ERSTER VORTRAG
Den
Haag, 20. März 1913
Ich
werde Ihnen zu sprechen haben, meine lieben Freunde, über
ein Thema, welches vielen in der Gegenwart wichtig sein kann,
allen denjenigen wichtig sein kann, welche in irgendeiner Weise
so streben, daß sie Geisteswissenschaft nicht nur zu einer
Theorie machen, sondern sie in ihr Herz und Gemüt
aufnehmen, so daß sie ihnen ein wirklicher Lebensinhalt
wird; daß sie etwas wird, was einfließt in ihr ganzes
Menschheitsdasein als Menschen der Gegenwart.
Nicht nur für den eigentlichen Esoteriker, sondern
für jeden, der anthroposophische Gedanken in seine
Seelenkräfte aufnehmen will, wird wichtig sein, einiges zu
erfahren über die Veränderungen, die die ganze
menschliche Wesenheit dadurch erfährt, daß entweder
der Mensch solche Übungen ausführt, wie sie in meiner
Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren
Welten?» mitgeteilt sind, oder wie sie kurz
zusammengestellt sind in dem zweiten Teile meiner
«Geheimwissenschaft», oder auch daß der Mensch
einfach, aber mit Herz und Gemüt anthroposophische
Gedanken zu seinen eigenen macht. Anthroposophie, esoterisch
getrieben oder exoterisch, aber ernst getrieben, bewirkt
einfach gewisse Veränderungen in der Gesamtorganisation
des Menschen. Man wird — das darf kühnlich behauptet
werden — ein anderer Mensch durch Anthroposophie, man
verwandelt sein ganzes Menschheitsgefüge. Sowohl der
physische Leib wie der ätherische, wie der astralische
Leib, wie das eigentliche Selbst des Menschen werden in einer
gewissen Weise dadurch verwandelt, daß der Mensch
Anthroposophie wirklich in sein Inneres aufnimmt. Und der Reihe
nach sollen besprochen werden die Veränderungen, welche
diese menschlichen Hüllen unter dem Einflüsse der
Esoterik oder aber der exoterisch ernst getriebenen
Anthroposophie erfahren.
Besonders schwierig ist es ja, über die Veränderungen
des physischen Menschenleibes zu sprechen, aus dem einfachen
Grunde, weil diese Veränderungen des physischen
Menschenleibes im Anfang des anthroposophischen oder
esoterischen Lebens zwar wichtige, bedeutungsvolle sind, aber
in einer gewissen Weise auch oft undeutlich, geringfügig
zu nennen sind. Wichtige, bedeutungsvolle Veränderungen
gehen mit dem physischen Leib vor sich, aber sie sind doch
äußerlich, für irgendein äußeres
Wissen nicht bemerkbar. Sie können auch nicht bemerkbar
sein aus dem einfachen Grunde, weil das Physische dasjenige
ist, was der Mensch von innen heraus am allerwenigsten in
seiner Gewalt hat, und weil sogleich Gefahren kommen
würden, wenn esoterische Übungen oder
anthroposophischer Betrieb so eingerichtet würden,
daß der physische Leib Veränderungen erfährt,
die über das Maß dessen hinausgehen, was der Mensch
voll zu beherrschen in der Lage ist. Innerhalb gewisser Grenzen
halten sich die Veränderungen des physischen Leibes; aber
es ist doch wichtig, daß der Mensch etwas davon
erfährt, daß er sie sich klarmachen kann.
Soll man zunächst mit einem zusammenfassenden Worte die
Veränderungen bezeichnen, die der physische Menschenleib
erfährt durch die angedeuteten Bedingungen, so muß
man sagen: Dieser physische Menschenleib wird in sich
zunächst beweglicher und innerlich lebendiger.
