Man hatte am Ende des
vorigen Jahrhunderts eine gewisse wissenschaftliche Richtung,
gewisse wissenschaftliche Methoden, eine gewisse wissenschaftliche
Gesinnung vor sich, eine Gesinnung und Methode, welche aus Gründen,
über die ich schon gesprochen habe, und über die wegen der Kürze
der Zeit nicht ausführlich gesprochen werden kann, eine Methode und
Gesinnung, die man aus der ganzen geschichtlichen Entwicklung der
neueren Zeit insbesondere anwendete auf die naturwissenschaftliche
Forschung, und durch die man innerhalb der naturwissenschaftlichen
Forschung die größtmöglichsten Triumphe — ich meine das nicht in
einem trivialen, sondern in einem tieferen Sinne — für
Menschenfortschritt und Menschenwohl errungen hat. Der
naturwissenschaftlichen Forschung stand in dieser Zeit die
Philosophie, ich möchte sagen etwas ratlos gegenüber. Die
Philosophie mußte sich auseinandersetzen mit denjenigen Methoden,
welche vor allen Dingen auf die Naturwissenschaft angewendet worden
sind, und welche in der Philosophie, in der man es doch mit einem
ganz anderen Tatsachengebiet zu tun hat, nicht anwendbar
waren.
Man war sich, ich möchte
sagen theoretisch und erkenntnistheoretisch nicht immer darüber
klar, in welchem Sinne man mit den naturwissenschaftlichen Methoden
in der Philosophie arbeiten sollte. Man ist dann in der
experimentellen Psychologie auf ein gewisses Gebiet verfallen, wo
es mehr oder weniger scheinbar oder auch mehr oder weniger richtig
geht, aber die Unsicherheit ist im Grunde genommen doch auch da
vorhanden. Demgegenüber erarbeitete sich Anthroposophie aus den
verschiedensten Untergründen heraus ihre eigene Arbeitsmethode. Sie
will auf der einen Seite demjenigen Rechnung tragen, was gerade mit
der besonderen Ausbildung der neueren Denk- und Forschungsmethoden
in der Naturwissenschaft zu erreichen ist, auf der anderen Seite
den menschlichen Bedürfnissen nach einer geistigen Welt und ihrer
Erkenntnis. Man stand auf der einen Seite vor der Tatsache, die
naturwissenschaftlichen Methoden voll anzuerkennen, und in bezug
auf die behandlung des naturwissenschaftlichen Gebietes — ich habe
das schon ausgesprochen — bin ich heute selbst noch so
Haeckelianer, wie ich es in den 90er Jahren des vorigen
Jahrhunderts gewesen bin; nicht in dem Sinne, als ob die
naturwissenschaftlichen Methoden nicht weitergebildet werden müßten
und als ob nicht gerade von Seiten der Naturwissenschaft manches
gegen das, was Haeckel geschrieben hat, eingewendet werden müßte,
aber da kommt man auf ein ganz anderes Diskussionsgebiet, ich meine
in der Behandlung der rein natürlichen Welt bin ich heute genauso
Haeckelianer wie damals. Es handelt sich mehr darum, was man an der
naturwissenschaftlichen betrachtungsart erlebt, namentlich dadurch,
daß man sich erzieht in naturwissenschaftlicher Exaktheit, in
naturwissenschaftlicher Gesinnung, also um das, was man dadurch
Ausbilden kann an Ideen und Begriffen, die man einfach Braucht,
wenn man naturwissenschaftlich Arbeiten will. Denn eines Bleibt für
alle Weltbetrachtung — ich kann wegen der Kürze der Zeit jetzt den
Beweis dafür nicht erbringen — eine Wahrheit: Wenn für die äußere
Sinnes Beobachtung der Satz gilt: Es ist nichts im Verstande, was
nicht vorher in den Sinnen ist —, so gilt ganz gewiß auf der
anderen Seite der Leibniz’sche Satz: «außer der Verstand
selber».
