ERSTER VORTRAG
Dornach, 9. August 1919
Nach einer Arbeit, die tief hineinsehen ließ in dasjenige,
was gegenwärtig vorgeht in Menschengemütern, was
gegenwärtig besteht an innerer Tragik der
Menschheitsentwickelung, kann ich wiederum einige Tage hier an
diesem Orte sein, der ja so eng verbunden ist mit jener
Tätigkeit, von der wir doch glauben müssen, daß
sie abgeben kann die Kraft, die heutige Tragik der Menschheit
wiederum in ein hoffnungsvolleres Fahrwasser nach und nach
umzuentwickeln.
Zu
keiner Zeit vielleicht war eigentlich weniger Neigung
vorhanden, in wahrem und echtem Sinne des Wortes die Seele zu
erheben zu den geistigen Welten, und notwendig ist es ganz
besonders in dieser Zeit, die Seele zu erheben zu den geistigen
Welten. Denn nur aus diesen geistigen Welten kann dasjenige
kommen, was der gegenwärtigen Menschheit Kraft geben kann,
weiter den Lebenspfad als ganze Menschheit zu gehen. Die
Probleme, die Aufgaben, die der Gegenwart gestellt sind, von
ihnen glaubt man heute in weitesten Kreisen, daß man sie
lösen kann mit den Gedanken, mit den Impulsen, welche
herzunehmen sind aus dem äußerlichen menschlichen
Wissen. Wie lange es noch dauern kann, bis ein genügend
großer Teil der Menschheit sich zu der Überzeugung
durchringt, daß nur auf dem geistigen Wege ein wirkliches
Heil zu erreichen ist, das ist heute eigentlich
außerordentlich schwer zu sagen, schon aus dem Grunde,
weil das Nachdenken gerade über diese Frage eigentlich
nicht besonders fruchtbar ist. Aber sicher ist das andere,
daß nur wird weitergeschritten werden können, wenn
diese Überzeugung, daß nur aus den geistigen Welten
die Rettung kommt, in einer genügend großen Anzahl
von Menschen wirklich durchgedrungen ist.
Was
die Menschen heute in weitesten Kreisen beschäftigt,
worüber aber doch ernstlich nachzusinnen den Menschen vor
allen Dingen die intellektuelle Kraft fehlt, weil die
intellektuelle Kraft in der gegenwärtigen Zeit fast wie
gelähmt ist bei einem großen Teil der Menschheit, das
sind ja die sozialen Probleme. Und der Glaube herrscht,
daß man diese sozialen Probleme mit dem, was man heute
Wissen und Erkenntnis nennt, bewältigen könne. Man
wird sie nicht bewältigen können, man wird sie
niemals bewältigen können, wenn sie nicht in Angriff
genommen werden vom Gesichtspunkte geistiger Erkenntnis.
Wir
haben einen langen Waffenkampf durchgemacht. An diesen langen
Waffenkampf wird sich anschließen ein wahrscheinlich recht
lange dauernder Kampf der Menschheit überhaupt, Viele
Leute haben gesagt: Dieser Waffenkampf, wie er erlebt worden
ist über die zivilisierte Welt hin, er war das
furchtbarste Ereignis dieser Art seit der Zeit, da man
überhaupt von einer menschlichen Geschichte
spricht.—Man kann nicht sagen, daß dieses Urteil
unrichtig ist. Der Kampf, der mit diesen und jenen Mitteln
auszufechten sein wird, der sich an diesen Waffenkampf
anschließen wird zwischen Orient und Okzident, zwischen
Asien, Europa und Amerika, dieser Kampf wird wohl der
größte Geisteskampf werden, welchen wiederum die
Menschheit auszufechten hat. All dasjenige, was selbst durch
das Christentum an Impulsen und Kräften in die Menschheit
eingeflossen ist, das wird in gewaltigen, elementaren
Kampfeswogen die Zivilisation überspülen.
Man
kann heute, ich möchte sagen, auf eine einfache Formel
bringen, worinnen der große Gegensatz liegt zwischen dem
Orient und dem Okzident. Aber diese einfache Formel —
nehmen Sie sie nicht einfach, Diese einfache Formel
schließt ungeheure Weiten menschlicher Impulse ein, Sie
wissen, ich habe in meinem Buche «Die Kernpunkte der
sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und
Zukunft» aufmerksam darauf gemacht, daß für
weite Kreise der gegenwärtigen Menschheit das Geistesleben
eine Ideologie geworden ist, daß dasjenige, was geistige
Güter der Menschheit sind, Recht, Sitte, Wissenschaft,
Kunst, Religion und so weiter, so angesehen wird, daß das
nur der Rauch gewissermaßen ist, der aufsteigt aus der
einzig wahren Wirklichkeit, aus der ökonomischen
Produktionsweise, aus dem wirtschaftlichen Untergrund.
Über solche Dinge habe ich ja zu Ihnen auch gesprochen,
als ich vor mehreren Monaten hier von Ihnen Abschied nahm.
Ideologie — erwidern einem heute weite Kreise, wenn man
von Geistesleben spricht; es ist alles das, was sich aus der
einzigen Wirklichkeit, aus der ökonomischen Wirklichkeit,
aus der Wirtschaftswirklichkeit spiegelt in der menschlichen
Seele, nur Ideologie, — Man hat heute viel Grund,
nachzudenken darüber, was dieses Wort Ideologie eigentlich
in der Weltkultur bedeutet. Und es bedeutet sehr viel. Man kann
dieses Wort mit keinem anderen in einen näheren
Zusammenhang bringen, als mit dem Worte Maja der orientalischen
Weisheit. Maja richtig ins Abendländische übersetzt,
bedeutet Ideologie. Und jede andere Übersetzung von Maja
ist ungenauer als die Übersetzung mit Ideologie. So
daß man sagen kann: im Grunde genau dasselbe begrifflich
oder ideenhaft, was der Morgenländer sich vorstellt bei
dem Worte Maja, das stellt sich ein großer Teil der
abendländischen Menschheit vor bei dem Worte Ideologie.
Aber welch gewaltiger Unterschied! Was denkt der
Morgenländer bei dem Worte Maja? Er denkt, die
äußere Sinneswelt ist die Maja, alles dasjenige, was
an unsere Sinne herankommt und an den an die Sinne gebundenen
Verstand, das ist die Maja, das ist die große
Täuschung. Und die einzige Wirklichkeit ist dasjenige, was
in der Seele aufsteigt, Das Seelisch-Geistige, zu dem sich der
Mensch durchringt, das ist dasjenige, was Wirklichkeit ist; was
im menschlichen Inneren aufquillt und aufsprießt, das ist
Wirklichkeit. Das, was sich den Sinnen äußerlich
darbietet, ist Maja, ist Ideologie.
Und
über einen großen Teil der abendländischen
Menschheit breitet sich die andere Überzeugung aus: Die
einzige Wirklichkeit ist dasjenige, was den äußeren
Sinnen erscheint. Das ist die Wirklichkeit. Genau dasjenige,
was der Morgenländer Maja nennt, das ist für einen
großen Teil der abendländischen Menschheit die
Wirklichkeit. Und was der Orientale die Wirklichkeit nennt,
dasjenige, was innerlich aufsprießt, was innerlich
aufquillt in der Seele, das ist für einen großen Teil
der abendländischen Menschheit Ideologie, Maja, Sie sehen
einen großen Gegensatz, Was der Orientale die Wirklichkeit
nennt, nennt Europa und Amerika heute schon die Maja: Ideologie
ist dasselbe. Dasjenige, was der Abendländer mit Amerika,
mit dem amerikanischen Nachwuchs, die Ideologie, die Maja
nennt, das ist für den Orientalen Wirklichkeit.
