht in sich erlebt, deshalb
denkt er sich ihn nach Art der Menschenseele, in der er
ihm allein entgegengetreten ist. Wenn er von Geist
spricht, so faßt er ihn in dieser Art auf «Die
universelle Vernunft ist das innerste, wirklichste und
eigenste Vermögen und ein potentieller Teil der
Weltseele; sie ist ein Identisches, welches das All
erfüllt, das Universum erleuchtet und die Natur
unterweist, ihre Gattungen, so wie sie sein sollen,
hervorzubringen.» Der Geist wird zwar in diesen
Sätzen nicht als «gasförmiges
Wirbeltier», wohl aber als ein Wesen geschildert,
das so ist wie die Menschenseele. «Das Ding sei nun
so klein und winzig als es wolle, es hat in sich einen
Teil von geistiger Substanz, welche, wenn sie das
Substrat dazu angetan findet, sich darnach streckt, eine
Pflanze, ein Tier zu werden, und sich zu einem beliebigen
Körper organisiert, welcher gemeinhin beseelt
genannt wird. Denn Geist findet sich in allen Dingen, und
es ist auch nicht das kleinste Körperchen, welches
nicht einen solchen Anteil in sich faßte, daß
er sich nicht belebte.» - Weil Giordano Bruno den
Geist nicht wirklich als Geist in sich erlebt hat,
deshalb konnte er auch das Leben des Geistes mit den
äußeren mechanischen Verrichtungen verwechseln,
mit denen Raymundus Lullus (1235-1315) in seiner sog.
«Großen Kunst» die Geheimnisse des Geistes
entschleiern wollte. Ein neuerer Philosoph, Franz
Brentano, beschreibt diese «Große Kunst»
so: «Auf konzentrischen, vereinzelt drehbaren
Kreisscheiben wurden Begriffe aufgezeichnet, und dann
dadurch die verschiedenartigsten Kombinationen
hergestellt.» Was der Zufall bei der Drehung
übereinanderschob, das wurde zu einem Urteile
über die höchsten Wahrheiten geformt. Und
Giordano Bruno trat auf seinen mannigfaltigen Irrfahrten
durch Europa an verschiedenen hohen Schulen als Lehrer
dieser «Großen Kunst» auf Er hat den
kühnen Mut gehabt, die Gestirne als Welten zu
denken, vollkommen analog unserer Erde; er hat den Blick
naturwissenschaftlichen Denkens über die Erde hinaus
erweitert; er dachte die Weltkörper nicht
mehr als körperliche Geister; aber er
dachte sie doch noch als seelische Geister. Man
darf nicht ungerecht sein gegen den Mann, den seine
fortgeschrittene Vorstellungsart die katholische Kirche
mit dem Tode büßen ließ. Es gehörte
ein Ungeheures dazu, den ganzen Himmelsraum in dieselbe
Weltbetrachtung einzuspannen, die man bis dahin bloß
für irdische Dinge hatte, wenn Bruno auch das
Sinnliche noch seelisch dachte.
*
Als eine Persönlichkeit, die in einer
großen seelischen Harmonie noch einmal aufleuchten
ließ, was Tauler, Weigel, Jacob Böhme und
andere vorbereitet hatten, erschien im siebzehnten
Jahrhundert Johann Scheffler, genannt
Angelus Silesius (1624-1677). Wie in einem
geistigen Brennpunkte gesammelt und in erhöhter
Leuchtkraft strahlend, erscheinen die Ideen der genannten
Denker in seinem Buche: «Cherubinischer Wandersmann.
