Berlin, 13. Januar 1914
Fünfter Vortrag
Es scheint mir, als ob wir durch die
Betrachtung desjenigen, was ich mir
das «Fünfte Evangelium» zu
nennen gestattete, einiges hätten
gewinnen können zur genaueren
Schattierung desjenigen, was wir öfters ausgeführt haben
über die Entwickelung der Menschheit
über die Erde hin und den
Einfluß des Mysteriums von Golgatha auf diese
Menschheitsentwickelung. Haben wir ja doch
früher von den mannigfaltigsten Gesichtspunkten aus
diese oder jene Idee zu gewinnen versucht über das,
was sich vor allen Dingen vollzogen hat mit der
Johannestaufe im Jordan, haben wir doch
früher schon darauf hingewiesen, wie die
Christus-Wesenheit sich verbunden hat mit jener
Wesenheit, die wir bezeichnen als Jesus von
Nazareth, und eben gerade dadurch
versucht, die ganz einschneidende Bedeutung des
Golgatha-Ereignisses für die Menschheitsentwickelung
darzulegen.
Jetzt aber haben wir die Jugendgeschichte
des Jesus von Nazareth betrachtet,
so wie sie sich eben mit geisteswissenschaftlichen
Mitteln feststellen
läßt, um zu sehen, wie diejenige Wesenheit, die
wir als Jesus von Nazareth
bezeichnen, vor dem Täufer Johannes ankam, als
die Christus-Wesenheit von ihr
Besitz ergreifen sollte. Nun wollen wir einmal mit dem, was wir durch diese konkrete
Betrachtung des Fünften Evangeliums gewonnen haben,
ein weiteres Verständnis gewinnen für
das, was mit dem Mysterium von Golgatha
zusammenhängt. Versuchen
wir heute vor allen Dingen einmal, unseren Seelenblick
auf denjenigen hinzuwenden, den man
gewöhnlich als den
«Vorgänger» bezeichnet: auf
den Täufer Johannes, und auf einiges, was mit
der Mission des Täufers
zusammenhängt.
Wenn wir den Täufer Johannes und
die Stellung des Christus Jesus zu
dem Täufer Johannes, wie sie auch namentlich im
Johannes-Evangelium angedeutet ist, wenn wir diese verstehen
wollen, so ist es notwendig, einen Blick zu werfen auf die
geistige Welt, aus welcher der Täufer Johannes hervorgewachsen ist. Es ist
ja ganz selbstverständlich, daß dieses die
geistige Welt des althebräischen Altertumes
ist. Nun wollen wir uns einmal vor
die Seele rufen, was das Eigentümliche dieser Welt
des althebräischen Altertumes ist.
Dieses althebräische Altertum
hatte allerdings eine ganz besondere Mission im Laufe der Menschheitsentwickelung. Wir
erinnern uns dabei, daß wir vom
Standpunkte unserer Geisteswissenschaft aus die
Erdenentwickelung aufzufassen haben als
hervorgegangen aus der Saturn-,
Sonnen- und Mondentwickelung, und daß wir es insbesondere
der Erdentwickelung zuschreiben müssen, daß
sich zu dem, was aus den
früheren Entwickelungsstadien unserer Erde als
physischer Leib,
Ätherleib und Astralleib hervorgegangen ist,
während des Verlaufes der Erdentwickelung das
menschliche Ich findet. Dieses Ich kann sich ja allerdings nicht auf einen Sprung finden,
sondern es ist die ganze
Erdentwickelung notwendig, um das Ich so auszugestalten,
wie es sein muß, damit der
Mensch sozusagen im Gange der Ewigkeit seine Entwickelung finden könne.
Wenn wir dies vorausschicken,
müssen wir in der Tat die Erde gewissermaßen als den Schauplatz innerhalb des
Kosmos betrachten, auf dem der
Mensch sein Ich zu entwickeln hat. Das
althebräische Altertum
bezeichnete Jahve oder Jehova als diejenige Wesenheit
der höheren Hierarchien,
unter deren Einfluß es sich gestellt hat. Wenn wir
uns die biblische
Schöpfungsgeschichte vornehmen — ich versuchte
in dem Zyklus über
«Die Geheimnisse der biblischen
Schöpfungsgeschichte», München
1910, die einschlägigen Verhältnisse
auseinanderzusetzen — , so wird uns auch in ihr sehr
deutlich dargestellt, wie aus einer
Siebenheit von Wesenheiten der höheren Hierarchien,
aus der Siebenheit der Elohim, sich
herausentwickelt der eine der Elohim, Jahve oder Jehova. Man möchte sagen, wie die
Gesamtheit des menschlichen Organismus sich ausgestaltet nach
dem Kopfe hin, so gliederte sich die
Siebenzahl der Elohim in der Weise, daß diese Siebenzahl
in einem von ihnen, in Jahve oder
Jehova, eine besondere Ausgestaltung findet, so daß dieser gleichsam für die
Erdentwickelung zu ihrer Hauptwesenheit wird. Das sieht das
althebräische Altertum, das anerkennt es. Und es
sieht daher in Jahve oder Jehova
diejenige Wesenheit aus der Reihe
der höheren Hierarchien, zu der man sich in
besondere Beziehung setzen muß, um das Ich zur
Entwickelung zu bringen. Es ist
wahrhaftig die Entfaltung des althebräischen
Altertums eine besondere Etappe in
der Ich-Entwickelung der Menschheit, und man
fühlte innerhalb des
althebräischen Altertumes den Einfluß von
Jahve oder Jehova so, daß durch
die Art, wie man sich zu ihm stellte, wie man
ihn empfand und fühlte, das Ich
allmählich zum Erwachen kommen konnte.
