ERSTER
VORTRAG
Dornach,
11. Oktober 1921
Ich
habe die Meinung, daß es sich bei diesem Kursus handelt um eine
Besprechung dessen, was notwendig ist, um dann wirklich für die
Bewegung für Anthroposophie und Dreigliederung, insofern sie
heute in Betracht kommt, einzutreten. Der Kursus wird also nicht so
eingerichtet sein, daß er etwa ein Rednerkursus oder dergleichen
im allgemeinen sein sollte, sondern als eine Art Orientierungskursus
für die Persönlichkeiten, die es sich zur Aufgabe machen,
eben in der angedeuteten Richtung zu wirken.
Persönlichkeiten, welche einfach wie eine Art von Mitteilung
entgegennehmen, was von Anthroposophie kommen kann, werden nicht viel
haben können von diesem Kursus. Wir brauchen ja in der Gegenwart
durchaus Wirksamkeit innerhalb unserer Bewegung. Diese Wirksamkeit,
sie scheint schwer zu entfachen zu sein. Es scheint sich die Einsicht
schwer zu verbreiten, daß diese Wirksamkeit in unserer Gegenwart
wirklich notwendig ist.
Es
wird sich daher hier nicht um einen formalen Redekursus handeln, sondern
gerade um dasjenige, was für jemanden notwendig ist, der eine ganz
bestimmte, eben die angedeutete Aufgabe erfüllen mochte. Von
einem Herumreden im allgemeinen sollte überhaupt auf dem Boden
der anthroposophischen Bewegung nicht Gebrauch gemacht werden. Das
ist ja gerade das Kennzeichen unserer gegenwärtigen Kultur und
Zivilisation, daß im allgemeinen über die Dinge
herumgeredet wird, daß konkrete Aufgaben wenig erfaßt
werden, daß man auch vorzugsweise Interesse für ein
Herumreden im allgemeinen hat.
Ich
werde daher in diesem Kursus auch nicht die Dinge zu
behandeln haben, die ich inhaltlich auseinandersetzen werde, wie sie
einer Information dienen können, sondern ich werde versuchen,
sie so zu behandeln – und das muß ja in einem solchen
orientierenden Kursus der Fall sein, weil er eben Unterlage für
eine bestimmte Aufgabe sein soll –, wie sie dann eingehen
können in die mündliche Rede. Und ich werde diese
mündliche Rede so behandeln, daß Rücksicht darauf
genommen wird, daß derjenige, welcher sich eine solche
mündliche Rede zur Aufgabe stellt, nicht etwa innerhalb eines
Rahmens wirkt, wo schon Interesse vorhanden ist, sondern wirkt in
ein, zwei oder drei Vorträgen, durch die er erst das Interesse
wecken soll.
Also
in diesem ganz konkreten Sinne möchte ich diesen
Kursus gestalten. Und schon die allgemeinen Gesichtspunkte, die ich
heute besprechen werde, sollen durchaus in diesem ganz konkreten
Sinne gemeint sein, so daß man Unzutreffendes sagen würde,
wenn man das, was ich heute oder in den nächsten Tagen sagen
werde – wie es heute beliebt ist –, als abstrakte
Sätze hinstellen würde. Von den Formalien werde ich heute
zu sprechen haben.
Jedesmal,
wenn man sich die Aufgabe stellt, in der mündlichen Rede etwas an seine
Mitmenschen heranzubringen, wird sich ja selbstverständlich eine
Wechselwirkung abspielen zwischen dem Menschen, der etwas
mitzuteilen, für etwas zu wirken, zu etwas zu befeuern hat, und
zwischen den Menschen, die ihm zuhören. Ein Wechselspiel der
Seelenkräfte findet statt. Und auf dieses Wechselspiel der
Seelenkräfte wollen wir zunächst unsere Aufmerksamkeit
lenken.
Diese
Seelenkräfte leben ja in Denken, Fühlen und Wollen, und niemals
ist beim Menschen nur eine einzige Seelenkraft für sich in
abstrakter Form tätig, sondern in jede einzelne Seelenkraft spielen
die anderen Seelenkräfte hinein, so daß, wenn wir denken, in
unserem Denken immer auch das Fühlen und das Wollen wirkt, ebenso in
unse rem Fühlen das Denken and das Wollen and im Wallet wiederum das
Denken und das Fühlen. Dennoch aber kann man das seelische Leben
–auch in seiner Wechselwirkung zwischen den Menschen –
nicht anders betrachten, als indem man dieses Tendieren auf der einen
Seite nach dem Denken und auf der anderen Seite nach dem Wollen ins
Auge faßt. Und da müssen wir im Sinne unserer Aufgabe von
heute nun sagen: Was wir denken, das interessiert keinen Menschen; und
wer glaubt, daß seine Gedanken, insofern sir Gedanken sind,
irgendeinen Menschen interessieren, der wird sich eine rednerische Aufgabe
nicht stellen können. Wir werden über diese Dinge dann noch genauer
zu sprechen haben. – Und das Wollen, zu dem wir etwa eine Versammlung
oder vielleicht auch nur einen einzelnen anderen Menschen befeuern wollen,
das Wollen also, das wir etwa in unsere Rede hineinlegen wollen, das
ärgert die Menschen, das weisen sie instinktiv zurück.
Man
hat es zunächst mit dem Wirken verschiedener Instinkte zu tun, wenn man
rednerisch an die Menschen herantritt. Das Denken, das man selber in
sich entfaltet, interessiert die Menschen nicht, das Wollen
ärgert sie. Wenn also jemand etwa aufgefordert würde,
dieses oder jenes zu wollen, so würden wir zunächst sein
Ärgernis hervorrufen, und wenn wir unsere schönsten und
genialsten Gedanken wie Monologe vor den Menschen entrollen
würden, so würden sie gehen. Das muß Grundsatz
für den Redner sein.
