ZWEITER
VORTRAG
Zürich, 5. Februar 1919
Die vom Leben geforderten
wirklichkeitsgemäßen Lösungsversuche für
die sozialen Fragen und Notwendigkeiten auf Grund
geisteswissenschaftlicher Lebensauffassung
Mit Bezug auf meine Ausführungen
möchte ich die Bitte aussprechen, diese vier Vorträge
durchaus als ein Ganzes zu betrachten, so daß das, was in
einem der Vorträge vorgebracht wird, keineswegs aus sich
selbst wird immer vollständig beurteilt werden
können. Das Thema, das in Betracht kommt, ist ja ein
so umfassendes, daß es sich wirklich nur
bewältigen läßt in einer Anzahl von
Vorträgen.
Im heutigen Vortrage möchte ich
vorläufig skizzenweise sprechen von denjenigen
Lösungsversuchen, die aus einer wirklichen Erkenntnis der
Wesenheit des sozialen Organismus kommen können, jene
Lösungsmöglichkeiten der sozialen Frage, welche nicht
einseitig aus den Forderungen dieser oder jener Menschenklasse,
dieses oder jenes Standes hervorgehen, sondern welche
hervorgehen aus einer wirklichkeitsgemäßen, aus
einer sachgemäßen Beobachtung der
Entwickelungskräfte der Menschheit, insbesondere
derjenigen Entwickelungskräfte der Menschheit, die in
ausgesprochenstem Maße die Entwickelungskräfte der
Gegenwart und der nächsten Zukunft dieser Menschheit sind.
Versucht man das, was man heute die soziale Frage nennt,
irgendwie einer Lösung entgegenzubringen aus den
Aspirationen, den Forderungen eines Standes, einer Klasse
heraus, überhaupt aus irgendeinem Teil des sozialen
Organismus heraus, so kann man gar nicht anders als durch das,
was man vollführt auf der einen Seite, Wirkungen
hervorzurufen für andere Klassen, für andere Faktoren
des sozialen Organismus, die in irgendeiner Weise
entwickelungshemmend oder die Gesundheit der
Lebensverhältnisse untergrabend sind.
Für unsere Zeit gilt dies, was ich als
Wahrheit hier andeute und im Laufe der Vorträge
erhärten will: daß das ganze moderne Leben, oder man
kann eben auch sagen, der moderne soziale Organismus, eine ganz
bestimmte Gestaltung erfahren hat durch das, was ja oftmals als
das Charakteristische dieses modernen Lebens
ausgesprochen wird, durch die moderne Technik, durch den
technischen Betrieb des Wirtschaftslebens und was damit im
Zusammenhange steht, durch die kapitalistische Art, diesen
Wirtschaftsbetrieb zu organisieren. Auf dasjenige, was moderne
Technik, was moderner Kapitalismus in das Leben hereingebracht
haben, hat sich notwendig nicht nur der beobachtende Blick der
Menschen gerichtet, sondern es haben sich darauf
gerichtet auch die mehr oder weniger bewußten oder mehr
oder weniger instinktiv wirkenden organisierenden Kräfte
innerhalb der sozialen Struktur der menschlichen
Gesellschaft.
Man kann nun das Charakteristische, das gerade
zu der besonderen Gestalt der sozialen Frage in der neueren
Zeit geführt hat, wohl so aussprechen, daß man
sagt: Das Wirtschaftsleben, von der Technik getragen, der
moderne Kapitalismus, sie haben mit einer gewissen
naturhaften Selbstverständlichkeit gewirkt und die
moderne Gesellschaft in eine gewisse innere Ordnung gebracht.
Neben der Inanspruchnahme der menschlichen Aufmerksamkeit
für das, was Technik und Kapitalismus gebracht haben, ist
die Aufmerksamkeit abgelenkt worden von anderen Zweigen,
anderen Gebieten des sozialen Organismus, die ebenso
notwendig wirksam werden müssen, wenn der soziale
Organismus gesund sein soll wie das wirtschaftliche
Gebiet.
Ich darf vielleicht, um mich über das zu
verständigen, was ich gerade als den Nerv einer
umfassenden, allseitigen Beobachtung über die soziale
Frage erkannt zu haben glaube, von einem Vergleich ausgehen.
Aber ich bitte zu berücksichtigen, daß ich nichts
anderes meine damit als einen Vergleich, als etwas, was
unterstützen kann das menschliche Verständnis,
um es gerade in diejenige Richtung zu bringen, welche
notwendig ist, um sich Vorstellungen zu machen über
die Gesundung des sozialen Organismus. Wer in dieser Hinsicht
betrachten muß den kompliziertesten natürlichen
Organismus, den menschlichen Organismus, der muß seine
Aufmerksamkeit darauf richten, daß die ganze Wesenheit
dieses menschlichen Organismus darauf beruht, daß er drei
nebeneinander wirksame Systeme in einem inneren
Gefüge aufzuweisen hat. Diese drei nebeneinander wirksamen
Systeme kann man etwa in folgender Weise kennzeichnen. Man kann
sagen: Im menschlichen natürlichen Organismus wirkt
dasjenige System, welches in sich schließt das
Nerven- und Sinnesleben. Man könnte es auch nach dem
wichtigsten Gliede des Organismus, wo das Nerven- und
Sinnesleben gewissermaßen zentralisiert ist, den
Kopforganismus nennen.
Als zweites Glied der menschlichen Organisation
hat man anzuerkennen, wenn man ein wirkliches
Verständnis erwerben will für diese menschliche
Organisation, was ich nennen möchte das rhythmische
System, das zusammenhängt mit Atmung, Blutzirkulation, mit
alldem, was sich ausdrückt in rhythmischen Vorgängen
des menschlichen Organismus.
Als drittes System hat man dann anzuerkennen
alles dasjenige, was als Organe und Tätigkeiten
zusammenhängt mit dem eigentlichen
Stoffwechsel. In
diesen drei Systemen
istenthalten alles dasjenige,
was in gesunder Art unterhält, wenn es aufeinander
organisiert ist, den Gesamtvorgang, der sich abspielt im
menschlichen Organismus.
Ich habe versucht, in vollem Einklange mit
alldem, was naturwissenschaftliche Forschung schon heute
sagen kann, diese Dreigliederung des menschlichen
natürlichen Organismus wenigstens zunächst
skizzenweise in meinem Buche «Von
Seelenrätseln» zu charakterisieren. Ich bin mir klar
darüber, daß alles das, was Biologie, Physiologie,
was Naturwissenschaft mit Bezug auf den Menschen in der
allernächsten Zeit hervorbringen werden, gerade
hinführt zu einer solchen Betrachtung des menschlichen
Organismus, welche durchschaut, wie diese drei Glieder
— Kopfsystem, Zirkulations — oder Brustsystem und
Stoffwechselsystem — gerade dadurch den Gesamtvorgang im
menschlichen Organismus aufrechterhalten, daß diese
Glieder in einer gewissen Selbständigkeit wirken,
daß nicht eine absolute Zentralisation des menschlichen
Organismus vorliegt, daß auch jedes dieser Systeme
ein besonderes, für sich bestehendes Verhältnis
zur Außenwelt hat: das Kopfsystem durch die Sinne, das
Zirkulationssystem oder rhythmische System durch die Atmung,
und das Stoffwechselsystem durch die
Ernährungsorgane.