Geistreiche Sinn- und Schlußreime.» Und alles,
was Angelus Silesius ausspricht, erscheint als solch eine
unmittelbare, selbstverständliche Offenbarung seiner
Persönlichkeit, daß es ist, als wenn dieser
Mann durch eine besondere Vorsehung berufen worden
wäre, die Weisheit in persönlicher Gestalt zu
verkörpern. Die selbstverständliche Art, in der
er die Weisheit darlebt, kommt dadurch zum Ausdruck,
daß er sie in Sprüchen darstellt, die auch
bezüglich ihrer Kunstform bewundernswert sind. Er
schwebt wie ein Geistwesen über allem irdischen
Dasein; und, was er spricht, ist wie der Hauch aus einer
anderen Welt, von vornherein befreit von allem Groben und
Unreinen aus dem sich sonst menschliche Weisheit nur
mühsam herausarbeitet. - Wahrhaft erkennend
verhält sich im Sinne des Angelus Silesius nur, wer
das Auge des Alls in sich zum Schauen bringt; in wahrem
Lichte sieht sein Tun nur, wer dies Tun in sich
verrichtet fühlt durch die Hand des Alls: «Gott
ist in mir das Feuer, und ich in ihm der Schein: sind wir
einander nicht ganz inniglich gemein?» - «Ich
bin so reich als Gott; es kann kein Stäublein sein,
das ich - Mensch glaube mir - mit ihm nicht hab'
gemein.» «Gott liebt mich über sich: lieb
ich ihn über mich: so geb ich ihm so viel, als er
mir gibt aus sich.» - «Der Vogel in der Luft,
der Stein ruht auf dem Land; im Wasser lebt der Fisch,
mein Geist in Gottes Hand.» - «Bist du aus Gott
geborn, so blühet Gott in dir: und seine Gottheit
ist dein Saft und dein Zier.» - «Halt an, wo
laufst du hin; der Himmel ist in dir: Suchst du Gott
anderswo, du fehlst ihn für und für.» -
Für den, der sich so im All fühlt, hört
jede Trennung zwischen sich und einem anderen Wesen auf;
er empfindet sich nicht mehr als einzelnes Individuum; er
empfindet vielmehr alles, was an ihm ist, als Glied der
Welt, seine eigentliche Wesenheit aber als dieses Weltall
selbst. «Die Welt, die hält dich nicht; du
selber bist die Welt, die dich in dir mit dir so stark
gefangen hält.» - «Der Mensch hat eher
nicht vollkommne Seligkeit: bis daß die Einheit hat
verschluckt die Anderheit.» «Der Mensch ist
alle Ding': ist's daß ihm eins gebricht, so kennet
er fürwahr sein Reichtum selber nicht.» - Als
sinnliches Wesen ist der Mensch ein Ding unter anderen
Dingen, und seine sinnlichen Organe bringen ihm als
sinnlicher Individualität sinnliche Kunde von den
Dingen in Raum und Zeit außer ihm; spricht aber der
Geist in dem Menschen, dann gibt es kein Außen und
kein Innen; nichts ist hier und nichts ist dort, was
geistig ist; nichts ist früher, und nichts ist
später: Raum und Zeit sind in der Anschauung des
Allgeistes verschwunden. Nur so lange der Mensch als
Individuum schaut, ist er hier, und das Ding dort; und
nur so lange er als Individuum schaut, ist dies
früher, und dies später. «Mensch, wo du
deinen Geist schwingst über Ort und Zeit, so kannst
du jeden Blick sein in der Ewigkeit.» - «Ich
selbst bin Ewigkeit, wann ich die Zeit verlasse, und mich
in Gott, und Gott in mich zusammenfasse.» -
«Die Rose, welche hier dein äußres Auge
sieht, die hat von Ewigkeit in Gott also
geblüht.» - «Setz dich in'n Mittelpunkt,
so siehst du all's zugleich: was jetzt und dann
geschieht, Her und im Himmelreich.» - «So lange
dir, mein Freund, im Sinn liegt Ort und Zeit: so
faßt du nicht, was Gott ist und die Ewigkeit.»
- «Wenn sich der Mensch entzieht der
Mannigfaltigkeit, und kehrt sich ein zu Gott, kommt er
zur Einigkeit.» - Die Höhe ist damit erstiegen,
auf welcher der Mensch hinausschreitet über sein
individuelles Ich und jeden Gegensatz zwischen der Welt
und sich aufhebt. Ein höheres Leben beginnt für
ihn. Wie der Tod des alten und eine Auferstehung im neuen
Leben erscheint ihm das innere Erlebnis, das ihn
überkommt. «Wann du dich über dich erhebst
und läßt Gott walten: so wird in deinem Geist
die Himmelfahrt gehalten.» - «Der Leib muß
sich im Geist, der Geist in Gott erheben: wo du in ihm,
mein Mensch, willst ewig selig leben.» - «So
viel mein Ich in mir verschmachtet und abnimmt: so viel
des Herren Ich darvon zu Kräften kömmt.» -
Von solchem Gesichtspunkt aus erkennt der Mensch seine
Bedeutung und die Bedeutung aller Dinge im Reich der
ewigen Notwendigkeit. Das natürliche All erscheint
ihm unmittelbar als der göttliche Geist. Der Gedanke
an einen göttlichen Allgeist, der noch über und
neben den Dingen der Welt Sein und Bestand haben
könnte, schwindet als eine überwundene
Vorstellung dahin. Dieser Allgeist erscheint so in die
Dinge ausgeflossen, so mit den Dingen wesenseins
geworden, daß er nicht mehr gedacht werden
könnte, wenn aus seinem Wesen nur ein einziges Glied
weggedacht würde. «Nichts ist, als Ich und Du;
und wenn wir zwei nicht sein: so ist Gott nicht mehr
Gott, und fällt der Himmel ein.» - Der Mensch
fühlt sich als notwendiges Glied in der Weltenkette.
