DRITTER VORTRAG
Stuttgart, 13. Juli 1923
Meine lieben Freunde! Es scheint, daß für ein solches
Streben wie das Ihrige es sich vor allen Dingen darum handelt,
einen möglichst sicheren Impuls zu erwerben für ein
Sichfühlen in der spirituellen Welt; und gerade über
das Erringen eines solchen Impulses, aber von dem
Gesichtspunkte Ihrer Bewegung aus, habe ich mir vorgenommen,
heute noch einiges vor Ihnen zu sprechen. Sehen Sie, es handelt
sich wirklich darum, daß man an einem konkreten Punkte
ansetzt, um einen spirituellen Impuls zu bekommen, wenn man ein
auf einem bestimmten Horizont tätiger Mensch sein will,
und das wollen Sie ja alle sein. Da handelt es sich darum,
einen gerade für diese besondere Betätigung
geeigneten Impuls zu bekommen. Als ein solcher erscheint mir,
aus meinen Beobachtungen aus der geistigen Welt heraus,
für Sie das folgende dienen zu sollen.
Es
kann zunächst angeknüpft werden an das Walten des
Sprachgeistes, an das Walten des Sprachgenius. Wir müssen
uns da nur einmal recht klarmachen, meine lieben Freunde, wie
weit der Mensch in der Regel davon entfernt ist, mit einem
wirklichen geistigen innerlichen Sichbetätigen die Sprache
zu fassen. Wir nehmen die Sprache auf, aber wir nehmen sie im
Grunde auf ohne ihre Heiligkeit. Wir nehmen gerade die Sprache
so auf, daß wir, indem wir sie anwenden im
gewöhnlichen Leben, sie eigentlich profanieren. Wir lassen
uns als Menschen der Gegenwart zumeist gar nicht darauf ein,
die Sprache, indem wir sie handhaben, auch in der
entsprechenden Weise zu verehren. Wir sprechen im Grunde
genommen sündig, und erst das Bewußtsein davon,
daß wir sündhaft sprechen, kann uns einen Impuls
geben, gerade durch unsere Stellung, ich möchte sagen,
durch unser Verhältnis zur Sprache, einen spirituellen
Impuls zu erhalten. Beispiele, die das erhärten,
können sich ja von allen Seiten ergeben.
Wieviele Menschen haben überhaupt irgendeine Anleitung im
heutigen Leben erhalten, mit jedem Laute der Sprache
mitzufühlen? Das bedingt natürlich, daß eine
große Anzahl von Lauten heute konventionell und
unmenschlich, das heißt ohne Verständnis, mindestens
außermenschlich gesprochen werden. Wer fühlt, wenn er
das Wort «erhärten» ausspricht, beim Aussprechen
dieses Wortes mit, daß sein Gemüt von etwas
durchzuckt wird, das mineralisch hart und zu gleicher Zeit das
Gemüt etwas kühl macht? Wer fühlt, wenn er das
Wort «Wort» ausspricht, daß das viel zu tun hat
mit dem Erlebnis des Vergangenseins, des vergangenen
Geisteswebens, das in der Gegenwart gewissermaßen
ertötet, kristallisiert, als Vergangenheit vorliegt und so
weiter? Wir haben überhaupt nicht mehr ein Erlebnis bei
den wichtigsten Worten. Ich möchte wissen, wieviele
Menschen heute ein Erlebnis haben bei dem Worte
«denken», wieviele Menschen heute ein Erlebnis haben
bei dem Worte «fühlen», dem Worte
«wollen». Aber das sage ich Ihnen zunächst nur
als Hinweis auf dasjenige, was ich Ihnen heute eigentlich
anvertrauen möchte.
Sie
können natürlich sich selber in den verschiedensten
Sprachausdrücken benennen. Sie können zu sich
«Ich» sagen, wie man es im gewöhnlichen Leben
tut, oder Sie können anfangen, etwas zu theoretisieren
über sich, Sie sagen sich dann, Sie seien ein
«Mensch». Da versetzen Sie sich in das Sprachwesen
und bestimmen vom Sprachwesen aus Ihr eigenes Wesen. Aber der
Mensch hat eben heute das Gefühl, wenn er so etwas getan
hat, dann habe er ein Wort, das für ihn eine Bezeichnung
ist, auf sich angewendet. Wenn der Mensch von heute sich sagt,
er sei ein «Mensch», so denkt er unter allen
Umständen, er habe sich in einer für ihn
verständlichen Weise mit einem Worte und dadurch, meint
er, mit einer Idee bezeichnet.