Beweglicher, was heißt das? Nun, im normalen Menschenleben
haben wir den physischen Menschenleib so vor uns, daß
seine einzelnen Organe miteinander in Kommunikation stehen,
daß seine einzelnen Organe in gewisser Weise miteinander
verbunden sind. Die Wirkungen der einzelnen Organe gehen
ineinander über. Dadurch, daß der Mensch Esoterik
oder Anthroposophie ernsthaft auf sich wirken läßt,
werden die einzelnen Organe selbständiger,
unabhängiger voneinander. Alle einzelnen Organe werden
voneinander unabhängiger. In einer gewissen Weise wird das
Gesamtleben des physischen Leibes herabgedämpft und das
Eigenleben der Organe verstärkt. Wenn auch der Grad der
Herabdämpfung des Gesamtlebens und der Verstärkung
des Eigenlebens der Organe ein ungeheuer geringer ist, so
muß man doch sagen: Durch den Einfluß von Esoterik
und Anthroposophie überhaupt wird das Herz, das Gehirn,
das Rückenmark, werden alleOrgane selbständiger und
lebendiger und unabhängiger voneinander, innerlich
beweglicher. Wenn ich gelehrt sprechen wollte, müßte
ich sagen: Es gehen die Organe aus einem stabilen
Gleichgewichtszustand in einen mehr labilen
Gleichgewichtszustand über. Diese Tatsache ist aus dem
Grunde gut zu wissen, weil der Mensch sehr leicht geneigt ist,
wenn er etwas wahrnimmt von diesem anderen
Gleichgewichtszustand seiner Organe, es dem Umstand
zuzuschreiben, daß er unpäßlich oder krank
geworden ist. Er ist nicht gewohnt, so zu empfinden die
Beweglichkeit, die Unabhängigkeit der Organe. Man
verspürt, empfindet Organe nur dann, wenn sie anders
funktionieren, als der normale Zustand ist. Nun empfindet man,
wenn auch zunächst in einer sehr gelinden Weise, das
Unabhängigwerden der Organe voneinander; man kann das
für ein Unpäßlichwerden, für ein Erkranken
halten. Sie sehen also, wie man, gerade wenn es auf den
physischen Menschenleib ankommt, vorsichtig sein muß:
Selbstverständlich kann dieselbe Sache einmal eine
Erkrankung sein, ein anderes Mal eine bloße
Begleiterscheinung des inneren anthroposophischen Lebens. Daher
hat man in jedem Fall notwendig, individuell zu unterscheiden;
aber gesagt muß werden, daß dasjenige, was hier
erreicht wird durch das anthroposophische Leben, durchaus etwas
ist, was ganz im normalen Entwicklungslauf der Menschheit
ohnedies liegt. In älteren Zeiten der
Menschheitsentwicklung waren die einzelnen Organe noch mehr
voneinander abhängig, als sie es jetzt im
äußeren Leben sind, und in der Zukunft werden sie
immer unabhängiger werden. So wie derjenige, der sich zur
Anthroposophie bekennt, immer auf den verschiedensten Gebieten
des Lebens und Erkennens gewissermaßen vorausnehmen
muß spätere, erst in der Zukunft an die gesamte
Menschheit herantretende Entwicklungsstufen, so muß er
auch diese Entwicklungsstufe sozusagen sich gefallen lassen,
daß seine Organe voneinander unabhängiger werden. Das
kann sich in einer leisen, gelinden Art ausdrücken in den
einzelnen Organen und Organsystemen.
Ich
will ein besonderes Beispiel anführen. Sie kennen alle die
Erscheinung, daß der Mensch, namentlich wenn er
bodenständigist, wenn er also nicht durch seinen Beruf
etwa viel reist, in einer gewissen Weise zusammengewachsen ist
mit seinem Boden. Gehen Sie aufs Land zu den Landleuten, da
werden Sie erfahren, daß noch in einem viel höheren
Maße als bei der heutigen Stadtbevölkerung, die ja
vielfach Landaufenthalte aufsucht, die Leute mit ihrem Boden,
mit ihrem Klima zusammengewachsen sind und daß sie es
schwer haben, wenn sie durch dieses oder jenes in eine andere
Gegend oder in ein anderes Klima versetzt werden, sich zu
akklimatisieren, wie man das nennt; daß bis in die Seele
herein in Form von einem oftmals unüberwindlichen Heimweh
die Sehnsucht nach dem Boden, mit dem sie zusammengewachsen
sind, in der Seele lebt. Das soll uns nur darauf hinweisen, wie
der Mensch notwendig hat — was wir auch sonst bemerken
können, wenn er in eine andere Gegend kommt —,
seinen ganzen Organismus anzupassen an diese Gegend, an dieses