Wir sind mit Bezug auf naturwissenschaftliche
Methoden noch nicht ganz so weit, um das, was ich hier
angedeutet habe, was aus geisteswissenschaftlichen
Untergründen heraus für die Naturwissenschaft von mir
zu verwerten gesucht worden ist, um das wirklich schon
innerhalb der naturwissenschaftlichen Kreise selbst zur
allgemeinen Anerkennung zu bringen, wie das wünschenswert
für den Erkenntnisfortschritt erscheinen kann. Das
heißt aber: Unsere Denkgewohnheiten, unsere ganze Art, die
Welt vorzustellen, ist noch nicht vollständig angemessen
dem, was zum Beispiel im menschlichen Organismus sich als die
innere Wesenheit des Naturwirkens darstellt. Man könnte in
einem gewissen Sinne sagen: Nun ja, die Naturwissenschaft kann
warten, sie wird nach und nach ihren Idealen zueilen, sie wird
schon dahin kommen, solch eine Betrachtungsweise als die ihrige
anzuerkennen. Aber mit Bezug auf die Betrachtung und namentlich
das Wirken des sozialen Organismus, kann man nicht warten. Da
muß nicht nur bei irgendwelchen Fachmännern, sondern
da muß in jeder Menschenseele — denn jede
Menschenseele nimmt teil an der Wirksamkeit des sozialen
Organismus — wenigstens eine instinktive Erkenntnis von
dem vorhanden sein, was diesem sozialen Organismus
notwendig ist. Ein gesundes Denken und Empfinden, ein gesundes
Wollen und Begehren mit Bezug auf die Gestaltung des sozialen
Organismus kann sich nur entwickeln, wenn man, sei es auch mehr
oder weniger bloß instinktiv, sich klar darüber ist,
daß dieser soziale Organismus, soll er gesund sein, ebenso
dreigliedrig sein muß wie der natürliche
Organismus.
Dabinichan dem Punkte, wo ich mich besonders
verwahren muß dagegen, mißverstanden zu werden.
Es ist ja, seit Schäffle sein Buch
geschrieben hat über den Bau des sozialen
Organismus, immer wieder und wiederum versucht worden,
Analogien festzustellen zwischen der Organisation eines
Naturwesens, sagen wir der Organisation des Menschen und der
menschlichen Gesellschaft als solcher. Was hat man da alles
versucht festzustellen, was im sozialen Organismus die
Zelle ist, was Zellengefüge sind, was Gewebe sind und so
weiter! Noch vor kurzem ist ja ein Buch erschienen von
Meray,
«Weltmutation», in dem gewisse
naturwissenschaftliche Tatsachen und
naturwissenschaftliche Gesetze einfach übertragen
werden auf, wie man meint, den menschlichen
Gesellschaftsorganismus. Mit all diesen Dingen, mit all
diesen Analogiespielereien hat dasjenige, was hier
gemeint ist, absolut nichts zu tun. Und derjenige,
welcher nach Abschluß dieser Vorträge sagen wird:
Aha, hier hat man es auch wiederum mit einem solchen
Analogiespiel zwischen dem natürlichen Organismus und dem
gesellschaftlichen Organismus zu tun der wird dadurch nur
beweisen, daß er nicht in den eigentlichen Geist des hier
Gemeinten eingedrungen ist. Denn nicht das will ich: irgendeine
für naturwissenschaftliche Tatsachen passende Wahrheit
herüberverpflanzen auf den sozialen Organismus, sondern
das will ich, daß das menschliche Denken, das menschliche
Empfinden so lernt an der Betrachtung des
naturgemäßen Organismus, daß es seine Methode,
seine Empfindungsweise dann auch anwenden kann auf den sozialen
Organismus. Wenn man einfach das, was man glaubt gelernt zu
haben am natürlichen Organismus, überträgt auf
den sozialen Organismus, wie Schäffle es getan hat, wie es
andere getan haben, wie es wiederum in dem Buch über
«Weltmutation» gemacht wird, so zeigt man damit nur,
daß man nicht sich die Fähigkeiten aneignen will, den
sozialen Organismus ebenso selbständig, ebenso
für sich zu betrachten, nach seinen eigenen Gesetzen
zu forschen, wie man dies tut für den natürlichen
Organismus. Also nur um mich verständlich zu machen,
habe ich den Vergleich gezogen mit dem natürlichen
Organismus. Denn in dem Augenblicke, wo man wirklich so
vorgeht, daß man objektiv, wie der Naturforscher, sich
gegenüberstellt dem natürlichen Organismus, so sich
dem sozialen Organismus in seiner Selbständigkeit
gegenüberstellt, um dessen eigene Gesetze zu erkennen, in
diesem Augenblicke hört gegenüber dem Ernst der
Betrachtung jedes Analogiespiel auf.
Ich will gleich bemerken, wie dieses
Analogiespiel aufhören muß. Die Betrachtung des
sozialen Organismus — allerdings hat man es da mit einem
Werdenden, mit einem eigentlich erst Entstehenden zu tun
— , insoferne er gesund sein soll, führt ebenfalls zu
drei Gliedern dieses sozialen Organismus; aber man
erkennt beides selbständig für sich, wenn man
objektiv die Dinge nehmen kann. Man erkennt auf der einen Seite
die drei Glieder des menschlichen Organismus, auf der anderen
Seite objektiv für sich die drei Glieder des
sozialen Organismus. Würde man Analogien suchen, dann
würde man vielleicht in der folgenden Weise verfahren. Man
würde sagen: Das menschliche Kopf- oder
Nerven-Sinnessystem hängt zusammen mit dem menschlichen
Geistesleben, mit den geistigen Fähigkeiten; das
Zirkulationssystem regelt den Zusammenhang dieses geistigen
Systems mit dem gröbsten System, mit dem materiellen
System, mit dem Stoffwechselsystem. Das
Stoffwechselsystem wird dann nach gewissen Empfindungen,
die man nun schon einmal aus gewissen Untergründen
heraus hat, als das gröbste System des menschlichen
Organismus angesehen. Was wäre nun, wenn man ein
Analogiespiel treiben würde, das Nächstliegende? Das
Nächstliegende wäre, daß man sagte: Nun ja, auch
der soziale Organismus zerfällt in drei Glieder. In ihm
wickelt sich ab das menschliche Geistesleben. Das wäre ein
Glied. In ihm wickelt sich ab das eigentliche politische Leben
— wir werden gleich nachher von dieser Gliederung
sprechen — , in ihm wickelt sich aber auch ab das
Wirtschaftsleben. Nun könnte man, wenn man Analogiespiel
treiben wollte, glauben, dasjenige, was als geistiges Leben,
als geistige Kultur im sozialen Organismus gewissen Gesetzen
unterworfen ist, das hätte solche Gesetze, die sich
vergleichen ließen mit den Gesetzen des geistigen Systems,
des Nerven- und Sinnessystems. Dasjenige System, das im
Menschen als das gröbste, als das eigentlich Stoffliche
angesehen wird, eben das Stoffwechselsystem, das würde ein
bloßes Analogiespiel wahrscheinlich vergleichen mit dem,
was man nennt das grobe, materielle Wirtschaftsleben.