Das
frißt tief in den Seelen der Menschen, das macht die
Menschen über die Erde hin zu zwei ganz verschiedenen
Wesensarten. Wenn Sie überblicken dasjenige, was geschehen
ist über die zivilisierte Welt, so werden Sie sich sagen,
hoffentlich heute schon sagen: Im Grunde ist alles das, was
gesprochen wird über Ursache und Veranlassungen dieser
Weltkatastrophe eigentlich auf der Oberfläche schwimmend,
Oberflächenansicht. Dasjenige, was sich ausgeprägt
hat in diesem furchtbaren Kampf, das ist etwas, was wie
elementar aus unbewußten Tiefen heraufgezogen ist. Die
Menschen haben daran teilgenommen, man sieht es heute ganz
genau, sie wußten nicht warum im Grunde; es ist dasjenige,
was dieser Gegensatz, der noch lange nicht ausgetragen ist, an
elementaren Kräften an die Oberfläche geschwemmt hat.
So stark ist das antisoziale Element in der Gegenwart, daß
die Menschheit in diese zwei wesensverschiedenen Glieder
zerfällt.
Und
bringen Sie das, was ich eben gesagt habe, mit anderem in
Zusammenhang, so werden Sie finden, wenn Sie nach Westen
schauen, daß das Streben des Westens nach Freiheit geht
— ob man diese Freiheit versteht oder mißversteht,
es kommt weniger darauf an —, das Streben geht nach
Freiheit; und wie aus dunklen Untergründen der
Menschenseele herauf, wühlt sich das Bedürfnis nach
Freiheit.
Blicken Sie nach dem Osten: Dasjenige, was man im Westen die
Freiheit nennt, für den Osten hat es eigentlich keinen
rechten Sinn; es ist wie etwas, womit man überhaupt keine
Begriffe, keine Empfindungen verbindet. Dasjenige, was man am
intensivsten erlebt, über das denkt man da nicht nach.
Denken Sie doch nur einmal, wie wenig die Menschen über
Naturerscheinungen nachdenken, die sie unmittelbar im Alltag
umgeben! Über das allernächst Erlebte denken die
Menschen ja nicht nach. Der Orientale, indem er die ihm
gemäße Wirklichkeit verfolgt, die innere
Wirklichkeit, er lebt in der Freiheit, die ihm eben werden kann
nach seinen Rassen-, Volks- und Stammeseigentümlichkeiten.
Er denkt nicht darüber nach. Je weiter man nach Westen
blickt, desto mehr ist im Lauf der geschichtlichen Entwickelung
der Menschheit die Freiheit verlorengegangen: weil sie sie
nicht hat, muß sie danach streben.
Und
so könnte man vieles, vieles anführen, man würde
in allem finden diesen fundamentalen Gegensatz zwischen dem
Westen und dem Osten. Es kündigt sich bereits an
dasjenige, was vielleicht schon die nächsten Jahre bringen
werden, Augenblicklich sind es nur äußere Symptome,
äußere Symptome, die in Asien vorgehen, über die
Europa heute noch schweigt — schweigt aus
wohlverstandenen Gründen. Daß zum Beispiel in Indien
fast mehr als die Hälfte der Bevölkerung halb
verhungert ist, das wird aus der Geistigkeit heraus gerade des
indischen Volkes etwas gebären, was noch ganz anderes
darstellen wird, als dasjenige, was sich in Europa abgespielt
hat. Das sind äußere Symptome. Aber auch mit Bezug
auf diese äußeren Symptome sind die Menschen heute in
zwei wesensverschiedene Glieder getrennt. Für den Inder
bedeutet der Hunger etwas ganz anderes als für den
Europäer, denn der Inder hat eine Jahrtausende alte andere
seelische Entwickelung hinter sich als der Europäer. Diese
Dinge, sie müssen heute scharf ins Auge gefaßt werden
von dem, der etwas verstehen will von dem Gang der
Menschheitsentwickelung. Wir müssen uns heute klar sein
darüber, daß dasjenige, was man gewöhnlich die
soziale Frage nennt, etwas viel Komplizierteres ist, als man
gewöhnlich meint. Diese soziale Frage, sie ist ja eine
Begleiterscheinung jener Kultur, die heraufgekommen ist seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ich habe von diesem bedeutsamen
Einschnitt in die Geschichte der zivilisierten Menschheit in
der Mitte des 15. Jahrhunderts immer wieder und wiederum auch
zu Ihnen hier gesprochen. Seit dieser Zeit kam allmählich
herauf die neuere Färbung der Naturwissenschaft. Seit
dieser Zeit kam aber auch herauf die neuere Färbung des
Industrialismus. Naturwissenschaft und Industrialismus
zusammen, die bedeuten dasjenige, was sich über die
moderne Menschheit ausgegossen hat, und was der modernen
Menschheit die besondere Richtung ihres Geistes gegeben
hat.
Ich
habe auch hier in der Schweiz zu Ihnen gesprochen von der
besonderen Artung der Naturwissenschaft, habe Ihnen gesagt,
daß gescheite Leute, die heute nachdenken über das,
was die Naturwissenschaft geben kann, schon sagen: Dasjenige,
was die neuere Naturanschauung überliefert, ist nicht die
Welt, es ist ein Gespenst von der Welt. — Alles das, was
die Naturforscher ausgedacht haben, und was heute populäre
Bildung ist, viel mehr populäre Bildung ist als diese
Menschen glauben, das ist Glaube, eigentlich Aberglaube an eine
gespenstische Welt. Und an die Seite dieser gespenstischen Welt
ist dasjenige gestellt, was aus dem modernen Industrialismus an
geistiger Wirksamkeit über die Menschen gekommen ist, Der
Industrialismus, man muß ihn in seiner geistigen Bedeutung
einmal ins Auge fassen. Nehmen Sie dasjenige, was den
Industrialismus vorzugsweise beherrscht, die Maschine. Die
Maschine unterscheidet sich von allem übrigen, mit dem es
der Mensch zu tun haben kann in seinem äußeren Leben.
Ich bitte Sie, betrachten Sie das Tier. Sie werden, indem Sie
Ihre wissenschaftlichen oder sonstigen Erkenntnisgedanken auf
das Tier anwenden — ich will gar nicht vom Menschen in
dem heutigen Zusammenhang sprechen —, noch so viel
über das Tier erforschen können, es bleibt immer
etwas, ich möchte sagen, Göttlich-Tiefes im Tiere;
Sie schöpfen es nicht aus, Sie kommen nicht dahinter.
Hinter das, was Sie über das Tier denken, stellt sich
immer etwas, was Ihnen unbekannt bleibt. Bei der Pflanze ist es
nicht weniger. Und nehmen Sie selbst den Kristall, nehmen Sie
die wunderbaren Formen der Kristallwelt, Sie werden sich sagen
müssen: Gewiß, man kann das Äußerste
begreifen in der Kristallwelt, in ihren Formen und so weiter,
wenn man auf diese Sache hin geschult ist, aber es bleibt noch
hinlänglich vieles von dem, was der Mensch verehren kann
als dasjenige, zu dem er nicht mit dem unmittelbaren,
unhellseherischen Verstande dringt,
Nehmen Sie die Maschine, sie ist durch und durch durchsichtig.
Man weiß: die Kraft setzt so ein, der Zapfen sitzt so und
so in der Öffnung drinnen, die Reibung ist eine so und so
große, man kann den Nutzeffekt berechnen, wenn man die
einzelnen Elemente kennt — nichts ist hinter der
Maschine, welches auffordert dazu, sich zu sagen: Da ist etwas,
was nicht durchdrungen werden kann mit dem gewöhnlichen
unseherischen menschlichen Verstande. Das bedeutet für den
Verkehr des Menschen mit der Maschine sehr viel. Und wenn man
wiederum einmal vor Tausenden und Tausenden von Menschen
gestanden hat, die es mit der Maschine zu tun haben, dann
weiß man, was in die Seelen der Menschen
hineinträufelt von dieser geistig durchsichtigen Maschine,
von dieser Maschine, die nichts hinter sich hat, was irgendwie
vielleicht für den unseherischen Verstand nur geahnt oder
nicht durchschaut werden könnte. Das macht den Verkehr mit
der Maschine so verheerend für den Menschen, daß die
Maschine geistig-seelisch so durchsichtig ist; daß alles,
was an Kräften und Kräftezusammenhängen in der
Maschine ist, so wasserklar daliegt vor den menschlichen Sinnen
und dem menschlichen Verstande. Das ist das, was Herz und Seele
der Menschen aussaugt, was den Menschen trocken macht, was den
Menschen unmenschlich macht.
