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BUDDHA

Berlin, 2. März 1911

Von Buddha und dem Buddhismus ist in unserer Zeit verhältnismäßig viel die Rede. Diese Tatsache darf dem Betrachter der Menschheitsentwickelung um so interessanter sein, als dieses Bewußtsein von dem Wesen des Buddhismus oder, vielleicht besser gesagt, diese Sehnsucht, den Buddhismus zu begreifen, gar noch nicfit so alt ist innerhalb unseres abendländischen Geisteslebens. Wir brauchen dabei nur an die bedeutsamste Persönlichkeit zu denken, welche um die Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts so gewaltig in unser abendländisches Geistesleben eingegriffen hat und die bis in unsere Zeit herein so gewaltig fortwirkt: an Goethe. Wenn wir Goethes Leben, Goethes Schaffen, Goethes Wissen verfolgen, dann sehen wir, daß in alledem Buddha und der Buddhismus noch gar keine Rolle spielen. Und verhältnismäßig bald sehen wir an einem Geiste, der in gewissem Sinne sogar Goethes Schüler war, an Schopenhauer, wie in seinem Wirken bereits mächtig der Einfluß des Buddhismus aufleuchtet. Dann wird das Interesse für diese morgenländische Geistesrichtung immer größer und größer. Und in unserer Zeit liegt es für viele Menschen schon in ihnen, sich mit demjenigen auseinanderzusetzen, was eigentlich in die Menschheitsentwickelung eingeflossen ist durch das, was sich an den Namen des großen Buddha knüpft.

Nun darf allerdings gesagt werden, daß merkwürdigerweise die meisten Menschen heute noch immer mit dem Buddhismus einen anderen Begriff verbinden, der eigentlich, wenn man auf das Wesentliche sieht, doch nicht in solcher Art, wie es häufig geschieht, mit dem Buddhismus verknüpft werden sollte: nämlich der Begriff der wiederholten Erdenleben, der hier in diesen Vorträgen immer wieder und wieder eine Rolle spielte. Wir dürfen wohl sagen, daß für die meisten Menschen, die sich heute für den Buddhismus interessieren, in gewisser Beziehung diese Idee von den wiederholten Erdenleben oder auch — wie wir sie nennen — die Idee der Reinkarnation ganz wesentlich sich mit dem Buddhismus verbunden zeigt. Nun muß auf der anderen Seite gesagt werden, so grotesk es klingt: Für den, der tiefer in die Dinge eindringt, erscheint dieses Zusammenkoppeln von Buddhismus und der Idee der wiederholten Erdenleben fast so, wie wenn man etwa sagen wollte: Man könnte das beste Verständnis für die Kunstwerke des Altertums bei denjenigen suchen, welche diese Kunstwerke im Beginne der mittelalterlichen Weltentwickelung zerstört haben! Es klingt dies grotesk, aber dennoch ist es so. Es kann bald einleuchten, daß es so ist, wenn man bedenkt, daß alles Streben, auf das der Buddhismus abzielt, darauf gerichtet ist, diese ihm ja allerdings als ganz gewiß erscheinenden wiederholten Erdenleben soviel wie möglich zu unterschätzen, ihre Zahl soviel wie möglich abzukürzen. Also Erlösung von den Wiedergeburten, den wiederholten Erdenleben ist das, was wir als den innersten Nerv der ganzen buddhistischen Geistesrichtung anzusehen haben. Befreiung, Erlösung von den wiederholten Erdenleben, die ihm allerdings als eine sichere Tatsache gelten, ist sein Wesen.

Schon eine, man möchte sagen oberflächliche Betrachtung der Geschichte unseres abendländischen Geisteslebens könnte uns lehren, wie die Idee der wiederholten Erdenleben eigentlich nichts zu tun hat mit dem Verständnis für Buddhismus und umgekehrt. Denn innerhalb des abendländischen Geisteslebens tritt uns ja die Idee der wiederholten Erdenleben in einer so grandiosen "Weise bei einer Persönlichkeit entgegen, die ganz gewiß unbeeinflußt geblieben ist von der buddhistischen Denkergesinnung: nämlich bei Lessing in seiner reifsten Abhandlung über «Die Erziehung des Menschengeschlechtes»; diese schließt er mit seinem Bekenntnis zu den wiederholten Erdenleben. Im Ausblick zu dieser Idee ertönt uns aus der Abhandlung «Die Erziehung des Menschengeschlechtes» von Lessing das bedeutungsvolle Wort: «Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?» So werden für Lessing die wiederholten Erdenleben in Hinsicht auf die Fruchtbarkeit des Erdentrachtens das Dokument, das uns sagt: Wir sind nicht umsonst auf der Erde; wir wirken innerhalb des Erdenlebens und schauen auf ein immer sich erweiterndes Erdenleben hin, in welchem wir die Früchte der vergangenen Erdenleben zur Reife bringen können. — Also gerade der Ausblick auf eine inhaltsvolle, fruchtbringende Zukunft und das Bewußtsein, daß im Menschenleben sich etwas findet, was im Hinblick auf die wiederholten Erdenleben sich sagen darf: du wirkst fort! — das ist es, worauf es im wesentlichen Lessing ankommt.

Worauf es im wesentlichen dem Buddhismus ankommt, ist, sich zu sagen: Man muß solch ein Wissen, solch eine Weisheit erringen, die uns von dem befreien kann, was uns als wiederholte Erdenleben vor dem geistigen Auge stehen kann. Nur dann sind wir in der Lage, ruhig einzugehen in etwas, was mit dem Worte Ewigkeit belegt werden darf, wenn wir uns in irgendeinem dieser Leben von den folgenden, die sich daran anschließen sollen, befreien können.

Nun war es immer mein Bestreben, im Verlaufe dieser Wintervorträge zu zeigen, wie die Idee der wiederholten Erdenleben keineswegs für die Geisteswissenschaft etwa aus irgendwelchen alten Überlieferungen geschöpft ist, auch nicht aus buddhistischen, sondern wie sie uns einer unbefangenen Beobachtung und Betrachtung des Lebens im geistesforsdierischen Sinne gerade in unserer Zeit sich uns aufdrängen, ergeben muß. So erscheint es wie eine Äußerlichkeit, wenn man gerade den Buddhismus unmittelbar zusammenstellt mit der Idee der wiederholten Erdenleben. Wir müssen vielmehr, wenn wir das Wesen des Buddhismus ins Auge fassen wollen, nach ganz anderem unsern geistigen Blick richten. Da muß ich noch einmal an das Gesetz in der Menschheitsentwickelung erinnern, das uns schon bei der Betrachtung des großen Zarathustra entgegengetreten ist und an dem sich uns gezeigt hat, daß die menschliche Seele mit ihrer ganzen Verfassung im Laufe der Zeitentwickelung verschiedene Zustände durchgemacht hat, daß die Erlebnisse, von denen uns die äußere Geschichte, die äußeren Urkunden berichten, für die Menschheit im Grunde genommen nur eine späte Phase in der Menschheitsentwickelung sind, und daß, wenn wir zurückgehen in vorhistorische Zeiten, wir vielmehr geisteswissenschaftlich auch eine solche Seelenverfassung der Vormenschen sehen können, in welcher das menschliche Bewußtsein in einem ganz anderen Zustande war. Nur kurz sei es wiederholt.