Derjenige, der die Dinge nun für sich betrachten kann, der
weit von sich weist ein bloßes Analogiespiel, der
weiß, daß das, was wirklich ist, gerade umgekehrt ist
gegenüber dem, was durch ein bloßes
Analogiespiel herauskommt. Für den sozialen Organismus
liegen gegenüber der wirtschaftlichen Produktion und
Konsumtion, gegenüber der wirtschaftlichen
Warenzirkulation so die Gesetze dem Leben zugrunde, wie im
menschlichen natürlichen Organismus Gesetze zugrunde
liegen seinem Nerven- und Sinnesleben, gerade seinem
Geistsystem. Allerdings, dasjenige, was das Leben des
öffentlichen Rechtes ist, das eigentliche politische
Leben, das Leben, welches man oftmals viel zu umfassend denkt,
das man bezeichnen kann als das eigentliche Staatsleben, das
läßt sich nun vergleichen mit dem zwischen den zwei
natürlichen Systemen, dem Stoffwechselsystem und dem
Nerven-Sinnessystem liegenden rhythmischen System, dem
regulierenden System, dem Atmungs- und dem Herzsystem. Aber nur
dadurch läßt es sich vergleichen, daß eben, wie
im menschlichen Organismus zwischen dem Stoffwechsel- und
dem Nervensystem in der Mitte das Zirkulations- oder
rhythmische System liegt, so liegt das System des
öffentlichen Rechtes zwischen dem Wirtschaftssystem und
zwischen dem eigentlichen Leben der Geisteskultur. Und dieses
Leben der Geisteskultur, dieses Leben des Geistes im sozialen
Organismus, das hat nun nicht Gesetze, die sich analog denken
lassen den Gesetzen der menschlichen Begabungen, den Gesetzen
des menschlichen Sinnes- und Nervenlebens, sondern das, was
geistiges Leben im sozialen Organismus ist, das hat
Gesetze, die sich nur vergleichen lassen mit den Gesetzen
des menschlichen gröbsten Systems, des
Stoffwechselsystems.
Das ist es, wozu eine objektive Betrachtung des
sozialen Organismus führt. Das muß aber auch
vorausgesetzt werden, damit kein Mißverständnis
mit Bezug auf diese Punkte eintritt, damit man nicht glaube, es
werde einfach Physiologisches oder Biologisches auf den
sozialen Organismus übertragen. Der soziale
Organismus muß aber durchaus selbständig
für sich betrachtet werden, wenn Ersprießliches zu
seinem Gedeihen, zu seiner Gesundung geschehen
soll.
Wie tönt aus den mancherlei Gebieten von
Mittel- und Osteuropa auch hier herein das Wort
«Sozialisierung». Diese Sozialisierung wird kein
Heilungsprozeß, sondern ein Kurpfuscherprozeß am
sozialen Organismus sein, vielleicht sogar ein
Zerstörungsprozeß, wenn nicht in die menschlichen
Herzen, in die menschliche Seele einzieht wenigstens die
instinktive Erkenntnis von der Notwendigkeit der Dreigliederung
des sozialen Organismus. Dieser soziale Organismus hat
allerdings, wenn er gesund wirken soll, drei solche Glieder in
sich.
Das erste dieser Glieder, wenn man auf der
einen Seite beginnt — man könnte
selbstverständlich auch beim geistigen Leben beginnen,
allein wir wollen beim Wirtschaftsleben beginnen, weil sich
dieses ja ganz augenscheinlich alles übrige Leben
beherrschend durch die moderne Technik und den modernen
Kapitalismus in die menschliche Gesellschaft
hereingetragen hat — , also als erstes Glied des sozialen
Organismus ist das Wirtschaftsleben, ist das
ökonomische Leben zu betrachten. Dieses ökonomische
Leben, wir werden zum Teil schon heute, zum Teil im weiteren
Verlauf dieser Vorträge sehen, daß es ein
selbständiges Glied für sich innerhalb des sozialen
Organismus sein muß, so relativ selbständig wie das
Nerven-Sinnessystem im menschlichen Organismus relativ
selbständig ist. Zu tun hat es dieses Wirtschaftsleben mit
all dem, was Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsumtion
ist. Mit alldem, was mit diesen drei Dingen zusammenhängt,
hat es das Wirtschaftsleben zu tun. Wir werden uns gleich
nachher über seine Eigentümlichkeiten noch
genauer verständigen.
Als zweites Glied des sozialen Organismus ist
zu betrachten das Leben des öffentlichen Rechtes, das
eigentliche politische Leben, jenes Leben, welches man im Sinne
des alten Rechtsstaates als das eigentliche Staatsieben
bezeichnen könnte. Währendes zu tun hat das
Wirtschaftsleben mit alldem, was der Mensch braucht aus der
Natur und aus seiner eigenen Produktion heraus, während es
das Wirtschaftsleben zu tun hat mit Waren, Warenzirkulation und
Warenkonsumtion, kann es dieses zweite Glied des sozialen
Organismus nur zu tun haben mit alldem, was sich aus rein
menschlichen Untergründen heraus auf das Verhältnis
des Menschen zum Menschen bezieht. Das bitte ich durchaus
zu berücksichtigen, denn es ist wesentlich für
die Erkenntnis der Glieder des sozialen Organismus, daß
man weiß, welcher Unterschied besteht zwischen dem System
des öffentlichen Rechtes, das es nur zu tun haben kann aus
menschlichen Untergründen heraus mit dem Verhältnis
von Mensch zu Mensch, und dem Wirtschaftssystem, das es nur zu
tun hat mit Warenproduktion,
Warenzirkulation, Warenkonsumtion. Man
mußdieses
ebenso wissen, wie man zu unterscheiden wissen
muß im menschlichen natürlichen System die Beziehung
der Lunge zur äußeren Luft, zur Verarbeitung
dieser äußeren Luft, wie man wissen muß dieses
zu unterscheiden von der Art und Weise, wie die
aufgenommenen Nahrungsmittel, durch das dritte
natürliche System im Menschen umgewandelt, für den
Menschen verwendet werden.
Als drittes Glied, das wiederum
selbständig sich neben die beiden anderen Glieder
hinstellen muß, hat man zu unterscheiden im sozialen
Organismus alles das, was sich auf das geistige Leben bezieht.
Noch genauer könnte man sagen, weil vielleicht die
Bezeichnung «geistige Kultur» oder alles das,
was sich auf das geistige Leben bezieht, durchaus nicht ganz
genau ist: alles das, was beruht auf der natürlichen
Begabung des einzelnen menschlichen Individuums, was
hineinkommen muß in den sozialen Organismus auf Grundlage
der natürlichen Begabung, geistigen und physischen
Begabung des einzelnen Individuums. So wie das erste System,
das Wirtschaftssystem, es zu tun hat mit alldem, was da sein
muß, damit der Mensch sein materielles Verhältnis zur
Außenwelt regeln kann, während das zweite System es
zu tun haben muß mit all demjenigen, was da sein muß
im sozialen Organismus wegen des Verhältnisses von
Mensch zu Mensch, hat es das dritte System, das System, das
ich, nur um einen Namen zu haben, das geistige System nenne, zu
tun mit alldem, was hervorsprießen muß und
eingegliedert werden muß in den sozialen Organismus aus
der einzelnen menschlichen Individualität
heraus.