Klima. In unserem normalen Leben findet nun tatsächlich
die Anpassung statt innerhalb des gesamten menschlichen
Organismus. Alles wird in gewisser Weise affiziert, in
Mitleidenschaft gezogen, wenn wir aus der Ebene ins Gebirge uns
versetzen, wenn wir in eine etwas entfernte Gegend uns
versetzen. Bei dem Esoteriker oder bei dem mit Ernst die
Anthroposophie Treibenden tritt das merkbar ein, daß nun
nicht mehr der ganze Organismus in Mitleidenschaft gezogen
wird, sondern daß sich das Blutsystem absondert und
daß die Blutzirkulation sich gleichsam heraussondert von
dem übrigen Organismus und die Blutzirkulation den
größeren Einfluß erfährt, wenn der Mensch
von einer Gegend in die andere übergeht. Und wer sich
für diese Sache eine gewisse Sensitivität aneignet,
der kann bemerken, daß in der Tat an der Pulsation seines
Blutes, an der Art, wie sein Puls schlägt, bemerkbar ist,
wenn er einfach durch eine Reise von einem Ort in einen anderen
sich versetzt. Während bei dem Menschen, der nicht durch
Esoterik oder anthroposophisches Leben sozusagen
imprägniert ist, das Nervensystem noch stark in Anspruch
genommen wird durch die notwendige Akklimatisierung, wird bei
dem, der sich mit Esoterik oder ernstem anthroposophischem
Leben durchdringt, das Nervensystem sehr wenig in Anspruch
genommen werden; es tritt zurück, es sondert sich der
innige Verband zwischen dem Nerven- und Blutsystem durch das
anthroposophische Innenleben voneinander, und es wird das
Blutsystem in einer gewissen Weise sensitiver für die
Einflüsse von Klima und Boden, dafür das Nervensystem
unabhängiger.
Wenn Sie für eine solche Sache Beweise haben wollen, so
müssen Sie diese Beweise in der natürlichsten Weise
suchen, in der sie zu finden sind: nämlich dann, wenn Sie
selber in eine ähnliche Lage sich versetzt fühlen,
wenn Sie selber an einen ändern Ort kommen. Versuchen Sie
auf sich zu achten, dann werden Sie sehen, daß Sie diese
Tatsache des Okkultismus bewahrheitet finden. Es ist
außerordentlich wichtig, eine solche Tatsache ins Auge zu
fassen, einfach aus dem Grunde, weil diese Tatsache sich
allmählich ausbildet zu einer ganz bestimmten
Empfindungsfähigkeit. An seinem Blut bemerkt derjenige,
der in seinem Herzen Anthroposoph geworden ist, den Charakter
einer fremden Stadt. Er braucht gar nicht viel auf anderes
einzugehen: an seinem Blut kann er es schon bemerken, wie die
Gegenden der Erde voneinander verschieden sind. Dagegen sondert
sich wiederum das Nervensystem in einer anderen Weise heraus
aus dem gesamten Organismus. Derjenige, der sich mit
Anthroposophie unter den angegebenen Bedingungen durchdringt,
wird nach und nach bemerken, daß er zum Beispiel den
Unterschied der vier Jahreszeiten, namentlich den Unterschied
von Sommer und Winter, noch in einer ganz anderen Weise
empfindet als der sonstige normale Mensch der Gegenwart. Der
normale Mensch der Gegenwart fühlt an seinem eigenen
physischen Leibe eigentlich im Grunde genommen zumeist doch nur
den Temperaturunterschied. Derjenige, der in der angedeuteten
Weise Anthroposophie zu seinem Seeleninhalt gemacht hat, der
empfindet nicht nur den Temperaturunterschied, sondern getrennt
davon hat er noch ein besonderes Erleben in seinem
Nervensystem, so daß es ihm zum Beispiel leichter wird,
gewisse Gedanken, die an das physische Gehirn gebunden sind, im
Sommer zu fassen als im Winter. Nicht als ob es unmöglich
wäre, im Winter diese oder jene Gedanken zu fassen; aber
man kann deutlich erfahren, daß es im Sommer leichterist
als im Winter, daß sie im Sommer sozusagen leichter
fließen als im Winter. Man kann auch bemerken, daß im
Winter die Gedanken leichter abstrakt und im Sommer leichter
bildhaft, anschaulicher werden. Das kommt davon her, daß
das Werkzeug für den physischen Plan, das Nervensystem, in
feiner Weise mitschwingt mit der Veränderung der
Jahreszeiten, innerlich unabhängiger vom Gesamtorganismus
mitschwingt, als das sonst der Fall ist.