Die Art und Weise, wie wir heute im normalen Menschenleben die Dinge ansehen, mit unsern Sinnen verfolgen, mit unserem an das Gehirn gebundenen Verstand kombinieren, um sie zur Lebensweisheit, zu unserer Wissenschaft zu machen, diese im wesentlichen intellektuelle Art unseres Bewußtseins hat sich erst aus einer anderen Form des Bewußtseins entwickelt. Darauf ist schon aufmerksam gemacht worden, und darauf muß heute noch besonders hingewiesen werden. Beim Vormenschen war eine andere Art des Bewußtseins vorhanden: In der chaotischen Ungeordnetheit unseres Traumlebens haben wir einen letzten Rest, eine Art Erbstück, aber ein atavistisches Erbstück von dem, was einstmals als ein gewissermaßen normaler menschlicher Seelenzustand vorhanden war: ein altes Hellsehen, durch das die Menschheit in einem Zustande, der zwischen Wachen und Schlafen liegt, in das, was hinter der Sinneswelt verborgen ist, hineingesehen hat. Während heute im wesentlichen unser Bewußtsein zwischen Wachen und Schlafen abwechselt und im Wachen die intelligente Seelenverfassung gesucht wird, war in alten Zeiten die Sache so, daß die Menschen in den auf- und ab wogenden Bildern, die aber nicht so bedeutungslos wie die Bilder des Traumes waren, sondern eindeutig auf übersinnliche Geschehnisse und Dinge zu beziehen waren, eine Art von Bewußtseinszustand hatten, aus dem sich nach und nach unser heutiger intellektualistischer Bewußtseinszustand entwickelt hat. So können wir also auf eine Art Hellsehen der Vormenschheit und eine langwährende Entwickelung des menschlichen Bewußtseins zurückgehen. Durch jenes alte traumhafte Hellsehen konnte die Vormenschheit in die übersinnliche Welt hineinsehen, und aus dem Zusammenhange mit dem Übersinnlichen gewann sie nicht nur ein Wissen, sondern das, was man nennen könnte: innerste Befriedigung der Seele an der geistigen Welt, Glückseligkeit in dem Empfinden des Zusammenhanges mit einer geistigen Welt. Denn so gewiß es heute für den Menschen in seinem sinnlichen, intellektuellen Bewußtsein ist, daß sein Blut aus Stoffen besteht, die im physischen Räume draußen sind, ja, daß sein ganzer Organismus aus diesen Stoffen zusammengesetzt ist, so gewiß war es für den Menschen der Vorzeit, daß er in bezug auf seinen geistig-seelischen Teil herausentsprungen 1st aus dem, was er als geistige Welt mit seinem hellseherischen Bewußtsein erblickte.

Es ist auch schon darauf aufmerksam gemacht worden, wie gewisse Erscheinungen der Menschheitsgeschichte, die auch durch die äußeren Tatsachen uns gesagt werden, nur verstanden werden können, wenn man einen solchen Urzustand des menschlichen Erdenlebens voraussetzt. Immer mehr und mehr — darauf wurde bereits aufmerksam gemacht — kommt auch die äußere Wissenschaft darauf, in Urzeiten der Menschheit nicht mehr so etwas anzunehmen, wie es die materialistische Anthropologie des neunzehnten Jahrhunderts getan hat, daß in den Urzeiten ein solcher Urzustand allgemein gewesen wäre, wie er heute bei den primitivsten Völkerschaften gefunden wird, sondern immer mehr und mehr zeigt sich, daß im Urzustand der Menschheit hohe theoretische Anschauungen vorhanden waren über die geistige Welt, nur daß diese bildlich gegeben waren. Was wir in den Sagen und Legenden haben, das können wir, wenn wir richtig in sie eindringen, nur begreifen, wenn wir es auf eine Urweisheit der Menschheit zurückführen, die auf ganz andere Art zur Menschheit geflossen ist als die intellektualistische Wissenschaft der heutigen Zeit. Es ist zwar heute noch nicht viel Sympathie für eine solche Anschauung vorhanden, daß dasjenige, was wir bei primitiven Völkern finden, nicht der geistige Zustand der Urmenschheit sei, sondern etwas in Dekadenz Befindliches von einer früheren Höhe Heruntergestiegenes; es ist nicht viel Sympathie für eine Anschauung vorhanden, wonach bei allen Völkern ursprünglich eine hohe Weisheit vorhanden war, die hellseherisch geschöpft worden ist; aber die Tatsachen werden die Menschheit dazu zwingen, auch hypothetisch so etwas anzunehmen, was die Geisteswissenschaft aus ihren Quellen erforscht und was — wie es an manchem anderen gezeigt werden könnte — die NaturWissenschaft durchaus bewahrheitet. So wird sich bewahrheiten, was jetzt eben über einen etwaigen zukünftigen Verlauf der Menschheitsentwickelung in wissenschaftlicher Beziehung charakterisiert worden ist.

Wir blicken also zurück auf eine Art Urweisheit, aber auch auf ein Urgefühl und Urempfinden der Menschheit, die wir als einen hellseherischen Zusammenhang des Menschen mit der geistigen Welt charakterisieren können. Nun ist auch leicht zu begreifen — wir haben schon bei Besprechung des Zarathustrismus darauf aufmerksam machen können —, daß bei dem Übergang von der alten SeelenVerfassung, also von dem hellseherischen Zustand der menschlichen Seele zu dem intellektuellen, unbefangenen Anschauen der äußeren Sinneswelt, zwei Strömungen auftreten können. Die eine Strömung findet sich insbesondere durch die Zeitentwickelung hindurch bei denjenigen Völkern, welche die alten Erinnerungen und auch die alten Empfindungen sich in der Art bewahrt hatten, daß sie sagten: Es war die Menschheit einst in einem hellseherischen Zustande mit der geistigen Welt verbunden, und sie ist dann herabgestiegen auf die Sinneswelt. Das breitete sich auf das Gesamtempfinden der Seele so aus, daß gesagt wurde: Wir sind herausgetreten in die Welt der Erscheinungen, die ist aber Illusion, ist Maja. Was des Menschen wahres Wesen ist, das kannte der Mensch doch nur und hing mit ihm zusammen, als er mit der geistigen Welt in Verbindung war. — So durchdringt die Menschen und die Völker, welche eine solche Ahnung an einen uralten hellseherischen Zustand sich bewahrt hatten, eine gewisse Wehmut über etwas Verlorenes und ein gewisses Hinwegsehen über das, was in der unmittelbaren sinnlichen Umgebung ist und was der Verstand des Menschen begreifen kann. Dagegen können wir eine andere Strömung charakterisieren, die wir insbesondere beim Zarathustrismus verfolgen können. Sie findet sich bei den Menschen und Völkern, die sich sagten: Wir wollen angreifen die neue Welt, die uns im Grunde genommen erst jetzt gegeben ist. Die Menschen, die sich zu diesem Angreifen der neuen Welt bekannten, blickten nicht mit Wehmut auf das zurück, was sie verloren hatten, sondern sie fühlten immer mehr und mehr, daß sie sich mit all den Kräften verbinden müssen, mit denen sie durch das alles hindurchschauen können, was uns als Sinneswelt umgibt, und zu denen auch der Geist bei einer wirklich in die Tiefe dringenden Betrachtung für das menschliche Wissen kommen kann. Solche Menschen hatten den Drang, sich mit der Welt zu verbinden, nicht zurückzusehen, sondern vorwärtszublicken, Kämpfer zu sein und sich zu sagen: In die Welt, die uns nunmehr gegeben ist, ist dasselbe Göttlich-Geistige verflochten, in das wir in der Vorzeit eingesponnen waren. Wir haben es in der Umgebung zu suchen, wir haben uns mit dem guten Elemente des Geistigen zu verbinden und dadurch die Weltentwickelung zu fördern. — Das ist im wesentlichen jene Weltanschauungsströmung, die von der mehr nördlich gelegenen Partie des asiatischen Landes ausgegangen ist: nördlich von jenem Territorium, wo der Mensch mit Wehmut auf das Verlorene zurückblickte.

So entstand also auf Indiens Boden ein Geistesleben, das ganz und gar in dem Zurückblicken auf das frühere Verbundensein mit der geistigen Welt zu begreifen ist. Wenn wir vor uns treten lassen, was in Indien entstand als die Sankhya-Philosophie oder als die Yoga-Philosophie oder auch als die Yoga-Schulung, so können wir es zusammenfassen, indem wir sagen: Der Inder war immer bestrebt, den Zusammenhang wiederzufinden mit denjenigen Welten, aus denen er herausgetreten ist; was ihn in der Welt umgab, das versuchte er abzustreifen. Wegzukommen suchte er von dem, wie er mit der äußeren Sinneswelt verwoben und verbunden ist, und durch Abstreifen der Sinneswelt den Zusammenhang wiederzufinden mit den geistigen Welten, aus denen der Mensch heruntergestiegen ist. Yoga ist Wiederverbinden mit der geistigen Welt, Heraustreten aus der Sinneswelt, Befreiung von der Sinnesweit. Nur wenn man diese Voraussetzungen macht für die Grundstimmung des indischen Geisteslebens, kann man begreifen, wie auf dem Boden Indiens — wenige Jahrhunderte, bevor sich für das abendländische Leben der christliche Impuls geltend machte — der große gewaltige Impuls des Buddha wie eine letzte Abendröte des indischen Geisteslebens vor unserem geistigen Blick aufleuchtet. Verstehen kann man die Buddha-Gestalt nur auf dem Boden, den wir eben seiner Stimmung nach charakterisiert haben. Da müssen wir sagen: Wenn wir eine solche Grundstimmung voraussetzen, begreifen wir es, daß auf dem Boden Indiens eine Denkweise und eine Gesinnung entstehen konnten, welche die Welt in einem Niedergange erblickte, in einem Herabsteigen von der geistigen Welt zur Sinnes-Illusion, zu Maja, zu dem, was die «große Täuschung», die Maja eben ist. Begreiflich ist es auch, daß aus den Anschauungen der äußeren Welt, in welche der Mensch so sehr hineinverwoben ist, für den Inder sich die Vorstellung ergab, daß dieses Heruntersteigen gleichsam etappenweise, in sich wiederholenden Stufen geschieht. So daß wir es in der indischen Weltanschauung sozusagen nicht mit einem Herabsteigen in einer geraden Linie zu tun haben, sondern mit einem Herabsteigen von Epoche zu Epoche. Aus dieser Anschauung heraus begreifen wir die allerdings tiefsinnige Stimmung einer Kultur, die wir aber doch als Abendröte-Kultur bezeichnen müssen, denn als solche müssen wir die Buddha-Idee charakterisieren, die einer solchen Weltanschauung entstammt.