Und
Naturwissenschaft und Maschine zusammen, sie bedrohen die
zivilisierte Menschheit mit einem dreifachen furchtbar
Zerstörenden. Denn was droht dieser modernen Menschheit,
wenn sie sich nicht aufrafft, nach dem Übersinnlichen
hinzuschauen? In bezug auf die Erkenntnis droht nach und nach
jenes Ideal überhand zu nehmen, welches von Naturforschern
schon ausgesprochen ist, indem sie gesagt haben: Man strebt an,
die Natur so zu erkennen, daß diese Erkenntnis eine
astronomische ist, das heißt der Astronomie nachgebildet
ist, Wenn Sie heute sehen, wie der Chemiker nachdenkt über
das, was im Molekül drinnen ist, so stellt er sich vor,
daß die Atome im Molekül in einer gewissen Weise im
Kräftezusammenhange sind (es wird gezeichnet). Das stellt
er sich nach dem Muster eines kleinen Planeten- und
Sonnensystems vor. Die ganze Welt astronomisch zu
erklären, das wird das Ideal. Und die Astronomie selbst,
was hat sie für ein Ideal? Das ganze Weltengebäude
als eine Maschine anzusehen, — Dazu jenes Tun, jenes
Handeln der Menschen an der Maschine!
Das
sind die Dinge, die immer stärker und stärker gewirkt
haben seit der Mitte des 15, Jahrhunderts, das sind die Dinge,
welche gegenwärtig dem Menschen das eigentlich Menschliche
aussaugen. Wenn die Menschen weiter nur so nachdenken
würden, wie sie über die maschinenhafte Astronomie
und über den Industrialismus, indem sie in ihm arbeiten,
nachdenken, würden die Geister mechanisiert werden, die
Seelen, sie würden schläfrig, vegetarisiert werden,
und die Leiber animalisiert.
Sehen Sie nach Amerika: der Hochpunkt der Mechanisierung der
Geister! Sehen Sie nach dem europäischen Osten, nach
Rußland: jene wilden Triebe und Instinkte, die sich da
ausleben, und die furchtbar sind: Animalisierung des Leibes. In
der Mitte, in Europa die Schläfrigkeit der Seele.
Mechanisierung des Geistes, Vegetarisierung der Seele,
Animalisierung der Leiber, das ist dasjenige, was man sich ohne
Täuschung vorhalten muß.
Es
ist charakteristisch, wie die Menschheit verloren hat —
ich habe das hier schon einmal erwähnt —, verloren
hat auf dem Wege seit der Mitte des 15. Jahrhunderts neben zwei
Lebenselementen das Dritte. Eine mächtige Partei nennt
sich heute «Sozialdemokratie», das heißt:
Sozialismus und Demokratie hat sie zusammengeschweißt,
obwohl sie das Gegenteil voneinander sind. Aber sie hat sich
sie zusammengeschweißt, und sie hat ausgelassen das
Geistige. Denn der Sozialismus kann sich nur auf das
Wirtschaftliche, die Demokratie nur auf das
Staatlich-Rechtliche beziehen; auf das Geistige würde sich
beziehen der Individualismus. Die Freiheit, sie ist ausgelassen
in dem Wort Sozialdemokratie, sonst müßte es
heißen: individuelle oder individualistische
Sozialdemokratie. Dann würden alle drei Dinge als
Menschenforderung in einem solchen Schlagworte zum Ausdrucke
kommen. Aber es ist charakteristisch für die neuere Zeit,
daß dieses Dritte ausgeblieben ist, daß also
gewissermaßen der Geist wirklich zur Maja, zur großen
Täuschung für die zivilisierte Menschheit des Westens
geworden ist, Europas und seines kolonialen Nachwuchses
Amerika. Das sind die Dinge, von denen ausgegangen werden
muß, wenn man Geisteswissenschaft im Sinne einer
großen Kulturfrage betrachtet. Über dasjenige, was in
den Forderungen der Gegenwart lebt, kann eigentlich gar nicht
diskutiert werden. Das sind historische Forderungen. Eine
historische Forderung ist der Sozialismus, er muß nur im
richtigen Sinne verstanden werden. Eine historische Forderung
ist die Demokratie, eine historische Forderung ist aber auch
der Liberalismus, die Freiheit, der Individualismus, wenn auch
diese letztere Forderung von der modernen Menschheit wenig
bemerkt wird. Und die Menschheit wird nicht weiter mitreden
können, ohne daß sie ihren sozialen Organismus im
Sinne der Dreigliederung: des Sozialismus für das
Wirtschaftsleben, der Demokratie für das Rechts- oder
Staats-leben, der Freiheit oder des Individualismus für
das Geistesleben einrichtet.
Das
wird angesehen werden müssen als das einzige Heil, als die
wirkliche Rettung der Menschheit. Aber wir werden uns nicht
täuschen dürfen darüber, daß gerade
deshalb, weil dies intensive, unbesiegliche historische
Forderungen sind für die Gegenwart, sich andere
Forderungen für denjenigen, der die Dinge tiefer
durchblickt, aufstellen. Die erwachsenen Menschen werden in
einem sozialen Organismus leben müssen, der wirtschaftlich
sozial, staatlich demokratisch, geistig liberal aufgerichtet
wird sein müssen.
Die
große Frage für die Zukunft wird sein: Wie werden wir
uns zu benehmen haben gegenüber den Kindern, wenn wir sie
so erziehen wollen, daß sie als Erwachsene in das Soziale,
das Demokratische, in das Liberale in umfassendstem Sinne
hineinwachsen können? Und eine der allerwichtigsten der
sozialen Fragen für die Zukunft, ja schon für die
Gegenwart, ist einmal die Erziehungsfrage. Und auf diese
Erziehungsfrage wurde gerade innerhalb der Geisteswissenschaft
hingedeutet in der Weise, wie es die Menschheit der Gegenwart
wird verstehen müssen, wenn sie vorwärtsdringen will.
Sonst werden die sozialen Forderungen immer chaotisch bleiben,
wenn nicht gesehen wird auf ihrem Grunde die gewaltigste Frage
der Gegenwart: die Erziehungsfrage. Und Sie brauchen, wenn Sie
die großen Richtlinien kennenlernen wollen für
dasjenige, was in der Erziehungsfrage vorliegt, nur zur Hand zu
nehmen das kleine Büchelchen: «Die Erziehung des
Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft.» Eine
der wichtigsten sozialen Fragen der Gegenwart ist mit diesem
Büchelchen auf die Oberfläche der Menschenbetrachtung
gehoben worden: die soziale Erziehungsfrage. Lernen wird man
müssen in weitesten Kreisen der modernen Menschheit
dasjenige, was mit Bezug auf die drei Epochen der
Jugendentwickelung des Menschen aus der Geisteswissenschaft
herausgeholt werden kann.