Nun
ist es gut, wenn man von vornherein von der Empfindung ausgeht:
Im wahren Sinne des Wortes versteht man die Sprache so wenig,
daß eine solche Bezeichnung, die man als Mensch auf sich
selbst anwendet, eigentlich etwas ist, zu dessen
Verständnis man sich erst hinaufringen muß, zu dessen
Verständnis man erst kommen muß. Man sollte
eigentlich überall von der Empfindung ausgehen, daß,
wenn ich glaube, mich mit irgendeinem Worte, auch der mir
geläufigen Muttersprache zu bezeichnen, das ein
unendlicher Hochmut von mir ist. Wenn wir uns mit dieser
Empfindung durchdringen, daß wir den Glauben, wir
könnten eine Sprache, sei es auch die Muttersprache,
wirklich so weit aus dem Geiste heraus handhaben, daß wir
uns mit Recht als Menschen und uns selbst mit dem Worte
«Mensch» bezeichnen können, wenn wir diesen
Glauben als einen furchtbaren Hochmut von uns ansehen, so haben
wir die erste vorbereitende Empfindung, um einen gewissen
spirituellen Impuls, wie ich ihn heute meine, in uns anzuregen.
Man muß vielmehr sich sagen können: Ich bin als
Mensch in die Erde hineingestellt durch irgendwelche mir
unbekannte göttliche Zusammenhänge, und dies
veranlaßt mich, mich als «Mensch» zu bezeichnen,
aber die Gründe für dieses Bezeichnen liegen weit
über meinem Horizont. Das ist Götterwille, der da
waltet, der mich aus unbewußten tiefen Untergründen
veranlaßt, mich als «Mensch» zu bezeichnen. Ich
habe als Mensch, als diese auf der Erde stehende
Menschenindividualität, ja überhaupt nicht das Recht,
eine Bezeichnung auf mich selbst zu prägen. Dann muß
der nächste Schritt der sein, daß man sich sagt:
Bevor ich überhaupt fähig sein werde, den ganzen
Vorgang zu verstehen, der da existiert, indem ich zu mir
«Ich» sage, muß ich drei Entwickelungsstufen
durchmachen. Bis zu dem Urteil, das ich so ausdrücken
darf: Ich habe ein Recht, mich «Mensch» zu nennen -,
werde ich also drei Entwickelungsstufen vorher durchmachen
müssen, ich werde mich durchringen müssen durch drei
Prüfungen. Wenn ich in für mich genügender
Weiser diese drei Prüfungen bestanden habe, darf ich
hoffen, zu mir mit Recht sagen zu dürfen: Du bist ein
Mensch.
Das
sollten wir eigentlich jedem Sprachworte gegenüber
empfinden: eine uns außerordentlich adelnde Bescheidenheit
des Ausgangspunktes für die Entwickelung der spirituellen
Impulse. Sagen müßten wir uns: So wie wir als
Menschen auf der Erde heute stehen in unserer fünften
nachatlantischen Periode, müßten wir, wenn wir
ehrliche Menschen wären, damit beginnen zu schweigen,
nichts zu benennen und dann beginnen, die drei Stufen zu
überwinden, die uns das Recht geben werden, die Dinge von
uns aus zu benennen. Dadurch erst werden wir ein Gefühl
dafür bekommen, welch außerordentlich
bedeutungsvolles kosmisches Erlebnis es war, das in der Schrift
angedeutet wird damit, daß in der Anwesenheit Gottes dem
Adam gestattet war, Tiere und Dinge zu benennen, wozu ihm eben
nur die Gottesnähe das Recht geben konnte. Wir werden
durch solche Erlebnisse, die aber konkrete eigene Erlebnisse
sein müssen, auch die nötige Tiefe bekommen für
das Schriftwort, so daß dieses dann durch die innere
Kraft, die wir ihm geben können, die nötige
Nuancierung und Kolorierung bekommt, damit aus dem Wort jene
Stufe heraustönt, der gegenüber wir nicht bloß
sagen können: Wir haben das Recht nicht, die Dinge zu
benennen -, sondern sagen können: Durch Gott ist uns [das
Recht gegeben], die Dinge von uns aus zu benennen.
Diese Dinge müssen einmal auf dem Grunde unserer Seele
gelebt haben, um in rechter priesterlicher Art der Welt
gegenübertreten zu können. Die äußerliche
Gebärde macht nicht den Priester. Den Priester macht das,
was aus dem tiefsten Innern dringt. Wenn wir das Wort
«Mensch» als solches auf uns selbst anwenden wollen,
müssen wir erst dazu kommen, durch die drei Stufen
durchzugehen:
-
das Wesen, das ich mit dem Worte
«Mensch» bezeichnen will, hat Tiefen, die ich
erst ergründen muß;
-
das Wesen, das ich mit dem Worte
«Mensch» bezeichnen will, hat Höhen, die ich
erst erklimmen muß;
-
das Wesen, das ich bezeichnen will
mit dem Worte «Mensch», hat Weiten, die ich erst
überschauen muß.
