ZWEITER VORTRAG
München, 17. August 1910
Wenn derjenige, welcher auf dem Boden der Geisteswissenschaft
steht und einiges von dem aufgenommen hat, was aus der
Anthroposophie heraus über die Entwickelung unserer Welt
gesagt werden kann, vorzudringen vermag zu jenen gewaltigen
Worten, die am Ausgangspunkte unserer Bibel stehen, so sollte
ihm etwas aufgehen können wie eine völlig neue
geistige Welt. Es ist wohl kaum irgendeinem Dokumente der
Menschheitsentwickelung gegenüber die Möglichkeit,
sich von dem wahren Sinn zu entfernen, eine so große wie
bei diesem Dokumente, das man gewöhnlich die Genesis, die
Beschreibung des sogenannten Sechs- oder Siebentagewerks
nennt.
Wenn der moderne Mensch in irgendeiner Sprache, die jetzt dem
Menschen geläufig sein kann, Worte in seiner Seele
wachruft, wie etwa, sagen wir in der deutschen Sprache,
«Im Urbeginne schufen die Götter die Himmel und die
Erde», so ist das, was in diesen Worten liegt, kaum ein
schwacher Abglanz, kaum ein Schattenbild zu nennen von dem, was
lebendig war in den Seelen derer, die im hebräischen
Altertum die Eingangsworte der Bibel auf sich haben wirken
lassen. Denn es kommt diesem Dokumente gegenüber wahrlich
zum allergeringsten Teil darauf an, daß wir imstande sind,
moderne Worte an die Stelle der alten zu setzen. Es kommt
vielmehr darauf an, daß wir uns durch unsere
anthroposophische Vorbereitung in den Stand setzen, wenigstens
einiges von dem Stimmungsgehalt nachzufühlen, der bei
einem alten hebräischen Schüler im Herzen und in der
Seele lebte, wenn er die Worte in sich lebendig machte:
B'reschit bara elohim et haschamajim w'et ha'arez.
Eine ganze Welt lebte in den Augenblicken, da ihm solche Worte
durch die Seele zuckten. Was für eine Welt? Womit
können wir die Innenwelt, die in der Seele eines solchen
Schülers lebte, vergleichen? Nur mit dem können wir
sie vergleichen, was in der Seele des Menschen vorgehen kann,
der jene Bilder geschildert erhält, die der Seher erlebt,
wenn er in die geistigen Welten selber hineinschaut.
Was
wird uns denn schließlich geschildert in dem, was wir die
geisteswissenschaftliche Lehre nennen? Wir wissen, die Quellen
dieser Lehre sind die Ergebnisse des Sehertums, sind die
lebendigen Anschauungen, die der Seher empfängt, wenn er
sich in seiner ganzen Auffassung freimacht von den Bedingungen
der sinnlichen Wahrnehmung und des an den physischen Leib
gebundenen Verstandes, wenn er mit geistigen Organen in die
geistige Welt hineinschaut. Das, was er da schaut in der
geistigen Welt, er kann es, wenn er es in die Sprachen der
physischen Welt übersetzen will, nur in Bildern
ausdrücken, aber in Bildern, welche, wenn die
Fähigkeit des seherhaften Darstellers hinreicht, in
entsprechender Weise eine Vorstellung davon hervorrufen
können, was der Seher selbst erschaut in den geistigen
Welten. Dann kommt allerdings etwas zustande, was nicht
verwechselt werden darf mit irgendeiner Beschreibung von Dingen
oder Ereignissen der physisch-sinnlichen Welt, es kommt etwas
zustande, bei dem man sich fortdauernd bewußt sein
muß, daß man es mit einer ganz anderen Welt zu tun
hat, mit einer Welt, die der sinnlichen zwar zugrunde liegt,
die aber im eigentlichen Sinne sich in keiner Art deckt mit den
Vorstellungen, Eindrücken und Wahrnehmungen der
gewöhnlichen Sinneswelt.