Ich
sage nicht, daß das so ist, wenn wir etwa eine
allgemeine Unterhaltung unter Menschen oder einen Kaffeeklatsch oder
dergleichen charakterisieren. Denn ich rede nicht darüber, wie
diese Dinge zu charakterisieren sind, sondern ich rede von dem, was
uns beseelen soll, was in uns leben soll als richtiger Antrieb
für das Reden, wenn das Reden gerade in der Richtung, wie ich es
hier meine, einen Zweck haben soll. Was man sich als Maxime vorsetzt:
Unsere Gedanken interessieren kein Publikum, unser Wollen ärgert
jedes Publikum – das braucht nicht eine Charakteristik zu sein.
Nun
müssen wir ja berücksichtigen: Wenn jemand
redet, so redet er meistens nicht aus der Wesenheit des Redens allein
heraus, sondern er redet aus allerlei Situationen heraus. Er redet
vielleicht aus irgendeiner Angelegenheit heraus, die schon wochenlang
an dem Orte, wo er redet, besprochen oder beschrieben wird. Er
begegnet natürlich einem ganz anderen Interesse, als wenn er
einen ersten Satz zu sagen hat, der etwas berührt, was seine
Zuhörer bisher nicht im geringsten beschäftigt hat. Wenn
jemand hier im Goetheanum redet, ist es natürlich etwas ganz
anderes, als wenn er in einem Wirtshaus in Buchs redet. Ich meine
jetzt sogar, davon absehen zu können, daß man vielleicht im
Goetheanum vor Leuten redet, die sich schon längere Zeit mit dem
Stoff befaßt haben, die etwas darüber gelesen oder
gehört haben, während das vielleicht in Buchs nicht der
Fall ist. Ich meine die ganze Umgebung: Die Tatsache, daß man in
einen Bau kommt wie das Goetheanum, macht es möglich, in ganz
anderer Weise sich an das Publikum zu wenden, als wenn man in einem
Wirtshaus in Buchs spricht. Und so sind unzählige Umstände,
aus denen heraus man redet, die immer berücksichtigt werden
müssen.
Das aber
begründet insbesondere in unserer Zeit die Notwendigkeit, an
dem, was nicht sein soll, ein wenig sich zu orientieren über
das, was sein soll. Nehmen wir den extremsten Fall: Ein richtiger
Durchschnittsprofessor habe eine Rede zu halten. Er hat es
zunächst mit seinen Gedanken über den Gegenstand zu tun;
und wenn er ein richtiger Durchschnittsprofessor ist, hat er es zu
tun auch mit der Überzeugung, daß diese Gedanken, die er
denkt, überhaupt die allerbesten der Welt sind über den
betreffenden Gegenstand. Alles übrige interessiert ihn
zunächst nicht. Er schreibt sich diese Gedanken auf. Und
selbstverständlich, wenn er diese Gedanken zu Papier bringt,
sind sie gut zu Papier gebracht. Dann steckt er sich dieses
Manuskript in seine linke Seitentasche, geht hin, gleichgültig
ob ins Goetheanum oder ins Wirtshaus zu Buchs, findet irgendein
Rednerpult, das in entsprechender Weise in richtiger Entfernung von
den Augen aufgestellt ist, legt das Manuskript darauf und liest ab.
Ich sage nicht, daß es jeder so macht, aber es ist ein
häufig vorkommender und für unsere Gegenwart doch
charakteristischer Fall, und er weist uns auf das Grauen, das man
heute haben kann vor dem Reden. Es ist der Fall, vor dem man am
allermeisten Abscheu haben sollte.
Und
da ich gesagt habe, daß unsere Gedanken eigentlich
niemanden interessieren, unser Wollen eigentlich jeden ärgert,
dann scheint es auf das Fühlen anzukommen; es scheint also eine
besonders bedeutsame Ausbildung des Fühlens zugrunde liegen zu
müssen für das Reden. Also werden schon solche
Gefühle, wenn auch vielleicht von einer entfernten, so doch in
einem gewissen Sinne fundamentalen Bedeutung sein: daß wir uns
den richtigen Abscheu angeeignet haben vor diesem extremen Fall. Ich
habe einmal in einer größeren Versammlung einen Vortrag des
berühmten Helmholtz gehört, der allerdings in dieser Weise
gehalten worden ist: das Manuskript aus der linken Seitentasche
herausgezogen – abgelesen! Nachher kam ein Journalist zu mir
und sagte: Warum ist eigentlich dieser Vortrag nicht gedruckt worden
und ein Exemplar jedem, der da war, in die Hand gedrückt worden?
– und Helmholtz wäre dann herumgegangen und hätte
jedem die Hand gereicht! – Diese Handreichung wäre
vielleicht den Zuhörern wertvoller gewesen als das schreckliche
Sitzen auf den harten Stühlen, zu dem sie verurteilt waren, um
in einer längeren Zeit, als sie es selber hätten lesen
können, sich irgend etwas vorlesen zu lassen. Die meisten
hätten ja wohl, wenn sie es hatten verstehen wollen,
überdies sehr lange dazu gebraucht; aber denen hat auch das
kurze Anhören nichts geholfen.
Man
muß schon über alle diese konkreten Dinge durchaus nachdenken,
wenn man verstehen will, wie in Wahrheit und Ehrlichkeit die Kunst des
Redens angestrebt werden kann.