Ebenso wahr als es ist, daß moderne
Technik und moderner Kapitalismus unserem
gesellschaftlichen Leben eigentlich in der neueren Zeit das
Gepräge gegeben haben, ebenso notwendig ist es, daß
diejenigen Wunden, die von dieser Seite her notwendig der
menschlichen Gesellschaft geschlagen worden sind, dadurch
geheilt werden, daß man den Menschen und die
menschliche Gesellschaft selbst in ein richtiges
Verhältnis bringt zu dem, was ich hier charakterisiert
habe als die drei Glieder dieses sozialen Organismus. Das
Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren
Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat sozusagen
hereingedrängt in das menschliche Leben seine eigenen
Gesetze. Die anderen beiden Glieder des sozialen
Organismus sind in der Lage, mit derselben
Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach
ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus
hineinzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß
der Mensch aus Selbständigkeit, aus Bewußtsein heraus
die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte, wo er
steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der
sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder
einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in
der nächsten Zukunft.
Das erste Glied des sozialen Organismus, das
Wirtschaftsleben, das ruht zunächst auf der
Naturgrundlage. Geradeso wie der einzelne Mensch mit Bezug auf
das, was er für sich durch Lernen, durch Erziehung,
durch das Leben werden kann, ruht auf der Begabung seines
geistigen und körperlichen Organismus, auf
denjenigen Begabungen und Talenten, die ihm gegeben sind, so
ruht alles Wirtschaftsleben auf einer gewissen Naturgrundlage.
Diese Naturgrundlage drückt einfach dem Wirtschaftsleben
und dadurch dem gesamten sozialen Organismus sein Gepräge
auf. Aber diese Naturgrundlage ist eben da, ohne daß sie
durch irgendeine soziale Organisation, durch irgendeine
Sozialisierung in ursprünglicher Art getroffen
werden kann. Sie muß berücksichtigt werden. So
wie bei der Erziehung des Menschen berücksichtigt werden
muß die Begabung, die er hat auf den verschiedenen
Gebieten, seine natürliche körperliche und geistige
Tüchtigkeit, so muß von aller Sozialisierung
überhaupt, von jedem Versuche, dem menschlichen
Zusammenleben auch eine wirtschaftliche Gestaltung zu
geben, berücksichtigt werden die Naturgrundlage. Denn
aller Warenzirkulation und auch aller menschlichen Arbeit und
auch jeglichem geistigen Kulturleben liegt zugrunde als ein
erstes elementarisches Ursprüngliches das, was den
Menschen kettet an ein bestimmtes Stück Natur. Da muß
man wirklich denken über den Zusammenhang des
sozialen Organismus mit der Naturgrundlage, wie man beim
einzelnen Menschen mit Bezug auf Lernen, mit Bezug auf
Erziehung, im Verhältnis zu seiner Begabung zu denken hat.
Man kann sich dieses gerade an extremen Fällen
klarmachen. Man braucht zum Beispiel nur zu bedenken,
daß in gewissen Gebieten der Erde, wo die Banane ein
naheliegendes Nahrungsmittel für die Menschen abgibt, in
Betracht kommt für das menschliche Zusammenleben das
an Arbeit, das aufgebracht werden muß, um die Banane von
ihrer Ursprungsstätte aus an einen bestimmten
Bestimmungsort zu einem Konsummittel zu machen. Vergleicht man
die menschliche Arbeit, die aufgebracht werden muß, um die
Banane für die menschliche Gesellschaft konsumfähig
zu machen, mit der Arbeit, die aufgebracht werden muß etwa
in unseren Gegenden Mitteleuropas, um den Weizen
konsumfähig zu machen, so ist die Arbeit, die für die
Banane aufgebracht werden muß, bescheiden gerechnet,
dreihundertmal geringer. Die Arbeit, die aufgebracht werden
muß, um den Weizen konsumfähig zu machen, ist, gering
gerechnet, dreihundertmal größer.
Gewiß, es ist ein extremer Fall. Aber
solche Unterschiede mit Bezug auf das notwendige Maß von
Arbeit im Verhältnis zu der Naturgrundlage sind auch unter
unseren Produktionszweigen da, unter den
Produktionszweigen, die in irgendeinem sozialen
Organismus Europas vertreten sind. Nicht in dieser
radikalen Verschiedenheit wie Banane und Weizen, aber diese
Unterschiede sind da. So ist das durchaus im
Wirtschaftsorganismus
begründet, daß durch das
Verhältnis des Menschen, seiner Konsumtion zur Natur, das
Maß von Arbeitsfähigkeit wesentlich
abhängt von der Naturgrundlage, wie das Wesen eines
Menschen abhängt von seiner natürlichen
körperlichen oder geistigen Begabung. Und man braucht ja
nur zum Beispiel zu vergleichen: In Deutschland, in
Gegenden mit mittlerer Ertragsfähigkeit, ist das
Erträgnis der Weizenkultur so, daß ungefähr das
sieben- bis achtfache der Aussaat wiederum einkommt durch
die Ernte. In Chile kommt das zwölffache herein, in
Nordmexiko kommt das siebzehnfache ein, in Peru das
zwanzigfache, in Südmexiko das fünfundzwanzig- bis
fünfunddreißigfache. Da haben Sie für
verschiedene Gegenden der Erde die Ertragsfähigkeit der
Weizenkultur im Verhältnis zum Boden, zu dem Ertrag
des Bodens. Das aber beeinträchtigt im wesentlichen das
Maß von Arbeit, welches aufgebracht werden muß,
um den Weizen in der entsprechenden Weise als Ware in das
Wirtschaftsleben einzufügen.
So wie man solche Angaben machen kann für
das Maß von Arbeit, das notwendig ist, um den Weizen in
verschiedenen Gegenden konsumfähig zu machen, so
kann man auch unterscheiden in dem Maße von Arbeit, das
notwendig ist, um die verschiedensten Produktionszweige,
Rohprodukte der verschiedensten Produktionszweige, innerhalb
des Wirtschaftslebens eines sozialen Organismus
konsumfähig zu machen. Dieses ganze zusammengehörige
Wesen, welches verläuft in Vorgängen, die
beginnen in dem Verhältnis des Menschen zur Natur, die
sich fortsetzen mit alldem, was der Mensch zu tun hat, um die
Naturprodukte umzuwandeln und sie zu bringen bis zur
Konsumfähigkeit für den Menschen, alle diese
Vorgänge, die in diesen Gesamtvorgängen von der
Naturgrundlage bis zur Konsumfähigkeit liegen, alle diese
Vorgänge, und nur diese, schließen sich
für einen gesunden sozialen Organismus in das reine
Wirtschaftsglied der sozialen Organisation ein. Dieses
Wirtschaftsglied der sozialen Organisation müßte nun
— ich werde das im Lauf der Vorträge noch genauer
ausführen und beweisen — mit einer solchen
Selbständigkeit im ganzen sozialen Organismus
drinnenstehen, wie das menschliche
Kopfsystem im menschlichen Gesamtorganismus
drinnensteht.
Und selbständig neben diesem
Wirtschaftssystem müßte ein anderes System stehen,
das es zu tun hat nur mit dem Verhältnis des Menschen zum
Menschen. Das, was im reinen Wirtschaftssystem lebt, hat es mit
dem Bedarf nach diesem oder jenem zu tun, wodurch festgestellt
wird des Menschen Verhältnis zur objektiven Ware. Was als
zweites Glied im sozialen Organismus sich entwickeln muß,
wenn ein gesundes soziales Leben wach werden soll, das ist
alles das, was regelt das Verhältnis von Mensch zu
Mensch.