Will man sich den Ursprung dieser unserer Sinneswelt
einschließlich des Menschen vor die Seele hinmalen, dann
kann man mit seinem Vorstellen nicht innerhalb der Sinneswelt
verbleiben. Alle Wissenschaften, welche zu den Ursprüngen
gehen wollen und nichts mitbringen als Vorstellungen, die aus
der Sinneswelt entnommen sind, können nicht zu den
Ursprüngen des sinnlichen Daseins gelangen. Denn das
sinnliche Dasein wurzelt in dem übersinnlichen Dasein, und
wir können zwar geschichtlich oder meinetwillen geologisch
eine lange Strecke weiter und immer weiter zurückgehen;
wollen wir aber bis zu den Ursprüngen dringen, dann
müssen wir uns bewußt sein, daß wir von einem
bestimmten Punkte ab in urferner Vergangenheit das Feld des
Sinnlichen verlassen und hinaufdringen müssen in Gebiete,
die nur übersinnlich zu fassen sind. Dasjenige, was man
die Genesis nennt, beginnt nicht mit der Dar-Stellung
irgendeines Sinnlichen, nicht mit der Darstellung von irgend
etwas, was Augen sehen könnten in der äußeren
physischen Welt. Und wir werden im Verlaufe der Vorträge
uns hinlänglich davon überzeugen, wie irrtümlich
es wäre, wenn man die Worte der ersten Partien der Genesis
auf Dinge oder Ereignisse beziehen wollte, die ein
äußerliches Auge sehen kann, die wir erleben
können, wenn wir mit den äußeren Sinnesorganen
unseren Umblick in der Welt halten. Solange man daher mit den
Worten «Himmel und Erde» noch irgend etwas verbindet,
was einen Rest enthält von sinnlich Sichtbarem, so lange
ist man nicht da angekommen, wohin die ersten Partien der
Genesis zielen. In der Gegenwart ist es kaum möglich,
anders hineinzuleuchten in die Welt, auf die hiermit
hingedeutet wird, als durch die Geisteswissenschaft. Aber durch
diese Geisteswissenschaft gibt es in gewissem Sinne auch eine
Möglichkeit, heranzutreten an das, was man nennen
möchte das Mysterium der Urworte, mit denen die Bibel
beginnt, und etwas nachzufühlen von dem, was in diesen
Urworten liegt.
Worin besteht denn eigentlich das ganz Eigenartige dieser
Urworte? Wenn ich mich zunächst abstrakt ausdrücken
darf, so muß ich sagen, es besteht darin, daß sie in
hebräischer Sprache geschrieben sind, in einer Sprache,
die ganz anders auf die Seele wirkt, als irgendeine moderne
Sprache wirken kann. Wenn diese Sprache, in der die ersten
Partien der Bibel uns zunächst vorliegen, heute auch nicht
mehr so wirkt, einstmals hat sie so gewirkt, daß, wenn ein
Buchstabe durch die Seele lautete, ein Bild in ihr wachgerufen
wurde. Vor der Seele dessen, der mit lebendigem Anteil die
Worte auf sich wirken ließ, tauchten in einer gewissen
Harmonie, ja in einer organischen Form Bilder auf, die sich
vergleichen lassen mit dem, was der Seher heute noch sehen
kann, wenn er von dem Sinnlichen zum Übersinnlichen
vorschreitet. Man möchte sagen, die hebräische
Sprache, oder besser gesagt die Sprache der ersten Partien der
Bibel, war eine Art von Mittel, aus der Seele herauszurufen
bildhafte Vorstellungen, welche nahe heranrückten an die
Gesichte, die der Seher erhält, wenn er fähig wird,
leibfrei zu schauen in die übersinnlichen Partien des
Daseins.
Deshalb wird, um diese gewaltigen Urworte der Menschheit
einigermaßen lebendig vor die Seele hinzustellen,
notwendig sein, daß man absieht von allem Schattenhaften,
von allem Blassen, das irgendeine moderne Sprache in ihren
Wirkungen auf die Seele hat, und daß man sich einen
Begriff verschafft von dem gewaltig Lebensvollen, dem
Aufrüttelnden und Schöpferischen, das irgendeine
Lautfolge in dieser alten Sprache hatte. Und so ist es von
unendlicher Wichtigkeit, daß wir im Verlaufe dieser
Vorträge auch versuchen, ein wenig vor unsere Seele
hinzustellen jene Bilder, die da auftauchten in dem
althebräischen Schüler, wenn der betreffende Laut
schöpferisch in seiner Seele wirkte und ein Bild vor diese
Seele hinstellte. Sie sehen daraus, daß es einen ganz
anderen Weg geben muß, in diese Urkunde einzudringen, als
alle die Wege, die heute gewählt werden, um irgendwelche
alte Urkunden zu verstehen.