Eine Grundveränderung aber in dem physischen Menschenleib
ist dieses, daß man überhaupt beginnt — was
recht bedenkliche Gestalten annehmen kann —, seinen
physischen Leib stärker zu fühlen als vorher; er wird
gewissermaßen empfindlicher für das Seelendasein, er
wird schwerer erträglich. Es ist außerordentlich
schwierig, sich das ganz klar zu machen, wenn dies
auseinandergesetzt werden soll; allein stellen Sie sich vor ein
Glas, in dem Wasser ist und in dem wäre aufgelöst
Salz, so daß das eine trübe Flüssigkeit
gäbe. Nehmen Sie an — für den normalen Zustand
des Menschen — seinen Ätherleib, Astralleib und sein
Selbst wie die Flüssigkeit, und der physische Leib sei
darin aufgelöst wie das Salz. Jetzt lassen wir die
Flüssigkeit hier im Glase etwas abkühlen. Da wird das
Salz sich langsam herausverhärten, wird schwerer dadurch,
daß es selbständiger wird. So verhärtet sich
heraus aus dem gesamten Gefüge der vier Glieder der
menschlichen Wesenheit der physische Leib; er schrumpft ein,
wenn auch in geringfügigem Maße. Das ist durchaus
wörtlich zu nehmen. Er schrumpft in einer gewissen Weise
ein. Nur müssen Sie sich das nicht stark vorstellen, so
daß man nicht zu fürchten hat, daß der Mensch
durch anthroposo-phische Entwicklung die allerstärksten
Runzeln bekommt. Dieses Einschrumpfen ist ein
In-sich-Dichterwerden. Dadurch aber zeigt er sich eigentlich
erst als etwas, woran man schwerer zu tragen hat als vorher.
Man empfindet ihn unbeweglicher als vorher. Dazu kommt,
daß die anderen Glieder nun leichter beweglich sind. So
empfindet man das, was man vorher eigentlich, wenn es ganz
gesund war, gar nicht empfunden hat an sich, wozu man ganz
behaglich Ich gesagt hat, das empfindet man nachher als etwas,
was man wie schwerer geworden an sich trägt, was man
anfängt zu verspüren in seiner Gänze. Und
insbesondere fängt man an, in seinem Leibe alle diejenigen
Einschlüsse zu verspüren, welche sozusagen innerhalb
dieses physischen Leibes ein gewisses, von vornherein
selbständiges Dasein führen. Und hier kommen wir auf
eine Frage, die eigentlich nur in diesem Zusammenhang zum
vollen Verständnis gebracht werden kann — aber
selbstverständlich wird damit keine Agitation getrieben,
sondern nur die Wahrheit hingestellt —, wir kommen auf
die Frage der Fleischkost.
Da
müssen wir uns einmal, weil wir es hier mit dem physischen
Leib zu tun haben, einlassen auf die Beschreibung des Wesens
der Fleisch- und auch der Pflanzennahrung, der Nahrung
überhaupt. Das alles soll eine Episode bilden bei der
Besprechung der Einflüsse anthroposophischen Lebens auf
die Hüllen des Menschen, was so charakterisiert werden
kann, daß es genannt wird die Ergänzung, die
Regeneration dieses physischen Leibes von außen herein
durch das, was er an äußerer Substanz aufnimmt. Man
versteht das Verhältnis des Menschen zu seinen
Nahrungsmitteln dann recht, wenn man das Verhältnis des
Menschen zu den übrigen Naturreichen, zunächst zum
Pflanzenreich ins Auge faßt. Das Pflanzenreich, als ein
Reich des Lebens, führt die anorganischen Stoffe, die
leblosen Stoffe bis zu einer gewissen Organisation herauf.
Daß die lebendige Pflanze werde, das setzt voraus,
daß die leblosen Stoffe in einer gewissen Weise —
wie eben in einem lebendigen Laboratorium — verarbeitet
werden bis zu einer gewissen Stufe der Organisation herauf. So
daß wir in der Pflanze ein Lebewesen vor uns haben,
welches die leblosen Naturprodukte bis zu einer gewissen Stufe
der Organisation bringt. Der Mensch ist nun so organisiert als
physischer Organismus, daß er in der Lage ist, den
Organisationsprozeß da aufzunehmen, bis wohin die Pflanze
ihn gebracht hat, und dann ihn von dem Punkte an
weiterzuführen, so daß der höhere
Menschenorganismus entsteht, wenn der Mensch das, was die
Pflanze bis zu einem gewissen Grade organisiert hat,
weiterorganisiert. Es verhalten sich die Dinge ganz genau so,
daß dann eigentlich eine vollständige Kontinuation da
ist, wenn der Mensch einen Apfel oderein Baumblatt
abpflückt und ißt. Das ist die vollständigste
Kon-tinuation. Würden alle Dinge so vorliegen, daß
immer das Alier-natürlichste könnte getan werden, so
würde man sagen können: Das Natürlichste
wäre, daß der Mensch einfach den
Organisationsprozeß da fortsetzt, wo ihn die Pflanze
stehengelassen hat, das heißt die Pflanzenorgane so nimmt,
wie sie sich draußen darbieten, und von da aus in sich
selber weiterorganisiert. Das würde eine gerade Linie der
Organisation geben, die nirgends irgendwie durchbrochen
wäre: von der leblosen Substanz bis zur Pflanze, bis zu
einem gewissen Punkt der Organisation, und von diesem Punkt bis
zum menschlichen Organismus hindurch.