In
diesen drei Sätzen liegt etwas Bedeutungsvolles: das
Menschenwesen. Und wenn Sie sich diese Sätze zu
Meditationssätzen vertiefen, so werden diese Sätze
Sie weit führen können.
Wahrhaftig, es ist so: Indem der Mensch in dieses Erdendasein
hineinversetzt wird, wird er aus geistigen Höhen
hineingestellt. Und einzig und allein der Umstand, daß
unser Erdendasein für unsere gesamte Menschenentwickelung
eine Aufgabe hat, rechtfertigt kosmisch, daß wir einen
Teil unseres Totallebens als Erdenbürger zubringen. Die
Erde gestaltet uns, während wir auf der Erde wandeln
zwischen Geburt und Tod, zu Erdenmenschen, und alles, was da
von der Erde aus gestaltet wird, wird aus Tiefen gestaltet, die
an allem, was die einzelnen Formen des geringsten Organes an
uns sind, mittätig sind. Es ist da vorzustellen: Die Erde
ist ein Wesen im Weltenraum, das unendliche Geheimnisse in sich
birgt und das gestaltend wirkt. Wie Ihr Auge, Ihr Ohr gestaltet
ist, wie jedes einzelne, wie das geringste Glied an Ihrem
Körper gestaltet und geformt ist, dafür liegen die
schöpferischen Kräfte innerhalb der Erde. Und wenn es
uns gelingt, dasjenige, was die Erde als Ausdruck ihres
Innenwesens an ihrem äußeren Antlitz zeigt, denkend,
empfindend und wollend wie eine Enthüllung der inneren
Geheimnisse der Erde allmählich zu erfassen, so kommen wir
meditierend nach und nach zur Beantwortung des Satzes: Wie
ergründe ich die Tiefen des Menschenwesens?
Wenn es uns gelingt, uns zu versetzen in die unseren
Körper in der mannigfaltigsten Weise kristallisierende
Erde, die dann die Kristallisierung wieder auflöst,
zerstäubt zu Pulver, wenn es uns gelingt, in diesem
Sichgestalten, Pulverisieren und Wiedergestalten zu sehen, was
im Laufe der Zeiten die empfindenden Menschen immer in so etwas
geprägt haben wie zum Beispiel in Brahma, Vishnu, Shiva,
wenn es uns gelingt, diesen ganzen Prozeß zu empfinden als
dasjenige, was für uns eine Art Bett der Gottheit ist, in
das wir hineingebettet sind, so daß das Betten innerhalb
dieses Brahma-Vishnu-Shiva-Prozesses für uns etwas ist wie
ein kosmischer Schlaf während unseres Erdendaseins, wenn
wir das Kristallisieren und Auflösen der Erde als etwas
empfinden, was uns durchweht mit kosmischem Schlafesdrang, wenn
wir sagen können: das menschliche Wesen ist so tief, so
tief gemacht im Erdendasein, daß es in der Tiefe das
Bewußtsein nicht aushält, sondern mit der ganzen
gestaltenden Erde als physischer Leib in kosmischen Schlaf
verfällt, dann sind wir daran, allmählich eine
Empfindung zu bekommen von dem, was es heißt: mit den
Tiefen der Erde als Mensch verbunden zu sein. Und wenn wir uns
zuletzt sagen können: Die Erde gestaltet uns nach ihren
Tiefen, sie durchdringt uns aus ihren Tiefen heraus mit
Erdenschlaf, weil aus den Tiefen des Erdenschlafes die
Urgöttlichkeit vollwachend wirkt, dann empfinden wir etwas
von dieser Erdentiefe des Menschen. Wenn wir uns so etwa sagen
können: Je härter uns die Erde erscheint,
demantenhart, je härter in einzelnen ihrer Teile, desto
wahrer, gewaltiger spricht aus der demantenen Härte, die
wie der Schlafzustand des Geistigen ist, die lichtvolle
Geistigkeit des in der Erde für uns wachend wirkenden
Göttlichen.