Im Erleben des Verstandes,
das heißt in dem Sich-Bewegen der Seele in den
Verstandes-Kategorien, in dem Erleben der Ideen, mit denen man die
Naturobjekte, die Naturtatsachen untersucht und die man zuletzt zur
Formulierung der Naturgesetze braucht, in dem Erleben dieser
Ideenwelt liegt etwas, was durchaus über das Erleben von bloß
Sinnlichem hinausgeht, so daß man, wenn man als
naturwissenschaftlicher Forscher der Naturwissenschaft
gegenübersteht, sich sagen muß, wenn man unbefangen genug dazu ist:
Alles das, was im Verstande ist, muß aus den Sinnen heraus
geschöpft werden, nur der Verstand selbst kann nicht aus den Sinnen
heraus geschöpft werden.
Hat man aber einmal
lebensvoll dies begriffen, dann gibt es auch kein Hindernis dafür,
nun zu betrachten, was innerlich gewissermaßen angeschaut wird in
der Verfolgung, die Verstandes-Kategorien weiterzubilden durch
einen innerlichen seelisch-geistigen Prozeß, durch einen solchen
Prozeß, der innerlich etwas ganz ähnliches ist wie äußere
Wachstumsprozesse bei der Pflanze und beim Tier. Man bleibt
durchaus mit seiner Gesinnung gerade dem natürlichen Werden treu,
wenn man zugibt, daß aus dem Keim, den man in innerlicher
Anschauung vor sich hat, man die Wahrheit gewinnt, daß der Verstand
selbst nicht aus der Sinneswelt geschöpft werden kann. Man bleibt
dem treu, was man erlernt hat an dem natürlichen Dasein, wenn man
den Versuch macht, den menschlichen Verstand selbst als einen Keim
zu betrachten, der innerlich wachsen kann; und wenn man diesen
Versuch wirklich unternimmt, dann ist das übrige eine unmittelbare
Folge dessen, was ich m diesen Tagen hier und an anderen Orten
geschildert habe von dem Wachsen des menschlichen Intellekts in
Imagination, Inspiration und Intuition. Das ist lediglich eine
Sache des weiteren Fortschrittes der inneren menschlichen
Entwicklung. Dadurch ergibt sich aber eine wirkliche Anschauung der
geistigen Welt. Diese Anschauung der geistigen Welt versucht man in
der Anthroposophie, so gut es geht, nach dem heutigen
Sprachgebrauch in Worte zu kleiden. Man ist natürlich oftmals
genötigt, das, was man schaut — ich gebe es ohne weiteres zu —, in
ungenügender Weise in Worte zu kleiden, aus dem einfachen Grunde,
weil unsere Sprache, wie alle modernen Sprachen, im Laufe der
letzten Jahrhunderte angepaßt wurde dem äußeren materiellen
Weltanschauen und wir heute einfach die Empfindungen, die wir bei
den Worten haben, schon mehr oder weniger an dieser Weltanschauung
orientiert haben.
Daher ringt man immer mit
den Worten, wenn man in die Notwendigkeit versetzt ist, dasjenige,
was durch Imagination, Inspiration, Intuition angeschaut wurde, in
Worte einzukleiden, es namentlich so in Worte einzukleiden, daß es
nun wirklich nachgeprüft werden kann durch den gewöhnlichen
gesunden Menschenverstand, denn dies muß wiederum ein Ziel
anthroposophischer Forschung sein.