Man hat versäumt, den richtigen Blick
für die Unterscheidung dieser zwei Glieder des sozialen
Organismus sich anzueignen, dadurch daß man, wie
hypnotisiert durch das moderne Wirtschaftsleben und durch
uralte Denkgewohnheiten in der neueren Zeit glaubte, die
Wirtschaftlichen
Kräfte und
Vorgänge notwendigerweise entweder für einzelne Gebiete oder im
Sinne der Sozialisten radikal für das ganze
Wirtschaftsleben übertragen zu können,
überleiten zu können auf das, was ich hier als das
zweite Glied, als das eigentliche staatliche Gebiet im engeren
Sinne, als das Gebiet des öffentlichen Rechtes, als das
Gebiet des Verhältnisses von Mensch zu Mensch zu
schildern habe.
Dieses staatliche Gebiet wird sich nur dann
gesund entwickeln können, wenn es die gegenteilige
Entwickelungsströmung einschlägt, welche gerade
von manchen als die richtige angesehen wird. Während
zahlreiche Menschen heute glauben, daß eine
Gesundung des sozialen Organismus nur möglich ist,
wenn man möglichst verstaatlicht, wenn man möglichst
viel vergesellschaftet, handelt es sich vielmehr darum,
daß man erkennt und anzuwenden weiß für alle
einzelnen Zweige des Lebens, daß eine durchgreifende
Selbständigkeit eintreten muß zwischen dem
Wirtschaftsleben auf der einen Seite mit seinen eigenen
Gesetzen, und dem engeren Staatsleben auf der anderen
Seite, wiederum mit seinen eigenen Gesetzen.
Ich kann mir wohl denken, wie viele Menschen es
gibt, die sagen: Um Gotteswillen, so kompliziert soll die Sache
werden! Das, was man nun zusammenbringen wollte aus den
Notwendigkeiten der neueren Entwickelung, das soll in
verschiedene Systeme auseinandergelegt werden! — Wer so
spricht, daß ihm das zu kompliziert ist, daß er sich
nicht denken könne, daß das Naturgemäße auf
diesem Wege zustande kommt, der gleicht dem, der nichts davon
wissen will, daß der menschliche Organismus nur
dadurch leben kann, daß er mit relativer
Selbständigkeit das rhythmische Leben, das Atmungs- und
Herzleben, in der Brust, im Atmungs- und Herzsystem
konzentriert, zentralisiert hat. Das Ganze des menschlichen
Organismus beruht darauf, daß jedes solche
Systemleben in sich abgeschlossen ist, und daß sie
dann wiederum zusammenwirken. Die Gesundheit des sozialen
Organismus beruht darauf, daß das Wirtschaftsleben seinen
eigenen Gesetzen gehorcht, das Rechtsleben, das Leben des
öffentlichen Rechtes, der öffentlichen Sicherheit,
alles das, was man im engeren Sinne als politisch bezeichnen
kann, wiederum seinen eigenen Gesetzen gehorcht, seine eigenen
Einrichtungen hat. Gerade dann werden die beiden Gebiete
des sozialen Organismus in der richtigen Weise zusammenwirken.
Und möge es auch bei manchem, der da glaubt, aus gewissen
Voraussetzungen heraus sich doch endlich zum Rechten
durchgerungen zu haben, mag es nun auch bei manchem ein
Schaudern erregen, gesagt werden muß es doch: So lange
besteht keine Gesundung des sozialen Organismus, als in einer
Partei, in einer Verwaltung zentralistisch zusammen
verwaltet wird Wirtschaftsleben und politisches Leben. Wir
werden dann sehen, daß das auch für das dritte Gebiet
gilt. Notwendig ist, daß ebenso, wie das
Zirkulationssystem seine eigene Lunge, wie das
Nerven-Sinnessystem sein eigenes Gehirnsystem hat,
daß ein eigener Verwaltungsorganismus, ein
selbständiger Verwaltungs-, ein selbständiger
Vertretungsorganismus, also Partei-oder sonstige
Vertretung, vorhanden ist je für das Wirtschaftsleben,
für das politische Leben oder das öffentliche
Rechtsleben, und für das dritte Gebiet, wiederum
selbständig, für das geistige Leben.
Diese drei Gebiete haben in sich eine gewisse
Souveränität im gesunden sozialen Organismus
und verhandeln untereinander durch ihre
selbständigen Vertreter, um dadurch jenes
gegenseitige Verhältnis herzustellen zwischen den
drei Gliedern des sozialen Organismus. Das entspricht dem
auch in selbständiger Weise hergestellten Verhältnis
der drei Glieder des menschlichen natürlichen Organismus.
Es wird sich herausstellen, daß im wesentlichen diejenigen
Vertretungen und Verwaltungen, die sich herausergeben
werden aus dem Wirtschaftsgliede des Organismus, daß diese
im wesentlichen darauf hinzuarbeiten haben, daß dieser
Wirtschaftsorganismus für sich auf assoziativer Grundlage
aufgebaut ist, Genossenschafts-, Gewerkschaftswesen, aber
höheres Genossenschafts-, Gewerkschaftswesen ist, solches
Genossenschafts-, Gewerkschaftswesen, das sich nur mit den
Gesetzen von Warenproduktion, Warenzirkulation,
Warenkonsumtion beschäftigt. Das ist es, was die Grundlage
bilden, was den Inhalt bilden wird für das
Wirtschaftsglied des sozialen Organismus. Auf dem
Assoziationsleben wird er beruhen. Es wird auf demjenigen
beruhen, was die notwendigen Ungleichheiten, die durch
die Naturgrundlage gegeben werden, zum Ausgleich bringt.
Ich habe darauf hingewiesen, wie verschieden der menschliche
Arbeitsaufwand ist, je nach dem dies oder jenes Verhältnis
zu der Naturgrundlage eines Produktionszweiges besteht. Alles
dies kommt in eine unnatürliche soziale Organisation
hinein, wenn so zusammenarbeiten, wie bisher
zusammengearbeitet haben, Natur, Menschenarbeit und
Kapital. Natur, Menschenarbeit und Kapital sind in der
chaotischsten Weise hinein konfundiert worden in den
Einheitsstaat oder sind anarchisch draußen geblieben,
außerhalb dieses Einheitsstaates. Es muß
erkannt werden, daß sowohl das Leben der geistigen
Kultur, das beruht auf den körperlichen und
geistigen Anlagen der Menschen und ihrer Ausbildung, als
auch das öffentliche, politische und Rechtsleben, daß
sie die Aufgabe haben, gerade auszusondern, für sich zum
selbständigen Leben zu bringen das, was das System des
Wirtschaftsorganismus ist.