Damit habe ich einiges von den Gesichtspunkten angegeben,
welche uns leiten werden. Wir werden nur langsam und
allmählich vordringen können zu dem, was uns eine
lebendige Vorstellung dessen geben kann, was in dem
althebräischen Weisen gelebt hat, wenn er jene
gewaltigsten Worte auf sich wirken ließ, die wir als Worte
wenigstens noch in der Welt haben. So wird es unsere
nächste Aufgabe sein, so wenig wie möglich an
Bekanntes anzuknüpfen und so viel wie möglich uns
freizumachen von alledem, was wir bisher uns vorstellten, wenn
wir von Himmel und Erde, von Göttern, von Erschaffen und
Schaffen und von einem Urbeginne sprechen. Und je mehr wir uns
freimachen können von dem, was wir bisher gefühlt
haben bei solchen Worten, desto besser werden wir in den Geist
eines Dokumentes eindringen, das aus ganz anderen
Seelenbedingungen heraus sich entwickelt hat, als sie in der
Gegenwart herrschen. Vor allen Dingen aber müssen wir uns
darüber verständigen, wovon wir denn eigentlich
geisteswissenschaftlich reden, wenn wir von den
Einleitungsworten der Bibel sprechen.
Sie
wissen ja, aus dem, was heute der seherischen Forschung
möglich ist, können wir den Hergang, die Entwickelung
unserer Erde und des Menschendaseins in gewissem Sinn
beschreiben. Und es ist von mir versucht worden in meinem Buche
«Die Geheimwissenschaff», aus den drei unserem
Erdendasein vorausgehenden Stufen der Entwickelung, aus dem
Saturn-, Sonnen- und Mondendasein, nach und nach das
Erdendasein, die Erde, als den Schauplatz, als den
planetarischen Schauplatz des Menschen zu beschreiben. Und Sie
haben gewiß gegenwärtig, wenigstens in großen
Zügen, was da beschrieben worden ist. Es fragt sich nun:
Wohin sollen wir das stellen, was mit dem gewaltigen B'reschit
an unsere Seele heranrückt? Wohin sollen wir das stellen
in unserer geisteswissenschaftlichen Beschreibung? Wohin
gehört es?
Machen wir uns einmal klar in bezug auf einen gewissen
Gesichtspunkt, wie wir uns das Saturn-, Sonnen- und
Mondendasein vor Augen malen können. Wenn wir kurz den
Blick zurückwenden auf den alten Saturn, dann steht er vor
unserer Seele bildhaft als ein Weltenkörper, der noch
nichts von dem hat, was wir gewohnt sind, das stoffliche Dasein
um uns herum zu nennen. Er ist ein Weltenkörper, der von
alledem, was wir in unserer Umgebung haben, eigentlich nur das
Element der Wärme in sich hat. Wärme oder Feuer, in
sich webendes Wärmeelement, noch nichts von Luft, nichts
von Wasser, nichts von fester Erde ist zu finden auf dem alten
Saturn, so daß da, wo er am dichtesten ist, er lebende,
webende Wärme ist. Und wir wissen, daß dann das
Dasein vordringt zum sogenannten Sonnendasein. Da haben wir
dann zu der webenden, lebenden Wärme eine Art luft- oder
gasförmiges Element hinzukommend, und wir stellen uns
bildhaft den planetarischen Zustand der Sonne richtig vor, wenn
wir uns ihn, soweit er als elementarischer Zustand in Betracht
kommt, denken als ein Ineinanderweben und Ineinanderleben
gasiger, luftförmiger Elemente und Wärmeelemente. Wir
haben dann als dritten Zustand in der Entwickelung unseres
Erdendaseins den sogenannten Mondenzustand zu betrachten. Bei
diesem kommt zur Wärme und zur Luft dasjenige hinzu, was
wir den wässerigen elementarischen Zustand nennen
können. Noch nichts von dem, was wir in unserem heutigen
irdischen Dasein das erdige, das feste Element nennen, ist
während dieses alten Mondenzustandes vorhanden. Aber ein
Eigentümliches tritt auf während dieses alten
Mondendaseins: es teilt sich die frühere Einheit, in der
unser planetarisches Dasein verlaufen ist. Wenn wir auf den
alten Saturn blicken, so erscheint er uns als eine Einheit von
in sich webender Wärme. Noch die alte Sonne erscheint uns
als in sich webende Gas- und Wärmeelemente. Während
des Mondendaseins tritt eine Spaltung eines Sonnenhaften und
eines Mondhaften auf. Und erst dann, wenn wir zu der vierten
Stufe unserer planetarischen Entwickelung kommen, sehen wir,
wie zu den früheren elementarischen Zuständen, zu dem
feurigen oder wärmehaften, zu dem luftförmigen, zu
dem wässerigen Elemente das in sich feste, das erdhafte
Element hinzutritt. Damit dieses feste Element in unserem
planetarischen Dasein auftreten konnte, mußte sich die
Spaltung, die schon während des Mondendaseins
stattgefunden hatte, wiederholen. Das Sonnenhafte mußte
noch einmal herausgehen aus unserem planetarischen Erdenhaften.