Auf dem
Philosophenkongreß in Bologna wurde die bedeutsamste Rede so
gehalten, daß sie in drei Sprachen in je drei Exemplaren auf
jedem Stuhl lag. Man mußte sie erst in die Hand nehmen, um sich
darauf setzen zu können, auf den leeren Stuhl. Und dann wurde
aus diesem Gedruckten die Rede, die etwas länger als eine Stunde
dauerte, vorgelesen. Durch einen solchen Vorgang ist selbst die
schönste Rede eben keine Rede mehr, denn das Verstehen im Lesen
ist etwas wesentlich anderes als das Verstehen im Hören. Und
diese Dinge müssen durchaus berücksichtigt werden, wenn man
sich in lebensvoller Weise in solche Aufgaben hineinfinden will.
Gewiß,
auch ein Roman kann uns so rühren, daß
wir Tränen vergießen an bestimmten Stellen. Ich meine
selbstverständlich ein guter Roman, aber er kann das nur an
bestimmten Stellen, kann es nicht vom Anfang bis zum Ende. Aber was
liegt denn da eigentlich vor beim Lesen, daß wir hingenommen
werden vom Gelesenen? Wenn wir von dem Gelesenen hingenommen werden,
haben wir eine gewisse Arbeit zu verrichten, die sehr stark mit dem
Inneren unserer Menschenwesenheit zusammenhängt. Denn derjenige,
der nicht lesen kann, kann diese Arbeit gar nicht verrichten. Es wird
eine innere Arbeit verrichtet, wenn wir lesen. Diese Arbeit, die wir
da verrichten, die besteht ja darin, daß wir, indem wir den
Blick auf einzelne Buchstaben lenken, wirklich das, was wir gelernt
haben im Zusammenfassen der Buchstaben, ausführen, um aus diesem
Ansehen und Zusammenfassen und Überdenken einen Sinn
herauszubekommen. Das ist ein Vorgangs welcher in unserem
Ätherleib vor sich geht, im Aufnehmen, und noch stark den
physischen Leib in Anspruch nimmt, in der Wahrnehmung.
Das alles
fällt aber beim bloßen Zuhören einfach weg. Beim
bloßen Zuhören findet diese ganze Tätigkeit nicht
statt. Aber diese ganze Tätigkeit ist in einer bestimmten Weise
doch verbunden mit dem Aufnehmen einer Sache. Der Mensch bedarf
ihrer, wenn er eine Sache aufnehmen will. Er braucht ein Mittun
seines Ätherleibes und teilweise sogar seines physischen Leibes
nicht bloß im Sinnesorgan, also im Ohr, sondern er braucht im
Zuhören ein so reges Seelenleben, daß sich dieses
Seelenleben nicht im Astralleib erschöpft, sondern den
Ätherleib in Schwingungen bringt, und dieser Ätherleib dann
noch den physischen Leib mit in Schwingungen bringt. Dasjenige
nämlich, was sich beim Lesen an Aktivität vollziehen
muß, das muß sich auch beim Anhören einer Rede
entwickeln, aber, ich möchte sagen, in einer ganz anderen Form,
weil es ja so nicht da sein kann, wie es beim Lesen ist. Und was da
beim Lesen aufgewendet wird, das ist umgewandeltes Gefühl, in
den Ätherleib und in den physischen Leib hinuntergedrängtes
Fühlen, das Kraft wird. Als Gefühl, als Gefühlsinhalt
müssen wir es selbst bei der abstraktesten Rede in der Lage
sein, aufzubringen.
Es
ist wirklich so, daß unsere Gedanken als solche
keinen Menschen interessieren, unsere Willensimpulse jeden
ärgern und allein unsere Gefühle dasjenige ausmachen, wovon
der Eindruck, die Wirkung – im berechtigten Sinne
natürlich – einer Rede abhängt.
Es
entsteht daher als wichtigste Frage diese: Wie werden wir
in unserer Rede etwas haben können, was in genügend starker
Weise – ohne aufdringlich zu sein, weil wir ja sonst
hypnotisieren oder suggerieren würden – eine solche
Gefühlstingierung, eine solche Gefühlsdurchsetzung wird
hervorbringen können?
Es
kann nicht abstrakte Regeln geben, durch die man lernt,
wie man mit Gefühl sprechen kann. Denn jemand, der sich in
allerlei Anleitungen solche Regeln aufgesucht hat, nach denen man mit
Gefühl sprechen kann, eindrucksvoll sprechen kann, dem wird man
schon irgend etwas davon anmerken, daß seine Rede ihm ganz
gewiß nicht aus dem Herzen kommt, daß sie ganz anderswo
herstammt als aus dem Herzen. Und eigentlich müßte jede
Rede durchaus aus dem Herzen kommen. Auch die abstrakteste Rede
müßte aus dem Herzen kommen, und sie kann es. Und gerade
das ist es, was wir besprechen müssen: wie auch die abstrakteste
Rede durchaus aus dem Herzen kommen kann.
Wir müssen
uns nur klar sein darüber, was eigentlich im Gemüte des
Zuhörers rege ist, wenn er uns zuhört. Nicht, wenn er uns
zuhört und wenn wir ihm irgend etwas sagen, was er begierig ist
zu hören, sondern wenn wir ihm zumuten, daß er uns als
Redner anhören soll. Denn eigentlich ist es ja immer eine Art
Attacke auf unsere Mitmenschen, wenn wir mit einer Rede auf sie
losgehen. Und auch das ist etwas, dessen wir uns durchaus bewußt
sein müssen, daß es eine Attacke ist auf die Zuhörer,
wenn wir mit einer Rede auf sie losgehen.