So
müssen wir uns durch Meditation, durch ein immer mehr
gefühlsmäßiges Vertiefen in die
Erdenuntergründe versetzen und uns sagen:
O
Mensch, bevor du dich benennen kannst, bevor du deine Tiefen
ergründen kannst, mußt du immer mehr dich vertiefen
in die Erdenuntergünde. Wenn wir die Pflanze aus der Erde
sprießen sehen, müssen wir uns aneignen ein
höheres Pietätsgefühl, ein
Ehrfurchtsgefühl, das uns in jedem einzelnen Stück
Pflanze etwas in uns selbst erschauen läßt, etwas wie
ein Offenbaren von demjenigen, was unten in der Erde eigentlich
vor sich geht. Wir müssen wirklich beginnen uns
klarzumachen, was besteht an Wechselwirkungen zwischen
Erdentiefen und Himmelsweiten. Sehen Sie die blühende Rose
heraussprießen aus der Erde, sehen Sie die zu einer
gewissen Kleinheit sich zusammenballende Rosenknospe, so
ergänzen Sie sich diese gegen den Erdengrund, gegen den
Mittelpunkt der Erde hin als eine mächtige Lichtrose, die
durchdrungen ist von göttlichen Gedankengebärden, die
wachen müssen, damit die schlafende Rose sich in der
Knospe nach oben entfaltet. Für jede schlafende
Rosenknospe empfinden Sie in den Untergründen der Erde die
wachende, schaffende, lebende Lichtrose. Und so mit allen
Pflanzen. Schauen Sie sich die grünende Pflanzendecke der
Erde an und empfinden Sie für das, was aus der Erde
grün heraussprießt, nach den Tiefen der Erde zu
dieses ganze Lichtvolle als mit einem tiefen Violett
durchdrungen, das in die Welt hinausdringt, sie belebend
durchwebend. Dann haben Sie etwas, was Ihnen sagt: Ich darf
mich erst Mensch nennen, wenn ich die Erdentiefen
ergründet habe.
So
muß man das Gefühl bekommen, daß man erst
würdig werden muß durch solches meditierendes
Ergründen, durch Überwinden dieser ersten Stufe, das
Wort «Mensch» für den Menschen zu gebrauchen.
Wenn man das, was der profane Mensch wie eine
Selbstverständlichkeit nimmt, als hoch im Niveau über
einem schwebend ansieht und bedenkt, daß man das erst
erringen muß, daß man dieses Niveau erst erklimmen
muß, indem man dreifach bescheidener wird als der
gewöhnliche Mensch, dreifach sich erniedrigt unter das,
was der gewöhnliche Mensch glaubt zu sein, dann fängt
man erst an, den Priesterberuf nach und nach in sich zu
erfühlen.
Und
wenn man in solcher Weise nach und nach sich selbst angeleitet
hat, die erste Stufe zu überwinden, so geht man an die
zweite Stufe heran, die uns hinaufschauen läßt in die
unendlichen Weltenweiten, und sagt sich für die heutige
Zeit: O, wie trivial ist diese Welt geworden, da die Menschheit
nur triviale Vorstellungen für die Weltenweiten entwickelt
hat. Ja, wahrhaftig, weiser als der weiseste Gelehrte war
Stifters Großmutter, die, gefragt nach dem, was die
Abendröte sei, antwortete, das seien die Kleider der
Gottesmutter, die zum Himmel herausgehängt würden, um
gelüftet zu werden. Diese bildhafte naive Vorstellung ist
gegenüber einer wissenschaftlichen Erkenntnis viel weiser,
viel weiser als die gelehrteste Astronomie.
Das
muß man aufnehmen können: In den Weltenweiten
wirklich glänzende Sterne sehen, die im Grunde doch die
Augen der göttlich-geistigen Wesenheiten sind, die ihre
Blicke zu uns Erdenkindern herunterwenden, weil sie ihre
geistigen Hände unseren Geisthänden gereicht haben,
weil wir unsere Geisthände ihren Geisthänden gereicht
haben, da wir bei ihnen waren, bevor wir heruntergestiegen sind
in das irdische Dasein. Nach schauen uns die Götter aus
den Weltenweiten, aus den Weltenhöhen, um zu erforschen,
wie wir das erfüllen, was sie veranlagt haben,
während wir unsere Geisthände ihren Geisthänden
reichten. Wenn wir dazu kommen, möglichst viele
Vorstellungen von den Höhen zu entwickeln und mehr und
mehr die Empfindung bekommen, wie das Menschenwesen aus den
Höhen stammt, die es im irdischen Bewußtsein erst
wieder erklimmen muß, dann werden wir wiederum eine Stufe
fähiger, ein Recht zu bekommen, als Menschen
«Mensch» zu uns zu sagen.
Es
muß erst getaucht werden das Wort Mensch in die
Erdentiefen, wie ich angedeutet habe, um durch dasjenige, was
es im Eintauchen bekommen hat, in unserem Gemüt etwas zu
werden, von dem wir sagen können: wir verstehen es. Und es
muß dann das Wort «Mensch» erst mit den
aufsteigenden Wassern in die Höhen gesendet werden und in
uns die Empfindung kommen, daß wir es mit dem
herabfallenden Regen wiederbekommen, wenn das Wort
«Mensch» an sich tragen soll, was es möglich
macht, daß wir es in unserem Gemüt verstehen lernen.