Wir werden deshalb etwa sagen können: Der Inder blickte in eine solche Zeit hinauf, wo die Menschheit mit der geistigen Welt verknüpft war, dann sank sie herab bis auf eine gewisse Stufe, stieg wieder hinauf, sank wieder hinunter, wurde wieder herauf gehoben, sank wieder herab — so aber, daß jedes folgende Hinabsinken immer ein weiteres Hinabsinken war. Jeder Aufstieg ist etwas wie eine Abschlagszahlung, die der Menschheit geboten wird, damit sie nicht auf einmal aufzunehmen hat, was sie ja mit diesem Heruntersteigen betreten hat. Jedesmal, wenn eine solche Epoche des Niederganges zu Ende ist, steht für die alte indische Weltanschauung eine solche Gestalt auf, welche als ein «Buddha» bezeichnet wird. Der letzte der Buddhas ist derjenige, welcher in dem Sohn des Königs Suddhodana — in dem Gotama Buddha — inkarniert, das heißt verkörpert war. Der Inder sieht auf andere Buddhas hin und sagt sich: Seit der Zeit, da die Menschheit auf der Höhe der geistigen Welt gestanden hat, sind eine ganze Anzahl von Buddhas dagewesen; seit dem letzten Niedergange der Welt sind fünf Buddhas erschienen. — Die Buddhas bedeuten immer, daß die Menschheit nicht in einem Abfallen in die Maja heruntersinken soll, sondern daß immer wieder und wieder etwas von der uralten Weisheit gebracht werden soll, wovon sie wieder zehren kann, weil sich aber die Menschheit in einem absteigenden Sinne bewegt, verliert sich immer wieder und wieder diese Weisheit, und es muß dann ein neuer Buddha kommen, der ihr wieder eine solche Abschlagszahlung bringt. Der letzte war eben der Gotama Buddha. Bevor nun ein solcher Buddha, wenn wir trivial sprechen dürfen, zur Buddha-Würde durch seine verschiedenen Leben hindurch hinaufsteigt, muß er zu einer anderen Würde kommen: zu der Würde eines Bodhisattva. Die indische Weltanschauung sieht auch in dem Königssohn des Suddhodana, in dem Gotama Buddha, bis zu dessen neunundzwanzigstem Jahre nicht einen Buddha, sondern einen Bodhisattva. Es ist also dieser Bodhisattva, der in das Königshaus des Suddhodana hereingeboren worden ist, durch die Anstrengungen seines Lebens zu jener inneren Erleuchtung aufgestiegen, die symbolisch als das «Sitzen unter dem Bodhibaum» geschildert wird und dann in der «Predigt von Benares» zum Ausdruck kommt. In seinem neunundzwanzigsten Jahre ist dieser Bodhisattva durch diese Vorgänge zur Buddha-Würde emporgestiegen und konnte nunmehr als Buddha wieder der Menschheit einen letzten Rest der uralten Weisheit bringen, welche die folgenden Jahrhunderte — nach indischer Anschauung — wieder verbrauchen dürfen. Wenn die Menschheit so tief heruntergestiegen sein wird, daß die Weisheit, welche dieser letzte Buddha gebracht hat, verbraucht sein wird, dann wird ein anderer Bodhisattva zur Buddha-Würde aufsteigen, der Buddha der Zukunft, der «Maitreya-Buddha», der nach der indischen Weltanschauung für die Zukunft erwartet wird.

Nun betrachten wir, was sozusagen wie eine uralte Weisheit dem Buddha die Seele durchdrang in dem Moment, da er eben von einem Bodhisattva zum Buddha aufgestiegen war. Daraus können wir dann auch am besten ersehen, was dieser Aufstieg von einem Bodhisattva — der man durch die Anstrengungen vieler Leben hindurch wird — zu einem Buddha zu bedeuten hat.

Was sich in der Seele dieses Bodhisattva noch abspielte, wird uns durch eine Legende erzählt. Bis zu seinem neunundzwanzigsten Jahre hatte er nur gesehen, was er in dem

Königshause des Suddhodana hat sehen können. Da wurde von ihm alles ferngehalten, was wir menschliches Elend nennen können, das sich in das Leben hineinstellt und immerfort auf den fruchtbringenden Fortlauf des Lebens als solches zerstörend wirkt. So wuchs denn der Bodhisattva heran — allerdings mit seinem Bodhisattva-Bewußtsein, das heißt mit einem Bewußtsein, das ganz durchdrungen war aus seinen früheren Erdenleben mit innerer Weisheit — schauend nur das Fruchtbringende, das Werdende des Lebens. Dann trat er hinaus — die Legende ist bekannt genug, wir brauchen uns daher nur das Wesentliche derselben vor Augen zu führen — und wurde ansichtig dessen, wessen er nie in dem Königspalaste hatte ansichtig werden können: eines Leichnams. Er sah an dem Leichnam, daß der Tod das Leben ablöst: das Todeselement tritt hinein in das, was fruchtbringendes, fortzeugendes Leben ist. Er wurde ansichtig eines kranken und siechen Menschen: in die Gesundheit tritt die Krankheit hinein. Und er wurde ansichtig eines Greises, der müde dahinwankte: das Alter tritt hinein in das, was jugendfrisch sich zum Dasein erhebt. Wir müssen uns klar sein — was die indische Weltanschauung voraussetzt im Sinne des Buddhismus selber-, daß der, welcher aus einem Bodhisattva ein Buddha geworden ist, alle solche Erlebnisse mit seinem Bodhisattva-Bewußtsein sah. Er sah also in das weisheitsvolle Werden das zerstörende Element des Daseins hineingestellt. Das wirkte auf seine große Seele so, daß er sich sagte — so erzählt die Legende —: «Leiden durchzieht das Leben!» Nun stellen wir uns so recht auf den Standpunkt desjenigen, der aus dem Buddhismus heraus selber diese Dinge ansieht, auf den Standpunkt dieses Bodhisattva Gotama, der mit hoher Weisheit — deren er sich allerdings noch nicht voll bewußt war, die aber in ihm lebte — bisher in diesem Leben das fruchtbare Werden durchschaut hatte und jetzt den Blick auf das Zerstörende, auf das untergängliche Element des Daseins richtete. Stellen wir uns auf einen solchen Standpunkt, wie der Buddha seiber sich vermöge der Voraussetzungen seines Daseins stellen mußte, dann können wir uns vorstellen, dieser Buddha mit seiner großen Seele mußte sich sagen: Ja, wenn wir nun erreichen Weisheit, Wissen, so führt uns dieses Wissen zum Werden, dann drängt sich in unsere Seele herein eine Idee von einem immer fortgehenden fruchtbaren Werden. Weisheit also gibt die Idee von fruchtbarem Werden. Dann aber schauen wir hinaus in die Welt. Da sehen wir ein zerstörendes Element: Krankheit, Alter und Tod. Weisheit, Wissen kann es nicht sein, was etwa in das Leben hineinmischen würde Alter, Krankheit und Tod. Etwas anderes muß es sein. Man kann also — so etwa konnte der große Gotama sagen, oder besser gesagt empfinden, weil er sich seines Bodhisattva-Bewußtseins nicht klar war — von Weisheit durchdrungen sein, aus der Weisheit heraus die Idee des fruchtbaren Werdens erlangen, aber das Leben zeigt uns Zerstörtes, Krankheit und Tod und manches andere, was sich zerstörend hineinstellt ins Leben. — Da gibt es etwas zu erkennen, was der Bodhisattva noch nicht ganz durchschauen kann. Der Bodhisattva ist durch Leben und Leben gegangen, hat Wiederverkörperungen und Wiederverkörperungen für seine Seele so angewendet, daß die Weisheit in ihm immer größer und größer geworden ist, so daß er das Leben von einer höheren Warte herab anzusehen vermag. Noch nicht durchdrang, indem er nach seinem Heraustreten aus dem Königspalast nun ansichtig wurde des wirklichen Lebens, das Wesen desselben sein Bewußtsein. Was wir von Leben zu Leben als Wissen in uns sammeln, als Weisheit in uns aufstapeln können, kann uns zuletzt doch nicht zum Begreifen der eigentlichen Geheimnisse des Daseins führen. Die müssen woanders liegen, müssen außerhalb des Lebens liegen, das wir durchleben von Verkörperung zu Verkörperung.