Alles
das, was ich sage – ich muß das immer wieder
in Parenthese hinzufügen –, gilt als Maxime für
Redner, nicht als Charakteristik des sozialen Verkehrs oder sonst
für etwas; es gilt als Maxime für Redner. Wenn ich in bezug
auf den sozialen Verkehr sprechen würde, so könnte ich
natürlich nicht dieselben Sätze prägen. Da würde
ich Torheiten sagen. Denn wenn man im Konkreten spricht, so kann ein
solcher Satz wie: Unsere Gedanken interessieren keinen Menschen
– entweder etwas sehr Kluges sein oder aber eine große
Dummheit. Alles, was wir sagen, kann eine Dummheit sein im ganzen
menschlichen Zusammenhang oder eine Klugheit; es kommt nur darauf an,
in welcher Art es sich in den Zusammenhang hineinstellt. Daher sind
für einen Redner ganz andere Dinge notwendig als Anleitungen zur
formalen Redekunst.
Es
handelt sich also darum, zu erkennen: Was ist denn
eigentlich in dem Zuhörer wirksam? Im Zuhörer ist wirksam
Sympathie und Antipathie. Die machen sich, mehr oder weniger
unbewußt, durchaus geltend, wenn wir ihn mit einer Rede
attackieren. Sympathie oder Antipathie! Aber mit unseren Gedanken hat
er sicherlich zunächst keine Sympathie. Auch nicht mit unseren
Willensimpulsen, mit dem, was wir von ihm gewissermaßen wollen,
mit dem, wozu wir ihn ermahnen wollen. Tür Sympathie oder
Antipathie zu dem, was wir sagen, muß man ein gewisses
Verständnis haben, wenn man irgendwie an die Redekunst
herantreten will. Sympathie und Antipathie haben eigentlich weder mit
dem Denken noch mit dem Willen etwas zu tun, sondern wirken hier in
der physischen Welt lediglich für die Gefühle, für das
Gefühlsmäßige. Und ein bewußtes Verständnis
beim Zuhörer für Sympathie und Antipathie wirkt so, als ob
wir uns den Weg zu ihm versperren würden – es muß
durchaus dieses Verständnis für Sympathie und Antipathie
etwas sein, das namentlich während der Rede durchaus nicht zum
Bewußtsein des Zuhörers kommt. Und ein Hinarbeiten auf die
Sympathie und Antipathie wirkt so, wie wenn wir jeden Schritt so
machen würden, daß der Boden, auf den wir auftreten, dabei
der andere Fuß ist, als ob wir immer mit dem einen Fuß auf
den anderen treten würden. So ungefähr wirkt es in der
Rede, wenn wir die Sympathie oder Antipathie abfangen wollen. Wir
müssen das feinste Verständnis haben für Sympathie und
Antipathie des Zuhörers, aber es darf uns während der Rede
nicht das geringste an seiner Sympathie oder Antipathie liegen! Wir
müssen alles das, was in Sympathie und Antipathie hineinwirkt,
wenn ich so sagen darf, auf Umwegen, in der Vorbereitung, in die Rede
hineinbringen.
Geradesowenig
wie es Anleitungen abstrakter Art fürs Malen geben kann oder
fürs Bildhauern, ebensowenig kann es Regeln abstrakter Art
fürs Reden geben. Aber ebenso wie man die Kunst des Malens
anregen kann, so auch die Kunst der Rede. Und es handelt sich nur
darum, daß man die Dinge, die in dieser Richtung vorgebracht
werden können, völlig ernst nimmt.
Nehmen
wir zunächst, um von einem Beispiel auszugehen,
den Lehrer, der zu Kindern spricht. Von der Genialität und
Weisheit des Lehrers hängt eigentlich für das Sprechen im
Unterrichten das allerwenigste ab. Das allerallerwenigste hängt
dabei, ob wir gut Mathematik oder Geographie lehren können,
davon ab, ob wir selbst ein guter Mathematiker oder ein guter
Geograph sind. Wir können ein ausgezeichneter Geograph, aber ein
schlechter Lehrer der Geographie sein und so weiter. Es hängt
die Güte beim Lehren, das ja doch zum größten Teil
auch im Sprechen besteht, davon ab, was man einmal über die
Dinge, die man vorzubringen hat, gefühlt, empfunden hat, und was
für Empfindungen wieder angeregt werden dadurch, daß man
das Kind vor sich hat. Deshalb läuft zum Beispiel die
Pädagogik der Waldorfschule auf Menschenkenntnis hinaus, das
heißt auf Kindeskenntnis; nicht auf eine Kindeskenntnis, die
durch abstrakte Psychologie vermittelt ist, sondern die auf einem
vollmenschlichen Begreifen des Kindes beruht, so weit, daß man
es durch das bis zum unmittelbaren liebevollen Hingeben verdichtete
Gefühl dazu bringt, das Kind nachzuempfinden. Dann ergibt sich
aus dieser Nachempfindung, die man gegenüber dem Kinde hat, und
aus dem, was man selber einmal gefühlt und empfunden hat an dem,
was man vorzubringen hat, aus alledem ergibt sich ganz instinktiv die
Art, wie man zu sprechen oder auch zu hantieren hat.
