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Die Erziehungsfrage als soziale Frage

Schmidt-Nummer: S-3791

Online seit: 30th November, 2017

ERSTER VORTRAG

Dornach, 9. August 1919

Nach einer Arbeit, die tief hineinsehen ließ in dasjenige, was gegenwärtig vorgeht in Menschengemütern, was gegenwärtig besteht an innerer Tragik der Menschheitsentwickelung, kann ich wiederum einige Tage hier an diesem Orte sein, der ja so eng verbunden ist mit jener Tätigkeit, von der wir doch glauben müssen, daß sie abgeben kann die Kraft, die heutige Tragik der Menschheit wiederum in ein hoffnungsvolleres Fahrwasser nach und nach umzuentwickeln.

Zu keiner Zeit vielleicht war eigentlich weniger Neigung vorhanden, in wahrem und echtem Sinne des Wortes die Seele zu erheben zu den geistigen Welten, und notwendig ist es ganz besonders in dieser Zeit, die Seele zu erheben zu den geistigen Welten. Denn nur aus diesen geistigen Welten kann dasjenige kommen, was der gegenwärtigen Menschheit Kraft geben kann, weiter den Lebenspfad als ganze Menschheit zu gehen. Die Probleme, die Aufgaben, die der Gegenwart gestellt sind, von ihnen glaubt man heute in weitesten Kreisen, daß man sie lösen kann mit den Gedanken, mit den Impulsen, welche herzunehmen sind aus dem äußerlichen menschlichen Wissen. Wie lange es noch dauern kann, bis ein genügend großer Teil der Menschheit sich zu der Überzeugung durchringt, daß nur auf dem geistigen Wege ein wirkliches Heil zu erreichen ist, das ist heute eigentlich außerordentlich schwer zu sagen, schon aus dem Grunde, weil das Nachdenken gerade über diese Frage eigentlich nicht besonders fruchtbar ist. Aber sicher ist das andere, daß nur wird weitergeschritten werden können, wenn diese Überzeugung, daß nur aus den geistigen Welten die Rettung kommt, in einer genügend großen Anzahl von Menschen wirklich durchgedrungen ist.

Was die Menschen heute in weitesten Kreisen beschäftigt, worüber aber doch ernstlich nachzusinnen den Menschen vor allen Dingen die intellektuelle Kraft fehlt, weil die intellektuelle Kraft in der gegenwärtigen Zeit fast wie gelähmt ist bei einem großen Teil der Menschheit, das sind ja die sozialen Probleme. Und der Glaube herrscht, daß man diese sozialen Probleme mit dem, was man heute Wissen und Erkenntnis nennt, bewältigen könne. Man wird sie nicht bewältigen können, man wird sie niemals bewältigen können, wenn sie nicht in Angriff genommen werden vom Gesichtspunkte geistiger Erkenntnis.

Wir haben einen langen Waffenkampf durchgemacht. An diesen langen Waffenkampf wird sich anschließen ein wahrscheinlich recht lange dauernder Kampf der Menschheit überhaupt, Viele Leute haben gesagt: Dieser Waffenkampf, wie er erlebt worden ist über die zivilisierte Welt hin, er war das furchtbarste Ereignis dieser Art seit der Zeit, da man überhaupt von einer menschlichen Geschichte spricht.—Man kann nicht sagen, daß dieses Urteil unrichtig ist. Der Kampf, der mit diesen und jenen Mitteln auszufechten sein wird, der sich an diesen Waffenkampf anschließen wird zwischen Orient und Okzident, zwischen Asien, Europa und Amerika, dieser Kampf wird wohl der größte Geisteskampf werden, welchen wiederum die Menschheit auszufechten hat. All dasjenige, was selbst durch das Christentum an Impulsen und Kräften in die Menschheit eingeflossen ist, das wird in gewaltigen, elementaren Kampfeswogen die Zivilisation überspülen.

Man kann heute, ich möchte sagen, auf eine einfache Formel bringen, worinnen der große Gegensatz liegt zwischen dem Orient und dem Okzident. Aber diese einfache Formel — nehmen Sie sie nicht einfach, Diese einfache Formel schließt ungeheure Weiten menschlicher Impulse ein, Sie wissen, ich habe in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft» aufmerksam darauf gemacht, daß für weite Kreise der gegenwärtigen Menschheit das Geistesleben eine Ideologie geworden ist, daß dasjenige, was geistige Güter der Menschheit sind, Recht, Sitte, Wissenschaft, Kunst, Religion und so weiter, so angesehen wird, daß das nur der Rauch gewissermaßen ist, der aufsteigt aus der einzig wahren Wirklichkeit, aus der ökonomischen Produktionsweise, aus dem wirtschaftlichen Untergrund. Über solche Dinge habe ich ja zu Ihnen auch gesprochen, als ich vor mehreren Monaten hier von Ihnen Abschied nahm.

Ideologie — erwidern einem heute weite Kreise, wenn man von Geistesleben spricht; es ist alles das, was sich aus der einzigen Wirklichkeit, aus der ökonomischen Wirklichkeit, aus der Wirtschaftswirklichkeit spiegelt in der menschlichen Seele, nur Ideologie, — Man hat heute viel Grund, nachzudenken darüber, was dieses Wort Ideologie eigentlich in der Weltkultur bedeutet. Und es bedeutet sehr viel. Man kann dieses Wort mit keinem anderen in einen näheren Zusammenhang bringen, als mit dem Worte Maja der orientalischen Weisheit. Maja richtig ins Abendländische übersetzt, bedeutet Ideologie. Und jede andere Übersetzung von Maja ist ungenauer als die Übersetzung mit Ideologie. So daß man sagen kann: im Grunde genau dasselbe begrifflich oder ideenhaft, was der Morgenländer sich vorstellt bei dem Worte Maja, das stellt sich ein großer Teil der abendländischen Menschheit vor bei dem Worte Ideologie. Aber welch gewaltiger Unterschied! Was denkt der Morgenländer bei dem Worte Maja? Er denkt, die äußere Sinneswelt ist die Maja, alles dasjenige, was an unsere Sinne herankommt und an den an die Sinne gebundenen Verstand, das ist die Maja, das ist die große Täuschung. Und die einzige Wirklichkeit ist dasjenige, was in der Seele aufsteigt, Das Seelisch-Geistige, zu dem sich der Mensch durchringt, das ist dasjenige, was Wirklichkeit ist; was im menschlichen Inneren aufquillt und aufsprießt, das ist Wirklichkeit. Das, was sich den Sinnen äußerlich darbietet, ist Maja, ist Ideologie.

Und über einen großen Teil der abendländischen Menschheit breitet sich die andere Überzeugung aus: Die einzige Wirklichkeit ist dasjenige, was den äußeren Sinnen erscheint. Das ist die Wirklichkeit. Genau dasjenige, was der Morgenländer Maja nennt, das ist für einen großen Teil der abendländischen Menschheit die Wirklichkeit. Und was der Orientale die Wirklichkeit nennt, dasjenige, was innerlich aufsprießt, was innerlich aufquillt in der Seele, das ist für einen großen Teil der abendländischen Menschheit Ideologie, Maja, Sie sehen einen großen Gegensatz, Was der Orientale die Wirklichkeit nennt, nennt Europa und Amerika heute schon die Maja: Ideologie ist dasselbe. Dasjenige, was der Abendländer mit Amerika, mit dem amerikanischen Nachwuchs, die Ideologie, die Maja nennt, das ist für den Orientalen Wirklichkeit.