So daß wir einen gewissen Zeitpunkt in der Entwickelung
unseres Planeten haben, wo aus einem gemeinsamen planetarischen
Zustande, in dem noch ineinander verwoben sind die Elemente des
Feuers, der Luft und des Wassers, auseinandertreten das
dichtere erdige Element und das feinere luftartige
Sonnenelement. Und nur in diesem Erdhaften konnte sich das
bilden, das sich verdichten, was wir heute als das Feste
bezeichnen.
Halten wir einmal diesen Moment fest, wo aus einem gemeinsamen
planetarischen Verhältnis das Sonnenhafte heraustritt und
fortan von außen seine Kräfte unserem Erdhaften
zusendet. Halten wir daran fest, daß damals auch die
Möglichkeit gegeben war, daß sich in dem Erdhaften
das Feste, das, was wir heute im stofflichen Sinne das Feste
nennen, vorbereitete, sich in dem Erdhaften gleichsam
verdichtete. Halten wir diesen Moment fest, dann haben wir
denjenigen Zeitpunkt, in dem die Genesis, die Bibel, einsetzt.
Von diesem Zustand spricht sie. Wir dürfen mit dem ersten
Worte der Genesis durchaus nicht verbinden jenes Abstrakte,
Schattenhafte, was man heute im Auge hat, wenn man etwa das
Wort «Im Anfang» oder «Im Urbeginne»
ausspricht. Damit würde man gegenüber dem, was der
alte hebräische Weise empfand, etwas unsäglich
Armseliges zum Ausdruck bringen. Alles das, was man sich nur
vorstellen kann in jener Zweiheit, welche entstand durch die
Auseinandergliederung des Sonnenhaften und des Erdhaften, alles
das, was sozusagen im Moment dieser Trennung vorhanden war, was
sich eben in die Zweiheit gliederte, alles das muß vor
unserer Seele auftauchen, wenn wir B'reschit, das «Im
Anfang», «Im Urbeginn» in der richtigen Weise
vor unsere Seele hinstellen wollen. Und nicht nur das allein
darf in unserer Seele auftauchen, sondern wir müssen uns
bewußt sein, daß in dieser ganzen Entwickelung, die
wir die Saturn-, Sonnen- und Monden-entwickelung nennen,
geistige Wesenheiten die Lenker und Leiter und auch die
Träger der ganzen Entwickelung waren, und daß
dasjenige, was wir das Wärme-, das Luft-, das
Wasserelement nennen, immer nur der äußere Ausdruck,
das äußere Kleid ist für die geistigen
Wesenheiten, die die Wirklichkeit der Entwickelung sind. Auch
dann, wenn wir hinblicken auf jenen Zustand, der bei der
Trennung des Sonnenhaften von dem Erdenhaften vorhanden war,
und uns ihn in einem von Stoffes-vorstellungen erfüllten
Bilde denken, auch dann müssen wir uns bewußt sein,
daß wir in alledem, was wir da unter dem Bilde des
elementarischen Wassers, der Luft, des Feuers vor unsere Seele
hinmalen, nur das Ausdrucksmittel für webende Geistigkeit
haben, für webende Geistigkeit, die durch die
vorangehenden drei Stufen, durch die Saturn-, Sonnen- und
Monden-stufe, gestiegen ist und an diesem Zeitpunkt, den ich
eben charakterisiert habe, auf einer gewissen Entwicklungsstufe
ihres Daseins angelangt ist.
Stellen wir einmal vor unsere Seele dieses Bild von in sich
webendem wässerigem, luft- oder gasförmigem und
feurigem Elemente wie eine gewaltige Weltenkugel, die sich
auseinanderspaltet in ein sonnenhaftes und in ein erdenhaftes
Element; stellen wir uns aber vor, daß alles das, was wir
in diesem Elementarisch-Stofflichen in der Vorstellung haben,
nur das Ausdrucksmittel für Geistiges ist. Stellen wir uns
vor, daß aus diesem Stoffgehäuse, das gewoben ist aus
einem wässerigen, luftförmigen und einem
Wärmeelement, uns anblicken die Antlitze von geistigen
Wesenheiten, die da drinnen weben, die in diesem durch
Stoffes-vorstellungen für unsere Seele
repräsentierten Element sich manifestieren, sich
offenbaren. Stellen wir uns vor, daß wir geistige
Wesenheiten vor uns haben, die uns gleichsam ihr Antlitz
zuwenden und die da arbeiten mit Hilfe von Wärme, Luft und
Wasser, um Weltenkörper durch die Kraft ihres
Geistig-Seelischen zu organisieren. Stellen wir uns einmal
dieses Bild vor!
