SECHSTER VORTRAG
Dornach, 10. September 1924
Wenn jemand in die alten Mysterien eingeweiht worden ist, so
bestand das erste, was er erfahren sollte, darin, daß sein
Sinn, seine ganze menschliche Seelenverfassung, hingelenkt
wurde auf die Bedeutung des in der Siebenzahl verlaufenden
Zyklus der Weltkulturentwickelung. Und wir sehen ja deutlich in
der Apokalypse nachwirken dasjenige, was gerade aus dem
Einweihungsprinzip der alten Mysterien heraus sich ergibt. Die
Apokalypse hat diese Siebenzahl in der mannigfaltigsten Weise
sowohl in ihrer Gliederung, in ihrer Komposition, wie auch in
ihrem Inhalt. Nun handelt es sich darum, daß ja damals
dasjenige, was mit dieser Siebenzahl verbunden worden ist,
nicht in äußerlicher Weise mit ihr verbunden wurde,
wie man sich das gewöhnlich heute vorstellt, sondern man
weihte den Betreffenden ein in das Wirken und Weben der Zahlen
überhaupt.
Nun
möchte ich Sie hier, meine lieben Freunde, auf etwas
aufmerksam machen, was ich auseinandergesetzt habe drüben
in ganz anderem Zusammenhang, in dem Kurs über
Sprachwissenschaft. Da mußte ich auseinandersetzen, wie
ein Erleben im Laute möglich ist, wie aber
tatsächlich die Menschheit heute das Erleben im Laute
verloren hat. Sie müssen nur sich einmal vor die Seele
stellen, wie ja im Laute Elemente des gestaltenden und wesenden
Wortes gegeben sind, und wie durch das Erleben dieser Laute der
mannigfaltigste, ja der wundervollste Welteninhalt gestaltet
werden kann durch die Kombination der etwa 32 Lautelemente.
Versetzen Sie sich einmal in eine solche Zeit - und es gab ja
Zeiten, wo der Menschheit das noch eine Realität war -,
versetzen Sie sich in eine Zeit, welche ganz lebhaft weste in
diesen Elementen der Laute und ganz lebhaft empfand das
Wunderbare, das darin liegt, aus dem Erleben dieser 32
Lautelemente heraus eine Welt gestalten zu können. Man
empfand wirklich in der Sprach-Gestaltung, in der bildenden
Gestaltung des Wortes, das Weben eines Geistigen, das man
miterlebt im Sprechen. Man erlebte, daß in den Lauten
Götter leben.
Wenn Sie diese 32 Laute nehmen, dann werden Sie sich leicht
ausrechnen können, daß dabei etwa 24 Laute auf die
Konsonanten und etwa sieben auf die Vokale kommen -
natürlich sind die Dinge immer approximativ -, und Sie
können jetzt im Sinne des Anfanges des
Johannes-Evangeliums «Im Urbeginne war das Wort» ein
Licht fallen lassen auf jenes Bild, das ja auch als
apokalyptisches Bild gedacht werden kann: Das Alpha und das
Omega ist umgeben von den sieben Engeln - den Vokalen - und von
den 24 Ältesten - den Konsonanten. Und so empfand man
auch, daß das Geheimnis des Weltenalls ganz in dem webte
und lebte - mit der Bedeutung, die ich schon auseinandergesetzt
habe -, was man in der heiligen Sprache des Kultus intonierte.
Und man fühlte im Zelebrieren des Kultus die mächtige
Anwesenheit desjenigen, was von dem Welteninhalt in diesem
symbolischen Bilde war.
Überhaupt muß wiederum von der Menschheit
gefühlt werden, wo gerade von der Mysterienweisheit
die Götter gesucht worden sind. Sie sind nicht in einem so
Fernen, Transzendenten gesucht worden, wie man sich das heute
vorstellt. Ihre Verleiblichung hat man in so etwas gesucht wie
in den Lauten; und wenn man vom «Weltenwort»
gesprochen hat, so hat man eben von demjenigen gesprochen, was
wirklich durch die Welt webt und an dem der Mensch mit seiner
Sprache teilnimmt.
Ebenso ist es mit den Zahlen. Wir haben ja heute eine durch und
durch abstrakte Vorstellung von den Zahlen, gemessen an einer
solchen Vorstellungsart, wie sie noch in der Apokalypse waltet.