Das frißt tief in den Seelen der Menschen, das macht die Menschen über die Erde hin zu zwei ganz verschiedenen Wesensarten. Wenn Sie überblicken dasjenige, was geschehen ist über die zivilisierte Welt, so werden Sie sich sagen, hoffentlich heute schon sagen: Im Grunde ist alles das, was gesprochen wird über Ursache und Veranlassungen dieser Weltkatastrophe eigentlich auf der Oberfläche schwimmend, Oberflächenansicht. Dasjenige, was sich ausgeprägt hat in diesem furchtbaren Kampf, das ist etwas, was wie elementar aus unbewußten Tiefen heraufgezogen ist. Die Menschen haben daran teilgenommen, man sieht es heute ganz genau, sie wußten nicht warum im Grunde; es ist dasjenige, was dieser Gegensatz, der noch lange nicht ausgetragen ist, an elementaren Kräften an die Oberfläche geschwemmt hat. So stark ist das antisoziale Element in der Gegenwart, daß die Menschheit in diese zwei wesensverschiedenen Glieder zerfällt.

Und bringen Sie das, was ich eben gesagt habe, mit anderem in Zusammenhang, so werden Sie finden, wenn Sie nach Westen schauen, daß das Streben des Westens nach Freiheit geht — ob man diese Freiheit versteht oder mißversteht, es kommt weniger darauf an —, das Streben geht nach Freiheit; und wie aus dunklen Untergründen der Menschenseele herauf, wühlt sich das Bedürfnis nach Freiheit.

Blicken Sie nach dem Osten: Dasjenige, was man im Westen die Freiheit nennt, für den Osten hat es eigentlich keinen rechten Sinn; es ist wie etwas, womit man überhaupt keine Begriffe, keine Empfindungen verbindet. Dasjenige, was man am intensivsten erlebt, über das denkt man da nicht nach. Denken Sie doch nur einmal, wie wenig die Menschen über Naturerscheinungen nachdenken, die sie unmittelbar im Alltag umgeben! Über das allernächst Erlebte denken die Menschen ja nicht nach. Der Orientale, indem er die ihm gemäße Wirklichkeit verfolgt, die innere Wirklichkeit, er lebt in der Freiheit, die ihm eben werden kann nach seinen Rassen-, Volks- und Stammeseigentümlichkeiten. Er denkt nicht darüber nach. Je weiter man nach Westen blickt, desto mehr ist im Lauf der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit die Freiheit verlorengegangen: weil sie sie nicht hat, muß sie danach streben.

Und so könnte man vieles, vieles anführen, man würde in allem finden diesen fundamentalen Gegensatz zwischen dem Westen und dem Osten. Es kündigt sich bereits an dasjenige, was vielleicht schon die nächsten Jahre bringen werden, Augenblicklich sind es nur äußere Symptome, äußere Symptome, die in Asien vorgehen, über die Europa heute noch schweigt — schweigt aus wohlverstandenen Gründen. Daß zum Beispiel in Indien fast mehr als die Hälfte der Bevölkerung halb verhungert ist, das wird aus der Geistigkeit heraus gerade des indischen Volkes etwas gebären, was noch ganz anderes darstellen wird, als dasjenige, was sich in Europa abgespielt hat. Das sind äußere Symptome. Aber auch mit Bezug auf diese äußeren Symptome sind die Menschen heute in zwei wesensverschiedene Glieder getrennt. Für den Inder bedeutet der Hunger etwas ganz anderes als für den Europäer, denn der Inder hat eine Jahrtausende alte andere seelische Entwickelung hinter sich als der Europäer. Diese Dinge, sie müssen heute scharf ins Auge gefaßt werden von dem, der etwas verstehen will von dem Gang der Menschheitsentwickelung. Wir müssen uns heute klar sein darüber, daß dasjenige, was man gewöhnlich die soziale Frage nennt, etwas viel Komplizierteres ist, als man gewöhnlich meint. Diese soziale Frage, sie ist ja eine Begleiterscheinung jener Kultur, die heraufgekommen ist seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Ich habe von diesem bedeutsamen Einschnitt in die Geschichte der zivilisierten Menschheit in der Mitte des 15. Jahrhunderts immer wieder und wiederum auch zu Ihnen hier gesprochen. Seit dieser Zeit kam allmählich herauf die neuere Färbung der Naturwissenschaft. Seit dieser Zeit kam aber auch herauf die neuere Färbung des Industrialismus. Naturwissenschaft und Industrialismus zusammen, die bedeuten dasjenige, was sich über die moderne Menschheit ausgegossen hat, und was der modernen Menschheit die besondere Richtung ihres Geistes gegeben hat.

Ich habe auch hier in der Schweiz zu Ihnen gesprochen von der besonderen Artung der Naturwissenschaft, habe Ihnen gesagt, daß gescheite Leute, die heute nachdenken über das, was die Naturwissenschaft geben kann, schon sagen: Dasjenige, was die neuere Naturanschauung überliefert, ist nicht die Welt, es ist ein Gespenst von der Welt. — Alles das, was die Naturforscher ausgedacht haben, und was heute populäre Bildung ist, viel mehr populäre Bildung ist als diese Menschen glauben, das ist Glaube, eigentlich Aberglaube an eine gespenstische Welt. Und an die Seite dieser gespenstischen Welt ist dasjenige gestellt, was aus dem modernen Industrialismus an geistiger Wirksamkeit über die Menschen gekommen ist, Der Industrialismus, man muß ihn in seiner geistigen Bedeutung einmal ins Auge fassen. Nehmen Sie dasjenige, was den Industrialismus vorzugsweise beherrscht, die Maschine. Die Maschine unterscheidet sich von allem übrigen, mit dem es der Mensch zu tun haben kann in seinem äußeren Leben. Ich bitte Sie, betrachten Sie das Tier. Sie werden, indem Sie Ihre wissenschaftlichen oder sonstigen Erkenntnisgedanken auf das Tier anwenden — ich will gar nicht vom Menschen in dem heutigen Zusammenhang sprechen —, noch so viel über das Tier erforschen können, es bleibt immer etwas, ich möchte sagen, Göttlich-Tiefes im Tiere; Sie schöpfen es nicht aus, Sie kommen nicht dahinter. Hinter das, was Sie über das Tier denken, stellt sich immer etwas, was Ihnen unbekannt bleibt. Bei der Pflanze ist es nicht weniger. Und nehmen Sie selbst den Kristall, nehmen Sie die wunderbaren Formen der Kristallwelt, Sie werden sich sagen müssen: Gewiß, man kann das Äußerste begreifen in der Kristallwelt, in ihren Formen und so weiter, wenn man auf diese Sache hin geschult ist, aber es bleibt noch hinlänglich vieles von dem, was der Mensch verehren kann als dasjenige, zu dem er nicht mit dem unmittelbaren, unhellseherischen Verstande dringt,

Nehmen Sie die Maschine, sie ist durch und durch durchsichtig. Man weiß: die Kraft setzt so ein, der Zapfen sitzt so und so in der Öffnung drinnen, die Reibung ist eine so und so große, man kann den Nutzeffekt berechnen, wenn man die einzelnen Elemente kennt — nichts ist hinter der Maschine, welches auffordert dazu, sich zu sagen: Da ist etwas, was nicht durchdrungen werden kann mit dem gewöhnlichen unseherischen menschlichen Verstande. Das bedeutet für den Verkehr des Menschen mit der Maschine sehr viel. Und wenn man wiederum einmal vor Tausenden und Tausenden von Menschen gestanden hat, die es mit der Maschine zu tun haben, dann weiß man, was in die Seelen der Menschen hineinträufelt von dieser geistig durchsichtigen Maschine, von dieser Maschine, die nichts hinter sich hat, was irgendwie vielleicht für den unseherischen Verstand nur geahnt oder nicht durchschaut werden könnte. Das macht den Verkehr mit der Maschine so verheerend für den Menschen, daß die Maschine geistig-seelisch so durchsichtig ist; daß alles, was an Kräften und Kräftezusammenhängen in der Maschine ist, so wasserklar daliegt vor den menschlichen Sinnen und dem menschlichen Verstande. Das ist das, was Herz und Seele der Menschen aussaugt, was den Menschen trocken macht, was den Menschen unmenschlich macht.