Sie
wissen, es ist da hingewiesen darauf, wie zwischen der Geburt
und dem 7. Jahre, dem Jahre, das den Zahnwechsel
durchschnittlich bringt, das Menschenwesen ein nachahmendes
Wesen ist, wie das Menschenwesen dasjenige tut, was seine
Umgebung tut. Betrachten Sie schließlich das Kind wirklich
verständig, Sie werden überall finden: Das Kind ist
ein nachahmendes Wesen, es tut dasjenige, was die Großen
tun. Die große Wichtigkeit in dem Kindesleben ist die,
daß die Menschen, die in der Umgebung des Kindes sind, nur
dasjenige tun, was das Kind nachahmen kann, ja, daß sie
nur dasjenige denken und empfinden in der Umgebung des Kindes,
vas das Kind nachahmen kann. Das Kind setzt, indem es durch die
Geburt ins physische Dasein eintritt, nur das fort, was es
erlebt hat in der geistigen Welt vor der Empfängnis. Da
lebt man ja als Menschenwesen in den Wesen der höheren
Hierarchien drinnen; da tut man alles dasjenige, was an
Impulsen aus dem Wesen der höheren Hierarchien kommt. Da
ist man in einem noch viel höheren Grade ein Nachahmer,
weil man in einer Einheit ist mit denjenigen Wesen, die man
nachahmt. Dann wird man in die physische Welt herausgesetzt. Da
setzt man die Gewohnheit, eins zu sein mit der Umgebung, fort.
Diese Gewohnheit erstreckt sich dann darauf, eins zu sein mit
Wesen, oder nachzuahmen diejenigen Wesen, die als Menschen in
der Umgebung sind und für die Erziehung zu sorgen haben,
indem sie dasjenige nur tun und denken und empfinden, was das
Kind nachahmen kann. Es ist um so größeres Heil
für das Kind, je mehr es leben kann nicht in seiner Seele,
sondern in der Seele der Umgebung, in den Seelen der
Umgebung.
In
der Vergangenheit konnten die Menschen, weil ihr Leben mehr ein
instinktives war, auf diese Nachahmung auch instinktiv sich
verlassen. In der Zukunft wird das nicht so sein. In der
Zukunft wird achtgegeben werden müssen darauf, daß
das Kind ein Nachahmer ist. In der Zukunft wird bei der
Erziehung die Frage immerzu beantwortet werden müssen: Wie
gestaltet man am besten das Leben des Kindes so, daß es in
der besten Weise seine Umgebung nachahmt? Alles das, was in der
Vergangenheit geschehen ist in bezug auf dieses Nachahmen, es
wird intensiver und immer intensiver, bewußter und immer
bewußter gefragt werden müssen gegen die Zukunft hin.
Denn die Menschen werden sich eines sagen müssen: Wenn die
Menschen im sozialen Organismus werden erwachsen sein sollen,
so werden sie freie Menschen sein müssen. — Frei
wird man nur, wenn man zuerst als Kind möglichst
intensiver Nachahmer war. Die Kraft, die die
naturgemäße Kraft des Kindes ist, sie muß
intensiv ausgebildet werden gerade für das Zeitalter, in
dem der Sozialismus hereinbrechen wird. Und die Menschen werden
nicht freie Wesen werden, trotz aller Deklamationen und trotz
alles politischen Gewimmers über Freiheit, wenn die
entsprechende Kraft der Nachahmung im Kindesalter nicht
eingepflanzt wird, Denn was im Kindesalter in dieser Weise
eingepflanzt wird, das allein kann die Grundlage für die
soziale Freiheit geben.
Und
Sie wissen: vom 7. Jahre bis zur Geschlechtsreife, bis zum 14.,
15. Jahre lebt im Kinde die Kraft, die man nennen kann das Tun
auf Autorität hin. Es kann dem Kinde kein
größeres Heil widerfahren, als wenn es dasjenige, was
es unternimmt, deshalb tut, weil verehrte Menschen in seiner
Umgebung sagen: Das ist richtig, das soll getan werden. —
Es ist nichts schlimmer für das Kind, als wenn man es zu
früh vor der Geschlechtsreife an sogenanntes eigenes
Urteil gewöhnt. Das Autoritätsfühlen zwischen
dem 7. und 14. Jahre wird in der Zukunft in erhöhtem und
intensiverem Maße ausgebildet werden müssen, als es
in der Vergangenheit ausgebildet war. Bewußter und
bewußter wird alle Erziehung in diesen Jahren geleitet
werden müssen im Sinne eines reinen schönen
Autoritätsgefühles, das im Kinde erwacht; denn
dasjenige, was in diesen Jahren in das Kind hineingepflanzt
werden soll, es soll die Grundlage bilden für das, was die
Erwachsenen im sozialen Organismus erleben sollen als das
gleiche Recht der Menschen. Das gleiche Recht der Menschen wird
nicht anders da sein, denn die Menschen werden nie reif werden
als Erwachsene für das gleiche Recht der Menschen, wenn
sie nicht in der Kindheit das Autoritätsgefühl
eingepflanzt erhalten. In der Vergangenheit mag ein viel
geringerer Grad von Autoritätsgefühl genügt
haben; in der Zukunft wird er nicht genügen. Und stark
wird dieses Autoritätsgefühl in das Kind
hineingepflanzt werden müssen, damit die Menschen reif
werden für das, was als eine geschichtliche Forderung gar
nicht einmal diskutiert werden darf, weil es als eine
geschichtliche Forderung auftritt.
Alles das, was schließlich Volksschulerziehung,
Volksschulunterricht ist in diesem Zeitalter, alles muß so
eingerichtet werden, daß die Menschen zu dieser Höhe
der Anschauung, von der eben gesprochen worden ist,
hinaufkommen können. Ich frage Sie nun: Wie weit ist die
heutige Menschheit nicht nur, wie weit ist die heutige
Lehrerbildung entfernt von der Einsicht in diese Dinge? Wie
muß gearbeitet werden, wenn diese Einsicht Platz greifen
soll? — und sie muß Platz greifen, denn nur in
diesem Platz-Greifen kann das Heil gesucht werden.
Wenn man heute in die Länder kommt, die bereits die erste
Revolution hinter sich haben, was erfährt man in bezug auf
diese Dinge aus Programmen für sogenannte Einheitsschulen?
Ja, was steht in diesen Programmen! Für denjenigen, der
Einsicht hat in die Zusammenhänge der Menschennatur,
für den sind die sozialistischen Erziehungsprogramme ein
wahrhaftiges Schreckbild, das Furchtbarste, was man sich denken
kann. Und das größte Schreckbild, das heute
auszusinnen ist, das Furchtbarste, das vor die Menschheit
hingestellt werden kann, das sind die Schulprogramme, die
Lehrpläne und Lehrgänge, und die Schulverfassung, die
an den Namen Lunatscharski, den Unterrichtsminister in
Rußland, sich knüpft; das ist dasjenige, was sich
aufspielt in Rußland als Erziehungsprogramm, was der Mord
ist alles wirklichen Sozialismus. Aber auch in anderen Gegenden
Europas sind Erziehungsprogramme wahrhaft Krebsschäden,
namentlich die sozialistischen Erziehungsprogramme, denn sie
gehen aus von einem schier unglaublichen Grundsatz; sie gehen
aus von dem Grundsatz, daß man die Schule schon so
einrichten müsse, wie ungefähr im sozialen Organismus
die Erwachsenen leben sollen. Ich habe Schulprogramme gelesen,
in denen als einer der ersten Grundsätze steht: Das
Rektorat soll abgeschafft werden; die Lehrer sollen auf dem
Standpunkt absoluter Gleichberechtigung stehen mit den
Schülern; es soll die ganze Schule aufgebaut sein auf
Kameradschaftlichkeit. Spricht man gegen einen solchen
Grundsatz heute, ich will sagen nur in Süddeutschland, wo
die Dinge viel weniger weit gediehen sind als in anderen
Gegenden Europas, dann wird man hingestellt als jemand, der vom
sozialen Leben überhaupt nichts versteht.
Dennoch, diejenigen Menschen, die es ehrlich meinen würden
mit dem Aufstieg der Menschen zum wirklichen sozialen
Organismus, die müßten vor allen Dingen sich klar
sein darüber, daß niemals ein wirklicher sozialer
Organismus entstehen kann mit dem sozialistischen
Erziehungsprogramm. Denn niemals, wenn der Sozialismus in der
Schule eingeführt wird, kann er im Leben sein. Nur dadurch
werden die Menschen reif zu einem sozial gerechten
Zusammenleben, daß sie gerade in der Schulzeit auf
wirkliche Autorität hin das Leben bauen. Man muß sich
überall heute klar machen, wie weit entfernt das ist, was
die Menschen treiben, was die Menschen sich vorstellen,
daß es kommen soll von dem, was Wirklichkeitssinn ist.