Da
haben wir das Bild einer elementarischen Hülle, einer
Hülle, die wir uns etwa vorstellen können wie ein
Schneckenhaus, wenn wir uns eine recht grobe sinnliche
Vorstellung bilden wollen, einer Hülle aber, die nicht aus
den festen Stoffen geformt ist wie das Schneckenhaus, sondern
die aus feinsten wäßrigen, luft- oder
gasförmigen und feurigen Elementen gewoben ist. Da drinnen
denken wir uns ein Geistiges, das uns anblickt wie Antlitze,
die gerade durch diese Hülle sich offenbaren und eine
Kraft der Offenbarung selber sind, eine Kraft, die sozusagen
aus dem übersinnlich Verborgenen in das Offenbare sich
herausstachelt, wenn ich das Wort gebrauchen darf.
Rufen Sie sich dieses Bild, das ich eben zu malen versuchte,
vor die Seele, dieses lebendige Weben eines Geistigen in einem
Stofflichen, und rufen Sie sich vor die Seele die innere
seelische Kraft, welche das Weben im Stoffe, das Organisieren
im Stoffe bewirkt, und sehen Sie einen Augenblick ab von allem
übrigen: dann haben Sie vor sich das, was etwa in der
Seele eines althebräischen Weisen lebte, wenn die Laute
B'reschit diese Seele durchdrangen. Bet, der erste Buchstabe,
rief hervor das stoffliche Weben des Gehäuses, Resch, der
zweite Mitlaut, rief hervor das Antlitzhafte der geistigen
Wesenheiten, die in diesem Gehäuse drinnen woben, und
Schin, der dritte Laut, rief hervor die stachelige Kraft, die
aus dem Inneren sich emporarbeitet, um sich zu offenbaren.
So
ungefähr kommen wir zu dem Prinzip, das solch einer
Beschreibung zugrunde liegt. Und wenn wir zu diesem Prinzip
vordringen, dann können wir zugleich etwas empfinden von
dem Geiste dieser Sprache, die, wie gesagt, etwas
Schöpferisches in der Seele hatte, wovon der moderne
Mensch bei seinen abstrakten Sprachen gar keine Ahnung mehr
hat.
Stellen wir uns jetzt einmal so recht in den Moment hinein, der
sozusagen vor der physischen Koagulierung, vor der physischen
Verdichtung unseres Erdendaseins liegt, denn so war der Moment,
den ich im Auge habe. Stellen wir uns diesen Moment recht
lebendig vor, dann werden wir sagen müssen: Wollen wir
das, was da geschieht, beschreiben, dann dürfen wir nichts
verwenden von all den Vorstellungen, die wir anwenden, wenn wir
heute die äußeren Sinnesvorgänge beschreiben
wollen. — Daher ist es unendlich dilettantisch, wenn man
das zweite der Worte, mit denen wir es zu tun haben in der
Genesis, so auffaßt, daß man irgendeine
äußere Tatsache, und sei sie noch so sehr anklingend
an das, was wir heute unter «Schaffen» und
«Schöpfen» verstehen, an das Wort heranbringt.
Damit kommen wir nicht an das zweite Wort der Genesis heran.
Wohin können wir uns nun wenden? Es ist mit diesem Worte
etwas gemeint, was in der Tat hart an die Grenze herantritt, wo
das Sinnliche unmittelbar schon in das
Übersinnlich-Geistige hinein übergeht. Und der
Mensch, der sich eine Vorstellung von dem machen will, was man
so gewöhnlich mit «schuf» übersetzt:
«Im Urbeginne schufen die Götter», der darf in
keiner Weise dieses Wort an irgend etwas heranbringen, was mit
Augen, mit gewöhnlichen sinnlichen Augen als eine
schöpferische Betätigung, als eine hervorbringende
Betätigung geschaut werden kann.