Was ist denn eigentlich Jahve oder Jehova
für eine Wesenheit? Sie ist gerade diejenige Wesenheit, die man im innigen
Zusammenhange vorzustellen hat mit
der Erdentwickelung. Sie ist gewissermaßen der
Herr, der Regent der Erdentwickelung, oder
besser gesagt, die Gestalt, in
welcher das althebräische Altertum den Herrn, den
Regenten der Erdentwickelung sieht.
Daher sehen wir, daß das ganze
althebräische Altertum
eigentlich daraufhin organisiert ist, Jahve oder Jehova
als den Gott der Erde anzusehen, zu
denken, daß die Erde durchwoben ist von einer solchen göttlich-geistigen
Regierung, könnte man sagen, und daß der Mensch, der sich seines rechten
Zusammenhanges mit dem Weltenall
durch die Erde bewußt werden will, vor allen Dingen
sich zu halten habe an den Erdengott Jahve
oder Jehova. Das ganze althebräische Altertum ist daraufhin
angelegt.
Gleich zu Beginn der Genesis wird uns
dargestellt, daß Jahve den Menschen aus der Substanz der Erde macht. Adam
heißt: der aus Erde Gemachte,
der Erdene. Und während die um das
althebräische Volk herum
lebenden Religionssysteme — man kann das im einzelnen
nachweisen — überall darauf ausgehen, in
demjenigen, was nicht eigentlich der
Erde entstammt, sondern was von außen in die Erde
hereinkommt, die Elemente zu sehen,
in denen sie ihre Götter verehren, sieht das
althebräische Altertum in demjenigen, was durch die
Erde auf der Erde vor sich geht, die
Elemente, in denen der Gott Jahve oder Jehova verehrt werden
soll. Zum Sternenhimmel, nach den Gestirnen und ihrem
Gange schauen einzelne der umliegenden
Völker auf. Sie haben das, was man eine Astralreligion nennt. Und andere
Völker wieder beobachten Blitz und Donner und wie
sich darin die Elemente äußern, und
fragen sich dann: Wie kündigen
sich durch die Sprache von Blitz und Donner, von Wolkenbildungen und dergleichen die
göttlich-geistigen Wesen
an?
Gleichsam in dem, was über der
Erde in den Sternen oder in der Atmosphäre ist, suchten die um das
althebräische Volk herum liegenden Völker
ihre religiösen Symbole, das, was ihnen
ausdrücken sollte, wie
sie mit einem Ãœberirdischen
zusammenhängen. Man beachtet aber
heute viel zu wenig, daß es dem
althebräischen Altertum eigen ist, sich
ganz und gar mit der Erde, mit dem, was vom
Inneren der Erde kommt, als
zusammenhängend zu betrachten. In allen
Einzelheiten wird hingedeutet auf
dieses Zusammenhängen der alten Juden mit
dem, was der Erde entstammt. Gesagt wird,
daß sie bei ihren Zügen einer Wolke oder einer Feuersäule folgten.
Sie «folgten einer Feuersäule»
in dem Sinne, wie durch die Kräfte der Erde eine
solche Feuersäule bewirkt werden kann.
Wenn man in gewissen Gegenden Italiens, wo
der Boden vulkanisch ist, nur ein Stück Papier
anzündet und damit an den Spalten im
Boden entlangfährt, so kommen
gleich Rauchwolken aus der Erde heraus, weil die Kräfte der Erde
nachdrängen der warmgemachten Luft. So muß man sich die Feuersäule
vorstellen bewirkt durch die Kräfte des Erdinneren, der die Juden
nachziehen. Und ebenso hat man sich
die Wasser- und Nebelsäule nicht vorzustellen
bewirkt durch atmosphärische Kräfte, sondern
als von unten, von der Wüste aus bewirkt. Mit den
Vorgängen der Erde hängen zusammen die
Zeichen für Jahve oder
Jehova im althebräischen Altertum. Und den
Ursprung der «großen
Flut» selber muß man in dem suchen, was an
Kräften der Erde in der
Erde pulsiert, was nicht von außen durch die
kosmischen Verhältnisse,
sondern durch die tellurischen Verhältnisse bewirkt
ist.
Das war der große Protest des
althebräischen Volkes gegen die umliegenden
Völker, daß es den Gott der Erde anerkennen
wollte. Alles das aber, was von oben
kommt, was von außen zur Erde her kommt,
das empfand man als dasjenige, was
gewissermaßen nicht bis zur Aufgabe der Erdenbildung
vorgerückt ist, sondern was
zurückgeblieben ist im
Stadium der Mondenbildung. Man faßte es zusammen unter
alledem, was die «Schlange» auf der Erde
bewirkt hat, was bewirkt hat der in
der Mondentwickelung zurückgebliebene Luzifer. Man
kann gleichsam diesen Protest des
althebräischen Altertumes gegen die umliegenden
Religionssysteme charakterisieren, indem man sagt, diese
anderen Religionssysteme hatten das
Gefühl: Wenn man sich zu dem
Göttlichen erheben will,
muß man von der Erde absehen, muß man in
den Kosmos hinausgehen. Was im Kosmos
bewirkt wird, oder was aus dem
Kosmos in die Atmosphäre der Erde hereinkommt, das
ist das, was wir anbeten
müssen. Das althebräische Altertum sagte
aber: Nicht das beten wir an, was
von oben kommt, nicht das beten wir an, was bewirkt wird durch die außerirdischen
Kräfte, sondern der wahre Gott ist mit der Erde!
Das wird heute viel zu wenig
berücksichtigt, denn wenn man ein
solches Wort wie
«Gott» oder «Geist»
ausspricht und dann in alte Zeiten
zurücksieht, dann hat man immer so das
Gefühl: Ja, da muß dasselbe darunter verstanden worden sein. — Weil
die Menschheit des Abendlandes heute
unter dem Einflüsse fast
zweitausendjähriger christlicher Entwickelung wieder nach oben schaut, mit
Recht nach oben schaut, so vermeint
man, auch das althebräische Altertum habe
nach oben geschaut. Im Gegenteil! Das
althebräische Altertum sagte: Die Mission, die Jahve mit der Erde vorhatte, ist
gestört worden durch den
Gott, der von außen kam, und der in der Schlange des
Paradieses symbolisiert ist.