Wir müssen wirklich beginnen uns klarzumachen alles, was
an Wechselwirkungen zwischen Erdentiefen und Himmelsweiten ist.
Wir müssen lebendig folgen können den Dunsttropfen,
die aufsteigen von den Wäldern und Bergen. Wir müssen
nicht den Glauben haben, daß diese Dunsttropfen aufsteigen
in eine Region, die gleich einer Region der Erde ist. Wir
müssen jene Bescheidenheit entwickeln, die denjenigen
Menschen für einen Tropf ansieht, der einen Drachen
aufsteigen läßt mit einem Thermometer oder Barometer,
um Messungen anzustellen. Man taucht ja das Ganze nur in
irdische Vorstellungen. Wir müssen dahin kommen zu sagen:
Wie töricht ist es, zu glauben, daß der Blitz aus
Reibung der Wolken entsteht, die aus Wasser sein sollen, da
doch jedes Kind weiß, daß man sorgfältig alle
Feuchtigkeit an einem Glasstabe mit trockenen Tüchern
entfernt, wenn Elektrizität entstehen soll. Natürlich
kommen nur Torheiten heraus, wenn der Mensch das, was er auf
der Erde erlebt, auch in Himmelshöhen erleben will, aus
denen er aber herabgestiegen ist und mit denen er sich verwandt
fühlen muß, wenn er in würdiger Weise sich
«Mensch» nennen will. Wir müssen uns klar sein,
wenn die Dunstwasser aus den Bergen und Wäldern
aufsteigen, daß sie in Regionen gehen, wo das Wasser etwas
anderes ist als hier auf der Erde, in Regionen, wo das Wasser
selbst vergeistigt wird, wo es entwässert wird und durch
geistige Vorgänge hindurchgeht, so daß es erst wieder
materialisiert werden muß, bis es als Regen aus geistigen
Regionen herunterkommt. Wir müssen wissen, wenn wir in
solche Regionen hinaufsteigen, daß sie verwandt sind mit
denjenigen Regionen, aus denen wir kommen, wenn wir aus dem
vorirdischen Dasein m das irdische hinabsteigen. Wir
müssen wissen, daß der Blitz etwas ist, was in
geistigen Regionen waltet und webt, und daß die
Vorstellung der Alten, wo der Blitz der Pfeil der Götter
war, weiser ist als alle Vorstellungen, welche wir uns
machen.
Wir
müssen in aller Stille solche Meditationsvorstellungen auf
dem Grunde unseres Gemütes entwickeln können, damit
wir der vollkommen entgeistigten Weltkultur Führer sein
können auf dem Wege zum Geistigen. Wenn wir uns wenden zu
der harten Erde, wenn wir empfinden die demantharte Erde, dann
müssen wir uns auch wenden zum weichen, verfließenden
Wasser, das sich zusammenzieht in den Tiefen bis zu der engsten
stofflichen Kleinheit, das in den Höhen weit werden und
zerstäuben muß, das in seinem Zusammenziehen auf der
Erde zum Regen wird. Wir müssen alle Geheimnisse dem
Wasser ablauschen, alles, was mit dem Walten des Wassers
verwandt ist, in unserem Gemüt zusammenziehen. Wir
müssen meditieren darüber, wir müssen uns
fragen: Wie kommt die Sonnenwärme aus den Weltenweiten
während des Sommers an die Erde heran, um Pflanzen und
Früchte zur Reife zu bringen? Wie senkt sich dann die
Sonnenwärme in die Erde so, daß der Bauer seinen
Samen der Erdenwärme im Winter anvertraut? Diese
Wärme ist es, die, wenn der Winter zu Ende geht, wieder in
die Weiten des Seins geht. Diese Wärme ist es, die in
allen Gebieten des Seins, in allen kosmischen Verrichtungen
eine Kommunion ist, ein gegenseitiges Verhältnis zwischen
Weltenhöhen und Erdentiefen. Wir Menschen entstammen
beiden. Wir müssen die Erdentiefen ergründen, ehe wir
in die Weltenweiten kommen.
Indem wir mehr und mehr uns in solche Meditationen versenken,
kommen wir gefühlsund gemütsmäßig hinein in
die zweite Stufe, die uns das Recht gibt, das Wort
«Mensch» auf uns anzuwenden. Wir müssen uns ein
Bewußtsein dafür erringen, daß alle Sprache nur
provisorisch sein kann, bis wir durch die dritte Stufe jene
Vereinigung mit dem Sprachgenius erlangen, der eigentlich sonst
im Unbewußten in uns spricht, während wir, wenn wir
uns zum Werkzeug des Gotteswortes machen wollen, eben zuerst
ein Recht haben müssen, das Wort «Mensch» auf
uns selbst anzuwenden.