Ich kann noch, um mich vielleicht
verständlich zu machen, soweit dies schon heute notwendig
ist, zu dem Folgenden greifen. Als aus allerdings anderen
Grundlagen heraus als diejenigen sind, in denen wir heute nun
schon leben, auftauchte aus tiefen Untergründen der
menschlichen Natur heraus der Ruf nach einer Neugestaltung des
sozialen Organismus, da hörte man als Devise dieser
Neuorganisation die drei Worte: Brüderlichkeit,
Gleichheit, Freiheit. Nun wohl, wer sich mit
Vorurteilslosem Sinn und mit einem gesunden
Menschheitsempfinden einläßt auf alles wirklich
Menschliche, der kann natürlich nicht anders als die
tiefste Sympathie und das tiefste Verständnis empfinden
für alles das, was da liegt in den Worten
Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit. Dennoch, ich kenne
ausgezeichnete Denker, tiefe, scharfsinnige Denker, welche
immer wieder und wiederum im Laufe des 19. Jahrhunderts sich
Mühe gegeben haben, zu zeigen, wie es unmöglich ist,
in einem einheitlichen sozialen Organismus die Ideen von
Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit zu verwirklichen. So
hat ein scharfsinniger Ungar den Nachweis zu führen
gesucht, daß diese drei Dinge, wenn sie sich verwirklichen
sollen, wenn sie eindringen sollen in die menschliche soziale
Struktur, sich widersprechen. Scharfsinnig hat er nachgewiesen
zum Beispiel, wie es unmöglich ist, wenn man die
Gleichheit im sozialen Leben allein durchführt,
daß dadurch die in jedem Menschenwesen notwendig
begründete Freiheit auch zur Geltung komme. Widersprechend
fand er diese drei Ideale. Merkwürdig, man kann gar nicht
anders, als denen zustimmen, die diesen Widerspruch finden, und
man kann gar nicht anders als aus einem allgemein menschlichen
Empfinden mit jedem dieser drei Ideale seine Sympathie haben!
Warum dieses?
Nun, eben aus dem Grunde, weil man den rechten
Sinn dieser drei Ideale erst einsieht, wenn man erkennt die
notwendige Dreigliederung des sozialen Organismus. Die drei
Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen
Reichstags- oder sonstigen Einheit zusammengefügt und
zentralisiert sein, sie sollen lebendige Wirklichkeit sein und
durch ihr lebendiges Wirken nebeneinander erst die Einheit
zusammenbringen. Wenn diese drei Glieder selbständig
sind, so widersprechen sie sich in einer gewissen Weise, wie
das Stoffwechselsystem dem Kopfsystem und dem rhythmischen
System widerspricht. Aber im Leben wirkt das Widerspruchsvolle
gerade zu der Einheit zusammen. Daher wird man zu einem
Erfassen des Lebens des sozialen Organismus kommen, wenn man
imstande ist, die wirklichkeitsgemäße Gestaltung
dieses sozialen Organismus zu durchschauen. Dann wird man
erkennen, daß im Zusammenwirken der Menschen im
Wirtschaftsleben, wo sie untereinander zu regeln haben
auf dem besonderen, eigenen Gebiete dieses erste soziale Glied,
daß auf diesem Gebiete in dem, was Menschen tun, wirken
muß die Brüderlichkeit. In dem zweiten Gliede, in dem
System des öffentlichen Rechtes, wo man es zu tun hat mit
dem Verhältnis des Menschen zum Menschen, nur
insoferne man überhaupt Mensch ist, hat man es zu tun mit
der Verwirklichung der Idee der Gleichheit. Und auf dem
geistigen Gebiete, das wiederum in relativer
Selbständigkeit dastehen muß im sozialen Organismus,
hat man es zu tun mit der Idee der Freiheit. Da gewinnen
plötzlich diese drei goldenen Ideale erst ihren
Wirklichkeitswert, wenn man weiß: sie dürfen
nicht in einem chaotisch Durcheinandergewürfelten sich
realisieren, sondern in dem, was ein nach
wirklichkeitsgemäßen Gesetzen orientierter sozialer
dreigliedriger Organismus ist, in welchem jedes einzelne der
drei Glieder für sich das ihm zugehörige Ideal von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
verwirklichen kann.
Ich kann heute die Struktur des sozialen
Organismus nur skizzenhaft andeuten. In den nächsten
Vorträgen werde ich dieses alles im einzelnen
begründen und beweisen. Was ich aber zu dem Gesagten noch
hinzuzufügen habe, ist, daß als drittes Glied
des gesunden sozialen Organismus wirken muß alles
dasjenige, was sich in ihn hineinstellt aus der
menschlichen Individualität heraus, was auf Freiheit
basiert sein muß, was auf der körperlichen und
geistigen Begabung des einzelnen Menschen beruht. Hier
berührt man wiederum ein Gebiet, welches allerdings,
richtig charakterisiert, manchem Gegenwartsmenschen noch ein
leises Schaudern verursacht. Das, was umschlossen werden
muß von diesem dritten Gebiete des gesunden sozialen
Organismus, das ist alles dasjenige, was sich auf das
religiöse Leben des Menschen bezieht, was sich auf Schule
und Erziehung im weitesten Sinne bezieht, was sich auch sonst
auf das geistige Leben, auf den Betrieb von Kunst und so weiter
bezieht. Und, heute will ich es nur erwähnen, in den
nächsten Vorträgen werde ich auch das
ausführlich begründen: Alles das gehört in
dieses dritte Gebiet, was sich bezieht nun nicht auf das
öffentliche Recht, das in das zweite Gebiet gehört,
sondern was sich bezieht auf das private Recht und auf das
Strafrecht. Ich habe manchen gefunden, dem ich vortragen konnte
diese Dreigliederung des sozialen Organismus und er hat
mancherlei verstanden — das konnte er nun gar nicht
verstehen, daß das öffentliche Recht, das Recht, das
sich auf die Sicherheit und Gleichheit aller Menschen
bezieht, abgetrennt werden muß von dem, was Recht ist
gegenüber einer Rechtsverletzung, oder
gegenüber dem, was eben private Verhältnisse der
Menschen sind, daß das voneinander abgetrennt werden
muß, und daß Privatrecht und Strafrecht dem dritten,
dem geistigen Gliede des sozialen Organismus zugezählt
werden muß.
Nun, das moderne Leben hat sich leider bis
jetzt ganz und gar abgekehrt von einer
Berücksichtigung dieser drei Glieder des sozialen
Organismus. So wie der Wirtschaftskörper mit seinen
Interessen eingedrungen ist in das staatliche, in das
eigentlich politische Leben, seine Interessen
hineingebracht hat in die Vertretungskörper des
politischen Lebens, dadurch getrübt hat die
Möglichkeit, wirklich dieses zweite Glied des sozialen
Organismus so zu gestalten, daß sich die Gleichheit aller
Menschen darinnen verwirklicht, so hat auch aufgesogen das
Wirtschaftsund das staatliche Leben das, was sich nur in
freier Gestaltung entwikkeln kann. Aus einem gewissen Instinkt
heraus, allerdings aus einem verkehrten Instinkt heraus hat die
moderne Sozialdemokratie das religiöse Leben
abzutrennen versucht von dem öffentlichen Staatsleben:
«Religion ist Privatsache»; aber leider nicht aus
einer besonderen Achtung vor der Religion, aus einer
besonderen Schätzung desjenigen, was mit dem
religiösen Leben dem Menschen gegeben ist, sondern gerade
aus einer Mißachtung, aus einer Gleichgültigkeit
gegenüber dem religiösen Leben, was mit den
Dingen zusammenhängt, die ich im vorigen Vortrage,
vorgestern, ausgeführt habe. Aber richtig ist an dieser
Forderung die Abtrennung des religiösen Lebens von
den beiden anderen Gebieten, von der Gestaltung des
Wirtschaftslebens und von der Gestaltung des politischen
Lebens. Aber ebenso notwendig ist die Abtrennung des
gesamten niederen und höheren Erziehungswesens, wie des
geistigen Lebens überhaupt, von den beiden anderen
Gliedern. Und erst dann wird ein wirklich gesundes Leben des
sozialen Organismus eintreten, wenn innerhalb derjenigen
Körperschaften, die zu wachen haben über die
Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetze, wenn in dieser
Körperschaft nur darauf gesehen wird, daß aus den
freien menschlichen Individualitäten heraus Schule,
religiöses und sonstiges geistiges Leben sich entwickeln
kann, wenn darüber gewacht wird, daß dieses Leben in
Freiheit sich entwickelt, wenn nicht der Anspruch darauf
gemacht wird, von sich aus zu regeln, von der Wirtschaft oder
vom Staate aus zu regeln das Schul-, das Erziehungs-, das
geistige Leben.