Nehmen wir nun gleich das Gröbste: der Mensch genießt
das Tier. Im Tier haben wir ein Lebewesen vor uns, welches den
Organisationsprozeß auch schon weiterführt als die
Pflanze, bis zu einem gewissen Punkte über die
Pflanzenorganisation hinausführt. So daß wir von dem
Tiere sagen können, es setzt den Organisationsprozeß
der Pflanze fort. Nehmen wir nun an, der Mensch ißt das
Tier. Da tritt in einer gewissen Weise das Folgende ein: der
Mensch hat jetzt nicht nötig, das an inneren Kräften
anzuwenden, was er hätte anwenden müssen bei der
Pflanze. Hätte er da angefangen, die Nahrungsmittel
organisieren zu müssen, wo die Pflanze aufgehört hat,
dann hätte er eine gewisse Summe von Kräften anwenden
müssen. Die bleibt nun ungenützt, wenn er das Tier
ißt; denn das Tier hat die Organisation der Pflanze schon
bis zu einem gewissen höheren Punkte heraufgeführt;
erst da braucht der Mensch jetzt anzufangen. Wir können
also sagen: Der Mensch setzt nicht die Organisation da fort, wo
er sie fortsetzen könnte, sondern er läßt
Kräfte, die in ihm sind, ungenützt und setzt
später die Organisation fort; er läßt sich von
dem Tiere einen Teil der Arbeit abnehmen, den er leisten
müßte, wenn er die Pflanze genießen würde.
Nun besteht das Wohlsein eines Organismus nicht darin, daß
er möglichst wenig leistet, sondern darin, daß er
alle seine Kräfte wirklich in Tätigkeit bringt. Wenn
der Mensch tierische Nahrung zu sich nimmt, so macht er mit
denjenigen Kräften, welche organische Tätigkeiten
entwickeln würden, wenn er nur Pflanzen äße,
etwas ähnliches, wie wenn erauf seinen linken Arm
verzichten würde, ihn anbinden würde, so daß er
nicht benützt werden kann. So bindet der Mensch, wenn er
Tiere ißt, innere Kräfte an, die er sonst aufrufen
würde, wenn er nur Pflanzen äße. Er verurteilt
also eine gewisse Summe von Kräften in sich zur
Untätigkeit. Alles, was so zur Untätigkeit im
menschlichen Organismus verurteilt wird, bewirkt zugleich,
daß die betreffenden Organisationen, welche sonst
tätig wären, brachgelegt werden, gelähmt,
verhärtet werden. So daß der Mensch einen Teil seines
Organismus tötet oder wenigstens lahmt, wenn er das Tier
genießt. Diesen Teil seines Organismus, den der Mensch so
in sich verhärtet, den trägt er dann mit durch das
Leben wie einen Fremdkörper. Diesen Fremdkörper
fühlt er im normalen Leben nicht. Wenn aber der Organismus
so innerlich beweglich wird und seine Organsysteme voneinander
unabhängiger werden, so wie es im anthroposophischen Leben
geschieht, dann beginnt der physische Leib, der ohnedies schon,
wie wir charakterisiert haben, sich unbehaglich fühlt,
sich noch unbehaglicher zu fühlen, weil er ja jetzt einen
Fremdkörper in sich hat.