Nach der Geschlechtsreife, vom 14., 15. bis zum 21. Jahr
entwickelt sich bei dem Menschen ja nicht nur das
geschlechtliche Liebesleben, sondern es entwickelt sich dieses
geschlechtliche Liebesleben nur als ein Spezialfall der
allgemeinen Menschenliebe überhaupt; es ist nur ein
Spezialfall der allgemeinen Menschenliebe. Und diese Kraft der
allgemeinen Menschenliebe, die sollte in der Zeit, wenn die
Kinder die Schule verlassen und dann in die anderen Anstalten
kommen oder in die Lehre kommen oder so etwas, da besonders
gepflegt werden. Denn niemals wird diejenige Konfiguration des
Wirtschaftslebens, welche eine historische Forderung ist,
durchglüht sein können von dem, von dem sie
durchglüht sein soll, von Brüderlichkeit, das
heißt von allgemeiner Menschenliebe, wenn nicht in diesen
Jahren die allgemeine Menschenliebe entwickelt wird.
Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben, wie sie angestrebt
werden muß für die Zukunft, sie wird in den
Menschenseelen nur sein, wenn die Erziehung nach dem 15. Jahre
so eingerichtet wird, daß gerade mit aller Bewußtheit
hingearbeitet wird auf die allgemeine Menschenliebe, wenn
Weltanschauungsfragen, wenn die ganze Erziehung, die auf die
sogenannte Einheitsschule folgen soll, aufgebaut wird auf
Menschenliebe, überhaupt auf Liebe zur äußeren
Welt.
Auf
diesem dreifachen Erziehungs-Unterboden muß aufgerichtet
werden das, was der Zukunft der Menschheit erblühen soll.
Ohne daß man wissen wird, der physische Leib, der ein
Nachahmer ist, der muß in der richtigen Weise ein
Nachahmer werden, wird man in diesen physischen Leib
hineinverpflanzen nur die animalischen Triebe. Ohne daß
man wissen wird, daß vom 7. bis 14, Jahre sich der
Ätherleib besonders entwickelt, der auf Autorität hin
sich entwickeln muß, wird sich im Menschen entwickeln nur
die allgemeine Kulturschläfrigkeit. Und diejenige Kraft,
die notwendig werden wird für den Rechtsorganismus, sie
wird nicht da sein.
Und
ohne daß vom 14., 15. Jahre an die Kraft der Liebe, die an
den Astralleib gebunden ist, in vernünftiger Weise in
alles, was Unterricht oder Lehre ist, hineingelegt wird, werden
die Menschen niemals ihren astralischen Leib entwickeln
können, weil sie den astralischen Leib nimmer zu einem
freien Wesensgebilde im Menschen gestalten können.
Die
Dinge umschlingen sich. Daher mußte ich sagen:
Nachahmung, in der richtigen Weise, entwickelt Freiheit;
Autorität — Recht,
Brüderlichkeit, Liebe — Wirtschaftsleben.
Aber auch umgekehrt ist das. Wenn nicht in der richtigen Weise
die Liebe entwickelt wird, fehlt auch die Freiheit. Wenn nicht
in der richtigen Weise die Nachahmung entwickelt wird, werden
groß die animalischen Triebe.
Sie
sehen auch, wenn man dieses Problem anfaßt, ist
Geisteswissenschaft die richtige Unterlage für dasjenige,
was gerade wegen der großen historischen Forderungen, die
heute über die Menschheit kommen, zum Kulturinhalte werden
muß. Ohne diesen Kulturinhalt, der nur aus der
Geisteswissenschaft herausfließen kann und der über
die Menschheit kommen muß, können wir fortan wirklich
nicht weiterkommen.
Also die Fragen, die uns vorliegen, sie müssen in eine
geistige Atmosphäre gebracht werden; das ist dasjenige,
was als Überzeugung wird in die Menschenseelen einziehen
müssen. Und noch einmal möchte ich es betonen: Man
mag diskutieren darüber, wie lange oder wie kurz es noch
dauern kann, bis eine solche Überzeugung in die
Menschenseelen eindringt; aber jedenfalls, was unbewußt
von den Menschen erstrebt wird — es ist keine Rede davon,
daß es erreicht werden kann, wenn diese Überzeugung
nicht in die Menschenseelen hineinkommt, Und ich glaube, Sie
sehen daraus, welcher Zusammenhang doch besteht zwischen dem,
was in unserer Geisteswissenschaft auf den einzelnen konkreten
Gebieten getrieben worden ist, und demjenigen, was sich aus der
Not der Zeit heraus als die großen Zeitforderungen, als
die geschichtlichen Forderungen und Notwendigkeiten der
Menschheit für die Gegenwart und für die nächste
Zukunft ergibt. Das lag auch dem zugrunde, wenn ich oftmals
hier sagte: Geisteswissenschaft soll im Zusammenhange
betrachtet werden mit den großen geschichtlichen Aufgaben
der Gegenwart. Die Menschen sind allerdings heute weit, weit
weg, die Dinge so zu beurteilen, wie es hier charakterisiert
worden ist. Es muß sich gewissermaßen in der
Menschheit eine Spannung ergeben, eine Spannung der
Unbefriedigtheit, damit aus dem Entgegengesetzten heraus, aus
dem rein materiellen Streben, das Streben nach
Spiritualität, das Streben nach Geistigkeit komme. Denn
wie sollen sich die Menschen in der großen Frage, die da
kommt, zurechtfinden, in der Frage, die sie dazu geführt
hat, unter Maja, unter Ideologie, gerade das Entgegengesetzte
zu verstehen?
Aber was ist herausgekommen? Sehen Sie, der Impuls, aus dem die
Menschenseelen des Orients und die Menschenseelen des Okzidents
denken, er ist ein verschiedener, faßt man ihn konkret
ideell auf. Aber er hat gewissermaßen auch das
Eigentümliche an sich, daß er eine gleiche
Seelenstimmung über dem Orient und über dem Okzident
erzeugt. Diese Seelenstimmung muß man auch ins Auge
fassen. Daß die Orientalen die äußere Welt als
eine Maja bezeichnet haben — es ist alt. Ihre große
Bedeutung hatte die mystische Auffassung von der Welt als einer
Maja wahrhaftig in früheren Zeiten; sie hat sie nicht in
der Gegenwart. Sie hatte sie früher. Über den Orient
ist gekommen, weil die Weltanschauung von der Maja
gewissermaßen veraltet ist, ein gewisses passives
Sich-Hingeben an diese Weltanschauung — ein Fatalismus,
ein Fatalismus, der nach Europa hereingespielt hat in der
krassesten Weise im Türkentum. Fatalismus, Geschehenlassen
desjenigen, was geschehen will: Passivität des
menschlichen Willens.
Die
abendländische Anschauung von der Maja, sie ist im Grunde
genommen schon so aufgetreten, daß sie in der
Atmosphäre dieses Fatalismus lebte.
Am
präzisesten kam ja heraus diese Anschauung von der
Ideologie durch Karl Marx und Engels. Diese Anschauung von der
Ideologie ist die moderne sozialistische Lehre — diese
Anschauung, wonach alles Geistig-Seelische, das sich ergibt,
aus der einzigen Wirklichkeit, aus dem Ökonomischen
Prozeß heraus stammt und eben eine Maja, eine Ideologie
ist.