Und Naturwissenschaft und Maschine zusammen, sie bedrohen die zivilisierte Menschheit mit einem dreifachen furchtbar Zerstörenden. Denn was droht dieser modernen Menschheit, wenn sie sich nicht aufrafft, nach dem Übersinnlichen hinzuschauen? In bezug auf die Erkenntnis droht nach und nach jenes Ideal überhand zu nehmen, welches von Naturforschern schon ausgesprochen ist, indem sie gesagt haben: Man strebt an, die Natur so zu erkennen, daß diese Erkenntnis eine astronomische ist, das heißt der Astronomie nachgebildet ist, Wenn Sie heute sehen, wie der Chemiker nachdenkt über das, was im Molekül drinnen ist, so stellt er sich vor, daß die Atome im Molekül in einer gewissen Weise im Kräftezusammenhange sind (es wird gezeichnet). Das stellt er sich nach dem Muster eines kleinen Planeten- und Sonnensystems vor. Die ganze Welt astronomisch zu erklären, das wird das Ideal. Und die Astronomie selbst, was hat sie für ein Ideal? Das ganze Weltengebäude als eine Maschine anzusehen, — Dazu jenes Tun, jenes Handeln der Menschen an der Maschine!

Das sind die Dinge, die immer stärker und stärker gewirkt haben seit der Mitte des 15, Jahrhunderts, das sind die Dinge, welche gegenwärtig dem Menschen das eigentlich Menschliche aussaugen. Wenn die Menschen weiter nur so nachdenken würden, wie sie über die maschinenhafte Astronomie und über den Industrialismus, indem sie in ihm arbeiten, nachdenken, würden die Geister mechanisiert werden, die Seelen, sie würden schläfrig, vegetarisiert werden, und die Leiber animalisiert.

Sehen Sie nach Amerika: der Hochpunkt der Mechanisierung der Geister! Sehen Sie nach dem europäischen Osten, nach Rußland: jene wilden Triebe und Instinkte, die sich da ausleben, und die furchtbar sind: Animalisierung des Leibes. In der Mitte, in Europa die Schläfrigkeit der Seele. Mechanisierung des Geistes, Vegetarisierung der Seele, Animalisierung der Leiber, das ist dasjenige, was man sich ohne Täuschung vorhalten muß.

Es ist charakteristisch, wie die Menschheit verloren hat — ich habe das hier schon einmal erwähnt —, verloren hat auf dem Wege seit der Mitte des 15. Jahrhunderts neben zwei Lebenselementen das Dritte. Eine mächtige Partei nennt sich heute «Sozialdemokratie», das heißt: Sozialismus und Demokratie hat sie zusammengeschweißt, obwohl sie das Gegenteil voneinander sind. Aber sie hat sich sie zusammengeschweißt, und sie hat ausgelassen das Geistige. Denn der Sozialismus kann sich nur auf das Wirtschaftliche, die Demokratie nur auf das Staatlich-Rechtliche beziehen; auf das Geistige würde sich beziehen der Individualismus. Die Freiheit, sie ist ausgelassen in dem Wort Sozialdemokratie, sonst müßte es heißen: individuelle oder individualistische Sozialdemokratie. Dann würden alle drei Dinge als Menschenforderung in einem solchen Schlagworte zum Ausdrucke kommen. Aber es ist charakteristisch für die neuere Zeit, daß dieses Dritte ausgeblieben ist, daß also gewissermaßen der Geist wirklich zur Maja, zur großen Täuschung für die zivilisierte Menschheit des Westens geworden ist, Europas und seines kolonialen Nachwuchses Amerika. Das sind die Dinge, von denen ausgegangen werden muß, wenn man Geisteswissenschaft im Sinne einer großen Kulturfrage betrachtet. Über dasjenige, was in den Forderungen der Gegenwart lebt, kann eigentlich gar nicht diskutiert werden. Das sind historische Forderungen. Eine historische Forderung ist der Sozialismus, er muß nur im richtigen Sinne verstanden werden. Eine historische Forderung ist die Demokratie, eine historische Forderung ist aber auch der Liberalismus, die Freiheit, der Individualismus, wenn auch diese letztere Forderung von der modernen Menschheit wenig bemerkt wird. Und die Menschheit wird nicht weiter mitreden können, ohne daß sie ihren sozialen Organismus im Sinne der Dreigliederung: des Sozialismus für das Wirtschaftsleben, der Demokratie für das Rechts- oder Staats-leben, der Freiheit oder des Individualismus für das Geistesleben einrichtet.

Das wird angesehen werden müssen als das einzige Heil, als die wirkliche Rettung der Menschheit. Aber wir werden uns nicht täuschen dürfen darüber, daß gerade deshalb, weil dies intensive, unbesiegliche historische Forderungen sind für die Gegenwart, sich andere Forderungen für denjenigen, der die Dinge tiefer durchblickt, aufstellen. Die erwachsenen Menschen werden in einem sozialen Organismus leben müssen, der wirtschaftlich sozial, staatlich demokratisch, geistig liberal aufgerichtet wird sein müssen.

Die große Frage für die Zukunft wird sein: Wie werden wir uns zu benehmen haben gegenüber den Kindern, wenn wir sie so erziehen wollen, daß sie als Erwachsene in das Soziale, das Demokratische, in das Liberale in umfassendstem Sinne hineinwachsen können? Und eine der allerwichtigsten der sozialen Fragen für die Zukunft, ja schon für die Gegenwart, ist einmal die Erziehungsfrage. Und auf diese Erziehungsfrage wurde gerade innerhalb der Geisteswissenschaft hingedeutet in der Weise, wie es die Menschheit der Gegenwart wird verstehen müssen, wenn sie vorwärtsdringen will. Sonst werden die sozialen Forderungen immer chaotisch bleiben, wenn nicht gesehen wird auf ihrem Grunde die gewaltigste Frage der Gegenwart: die Erziehungsfrage. Und Sie brauchen, wenn Sie die großen Richtlinien kennenlernen wollen für dasjenige, was in der Erziehungsfrage vorliegt, nur zur Hand zu nehmen das kleine Büchelchen: «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft.» Eine der wichtigsten sozialen Fragen der Gegenwart ist mit diesem Büchelchen auf die Oberfläche der Menschenbetrachtung gehoben worden: die soziale Erziehungsfrage. Lernen wird man müssen in weitesten Kreisen der modernen Menschheit dasjenige, was mit Bezug auf die drei Epochen der Jugendentwickelung des Menschen aus der Geisteswissenschaft herausgeholt werden kann.