Nun, sehen Sie, wenn man in die ersten christlichen
Jahrhunderte zurückgeht, so findet man, daß damals
deshalb ein gewisses Verständnis für so etwas wie die
Apokalypse bei manchen Menschen da war, weil das Geheimnis der
Zahl noch gefühlt wurde, weil noch erlebt wurde dieses
eigentümliche Verhältnis in der Gliederung einer
Zahlenreihe. Man hat durchaus nicht in dieser Weise wie heute
die Zahlenreihe als ein Aneinanderfügen von Eins zu Eins
genommen, sondern man hat erlebt, was da liegt in der Drei, in
der Vier, man hat erlebt das geschlossene Wesen der Drei, das
offene Wesen der Vier, das mit dem Menschen verwandte Wesen der
Fünf. In der Zahl selbst fühlte man so ein
Göttliches, wie man in den Buchstaben und Lauten ein
Göttliches fand.
Und
wenn nun in den alten Mysterien der Mensch soweit war, daß
er in dieses Zahlengeheimnis eingeweiht wurde, dann war es
seine Verpflichtung, in dem Lauf dieser Zahlengeheimnisse zu
denken, zu fühlen, zu empfinden. Denken Sie, was damit
gegeben ist. Wir haben in der Musik sieben Töne. Die
Oktave, der achte, ist ja wie der erste. Wir haben im
Regenbogen sieben Farben. Wir haben auch in anderem in der
Natur die Siebenzahl. Denken wir uns, meine lieben Freunde, der
Natur fiele es ein, im Regenbogen eine andere Anordnung der
Farben zu treffen; es würde das ganze Weltenall
durcheinanderfallen. Oder in der Tonskala würde man eine
andere Einteilung der Töne machen - die Musik würde
unerträglich werden.
Daß es auch im Menschenseelenwesen eine richtige
Gesetzmäßigkeit gibt, wie im Lauf der Natur selbst,
darauf wurde der Einzuweihende hingewiesen, und daß er nun
nach seiner Einweihung nicht mehr willkürlich seine
Gedanken hin- und herzuwerfen habe, sondern verpflichtet ist,
innerlich in der Zahl zu denken, innerlich zu erleben das
Zahlengeheimnis, so wie es in allen Wesen und Vorgängen
webt und lebt und so wie in der Natur die Zahl lebt.
Aber die Apokalypse ist ja nun noch in einem Zeitalter
verfaßt worden, in dem ein solches Hineinstellen des
Menschen in das kosmische Geheimnis der Siebenzahl oder der
Zwölf- oder der Vierundzwanzig- oder der Dreizahl eine
absolute Gültigkeit hatte. Seit dem Beginn unseres
Bewußtseinsseelenzeitalters, also seit dem ersten Drittel
des 15. Jahrhunderts, kommt wieder das zur Geltung, was vor dem
strikten Gelten der Siebenzahl war, und es kommen
allmählich Verschiebungen in der Siebenzahl heraus. Wir
sind nicht mehr in der glücklichen Lage, eine Evolution so
zu erleben, daß sie genau in der Siebenzahl verläuft.
Wir sind schon in demjenigen Entwickelungsstadium der Erde, wo
gegenüber den Zahlengeheimnissen eine
Unregelmäßigkeit beginnt, so daß für uns
die Zahlengeheimnisse eine neue Bedeutung gewonnen haben.
Wenn wir uns erbauen an den Zahlengeheimnissen, wie sie in
solch einem Dokument wie der Apokalypse leben, so ist es
für uns so, daß wir durch dieses Sicheinleben in
einen solchen Stoff wie die. Apokalypse fähig werden, auch
dasjenige, was immer mehr und mehr außerhalb der
Zahlengeheimnisse verläuft, mit unseren Sinnen
aufzufassen. Und so können wir sagen, wir leben uns in
einer gewissen Weise heraus aus den Zahlengeheimnissen. Aber
wir müssen sie uns aneignen, um sie in den Formen
dann zu gebrauchen, wie es nunmehr dem menschlichen Geschehen
auf der Erde entspricht und wie sie durch die Priesterschaft
auf dem Gebiete des Religiösen zu behandeln sind.