Schauen Sie, meine lieben Freunde, in Ihr Inneres. Versuchen
Sie sich einmal in eine Lage zu versetzen, so daß Sie
etwa, sagen wir, eine Weile geschlafen haben, dann aufwachen
und, ohne daß Sie den Blick auf eine äußere
Tatsache richten, in sich auferwecken durch die innere
Seelentätigkeit gewisse Vorstellungen in Ihrer Seele.
Vergegenwärtigen Sie sich diese innere Tätigkeit,
dieses produktive Sinnen, das aus dem Seeleninneren einen
Seeleninhalt hervorzaubert. Gebrauchen Sie meinetwillen das
Wort «Ersinnen» für dieses Hervorzaubern eines
Seeleninhaltes aus den Seelenuntergründen in das
bewußte Blickfeld Ihrer Seele hinein, und denken Sie sich
jetzt das, was der Mensch nur kann mit seinen Vorstellungen,
als eine Tätigkeit, die nun wirklich
kosmisch-schöpferisch ist. Denken Sie sich statt Ihres
Sinnens, statt Ihres innerlichen denkerischen Erlebens ein
kosmisches Denken, dann haben Sie das, was in diesem zweiten
Worte der Genesis, bara, drinnen liegt. So geistig, als Sie es
nur denken können, so nahe Sie es nur heranbringen
können an das Gedankenmäßige, das Sie sich in
Ihrem eigenen Sinnen vor Augen führen, so nahe Sie das nur
heranbringen können!
Und
jetzt stellen Sie sich vor, daß Sie während dieses
Sinnens in der Seele gleichsam zweierlei Vorstellungsgruppen
vor Ihre Seele hinleiten. Nehmen wir einmal, um möglichst
deutlich eine solche fernliegende Sache zu schildern, einen
Menschen, der aufwacht und dem zweierlei einfällt, der
also zweierlei ersinnt. Das eine, was er ersinnt, sei das Bild
von irgendeiner Tätigkeit oder einem äußeren
Ding oder Wesen; das tritt nicht durch äußere
Anschauung, nicht durch Wahrnehmung, sondern durch Sinnen,
durch schöpferische Tätigkeit der Seele in das
Blickfeld des Bewußtseins. Das aber, was als zweiter
Vorstellungskomplex auftreten soll bei einem so Aufwachenden,
das sei eine Begierde, irgend etwas, was der Mensch wollen kann
nach seiner ganzen Anlage und Seelenverfassung. So haben wir
ein vorstellungsmäßiges und ein begierdenhaftes
Element, das auftaucht vor unserer Seele durch inneres Sinnen.
Nunmehr stellen Sie sich statt der Menschenseele, die also in
sich sinnt, dasjenige vor, was in der Genesis die Elohim
genannt wird. Denken Sie sich statt der Einheit der
Menschenseele eine Mehrheit sinnender geistiger Wesenheiten,
die aber in einer ähnlichen Weise aus ihrem Inneren
hervorrufen durch Ersinnen zwei Komplexe, die ich vergleichen
möchte mit dem, was ich Ihnen eben beschrieben habe, mit
einem rein vorstellungsmäßigen und einem
begierdenhaften Komplex. Wir denken uns also statt der
sinnenden Menschenseele eine kosmische Organisation von
Wesenheiten, die in sich in ähnlicher Weise wachrufen, nur
daß ihr Sinnen ein kosmisches ist, zwei solche Komplexe,
einen vorstellungsartigen, das heißt einen solchen, der
irgend etwas offenbart, der also nach außen hin sich
auslebt, der nach außen hin erscheint, und einen anderen
Komplex, der begierdenhaft ist, der durch innerliche Regsamkeit
lebt, ein innerlich sich Regendes, ein innerlich von Regsamkeit
Durchsetztes. Wir denken uns also jene kosmischen Wesenheiten,
die als die Elohim bezeichnet werden, wir denken sie uns so
sinnend, und dieses Sinnen vergegenwärtigen wir uns bei
dem Worte «sie schufen», bara. Und dann denken wir
uns, daß durch dieses schöpferische Sinnen zwei
solche Komplexe entstehen, ein Komplex, der mehr darauf
hingeht, ein sich äußerlich Offenbarendes, ein nach
außen sich Kundgebendes zu sein, und ein anderer Komplex,
ein innerlich Regsames, ein innerlich Lebendiges; dann haben
wir ungefähr jene zwei Vorstellungskomplexe, welche
auftauchten in der Seele des althebräischen Weisen, wenn
die Worte, für die heute «die Himmel und die
Erde» stehen, seine Seele durchklangen, haschamajim und
ha'arez. Suchen wir womöglich zu vergessen, was der
moderne Mensch unter Himmel und Erde sich denkt, versuchen wir
die beiden Vorstellungskomplexe vor die Seele zu führen,
den Komplex des nach außen sich Kundgebenden, des sich
Offenbarenden, den Komplex dessen, was da drängt, nach
außen irgendwelche Wirkung hervorzurufen, und jenen
anderen Komplex des innerlich Regsamen, dessen, was sich selbst
im Inneren erleben will, was sich im Inneren lebendig regt,
dann haben wir das haschamajim und das andere Wort,
ha'arez.