Diese Idee wurde fruchtbar in des großen Gotama Seele und führte gerade zu der Erleuchtung, die man nennt die «Erleuchtung unter dem Bodhibaum». Da wurde ihm klar — wir können es so umschreiben —: Wir sind in einer Welt der Maja oder Illusion. Wir durchleben Leben nach Leben in dieser Welt der Maja oder Illusion, in die wir aus einem geistigen Dasein herausgetreten sind. Wir können in diesem Leben zu Würden und Würden in geistiger Beziehung aufsteigen. Aber durch das, was uns dieses Leben gibt — wenn wir durch noch so viele Verkörperungen hindurchgehen und immer weiser und weiser durch dieses Leben werden — können wir nicht das große Daseinsrätsel lösen, das uns in Alter, Krankheit und Tod anstarrt. — Da ging ihm auf, daß die Lehre vom Leid für ihn eine noch größere sein müsse als die Weisheit eines Bodhisattva. Und seine Erleuchtung bestand nun darin, daß er sich sagte: Also ist das, was sich ausbreitet in der Welt der Maja oder Illusion, nicht wahre Weisheit, ist so wenig wahre Weisheit, daß wir selbst nach vielen Leben aus diesem äußeren Dasein nicht ein Verständnis für das Leidvolle saugen können und loskommen können vom Leid. Dieses äußere Dasein also hat in sich einverwoben etwas anderes, was der Weisheit, was allem Wissen fernsteht. — Dadurch war es von selbst gegeben, daß in einem weisheitslosen Element dasjenige von dem Buddha gesucht worden ist, was das Leben durchzieht mit Alter, Krankheit und Tod. — Weisheit dieser Welt ist es nicht, was irgendwie befreiend wirken kann, sondern etwas anderes, was gar nicht aus dieser Welt gewonnen werden kann, was nur gewonnen werden kann, wenn man sich völlig zurückzieht von der Welt des äußeren Daseins, in welcher Wiedergeburt auf Wiedergeburt, Verkörperung auf Verkörperung folgt. — So sah der Buddha von diesem Augenblicke an in der Lehre vom Leid das Grundelement, das die Menschheit zu ihrem weiteren Fortschritt braucht. So sah er in einem weisheitslosen Element, das er nannte den Durst nach Dasein, den weisheitslosen Durst nach Dasein, die Veranlassung dafür, daß das Leid in die Welt hineinkommt. Weisheit auf der einen Seite, weisheitsloser Durst nach Dasein auf der anderen Seite, das war es, was ihn wieder dazu führte, sich zu sagen: Also kann nur die Befreiung von diesen Wiedergeburten, von diesen wiederholten Erdenleben, die ja selbst in der höchsten Weisheit uns nicht befreien können vom Leid, dasjenige sein, was zur Erlösung, zur wahren Menschenfreiheit führen kann. Deshalb sann er nach den Mitteln, die den Menschen aus der Welt hinausführen können, in welcher seine Wiederverkörperungen liegen, in jene Welt hinein — die wir nur richtig verstehen müssen, dann werden wir nicht die grotesken, phantastischen Begriffe bekommen, die sehr häufig darüber im Umlaufe sind die Buddha das Nirwana nannte.

Was für eine Welt ist das Nirwana, in das der eintreten soll, der es im Leben so weit gebracht hat, daß der Durst nach. Dasein gelöscht ist, daß er nicht mehr verlangt, wiedergeboren zu werden? Es ist die Welt, die man nur dann richtig bezeichnen kann, wenn man sich sagt: Im Sinne des Buddhismus kann die eigentliche Welt der Erlösung, der Seligkeit mit nichts bezeichnet werden, was irgendwie aus dem genommen wird, was wir in der Sinneswelt, in der Raumeswelt, in der Welt des physischen Daseins rings um uns herum wahrnehmen. Alles, was wir in der Raumeswelt, in der physischen Welt wahrnehmen, kann uns nur etwas geben, was nicht auf eine Befreiung hinweist, deshalb dürfen wir keines der Prädikate auf die Welt anwenden, in welcher der Mensch seine Befreiung suchen will. Laßt also in euch schweigen alle die Prädikate, alle die Worte, die der Mensch auftreiben kann, wenn er etwas in der Umwelt bezeichnet. Von alledem ist nichts in der Welt der Seligkeit. Es gibt keine Möglichkeit, sich eine Vorstellung zu machen von der Welt, in die derjenige eingeht, der die WiederVerkörperungen überwunden hat. Man kann sie daher nur mit einem negativen Wort bezeichnen: Sie ist alles das nicht, was wir in der Umwelt wahrnehmen! Daher lege man ihr nur eine negative Bezeichnung bei, sage von dieser Welt: Der, für den alles ausgelöscht ist, womit er hier in diesem Dasein verbunden ist, der wird kennenlernen, wie es dort ausschauen wird, wenn er in diese Welt eingehen wird, die hier nur mit einem negativen Wort — mit Nirwana — bezeichnet werden kann.

So ist diese Welt für den Buddhisten eine solche, die mit keinem unserer Worte bezeichnet werden kann. Nicht ein Nichts, sondern ein so volles, erfülltes, mit Seligkeit erfülltes Dasein, daß er keine Worte dafür hat: so wenig will er damit ein Nichts bezeichnen. Damit haben wir schon den eigentlichen Nerv des Buddhismus und seiner Gesinnung ergriffen. Von jener Predigt in Benares, wo zum ersten Male die Lehre vom Leid zum Ausdruck kam, durchdringt alles, was wir über den Buddhismus wissen, die Erkenntnis von dem Leid des Lebens, die Erkenntnis von dem Wesen des Leides und dem, was zum Leid führt: der Durst nach Dasein. Daher kann es nur eines geben, das den Menschen zum Fortschritt bringt: die Befreiung von diesem Dasein in den Wiederverkörperungen. Das nächste ist dann die Angabe derjenigen Mittel, das heißt des Erkenntnispfades, der über die irdische Weisheit hinausführt und die Mittel enthält, daß der Mensch nach und nach fähig wird, in das Nirwana einzutreten, oder mit anderen Worten, daß er die irdischen Wiedergeburten so benutzen lernt, daß sie zuletzt überwunden werden und man von ihnen befreit ist.

Wenn wir, nachdem hier abstrakt der Grundgedanke des Buddhismus dargelegt worden ist, jetzt auf seinen eigentlichen Nerv sehen, so müssen wir sagen: Eigentümlich stellt sich diese Gesinnung zum Gesamtbilde des Menschen. Es isoliert den Menschen, es fragt nach dem Schicksal und nach dem Daseinsziel des Menschen, wie er dasteht als einzelne Persönlichkeit, als einzelne Individualität in der Welt. Wie sollte eine Weltanschauung, die auf der Grund Stimmung aufgebaut ist, von der gesprochen worden ist, es auch anders denken? Eine Weltanschauung, die aus der Grundstimmung hervorgegangen ist: Herabgestiegen ist der Mensch aus geistigen Höhen und befindet sich jetzt in einer Welt der Illusion, aus der ihn ab und zu für das irdische Dasein die Weisheit eines Buddha befreien kann, die ihn aber hinführt — wie beim letzten Buddha —, Befreiung vom irdischen Dasein zu suchen. Wie könnte das Daseinsziel des Menschen innerhalb einer solchen Gesinnung anders charakterisiert werden, als daß er isoliert dasteht gegenüber seiner ganzen Umgebung? Es ist ja das zugrunde liegende Daseinsbild so, daß es einen Niedergang darstellt und daß die Entwicklung des irdischen Lebens ein Herabsteigen bedeutet. Daher ist es auch sehr merkwürdig und bezeichnend, wie von Buddha selber die Erleuchtung gesucht wird. Ohne diese besondere Charakterisierung der Erleuchtung des Buddha ist der Buddha, ist der Buddhismus nicht zu verstehen.