Aber die Juden hatten ja vieles von den
benachbarten Völkern angenommen, und wir
können es begreifen, daß gerade die Juden
sehr viel von den benachbarten
Völkern angenommen hatten. Hatten sie
doch sozusagen die
verfänglichste Religion im ganzen Altertum,
was heute die Menschen fast gar
nicht mehr glauben können: daß Jahve
oder Jehova eine Erdengottheit ist —
in dem Sinne, wie ich es eben jetzt
auseinandergesetzt habe, wodurch natürlich nicht aus
der Welt geschafft ist, daß
Jahve, trotzdem er eine Erdengottheit ist, wie ich es
in der « Geheimwissenschaft im
Umriß Â» dargestellt habe, in den
Mondenkräften der Erde wirkt, also von einem anderen
Gesichtspunkte aus eine
Mondengottheit ist. Aber darauf kommt es in diesem
Zusammenhange nicht an. Die exponierteste Religion unter den
damaligen Völkern hatten die alten Juden. Und wie
die Menschen heute nicht glauben können, daß
man sozusagen nicht nach oben, sondern nach dem
Erdenmittelpunkt hinschauen kann, wenn man
von dem Gotte redet, an den man sich
zunächst als an einen höchsten wendet, so
empfanden dieses Streben nach oben auch die Juden; und sie
empfanden dieses Streben nach oben insbesondere, wenn sie bei
allen umliegenden Völkerschaften sahen: die beten an, was
außerhalb der Erde seinen Ursprung hat.
Es war aber gerade der große
Unterschied der jüdischen Geheimlehre
gegenüber den außer dieser Geheimlehre
Stehenden, daß sie den Menschen
ganz klarmachte: Aus der Erde gehen die Kräfte
hervor, selbst bis zum Monde hinauf,
an die wir uns zu halten haben, und es ist eine Versuchung, sich an andere Kräfte zu
halten; denn die anderen Kräfte sind konzentriert in dem, was das
Schlangensymbolum ausdrückt. Einen Teil also
desjenigen, was uns gewissermaßen wiederum
in unserer geisteswissenschaftlichen
Weltanschauung entgegentritt, fühlte das althebräische Volk in
seinen Lehren.
Aus den eben angeführten
Gründen aber kam dieses
althebräische Volk,
insbesondere als es gegen das Mysterium von Golgatha
zuging, immer mehr von dieser
Anschauung ab. Da kam dann einer, der in sich die Mission fühlte, stark hinzuweisen
auf das, was den Juden eigen sein
sollte. Das war gerade der Täufer Johannes. Er
fühlte sich vor allen
Dingen dazu berufen, stark auf das hinzuweisen, worin der
Juden Stärke lag und was
wir jetzt eben charakterisiert haben. Als er so die
Entwickelung der jüdischen
Religion um sich herum wahrnahm, kleidete er seine Empfindungen
in Worte. In gewaltige, in bedeutsame Worte kleidete er seine Empfindungen. Er sagte etwa:
Ihr nennt euch «Kinder
Abrahams». Wäret ihr Kinder Abrahams,
dann müßtet ihr wissen, daß euer Gott, der der Gott Abrahams,
Isaaks und Jakobs war, der Gott
Jahve oder Jehova, verbunden ist mit dem Irdischen, was
er dadurch ausgedrückt
hat, daß er aus Erde den ersten Menschen geformt hat. Aber
ihr seid nicht mehr in eurer Seele Kinder Abrahams.
Ihr seid von dem Geschlechte derer, die
nach oben schauen und nach den
oberen Kräften. Ihr seid verfallen dem, was man mit
dem richtigen Symbolum der
«Schlange» bezeichnet. Ihr seid von dem
Gezücht der Schlange!
Es hat eine tiefe Bedeutung in
mannigfaltiger Beziehung — ich habe ja auch schon von anderem Gesichtspunkte aus von diesen
Worten gesprochen — , daß
der Täufer Johannes gerade diese Worte gebrauchte.
So wie man sie gewöhnlich in der Bibel
ausgesprochen findet, was ist es
denn da eigentlich? Wenn man sich doch ein bißchen besser
gestehen möchte, wie schlecht man heute liest! Als
was nehmen denn die Menschen
meistens dieses Wort, welches da im Evangelium steht, das Wort «Ihr
Otterngezüchte»? Sie nehmen es gar
nicht anders, als ob Johannes wirklich so
kräftig und grob die Menschen um sich
«Ihr Otterngezücht» geschimpft
hätte. Höflich wäre
das nicht gewesen. Aber es hätte
auch keinen besonderen Zweck, wenn man den Leuten in die Seele reden will, gleich damit
anzufangen, sie mit einem
Schimpfwort zu belegen. Und es gibt auch kein besonderes Bild
von Johannes, wenn man sagt: Das war eben sein
göttlicher Zorn! — Da möchte ich
doch das triviale Wort gebrauchen: Schimpfen können andere auch! Auf das kommt
es nicht an. Aber in diesem Worte,
das viele eben nur als Schimpfwort empfinden, liegt
eben die ganze Bedeutung dessen, worauf
Johannes die um ihn Seienden aufmerksam machen wollte: Ihr
wisset nicht mehr, worinnen die Mission des Jahve-Gottes besteht; denn so, wie ihr
nicht appelliert an die Kräfte der Erde, sondern an die
Kräfte außerhalb der Erde, seid ihr
nicht Kinder Abrahams, denn ihr betet das
an, was euch die Schlange gebracht
hat. So seid ihr von dem Geschlechte derer, die um euch herum
ihre Götter unter den verschiedensten Namen anbeten,
die doch aber das meinen, was euch
als die «Schlange» charakterisiert
ist!