Sie wissen, es ist da hingewiesen darauf, wie zwischen der Geburt und dem 7. Jahre, dem Jahre, das den Zahnwechsel durchschnittlich bringt, das Menschenwesen ein nachahmendes Wesen ist, wie das Menschenwesen dasjenige tut, was seine Umgebung tut. Betrachten Sie schließlich das Kind wirklich verständig, Sie werden überall finden: Das Kind ist ein nachahmendes Wesen, es tut dasjenige, was die Großen tun. Die große Wichtigkeit in dem Kindesleben ist die, daß die Menschen, die in der Umgebung des Kindes sind, nur dasjenige tun, was das Kind nachahmen kann, ja, daß sie nur dasjenige denken und empfinden in der Umgebung des Kindes, vas das Kind nachahmen kann. Das Kind setzt, indem es durch die Geburt ins physische Dasein eintritt, nur das fort, was es erlebt hat in der geistigen Welt vor der Empfängnis. Da lebt man ja als Menschenwesen in den Wesen der höheren Hierarchien drinnen; da tut man alles dasjenige, was an Impulsen aus dem Wesen der höheren Hierarchien kommt. Da ist man in einem noch viel höheren Grade ein Nachahmer, weil man in einer Einheit ist mit denjenigen Wesen, die man nachahmt. Dann wird man in die physische Welt herausgesetzt. Da setzt man die Gewohnheit, eins zu sein mit der Umgebung, fort. Diese Gewohnheit erstreckt sich dann darauf, eins zu sein mit Wesen, oder nachzuahmen diejenigen Wesen, die als Menschen in der Umgebung sind und für die Erziehung zu sorgen haben, indem sie dasjenige nur tun und denken und empfinden, was das Kind nachahmen kann. Es ist um so größeres Heil für das Kind, je mehr es leben kann nicht in seiner Seele, sondern in der Seele der Umgebung, in den Seelen der Umgebung.

In der Vergangenheit konnten die Menschen, weil ihr Leben mehr ein instinktives war, auf diese Nachahmung auch instinktiv sich verlassen. In der Zukunft wird das nicht so sein. In der Zukunft wird achtgegeben werden müssen darauf, daß das Kind ein Nachahmer ist. In der Zukunft wird bei der Erziehung die Frage immerzu beantwortet werden müssen: Wie gestaltet man am besten das Leben des Kindes so, daß es in der besten Weise seine Umgebung nachahmt? Alles das, was in der Vergangenheit geschehen ist in bezug auf dieses Nachahmen, es wird intensiver und immer intensiver, bewußter und immer bewußter gefragt werden müssen gegen die Zukunft hin. Denn die Menschen werden sich eines sagen müssen: Wenn die Menschen im sozialen Organismus werden erwachsen sein sollen, so werden sie freie Menschen sein müssen. — Frei wird man nur, wenn man zuerst als Kind möglichst intensiver Nachahmer war. Die Kraft, die die naturgemäße Kraft des Kindes ist, sie muß intensiv ausgebildet werden gerade für das Zeitalter, in dem der Sozialismus hereinbrechen wird. Und die Menschen werden nicht freie Wesen werden, trotz aller Deklamationen und trotz alles politischen Gewimmers über Freiheit, wenn die entsprechende Kraft der Nachahmung im Kindesalter nicht eingepflanzt wird, Denn was im Kindesalter in dieser Weise eingepflanzt wird, das allein kann die Grundlage für die soziale Freiheit geben.

Und Sie wissen: vom 7. Jahre bis zur Geschlechtsreife, bis zum 14., 15. Jahre lebt im Kinde die Kraft, die man nennen kann das Tun auf Autorität hin. Es kann dem Kinde kein größeres Heil widerfahren, als wenn es dasjenige, was es unternimmt, deshalb tut, weil verehrte Menschen in seiner Umgebung sagen: Das ist richtig, das soll getan werden. — Es ist nichts schlimmer für das Kind, als wenn man es zu früh vor der Geschlechtsreife an sogenanntes eigenes Urteil gewöhnt. Das Autoritätsfühlen zwischen dem 7. und 14. Jahre wird in der Zukunft in erhöhtem und intensiverem Maße ausgebildet werden müssen, als es in der Vergangenheit ausgebildet war. Bewußter und bewußter wird alle Erziehung in diesen Jahren geleitet werden müssen im Sinne eines reinen schönen Autoritätsgefühles, das im Kinde erwacht; denn dasjenige, was in diesen Jahren in das Kind hineingepflanzt werden soll, es soll die Grundlage bilden für das, was die Erwachsenen im sozialen Organismus erleben sollen als das gleiche Recht der Menschen. Das gleiche Recht der Menschen wird nicht anders da sein, denn die Menschen werden nie reif werden als Erwachsene für das gleiche Recht der Menschen, wenn sie nicht in der Kindheit das Autoritätsgefühl eingepflanzt erhalten. In der Vergangenheit mag ein viel geringerer Grad von Autoritätsgefühl genügt haben; in der Zukunft wird er nicht genügen. Und stark wird dieses Autoritätsgefühl in das Kind hineingepflanzt werden müssen, damit die Menschen reif werden für das, was als eine geschichtliche Forderung gar nicht einmal diskutiert werden darf, weil es als eine geschichtliche Forderung auftritt.

Alles das, was schließlich Volksschulerziehung, Volksschulunterricht ist in diesem Zeitalter, alles muß so eingerichtet werden, daß die Menschen zu dieser Höhe der Anschauung, von der eben gesprochen worden ist, hinaufkommen können. Ich frage Sie nun: Wie weit ist die heutige Menschheit nicht nur, wie weit ist die heutige Lehrerbildung entfernt von der Einsicht in diese Dinge? Wie muß gearbeitet werden, wenn diese Einsicht Platz greifen soll? — und sie muß Platz greifen, denn nur in diesem Platz-Greifen kann das Heil gesucht werden.

Wenn man heute in die Länder kommt, die bereits die erste Revolution hinter sich haben, was erfährt man in bezug auf diese Dinge aus Programmen für sogenannte Einheitsschulen? Ja, was steht in diesen Programmen! Für denjenigen, der Einsicht hat in die Zusammenhänge der Menschennatur, für den sind die sozialistischen Erziehungsprogramme ein wahrhaftiges Schreckbild, das Furchtbarste, was man sich denken kann. Und das größte Schreckbild, das heute auszusinnen ist, das Furchtbarste, das vor die Menschheit hingestellt werden kann, das sind die Schulprogramme, die Lehrpläne und Lehrgänge, und die Schulverfassung, die an den Namen Lunatscharski, den Unterrichtsminister in Rußland, sich knüpft; das ist dasjenige, was sich aufspielt in Rußland als Erziehungsprogramm, was der Mord ist alles wirklichen Sozialismus. Aber auch in anderen Gegenden Europas sind Erziehungsprogramme wahrhaft Krebsschäden, namentlich die sozialistischen Erziehungsprogramme, denn sie gehen aus von einem schier unglaublichen Grundsatz; sie gehen aus von dem Grundsatz, daß man die Schule schon so einrichten müsse, wie ungefähr im sozialen Organismus die Erwachsenen leben sollen. Ich habe Schulprogramme gelesen, in denen als einer der ersten Grundsätze steht: Das Rektorat soll abgeschafft werden; die Lehrer sollen auf dem Standpunkt absoluter Gleichberechtigung stehen mit den Schülern; es soll die ganze Schule aufgebaut sein auf Kameradschaftlichkeit. Spricht man gegen einen solchen Grundsatz heute, ich will sagen nur in Süddeutschland, wo die Dinge viel weniger weit gediehen sind als in anderen Gegenden Europas, dann wird man hingestellt als jemand, der vom sozialen Leben überhaupt nichts versteht.

Dennoch, diejenigen Menschen, die es ehrlich meinen würden mit dem Aufstieg der Menschen zum wirklichen sozialen Organismus, die müßten vor allen Dingen sich klar sein darüber, daß niemals ein wirklicher sozialer Organismus entstehen kann mit dem sozialistischen Erziehungsprogramm. Denn niemals, wenn der Sozialismus in der Schule eingeführt wird, kann er im Leben sein. Nur dadurch werden die Menschen reif zu einem sozial gerechten Zusammenleben, daß sie gerade in der Schulzeit auf wirkliche Autorität hin das Leben bauen. Man muß sich überall heute klar machen, wie weit entfernt das ist, was die Menschen treiben, was die Menschen sich vorstellen, daß es kommen soll von dem, was Wirklichkeitssinn ist.