Wie
trat sie auf? Sie trat schon fatalistisch in die Welt ein. Was
war denn bis zur Weltkriegskatastrophe der äußere
Ausdruck der sozialistischen Lehre? Der äußere
Ausdruck der sozialistischen Lehre war der: Die Kapitalien
sammeln sich an, konzentrieren sich, immer größere
und größere Kapitalisten oder kapitalistische Gruppen
entstehen, Trusts, Pools und so weiter; es wird sich der
wirtschaftliche Prozeß ganz von selbst abspielen, immer
mehr und mehr Konzentration der Kapitalgruppen, bis der
Zeitpunkt eintritt, wo ganz von selbst die Herrschaft über
das Kapital übergeht an das Proletariat, Man braucht
nichts dazu zu tun, das ist ein objektiver, wirtschaftlicher,
ein rein ökonomischer Prozeß: Fatalismus.
Am
Punkte des Fatalismus ist der Orient angelangt. Vom Punkte des
Fatalismus geht der Okzident aus, geht der Okzident aus gerade
bei der Majorität der Bevölkerung. Fatalistisch ist
die Majorität der Bevölkerung. Über sich ergehen
lassen dasjenige, was der Weltprozeß bringen soll, das ist
Prinzip des Orients geworden, das ist Prinzip des Okzidents;
nur daß dasjenige, in das man sich fatalistisch ergeben
will, für den Orient ein Geistiges ist, für den
Okzident ist es der materielle ökonomische Prozeß.
Einseitig sieht man in die Weltentwickelung des Menschen
hinein. Überschaut man die heutige menschliche
Weltentwickelung, wie sie sich ergeben hat aus früheren
Zuständen, dann haben wir aus dieser unserer
Weltentwickelung ein geistiges Element darinnen, das aber, wie
gesagt, den Menschen schon zur Ideologie geworden ist. Worauf
ist es aufgebaut? Es ist aufgebaut auf dem Griechentum.
Dasjenige im Grunde genommen, was der tiefste Impuls unserer
Seelenverfassung ist, hat noch etwas Griechisches in sich.
Daher haben wir das Gymnasium, eine Nachahmung der griechischen
Seelenstruktur, für die Erziehung. In Griechenland war
dasjenige, was solche Seelenverfassung war für den
Menschen, der herangewachsen war bis nahe an die
Geschlechtsreife, etwas Natürliches, denn das Griechentum
entwickelte sich so, daß die große Masse der Menschen
das arme Volk war, Sklaventum, Helotentum. Die Eroberer waren
von anderem Blute. Die Andersbürtigen waren die
Träger des geistigen Lebens, die berechtigten Träger
des geistigen Lebens, Sie sehen das ganz besonders
ausgedrückt in der griechischen Plastik. Sehen Sie sich
einen Merkur-Kopf an — ich habe das öfter auch hier
erwähnt mit den ganz anders stehenden Ohren, mit der ganz
anders stehenden Nase, mit den ganz anders stehenden Augen. Die
Griechen deuteten, indem sie den Merkur-Kopf ausarbeiteten, auf
diejenige Bevölkerung hin, die sie erobert haben,
diejenige Bevölkerung, der sie überließen die
äußere Handelswirtschaft. Der Arier, im Zeus-Kopf,
Hera-Kopf, Athene-Kopf charakterisiert, er war derjenige, dem
durch Weltenmächte der Geist verliehen war.
Ja,
glauben Sie nicht, daß das, was sich da als griechische
Seelenstruktur ausbreitete, etwas ist, was sich nur in der
allgemeinen Seelenverfassung zum Ausdruck bringt! Das bringt
sich zum Ausdruck bis in die Wortbildung und Wortfügung
de.r griechischen Sprache. Die griechische Sprache ist so,
daß sie auf einer aristokratischen sozialen Seelenstruktur
beruht. Das haben wir noch in unserem Geistesleben. Daher haben
wir keine Erneuerung des Geisteslebens erlebt, als der
Zeitpunkt, die Mitte des 15. Jahrhunderts heranrückte,
sondern nur eine Renaissance oder eine Reformation, keine
Erneuerung unseres Geisteslebens, nur eine Wiederauffrischung
des Alten. Das haben wir noch in unserem Geistesleben in
uns,
Wir
erziehen unsere Gymnasialjugend fremd dem Leben. Bei den
Griechen war es selbstverständlich, daß sie die
Jugend so erzogen haben, wie unser Gymnasium erzieht, denn das
war ihr Leben. Die Griechen erzogen ihre Kinder und ihre Jugend
so, wie ihr Leben war; wir erziehen unsere Gymnasialjugend, wie
das griechische Leben war. Deshalb ist unser Geistesleben
weltenfremd geworden, deshalb wird es als Ideologie empfunden,
deshalb hat es überall Gedanken, zu kurz, um das Leben zu
erfassen, vor allen Dingen handelnd und tätig in das Leben
einzugreifen.
Und
neben diesem Elemente der Geistesbildung haben wir eine
merkwürdige Rechtsbildung in uns. Es ist überall, auf
allen Gebieten nachzuweisen, wie in der Mitte des 15.
Jahrhunderts ein mächtiger Einschnitt in der neueren
Menschheitsentwickelung war. Das Getreide ist heute teuer, und
alles dasjenige, was aus Getreide fabriziert ist, ist heute
teuer, Es ist überteuer! Forscht man nach, wann es
überbillig war in europäischen Ländern, so kommt
man ungefähr auf das 9., 10. Jahrhundert. Damals war es
gerade so viel zu billig, als es heute zu teuer ist. Und in der
Mitte des 15. Jahrhunderts hatte es einen normalen Preis.
Es
ist interessant zu sehen, wie bis in den Getreidepreis hinein
dieser Zeitpunkt des 15. Jahrhunderts als der große
Einschnitt der Menschheit sich ergibt. Und was war die Folge,
daß dazumal gerechte Getreidepreise da waren über
einen großen Teil von Europa hin? Die alte
Leibeigenschaft, die alte Hörigkeit hatte dazumal gerade
um die Mitte des 15. Jahrhunderts teilweise angefangen
aufzuhören. Da drang ein, um die beginnende Freiheit zu
vernichten, das römische Recht. Und wir sind durchsetzt
auf dem Gebiete des Politischen, auf dem Gebiete des
Staatlichen von dem römischen Recht, wie wir in bezug auf
das Geistige durchsetzt sind von griechischer Geistes- und
Seelenstruktur. Wir haben nicht vermocht bis jetzt, auf dem
Gebiete des Rechtes etwas anderes zu erzeugen als eine
Renaissance, die Renaissance des römischen Rechtes, Wir
haben in unserem sozialen Organismus die griechische
Geistesstruktur, die römische Staatsstruktur.
Das
Wirtschaftsleben läßt sich nicht als Renaissance
gestalten. Denn man kann selbstverständlich nach
römischem Rechte leben, nach griechischer Geistesstruktur
die Kinder erziehen, oder die Jugend erziehen, aber man kann
nicht das essen, was die Griechen gegessen haben, denn man
würde nicht satt werden davon. Das Wirtschaftsleben
muß gegenwärtig sein. Und so ist denn das
europäische Zivilisations-Wirtschaftsleben das dritte
Element. In diesen drei Gebieten müssen wir, da sie
chaotisch durcheinandergewürfelt sind, Ordnung schaffen.
Es kann nur durch den dreigliedrigen sozialen Organismus
geschehen.
Höchst einseitig haben das Leute wie Marx und Engels
eingesehen, indem sie erkannt haben: Es geht nicht mehr, mit
demjenigen Geistesleben zu regieren, das vom Griechentum
hergenommen ist; es geht nicht mehr, mit demjenigen Rechtsstaat
zu leben, der vom römischen Recht herübergekommen
ist. Bleibt uns nur das Wirtschaftsleben, haben sie gesagt. Sie
haben aber überhaupt nur gedacht an das Wirtschaftsleben.
In der Zukunft, sagte Engels, dürfen nur noch Waren
verwaltet und Produktionsprozesse geleitet, nicht mehr Menschen
regiert werden. Das ist ebenso einseitig wie richtig —
richtig, aber furchtbar einseitig.