Und dann versetzen wir uns in das Innerste
des Gemütes dieses Täufers Johannes. Er hatte wohl vielleicht
seinen Grund, so den Leuten
gegenüberzutreten. Ich sage das jetzt nicht aus dem
Fünften Evangelium heraus
— denn in bezug auf das Fünfte Evangelium
ist es noch nicht bis zur Gestalt
des Täufers Johannes gekommen — , aber
ich sage es aus dem, was sich sonst ergeben
konnte. Es hatte also der Täufer Johannes wohl seinen Grund, um zu
denen, die zu ihm hinkamen an den Jordan, so zu reden, als ob
er an ihnen merken würde, daß sie gewisse Gebräuche von den
Heiden angenommen hätten. Ja, es lag sogar in dem Namen, den ihm die gaben, die da
kamen, etwas von dem, was er
zunächst nicht hat hören
wollen.
In den Gegenden, in denen der
Täufer Johannes seine Worte sprach,
waren alte Lehren vorhanden, welche man
etwa in der folgenden Weise
charakterisieren kann: Ja, im Beginne der
Menschheitsentwickelung haben einmal aus dem Jahve-Ursprung
heraus der Mensch und die
höheren Tiere den Luftatem bekommen; aber durch die
Tat des Luzifer ist der Luftatem
schlecht geworden. Nur diejenigen Tiere sind gut geblieben, sind sozusagen im Stadium der
ursprünglichen Entwickelung geblieben, die nicht den Luftatem haben:
die Fische. — Da mochten denn
manche hingekommen sein nach dem Jordan — wie
es in manchen Gegenden die Juden heute noch
tun — und zu einer gewissen Zeit des Jahres sich an das
Gewässer hingestellt und ihre Kleider
geschüttelt haben, weil sie glaubten, dadurch ihre
Sünden den unschuldigen
Fischen hinzuwerfen, die sie dann weiter zu tragen
hätten. Solche und andere
Gebräuche, die mit dem umliegenden Heidentume
zusammenhingen, sah der Täufer Johannes an
denjenigen, von denen er eben sagte:
Ihr habt von der Schlange mehr begriffen als von Jahve. Ihr nennt euch deshalb mit Unrecht
Kinder desjenigen, der bestimmt war
zu eurem Vorfahren, Kinder des Abraham. Ich sage
euch: Es könnte der Gott
Abrahams, Isaaks und Jakobs wiederum zu seiner ursprünglichen Mission
zurückgreifen und aus diesen Steinen, das heißt
aus der Erde, ein Menschengeschlecht hervorbringen,
das ihn besser versteht!
An dieser Stelle, wo uns die Bibel gerade
diesen Ausdruck «Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder
erwecken» überliefert,
sind in der damaligen Sprache so viele
Worte, die durchaus doppelsinnig sind, die Anspielungen
enthalten. Und sie sind absichtlich so gebraucht, diese Worte, damit man eben darauf
aufmerksam wird, daß ein tiefer
Sinn in diesen Dingen liegt. Ganz wird man aber diese
Sache nur verstehen, wenn man dasjenige,
was ich nun eben ausgeführt habe,
zusammenhält mit der Mission des Paulus.
Ich habe schon öfter
über diese Mission des Paulus gesprochen und
will heute gerade denjenigen Gesichtspunkt
vorbringen, der uns zum Verständnisse dessen, was erreicht werden
soll, wichtig sein kann. Wie kommt
es denn, daß Paulus, der, wie wir schon öfter
erwähnt haben, durch das,
was er zu Jerusalem erfahren hat, sich nicht hat bewegen
lassen, die Bedeutung des Mysteriums von
Golgatha in seine Anschauung aufzunehmen, wie kommt es,
daß er durch das Ereignis von Damaskus voll
überzeugt worden ist von dem, was er die
Auferstehung des Christus nannte? Da
müssen wir allerdings ein wenig hineinschauen in die
Art, wie Paulus vorbereitet war für das, was ihm
im Ereignis von Damaskus
erschien.
Paulus war durchgegangen durch die
jüdische Prophetenschule seiner Zeit. Er hat genau gewußt: bis zu einem
bestimmten Punkte in der
Menschheitsentwickelung hängt das Heil
zunächst für diese Menschheitsentwickelung davon ab, daß man
festhält an dem Gott der
Erde, daß man versteht, wie Jahves Mission mit der Erde
zusammenhängt. — Aber es muß einmal
— das wußte Paulus — eine Zeit
kommen, in welcher wiederum das
«Obere», das, was aus außerirdischen
Verhältnissen in die Erde hereinkommt, wichtig wird.
Und wichtig ist es, einzusehen,
daß der Christus, bevor er durch das Mysterium von
Golgatha seine Mission für die Erde
übernommen hat, als Christus in kosmischen Regionen seine Mission hatte,
daß er in überirdischen Regionen lebte. Das
Genauere darüber ist in dem Zyklus
ausgeführt, den ich neulich in
Leipzig gehalten habe.
Wir können die
außerirdischen Verhältnisse
zurückverfolgen und werden finden, wie der Christus zuerst in
überirdischen Reichen gewirkt hat, wie er dann
sozusagen immer näher und näher zur
Erde gekommen ist, bis er durch den
Leib des Jesus von Nazareth in die Erdenaura eingezogen ist. Daß dieser Zeitpunkt
einmal kommen werde, das wußte
Paulus, nur hat er vor dem Ereignis von Damaskus
in der Erdenaura nicht gesehen:
«Der Christus ist schon da!» Aber
er war dazu vorbereitet, und er sagt uns
das wohl, daß er dazu vorbereitet war. Lesen Sie dazu im
zweiten Korinther-Briefe das zwölfte
Kapitel:
-
Es ist mir ja
das Rühmen nichts nütze; doch will
ich kommen auf die Gesichte und
Offenbarungen des Herrn.