Und
die Elohim selber — wir werden sie im Verlaufe der
Vorträge noch genauer kennenlernen und sie übersetzen
in unsere geisteswissenschaftliche Sprache, jetzt aber wollen
wir versuchen, einigermaßen an den Sinn der Urworte
heranzudringen —, die Elohim selber, was sind sie
für Wesenheiten? Wer sich eine Vorstellung machen will,
was in der Seele des althebräischen Weisen lebte, wenn er
dieses Wort gebrauchte, der muß sich klar sein, daß
in jener Zeit ganz lebendig der Sinn dafür vorhanden war,
daß unsere Erdenentwickelung eben einen bestimmten Sinn,
ein bestimmtes Ziel hat. Welches ist dieser Sinn, welches ist
dieses Ziel unserer Erdenentwickelung?
Unsere Erdenentwickelung hat einen Sinn, ein Ziel nur dann,
wenn innerhalb ihrer etwas auftritt, was vorher nicht da war.
Eine ewige Wiederholung, eine Wiederkehr dessen, was schon da
war, wäre ein sinnloses Dasein, und als ein solches
sinnloses Dasein hätte vor allen Dingen der
althebräische Weise die Erdengenesis empfunden, wenn er
nicht hätte denken können, daß die Erde, nachdem
sie sich herausentwickelt hat aus anderen Zuständen, etwas
Neues, gegenüber allem Früheren Neues bringen
müsse. Durch dieses Erdendasein wurde ein Neues
möglich: daß nämlich der Mensch gerade so wurde,
wie er innerhalb des Erdendaseins sich zeigt. So wie der Mensch
innerhalb des Erdendaseins auftritt als das Wesen, das er heute
schon ist, als das Wesen, zu dem er sich entwickeln wird in
immer weiter und weitergehender Zukunft, so war dieser Mensch
in allen früheren Entwickelungsstadien nicht vorhanden, so
war er auch in den früheren Entwickelungsstadien nicht
möglich. Und anders geartet als der Mensch — wir
wollen jetzt nicht den Begriff des Niederen und des
Höheren einführen — waren diejenigen geistigen
Wesenheiten, welche die äußere Entwickelung
führten und trugen, die wir als Saturn-, Sonnen- und
Monden-entwickelung bezeichnen. Jene Wesenheiten, die da woben
in den elementarischen Daseinsstufen des Feurigen, Gasigen,
Wäßrigen, die da woben ein Saturn-, ein Sonnen-, ein
Monden-dasein, die da woben an dem Beginn des Erdendaseins, wie
lernen wir sie am besten in bezug auf ihre Wesenheit kennen?
Wie kommen wir ihnen nahe?
Wir
müßten allerdings vieles, vieles beschreiben, wenn
wir diesen Wesenheiten einigermaßen nahekommen wollten.