Nach der Geschlechtsreife, vom 14., 15. bis zum 21. Jahr entwickelt sich bei dem Menschen ja nicht nur das geschlechtliche Liebesleben, sondern es entwickelt sich dieses geschlechtliche Liebesleben nur als ein Spezialfall der allgemeinen Menschenliebe überhaupt; es ist nur ein Spezialfall der allgemeinen Menschenliebe. Und diese Kraft der allgemeinen Menschenliebe, die sollte in der Zeit, wenn die Kinder die Schule verlassen und dann in die anderen Anstalten kommen oder in die Lehre kommen oder so etwas, da besonders gepflegt werden. Denn niemals wird diejenige Konfiguration des Wirtschaftslebens, welche eine historische Forderung ist, durchglüht sein können von dem, von dem sie durchglüht sein soll, von Brüderlichkeit, das heißt von allgemeiner Menschenliebe, wenn nicht in diesen Jahren die allgemeine Menschenliebe entwickelt wird.

Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben, wie sie angestrebt werden muß für die Zukunft, sie wird in den Menschenseelen nur sein, wenn die Erziehung nach dem 15. Jahre so eingerichtet wird, daß gerade mit aller Bewußtheit hingearbeitet wird auf die allgemeine Menschenliebe, wenn Weltanschauungsfragen, wenn die ganze Erziehung, die auf die sogenannte Einheitsschule folgen soll, aufgebaut wird auf Menschenliebe, überhaupt auf Liebe zur äußeren Welt.

Auf diesem dreifachen Erziehungs-Unterboden muß aufgerichtet werden das, was der Zukunft der Menschheit erblühen soll. Ohne daß man wissen wird, der physische Leib, der ein Nachahmer ist, der muß in der richtigen Weise ein Nachahmer werden, wird man in diesen physischen Leib hineinverpflanzen nur die animalischen Triebe. Ohne daß man wissen wird, daß vom 7. bis 14, Jahre sich der Ätherleib besonders entwickelt, der auf Autorität hin sich entwickeln muß, wird sich im Menschen entwickeln nur die allgemeine Kulturschläfrigkeit. Und diejenige Kraft, die notwendig werden wird für den Rechtsorganismus, sie wird nicht da sein.

Und ohne daß vom 14., 15. Jahre an die Kraft der Liebe, die an den Astralleib gebunden ist, in vernünftiger Weise in alles, was Unterricht oder Lehre ist, hineingelegt wird, werden die Menschen niemals ihren astralischen Leib entwickeln können, weil sie den astralischen Leib nimmer zu einem freien Wesensgebilde im Menschen gestalten können.

Die Dinge umschlingen sich. Daher mußte ich sagen:

Nachahmung, in der richtigen Weise, entwickelt Freiheit;
Autorität — Recht,
Brüderlichkeit, Liebe — Wirtschaftsleben.

Aber auch umgekehrt ist das. Wenn nicht in der richtigen Weise die Liebe entwickelt wird, fehlt auch die Freiheit. Wenn nicht in der richtigen Weise die Nachahmung entwickelt wird, werden groß die animalischen Triebe.

Sie sehen auch, wenn man dieses Problem anfaßt, ist Geisteswissenschaft die richtige Unterlage für dasjenige, was gerade wegen der großen historischen Forderungen, die heute über die Menschheit kommen, zum Kulturinhalte werden muß. Ohne diesen Kulturinhalt, der nur aus der Geisteswissenschaft herausfließen kann und der über die Menschheit kommen muß, können wir fortan wirklich nicht weiterkommen.

Also die Fragen, die uns vorliegen, sie müssen in eine geistige Atmosphäre gebracht werden; das ist dasjenige, was als Überzeugung wird in die Menschenseelen einziehen müssen. Und noch einmal möchte ich es betonen: Man mag diskutieren darüber, wie lange oder wie kurz es noch dauern kann, bis eine solche Überzeugung in die Menschenseelen eindringt; aber jedenfalls, was unbewußt von den Menschen erstrebt wird — es ist keine Rede davon, daß es erreicht werden kann, wenn diese Überzeugung nicht in die Menschenseelen hineinkommt, Und ich glaube, Sie sehen daraus, welcher Zusammenhang doch besteht zwischen dem, was in unserer Geisteswissenschaft auf den einzelnen konkreten Gebieten getrieben worden ist, und demjenigen, was sich aus der Not der Zeit heraus als die großen Zeitforderungen, als die geschichtlichen Forderungen und Notwendigkeiten der Menschheit für die Gegenwart und für die nächste Zukunft ergibt. Das lag auch dem zugrunde, wenn ich oftmals hier sagte: Geisteswissenschaft soll im Zusammenhange betrachtet werden mit den großen geschichtlichen Aufgaben der Gegenwart. Die Menschen sind allerdings heute weit, weit weg, die Dinge so zu beurteilen, wie es hier charakterisiert worden ist. Es muß sich gewissermaßen in der Menschheit eine Spannung ergeben, eine Spannung der Unbefriedigtheit, damit aus dem Entgegengesetzten heraus, aus dem rein materiellen Streben, das Streben nach Spiritualität, das Streben nach Geistigkeit komme. Denn wie sollen sich die Menschen in der großen Frage, die da kommt, zurechtfinden, in der Frage, die sie dazu geführt hat, unter Maja, unter Ideologie, gerade das Entgegengesetzte zu verstehen?

Aber was ist herausgekommen? Sehen Sie, der Impuls, aus dem die Menschenseelen des Orients und die Menschenseelen des Okzidents denken, er ist ein verschiedener, faßt man ihn konkret ideell auf. Aber er hat gewissermaßen auch das Eigentümliche an sich, daß er eine gleiche Seelenstimmung über dem Orient und über dem Okzident erzeugt. Diese Seelenstimmung muß man auch ins Auge fassen. Daß die Orientalen die äußere Welt als eine Maja bezeichnet haben — es ist alt. Ihre große Bedeutung hatte die mystische Auffassung von der Welt als einer Maja wahrhaftig in früheren Zeiten; sie hat sie nicht in der Gegenwart. Sie hatte sie früher. Über den Orient ist gekommen, weil die Weltanschauung von der Maja gewissermaßen veraltet ist, ein gewisses passives Sich-Hingeben an diese Weltanschauung — ein Fatalismus, ein Fatalismus, der nach Europa hereingespielt hat in der krassesten Weise im Türkentum. Fatalismus, Geschehenlassen desjenigen, was geschehen will: Passivität des menschlichen Willens.

Die abendländische Anschauung von der Maja, sie ist im Grunde genommen schon so aufgetreten, daß sie in der Atmosphäre dieses Fatalismus lebte.

Am präzisesten kam ja heraus diese Anschauung von der Ideologie durch Karl Marx und Engels. Diese Anschauung von der Ideologie ist die moderne sozialistische Lehre — diese Anschauung, wonach alles Geistig-Seelische, das sich ergibt, aus der einzigen Wirklichkeit, aus dem Ökonomischen Prozeß heraus stammt und eben eine Maja, eine Ideologie ist.