Das scheint heute radikal. Allein, man muß
solche Radikalismen aussprechen, sobald man sie erkannt
hat. Das geistige Leben, einschließlich des
Erziehungslebens und einschließlich der Rechtsprechung in
Privat- und Strafsachen, unterliegt so sehr dem, was aus der
einzelnen Individualität des Menschen
herausfließt in voller Freiheit, daß die beiden
anderen Glieder des sozialen Organismus keinen
Einfluß nehmen dürfen auf die Konfiguration, auf die
Gestaltung dieses Lebens.
Ich habe Ihnen heute zunächst nur eine
Skizze gegeben über die Gedankenrichtung, in der
sich die Lösungsversuche der sozialen Frage bewegen
müssen, jene Lösungsversuche, welche auf den
wirklichen Notwendigkeiten des Lebens beruhen, welche nicht auf
den abstrakten Forderungen einer einzelnen Partei, einer
einzelnen Klasse beruhen, sondern auf den
Entwickelungskräften der neuzeitlichen Menschheit
überhaupt.
Ich möchte sagen: Jeden Einwand, der
gemacht wird, kann ich verstehen, ich bitte aber gerade
mit Einwänden zu warten, bis das gehört ist, was ich
zur Ausführung dieser allgemeinen Skizze in den
nächsten Vorträgen zu sagen haben werde. Insbesondere
heute könnte ich Einwände verstehen, wo ich ja
nur versucht habe zu charakterisieren, wo die Beweise noch
nicht vorliegen. Aber ich möchte sagen: Ich kann jeden
Einwand verstehen aus den mancherlei Erfahrungen heraus, die
ich mit den Ideen, die ich auch hier vertreten will und die ich
aus der ja so vielfach verkannten Geisteswissenschaft heraus
als die Wirklichkeitsgrundlage des Lebens zu erkennen
glaube, die ich mit diesen Dingen gemacht
habe.
Wir haben hinter uns die Zeit der furchtbarsten
Menschheitskatastrophe. Man müßte innerhalb des
Lebens, das man führen mußte innerhalb dieser
katastrophalen Zeit, nicht das menschliche Herz auf dem rechten
Flecke gehabt haben, wenn man nicht Ausblick gehalten
hätte nach seinen Kräften, nach seinen
Fähigkeiten: Wo liegen die Hilfen aus dem furchtbaren
Chaos heraus, in das wir hineintrieben? — Ich sagte Ihnen
vorgestern, ich werde über die besonderen
Verhältnisse dieses Krieges in seinen Ursachen und in
seinem Verlaufe im Zusammenhange mit der sozialen Frage in den
beiden nächsten Vorträgen noch zu sprechen haben.
Heute möchte ich sagen, daß es mir klar war, als wir
noch lange drinnen standen in den Ereignissen, die jetzt in
eine Krise eingetreten sind, von welcher manche kurzdenkende
Menschen glauben, daß sie schon ein Ende ist, daß zu
denjenigen Dingen, die aus dem Chaos, aus der furchtbaren
Katastrophe auf dem einen oder anderen Gebiete der sogenannten
zivilisierten Welt herausführen können, auch
gehört ein richtiges Denken, ein richtiges Vorstellen
wahrhaftiger, wirklichkeitsgemäßer Impulse
für den menschlichen sozialen Organismus. Ich habe manchen
Persönlichkeiten, die tätig und ratend drinnen
standen in den letzten Jahren in dem, was in so furchtbarer
Weise geschah innerhalb der Entwickelung der neueren
Menschheit, das vorgelegt, was auch der Nerv meiner jetzt hier
zu machenden Ausführungen ist; ich habe mancher
Persönlichkeit, auf die es scheinbar ankam, klarzumachen
versucht, wie anders die Ereignisse würden, wenn von
autoritativer, von maßgebender Stelle aus der Welt
gesagt würde: Wir wollen einem gesunden menschlichen
sozialen Ziele zueilen. — Das ganze Verhältnis der
Staaten untereinander hätte anders werden müssen,
wenn statt bloßer Rechtsund Staatsprogramme
umfassende Menschheitsprogramme in dem hier gemeinten Sinne von
da oder dort in die Menschheit gebracht worden
wären.
Man kann nicht einmal sagen, daß solche
Dinge nicht ein gewisses theoretisches Verständnis
gefunden hätten. Was ich in diesen Vorträgen
ausgeführt habe, hat manchen sogar recht sympathisch
geschienen. Aber die Brücke zu schlagen zwischen dem
Verstehen einer solchen Sache und dem Willen, nun wirklich
alles zu tun, um diese Dinge im Leben entsprechend zu
verwirklichen, jeder an seinem Orte, diese Brücke zu
schlagen, das ist noch eine andere Sache. Das wirkt vielfach
unbequem. Daher betäubt sich mancher gerne und sagt: Mir
scheint das Ganze träumerisch, unpraktisch. — Er
betäubt sich nur, weil er nicht den Willen hat, wirklich
einzugreifen in den Gang der Ereignisse. Nicht ein
revolutionärer Gang der Ereignisse ist hier gemeint, nicht
etwas was von heute auf morgen geschehen soll, sondern an die
Richtung ist gedacht, in welche alle einzelnen
Maßnahmen des öffentlichen und privaten Lebens
gebracht werden müssen, wenn eine Gesundung des sozialen
Organismus eintreten soll. Das, was ich schon vorgestern gesagt
habe, das habe ich in anderer Form manchem Menschen, auf den
man rechnen wollte in dieser schwierigen Zeit, mit folgenden
Worten gesagt: Heute, sagte ich zum Beispiel, stehen wir in dem
furchtbarsten der Kriege. Spräche man aus diesem
furchtbarsten der Kriege das, was der Menschheit sozial
notwendig ist, so aus, daß man sagt: man bekenne sich
dazu, diesem oder jenem Reiche einen menschenwürdigen
Inhalt dadurch zu geben, daß man so etwas für die
Menschheit verwirklichen will, dann würde man dem
furchtbaren Gang der Ereignisse eine ganz andere,
heilsamere Richtung geben als durch das bloße
Schwert, durch die bloßen Kanonen und dergleichen, oder
durch eine bloße, eigentlich auf gewissen Gebieten
gar nicht vorhandene Politik. Ich sagte: Sie haben die Wahl,
entweder das, was hier vorgelegt wird, was erkannt wird aus den
Entwickelungsbedingungen und Entwickelungskräften der
Menschheit heraus, durch Vernunft zu verwirklichen, oder
vor etwas anderes gestellt zu sein.