Buddha sucht die Erleuchtung in völliger Isolierung. Er geht hinaus in die Einsamkeit. Was er sich von Leben zu Leben erworben hat, soll in einem völlig isolierten Dasein überwunden werden, und es soll hervorbrechen in der Kraft seiner Seele dasjenige Licht, das ihn aufzuklären weiß über die Welt und ihr Elend. Als isolierter Mensch steht Buddha da, wartend auf den Augenblick der Erleuchtung, wo er einzusehen vermag — ganz gestellt auf sich seiber —, daß die Gründe für das Leid der Menschheit in dem Drang des einzelnen Menschen nach Wiedergeburt liegen, nach Verkörperung in dieser Welt, daß der Durst nach Dasein, wie er in dem einzelnen Menschen lebt, der Grund für das Elend ringsherum ist, für alles, was an Zerstörung in das Dasein hereinwirkt.

Man kann diese ganz eigentümliche Art der BuddhaErleuchtung und der Buddha-Lehre nicht verstehen, wenn man ihr nicht gegenüberstellt, was uns im Christentum entgegentritt. Da haben wir sechshundert Jahre nach dem Auftreten des großen Buddha etwas ganz anderes. Die Stellung des Menschen zur Welt und zur ganzen Umgebung wird darin auch charakterisiert. Aber wie? Wollten wir noch einmal den Buddha-Menschen charakterisieren, so könnten wir einen abstrakten Ausdruck gebrauchen und sagen: Durch die Buddha-Lehre wird die Weltbetrachtung ungeschichtlich, unhistorisch. Das Ungeschichtliche, Unhistorische ist es im Grunde genommen auch, was alles Morgenländertum charakterisiert. Da sieht das Morgenländertum eine Buddha-Epoche nach der andern ablaufen. Geschichte ist nicht das Herabsteigen von einer Höhe zu Niederem, sondern Geschichte ist das Hinaufstreben zur Erringung eines bestimmten Zieles und die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen mit der gesamten Welt, mit der Vorzeit und mit der Nachwelt. Das wäre Geschichte. Der Buddha-Mensch aber steht isoliert und allein da, nur auf der Grundlage seines Eigendaseins, und er will in dem Eigendasein die Kräfte finden, die ihn zur Erlösung vom Durst nach Dasein und damit von den Wiedergeburten führen. Anders steht sechs Jahrhunderte darnach der Mensch im Christentum zur Gesamtentwickelung der Menschheit. Wenn wir jetzt davon absehen, was als Vorurteil weit in der Welt schwebt, so können wir das, was christliche Idee ist, in der folgenden Weise charakterisieren.

Insofern die christliche Idee auf den Ideen des Alten Testamentes fußt, weist sie uns auf eine Vormenschheit zurück, wie sie das auch in den großen, gewaltigen Bildern der Genesis tut, auf jenen Zustand, da der Mensch in anderer Art zu seinen geistigen Welten gestanden hat als später. Aber nun tritt das Eigentümliche auf, durch das sich der Mensch in einer ganz anderen Weise innerhalb des Christentums zur Welt stellt, als es im Buddhismus der Fall ist. Da kann als christlich die Idee bezeichnet werden: In mir lebt eine Weisheit durch jene Seelenverfassung, die ich jetzt habe. Durch die Art und Weise, wie ich die Sinnesweit beobachte und mit meinem Verstände zusammenfasse, lebt in mir eine Weisheit, eine Wissenschaft, eine Lebenspraxis. Aber ich kann auf eine Seelenverfassung der Vormenschheit zurückgehen, wo die Seelen in einem anderen Zustande waren. Damals geschah etwas, was nicht bloß im buddhistischen Sinne bezeichnet werden darf als ein Herabsteigen des Menschen aus göttlich-geistigen Höhen in die sinnliche Maja oder Illusion, sondern was noch als etwas anderes bezeichnet werden muß, nämlich als das, was mit einem großen, allerdings in unserer Zeit vielfach noch auf Nichtverständnis beruhenden Bilde charakterisiert wird: mit dem Sündenfall. Man mag über den Sündenfall denken wie immer, das eine muß aber zugegeben werden, und das genügt heute. In diesem Sündenfall fühlt der Mensch etwas, was zu ihm gehört, etwas, wodurch er sich sagt: Wie ich jetzt als Mensch dastehe, so wirken in mir Kräfte, die durchaus nicht isoliert in diesem vor mir stehenden Menschen gewachsen sind, sondern die in eine urferne Vergangenheit zurückgehen und da an etwas beteiligt waren — eben daran beteiligt waren, daß damals die Menschheit, zu der ich gehöre, nicht bloß heruntergestiegen ist, sondern so heruntergestiegen ist, daß sie in ein anderes Verhältnis zur Welt gekommen ist, als sie nach den Bedingungen, die vorher geherrscht haben, hätte kommen sollen. Die Menschheit ist beim Herunterstieg gleichsam durch etwas, was durch die eigene Schuld geschehen ist, was als die vorbewußte Schuld bezeichnet werden kann, von einer Höhe, auf der sie war, zu einer gewissen Tiefe heruntergestiegen. Wir haben es also nicht bloß mit einem einfachen Herunterstieg wie im Buddhismus zu tun, sondern mit einem sich verändernden Fühlen in diesem Heruntersteigen, das, wenn bloß die vorherigen Bedingungen gewirkt hätten, nicht so geworden wäre, wie es jetzt geworden ist: denn jetzt ist es so geworden, daß die Seelenverfassung der Menschen einer Versuchung verfallen ist.

So blickt der, welcher von der Oberfläche des Christenturns in seine Tiefen sieht, auf einen Seelenzustand des Menschen zurück, der ja im Laufe der Geschichte überwunden ist, von dem er sich aber sagt: Dadurch, daß etwas in der Vorzeit geschehen ist, ist dieser Seelenzustand, der in seiner Wirkung als ein Unterbewußtes in mir ruht, anders geworden, als er hätte werden sollen. Der Buddhist aber steht der Welt so gegenüber: Ich bin in die Welt hinausversetzt aus einem Zusammenhange mit der göttlichgeistigen Welt. Diese Welt bietet mir, indem ich sie anschaue, nur Maja oder Illusion. — So aber steht der Christ der Welt gegenüber: Ich bin in diese Welt heruntergestiegen. Wäre ich so heruntergestiegen, wie es den vorherigen Bedingungen allein entsprochen hätte, so würde ich überall hindurchsehen können hinter den Sinnesschein, hinter die

Illusion in das wahre Sein und würde überall imstande sein, das Richtige zu finden. Da ich aber in einer anderen Weise heruntergestiegen bin, als es den vorherigen Bedingungen entsprach, so habe ich durch mich diese Welt zu einer Illusion gemacht. — Woran liegt es, daß diese Welt eine Illusion ist? fragt der Buddhist. Er antwortet: Es liegt an der Welt! — Woran liegt es, daß diese Welt eine Illusion ist? fragt der Christ. Er antwortet: Es liegt an mir! Ich selber, mein Erkenntnisvermögen, meine ganze Seelen-Verfassung haben mich so in die Welt hineingestellt, daß ich jetzt nicht das Ursprüngliche sehe, daß jetzt nicht die Folgen meiner Taten so auftreten, daß alles fruchtbringend ist oder leicht entstehen könnte. Ich bin es selber, der die Welt mit dem Schleier der Illusion überzogen hat. — So darf der Buddhist sagen: Die Welt ist die große Illusion, also muß ich die Welt überwinden! So darf der Christ sagen: Ich bin in die Welt hineingestellt und muß dort mein Ziel finden.

Wenn der Christ einsieht, daß die Geisteswissenschaft ihn zu der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben hinführen kann, so kann er sich sagen, daß er dieselben gebrauchen muß, um das Ziel seines Lebens zu erringen. Er weiß: Jetzt blicken wir in eine Welt voll Leid und Irrtum, weil wir uns selber so weit von unserer ursprünglichen Bestimmung entfernt haben, daß wir uns durch unseren Blick, durch unsere Taten die Welt, die um uns herum ist, zur Maja verwandelt haben. Aber wir müssen uns nicht aus dieser Welt entfernen, um zur Seligkeit zu kommen, sondern was wir uns selber angetan haben und was bewirkt, daß wir die Welt nicht in ihrer wahren Gestalt, sondern in einer Illusion sehen, das müssen wir überwinden und uns zu unserer ursprünglichen Menschenbestimmung zurückführen. Denn es liegt uns zugrunde ein höherer Mensch. Würde dieser höhere Mensch, der tief verborgen in uns ist, die Welt anschauen, so würde er sie in Wahrheit erkennen, er würde nicht sein Sein durch Krankheit und Tod führen, sondern durch Gesundheit und Jugendfrische und immerwährendes Leben. Das ist der Mensch, den wir in uns selber mit einem Schleier überzogen haben, indem wir mit einem Ereignis der Weltentwickelung verbunden waren, das in uns nachwirkt und uns bezeugt, daß wir nicht isoliert dastehen, nicht durch den Durst nach Dasein des einzelnen Individuums in die Welt hineingeführt sind, sondern daß wir in der gesamten Menschheit ruhen und teilnehmen an einer Urschuld dieser gesamten Menschheit.