-
Ich kenne einen
Menschen in Christo [Paulus meint sich selber
damit]; vor vierzehn Jahren (ist er in
dem Leibe gewesen, so weiß ich's nicht; oder ist er außer dem Leibe
gewesen, so weiß ich's auch
nicht; Gott weiß es) ward derselbe
entzücket bis in den dritten Himmel.
-
Und ich kenne
denselben Menschen (ob er in dem Leibe oder
außer dem Leibe gewesen ist,
weiß ich nicht; Gott weiß es);
-
der ward
entzücket in das Paradies und hörte
unaussprechliche Worte, welche
kein Mensch sagen kann.
-
Für
denselben will ich mich rühmen; für
mich selbst aber will ich mich
nichts rühmen, nur meiner
Schwachheit.
Wa˱s sagt Paulus in
diesen Sätzen? Er sagt nichts Geringeres, als
daß er imstande war, schon vor
vierzehn Jahren — nach den chronologischen
Verhältnissen
müßte man also annehmen, daß dieses
Erlebnis etwa sechs Jahre nach dem Ereignis von Golgatha
stattgefunden hat —
hellseherisch sich zu erheben in die geistigen Regionen.
Das heißt, er versichert uns
selber: In ihm lebt ein Mensch — und nur
desjenigen will er sich rühmen,
nicht des leiblichen Menschen — , der wohl hinaufschauen kann in die geistigen Welten.
— Und als er jenes Erlebnis
hatte, da war ihm klar geworden: Was hast du denn
früher in den geistigen
Welten gesehen, wenn du hinaufgeschaut hast? Du hast
den Christus gesehen, wie er noch oben war
in den himmlischen Verhältnissen! — Durch das Ereignis
von Damaskus ist es ihm klar geworden, daß der Christus in
die Erdenaura eingezogen war und in ihr lebte.
Das ist das Bedeutsame, weshalb auch manche
Geister so in der Zeit um die
Begründung des Christentums ein heute ja sonderbar
erklingendes Wort gesprochen haben. «Der wahre
Luzifer ist Christus», sagten sie. Sie verstanden eben: Wenn man
früher in die übersinnlichen
Verhältnisse hinaufgeschaut hat, so mußte man
sich, wenn man richtig die
Menschheitsentwickelung versteht, an die
«Schlange» halten. Nachdem das Mysterium
von Golgatha eingetreten war, ist aber der Ãœberwinder der Schlange herunter
gekommen und ist jetzt der Erdenherr
geworden. — Das alles hängt aber zusammen mit
der ganzen Entwickelung der
Menschheit.
Welchen Sinn hat es denn, daß das
althebräische Altertum sozusagen den Protest
darstellt gegen die Astralreligionen der umliegenden
Völker, gegen die Religionen, welche die Symbole für das
Göttliehe in den Wolken,
in Blitz und Donner sehen? Diesen Sinn hat es,
daß sich die menschliche Seele
vorbereiten muß, das Ich so zu empfinden, daß es
nicht mehr durch die Sternenschrift, nicht mehr durch
das, was in Blitz und Donner erscheint, die
Offenbarungen des Geistes empfängt, sondern daß es diese
Offenbarungen im Geistigen empfängt,
durch den Geist selber. Wenn der Mensch
vorher wirklich zu dem Christus
aufschauen wollte, so konnte er es ja nur tun im Sinne
des Zarathustra, indem er aufschaute
zu dem, was man nennen könnte die
physische Hülle des Christus,
des Ahura Mazdao. Zur physischen Sonne und ihren Wirkungen konnte der Mensch aufschauen
und wissen: Da drinnen lebt der Christus. — Aber
gleichsam herausgeschält aus den physischen Sonnenwirkungen und als geistige
Sonne die Erdenaura durchdringend
ist der Christus mit dem Mysterium von Golgatha geworden. Ja, so ist der Christus geworden,
die Erdenaura durchdringend, nachdem
gewissermaßen die Jahve- oder Jehova-Anbeter ihn
vorbereitet haben. Und der Täufer Johannes ist in
seinen bedeutsamsten Worten zu
verstehen, wenn wir ihn eben so verstehen.
Und nun bereitete sich das Mysterium von
Golgatha vor. Indem es sich
vorbereitete — ich will die Dinge jetzt mehr abstrakt
darstellen, wir werden
später einmal auf Konkreteres eingehen
können — , stehen sich gewissermaßen gegenüber der
Christus Jesus und der Täufer Johannes. Wenn wir uns
vor die Seele stellen, was wir eben über den
Täufer Johannes gesagt haben, so
wird uns das zeigen, in welchem Sinne der Christus Jesus sozusagen dem
Täufer Johannes gegenüberstand:
demjenigen stand er in dem Täufer Johannes
gegenüber, der gewissermaßen am besten verstand, was es
heißt, den Geist der Erde zu
verehren.
Woher kamen denn die
Fähigkeiten, namentlich innerhalb des
Judentumes und auch innerhalb anderer
Kreise — denn es gab auch andere Menschen, die mehr oder weniger, aber dann immer
durch Mysterien angeregt waren
— , die den Geist der Erde im richtigen
Sinne verehrten? Woher kamen denn diese
Fähigkeiten? Diese Fähigkeiten waren vor
dem Mysterium von Golgatha an das gebunden, was wir nennen können die physische
Vererbung im Menschen, an jene
physische Vererbung, die ja auch Erdengesetz ist. Es ist
für die heutige
Naturwissenschaft noch eine vollständige Torheit,
das zu sagen, was ich nun werde zu
sagen haben; aber es könnte das auch
eine Torheit sein, die «Torheit
vor den Menschen und Weisheit vor Gott» ist. Vor dem Mysterium von Golgatha
war im wesentlichen das, was man
Erkenntnisfähigkeiten nennt, in einer gewissen
Beziehung abhängig von den
Vererbungsverhältnissen, und darin bestand
gerade der Fortgang und Fortschritt der
menschlichen Entwickelung, daß
die Erkenntnis durch Vorstellen unabhängig wurde von
allen natürlichen
Vererbungsverhältnissen.