Es
nützt zum Beispiel gar nichts, ein blödes Kind
so zu unterrichten, daß man die Weisheit der Welt, die man
selber hat, anwendet. Weisheit hilft einem bei einem blöden
Kinde nur, wenn man sie gestern gehabt und zur Vorbereitung gebraucht
hat. In dem Augenblick, wo man das blöde Kind unterrichtet,
muß man die Genialität haben, selber so blöde zu sein
wie das Kind, und nur die Geistesgegenwart haben, sich zu erinnern an
die Art, wie man gestern weise war bei der Vorbereitung. Man muß
mit dem blöden Kind blöde, mit dem nichtsnutzigen Kinde
– im Gemüt wenigstens – nichtsnutzig, mit dem braven
Kind brav sein können und so weiter. Man muß wirklich als
Lehrer – ich hoffe, daß dieses Wort nicht allzustarke
Antipathien erweckt, weil es zu stark nach Gedanken oder Willen
gerichtet ist –, man muß wirklich eine Art Chamäleon
sein, wenn man richtig unterrichten will.
Es
gefiel mir daher zum Beispiel ganz gut, was manche Waldorflehrer zur
Erhöhung der Disziplin aus ihrer Genialität heraus gefunden
haben. So fängt zum Beispiel unser Freund Walter Johannes Stein,
wenn sich die Kinder, während er Jean Paul tradiert, Briefchen
schreiben, die sie sich reichen, nicht an mit Ermahnungen und
dergleichen, sondern er geht hin, schaut sich die Sache in aller
Geduld an und macht dann eine Unterrichtsparenthese: er fügt in
den Unterricht ein ganz kleines Kapitel über das Postwesen ein!
Das wirkt viel besser als alle Ermahnungen. Das Briefeschreiben
während der Stunde hört dann auf in der Klasse* Das beruht
natürlich auf einem ganz konkreten Ergreifen des Augenblickes.
Aber diese Geistesgegenwart muß man selbstverständlich
haben. Man muß wissen, daß Sympathien und Antipathien, die
man erregen will, tiefer sitzen, als man gewöhnlich
meint.
Und
so ist es außerordentlich wichtig, daß der Lehrer – in
der Vorbereitung vor allen Dingen, wenn er irgendein Kapitel in der
Klasse zu behandeln hat – sich völlig gegenwärtig
macht, wie er selber an dieses Kapitel herangetreten ist, als er in
demselben Lebensalter war, wie seine Kinder sind, wie er da
gefühlt hat. Nicht, um jetzt wiederum pedantisch zu werden und
sich am nächsten Tag, wenn er es behandelt, so zu arten,
daß er nun etwa wieder so fühlt! Nein, es ist schon
genügend, wenn in der Vorbereitung dieses Gefühl
heraufgeholt wird, wenn es in der Vorbereitung durchgemacht wird. Und
dann handelt es sich darum, daß man nun eben am nächsten
Tage mit der eben geschilderten Menschenkenntnis wirkt.
Also
auch da handelt es sich darum, daß wir selbst in uns die
Möglichkeit finden, aus dem Gefühl heraus den Redestoff,
der ja, wie gesagt, ein Teil des Unterrichtsstoffes ist, zu
gestalten.
Wie die Dinge
wirken können, machen wir uns am besten gegenwärtig, wenn
wir auch noch das Folgende ins Seelenauge fassen: Wenn also etwas
Gefühlsmäßiges wirken muß in dem, was unsere Rede
durchpulst, so können wir natürlich nicht gedankenlos
sprechen, obwohl die Gedanken eigentlich unsere Zuhörer nicht
interessieren, und wir können auch nicht willenlos sprechen,
obschon das Wollen sie ärgert; wir werden sogar sehr häufig
so sprechen wollen, daß es in die Willensimpulse der Menschen
hineingeht, daß infolge unserer Rede unsere Mitmenschen etwas
tun. Aber wir dürfen jedenfalls die Rede nicht so einrichten,
daß wir durch unseren Gedankeninhalt den Zuhörern
langweilig und durch den Willensanstoß, den wir geben wollen,
ihnen anti-pathisch werden.
Daher
wird es sich darum handeln, daß wir das Denken
über die Rede ganz mit uns abmachen, möglichst lange, bevor
wir sie halten, daß wir also das Denkerische ganz und gar
zunächst mit uns selbst abgemacht haben. Das hat nichts damit zu
tun, ob wir dann geläufig reden, ob wir holperig reden. Das
letztere hängt, wie wir sehen werden, von ganz anderen
Umständen ab. Aber das, was gewissermaßen unbewußt in
der Rede wirken muß, das hängt damit zusammen, daß wir
den Gedankeninhalt viel, viel früher mit uns selbst abgemacht
haben. Den Gedankenmonolog, der möglichst lebhaft sein soll, den
müssen wir vorher abgemacht haben, jenen Gedankenmonolog, der
sich so gestaltet, daß wir uns selber während dieser
Vorbereitung in Rede und Gegenrede bewegen, daß wir
möglichst alle Einwände vorausnehmen. Denn allein dadurch,
daß wir in dieser Weise unsere Rede vorher in Gedanken erleben,
nehmen wir unserer Rede den Stachel, den sie sonst unter allen
Umständen für die Zuhörerschaft hat. Wir müssen
gewissermaßen unsere Rede dadurch versüßen, daß
wir das Saure der Gedankenfolge, des logischen Ausbaues, vorher
durchgemacht haben, aber möglichst so durchgemacht haben,
daß wir uns den wortwörtlichen Inhalt der Rede nicht
formulieren, daß wir keine Ahnung davon haben – ich
muß natürlich in Maximen reden, die Dinge können ja
natürlich nicht in dieser Extremheit hingenommen werden –,
daß wir keine Ahnung davon haben, wenn wir zu reden beginnen,
wie wir uns die Sätze formulieren werden. Die Gedankeninhalte
aber müssen abgemacht sein. Die wortwörtliche Formulierung
gar für die ganze Rede zu haben, ist etwas, was schließlich
niemals zu einer wirklich guten Rede führen kann. Denn das kommt
schon sehr nahe dem Aufgeschriebenhaben, und wir brauchen uns da
bloß vorzustellen, daß statt unser ein Phonograph
dastünde, der die Sache von selbst von sich gäbe; dann ist
der Unterschied noch kleiner zwischen dem Aufgeschriebenhaben und der
Maschine, die das von sich gibt. Aber wenn wir eine Rede vorher
formuliert haben, so daß sie so ausgearbeitet ist, daß sie
wortwörtlich von uns gesprochen werden kann, so unterscheiden
wir uns ja nicht sehr stark von einer Maschine, der wir das
eingekurbelt haben und die wir dann abkurbeln. Da ist schon gar nicht
viel Unterschied zwischen dem Anhören einer Rede, die
wortwörtlich so gesprochen wird, wie sie schon wortwörtlich
ausgearbeitet wurde, und dem Lesen, außer dem, daß einen
beim Lesen nicht der Redner fortwährend stört, während
einen beim Anhören einer also eingelernten Rede, die man
wortwörtlich spricht, der Redner ja fortwährend stört.