Sein Tun hat nichts mehr von Willkür, oder
Individualität an sich. Was er tut, ist notwendig im
Ganzen, in der Weltenkette, die auseinanderfiele, wenn
dieses sein Tun aus ihr herausfiele. «Gott mag nicht
ohne mich ein einziges Würmlein machen: erhalt ich's
nicht mit ihm, so muß es stracks zerkrachen.» -
«Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu
kann leben: werd ich zu nicht, er muß von Not den
Geist aufgeben.» - Auf dieser Höhe erst sieht
der Mensch die Dinge in ihrem rechten Wesen. Er hat nicht
mehr nötig, dem Kleinsten, dem Grobsinnlichen eine
geistige Wesenheit von außen beizulegen. Denn so wie
dieses Kleinste ist, in aller seiner Kleinheit und
Grobsinnlichkeit, ist es Glied im All. «Kein
Stäublein ist so schlecht, kein Tüpfchen ist so
klein: der Weise siehet Gott ganz herrlich drinne
sein.» - «In einem Senfkörnlein, so du's
verstehen willst: ist aller oberen und untren Dinge
Bild.» - Der Mensch fühlt sich auf dieser
Höhe frei. Denn Zwang ist nur, wo ein Ding noch von
außen zwingen kann. Wenn aber alles Äußere
eingeflossen ist in das Innere, wenn der Gegensatz
zwischen «Ich und Welt», «Draußen und
Drinnen», «Natur und Geist» geschwunden
ist: dann fühlt der Mensch alles, was ihn treibt,
nur als seinen eigenen Trieb. «Schleuß mich, so
streng du willst, in tausend Eisen ein: ich werde doch
ganz frei und ungefesselt sein.» - «Dafern
mein Will' ist tot, so muß Gott,
was ich will: ich schreib ihm selber vor das Muster und
das Ziel.» - Nun hören alle von außen
kommenden sittlichen Normen auf; der Mensch wird sich
Maß und Ziel. Er steht unter keinem Gesetz; denn
auch das Gesetz ist sein Wesen geworden.
«Für Böse ist das Gesetz; wär kein
Gebot geschrieben: die Frommen würden doch Gott und
den Nächsten lieben.» - Dem Menschen ist so,
auf der höheren Stufe der Erkenntnis, die
Unschuld der Natur wiedergegeben. Er vollzieht
die Aufgaben, die ihm gesetzt sind, im Gefühl einer
ewigen Notwendigkeit. Er sagt sich: es ist durch diese
eherne Notwendigkeit in deine Hand gegeben, dieser selben
ewigen Notwendigkeit das Glied zu entziehen, das dir
zugeteilt ist. «Ihr Menschen, lernet doch vom
Wiesenblümelein: wie ihr könnt Gott gefall'n
und gleichwohl schöne sein.» - «Die Ros'
ist ohn' warum, sie blühet, weil sie blühet:
sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, ob man sie
siehet.» - Der auf höherer Stufe erstandene
Mensch empfindet in sich den ewigen, notwendigen Drang
des Alls, wie die Wiesenblume; er handelt, wie die
Wiesenblume blüht. Das Gefühl seiner sittlichen
Verantwortlichkeit wächst bei all seinem Tun ins
Unermeßliche. Denn, was er nicht tut, ist dem All
entzogen, ist Tötung dieses Alls, soweit die
Möglichkeit solcher Tötung an ihm liegt.
«Was ist nicht sündigen? Du darfst nicht lange
fragen: geh hin, es werden's dir die stummen Blumen
sagen.» - «Alls muß geschlachtet sein.
Schlacht'st du dich nicht für Gott, so schlachtet
dich zuletzt für'n Feind der ew'ge Tod.»
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