So war Anthroposophie
einfach ein Arbeitsgebiet, und als solches Arbeitsgebiet wird sie
im strengsten Sinne des Wortes von mir aufgefaßt. Diejenigen
Menschen, die — es war zunächst ein sehr kleiner Kreis — ein
Bedürfnis hatten, etwas zu hören über das, was durch eine solche
Forschungsmethode aus der übersinnlichen Welt erkundet werden kann,
denen wurde das gesagt und gezeigt, was auf diese Weise gefunden
werden kann. Niemand wurde irgendwie herangezwungen an diese
Bewegung durch etwas anderes als durch seinen eigenen freien
Willen, daran teilzunehmen. Was darüber gesagt wird, daß irgendwie
suggestive Mittel oder dergleichen angewendet werden, das ist bei
den einen eine bewußte, bei den ändern eine unbewußte Verleumdung
dessen, was in der anthroposophischen Bewegung eigentlich gewollt
wird. Und es gilt, daß der, welcher mit seinem gesunden
Menschenverstand dasjenige nachdenkt, was durch Imagination,
Inspiration und Intuition erforscht wird, im höheren Sinne gerade
ein freierer Mensch wird, als es die Menschen in der Gegenwart
sind. Diese Menschen der Gegenwart laufen zum Beispiel ihren
Parteiströmungen nach, lassen sich alles Mögliche suggerieren. Von
diesen inneren seelischen Abhängigkeiten gerade muß Anthroposophie
die Menschen befreien, weil sie darauf Anspruch macht, daß jeder,
der sich in sie einleben will, nicht bloß in dem gewöhnlichen, mehr
passiven Denken verharrt, sondern das Denken innerlich beweglich
macht, es erkraftet, und durch dieses innerlich erkraftete Denken
wird man gerade ein freier Mensch.
Aus Gründen, auf die ich
heute nicht eingehen will, kam es, daß von den wissenschaftlich
orientierten Menschen, auf die eigentlich bei der Anthroposophie
gerade gerechnet war, anfangs nur sehr wenige an die Anthroposophie
herankamen. Heute haben wir damit einen gewissen Anfang gemacht.
Denjenigen Menschen, welche zuerst in die anthroposophische
Bewegung hineinkamen — es waren mehr oder weniger naive Gemüter mit
starken seelischen Bedürfnissen —, denen wurde niemals etwas
anderes gesagt als das, was in gewissenhafter Weise innerhalb der
anthroposophischen Forschung gefunden werden konnte. Und ich freute
mich immer, wenn mir Dinge gesagt wurden, wie zum Beispiel von
einer heute auch hier anwesenden, sehr verehrten Persönlichkeit: Es
ist eigentlich merkwürdig, daß Sie überhaupt einen größeren
Zuhörerkreis bekommen, denn Sie vermeiden es eigentlich in der Art
zu sprechen, was man sonst populär, allgemein verständlich nennt.
Sie sprechen so, daß die Menschen eigentlich immer eine innere
Arbeit verrichten müssen beim Zuhören, und das wollen doch heute
die Leute nicht, so daß man sich eigentlich wundern muß, daß Sie
einen größeren Zuhörerkreis finden. — So ähnlich klangen die Worte,
die mir eine heute auch hier sitzende Persönlichkeit vor Jahren
sagte, nachdem sie damals eine Reihe von Vorträgen angehört hatte.
Nach Popularität bin ich wahrlich niemals gegangen, indem ich
Anthroposophie habe vor der Welt zur Geltung bringen
wollen.
Nun war es das
Eigentümliche, daß zu uns Menschen aus allen Lebenskreisen und auch
aus allen Bekenntniskreisen gekommen sind. Und insofern
Anthroposophie auf diese Weise einfach durch ihre Arbeit in ein
gewisses Verhältnis kam zur religiösen Strömung der Gegenwart, kam
sie eigentlich zunächst niemals in irgendeinen Konflikt mit den
religiösen Bedürfnissen derjenigen Menschen, die zu ihr kamen:
Leute — wie gesagt — aller Lebenskreise. Ich bin zum Beispiel von
Katholiken, die sich in unserer Mitte befinden, oftmals gefragt
worden, ob es in bezug auf praktische religiöse Übung möglich sei,
Katholik zu bleiben, wenn man an der anthroposophischen Bewegung
teilnimmt.