Indem ich dies voraussetze, darf ich jetzt über gewisse
Erscheinungen doch noch so sprechen, als ob sie durchaus in
Zahlengeheimnissen verliefen, denn in einem gewissen Sinne
dürfte ja das Weltgeschehen langsam erst aus den
Zahlengeheimnissen herauskommen und in eine freilich nicht in
der Zahl verlaufende Art des Weltgeschehens hineinkommen. Das
war die Art des Denkens in den alten Mysterien: große
Zyklen zu sehen, die in der Siebenzahl verlaufen, und andere,
kleinere und kleinste Zyklen zu sehen.
So
haben wir in den sieben Gemeinden, die gleichzeitig als
konkrete wirkliche Bildungen auf der Erde vorhanden waren, den
Fortbestand der alten Kulturen und das Eintreten der neuen
Kulturperioden gesehen, aber auf der anderen Seite haben wir
auch einen kleineren Zyklus, den man in einer gewissen Weise
verstehen lernt durch die Apokalypse. Wie dieser kleinere
Zyklus ist, meine lieben Freunde, das wollen wir jetzt
bedenken.
Wenn wir zurückblicken auf die Zeit, in der das Mysterium
von Golgatha stattgefunden hat auf der Erde, so treffen wir
gegenüber der geistigen Entwickelung der Menschen auch auf
die Erzengelherrschaft des Oriphiel, desjenigen Erzengels, der
vorzugsweise von den Saturnkräften seine Impulse
erhält (Tafel 4).
Wir
kommen dann in ein Zeitalter hinein, das als regierenden
Erzengel Anael hat, dann in das Zeitalter des Zachariel, dann
in das Zeitalter des Raphael, dann des Samael, des Gabriel und
in das jetzige, das Zeitalter des Michael. Wir haben ein
erstes, ein zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes
und siebentes Zeitalter, so daß wir in bezug auf diesen
kleineren Zyklus innerhalb unseres fünften großen
Zyklus im siebenten Zeitalter sind. Wir leben in dem Zeitalter,
von dem man, wenn man mit heutigen Formen schreiben wollte,
sagen müßte: Wir leben in dem Zeitalter
Fünf/Sieben, im fünften nachatlantischen
Kulturzeitraum, dem fünften großen Zyklus der
Menschheitsentwickelung, und in bezug auf eine andere
Gliederung - die Epochen der Erzengelherrschaften -, die sich
mit dieser durchkreuzt, leben wir im siebenten Zyklus.
Ein
siebenter Zyklus, meine lieben Freunde, bedeutet einen
Endzustand. Dem jetzigen ging voran der sechste Zyklus, der
Gabriel-Zyklus. In einem sechsten Zyklus entscheidet sich immer
sehr viel; das Ende wird vorbereitet. Aber der letzte Zyklus,
der vorherging, wirkt in diesen sechsten Zyklus noch hinein.
Der Michael-Zyklus begann etwa 1879, der Gabriel-Zyklus etwa
1471. Vorher war der Zyklus des Samael, jenes Erzengels,
welcher seine Impulse vom Mars empfängt; es war der
fünfte Zyklus.
Zu
dem Zeitpunkt, in dem das fünfte nachatlantische Zeitalter
beginnt, ist eben der Erzengel des fünften kleineren
Zyklus an der Regierung. Er leitet aber schon durch drei bis
vier Jahrhunderte vorher den Beginn dieses fünften
nachatlantischen Zyklus während des fünften
Erzengel-Zyklus ein. Es fällt also der kleine Zyklus mit
dem Beginn des großen Zyklus zusammen. Das heißt aber
nichts Geringeres als: Die großen Zyklen werden bewirkt
von Geistern der mittleren Hierarchie. Die dritte Hierarchie,
zu der auch die Erzengel gehören, sind die dienenden
Glieder der höheren Hierarchien. Das Gesetz der Zahl wirkt
also so, daß beim Beginn des fünften Zyklus der
fünfte Erzengel in seiner Haupttätigkeitszeit
zusammenfällt mit den wiederum in der Fünfzahl
stehenden höheren Wesen aus einer höheren
Hierarchie.