So steht der Christ historisch in der gesamten Menschheit drinnen und fühlt sich mit ihr verbunden, historisch verbunden mit dieser gesamten Menschheit. Er blickt auf eine Zukunft, von der er sich sagt: Was wie mit einem Schleier in mir selber bedeckt worden ist durch das Heruntersteigen der Menschheit, das muß ich wieder erringen. Nicht ein Nirwana muß ich suchen, sondern den höheren Menschen in mir muß ich suchen. Zu mir selber muß ich den Weg zurückfinden. Dann wird die Welt um mich herum nicht Illusion sein, sondern wird die Welt sein, in der ich imstände sein werde, durch eigene Arbeit Leid und Krankheit und Tod zu überwinden. — So sucht der Buddhist Befreiung von der Welt und von den Wiedergeburten durch Bekämpfung des «Durstes nach Dasein», so sucht der Christ Befreiung vom niederen Menschen und Auferweckung des höheren Menschen, den er selber mit einem Schleier zugedeckt hat, um die Welt in ihrer Wahrheit zu sehen. Und es ist etwas, was sich wie Schwarz zu Weiß verhält, was wir in der Buddha-Weisheit finden, wenn wir es vergleichen mit dem bedeutungsvollen Wort des Paulus: «Nicht ich — sondern der Christus in mir!» Hier sehen wir dasjenige

Bewußtsein, das in uns wirkt, und stellen uns mit demselben als menschliche Individuen in die Welt hinein.

Der Buddhist sagt: Der Mensch ist aus geistigen Welten heruntergestiegen, weil die Welt ihn heruntergedrängt hat. Es muß also die Welt überwunden werden, die ihm den Durst nach Dasein eingepflanzt hat, er muß hinweg aus dieser Welt. — Der Christ aber sagt: Nein, nicht an der Welt liegt es, daß ich so bin, an mir selber liegt es! — So stellen wir uns als Christen in die Welt mit unserem gewohnlichen Bewußtsein hinein. Unter diesem Bewußtsein wirkt fort in unserer Persönlichkeit, in unserer Individualität etwas, was früher als ein hellseherisches, als ein bildhaffces Bewußtsein vorhanden war. Wir haben geirrt innerhalb dieses Bewußtseins, das jetzt nicht mehr unser ist. Wir müssen aber, wenn wir unser Daseinsziel erlangen wollen, diesen Irrtum wieder gutmachen. Gerade so wie der Mensch sich niemals, wenn er im späteren Leben steht, sagen darf: Ich habe in meiner Jugend gesündigt, doch es ist nicht recht, wenn ich jetzt für das büße, was ich in meiner Jugend getan habe, wo ich noch nicht mein Bewußtsein von jetzt gehabt habe, — so darf der Mensch jetzt auch nicht sagen: Es wäre ungerecht, wenn ich mit meinem jetzigen Bewußtsein ausgleichen sollte, was ich in einem anderen Bewußtsein getan habe, das ich ja nicht mehr habe, sondern das ersetzt ist durch das intellektualistische Bewußtsein. — Dieses Wieder-Gutmachen kann der Mensch aber nur, wenn in ihm der Wille entsteht, von dem gegenwärtigen Bewußtseinszustande mit dem Ich, in dem er jetzt lebt, hinaufzuschreiten zu einem höheren Ich, das mit dem paulinischen Wort charakterisiert werden kann: Nicht ich — sondern der Christus in mir, — sondern ein höheres Bewußtsein in mir! — Ich bin heruntergestiegen — muß der Christ sagen — bis zu anderen Zuständen, als sie vorher bedingt waren. Jetzt muß ich wieder hinaufsteigen. Aber ich muß hinaufsteigen nicht durch das Ich, das ich jetzt habe, sondern durch eine Kraft, die in mir Platz greifen kann und mich über das gewöhnliche Ich hinaufführt. Das kann nur geschehen, wenn nicht ich, sondern wenn der Christus in mir wirkt und mich wieder dahin hinaufführt, wo ich die Welt nicht sehe in Maja oder Illusion, sondern in ihrer wahren Wirklichkeit, wo die Kräfte, durch die Krankheit und Tod in die Welt gekommen sind, überwunden werden können durch das, was der Christus in mir bewirkt.

Man begreift den Buddhismus in seinem innersten Nerv am besten, wenn man ihn mit dem innersten Nerv des Christentums zusammenstellt. Denn dann sieht man, wie es möglich ist, daß bei Lessing in seiner «Erziehung des Menschengeschlechtes» das Wort stehen kann: «Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?» — das heißt: Benutze ich die aufeinanderfolgenden Verkörperungen dazu, immer mehr und mehr in mir die Christus-Kraft leben zu lassen, dann komme ich dazu, wozu ich jetzt nicht kommen kann, weil ich mich selbst mit einem Schleier umhüllt habe: in die Sphäre der Ewigkeiten. — Die Idee der Wiederverkörperung wird sich in einem ganz anderen Glänze noch zeigen in der Sonne des Christentums. Aber nicht nur auf die Idee der WiederVerkörperung kommt es an, denn sie wird von der christlichen Kultur als eine geisteswissenschaftliche Wahrheit immer mehr und mehr in die Zukunft hinein erobert werden, sondern darauf kommt es an, daß der Buddhismus aus seiner innersten Gesinnung heraus die Welt verantwortlich machen muß für die Maja oder Illusion, während der Christ sich als Mensch verantwortlich macht und in das Innerste des Menschen dasjenige hineinverlegt, was Vorgänge sind, um aufzusteigen zu dem, was man die Erlösung nennen kann, was aber im christlichen Sinne nicht bloß Erlösung, sondern Auferstehung ist, weil das Ich dadurch hinaufgehoben wird zu einem höheren Ich: zu dem, von dem der Mensch heruntergestiegen ist.

So hat der Buddhist, wenn er auf die Welt blickt, es mit einer Urschuld der Welt zu tun und fühlt sich nur in diese Welt hineingestellt, will von ihr erlöst sein. So hat es der Christ mit seiner Urschuld zu tun und will diese Urschuld korrigieren. Das ist historische, geschichtliche Denkweise. Denn da knüpft der Mensch sein Dasein an eine Urtat der Vormenschheit in der Vergangenheit an und an eine Zukunftstat, wo der Mensch so weit gekommen sein wird, daß sein ganzes Dasein durchglänzt und durchleuchtet sein wird von dem, was wir als Christus-Wesenheit bezeichnen. Daher kommt es aber auch, daß das Christentum in die Weltentwickelung nicht aufeinanderfolgende Buddhas hineinstellt, die sozusagen unhistorisch von Epoche zu Epoche gewissermaßen das Gleiche wiederholen, sondern daß es ein einmaliges Ereignis in die ganze Menschheitsentwickelung hineinstellt. Während der Buddhist seinen Buddha unter dem Bodhibaume sitzend sieht, wie er als isolierter Mensch zur Erleuchtung aufsteigt, sieht der Christ hin zu dem Jesus von Nazareth als zu dem Heruntersteigen aus dem Weltenäußeren desjenigen, was der inspirierende Weltengeist ist. Das wird uns im Bilde ebenso anschaulich durch die Johannes-Taufe im Jordan dargestellt wie die Erleuchtung des Buddha in dem Sitzen unter dem Bodhibäum. So sehen wir den Buddha im Sitzen unter dem Bodhibaum mit der eigenen Seele, die sich hinaussehnt aus den Wiedergeburten, — so sehen wir den Jesus von Nazareth stehen im Jordan: herunter dringt zu ihm, was die Essenz der Welt ist, und was symbolisch bezeichnet wird unter dem Bilde der Taube als der Geist, der sich in sein Inneres herniedersenkt. So fühlt der Bekenner des Buddhismus: Es dringt zu mir etwas aus der Tat des Buddha, was mir sagt: Stille den Durst nach Dasein, reiße aus die Wurzeln des Erdendaseins und folge dem Buddha dahin, wo die Welten sind, die man mit keiner irdischen Prägung bezeichnen kann. — So fühlt der Christ: Von der Tat des Christus geht etwas aus, wodurch die Tat, die in der Vormenschheit liegt, korrigiert werden kann. Und wenn in meiner Seele ebenso lebendig wird der spirituelle Einfluß der Welt, die hinter der physischen Welt ist, wie in dem Christus selber, dann werde ich in meine folgenden Verkörperungen hineintragen, was immer mehr mir das paulinische Wort: «Nicht ich — sondern der Christus in mir!» zur Wahrheit werden läßt, was mich immer mehr hinaufheben wird zu der Stufe, von welcher ich heruntergestiegen bin. — Daher ist es so ergreifend, wenn erzählt wird, daß Buddha zu seinen intimen Schülern gesagt hat: «Da blicke ich zurück auf meine früheren Leben wie auf ein aufgeschlagenes Buch, kann Seite für Seite lesen, kann überschauen Leben für Leben, die ich durchmachte, und in jedem dieser Leben habe ich mir einen sinnlichen Leib aufgebaut, in 3em mein Geist wohnte wie in einem Tempel. Aber jetzt weiß ich, daß dieser Leib, in dem ich zum Buddha geworden bin, der letzte ist.» Und hin wies er auf das Nirwana, in das er eintreten sollte, und sagte: «Ich fühle schon, wie die Balken krachen, wie die Pfosten stürzen, wie der sinnliche Leib zum letzten Male aufgebaut ist und nun ganz zerstört wird.»