Wie trat sie auf? Sie trat schon fatalistisch in die Welt ein. Was war denn bis zur Weltkriegskatastrophe der äußere Ausdruck der sozialistischen Lehre? Der äußere Ausdruck der sozialistischen Lehre war der: Die Kapitalien sammeln sich an, konzentrieren sich, immer größere und größere Kapitalisten oder kapitalistische Gruppen entstehen, Trusts, Pools und so weiter; es wird sich der wirtschaftliche Prozeß ganz von selbst abspielen, immer mehr und mehr Konzentration der Kapitalgruppen, bis der Zeitpunkt eintritt, wo ganz von selbst die Herrschaft über das Kapital übergeht an das Proletariat, Man braucht nichts dazu zu tun, das ist ein objektiver, wirtschaftlicher, ein rein ökonomischer Prozeß: Fatalismus.

Am Punkte des Fatalismus ist der Orient angelangt. Vom Punkte des Fatalismus geht der Okzident aus, geht der Okzident aus gerade bei der Majorität der Bevölkerung. Fatalistisch ist die Majorität der Bevölkerung. Über sich ergehen lassen dasjenige, was der Weltprozeß bringen soll, das ist Prinzip des Orients geworden, das ist Prinzip des Okzidents; nur daß dasjenige, in das man sich fatalistisch ergeben will, für den Orient ein Geistiges ist, für den Okzident ist es der materielle ökonomische Prozeß. Einseitig sieht man in die Weltentwickelung des Menschen hinein. Überschaut man die heutige menschliche Weltentwickelung, wie sie sich ergeben hat aus früheren Zuständen, dann haben wir aus dieser unserer Weltentwickelung ein geistiges Element darinnen, das aber, wie gesagt, den Menschen schon zur Ideologie geworden ist. Worauf ist es aufgebaut? Es ist aufgebaut auf dem Griechentum. Dasjenige im Grunde genommen, was der tiefste Impuls unserer Seelenverfassung ist, hat noch etwas Griechisches in sich. Daher haben wir das Gymnasium, eine Nachahmung der griechischen Seelenstruktur, für die Erziehung. In Griechenland war dasjenige, was solche Seelenverfassung war für den Menschen, der herangewachsen war bis nahe an die Geschlechtsreife, etwas Natürliches, denn das Griechentum entwickelte sich so, daß die große Masse der Menschen das arme Volk war, Sklaventum, Helotentum. Die Eroberer waren von anderem Blute. Die Andersbürtigen waren die Träger des geistigen Lebens, die berechtigten Träger des geistigen Lebens, Sie sehen das ganz besonders ausgedrückt in der griechischen Plastik. Sehen Sie sich einen Merkur-Kopf an — ich habe das öfter auch hier erwähnt mit den ganz anders stehenden Ohren, mit der ganz anders stehenden Nase, mit den ganz anders stehenden Augen. Die Griechen deuteten, indem sie den Merkur-Kopf ausarbeiteten, auf diejenige Bevölkerung hin, die sie erobert haben, diejenige Bevölkerung, der sie überließen die äußere Handelswirtschaft. Der Arier, im Zeus-Kopf, Hera-Kopf, Athene-Kopf charakterisiert, er war derjenige, dem durch Weltenmächte der Geist verliehen war.

Ja, glauben Sie nicht, daß das, was sich da als griechische Seelenstruktur ausbreitete, etwas ist, was sich nur in der allgemeinen Seelenverfassung zum Ausdruck bringt! Das bringt sich zum Ausdruck bis in die Wortbildung und Wortfügung de.r griechischen Sprache. Die griechische Sprache ist so, daß sie auf einer aristokratischen sozialen Seelenstruktur beruht. Das haben wir noch in unserem Geistesleben. Daher haben wir keine Erneuerung des Geisteslebens erlebt, als der Zeitpunkt, die Mitte des 15. Jahrhunderts heranrückte, sondern nur eine Renaissance oder eine Reformation, keine Erneuerung unseres Geisteslebens, nur eine Wiederauffrischung des Alten. Das haben wir noch in unserem Geistesleben in uns,

Wir erziehen unsere Gymnasialjugend fremd dem Leben. Bei den Griechen war es selbstverständlich, daß sie die Jugend so erzogen haben, wie unser Gymnasium erzieht, denn das war ihr Leben. Die Griechen erzogen ihre Kinder und ihre Jugend so, wie ihr Leben war; wir erziehen unsere Gymnasialjugend, wie das griechische Leben war. Deshalb ist unser Geistesleben weltenfremd geworden, deshalb wird es als Ideologie empfunden, deshalb hat es überall Gedanken, zu kurz, um das Leben zu erfassen, vor allen Dingen handelnd und tätig in das Leben einzugreifen.

Und neben diesem Elemente der Geistesbildung haben wir eine merkwürdige Rechtsbildung in uns. Es ist überall, auf allen Gebieten nachzuweisen, wie in der Mitte des 15. Jahrhunderts ein mächtiger Einschnitt in der neueren Menschheitsentwickelung war. Das Getreide ist heute teuer, und alles dasjenige, was aus Getreide fabriziert ist, ist heute teuer, Es ist überteuer! Forscht man nach, wann es überbillig war in europäischen Ländern, so kommt man ungefähr auf das 9., 10. Jahrhundert. Damals war es gerade so viel zu billig, als es heute zu teuer ist. Und in der Mitte des 15. Jahrhunderts hatte es einen normalen Preis.

Es ist interessant zu sehen, wie bis in den Getreidepreis hinein dieser Zeitpunkt des 15. Jahrhunderts als der große Einschnitt der Menschheit sich ergibt. Und was war die Folge, daß dazumal gerechte Getreidepreise da waren über einen großen Teil von Europa hin? Die alte Leibeigenschaft, die alte Hörigkeit hatte dazumal gerade um die Mitte des 15. Jahrhunderts teilweise angefangen aufzuhören. Da drang ein, um die beginnende Freiheit zu vernichten, das römische Recht. Und wir sind durchsetzt auf dem Gebiete des Politischen, auf dem Gebiete des Staatlichen von dem römischen Recht, wie wir in bezug auf das Geistige durchsetzt sind von griechischer Geistes- und Seelenstruktur. Wir haben nicht vermocht bis jetzt, auf dem Gebiete des Rechtes etwas anderes zu erzeugen als eine Renaissance, die Renaissance des römischen Rechtes, Wir haben in unserem sozialen Organismus die griechische Geistesstruktur, die römische Staatsstruktur.

Das Wirtschaftsleben läßt sich nicht als Renaissance gestalten. Denn man kann selbstverständlich nach römischem Rechte leben, nach griechischer Geistesstruktur die Kinder erziehen, oder die Jugend erziehen, aber man kann nicht das essen, was die Griechen gegessen haben, denn man würde nicht satt werden davon. Das Wirtschaftsleben muß gegenwärtig sein. Und so ist denn das europäische Zivilisations-Wirtschaftsleben das dritte Element. In diesen drei Gebieten müssen wir, da sie chaotisch durcheinandergewürfelt sind, Ordnung schaffen. Es kann nur durch den dreigliedrigen sozialen Organismus geschehen.

Höchst einseitig haben das Leute wie Marx und Engels eingesehen, indem sie erkannt haben: Es geht nicht mehr, mit demjenigen Geistesleben zu regieren, das vom Griechentum hergenommen ist; es geht nicht mehr, mit demjenigen Rechtsstaat zu leben, der vom römischen Recht herübergekommen ist. Bleibt uns nur das Wirtschaftsleben, haben sie gesagt. Sie haben aber überhaupt nur gedacht an das Wirtschaftsleben. In der Zukunft, sagte Engels, dürfen nur noch Waren verwaltet und Produktionsprozesse geleitet, nicht mehr Menschen regiert werden. Das ist ebenso einseitig wie richtig — richtig, aber furchtbar einseitig.