Als
drittes müssen wir versuchen, die Weltenweiten zu
erschauen. Die aber erschauen wir, wenn für uns
Gemütsrealität wird die aufgehende und untergehende
Sonne, die heraufund herunterziehenden Sterne, wenn wir
verstehen lernen den großen Zug des Sonnenwagens, der
durch die Welt geht, wenn wir imstande sind, uns wirklich zu
sagen, wie Ost etwas anderes ist als West, Südost etwas
anderes als Nordwest und so weiter. Die erschauen wir, wenn wir
imstande sind, zu uns zu sagen: Du Mensch, du gehst vielleicht
jetzt fünf Schritte; damit veränderst du deinen Ort
auf der Erdoberfläche. Daß du das kannst, und die
Tiere mit dir, das kommt daher, daß die Kräfte, die
von Ost nach West ziehend allseitig in den Weiten und in der
Horizontalen wirken, auch dich durchdringen, während dich
von unten herauf die Erdentiefen gestalten, die
Himmelshöhen dich von oben beleuchten und beleben, so
daß du ein auf der Erdoberfläche wandelndes Wesen
sein kannst. Die Weltenweiten, die du empfinden sollst, kannst
du empfinden, wenn du dir hinschauend auf eine entfernte
Landschaft vergegenwärtigst, wie die Luft mehr und mehr
ein Reales wird. In deiner unmittelbaren Nähe ist die Luft
durchsichtig für dich, du siehst sie nicht; wenn du einen
Berg anschaust, so könntest du die Luft mit malen, weil
sie sich wie tauig über die Fläche legt; schaust du
die Luft in der Ferne, so siehst du sie als Himmelsbläue.
Durchdringst du empfindend das Luftwesen mit deinem
Gefühl, indem dir klar wird, daß mit dieser
Empfindung verbunden sind deine Willensaktionen, so erklimmst
du die dritte Stufe in der Meditation, die dich zu dem Recht
führt, dich als Mensch «Mensch» zu nennen.
Vertiefst du dich auf dieser Stufe in das Geheimnis des Atems,
so beginnst du zu verstehen, was Luft und Weltenweiten sind,
was in Höhen und Tiefen und in der Horizontalen wirkt, so
erkennst du: Was in deinem Atem in dich hineinzieht, das ist
das, was aus den Weltenweiten dich belebt; das ist das, was du
in deinem Atem spüren mußt. Und weiterhin mußt
du in deinem Atem spüren, daß in dem tiefen
Durchdringen deines ganzen Menschenwesens in deinem Atem
Kraftimpulse deines Willens liegen. Dann beginnst du zu
verstehen: Das, was dir die Erdentiefen geben an Zusammenhalt
der Materie in deinem ganzen Leibe, das verarbeitest du unter
Anwendung desjenigen, was dir als Anlage des Denkens die
Weltenweiten geben. So wirken zusammen in deinem
Gesamtmenschen:
Erdentiefen in deinem Physischen Weltenweiten in deinem
Astralischen Himmelshöhen in deinem Ätherischen.
So
kannst du fühlen den ganzen Kosmos in seinen Dimensionen
in dir selbst. So kannst du fühlen, wenn du hinneigst dein
Fühlen zu der demantenen Erde, wie du das schlafende Wesen
bist. So kannst du fühlen, wenn du hinauflenkst deinen
Blick in die Himmelshöhen, wie sie dich dem Schlaf der
Erde entreißen, wie du ein träumendes Wesen bist.
Aber du kannst auch fühlen, wie du ein wachendes Wesen
bist in den Weltenweiten. So lernst du allmählich den
kosmischen Menschen in deinem irdischen Menschen erkennen.
So
lernst du erkennen, wie du als Mensch eigentlich aus dem ganzen
Kosmos durch die Gottheit geformt bist, durch die Gottheit in
die Erde gestellt bist. So lernst du fühlen dein
dreifaches Hineingestelltsein in den Kosmos. So lernst du
fühlen den Vatergott aus den Erdentiefen wirken, dessen
lebendige Tätigkeit vorzugsweise in der Vergangenheit
gesucht werden muß, von dem geblieben ist der feste Boden,
auf dem wir stehen, die fest gebildeten Gestaltungen, die sich
formen in der Welt, von dem geblieben ist alles das, was uns in
festen Bildungen erscheint. Wir hören, indem wir uns
meditierend in die Erdentiefen mit unserem Gemüt
versenken, die Sprache des Vatergottes aus den Erdentiefen zu
uns herauftönen. Wir hören aus den Himmelshöhen
den gegenwärtigen Gott zu uns sprechen, nur ist hier die
Sprache tiefer und komplizierter als die Menschensprache.