Die Gedankenvorbereitung also wird dadurch in der richtigen Weise
gepflogen, daß sie ganz bis zum absoluten Einigwerden mit sich
selbst, aber in Gedanken, dem Halten der Rede vorangeht. Fertig
muß man sein mit dem, was man vorbringen will.
Allerdings,
einige Ausnahmen sind da für
gewöhnliche Reden, die man vor einer sonst unbekannten
Zuhörerschaft hält. Wenn man nämlich vor einer solchen
Zuhörerschaft gleich damit beginnt, daß man dasjenige, was
man so in Gedanken gewissermaßen meditativ ausgearbeitet hat,
vom ersten Satz an nun auch unter der unmittelbaren, wenn ich mich so
ausdrücken darf, Inspiration vorbringt, dann tut man doch
wiederum den Zuhörern nicht etwas recht Gutes. Im Beginne einer
Rede nämlich muß man schon etwas seine Persönlichkeit
wirksam machen; im Beginne der Rede darf man nicht gleich seine
Persönlichkeit ganz auslöschen, weil, ich möchte
sagen, erst das Vibrierende des Gefühls angeregt werden muß.
Man
braucht es nun ja nicht gleich so zu machen wie zum
Beispiel der einstmals in gewissen Kreisen sehr berühmte
Professor der deutschen Literaturgeschichte Michael Bernays, der, als
er einmal nach Weimar kam, um dort eine Rede über Goethes
Geschichte der Farbenlehre zu halten, die ersten Satze so gestalten
wollte, daß allerdings das Gefühl der Zuhörer in sehr,
sehr intensiver Weise in Anspruch genommen wurde; allerdings anders,
als er wollte. Er kam nach Weimar schon ein paar Tage früher.
Weimar ist eine kleine Stadt; da kann man bei den Leuten herumgehen,
die zum Teil dann im Saal sein werden, und kann Stimmung machen
für seine Rede. Diejenigen, die es so unmittelbar hören,
die sagen es dann den anderen, und es ist eigentlich dann der ganze
Saal «gestimmt», wenn man die Rede hält. Da ging denn
nun wirklich der Professor Michael Bernays ein paar Tage lang in
Weimar herum und sagte: Ach, ich habe mich nicht vorbereiten
können auf diese Rede; der Genius wird mir im rechten Augenblick
schon das Richtige eingeben. Ich werde warten, was der Genius mir eingibt.
– Nun hatte er diese Rede im Weimarer «Erholungssaal» zu
halten. Es war ein heißer Sommertag. Die Fenster mußten
aufgemacht werden, und unmittelbar vor den Fenstern dieses
«Erholungssaales» war ein Hühnerhof. Michael Bernays
stellte sich hin und wartete, bis der Genius anfing, ihm etwas
einzugeben. Denn das wußte ja ganz Weimar: Der Genius muß
kommen und muß Michael Bernays seine Rede eingeben. Und siehe
da, in diesem Momente, als Bernays auf den Genius wartete, fing
draußen der Hahn an: Kikeriki! – Jeder Mensch wußte:
Jetzt hat der Genius gesprochen für Michael Bernays! – Die
Gefühle waren stark angeregt, allerdings in anderer Weise, als
er es gewollt hatte. Aber es war eine gewisse Stimmung schon im Saal.
Ich
sage das nicht, um Ihnen eine nette Anekdote zu
erzählen, sondern weil ich darauf aufmerksam machen muß:
Der Hauptteil der Rede soll schon so gestaltet sein, daß er in
Gedanken meditativ gut durchgearbeitet ist und nachher frei
formuliert wird. Aber der Anfang ist ja eigentlich sogar dazu da,
daß man sich ein bißchen lächerlich macht, denn das
stimmt die Zuhörer so, daß sie einem dann lieber
zuhören. Wenn man sich nicht ein ganz klein wenig
lächerlich macht – allerdings so, daß die Sache nicht
stark bemerkt wird, daß sie nur im Unterbewußten ablauft
–, dann kann man doch nicht in der richtigen Weise fesseln,
wenn man irgendwo eine einzelne Rede zu halten hat. Es darf
natürlich nicht stark aufgetragen sein, aber es wirkt schon
genügend im Unterbewußten.