Heute stehen wir, weil die Menschheit in den
letzten Jahrzehnten gewissermaßen versäumt hat,
das zu erkennen, was in diesen Dingen liegt, heute stehen wir
vor der furchtbarsten Katastrophe, die hereingebrochen
ist wie eine Krankheit, wie eine Krankheit, die einen
Organismus befällt, der nicht naturgemäß seinen
Gesetzen nachlebt. Diese Kriegskatastrophe soll gerade
zeigen, deutlich zeigen, was man vor ihr auch schon hätte
erkennen können, aber weil es nicht so deutlich war, eben
nicht erkannt hat, die soll zeigen, was notwendig ist für
die Gesundung des sozialen Organismus der Menschheit. Und
manchem habe ich gesagt: Sie haben in diesen Andeutungen
über die menschliche Entwickelung in sozialer
Beziehung gegeben, was sich in den nächsten zwanzig bis
dreißig Jahren in der zivilisierten Welt verwirklichen
will. Es ist nicht ein Programm, nicht ein Ideal, von dem ich
spreche, sondern es ist das Ergebnis der Beobachtung
desjenigen, was sich in den nächsten zehn, zwanzig,
dreißig Jahren durch das, was in der Menschheit
keimhaft heute schon veranlagt ist, verwirklichen will.
Und Sie haben nur die Wahl, sagte ich, entweder durch die
Vernunft an der Verwirklichung zu arbeiten, oder sich
gegenübergestellt zu sehen Revolutionen und sozialen
Kataklysmen, sozialen furchtbaren Umwälzungen. Nichts
drittes gibt es daneben. Der Krieg wird vielleicht die Zeit
sein — so sagte ich zu manchem — , wo noch Vernunft
anzunehmen ist. Nachher könnte es zu spät sein. Denn
es handelt sich nicht um ein Programm, das man
ausführen oder unterlassen kann, sondern es handelt
sich darum, daß das erkannt werden muß, was
sich verwirklichen will, und was der Mensch deshalb
verwirklichen muß, weil es in seinen notwendigen
geschichtlichen Wachstumskräften für die Gegenwart
und die nächste Zukunft liegt.
Was sich auch noch als ein besonderes Hindernis
des Verständnisses ergab, das war, daß der eine oder
andere immer wieder glaubte, solche Dinge bezögen sich nur
auf das innere Gefüge irgendeines Staates oder irgendeines
Menschheitsterritoriums. Nein, solches soziale Denken ist zu
gleicher Zeit die Grundlage für die wirklich notwendige
Gestaltung der äußeren Politik der Staaten
untereinander. Geradeso wie der menschliche Organismus jedes
seiner Systeme durch besondere Organe der Außenwelt
zuwendet, so kann auch nur der Staat, wenn ich nun diesen
Gesamtausdruck gebrauchen darf, als sozialer Organismus seine
drei Glieder nach außen in Tätigkeit versetzen. Ganz
anders stellen sich die Verhältnisse von Einzelstaat zu
Einzelstaat heraus, wenn nicht mehr zentralisierte Regierungen
und Verwaltungen miteinander in Beziehung treten, sondern
wenn von dem einen sozialen Gebilde die Vertreter des
geistigen Lebens mit den Vertretern des geistigen Lebens des
anderen sozialen Staatsgebildes in Beziehung treten,
wiederum die Vertreter des Wirtschaftsgebietes, des
politischen Gebietes, mit der entsprechenden Vertretung
der anderen. Während das Zusammenfügen, das
Durcheinanderwirren der drei Gebiete nach außen hin so
wirkt, daß immer, wenn ich so sagen darf, an den Grenzen
notwendig Konflikte entstehen müssen durch das Chaos, das
in dem Durcheinanderwirren der drei Gebiete liegt, würde,
wenn über die Grenzen der einzelnen Staaten
hinüber die Vertretungen der drei Glieder in ihrer
Selbständigkeit wirkten, das Wirken des einen Gliedes in
internationaler Beziehung durch das Wirken des anderen nicht
nur nicht gestört, sondern im Gegenteil korrigiert
und ausgeglichen werden.
Das ist es, was ich heute nur, ich möchte
sagen, wiederum skizzenweise hinstellen möchte zur
Bekräftigung dessen, daß es sich hier nicht bloß
handelt um Geltendmachung gewissermaßen einer inneren
sozialen Staatsstruktur, sondern um internationales und
soziales Leben der Menschheit. Alle diese Dinge versuchte ich
schon klarzumachen, während wir in den furchtbaren
katastrophalen Ereignissen drinnenstanden. Jetzt ist für
viele Menschen Mittel- und Osteuropas furchtbares
Unglück hereingebrochen, furchtbares Unglück,
das für jeden einzelnen, für jeden Einsichtigen sich
als ein auch die übrige Welt bedrohliches
Unglück zeigt. Das muß Platz greifen mit Bezug
auf ein wirkliches Verständnis der Menschheit
für ihre Aufgaben in der Gegenwart und Zukunft:
daß diejenigen, welche also aus den wahren wirklichen
Entwikkelungsbedingungen der Menschheit heraus das Leben in
seine Gesundung überführen wollen, nicht
für unpraktische Idealisten, sondern für die
wirklichen Lebenspraktiker endlich genommen werden. Der
selbstverständlichen Gestaltung des modernen Lebens
aus Technik und Kapitalismus heraus muß sich
gegenüberstellen die durchaus auf innerster menschlicher
Initiative beruhende Gestaltung der geistigen,
selbständigen geistigen Kultur und der
selbständigen Staatskultur, welche die wahre Gleichheit
von Mensch zu Mensch begründet und welche auch, wie wir
demnächst sehen werden, die Arbeits- und
Lohnverhältnisse erst in einer für das Proletariat
wünschenswerten Weise regeln können.
Die Frage nach der Gestaltung der menschlichen
Arbeit, nach der Befreiung der menschlichen Arbeit von
der Ware, die wird erst lösbar, wenn die Dreigliederung
des sozialen Organismus eintritt. Das, was die modernen
Sozialisten wollen, ist als Wollen gewiß berechtigt; was
sie selbst als die Heilmittel ansehen, das würde am
allerwenigsten als Heilmittel wirken, wenn es in
äußere Realität so übergeführt
würde, wie sie wollen.
Das aber möchte ich immer wieder und
wiederum betonen: Hier versuche ich nicht aus irgendeiner
einseitigen Klassen- oder Parteistellung heraus, sondern aus
der Beobachtung der menschlichen Entwickelungskräfte
heraus über dasjenige zu sprechen, was die einen
Sozialisierung, die anderen Gesundung des sozialen Lebens,
wieder andere Wiedererwachen eines gesunden politischen
Sinnes und so weiter nennen. Daß man es aber mit etwas zu
tun hat, was nicht ein willkürliches Programm ist, sondern
was der tiefste Wirklichkeitsimpuls der nächsten
Jahrzehnte der Menschheitsentwickelung ist, das ist es, was
eigentlich zugrunde liegt der ganzen Meinung und Intention, die
ich mit diesen Vorträgen verwirklichen will; daß man
es nicht zu tun hat mit der Meinung eines Menschen aus diesem
oder jenem Stande heraus, sondern daß man es zu tun hat
mit dem, was da spricht die tiefere Wollensgrundlage der
Menschheit für die nächsten Jahrzehnte. Das
möchte ich nun im einzelnen begründen und
ausführen und beweisen durch die beiden Vorträge der
nächsten Woche.