Es muß das Wirtschaftsleben auf seinen eigenen Grund und Boden gestellt werden. Innerhalb der wirtschaftlichen Gliederung des sozialen Organismus müssen nur Güter verwaltet und Produktionsprozesse geleitet werden. Das muß selbständig werden. Wenn man aber aus dem sozialen Organismus herauswirft das Rechtsleben und das Geistesleben der früheren Weise, dann muß man sie in neuerer Weise begründen. Das heißt, wir brauchen dann neben dem Wirtschaftsleben, das Güter verwaltet und Produktionsprozesse leitet, wir brauchen daneben das demokratische Staatsleben, das auf die Gleichheit der Menschen gebaut wird. Wir brauchen nicht bloß Renaissance des römischen Rechtes, wir brauchen Neugeburt des Staatslebens auf der Basis der Gleichheit der Menschen, Und wir brauchen nicht nur eine Renaissance des Geisteslebens, wie sie eingetreten ist im Beginne der Neuzeit, wir brauchen eine Neugestaltung, eine Neuschöpfung des Geisteslebens. Und wir müssen uns bewußt werden, vor dieser Neuschöpfung des Geisteslebens müssen wir stehen,

Und mit dem, was im tiefsten Sinne in der Entwickelung der neueren Menschheit lebt, hängt das zusammen, was ausgesprochen werden sollte durch die Forderung der Dreigliederung des sozialen Organismus. Das ist kein Einfall, das ist dasjenige, was herausgeboren ist aus dem tiefsten Bedürfnis unserer Zeit; das ist dasjenige, was im eminentesten Sinne der Gegenwart entspricht. Es gibt Leute, viele Leute, die sagen, sie verstehen das nicht, es sei schwierig, sehr schwierig. In Deutschland habe ich den Leuten gesagt, wenn sie immer wiederum davon gesprochen haben, daß die Dinge schwierig zu verstehen sind, daß ich allerdings diese Dinge unterscheide von dem, was man gewohnt worden ist in den letzten vier bis fünf Jahren zu verstehen. Da hat man leicht gefunden, Dinge zu verstehen, die ich nicht verstanden habe — so sagte ich —, die Dinge mußten nur befohlen werden zu verstehen. Es mußte das große Hauptquartier oder eine andere Instanz befehlen, daß die Dinge zu verstehen sind, dann hat man sie sich sogar eingerahmt. Man hat sie verstanden, weil es befohlen war, sie zu verstehen; jetzt kommt es darauf an, aus der freien Menschenseele heraus etwas zu verstehen. Dazu ist es nötig, daß die Seelen aufwachen; das wollen sie so wenig. Darauf kommt es aber an. Es ist nicht die Unverständlichkeit der Sache, es ist der noch nicht vorhandene Wille und der Mut, der noch fehlt, in diese Wirklichkeit hineinzuschauen. Es ist ganz natürlich, daß dasjenige, was aus einem ganz neuen Tone heraus zur Menschheit sprechen muß, in anderen Sätzen abgefaßt ist, als die Menschen es gewohnt sind bis jetzt. Denn wir sind von drei anderen Dingen erfaßt, als von demjenigen, was in dieser Dreigliederung gesprochen wird.

In dieser Dreigliederung wird eine Erneuerung des Geisteslebens gefordert so, daß die Menschen wirklich einen Zusammenhang ihres Seelischen empfinden mit dem objektiv geistigen Leben. Den haben sie nicht, die Menschen. Denn wenn die Menschen heute sprechen, so sprechen sie zum großen Teil Phrasen. Warum spricht man aber Phrasen? Phrasen spricht man dann, wenn man keinen Zusammenhang hat mit dem, was die Phrasen bedeuten sollen. Weil den Menschen fehlt der Zusammenhang mit dem geistigen Leben, sind ihre Worte zu Phrasen geworden.

Von Recht ist in den letzten Jahren viel gesprochen worden, von der Aufrichtung des Rechtes innerhalb der Menschheit, der zivilisierten Menschheit. Wie die Menschen mit Bezug auf das Recht weit entfernt sind von der Wirklichkeit, das zeigen wohl die Ereignisse der Gegenwart zur Genüge. Man hat natürlich bisher nicht um Recht, sondern nur um Macht gestritten, aber man hat vom Rechte geredet.

Und das Wirtschaftsleben: man hat keine Gedanken gehabt, um dieses Wirtschaftsleben zu umspannen, daher sind die Tatsachen von selbst abgelaufen. Das ist das Charakteristische im Wirtschaftsleben gewesen, daß die Leute produziert und produziert haben, eben so, wie ich es dazumal, im Frühjahr 1914 in Wien gesagt habe, wo ich dieses Produzieren ein soziales Krebsgeschwür genannt habe: produziert wurde und produziert und die Waren auf den Markt geworfen, und der ganze wirtschaftliche Kreislauf sollte von selber gehen, war nicht von Gedanken beherrscht. Ein chaotisches, planloses Wirtschaftsleben; ein Rechtsleben, das nur ein Machtleben ist; ein Geistesleben, das zur Phrase entartet ist: das ist die dreifache Gliederung, die wir im Grunde genommen gehabt haben. Aus dieser dreifachen Gliederung müssen wir heraus. Und wir kommen nur heraus, wenn wir dasjenige ernst zu nehmen verstehen, was gerade mit der Dreigliederung gemeint ist.

Aber sehen Sie, es hängt zusammen mit dem, was im Grunde genommen doch nur verstanden werden kann, wenn man auf anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft zurückgeht. Es hat verstimmt, als ich einmal in einem öffentlichen Vortrag vor einigen Wochen einen Satz aussprach, der aber eine gründliche, wirkliche Erkenntnis ist. Ich sagte: Die leitenden, führenden Kreise der Gegenwart dürfen sich nicht mehr verlassen auf ihr Gehirn, das dekadent ist. Sie müssen sich aufschwingen, dasjenige zu begreifen, wozu man das Gehirn nicht braucht, wozu man den Ätherleib braucht. Denn die Gedanken, die gefaßt werden sollen in anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft, die bedürfen des Gehirnes nicht. Die leitenden, führenden Kreise, das Bürgertum von heute, muß sich bequemen, schon wegen seiner physiologischen Entwickelung, geistiger Erkenntnis sich hinzugeben, etwas zu pflegen, das man auch pflegen kann mit dekadenten Gehirnen.

Das Proletariat strebt herauf. Das hat ein noch unverbrauchtes Gehirn. Die Zitrone ist noch nicht ganz ausgequetscht; da kommt noch etwas im Gehirn von Atavistischem heraus. Daher versteht das Proletariat heute noch dasjenige, was im Sinne einer neueren Ordnung der Dinge gesagt wird. Und heute liegen die Dinge so, daß im Grunde genommen das gesamte Proletariat für diese Dinge zugänglich wäre, nur die Führer nicht, denn die sind verbürgerlicht; die sind größere Spießer als die wirklichen Spießer. Sie haben das Spießertum übernommen, und sie haben es zu einer gewissen Höhenkultur ausgebildet. Aber auf der anderen Seite besteht ein furchtbarer Gehorsam. Dieser Gehorsam, der wird erst gebrochen werden müssen. Eher gibt es auch auf diesem Gebiete kein Heil.