Es
ist verhältnismäßig lange her, daß von
diesen Dingen geredet wurde, aber immerhin ist davon
länger geredet worden in der Welt, als man gewöhnlich
denkt. In solchen Stätten wie zum Beispiel der Schule von
Chartres ist schon im 12. Jahrhundert von diesen Geheimnissen
gesprochen worden. Damals gab es noch eine apokalyptische
Sprache. Diese ist immer so, daß das Weltenall sozusagen
in der Perspektive, im Aspekt der Zahl gesehen wird.
Wenn Plato sagt: Gott mathematisiert, Gott geometrisiert -, so
ist mit diesem göttlichen Geometrisieren oder
Mathematisieren nicht unser bißchen abstrakte Geometrie
oder Mathematik gemeint, sondern jenes tiefe Erleben, das die
Alten gehabt haben den Formen und den Zahlen gegenüber.
Und es wird ja heute verspottet von dem Materialismus, aber es
ist überall sichtbar, daß auch im organischen Leben
das Gesetz der Zahl Sieben waltet. Man verfolge nur einmal in
bezug auf die Zeit des Werdens das Auskriechen von
Schmetterlingen und Larven oder die Entwickelung gewisser
Krankheiten - überall wird man das Gesetz der Sieben
waltend finden. Daß die Zahl etwas aus der Natur der Dinge
Folgendes sei, das wurde den Eingeweihten klargemacht, und
dadurch wurden sie hingewiesen darauf, zu sehen, wie die Dinge
im Weltzusammenhange liegen.
Denn wie merkt man auf, meine lieben Freunde, wenn man sich
sagen muß: Der in der Zahl Fünf stehende Erzengel
beginnt die Zeit seiner Herrschaft im fünften
nachatlantischen Zeitraum mit aus den Marskräften
herauskommenden Kräften. Wird ein Zeitalter mit
Marskräften begonnen - das wird ja schon in der trivialen
Vorstellung angedeutet -, so liegt etwas Kriegerisches
darin.
Wenn wir auf die aufeinanderfolgenden Kulturperioden sehen, so
sind sie abgeteilt durch bedeutsame Ereignisse. Und wenn wir
zurückblicken auf das bedeutsame Ereignis, das den
vorigen, den atlantischen Zeitraum von dem jetzigen, dem
nachatlantischen Zeitraum trennt, der als der fünfte
Zeitraum in seiner fünften Kulturperiode steht, so haben
wir als Grenze zwischen beiden die als «Sintflut»
bekannte Eiszeitperiode, den Untergang der alten Atlantis, und
das Aufsteigen neuer Weltteile. Wir leben in der fünften
nachatlantischen Periode, eine sechste und eine siebente werden
folgen. Die Katastrophe, die uns trennt von der nächsten
großen Periode, die kommen wird - nach der fünften
die sechste und siebente Periode -, die wird dann nicht
bloß ein so äußerliches Naturereignis sein, wie
die Eiszeit eines war und wie alles das war, was durch die
Erzählungen von der Sintflut angedeutet ist, sondern es
wird sich die Scheidung der fünften von der sechsten
Periode mehr zeigen auf dem moralischen Felde, Ein Krieg aller
gegen alle, auf den ich schon öfter hingedeutet habe, wird
als eine moralische Katastrophe die fünfte von der
sechsten großen Erdperiode trennen, allerdings verbunden
mit Naturereignissen, aber die Naturereignisse werden mehr
zurücktreten.
Die
fünfte Kulturperiode wurde eingeleitet von dem, was vom
Mars kommt durch Samael, den Streitgeist, indem Streitelemente
aus der geistigen Welt heruntergeholt wurden. Und im Beginn des
Bewußtseinsseelenzeitalters sehen wir auch in unserem
kleineren Zyklus, wie unser fünftes Zeitalter in sich
etwas enthält von der Vorbedeutung, der prophetischen
Vorbedeutung dessen, womit das große Zeitalter
abschließen wird, nachdem auf den fünften der sechste
und siebente Kulturzeitraum gefolgt sein werden.
Wenn man diejenigen Stimmen vernimmt, die herrühren von
Menschen an der Scheide des 14. zum 15. Jahrhundert, die noch
etwas wußten von den geheimen Vorgängen, die hinter
den offenbaren stehen, dann, meine lieben Freunde, finden wir
schon in dieser Zeit, gerade in dieser Zeit der Marsregierung
des Samael, Hinweise auf das Ende unseres großen
Zeitalters, wenn sie auch nur in kleinen Andeutungen bestehen.