Gerade bei Katholiken
mußte ich sagen: Selbstverständlich ist es auch möglich, daß man
als ganz guter Katholik teilnimmt an dem, was Anthroposophie
bietet, denn Anthroposophie ist dazu da, nicht in der Beschränkung
auf ein bestimmtes Bekenntnis über die übersinnliche Welt zu reden,
sondern einfach auf Grundlage dessen, was in der übersinnlichen
Welt erforscht werden kann. So würde es mir am meisten entsprechen,
dasjenige, was da aus der übersinnlichen Welt herauskommt, einfach
zu den Menschen zu sagen und gar nicht teilzunehmen an irgendeiner
Polemik. Denn der, der ehrlich dasjenige sagt, was er erschaut,
weiß ja, wodurch Polemiken entstehen und wie unfruchtbar sie
eigentlich sind. Mein ursprüngliches Bestreben war einfach,
schlicht und ehrlich dasjenige zu sagen, was durch Anthroposophie
gefunden werden kann, und keine Rücksicht zu nehmen auf die
Polemiken. Solche Dinge gehen ja aber im Leben nicht immer so ab.
Doch innerhalb der anthroposophischen Bewegung fanden sich eben die
Menschen aller Glaubenskreise zusammen, auch Katholiken, und so
mußte ich sagen: Auch der Katholik kann selbstverständlich an der
anthroposophischen Bewegung teilnehmen, er wird nur in einem
einzigen Punkte in Konflikt kommen mit der praktischen Ausübung der
Religion, und das ist die Ohrenbeichte. Nicht aus dem Grunde, weil
sie Ohrenbeichte ist, denn das könnte als eine bloße Gewissenssache
betrachtet werden. Ich habe genug protestantische Geistliche
gefunden, die geradezu gelechzt haben nach einer Art von
Ohrenbeichte, um in eine Art intimeres Verhältnis zur Gemeinde zu
kommen. Darüber kann man verschiedene Ansichten haben. Aber hier
handelt es sich darum, daß die katholische Kirche demjenigen das
Altarsakrament verweigert, der nicht vorher die Ohrenbeichte
abgelegt hat. Und wegen dieser Verhinderung, praktisch teilzunehmen
an dem wichtigsten Sakrament der katholischen Kirche, ist es für
den Katholiken außerordentlich schwierig, dann diejenigen
Überzeugungen, die er aus der übersinnlichen Welt bekommt, zu
vereinigen mit diesem Verhalten, das ein unfreies ist, und das er
durch die römisch-katholische Kirchenverfassung dennoch befolgen
muß. Die Ohrenbeichte, so wie sie gehandhabt wird, reißt — nicht
wegen der Anthroposophie, sondern wegen der römischkatholischen
Kirchenverfassung — den Katholiken heraus aus dem freien Verfolgen
der übersinnlichen Welt.
Das würde der Katholik
vermeiden können, wenn er die Ohrenbeichte vermeiden könnte. Er
kann sie nicht vermeiden, weil er sonst des Abendmahles nicht
teilhaftig werden könnte. Hier liegt die Schwierigkeit, in die der
Katholik kommt. Aber dennoch haben sich viele Katholiken gefunden,
die innerhalb der anthroposophischen Bewegung die Bedürfnisse ihrer
Seele zu befriedigen versuchen.