Daher hat man in den alten Mysterien
oftmals ganz recht getan, daß man das Mysterienamt vom Vater auf den Sohn und so
weiter vererbt hat. Das ist das
Bedeutsame, daß in der Zeit des Mysteriums von
Golgatha für die Erdenmenschheit
das Erkennen aufhörte abhängig
zu sein von rein physischen
Verhältnissen. Es wurde das Erkennen
durch den Fortschritt der Menschheit eine
rein seelische Angelegenheit. Eine rein seelische Angelegenheit
wird das Innerste der menschlichen Seele, nicht mehr
abhängig von äußeren
Vererbungsverhältnissen.
Wodurch wurde nun möglich
gemacht, daß der Mensch also gewissermaßen sein
Inneres ungeschädigt dennoch fortbehielt?
Fassen Sie nur die ganze Bedeutung
dessen auf, daß das innerste Verhältnis
der menschlichen Seele, das
Erkenntnisverhältnis, eine rein seelische
Angelegenheit wurde, daß der Mensch
sozusagen nichts mehr ererben konnte
von seinen Vorfahren in bezug auf seine Fähigkeiten.
Gewiß möchten heute
noch viele Menschen ihre Erkenntnisfähigkeit
von ihren Vorfahren ererben, aber es
geht nicht. Das merkt man schon. Goethes Fähigkeiten haben sich nicht gerade
auf seine Nachkommen vererbt, und
bei anderen kann man es auch nicht sehen.
Aber was hätte denn mit diesen
Fähigkeiten geschehen sollen, wenn sie von nichts anderem her gleichsam geistig
unterhalten worden wären, wenn sie nicht einen
geistigen Impuls erhalten hätten?
Verwaist wären die innerlich
gewordenen Fähigkeiten des Menschen
gewesen. Der Mensch wäre so auf
die Erde gestellt gewesen, daß er hätte warten müssen, was ihm
gerade nach dem, wie sein Karma beschaffen gewesen
wäre, die Erde aus der Umgebung gegeben
hätte, was da
hereingeleuchtet hätte in seine Sinne. Er
hätte das aber nicht besonders schätzen können,
sondern hätte froh sein müssen, wenn
er bald wieder von der Erde
fortgekommen wäre, da er sich ja keine besonders
wertvollen Fähigkeiten auf der Erde hätte
erobern können. Das hatte
Buddha sehr wohl den Menschen bemerkbar gemacht; daher
seine von allen irdischen
Sinneswahrnehmungen ablenkende Lehre.
Der Christus wurde nun in dem Jesus von
Nazareth als das fühlbar, wovon sich der Christus
Jesus bei der Johannestaufe im Jordan sagen konnte: Da kam aus der überirdischen
Welt etwas in mich herunter, das befruchtend in das Ich
eingreifen kann. — In der menschlichen Seele werden
künftig Inhalte leben, die von
außerirdischen Regionen kommen,
die nicht bloß vererbt sind. Alles, was man vorher hat
wissen können: es ist bloß vererbt, es ist mit
den physischen Verhältnissen von Generation zu Generation
übergegangen. Und der Letzte, der es noch dazu gebracht hatte,
höhere Fähigkeiten zu erwerben auf
Grundlage dessen, was man vererben kann, das ist Johannes der
Täufer. «Einer der
größten von denjenigen, die vom Weibe
geboren sind», so sagte der
Christus Jesus von ihm. Da deutete er darauf hin, wie sich die alte Zeit von der neuen
scheidet, wie die alte Zeit mit
Recht sagen kann: Wenn ich das suche, was in meiner
Seele leben soll als das, was mich
zu den Höhen der Menschheit führt,
so erinnere ich mich an Abraham,
Isaak und Jakob; denn von denen gingen herunter in der Vererbungslinie bis zu mir die
Fähigkeiten, die der
Menschheit Höhen erreichen. — Jetzt aber
müssen diese Fähigkeiten von
außerirdischen Regionen kommen. Nicht mehr auf die
Erde bloß schauen und den Gott
der Erde finden in dem Christus, sondern des himmlischen Hereinkommens des Christus in der Seele
sich bewußt sein — das
ist es, worauf der Christus Jesus in dem Momente hindeutete,
als er von Johannes dem Täufer sprach als einem der
größten derjenigen, die «vom Weibe
geboren sind», das heißt, die in sich
diejenigen Fähigkeiten tragen,
die man unmittelbar durch die physische Vererbung erlangen
kann.
Das aber beantwortet uns eine Frage, die
für unsere Zeit recht wichtig werden kann. Man
begann wiederum in der Zeit, in der gewissermaßen der
dritte nachatlantische Zeitraum in unserem fünften
Kultur-Zeitraum zum Vorschein kam — in der Weise, wie ich
das öfter auseinandergesetzt habe — , wieder
hinzuschauen auf das, was dem Erdenmenschen als
Außerirdisches erscheinen kann. Aber nicht so, wie
die alten Ägypter oder
Chaldäer ihre Astralreligion empfanden,
konnte man jetzt die
wiedererstandene Astralreligion empfinden, sondern so
mußte man sie empfinden, wie sie einer
empfunden hat, der wahrhaftig ein Recht gehabt hat,
über diese Dinge mitzusprechen.