Wie
gesagt, es soll nicht agitiert, sondern nur die Wahrheit an
sich hingestellt werden. Und wir werden andere Wirkungen der
tierischen Nahrung noch kennenlernen; wir werden diesmal
genötigt sein, dieses Kapitel ausführlich zu
besprechen. Daher also kommt es, daß Fortschritt an
innerem anthroposophischem Leben allmählich eine Art von
Ekel erzeugt an tierischer Nahrung. Nicht als ob man dem
Anthroposophen die tierische Nahrung verbieten müßte;
sondern das gesund fortschreitende Instinktleben wehrt sich
nach und nach gegen die tierische Nahrung und mag sie auch
nicht mehr; und das ist auch viel besser, als wenn der Mensch
aus irgendeinem abstrakten Grundsatz heraus Vegetarier wird.
Das beste ist, wenn die Anthroposophie den Menschen dazu
bringt, eine Art Ekel und Abscheu vor der Fleischnahrung zu
haben, und es hat nicht viel Wert in bezug auf das, was man
seine höhere Entwicklung nennen kann, wenn der Mensch auf
andere Weise sich die Fleischnahrung abgewöhnt. So
daß man sagen kann: Die tierische Nahrung bewirkt in dem
Menschen etwas, was für den physischenLeib des Menschen
eine Last wird, und diese Last wird empfunden. Das ist der
okkulte Tatbestand von einer Seite.
Von
einer anderen Seite werden wir ihn noch charakterisieren. Ich
möchte als anderes Beispiel noch den Alkohol
erwähnen. Auch das Verhältnis des Menschen zum
Alkohol ist einer Veränderung unterworfen, wenn der Mensch
sich innerlich lebendig, ernst mit Anthroposophie durchdringt.
Der Alkohol nämlich ist ja etwas noch ganz Besonderes
sozusagen in den Reichen der Natur. Er erweist sich nicht nur
als eine Last-Erzeugung im menschlichen Organismus, sondern er
erweist sich direkt als oppositionelle Gewalt im menschlichen
Organismus erzeugend. Denn wenn wir die Pflanze betrachten, so
bringt sie es in ihrer Organisation bis zu einem gewissen Punkt
— mit Ausnahme der Weinrebe, die es über diesen
Punkt hinausbringt. Was die übrigen Pflanzen sich einzig
und allein aufsparen für den jungen Keim, alle die
Triebkraft, die sonst nur für den jungen Keim aufgespart
wird und nicht in das übrige der Pflanze sich
ergießt, das ergießt sich bei der Weintraube auch in
einer gewissen Weise in das Fruchtfleisch; so daß durch
die sogenannte Gärung, durch die Verwandlung dessen, was
sich da in die Weintraube hineinergießt, was in der Traube
selbst zur höchsten Spannung gebracht worden ist, etwas
erzeugt wird, was in der Tat innerhalb der Pflanze eine Gewalt
hat, welche nur verglichen werden kann okkultistisch mit der
Gewalt, die das Ich des Menschen über das Blut hat. Was
also bei der Weinerzeugung entsteht, was bei der
Alkoholerzeugung sich immer bildet, ist, daß in einem
anderen Naturreich dasjenige erzeugt wird, was der Mensch
erzeugen muß, wenn er von seinem Ich aus auf das Blut
wirkt.
Wir
wissen ja, daß eine innige Beziehung besteht zwischen dem
Ich und dem Blut. Sie kann schon äußerlich
charakterisiert werden dadurch, daß wenn im Ich Scham
empfunden wird, die Schamröte dem Menschen ins Gesicht
steigt, wenn in dem Ich Furcht, Angst empfunden wird, der
Mensch erblaßt. Diese Wirkung von dem Ich auf das Blut,
die aber auch sonst vorhanden ist, die ist okkultistisch ganz
ähnlich derjenigen Wirkung, welche entsteht, wenn der
Pflanzenprozeß zurückgebildet wird, so daß das,
was in demFruchtfleisch der Weintraube ist oder was
überhaupt aus dem Pflanzlichen kommt, zum Alkohol
umgebildet wird. Das Ich muß, wie gesagt, normal einen
ganz ähnlichen Prozeß im Blut erzeugen —
okkultistisch gesprochen, nicht chemisch —, wie erzeugt
wird durch das gleichsam Rückgängigmachen des
Organisationsprozesses, durch das bloße Chemischmachen des
Organisationsprozesses, wenn Alkohol erzeugt wird. Die Folge
davon ist, daß wir durch den Alkohol etwas in unseren
Organismus einführen, was von der anderen Seite her so
wirkt, wie das Ich auf das Blut wirkt. Das heißt, wir
haben ein Gegen-Ich in dem Alkohol in uns aufgenommen, ein Ich,
das direkt ein Kämpfer ist gegen die Taten unseres
geistigen Ich. Von der anderen Seite her wird auf das Blut
gerade so gewirkt durch den Alkohol, wie von dem Ich auf das
Blut gewirkt wird. So daß wir also einen inneren Krieg
entfesseln und im Grunde alles das, was von dem Ich ausgeht,
zur Machtlosigkeit verdammen, wenn wir ihm einen
Gegenkämpfer entgegenstellen im Alkohol. Dies ist der
okkulte Tatbestand. Derjenige, welcher keinen Alkohol trinkt,
sichert sich die freie Möglichkeit, von seinem Ich aus auf
das Blut zu wirken; derjenige, der Alkohol trinkt, der macht es
gerade so wie jemand, der eine Wand einreißen will und
nach der einen Seite schlägt, gleichzeitig aber auf der
anderen Seite Leute aufstellt, die ihm entgegenschlagen. Ganz
genau so wird durch den Genuß des Alkohols eliminiert die
Tätigkeit des Ich auf das Blut.