Vergleichen wir jetzt eine solche Aussage mit einer anderen, die wir im Johannes-Evangelium finden, wo der Christus auch darauf hinweist, daß er in einem äußeren Leibe wohnt, und hören wir, was da der Christus sagt: «Brecht diesen Tempel ab — und am dritten Tage will ich ihn wieder aufrichten!» Die ganz entgegengesetzte Anschauung! Das heißt: Ich will etwas tun, was alles das fruchtbringend und lebendig machen kann, was von Gott herunterfließt aus der Vormenschheit, was in die Welt, in uns einfließt. — Wir sehen in diesen Worten den Hinweis darauf, daß der Christ alle Kräfte durchzuleben hat in den immer wiederkehrenden Erdenleben, die das Wort wahr machen: «Nicht ich — sondern der Christus in mir!» Nur müssen wir uns klar sein, daß der Christus so sprach, daß die Auferbauung dieses Tempels sozusagen eine Ewigkeitsbedeutung hat, daß damit ein Einziehen der Christus-Kraft in alle diejenigen gemeint ist, welche sich so hineingestellt fühlen in die Gesamtentwickelung der Menschheit. Wir dürfen von diesem Ereignis, das wir als den ChristusImpuls bezeichnen, nicht so sprechen, als ob es sich in irgendeiner Weise im Laufe der Menschheitsentwickelung wiederholen könnte. Der Buddhist hat, wenn er im wahren Sinne denkt, eine Aufeinanderfolge von Buddhas, ein Wiederholen der Erdepochen, die in ihrem irdischen Ablauf im Grunde genommen einen ähnlichen Sinn haben. Der Christ weist auf ein einmaliges Ereignis zurück, das im Sündenfall charakterisiert wird, und er muß daher auch auf ein einmaliges Ereignis hinweisen: auf das Mysterium von Golgatha, das die Umkehrung jenes ersten Ereignisses ist. Wer — wie es ja in der Menschheitsgeschichte häufig geschehen ist und auch jetzt wieder zu geschehen droht — auf eine Wiederholung des Christus-Ereignisses hindeuten wollte, der würde damit nur zeigen, daß er den eigentlichen Nerv einer historischen Erfassung der Menschheitsentwickelung nicht inne hat. Soll Geschichte wirklich sein, so muß sie so verlaufen, daß sie dirigiert wird von einem Punkte aus. Wie die Waage einen Gleichgewiditspunkt haben muß und wie der Waagebalken, an dem die beiden Waagschalen hängen, einen Unterstützungspunkt haben muß, so muß bei einer historischen Auffassung der Menschheitsentwickelung ein einmaliges Ereignis da sein so, daß die geschichtliche Entwickelung von rückwärts und vorwärts auf ein solches einmaliges Ereignis hinweist. Wer von einer Wiederholung des Christus-Ereignisses sprechen würde, der würde etwas ebenso Absurdes sagen, wie wenn jemand behaupten würde, man könnte einen Waagebalken an zwei Punkten unterstützen. Daß eben in der morgenländischen Weisheit von einer Aufeinanderfolge gleichartiger Individualitäten gesprochen wird, die sich ablösen, wie dies bei einer Anzahl von Buddhas der Fall ist, das charakterisiert uns den Unterschied zwischen der morgenländischen Weltanschauung und dem, was sich die Menschheit im Laufe der Entwickelung errungen hat, was zuerst im Abendlande aufgetreten ist mit dem Christus-Impuls, der nur ein einmaliger ist. Wer die Einmaligkeit und die Einzigartigkeit des ChristusEreignisses bestreiten wollte, würde damit zugleich die Möglichkeit einer wirklichen Geschichte in der Menschheitsentwickelung bestreiten, das heißt: er versteht nichts von wirklicher Geschichte.

Das, was wir nennen können: das Bewußtsein des Enthaltenseins des einzelnen Menschen in der ganzen Menschheit — daß ein Sinn die Menschheitsentwickelung von Anfang bis zu Ende durchzieht, daß nicht bloß Gleiches sich wiederholt — ist in seinem tiefsten Sinne zugleich christliches Bewußtsein. Das gehört zum Christentum und kann nicht von ihm getrennt werden. Es ist der eigentliche Fortschritt, den die Menschheit im Laufe ihrer Entwickelung gemacht hat, daß sie von der alten Weltanschauung des Morgenlandes zu der neuen Weltanschauung fortgeschritten ist, von der Unhistorie zur Historie, — der Fortschritt von dem Glauben, es rollten die Räder des Weltgeschehens immer in einer gleichen Weise hintereinander ab, zu dem anderen Glauben, der in der gesamten Menschheitsentwickelung etwas sieht, was von einem Sinn durchdrungen ist.

So bekommt durch das Christentum erst die Lehre von den wiederholten Erdenleben ihren wahren Sinn. Denn jetzt sagen wir uns: Der Mensch lebt seine wiederholten Erdenleben, weil ihm wiederholt eingepflanzt werden soll der Sinn des Erdendaseins und weil ihn mit einem jeden Erdenleben ein neuer Sinn des Erdendaseins trifft. Nicht bloß in dem isolierten, einzelnen Menschen ist ein Streben, sondern auch in der gesamten Menschheit, mit der wir uns verbunden f ühlen, ist Sinn. Und der in der Mitte stehende Christus-Impuls zeigt, daß sich im Hinblick auf die geistige Sonne der Mensch dieses Zusammenhanges bewußt werden kann, daß er sich nicht bloß bewußt wird eines Bekenntnisses zu einem Buddha, der ihm sagt: Erlöse dich!, sondern sich des Zusammenhanges mit einem Christus bewußt wird, der die Tat getan hat, wodurch korrigiert wird, was mit Bezug auf den Herunterstieg der Menschen symbolisch als der Sündenfall dargestellt wird. Wir können den Buddhismus nicht besser charakterisieren, als daß wir zeigen, wie er die Abendröte einer Weltanschauung ist, die sich zum Niedergang geneigt hat, und daß ein letztes großes, gewaltiges Aufleuchten dieser Weltanschauung mit dem Gotama Buddha gegeben war. Wir verehren ihn deshalb nicht minder. Wir verehren ihn als den großen Geist, der noch einmal in das Erdendasein die Stimmung hineinruft, die der Menschheit so recht das Bewußtsein ihres Zusammenhanges mit der Urweisheit bringt, der eben mit seiner Stimme in die Vergangenheit hinweist. Wir wissen dagegen, daß kraftvoll in die Zukunft der Christus-Impuls hineinweist, der sich immer mehr und mehr in die Menschenseelen einleben soll, damit sie begreifen: Nicht Erlösung — sondern Auferstehung, Verklärung des Erdendaseins, das ist es, was dem Erdendasein erst den rechten Sinn gibt.