Im Jahre 1607 sind die Worte gesprochen,
die ich auch hier wiederum mitteilen will, wo einer gesagt hat:
«In der ganzen Schöpfung
findet sich eine herrliche wundervolle
Harmonie, und zwar sowohl im
Sinnlichen als im Ãœbersinnlichen, in Ideen sowohl
als in Sachen, im Reiche der Natur
und der Gnade. Diese Harmonie findet sowohl in den Dingen selbst als auch in ihren
Verhältnissen zueinander statt. Die höchste Harmonie ist Gott, und er hat
allen Seelen eine innere Harmonie
als sein Bild eingedrückt. Die Zahlen, die Figuren,
die Gestirne, die Natur
überhaupt harmonieren mit gewissen Geheimnissen der
christlichen Religion. Wie es zum Exempel in dem Weltall drei
ruhende Dinge: Sonne, Fixsterne und das Intermedium
gibt, und alles übrige
beweglich ist, so ist in dem einigen Gotte: Vater,
Sohn und Geist. Die Kugel stellt
gleichfalls die Dreieinigkeit dar — der
Vater ist das Zentrum, der Sohn die
Oberfläche, der Geist die Gleichheit der Distanz des
Zentrums von der Oberfläche, der Radius —
sowie noch andere Geheimnisse. Ohne Geister und Seelen
würde überall keine Harmonie sein. In den
menschlichen Seelen finden sich harmonische Prädispositionen von unendlich
mannigfaltiger Art. Die ganze Erde
ist beseelt, und dadurch wird die große Harmonie
sowohl auf der Erde als auch
zwischen ihr und den Gestirnen hervorgebracht.
Diese Seele wirkt durch den ganzen
Erdkorper, hat aber in einem gewissen Teile derselben, so wie die menschliche Seele
in dem Herzen, ihren Sitz; und von da gehen, wie von einem
Fokus oder einer Quelle, ihre
Wirkungen in den Ozean und die Atmosphäre der
Erde aus. Daher die Sympathie
zwischen der Erde und den Gestirnen, daher die regelmäßigen Naturwirkungen.
Daß die Erde wirklich eine Seele habe, zeigt die Beobachtung der Witterung und der
Aspekte, durch welche sie jedesmal
hervorgebracht wird, am deutlichsten. Unter gewissen Aspekten und Konstellationen wird die
Luft immer unruhig; gibt es
derselben keine oder wenige oder schnell
vorübergehende, so bleibt sie
ruhig.»
«Kepler verbreitet
sich über diese und ähnliche Gedanken
auch in seinem Buche
‹Harmonices
Mundi.›
Für vieles nur diese
originelle Stelle:
‹Die Erdkugel wird so ein
Körper sein, wie der eines Tieres,
und was dem Tiere seine
Seele ist, das wird der Erde
die Natura sublunaris' sein, die bei
Gegenwart der Aspekten Witterungen
erregt.› Das wird
nicht dadurch widerlegt, daß die Erregungen der
Witterungen nicht allemal genau mit den Aspekten
zusammentrifft; die Erde scheint
manchmal träge, manchmal wie aufgeregt zu sein, so
daß sie die
Ausdünstungen auch ohne Gegenwart der Aspekten
fortsetzt. Sie ist eben nicht ein so
folgsames Tier wie der Hund, sondern etwa wie
ein Rind oder Elefant: Langsam zum Zorn
geneigt, aber desto heftiger, wenn es einmal gereizt wird.)
[Libri IV, Cap. VII.]»
«Diese und unzählige
andere Veränderungen und Phänomene,
die in und auf der Erde vorgehen,
sind so regelmäßig und abgemessen,
daß man sie keiner blinden Ursache
zuschreiben kann, und da die Planeten selbst nichts von den Winkeln wissen, welche
ihre Strahlen auf der Erde bilden,
so muß die Erde eine Seele haben.»
In seiner Art sagt er dann: «Die
Erde ist ein Tier. Man wird an ihr
alles wahrnehmen, was den Teilen des tierischen
Körpers analog ist.
Pflanzen und Bäume sind ihr Haar, Metalle ihre
Adern, das Meerwasser ihr Getränke. Die Erde hat
eine bildende Kraft, eine Art Imagination, Bewegung, gewisse
Krankheiten, und die Ebbe und Flut sind das Atemholen der Tiere. Die Seele der Erde
scheint eine Art von Flamme zu sein,
daher die unterirdische Wärme und daher
keine Fortpflanzung ohne Wärme.
Ein gewisses Bild des Tierkreises und des ganzen Firmaments ist
von Gott in die Seele der Erde gedrückt.»
«Dies ist das Band des
Himmlischen und des Irdischen, die Ursache der Sympathie
zwischen Himmel und Erde: die Urbilder aller
ihrer Bewegungen und Verrichtungen sind ihr
von Gott, dem Schöpfer
eingepflanzt.»
«Die Seele ist im Mittelpunkt
der Erde, sendet Gestalten oder
Abdrücke von sich nach
allen Richtungen aus und empfindet auf diese
Art alle harmonischen
Veränderungen und Gegenstände außer
ihr. — Wie es mit der Seele
der Erde ist, ist es auch mit der Seele des Menschen. Alle mathematischen Ideen und Beweise zum
Beispiel erzeugt die Seele aus sich
selbst, sonst könnte sie nicht diesen hohen
Grad von Gewißheit und Bestimmtheit
haben.»
«Die Planeten und ihre Aspekten
haben Einfluß auf die Seelenkräfte des
Menschen. Sie erregen Gemütsbewegungen und
Leidenschaften aller Art und dadurch oft die schrecklichsten
Handlungen und Begebenheiten. Sie
haben Einfluß auf die Konzeption der Geburt
und dadurch auf das Temperament und den
Charakter des Menschen, und darauf
beruht ein großer Teil der Astrologie. —
Wahrscheinlich verbreitet sich von
der Sonne nicht nur Licht und Wärme in das
ganze Weltall, sondern sie ist auch
der Mittelpunkt und Sitz des reinen Verstandes und die Quelle
der Harmonie im ganzen Weltall — und alle
Planeten sind
beseelt.»