Daher empfindet derjenige, welcher Anthroposophie zu seinem
Lebenselement macht, die Arbeit des Alkohols im Blute als
direkten Kampf gegen sein Ich, und es ist daher nur
natürlich, daß eine wirkliche geistige Entwicklung
nur leicht vor sich gehen kann, wenn man ihr nicht diese
Widerlage schafft. Wir sehen gerade aus diesem Beispiel, wie
das, was ja sonst auch vorhanden ist, durch das veränderte
Gleichgewicht, welches eintritt im physischen Leib, für
den Esoteriker oder Anthroposophen wahrnehmbar wird.
Auch in vielen anderen Beziehungen verselbständigen sich
die einzelnen Organe und Organsysteme des menschlichen
physischen Organismus, und diese Verselbständigung
können wir auch dadurch kennzeichnen, daß
Rückenmark und Gehirn viel unabhängiger voneinander
werden. Wir werden von der Nahrung, von der okkulten
Nahrungsphysiologie morgen noch weiterreden; ich will aber
heute mehr bei dem Thema der Verselbst'ändigung bleiben.
Diese Unabhängigkeit des Rückenmarkes vom Gehirn kann
dadurch zutage treten, daß in der Tat durch eine innere
Durchdringung der Seele mit Anthroposophie nach und nach der
Mensch in die Lage kommt, an seinem physischen Leibe zu
empfinden, als ob dieser physische Organismus an sich
größere Selbständigkeit gewänne. Das kann
wiederum ganz unbehagliche Situationen geben. Daher ist es um
so notwendiger, daß man die Sache weiß. Es kann sich
zum Beispiel herausstellen, daß, während man sich
sonst in der Gewalt hat, wie man das so gewöhnlich nennt,
derjenige, der weiterkommt, an sich plötzlich merkt, wie
er manche Worte sagt, ohne daß er so recht die Absicht
hatte, diese Worte zu sagen. Er geht auf der Straße;
plötzlich merkt er, daß er ein Wort ausgesprochen
hat, das vielleicht ein Lieblingswort von ihm ist, das er
unterlassen hätte auszusprechen, wenn er nicht jene
Verselbständigung durchgemacht hätte, die man
diejenige des Rückenmarkes gegenüber dem Gehirn
nennt. Was sonst gehemmt wird, das wird zu bloßen
Reflexerscheinungen durch die Verselbständigung des
Rückenmarkes gegenüber dem Gehirn. Aber im Gehirn
selber wird ein Teil verselbständigt gegenüber dem
ändern Teil: nämlich die inneren Partien des Gehirns
werden selbständiger gegenüber den äußeren
umlagernden Partien, während diese letzteren mehr mit den
inneren Partien zusammenarbeiten im normalen Leben. Das zeigt
sich dadurch, daß für den Esoteriker oder wirklichen
Anthroposophen das abstrakte Denken schwerer wird, schwieriger
wird, als es vorher war, an dem Gehirn allmählich einen
Widerstand findet. Bildlich zu denken, mehr sozusagen sich
imaginativ vorzustellen, das wird leichter bei dem sich
entwickelnden Anthroposophen, als daß er abstrakt
denkt.
Das
ist etwas, was bei manchem besonders eifrigen Anthroposophen
sogar sehr bald leicht bemerkbar wird. Es stellt sich eine
Vorliebe für nur anthroposophische Betätigung ein.