Was man
eigentlich für jede einzelne Rede haben sollte, ist dies, daß
man den ersten, zweiten, dritten, vierten, höchstens noch den
fünften Satz wörtlich formuliert hat. Dann geht man zu dem
über, was in der Weise angeordnet, orientiert ist, wie ich das
eben angedeutet habe. Und den Schluß sollte man wiederum
wörtlich formuliert haben. Denn am Schluß sollte man
eigentlich immer, wenn man ein richtiger Redner ist, etwas
Lampenfieber haben, sollte man immer so eine geheime Angst haben
davor, daß man seinen letzten Satz nicht findet. Das ist
nötig zur Färbung der Rede. Man braucht das, um die Herzen
der Zuhörer zu fesseln am Schlüsse, daß man etwas
ängstlich ist, den letzten Satz zu finden. Damit man also,
nachdem man nun schwitzend seine Rede absolviert hat, dieser Angst in
der richtigen Weise entgegenkommt, füge man zu aller
übrigen Vorbereitung dieses hinzu, daß man sich merkt die
genaue Formulierung auch der letzten ein, zwei, drei, vier,
höchstens fünf Sätze. Also einen Rahmen
müßte eigentlich eine Rede haben: Formulierung der ersten
und der letzten Sätze, und dazwischen müßte die Rede
frei sein. Wie gesagt, als Maxime sage ich das.
Nun
werden vielleicht manche von Ihnen sagen: ja, aber wenn
nun einer eben nicht so reden kann? – Man wird deshalb nicht
gleich sagen müssen, die Sache sei so schlimm, daß er nun
überhaupt nicht reden solle. Es ist ja ganz natürlich,
daß man ein bißchen besser oder ein bißchen schlechter
reden kann, so daß man sich nicht abhalten lassen soll vom
Reden, wenn man nicht alle Bedingungen erfüllen kann. Aber man
sollte sich bestreben, diese Bedingungen zu erfüllen, indem man
solche Maximen zu seinen Lebensmaximen macht, wie wir sie hier
entwickeln können. Und dann gibt es ja ein sehr gutes Mittel, um
wenigstens ein erträglicher Redner zu werden, wenn man auch ganz
und gar zuerst kein Redner ist, selbst wenn man das Gegenteil eines
Redners ist. Ich kann Ihnen versichern, wenn er sich fünfzigmal
blamiert hat, das einundfünfzigste Mal wird es gehen, gerade
deshalb, weil er sich fünfzigmal blamiert hat. Und derjenige,
bei dem fünfzig nicht genug sind, der kann ja hundertmal auf
sich laden, aber einmal geht es, wenn man Blamagen nicht scheut.
Natürlich, niemals wird die letzte Rede vor dem Tode gut sein,
wenn man vorher Blamagen gescheut hat. Aber mindestens die letzte
Rede vor dem Tode wird gut sein, wenn man sich vorher x-mal im Reden
blamiert hat. Das ist auch etwas, woran man eigentlich immer denken
sollte. Und man wird sich zum Redner ganz zweifellos heranbilden.
Denn man hat ja nichts nötig zum Redner, als daß einem die
Leute zuhören, und daß man ihnen gewissermaßen nicht
allzu nahe tritt, daß man wirklich vermeidet, was den Menschen
zu nahe tritt.
So
wie man gewohnt ist, im sozialen Leben zu reden, wenn man
mit einem anderen Menschen spricht, so wird man in der
öffentlichen oder überhaupt in der vor Zuhörern
gehaltenen Rede nicht sprechen können. Höchstens wird man
zuweilen solche Sätze, wie man sie auch im gewöhnlichen
Leben spricht, einfügen können. Denn es ist gut, wenn man
sich dessen bewußt ist, daß dasjenige, was man im
gewöhnlichen Leben als Formulierung der Rede hat, für die
Rede vor einem Zuhörerkreis in der Regel etwas zu fein oder
etwas zu grob ist. Ganz stimmt es in der Regel nicht. Die Art, wie
man im gewöhnlichen Leben seine Worte formuliert, wenn man einen
anderen Menschen anredet, die variiert, die pendelt ja immer zwischen
etwas Grobsein und etwas Unwahrsein oder Nichthöflichsein.
Beides muß in der vor Zuhörern gehaltenen Rede durchaus
vermieden und nur in Parenthese gewissermaßen angewendet werden.
Der Zuhörer hat dann das geheime Gefühl: Während der
sonst so redet, wie man eben in einer Rede redet, apostrophiert er
einen da plötzlich; er redet wie im Dialog. Da hat er im Sinne,
uns entweder ein bißchen zu verletzen oder aber uns
süßlich zu kommen.
Wir müssen
aber auch das Willenselement in der richtigen Weise in die Rede
hineinbringen. Und das kann wiederum nur durch die Vorbereitung
geschehen, aber durch diejenige Vorbereitung, die im Durchdenken der
Sache den eigenen Enthusiasmus anwendet, gewissermaßen mit der
Sache lebt. Was meine ich damit eigentlich? Sehen Sie, zunächst
ist man fertig mit dem Gedankeninhalt. Man hat sich ihn zu eigen
gemacht. Jetzt würde der nächste Teil der Vorbereitung der
sein: Man hört sich gewissermaßen im Vortragen dieses
Gedankeninhaltes innerlich selber zu. Man fängt an, seinen
Gedanken zuzuhören. Sie brauchen nicht wortwörtlich
formuliert zu sein, wie ich schon sagte, aber man fängt an,
ihnen zuzuhören. Das ist es, was das Willenselement in die
richtige Lage bringt, dieses sich selbst innerlich Anhören. Denn
dadurch, daß wir uns innerlich anhören, entwickeln wir an
den richtigen Stellen Enthusiasmus oder Abscheu, Sympathie oder
Antipathie, wie es sich anknüpfen muß an das, was wir da
tradieren. Was wir so erleben, in dieser willensmäßigen
Weise, das geht auch in unseren Willen hinein und erscheint, wenn wir
reden, in der Variation der Töne. Ob wir intensiv oder
schwächer reden, ob wir heller oder dunkler betonen, das haben
wir lediglich von dem Durchfühlen und dem Durchwollen unseres
eigenen Gedankeninhaltes in der meditativen Vorbereitung. Und was wir
im Denken haben, das müssen wir allmählich dazu
überleiten, ein Bild zu bekommen von der Gestaltung unserer
Rede. Dann ist auch das Denken in der Rede drinnen, aber nicht in den
Worten, sondern zwischen den Worten, wie die Worte gestaltet, die
Sätze gestaltet, die Disposition gestaltet werden. Je mehr wir
in der Lage sind, über das Wie unseres Vortrags zu denken, desto
stärker wirken wir auf den Willen der anderen. Das nehmen die
Menschen nämlich hin, was wir in die Formulierung und in die
Komposition der Rede hineinlegen.