Sehr verehrte Anwesende,
es war natürlich, daß Menschen aller Bekenntnisse an die
Anthroposophie herankamen, es war natürlich, daß einfach aus
unserer Zeit heraus ein starkes Bedürfnis danach entstand,
innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft über das zu reden,
was das Christentum betrifft. Nun möchte ich darüber das Folgende
sagen: Gerade so wie alle anderen Objekte der Forschung, insofern
in diesen Objekten zusammenfließen Übersinnliches und Sinnliches in
dieser Welt, gerade so betrachtet Anthroposophie zunächst den
Inhalt der Christologie; und ebenso versucht sie mit Hilfe ihrer
übersinnlichen Forschung über den Inhalt der Christologie dasjenige
zu erforschen und zu geben, was eben mit ihren Methoden erlangt
werden kann. Nun ist es schwer, in ein paar Worten etwas zu sagen,
was die Stellung der Anthroposophie zur Christologie
charakterisieren kann, aber ich möchte das Folgende bemerken. Wir
sehen den Menschen zunächst hier im Erdenleben zwischen Geburt und
Tod so, daß er mit seinem seelischen und geistigen Leben in dem
physischen Leibe sein Dasein hat, daß er an seinen physischen Leib
gebunden ist in bezug auf das Anschauen und auf die Verarbeitung
dessen, was m seiner Umgebung ist, auch m bezug auf seine Arbeit
selbst, in bezug auf sein Willensleben und überhaupt in bezug auf
die Art, wie er sich in diese sinnlich-physische Welt hineinstellt.
Wenn nun der Mensch den Blick zurücklenkt, den er, aufwachend,
selbstverständlich in seine Umgebung wendet, so bekommt er zunächst
Anschauungen einfach durch die Sinne seines Leibes, durch den
Verstand, der die Erfahrungen dieser Sinne und die Anschauungen
über das, was in seiner physischen Umgebung ist,
kombiniert.
Da aber der Verstand, der
Intellekt sein Urgeistiges, sein selbsteigenes Geistiges in sich
trägt, so kann der Mensch — wenn er nur genügend sich auf sich
selbst besinnt, wenn er nur ein wenig wegblickt von der Umgebung
und in sich selbst blickt —, nicht ableugnen, daß er durch seine
eigene Tätigkeit zu einer Zusammenfassung kommt, die zuletzt in
einer Vorstellung gipfelt, die nur einen geistigen Inhalt hat, und
dieser geistige Inhalt ist — wenn ich mich so ausdrücken darf — die
göttliche Vater-Vorstellung. Hier muß anthroposophische Forschung
mit ihren Mitteln eingreifen. Ich kann das nur kurz
charakterisieren; sie macht ja den ganzen Erkenntnisarbeitsprozeß
des Menschen allmählich durchsichtig — das wird ja auch aus den
Vorträgen dieses Kurses hervorgehen. Sie will ja auch auf dasjenige
hinweisen, was durch den Menschen geschieht, wenn er den Blick
zurückzuwenden versucht von der äußeren Welt, um gewissermaßen das
anzuschauen, was er selbst getan hat und sich zu fragen: Was hast
du da eigentlich getan? Was berechtigt dich denn überhaupt, die
äußere Welt [zu einer Vorstellung] zusammenzufassen? Und indem er
dieses Erlebnis genügend weit verfolgt, kommt der Mensch — wenn ich
wieder das Wort gebrauchen darf — zum göttlichen Vater-Erlebnis.
Und wer dieses Kommen zum göttlichen Vater-Erlebnis
anthroposophisch durchschaut, der kommt zu einem ganz bestimmten
Urteil. Ich bitte, dieses Urteil, das eine Tatsache ist, die ich
radikal aussprechen muß, nicht mißzuverstehen.
Man kommt zu dem Urteil,
daß einfach der vollgesunde Mensch — derjenige Mensch, der in
seinem physischen Leibe voll gesund ist — zu diesem göttlichen
Vater-Erlebnis kommt —, das heißt, daß derjenige, der zu diesem
göttlichen Vater-Erlebnis nicht kommt, irgendwo etwas von
Degenerationserscheinungen, wenn auch noch so verborgener Art, in
sich trägt. Mit anderen Worten, man kommt durch anthroposophische
Forschung darauf, zu sagen: Nicht zum göttlichen Vater-Erlebnis zu
kommen, bedeutet beim Menschen eine Krankheit. Das ist natürlich
radikal gesprochen, weil die Krankheit eben durchaus nicht mit den
gewöhnlichen physischen Mitteln gesehen werden kann, weil sie —
wenn ich so sagen darf —, in den Feinheiten der menschlichen
Organisation liegt. Aber tatsächlich ergibt sich für den, der
anthroposophisch forschen kann: Atheismus ist Krankheit.