Die Leute fangen an, nur mehr Anthroposophisches gerne zu lesen
und zu denken, nicht bloß aus dem Grunde, weil sie eifrige
Anthroposophen sind, sondern weil es ihnen leichter wird, sich
in diese mehr spirituellen Vorstellungen hineinzufinden,
welche, soweit der physische Plan in Betracht kommt, die
mittleren Partien des Gehirns beanspruchen, während das
abstrakte Denken die äußeren Partien des Gehirns
beansprucht. Daher kommt die Abneigung gerade manches
übereifrigen Anthroposophen gegenüber abstraktem
Denken und abstrakter Wissenschaft. Daher kommt es auch
wiederum, daß einzelne Anthroposophen mit einer gewissen
Wehmut bemerken, wie sie früher gut abstrakt haben denken
können und wie gerade dieses abstrakte Denken anfängt
schwieriger zu werden.
So
werden die einzelnen Organe in sich lebendiger und
selbständiger, und sogar einzelne Organteile werden
lebendiger und selbständiger. Sie können daraus
ersehen, daß sozusagen etwas Neues eintreten muß bei
dem Menschen, der solches durchmacht. Früher war es eine
gütige Natur, die ohne sein Zutun seine Organe in die
richtige Verbindung gebracht hat; jetzt werden diese Organe
selbständiger, kommen in ein unabhängiges
Verhältnis zueinander. Jetzt muß er mehr von innen
heraus die Kraft haben, die Organe wirklich wiederum zu einer
Harmonie aufzurufen. Dieses Aufrufen der Organe und Organteile
zu einer Harmonie erreicht man dadurch, daß bei jedem
ordentlichen Betreiben des Anthroposophi-schen alles das
immerfort betont wird, was die Herrschaft des Menschen
über seine selbständiger gewordenen Organe
erhöht. Warum spielt eigentlich innerhalb unserer
Literatur etwas eine so große Rolle, wovon manche Menschen
einfach sagen: Ach, das ist aber doch furchtbar schwierig!
— Ich mußte schon oft eine sehr eigentümliche
Antwort geben, wenn gesagt wurde: Für Anfänger ist
das Buch «Theosophie» doch eigentlich zu schwierig.
— Ich mußte sagen: Es durfte nicht leichter sein.
Hätte man es leichter gemacht, so hätten die Leute
zwar gewisse anthroposophische Wahrheiten in ihr Inneres
aufgenommen, die wirken, auch zur Verselbständigung der
einzelnen Gehirnpartien; aber es ist dieses Buch in einer
ordentlichen Gedankenstruktur konstruiert, damit auch die
andere Partie des Gehirns fortwährend genötigt ist,
wirklich sich zu üben, nicht sozusagen
zurückzubleiben. Das ist das Eigentumliehe, das bei einer
solchen Bewegung, die auf einer okkulten Grundlage beruht,
notwendig macht, nicht nur zu achten auf das, was im abstrakten
Sinn das Richtige ist, und das einfach zu verkündigen in
jeder beliebigen Weise; sondern es ist notwendig, es in einer
gesunden Weise zu verkündigen und in ehrlichster Weise
darauf zu achten, daß nicht um der Popularität willen
die Sache so verkündet wird, daß sie in ihrer
Verkündigung zugleich zum Schaden gereichen könne. In
der Anthroposophie kommt es nicht bloß darauf an, daß
die entsprechenden Wahrheiten in Büchern und in Reden
mitgeteilt werden, sondern es kommt darauf an, wie sie
geschrieben und wie sie mitgeteilt werden. Und um so
besser ist es, wenn diejenigen, die sich zum Träger einer
solchen Bewegung machen wollen, sich nicht um der
Popularität willen abhalten lassen, dies oder jenes
durchzuführen. Mehr als auf jedem anderen Gebiete handelt
es sich auf diesem um das Bekenntnis zur reinen und ehrlichen
Wahrheit. Und gerade wenn man auf solche Fragen eingeht wie die
Veränderung der menschlichen Hülle durch
anthroposo-phisches Leben, da bemerkt man erst, wie notwendig
es ist, Anthroposophie in richtiger Weise vor die Welt zu
bringen.
Ich
möchte nur bemerken, daß die Vorträge, die ich
halten werde, als ein Ganzes zu nehmen sind und daß daher
manches Bedenkliche, was beim ersten Vortrag in dieser oder
jener Seele auftreten könnte, schon behoben werden
wird.
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