Dieser Gott hat aus den Himmelshöhen auf die Erde
herabsteigen und durch das Mysterium von Golgatha hindurchgehen
müssen, um die Himmelssprache in unser Wort dringen zu
lassen. Wir werden die wirkliche Kommunion des Irdischen mit
dem Himmlischen sich darstellen sehen in dem aufsteigenden
Wasserdunst, in dem wieder herabfallenden Regen, in der
herabkommenden und wieder hinausziehenden Weltenwärme.
Wenn wir das in uns wirken lassen, so wird es sich so
durchgeistigen, daß wir erfühlen den daseienden
Christus in dem, was wir als heutige Menschen unter dem
Einfluß der Himmelshöhen in uns empfinden. Wenn wir
eingehen auf das, was aus den Weltenweiten im Atem uns
durchzieht, wenn wir demütig unser Gefühl darauf
lenken, was in jedem Augenblick geschieht, wenn wir den Stoff,
beherrscht von den Kräften der Erdentiefen, unter der
Anleitung des Christus Jesus durch die Himmelshöhen
gestalten und formen fühlen, so werden wir das Wirken des
Heiligen Geistes als Vollendung der Dreifaltigkeit richtig
erfühlen und durchdringen und werden uns dann sagen
können als Ergebnis unserer Meditation:
Der
Vatergott hat mir die Stärke verliehen, die in meinem
Stoffe liegt, der dicht gewordener Geist ist.
Der
Sohnesgott ist immer das vom Himmel gekommene Leben in mir, das
wirkt und webt wie das Wasserdasein im Kosmos, das ein
Symbolum, ein Bild dafür ist. Ich fühle den
Christus-Gott in allem meinem Webenden und Lebenden, in dem,
was mich vom kleinen Kinde zum erwachsenen Menschen macht, was
täglich in mir wachsen und wieder zugrundegehen muß,
damit ich als Erdenmensch ein werdendes Wesen sein kann. Ich
fühle den Geistgott als denjenigen, der
hinüberträgt in die Zukunft, was aus der
Vergangenheit durch den Christus Jesus in uns geworden ist.
Sehen Sie, wenn wir so meditierend den Inhalt geboren haben
für ein Wort, das herumflattert, das wir vorher nur
provisorisch gebraucht haben, dann haben wir das Recht
erworben, uns als Menschen «Mensch» zu nennen. Und
wir sollten beginnen mit einer Anbetung des Sprachgenius, denn
das ist die wahre Anbetung, was in solcher Meditation gewonnen
ist. Wir sollten beginnen, uns nicht nur durch äußere
Menschengestalt als Menschen zu erweisen, sondern zu zeigen den
von Gott gestalteten, von Gott gedachten und von Gott
erfüllten Menschen in unserer Sprache.
Wenn wir durch eine solche Meditation uns zunächst
für das eine Wort «Mensch» vorbereiten, so
entsteht schon der Drang, uns dreistufig für manches
andere Wort vorzubereiten und die menschliche Sprache auf der
Erde in der richtigen Weise zu handhaben. Dann lehrt uns der
Sprachgenius, wie wir lebendige Werkzeuge für das
Gotteswort werden können, wenn wir dieses Gotteswort der
Gemeinde gegenüber beleben sollen. Denn das Gotteswort ist
immer da, und was wir tun, ist eine augenblickliche Belebung
des immer in den spirituellen Welten waltenden Gotteswortes. Im
Urbeginne war das Wort und es war schon im Urbeginne ein
göttliches. Wenn wir aber nicht in der Lage sind, die
Heiligkeit des Wortes «Mensch» für den Menschen
zu empfinden, so sind wir nicht in der rechten Weise mit der
Würde ausgestattet, die uns auch in der rechten Weise den
Anfang des Johannes-Evangeliums sagen läßt. Der
Priester ist heute noch nicht soweit, in solcher Weise das Wort
zu sagen.
Unsere Zeit ist so, daß von dem Priester, wenn er
weiterdringen soll in seinem Beruf, vor allen Dingen solche
Dinge erfordert werden. Denn was ist geblieben von den alten,
aus den heiligen Höhen der Erde mitgeteilten Worten? Was
ist geblieben von den Worten «Deus»,
«Christus», «Geist»? Irdische Klänge
sind es, die in Dogmen verhärtet sind. Die Wahrheit der
Worte muß in uns erweckt werden, die Wahrheiten dieser
Worte müssen in uns leben. Wir dürfen nichts
versäumen, was es uns möglich macht, daß die
alten, verhärteten und deshalb dogmatischen Worte in uns
wiederum lebendig werden. Wir dürfen nicht mehr in der Art
das Gotteswort drehen und bewegen, wie das in jenen alten
Zeiten geschehen ist, in denen die katholische Kirche aus den
Mysterien die Messe entnommen hat.