Wenn
wir ihnen kommen und sagen: Jeder von euch ist im Grunde
genommen ein schlechter Kerl, der nicht morgen alles tut, um die
Dreigiiederung zu verwirklichen – das ärgert die Leute.
Wenn wir aber die Vernunft der Dreigliederung in einer solchen Rede
vorbringen, die naturgemäß komponiert ist, die innerlich
gegliedert ist, so daß sie vielleicht selbst sogar eine Art
intimer Dreigliederung ist, namentlich aber, wenn sie so gestaltet
ist, daß wir selber in uns von der Notwendigkeit der
Dreigliederung überzeugt sind, mit allem Gefühl und mit
allen Willensimpulsen überzeugt sind, dann wirkt das auf die
Menschen, dann wirkt es auf den Willen der Menschen.
Was
wir an Gedankenentfaltung angewendet haben, um unsere Rede zu einem
Kunstwerk zu machen, das wirkt auf den Willen der Menschen unbemerkt
in der Rede; was aus unserem eigenen Willen hervorgeht, was wir
selber wollen, was uns begeistert, was uns hinreißt, das wirkt
viel mehr auf das Denken der Zuhörer; das regt in ihnen viel
leichter die Gedanken an. Daher wird ein für seine Sache
begeisterter Redner leicht verstanden. Ein künstlerisch
bildender Redner wird leichter den Willen der Zuhörer anregen
können. Aber der oberste Grundsatz, die oberste Maxime muß
denn doch diese sein: daß wir keine Rede anders halten, als gut
vorbereitet.
Ja,
aber wenn wir nun gezwungen sind, eine Rede aus dem
sogenannten Stegreif zu halten, wenn wir zum Beispiel angeredet
werden und gleich darauf zu antworten haben, da können wir doch
nicht erst die Zeit zurückgehen lassen zum vorhergehenden Tage,
um da den Gegentoast zu meditieren und ihn in Erinnerung bringen, wie
ich das jetzt eben angedeutet habe; das geht doch nicht! – Und
doch geht es! Es geht nämlich in der Weise, daß wir gerade
in einem solchen Moment absolut wahr sind. Oder wir werden in dieser
Weise attackiert, daß uns ein Mensch so schrecklich grob kommt,
daß wir ihm gleich darauf antworten müssen – dann ist
das schon ein starkes Gefühlsfaktum. Also das Gefühl wird
schon in einer entsprechenden Weise angeregt. Da ist ein Ersatz da
für das, was wir sonst brauchen, um in Begeisterung und so
weiter zu beleben, was wir uns erst in Gedanken vorstellen. Dann
aber, wenn wir in einem solchen Momente nichts anderes sagen als
dasjenige, was wir als ganzer Mensch in jedem Augenblicke sagen
können, wenn wir in dieser Weise attackiert werden, dann sind
wir doch in einer ähnlichen Weise vorbereitet.
Gerade
bei solchen Dingen handelt es sich eben um den
Gesamtentschluß, nur, nur, nur wahr zu sein. Es sind dann ja
auch in der Regel alle Bedingungen des Verstehens da, wenn die
Attacke nicht gerade darin besteht, daß wir in einer Diskussion
herausgefordert werden. Darüber will ich dann noch sprechen.
Denn es handelt sich dann eigentlich darum, überhaupt nicht
eigentliche Reden zu halten, sondern etwas ganz anderes zu tun, was
für uns wohl, wenn wir diesen Kursus mit Recht absolvieren
wollen, ganz besonders wichtig sein wird. Denn wir werden ja, um in
dem Sinne zu wirken, wie ich es heute im Anfang angedeutet habe,
nicht bloß Reden zu halten haben, sondern auch in der Diskussion
unseren Mann – selbstverständlich auch unsere Dame –
zu stellen haben. Und darüber muß also durchaus auch
gesprochen werden, und sogar sehr viel gesprochen werden. Nun bitte
ich Sie vor allen Dingen, das, was ich heute gesagt habe, von dem
Gesichtspunkte aus ins Auge zu fassen, daß es vielleicht ein
bißchen darauf hinweist, wie schwierig man es hat mit dem
Aneignen der Redekunst. Aber ganz besonders schwierig hat man es,
wenn nicht nur geredet, sondern sogar über das Reden geredet
werden soll. Denken Sie sich, wenn man das Malen malen, das
Bildhauern bildhauern sollte! Also, die Aufgabe ist nicht ganz
leicht. Aber wir werden versuchen, sie doch in irgendeiner Weise in
den nächsten Tagen zu absolvieren.
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