Wenn man so die Zahl in Zusammenhang bringt mit dem, was
geschieht, dann kommt man in das apokalyptische Denken hinein,
dann lernt man gewissermaßen apokalyptisch das Weltall
lesen, und man wird überall finden, daß sich einem
unzählige Geheimnisse enthüllen, wenn man in dieser
Art apokalyptisch die Welt betrachten lernt.
Nun
bedenken wir, wie unser Zeitalter in dem kleinen Michael-Zyklus
steht und in dem fünften nachatlantischen Kulturzeitraum,
im fünften großen Erdenzeitalter. Wir wollen
untersuchen, was das bedeutet. Wir leben im fünften
großen Erdenzeitalter, in der nachatlantischen Periode.
Dieses fünfte Zeitalter ist dasjenige, das den Menschen in
einem gewissen starken Sinne losgelöst hat von der
göttlichen Welt. Die atlantischen Menschen waren durchaus
noch so, daß sie sich Gott-durchdrungen fühlten,
eigentlich nicht als einzelne Menschen sich fühlten,
sondern wie in einer Umkleidung der Gottheit. Die Gottheit ist
da, nicht der einzelne Mensch; so fühlte sich der
atlantische Mensch.
Unser Zeitalter ist im wesentlichen dazu da, den Menschen auf
sich selbst zu stellen, ihn abzulösen von der Gottheit,
und das ist ja durch vier Kulturperioden hindurch geschehen,
langsam und allmählich. Das begann langsam in der
altindischen Kulturperiode, die man wirklich noch
nachfühlen konnte in den Mysterien von Ephesus. In der
altindischen Kulturperiode fühlte sich der Mensch noch
fast ganz darin in der Gottheit. Stark löste er sich los
in der Zeit gegen die urpersische Periode hin.
Verhältnismäßig weit ist er losgelöst in
der dritten Periode, so daß er den Tod schon empfand als
sich von der Ferne annähernd. In der
griechisch-lateinischen Kulturperiode wird der Tod so weit
empfunden, daß aus dieser Zeit das bekannte Wort
herrührt: «Lieber ein Bettler in der Oberwelt als ein
König im Reiche der Schatten.»
Jetzt, wo die fünfte nachatlantische Kulturperiode - wie
ich gestern sagte - dazu ausersehen ist, den Tod wie einen
Begleiter allmählich mehr und mehr neben sich zu haben,
werden wir moralische Kraft brauchen, um diese
immerwährende Gegenwart des Todes zu ertragen. Da ist es
wichtig für uns, daß gerade in unserer unmittelbaren
Gegenwart zusammenfallen dieses Zeitalter, wo die
Bewußtseinsseele und damit die ständige Begleitung
des Menschen durch den Tod hereinbricht, und die Zeit der
Herrschaft des Michael, jener Erzengelherrschaft, die in
gewissem Sinne eine Art Ende, eine Art Vollkommenheitsziel
bedeutet, aber Dekadenz und Vollkommenheit zugleich.
Michael, jener Geist, der in der Sonne lebte, der der
wichtigste Diener des Christus-Geistes in der Sonne war, der
erlebte zur Zeit des Mysteriums von Golgatha dieses von der
anderen Seite her. Die Menschheit auf der Erde hat das
Mysterium von Golgatha so erlebt, daß sie den Christus
ankommen sah. Michael und die Seinen, die damals noch in der
Sonne waren, haben es so erlebt, daß sie Abschied nehmen
mußten von dem Christus.
Nun, meine lieben Freunde, man muß schon auf seine Seele
wirken lassen die beiden Pole dieses alles überragenden
kosmischen Ereignisses: das Hosianna auf der Erde, die Ankunft
des Christus auf der Erde, und den Abschied von den.Scharen des
Michael oben auf der Sonne. Das gehört zusammen.