Wir können sie aber nach einer Seite hin zunächst
kennen lernen, und das wird genügen, um uns wenigstens
einen Schritt näher zu bringen dem gewaltigen Sinn der
biblischen Urworte. Wir wollen sie einmal betrachten, diese
Wesenheiten, die dem Menschen in gewisser Beziehung am
nächsten standen, als er selbst herausgebildet wurde aus
dem, was sich heranentwickelt hatte aus dem alten Saturn-,
Sonnen- und Monden-dasein. Wir wollen sie einmal befragen,
diese Wesenheiten, nach dem, was sie eigentlich wollten. Wir
wollen sie nach ihrem Willen befragen, nach ihrer Absicht
gleichsam. Dann werden wir wenigstens eine kleine Vorstellung
von ihrer Wesenheit erhalten können. Was wollten sie,
diese Wesenheiten? — Sie konnten vieles, sie hatten sich
ein Können im Verlaufe der Entwickelung, die sie
durchgemacht hatten, nach der einen oder anderen Richtung
erworben. Der eine konnte dies, der andere jenes. Aber wir
stellen uns ihr Wesen am besten vor, wenn wir uns sagen: In
jenem Zeitpunkt, den wir eben ins Auge gefaßt haben,
wirkte in einer Gruppe von solchen Wesenheiten ein gemeinsames
Ziel, ein gemeinsames Motiv. — Es ist auf einer
höheren Stufe etwa so, wie wenn eine Gruppe von Menschen
heute zusammenkäme, von denen jeder eine bestimmte
Geschicklichkeit hat. Ein jeder von ihnen kann etwas, und nun
sagen sie sich gegenseitig: Du kannst dies, ich kann das, der
dritte jenes. Wir wollen alle unsere Tätigkeiten jetzt
zusammenfließen lassen, um ein gemeinsames Werk zu tun, wo
eines jeden Tätigkeit angebracht werden kann. —
Nehmen wir also eine solche Gruppe von Menschen an, von denen
ein jeder etwas anderes kann, die aber ein gemeinsames Ziel
haben. Das, was da entstehen soll, ist noch nicht da. Die
Einheit, an der sie arbeiten, lebt zunächst überhaupt
erst als Ziel, sie ist noch gar nicht vorhanden. Es ist eine
Vielheit da, die Einheit lebt zunächst als ein Ideal. Nun
denken Sie sich eine Gruppe von geistigen Wesenheiten, die sich
entwickelt haben durch Saturn, Sonne und Mond, von denen eine
jede etwas ganz Bestimmtes kann, und die in dem Moment, den ich
charakterisiert habe, den Entschluß fassen: Wir wollen
unsere Tätigkeiten gruppieren zu einem gemeinsamen Ziel,
wir wollen uns eine einheitliche Richtung geben. — Und
vor dem Blick eines jeden tauchte das Bild dieses Zieles auf.
Und was war das Ziel? Der Mensch, der Erdenmensch.
So
lebte der Erdenmensch als Ziel in einer Gruppe von
göttlich-geistigen Wesenheiten, die beschlossen hatten,
ihre verschiedenen Künste zusammenwirken zu lassen, um das
zu erreichen, was sie selber gar nicht hatten, was ihnen selber
nicht eignete, was sie aber hervorbringen konnten durch
gemeinschaftliche Arbeit. Wenn Sie das alles nehmen, was ich
Ihnen beschrieben habe als elementarische Hülle, als darin
wirkende, kosmisch sinnende, geistige Wesenheiten, als zwei
Komplexe, einen begierdenhaften, innerlich regsamen und einen
nach außen sich offenbarenden, wenn Sie das alles nehmen
und dann jenen geistigen Wesenheiten, die gleichsam aus dem
Elementarischen heraus mit ihrem Antlitz blicken, dieses
gemeinsame Ziel zuschreiben, das ich soeben charakterisiert
habe, dann haben Sie das, was da lebte in dem Herzen eines
althebräischen Weisen bei dem Worte Elohim. Und jetzt
haben wir in bildhafter Weise zusammengetragen, was in diesen
allgewaltigen Urworten lebt.
Vergessen wir also zunächst einmal alles das, was ein
moderner Mensch fühlen und denken kann, wenn er ausspricht
die Worte «Im Urbeginne schufen die Götter die Himmel
und die Erde». Versuchen wir unter Berücksichtigung
alles dessen, was heute gesagt worden ist, vor unser Auge
folgendes Bild hinzustellen: Da ist webendes elementarisches
Element, darinnen webt Feuriges, Gasförmiges,
Wässeriges. Innerhalb dieses Elementarischen, Wirksamen,
Webenden leben geistige Wesenheiten, eine Gruppe von geistigen
Wesenheiten, die sinnen. Im produktiven Sinnen sind sie
begriffen, und durch ihr produktives Sinnen hindurch dringt das
Ziel, zum Menschenbild hin die ganze Wirksamkeit zu lenken. Und
als erstes tritt auf aus diesem Sinnen die Vorstellung eines
sich nach außen Offenbarenden, sich Kundgebenden, und
eines innerlich Regsamen, eines innerlich in sich Belebten: In
dem elementarischen Gehäuse ersannen die Urgeister das
nach außen hin Erscheinende, das nach innen Regsame.
Versuchen Sie einmal, in diesen Worten sich zu
vergegenwärtigen, was in der ersten Zeile der Bibel gesagt
wird, dann werden Sie die Grundlage haben für das, was wir
in den weiteren Tagen uns vor die Seele zu führen haben
als den wahren Sinn dieser allgewaltigen Urworte, durch die der
Menschheit ein Größtes, nämlich ihr eigener
Ursprung, geoffenbart ist.
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