So arbeitete sich in diesem Geist, der uns
im 17. Jahrhundert entgegentritt — diese Worte stammen,
wie gesagt, aus dem Jahre 1607 — , heraus der Auf blick nach oben. Aber man sieht es
diesen Worten schon an: es ist
durchchristet der Auf blick nach oben. Es war allerdings ein
tiefer Geist, der diese Worte gesprochen hat, die ich
eben vorgelesen habe, in dem tief,
tief gewirkt hat der Zusammenhang der Menschenseele mit dem, was göttlich die Welt
durchwellt und durchwebt. So sind auch von demselben Geiste,
von dem wir eben gehört haben, wie er von der «Seele der
Erde» gesprochen hat, folgende schönen Worte:
Gottes-Hymne
Schöpfer der Welt, du ewige
Macht! Durch alle die Räume
Schallet dein Ruhm; er schallt Himmel und
Erde hindurch.
Selbst das unmündige Kind lallt
nach die Stimm', es verkündet,
Daß der Läst'rer verstumm',
laut dein unendliches Lob.
Großer Künstler der Welt,
ich schaue wundernd die Werke
Deiner Hände, nach den
künstlichen Formen gebaut,
Und in die Mitte die Sonne, Ausspenderin
Lichtes und Lebens,
Die nach heil'gem Gesetz zügelt
die Erde und lenkt
In verschiedenem Lauf. Ich sehe die
Mühen des Mondes
Und dort Sterne zerstreut auf unermessener
Flur —
Herrscher der Welt! Du ewige Macht! Durch
alle die Welten
Schwingt sich auf Flügeln des
Lichts dein unermessener Glanz.
Und noch mehr schauen wir in seine Seele
hinein, wenn er spricht:
Wenn jetzt der Dinge Bilder im Spiegel
du
Erblicken magst, doch einstens erkennen
sollst
Das Wesen selbst, was, Auge,
säumst du
Edleres Sein für den Schein zu
tauschen?
Des Wissens Stückwerk, wenn es
so lieblich dich
Beglückt, wie selig wirst du das
Ganze schaun!
Gib, Seele, kühnlich preis das
Niedre,
Schnell zu gewinnen das
Ewiggroße.
Wenn hier das Leben tägliches
Sterben ist,
Ja, wenn der Tod die Quelle des Lebens
ist,
O Menschenkind, was säumst du
sterbend
Wiedergeboren das Licht zu
grüßen?
Diese Worte und auch die Worte von der
Erdenseele, wer hat sie im Beginne
des 17. Jahrhunderts gesprochen? Derjenige hat sie gesprochen,
der die ganze neuere Astronomie begründet hat,
Johann Kepler, ohne den es die neuere Astronomie nicht geben
könnte. Welcher Monist
wird nicht Johann Kepler loben? Es mögen nur die
Bekenner des Monismus auch auf diese
soeben mitgeteilten Worte des Johann Kepler aufmerksam gemacht werden, sonst bleibt alles
Reden über Johann Kepler
dasjenige, was ich nicht mit einem Worte bezeichnen
möchte.
Da klingt schon herauf, was neuerdings das
Aufschauen zu den Sternen wiederum
werden soll: es ist das neuere Lesen der Sternenschrift, wie
wir es in unserer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung
versuchen. Und die Frage beantwortet sich uns, mit welcher
wir die heutige Betrachtung begonnen
haben: Wie kommen wir dem Christus-Impuls näher? Wie verstehen wir den
Christus? Wie kommen wir zu ihm in das
richtige Verhältnis, so daß wir sagen
können: Wir nehmen
wirklich den Christus-Impuls auf? — Indem wir lernen,
mit derselben Inbrunst und
Gemütstiefe, wie im althebräischen
Altertum gesagt worden ist: Ich
schaue hinauf zu Abraham, meinem Vater —
das heißt zu der physischen
Vererbungslinie — , zu dem Urvater Abraham, wenn ich von
dem Grunde dessen sprechen will, was ich als
Wertvollstes in der Seele trage — ,
wenn wir mit derselben Gemütstiefe
und Seelenstimmung heute zu dem schauen,
was aus den geistigen Höhen kommt und was uns
geistig befruchtet, zu dem Christus, wenn wir jede unserer Fähigkeiten, alles was wir
vermögen, so daß es uns zu Menschen macht, keiner irdischen Macht, sondern dem
Christus zuschreiben, dann gewinnen wir das lebendige
Verhältnis zu dem Christus. «Erfreust du
dich irgendeiner Fähigkeit, und sei es die
alltäglichste, die dich zum Menschen macht, woher
hast du sie?» Vom Christus!
So wie der alte Jude sagte, wenn er starb,
er kehre zurück in Abrahams Schoß — was
wiederum eine tiefe Bedeutung hatte — , so lernen
wir den Sinn unserer Zeit begreifen, der
Zeit, die nach dem Mysterium von
Golgatha liegt, indem wir dem alten Worte «Aus dem
Gotte sind wir geboren»
hinzufügen das Wort, das für uns
entspricht dem alten «Zurückkehren in Abrahams
Schoß»:
«In dem Christus sterben
wir.»
Wir können, wenn wir das
Mysterium von Golgatha verstehen lernen, jenes lebendige
Verhältnis gewinnen zu dem Christus, das wir
brauchen, wie im althebräischen
Altertume das lebendige Verhältnis
zu dem Gotte vorhanden war, der der Gott
Abrahams, Isaaks und Jakobs war, und
das sich dadurch ausdrückte, daß jeder
bekannte: er kehre zurück
zu dem Urvater Abraham mit dem Tode. Und für
die Menschen, die nach dem Mysterium von Golgatha leben,
muß das sich dadurch ausdrücken, daß sie sich
bewußt sind: In dem Christus sterben wir!
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