In
den alten Mysterien war der Priester noch viel bescheidener als
der heutige Priester, wenn er so ist, wie ich es eben
beschrieben habe. Der alte Priester sagte sich, er könne
überhaupt nicht Mensch sein, so wie er ist. Daher wurden,
bevor er sprechen durfte, alle diejenigen Dinge
ausgeführt, von denen noch ein letzter Rest in der
Räucherung enthalten ist. Durch die Räucherung, die
zu Recht hineingekommen ist in unsere Menschenweihehandlung,
wird angezeigt, daß in den alten Mysterien der Priester
sich durch äußere Mittel in einen anderen
Bewußtseinszustand versetzte, wodurch er sich außer
seinem Leibe fühlte und von dem Sprachgenius besessen
wurde, der ihn zu dem höheren Genius führte, so
daß der alte Priester außer seinem Leibe das
Gotteswesen erlebte. Kein Priester meinte, daß er von
innen die Zunge bewegen könne, wenn er die Gottesworte
sprach; er wußte, daß er erst aus sich herausgegangen
sein mußte und die Zunge von außen bewegt werden
mußte. Das können wir heute nicht mehr und wir sollen
es auch nicht mehr, aber wir sollen uns durch innere
spirituelle Mittel, mit innerlichem Fühlen und Wollen
hinaufarbeiten zu dem Begreifen des Vorganges, wenn wir uns
«Mensch» nennen.
Und
bedenken Sie, meine lieben Freunde, was die
Menschenweihehandlung unter Ihrer Handhabung wird, wenn Sie von
heute an etwas von dem, was heute hier gesprochen worden ist,
in Ihre Priestermeditation aufnehmen. Die Dinge können ja
nur nach und nach in uns aufgenommen werden. Die Menschheit hat
sich ja weit vom Göttlichen entfernt und muß sich
erst wieder zurückfinden. Wir haben die
Menschenweihehandlung in die christlichreligiöse
Erneuerungsbewegung hereingenommen zunächst wie der
religiöse Künstler. Heute sind wir dazu gekommen,
dasjenige, was nur wie eine religiöse Kunst zunächst
aufgenommen werden mußte, so aufzunehmen, daß wir in
die Lage kommen, aus ihm einen wirklich lebendigen Organismus
zu machen, so daß die Menschenweihehandlung ein Lebendiges
wird und innerhalb der Christengemeinde immerfort so neu belebt
wird bei jedem Vollzuge durch jeden einzelnen, wie der
physische Leib bei jeder Nahrungsaufnahme bei jedem einzelnen
neu belebt wird.
Das, meine lieben Freunde, müssen Sie in Ihr Gemüt
aufnehmen, daß die Menschenweihehandlung ein Lebendiges
werden muß. Dann haben Sie ein Recht, sich selbst so in
das Erdenwerden hineinzustellen, daß Sie mit dieser
Menschenweihehandlung richtig im Erdenwerden drinnenstehen.
Dann dürfen Sie sich sagen, was wahr ist: Würde diese
Menschenweihehandlung auf der Erde nicht ausgeführt, so
würde die Erde verkümmern und ohne Nahrung bleiben.
Das wäre geradeso, wie wenn keine Pflanzen wachsen
würden. Die Pflanzen wachsen im Physischen, die
Menschenweihehandlung muß im Geistigen wachsen. Wäre
sie nicht da, so wäre das auf einer höheren Stufe
dasselbe, was auf der physischen Erde wäre, wenn keine
Pflanzen wachsen würden. Aber man hat erst das Recht, dies
zu sagen, wenn es einem gelingt, die Menschenweihehandlung zu
einem fortdauernden, lebendigen Wesen zu machen dadurch,
daß man dieses selbstgeprägte Wort errungen hat, wie
man das Wort «Mensch» im richtigen Wirken und Wesen
und Weben innerhalb des Erdendaseins durch eine dreistufige
innere Seelenentwickelung errungen hat.
Dann, meine lieben Freunde, wenn Sie so fühlen
können, haben Sie auch etwas von dem erfühlt, was ein
richtiges Sichhineinstellen gerade in unsere Gegenwart ist.
Nachdem Sie das Bedürfnis hatten, nach einer gewissen Zeit
sich wiederum zu versammeln, mußte ich Ihnen dies sagen,
denn es gehört zur ganzen Entwickelung der christlichen
Gemeinschaft. Und so haben Sie wieder ein Lebendiges in sich
aufgenommen, das belebend auf Sie selbst wirken kann. Ich
möchte, das das Heutige recht innig aufgenommen werde.
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