Es
muß das Wirtschaftsleben auf seinen eigenen Grund und
Boden gestellt werden. Innerhalb der wirtschaftlichen
Gliederung des sozialen Organismus müssen nur Güter
verwaltet und Produktionsprozesse geleitet werden. Das muß
selbständig werden. Wenn man aber aus dem sozialen
Organismus herauswirft das Rechtsleben und das Geistesleben der
früheren Weise, dann muß man sie in neuerer Weise
begründen. Das heißt, wir brauchen dann neben dem
Wirtschaftsleben, das Güter verwaltet und
Produktionsprozesse leitet, wir brauchen daneben das
demokratische Staatsleben, das auf die Gleichheit der Menschen
gebaut wird. Wir brauchen nicht bloß Renaissance des
römischen Rechtes, wir brauchen Neugeburt des Staatslebens
auf der Basis der Gleichheit der Menschen, Und wir brauchen
nicht nur eine Renaissance des Geisteslebens, wie sie
eingetreten ist im Beginne der Neuzeit, wir brauchen eine
Neugestaltung, eine Neuschöpfung des Geisteslebens. Und
wir müssen uns bewußt werden, vor dieser
Neuschöpfung des Geisteslebens müssen wir stehen,
Und
mit dem, was im tiefsten Sinne in der Entwickelung der neueren
Menschheit lebt, hängt das zusammen, was ausgesprochen
werden sollte durch die Forderung der Dreigliederung des
sozialen Organismus. Das ist kein Einfall, das ist dasjenige,
was herausgeboren ist aus dem tiefsten Bedürfnis unserer
Zeit; das ist dasjenige, was im eminentesten Sinne der
Gegenwart entspricht. Es gibt Leute, viele Leute, die sagen,
sie verstehen das nicht, es sei schwierig, sehr schwierig. In
Deutschland habe ich den Leuten gesagt, wenn sie immer wiederum
davon gesprochen haben, daß die Dinge schwierig zu
verstehen sind, daß ich allerdings diese Dinge
unterscheide von dem, was man gewohnt worden ist in den letzten
vier bis fünf Jahren zu verstehen. Da hat man leicht
gefunden, Dinge zu verstehen, die ich nicht verstanden habe
— so sagte ich —, die Dinge mußten nur
befohlen werden zu verstehen. Es mußte das große
Hauptquartier oder eine andere Instanz befehlen, daß die
Dinge zu verstehen sind, dann hat man sie sich sogar
eingerahmt. Man hat sie verstanden, weil es befohlen war, sie
zu verstehen; jetzt kommt es darauf an, aus der freien
Menschenseele heraus etwas zu verstehen. Dazu ist es
nötig, daß die Seelen aufwachen; das wollen sie so
wenig. Darauf kommt es aber an. Es ist nicht die
Unverständlichkeit der Sache, es ist der noch nicht
vorhandene Wille und der Mut, der noch fehlt, in diese
Wirklichkeit hineinzuschauen. Es ist ganz natürlich,
daß dasjenige, was aus einem ganz neuen Tone heraus zur
Menschheit sprechen muß, in anderen Sätzen
abgefaßt ist, als die Menschen es gewohnt sind bis jetzt.
Denn wir sind von drei anderen Dingen erfaßt, als von
demjenigen, was in dieser Dreigliederung gesprochen wird.
In
dieser Dreigliederung wird eine Erneuerung des Geisteslebens
gefordert so, daß die Menschen wirklich einen Zusammenhang
ihres Seelischen empfinden mit dem objektiv geistigen Leben.
Den haben sie nicht, die Menschen. Denn wenn die Menschen heute
sprechen, so sprechen sie zum großen Teil Phrasen. Warum
spricht man aber Phrasen? Phrasen spricht man dann, wenn man
keinen Zusammenhang hat mit dem, was die Phrasen bedeuten
sollen. Weil den Menschen fehlt der Zusammenhang mit dem
geistigen Leben, sind ihre Worte zu Phrasen geworden.
Von
Recht ist in den letzten Jahren viel gesprochen worden, von der
Aufrichtung des Rechtes innerhalb der Menschheit, der
zivilisierten Menschheit. Wie die Menschen mit Bezug auf das
Recht weit entfernt sind von der Wirklichkeit, das zeigen wohl
die Ereignisse der Gegenwart zur Genüge. Man hat
natürlich bisher nicht um Recht, sondern nur um Macht
gestritten, aber man hat vom Rechte geredet.
Und
das Wirtschaftsleben: man hat keine Gedanken gehabt, um dieses
Wirtschaftsleben zu umspannen, daher sind die Tatsachen von
selbst abgelaufen. Das ist das Charakteristische im
Wirtschaftsleben gewesen, daß die Leute produziert und
produziert haben, eben so, wie ich es dazumal, im Frühjahr
1914 in Wien gesagt habe, wo ich dieses Produzieren ein
soziales Krebsgeschwür genannt habe: produziert wurde und
produziert und die Waren auf den Markt geworfen, und der ganze
wirtschaftliche Kreislauf sollte von selber gehen, war nicht
von Gedanken beherrscht. Ein chaotisches, planloses
Wirtschaftsleben; ein Rechtsleben, das nur ein Machtleben ist;
ein Geistesleben, das zur Phrase entartet ist: das ist die
dreifache Gliederung, die wir im Grunde genommen gehabt haben.
Aus dieser dreifachen Gliederung müssen wir heraus. Und
wir kommen nur heraus, wenn wir dasjenige ernst zu nehmen
verstehen, was gerade mit der Dreigliederung gemeint ist.
Aber sehen Sie, es hängt zusammen mit dem, was im Grunde
genommen doch nur verstanden werden kann, wenn man auf
anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft
zurückgeht. Es hat verstimmt, als ich einmal in einem
öffentlichen Vortrag vor einigen Wochen einen Satz
aussprach, der aber eine gründliche, wirkliche Erkenntnis
ist. Ich sagte: Die leitenden, führenden Kreise der
Gegenwart dürfen sich nicht mehr verlassen auf ihr Gehirn,
das dekadent ist. Sie müssen sich aufschwingen, dasjenige
zu begreifen, wozu man das Gehirn nicht braucht, wozu man den
Ätherleib braucht. Denn die Gedanken, die gefaßt
werden sollen in anthroposophisch orientierter
Geisteswissenschaft, die bedürfen des Gehirnes nicht. Die
leitenden, führenden Kreise, das Bürgertum von heute,
muß sich bequemen, schon wegen seiner physiologischen
Entwickelung, geistiger Erkenntnis sich hinzugeben, etwas zu
pflegen, das man auch pflegen kann mit dekadenten Gehirnen.
Das
Proletariat strebt herauf. Das hat ein noch unverbrauchtes
Gehirn. Die Zitrone ist noch nicht ganz ausgequetscht; da kommt
noch etwas im Gehirn von Atavistischem heraus. Daher versteht
das Proletariat heute noch dasjenige, was im Sinne einer
neueren Ordnung der Dinge gesagt wird. Und heute liegen die
Dinge so, daß im Grunde genommen das gesamte Proletariat
für diese Dinge zugänglich wäre, nur die
Führer nicht, denn die sind verbürgerlicht; die sind
größere Spießer als die wirklichen Spießer.
Sie haben das Spießertum übernommen, und sie haben es
zu einer gewissen Höhenkultur ausgebildet. Aber auf der
anderen Seite besteht ein furchtbarer Gehorsam. Dieser
Gehorsam, der wird erst gebrochen werden müssen. Eher gibt
es auch auf diesem Gebiete kein Heil.