Man braucht, was im Menschenleben tätig ist, nicht nur zu suchen in den Dogmen, in Begriffen und Ideen, da könnte es manche geben, denen der Buddhismus besser gefällt, als ihnen das Christentum gefallen könnte. Sondern man muß das Wesentliche suchen in den Impulsen, in den Empfindungen und Gefühlen, welche der Menschheitsentwickelung den Sinn geben. Und da können wir sagen: Es gibt in unserer Zeit etwas, was einer großen Anzahl von Geistern Sympathie einflößen kann für den Buddhismus. Es ist gewissermaßen etwas Ähnliches wie eine BuddhaStimmung in einer großen Anzahl unserer Menschen der Gegenwart. In Goethe war diese Buddha-Stimmung noch nicht. Goethe mit seiner Liebe zum Dasein, mit seiner Gesinnung, daß in dem äußeren Dasein der Geist verwoben ist, aus dem der Menschengeist stammt, suchte Erlösung von den Qualen der Engigkeit, die ihn zum Beispiel während seines ersten Aufenthaltes in Weimar umfing, in der Betrachtung der Außenwelt, indem er von Pflanze zu Pflanze ging, von Mineral zu Mineral, von Kunstwerk zu Kunstwerk, und indem er hinter der Pflanze, hinter dem Mineral, hinter dem Kunstwerk den Geist suchte, aus dem der menschliche Geist stammt. Er suchte zu verwachsen mit dem, was sich als der Geist in allen Dingen kundgibt. Und Schopenhauer, sein Schüler, über den selbst Goethe mit Bezug auf das, was Schopenhauer von Goethe lernte, sagte:

Dein Gutgedachtes, in fremden Adern,
Wird sogleich mit dir selber hadern

dieser Schopenhauer, der zu seiner Devise sein selbstgeprägtes Wort machte: «Das Leben ist eine mißliche Sache; und ich habe mir vorgenommen, das meinige damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken», er suchte das, was über die Quellen des Daseins aufklären kann. Da wurde er auf naturgemäße Weise zum Buddhismus hingeführt und verwob dann seine eigenen Ideen mit denen des Buddhismus. Wir können sagen: Im Laufe der Entwickelung des neunzehnten Jahrhunderts haben die einzelnen Kulturzweige der Menschheit soviel Großes und Gewaltiges gegeben, daß sich eigentlich der menschliche Geist nicht fähig dünkte, seine Ausgleichung, seine Harmonisierung gegenüber dem zu finden, was von außen in ihn aus den großen ErrungenSchäften der äußeren Forschung einströmte. Immer hilfloser fühlte er sich gegenüber der Tatsachen weit der wissenschaftlichen Forschung. Während wir gesehen haben, daß diese Tatsachenwelt wunderbar mit der Geisteswissenschaft übereinstimmt, sehen wir, wie bald das Denken, das sich im neunzehnten Jahrhundert herausgebildet hat, nicht den Tatsachen gewachsen ist, die als Ergebnisse Wissenschaftlieber Forschung in den Menschen einströmen, so daß der Mensch des neunzehnten, zwanzigsten Jahrhunderts gerade dann am meisten fühlt: Du kannst mit deinem Erkenntnisvermögen das alles nicht bewältigen. Da breitet sich das alles draußen aus, du aber mußt fertig werden mit dir in einer anderen Weise. Diese Welt kannst du nicht umspannen mit dem, was in dir lebt. — Da sucht denn der Mensch nach einer Weltanschauung, die nicht den vollen Kampf mit all den Tatsachen aufnimmt, die uns heute von der Außenwelt in die Seele hereinsprechen. Von der GeistesWissenschaft dagegen werden wir sehen: sie geht von den tiefsten Grundlagen und Erfahrungen der geistigen Erkenntnis aus, sie ist aber imstande, alle Tatsachen, die durch die äußere Wissenschaft geboten werden, zu umspannen, zu verarbeiten und in allem zu zeigen, wie in der äußeren Wirklichkeit Geist lebt. Das ist für manche Menschen unbequem. Da ziehen sich die Menschen — wenigstens für ihr Wissen — von der Tatsachenwelt, in der man soviel zu verarbeiten hat, zurück und wollen nur in ihrem Inneren durch die Entwickelung ihrer Seele eine höhere Stufe erreichen. So gibt es einen unbewußten Buddhismus schon seit langer Zeit. Er arbeitet an der Philosophie des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Kommt dann ein solcher unbewußter Buddhist zu einer Bekanntschaft mit dem Buddhismus, so fühlt er sich aus Bequemlichkeit mehr mit dem Buddhismus verwandt als mit der europäischen GeistesWissenschaft, die da mit den Tatsachen ringt, weil sie weiß, daß in dem ganzen Umfang der Tatsachen der Geist sich manifestiert.

Deshalb kann man sagen: Es ist etwas von dem Unglauben und der Willenslähmung, die aus einer geistigen Erkenntnisschwäche eindringen, welche Sympathie erwecken für den Buddhismus. Die christliche Weltanschauung dagegen fordert in ihrem ganzen Wesen — wie etwa ihr Grundnerv in Goethe lebte daß der Mensch sich nicht seiner einzelnen Erkenntnisschwäche hingibt und von den Grenzen der Erkenntnis spricht, sondern daß er sagt: In mir lebt etwas, was über alle Illusion hinauskommen und zur Wahrheit und Lebensbefreiung kommen kann. — Es mag auch eine solche Weltanschauung vieles an Resignation erfordern, das ist aber eine andere Resignation als die, welche vor Erkenntnisgrenzen zurückschreckt. Resigniert man im Sinne des Kantianismus, so sagt man: Der Mensch ist überhaupt nicht imstande, in die Tiefen der Welt einzudringen. Da resigniert man prinzipiell, indem man der Erkenntnisschwäche ein besonderes Zeugnis ausstellt. Man kann aber auch resignieren mit Goethe, indem man sich sagt: Du bist heute nur noch nicht auf der Stufe, um die Welt in ihrer Wahrheit zu erkennen; aber du bist entwickelungsfähig. — Dann führt eine solche Resignation zu der Stufe, wo der Mensch fähig wird, den höheren Menschen, den Christus-Menschen, aus sich herauszuholen. Dann resigniert man, weil man weiß, daß man augenblicklich noch nicht die höchste Menschenstufe erreicht hat. Das ist heroische Resignation! Die verträgt sich mit dem Menschenbewußtsein, denn sie sagt: Wir gehen mit dem Gefühl des Daseins von Leben zu Leben und wissen, indem wir der Zukunft entgegenleben, daß in der Wiederholung des Erdendaseins die ganze Ewigkeit unser ist.

So stehen in der ganzen Menschheitsentwickelung zwei Weltanschauungsströmungen vor uns. Die eine ist die Schopenhauerisdie, die sagt: Ach, diese Welt mit all ihren Leiden ist eine solche, daß wir die rechte Stellung des Menschen nur dann empfinden, wenn wir zu den Werken der großen Maler hinschauen, die eine Gestalt darstellen, welche durch ihre Askese etwas errungen hat wie Befreiung vom irdischen Dasein, die schon über dem Erdendasein schwebt. Im Grunde genommen — meint Schopenhauer — zeigt sich das Höchste einer solchen, durch Askese erdbefreiten MenschenWesenheit daran, daß sie wie zurückblickt auf das Erdendasein und sagt: Jetzt habe ich nur noch die leibliche Hülle an mir, die mir bedeutungslos geworden ist. Ich strebe hinauf und antizipiere dasjenige Dasein, das mich berührt, wenn die Erde überwunden ist, wenn ich das überwunden habe, was mit dem Erdendasein verknüpft ist. Darin liegt die große Befreiung. Und nichts habe ich mehr an mir, was mich in Zukunft noch erinnern könnte an mein Erdendasein. So Schopenhauer, nadidem er von der Gesinnung durchdrungen war, die der Buddhismus in die Welt brachte. Goethe, aus einem echten christlichen Impuls heraus, sieht auf die Welt hin so, wie er seinen Faust auf die Welt schauen läßt. Wenn wir auch nicht im äußerlich trivialen Sinne hinschauen, wenn wir auch wissen, daß alles, was unsere Erdenwerke sind, mit der Erde zerfallen und mit dem Erdenleichnam hinsterben wird, so können wir doch im Sinne Goethes sagen: Wir blicken auf alles hin, was wir auf der Erde durchmachen, und indem wir es durchmachen, lernen wir. Denn geht auch das zugrunde, was wir hier auf der Erde bauen — nicht geht zugrunde, was wir uns erringen, indem wir die Schule des Erdendaseins in unserem Erdenbauen durchmachen. — Und so sehen wir mit Faust nicht bloß auf den Bestand unserer Erdenwerke, sondern auf die Früchte unserer Erdenwerke in der eigenen SeelenEwigkeit und sagen, indem wir — so recht goethisch — das, was über den Buddhismus hinausführen muß, in die Worte zusammenfassen:

Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn!


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