Sie sehen, die Dinge liegen schon einmal in der Gegenwart komplizierter, als man sich gewöhnlich einbildet, und sie liegen so, daß im Grunde genommen nur die Wissenschaft der Einweihung zur wirklichen Erfassung der sozialen Probleme der Gegenwart führen kann. Sie finden drei Begriffe: Sie finden sie auch in meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», das ich allerdings geschrieben habe nicht nur für Anthroposophen, sondern für das große Publikum. Sie finden da drei wichtige Begriffe im gegenwärtigen sozialen Leben. Da ist der Begriff der Ware oder des Erzeugnisses, des Gutes, das man für das Wirtschaftsleben hat. Ein weiterer wichtiger Begriff ist der Begriff der Arbeit. Und ein dritter wichtiger Begriff ist der Begriff Kapital. An diesen drei Begriffen hängt im Grunde genommen das soziale Erkennen der Gegenwart.

Was haben die Menschen schon alles gesagt an sozialer Wissenschaft, um diese drei Begriffe zu durchdringen! Wer kennt, was namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Nationalökonomen in der Wissenschaft heraufgekommen ist, um diese drei Begriffe Ware, Arbeit und Kapital zu durchdringen, der weiß, was geleistet worden ist an unmöglicher Wissenschaft, denn alle diese Wissenschaft reicht nicht aus. Ein niedliches Beispiel habe ich neulich einmal vorgeführte Der berühmte Professor Lujo Brentano, die Leuchte der nationalökonomischen Wissenschaft Mitteleuropas in der Gegenwart, hat neulich einen Artikel geschrieben, der heißt: «Der Unternehmer.» Da entwickelt er die Kennzeichen des Unternehmers, drei Kennzeichen des Unternehmers. Ich will nur das dritte Kennzeichen des Unternehmers im Sinne des Brentano Ihnen sagen. Dies dritte Kennzeichen ist, daß man die Produktionsmittel anwendet auf eigene Rechnung und Gefahr. Nicht wahr, der Unternehmer ist Besitzer der Produktionsmittel und unternimmt die Produktion für den Markt auf eigene Rechnung und Gefahr. Nun ist der Begriff des guten Brentano, der die Leuchte der gegenwärtigen Universitäts-Nationalökonomie ist, so geschürzt, daß Lujo Brentano in demselben Artikel glücklich herausbekommt, wer noch ein Unternehmer ist außer dem Fabrikant und außer dem Betriebsunternehmer: Das ist nämlich der moderne Arbeiter. Der moderne Arbeiter ist ein Unternehmer, weil er ja die Produktionsmittel hat, nämlich seine eigene Arbeitskraft, und die bietet er auf dem Markte an auf eigene Rechnung und Gefahr. Der Begriff des Herrn Lujo Brentano über den Unternehmer ist so klar, daß der Arbeiter auch unter diese Unternehmer fällt. So gescheit, sehen Sie, ist die heutige ökonomische Wissenschaft! Es ist zum Lachen. Aber man kann sich heute nicht aufraffen zu diesem Lachen, weil noch die Universitäten die führenden Stellungen einnehmen in dem Geistesleben. Die Universitäten erzeugen aber diese Dinge auf dem Gebiete der Nationalökonomie. Man will sich nicht gestehen, man hat nicht den Mut dazu, sich zu gestehen, daß lächerliches Zeug produziert wird auf diesem Gebiete. Die Dinge sind eben furchtbar.

Aber diese Dinge müssen unbedingt ins Auge gefaßt werden; und gefragt muß werden: Woher kommt es denn, daß gerade über die sozialen Begriffe, die heute zur brennenden Tagesfrage werden, daß gerade über die sozialen Begriffe alle Wissenschaft nicht ausreicht? Es würde mir eine Befriedigung sein, wenn ich gerade über diese Frage Ihnen bei meinem hiesigen Aufenthalte Genaueres sagen könnte. Heute will ich nur, ich möchte sagen, wie referierend anführen, warum das so ist.

So bloß ökonomisch der Begriff Ware auch ist, er kann nie geprägt werden mit gewöhnlicher Wissenschaft. Sie kommen zu dem Begriff von Ware nicht, wenn Sie nicht imaginative Erkenntnisse zugrunde legen. Sie können den Begriff Ware nur begreifen, wenn Sie imaginative Erkenntnisse zugrunde legen. Und Sie können die Arbeit im Sozialen, ökonomischen nicht begreifen, wenn Sie nicht inspirierte Erkenntnisse zugrunde legen. Und Sie können das Kapital nicht definieren, wenn Sie nicht intuitive Erkenntnisse zugrunde legen.

Der Begriff der Ware fordert Imagination;
der Begriff der Arbeit fordert Inspiration;
der Begriff des Kapitals fordert Intuition.

Und werden sie nicht so formuliert, diese Begriffe, kommt immer konfuses Zeug heraus.

Daran können Sie im speziellen sehen, warum konfuses Zeug herauskommen muß. Warum definiert Lujo Brentano den Kapital-Begriff, der zusammenfällt mit dem Unternehmer-Begriff, so, daß der Arbeiter auch ein Kapitalist ist bei ihm, nämlich ein Unternehmer? Weil er natürlich ein sehr gescheiter Herr der Gegenwart ist, aber keine Ahnung davon hat, daß, um einen wirklichen Begriff von Kapital zu gewinnen, intuitive Erkenntnis notwendig ist!

Allerdings, es kommt das auf einem Umweg zustande. Die Bibel deutet etwas auf diesen Umweg, indem sie vom Kapitalismus als dem Mammonismus spricht. Da bringt sie allerdings mit einer besonderen Art von Geistigkeit das Kapital in Zusammenhang. Aber Geistigkeit kann man ja nur durch Intuition erkennen, Will man die im Kapitalismus wirkende Geistigkeit, den Mammonismus erkennen, so braucht man Intuitionen. In der Bibel steht es schon drinnen. Aber heute brauchen wir eben eine Welterkenntnis, die das ins Moderne heraufhebt.

Versucht muß werden, diese Dinge, die man heute noch für irgend etwas Verschrobenes halten wird, gerade sachkenntnismäßig zu durchdringen. Wirkliche Sachkenntnis auf diesem Gebiete, die wird aber überall ergeben die Notwendigkeit der Durchdringung sozialer Anschauungen mit echter, wahrer Geisteswissenschaft. Das ist dasjenige, was dem unbefangenen Beobachter des Lebens sich heute wirklich aufdringen muß. Erinnern Sie sich nur selber, soweit Sie dort waren, an eine denkwürdige Frage, die im Bernoullianum in Basel vor meiner Abreise nach einem Vortrage gestellt worden ist, wo ein Mensch in die Diskussion die Frage einwarf: Wie kann man dahin kommen, daß Lenin Weltherrscher werde? Denn eher sähe er kein Heil, nach seiner Ansicht, bevor nicht Lenin Weltherrscher wird. Denken Sie, was das für eine Konfusion bedeutet! Das bedeutet dieses, daß diejenigen Menschen, die sich heute am radikalsten gebärden, am reaktionärsten sind. Sozialismus wollen sie; man müßte anfangen vor allen Dingen die Herrschaftsverhältnisse zu sozialisieren; aber man beginnt den Sozialismus mit der universellen Wirtschaftsmonarchie des Lenin! Man fängt nicht einmal an zu sozialisieren bei den Herrschaftsverhältnissen. So grotesk treten einem heute die Dinge entgegen! Solche Dinge bleiben wirklich denkwürdig, wenn einem gesagt wird: Lenin sollte Weltherrscher werden. Aber so stehen die Dinge heute. Diejenigen Menschen, die glauben, die aufgeklärtesten Begriffe zu haben, die haben die verkehrtesten Begriffe; und man wird nicht zu einer Klarheit kommen auf diesem Gebiete, wenn man sich nicht einlassen wird darauf, diese Klarheit voll aus der Geisteswissenschaft aufzusuchen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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