Aber Michael erlebte eine große Metamorphose gerade in
unserem Zeitalter. Sein Regierungsbeginn bedeutet ein
Dem-Christus-Nachziehen auf die Erde herunter und wird in der
Zukunft bedeuten ein Voranschreiten vor den Taten des Christus
auf Erden. Man wird wiederum verstehen lernen, was es
heißt: Michael geht vor dem Herrn her. Wie im Alten
Testament - vor Oriphiel war ja auch eine Michaelzeit - die
Eingeweihten Asiens drüben davon gesprochen haben,
daß Michael vor Jahwe einhergeht, wie das Antlitz als
vorderster Teil eines Menschen vor ihm hergeht, so sprachen sie
von Michael als dem Antlitz Jahwes, und so müssen wir
lernen von Michael zu sprechen als von dem Antlitz Christi.
Aber es ist ein anderes Zeitalter. Gewisse Dinge müssen
zur höchsten Vollkommenheit kommen. Ja, wir müssen in
einer gewissen Weise lernen, etwas fruchtbar zu machen, was
bisher noch nicht fruchtbar sein konnte.
Nehmen wir einmal die sieben Gemeinden in der Apokalypse. Wenn
wir sie zuteilen - was wir auch können - den
Herrschaftszeiten der Erzengel, und wenn wir den ersten
Zeitraum nehmen, der dem Christus-Ereignis und der Entstehung
des Christentums parallel ging und der noch andauerte, als die
Apokalypse verfaßt wurde, dann wird er uns
repräsentiert durch die Gemeinde von Ephesus. Wir
können auch nach der Apokalypse in dieser Gemeinde von
Ephesus diejenige sehen, die in erster Liebe mit dem
Christentum verbunden war. Das alles ist aber aus dem Geheimnis
der Zahl heraus zu verstehen.
Wir
finden darauffolgend das Zeitalter des Anael, der seine
Kräfte aus der Venus zieht. In diesem Zeitalter finden wir
die großen Liebestaten, die für die Ausbreitung des
Christentums geschahen, unzählige Liebestaten, namentlich
diejenigen, die noch in den Spuren der irischen Mönche
leben, die das Christentum verbreiteten in Europa. Aber wir
finden auch im übrigen Leben des Christentums die Liebe
als das Präponderierende unter dieser Herrschaft des
Anael.
Es
folgt die Herrschaft des Zachariel, der seine Kräfte aus
dem Jupiter zieht, Weisheitskräfte vorzugsweise,
Kräfte, welche aber in diesem Zeitalter wenig verstanden
werden konnten. Und statt einer eigentlichen Jupiterherrschaft
beginnt schon damals die Erzengelherrschaft sich mehr in den
Hintergrund zu ziehen. Die Menschheit ist gewissermaßen
nicht mehr heranreichend bis zu der Region des Jupiter und
verleugnet den Jupitergeist. Das bedeutsame, von der
Entwickelung der Menschheit zunächst viel hinwegnehmende
Konzil von Konstantinopel, das achte, das die Trichotomie
ausgeschaltet hat, fällt in diese Zeit.
Dann kommt das Zeitalter, in dem etwas tätig ist, was in
der äußeren Geschichte wenig beachtet wird. Die
Menschheit ist, als das Zeitalter des Zachariel vorbei ist, im
Grunde genommen krank an der Seele. Die Menschheit ist recht
krank, und Krankheitsstoffe verbreiten sich von Ost nach West,
furchtbare Krankheitsstoffe, die dem Christentum
gefährlich werden, weil sie vom Materialismus
herrühren, denn er ist es ja, der sich hereindrängte
in das Christentum; und weil ja die Periode der Jupiterweisheit
abgeschlossen ist, war es möglich, daß der
Materialismus innerhalb der christlichen Kultur sich geltend
machen konnte.
Aber hinter all dem steht etwas Merkwürdiges, das auf der
Erde nur als Projektion vorhanden ist. Hinter all dem, was wie
etwas Krankes zurückgelassen ist, steht etwas
Merkwürdiges in dem Zeitalter, das auf Zachariel folgt
seit dem 10., 11. Jahrhundert, dem Zeitalter des Raphael, des
Arztes unter den Erzengeln. Es war das Zeitalter, in dem hinter
den Kulissen der Weltgeschichte geheilt wurde, nicht offenbar
im Äußeren, aber viel im Innern; viel wurde
namentlich geheilt in bezug auf die Rettung gewisser
moralischer Qualitäten, die damals daran waren
zugrundezugehen. Gegenüber dem, was durch den
Mohammedanismus an Krankheitsstoffen nach Europa gebracht
worden ist, wurde dasjenige heraufgerufen, was in einer anderen
Form, durchdrungen von dem christlichen Prinzip, vom Orient
kommen mußte. Man muß hinter den Kreuzzügen den
Willen suchen - und im Prinzip liegt da die Ursache der
Kreuzzüge -, die Menschheit zu heilen, zu heilen von dem
Materialismus, der sowohl vom Mohammedanismus wie vom
römischen Katholizismus drohte. Und Raphael, der Arzt
unter den Erzengeln, ist im Grunde genommen der Inspirator
derjenigen, die zuerst die Menschheit präpariert haben,
jenen Orient zu suchen, nach dem ja die Kreuzzüge sich
richteten.