Sie
sehen, die Dinge liegen schon einmal in der Gegenwart
komplizierter, als man sich gewöhnlich einbildet, und sie
liegen so, daß im Grunde genommen nur die Wissenschaft der
Einweihung zur wirklichen Erfassung der sozialen Probleme der
Gegenwart führen kann. Sie finden drei Begriffe: Sie
finden sie auch in meinem Buche «Die Kernpunkte der
sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und
Zukunft», das ich allerdings geschrieben habe nicht nur
für Anthroposophen, sondern für das große
Publikum. Sie finden da drei wichtige Begriffe im
gegenwärtigen sozialen Leben. Da ist der Begriff der Ware
oder des Erzeugnisses, des Gutes, das man für das
Wirtschaftsleben hat. Ein weiterer wichtiger Begriff ist der
Begriff der Arbeit. Und ein dritter wichtiger Begriff ist der
Begriff Kapital. An diesen drei Begriffen hängt im Grunde
genommen das soziale Erkennen der Gegenwart.
Was
haben die Menschen schon alles gesagt an sozialer Wissenschaft,
um diese drei Begriffe zu durchdringen! Wer kennt, was
namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an
Nationalökonomen in der Wissenschaft heraufgekommen ist,
um diese drei Begriffe Ware, Arbeit und Kapital zu
durchdringen, der weiß, was geleistet worden ist an
unmöglicher Wissenschaft, denn alle diese Wissenschaft
reicht nicht aus. Ein niedliches Beispiel habe ich neulich
einmal vorgeführte Der berühmte Professor Lujo
Brentano, die Leuchte der nationalökonomischen
Wissenschaft Mitteleuropas in der Gegenwart, hat neulich einen
Artikel geschrieben, der heißt: «Der
Unternehmer.» Da entwickelt er die Kennzeichen des
Unternehmers, drei Kennzeichen des Unternehmers. Ich will nur
das dritte Kennzeichen des Unternehmers im Sinne des Brentano
Ihnen sagen. Dies dritte Kennzeichen ist, daß man die
Produktionsmittel anwendet auf eigene Rechnung und Gefahr.
Nicht wahr, der Unternehmer ist Besitzer der Produktionsmittel
und unternimmt die Produktion für den Markt auf eigene
Rechnung und Gefahr. Nun ist der Begriff des guten Brentano,
der die Leuchte der gegenwärtigen
Universitäts-Nationalökonomie ist, so geschürzt,
daß Lujo Brentano in demselben Artikel glücklich
herausbekommt, wer noch ein Unternehmer ist außer dem
Fabrikant und außer dem Betriebsunternehmer: Das ist
nämlich der moderne Arbeiter. Der moderne Arbeiter ist ein
Unternehmer, weil er ja die Produktionsmittel hat, nämlich
seine eigene Arbeitskraft, und die bietet er auf dem Markte an
auf eigene Rechnung und Gefahr. Der Begriff des Herrn Lujo
Brentano über den Unternehmer ist so klar, daß der
Arbeiter auch unter diese Unternehmer fällt. So gescheit,
sehen Sie, ist die heutige ökonomische Wissenschaft! Es
ist zum Lachen. Aber man kann sich heute nicht aufraffen zu
diesem Lachen, weil noch die Universitäten die
führenden Stellungen einnehmen in dem Geistesleben. Die
Universitäten erzeugen aber diese Dinge auf dem Gebiete
der Nationalökonomie. Man will sich nicht gestehen, man
hat nicht den Mut dazu, sich zu gestehen, daß
lächerliches Zeug produziert wird auf diesem Gebiete. Die
Dinge sind eben furchtbar.
Aber diese Dinge müssen unbedingt ins Auge gefaßt
werden; und gefragt muß werden: Woher kommt es denn,
daß gerade über die sozialen Begriffe, die heute zur
brennenden Tagesfrage werden, daß gerade über die
sozialen Begriffe alle Wissenschaft nicht ausreicht? Es
würde mir eine Befriedigung sein, wenn ich gerade
über diese Frage Ihnen bei meinem hiesigen Aufenthalte
Genaueres sagen könnte. Heute will ich nur, ich
möchte sagen, wie referierend anführen, warum das so
ist.
So
bloß ökonomisch der Begriff Ware auch ist, er kann
nie geprägt werden mit gewöhnlicher Wissenschaft. Sie
kommen zu dem Begriff von Ware nicht, wenn Sie nicht
imaginative Erkenntnisse zugrunde legen. Sie können den
Begriff Ware nur begreifen, wenn Sie imaginative Erkenntnisse
zugrunde legen. Und Sie können die Arbeit im Sozialen,
ökonomischen nicht begreifen, wenn Sie nicht inspirierte
Erkenntnisse zugrunde legen. Und Sie können das Kapital
nicht definieren, wenn Sie nicht intuitive Erkenntnisse
zugrunde legen.
Der
Begriff der Ware fordert Imagination;
der Begriff der Arbeit fordert Inspiration;
der Begriff des Kapitals fordert Intuition.
Und
werden sie nicht so formuliert, diese Begriffe, kommt immer
konfuses Zeug heraus.
Daran können Sie im speziellen sehen, warum konfuses Zeug
herauskommen muß. Warum definiert Lujo Brentano den
Kapital-Begriff, der zusammenfällt mit dem
Unternehmer-Begriff, so, daß der Arbeiter auch ein
Kapitalist ist bei ihm, nämlich ein Unternehmer? Weil er
natürlich ein sehr gescheiter Herr der Gegenwart ist, aber
keine Ahnung davon hat, daß, um einen wirklichen Begriff
von Kapital zu gewinnen, intuitive Erkenntnis notwendig
ist!
Allerdings, es kommt das auf einem Umweg zustande. Die Bibel
deutet etwas auf diesen Umweg, indem sie vom Kapitalismus als
dem Mammonismus spricht. Da bringt sie allerdings mit einer
besonderen Art von Geistigkeit das Kapital in Zusammenhang.
Aber Geistigkeit kann man ja nur durch Intuition erkennen, Will
man die im Kapitalismus wirkende Geistigkeit, den Mammonismus
erkennen, so braucht man Intuitionen. In der Bibel steht es
schon drinnen. Aber heute brauchen wir eben eine
Welterkenntnis, die das ins Moderne heraufhebt.
Versucht muß werden, diese Dinge, die man heute noch
für irgend etwas Verschrobenes halten wird, gerade
sachkenntnismäßig zu durchdringen. Wirkliche
Sachkenntnis auf diesem Gebiete, die wird aber überall
ergeben die Notwendigkeit der Durchdringung sozialer
Anschauungen mit echter, wahrer Geisteswissenschaft. Das ist
dasjenige, was dem unbefangenen Beobachter des Lebens sich
heute wirklich aufdringen muß. Erinnern Sie sich nur
selber, soweit Sie dort waren, an eine denkwürdige Frage,
die im Bernoullianum in Basel vor meiner Abreise nach einem
Vortrage gestellt worden ist, wo ein Mensch in die Diskussion
die Frage einwarf: Wie kann man dahin kommen, daß Lenin
Weltherrscher werde? Denn eher sähe er kein Heil, nach
seiner Ansicht, bevor nicht Lenin Weltherrscher wird. Denken
Sie, was das für eine Konfusion bedeutet! Das bedeutet
dieses, daß diejenigen Menschen, die sich heute am
radikalsten gebärden, am reaktionärsten sind.
Sozialismus wollen sie; man müßte anfangen vor allen
Dingen die Herrschaftsverhältnisse zu sozialisieren; aber
man beginnt den Sozialismus mit der universellen
Wirtschaftsmonarchie des Lenin! Man fängt nicht einmal an
zu sozialisieren bei den Herrschaftsverhältnissen. So
grotesk treten einem heute die Dinge entgegen! Solche Dinge
bleiben wirklich denkwürdig, wenn einem gesagt wird: Lenin
sollte Weltherrscher werden. Aber so stehen die Dinge heute.
Diejenigen Menschen, die glauben, die aufgeklärtesten
Begriffe zu haben, die haben die verkehrtesten Begriffe; und
man wird nicht zu einer Klarheit kommen auf diesem Gebiete,
wenn man sich nicht einlassen wird darauf, diese Klarheit voll
aus der Geisteswissenschaft aufzusuchen.
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