Da
aber, meine lieben Freunde, stehen wir ja in dem vierten
kleineren Zyklus innerhalb des eben ablaufenden vierten
nachatlantischen Zeitalters, innerhalb des vierten
größeren, des griechisch-lateinischen Zeitalters.
Aber dieser vierte größere Zeitraum war ja
ausersehen, in sich das Mysterium von Golgatha zu
beschließen. Der vierte kleinere Zyklus, der
Raphael-Zyklus, ist intim verwandt mit der ganzen Grundstruktur
des vierten größeren. Denn wir sehen, wie der
Erzengel Raphael, indem er die Menschen inspiriert zu den
Kreuzzügen, zu der gewaltigen Entfaltung ihres Blickes
nach dem Orient hinüber, um das Mysterium Christi im
Orient zu finden, wie Raphael die Impulse Christi besorgt, wie
also gewissermaßen eine Atmosphäre spiritueller Art
schwebt über dem Erdboden, über allem Geschehen.
Diejenigen, die damals nur ein wenig hinter die Kulissen des
äußeren Geschehens schauen konnten, waren eigentlich
nur durch ein Spinnwebchen von der unmittelbar anstoßenden
geistigen Welt getrennt, so wie auch wir nur durch ein
Spinnwebchen getrennt waren davon, als im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts Michael auf Erden sichtbar wirksam wurde.
Es
lebten damals in jenem Raphael-Zeitalter hervorragende Geister,
zu denen zum Beispiel Joachim von Floris und Alanus ab Insulis
gehörten. Sie sahen hinein in dieses Wirken Raphaels, in
dieses hinter den Kulissen des äußeren Geschehens vor
sich gehende Heilen der Menschheit. Das war der Hintergrund
für das Zeitalter des substantiell kranken Geistigen, was
auch dadurch bezeugt wird, daß in diesem Zeitalter ganz
besonders damit angefangen wurde, das Lukas-Evangelium, das
Evangelium der Heilung, zu verstehen. So findet man, wenn man
die Zeit nach dem Geheimnis der Zahl anschaut, Gewichtiges zum
Verständnis der Bedeutung der Ereignisse.
Es
folgte das Samael-Zeitalter, das aus dem Mars seine
Grundimpulse empfängt. Streit-Kräfte beginnen, sie
werden der Menschheit eingeimpft. Die Fünf gerät in
Opposition zur Vier. Das ist immer das Eigentümliche beim
Übergang von der Vier zur Fünf, daß die
Fünf immer in Opposition gegen die Vier kommt. Gehen wir
in die alten Mysterien zurück, in denen durch lange Zeit
hindurch die Schüler, die Adepten, eingeweiht wurden in
das Geheimnis der Zahlen, so finden wir da in einer gewissen
Zeit, wie diese Schüler mit einer tiefen Überzeugung
aus ihrem Unterricht herausgehen, einer Überzeugung, die
sie in die Worte kleideten: Nun kenne ich die Zahl des
Bösen, das ist die Zahl Fünf. - Überall, wo im
Weltenall nach dem Zahlengeheimnis die Zahl Fünf waltet,
hat man es mit der Welt des Bösen zu tun; sie lehnt sich
auf gegen die Vier, und es folgen große Entscheidungen,
die dahin gehen, entweder im Guten oder im Bösen zur Sechs
hinaufzukommen.
Doch inwiefern eben das immer mehr in Konkretes
hineinführt, in die Weisheit des Herzens und der
Menschenseele, davon morgen weiter. Ich wollte Ihnen zeigen,
wie man an dem Faden der Zahl hineinkommen kann in das
Betrachten der Ereignisse.
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