Was ich gestern gesagt
habe über das Ausbilden des Urteils, das richtig oder falsch,
gesund oder krank sein kann, das setzt hier ganz besonders ein.
Wenn der Mensch diesen Weg allein verfolgt, kommt er zunächst nur
zu dem göttlichen Vater-Erlebnis. Wenn er aber dann den Weg weiter
verfolgt, wenn er gewahr wird, welcher Mangel in seiner Seele lebt,
wenn er nur zu diesem Vater-Erlebnis kommt, wenn er gewahr wird,
daß im Grunde genommen einfach in der Beschränkung der modernen
Menschheit auf den Intellektualismus auch eine Art Beschränkung auf
dieses göttliche Vater-Erlebnis liegt, dann muß der Mensch darauf
kommen, weiterzubringen von diesem göttlichen Vater-Erlebnis aus.
Hier können uns äußere Beobachtungen sehr gut unterstützen. Es ist
eine merkwürdige Tatsache, daß gerade in westlichen Ländern, wo die
naturwissenschaftliche Gesinnung gewissermaßen bis zum Maximum
ihrer Intensität gekommen ist, und wo man diese
naturwissenschaftliche Gesinnung nicht hineinreden lassen will in
das Gebiet des Übersinnlichen, das der Religion bewahrt bleiben
soll, daß gerade in diesen religiösen Bewegungen der westlichen
Länder dasjenige, was der Geist des Alten Testamentes ist,
besonders erfolgreich auch in unserer neueren Zeit wiederum
eingegriffen hat. Und wir sehen den Westen, wenn er auch äußerlich
das Christentum annimmt und predigt, dieses durchaus im Geiste des
Alten Testamentes tun; wir sehen ihn in einem gewissen Sinne den
Christus umprägen in den Vatergott und nicht wahrnehmen die
Differenz zwischen dem Vatergott und dem Christus.
Im Osten dagegen, wo für
das Menschengemüt die Trennung zwischen der Religion und der
Wissenschaft nicht so vorhanden ist wie im Westen, im Osten, wo
diese Brücke für die Menschenseele mehr oder weniger als
elementares inneres Seelenerlebnis vorhanden ist — wir finden es
zum Beispiel noch in den Ausführungen des großen Philosophen
Wladimir Solowjew —, dort sehen wir, wie das Christus-Erlebnis als
ein selbständiges Erlebnis unmittelbar vorhanden ist neben dem
Vater-Erlebnis.
Und auf diese Art kommt
man dazu, sich zu sagen: Zwar kann der vollständig gesunde Mensch
nicht Atheist sein, wenn er das, was ihm die äußere Welt gibt,
zusammenfaßt in der Spitze der Gottes-Vorstellung, der er einen
geistigen Inhalt geben muß; er bleibt aber zunächst bei der
Vater-Vorstellung. Man kommt mit dieser Vater-Vorstellung aber
nicht hinaus über die Zusammenfassung der äußeren Naturereignisse,
sie versagt sofort, wenn man damit nun die eigene menschliche
Entwicklung verfolgen will; man steht dann gewissermaßen verlassen
da. Vertieft man sich in diese menschliche innere Entwicklung von
diesem Punkt aus, an dem man angekommen ist, wenn man die äußere
Welt in seine Seele aufgenommen hat — verfolgt man die innere
Entwicklung, dann wird man, wenn man sie nur unbefangen verfolgt,
zu dem Christus-Erlebnis kommen, das zunächst als ein unbestimmtes
inneres Erlebnis da ist. Dieses Erlebnis aber verfolgt wieder
erkennend Anthroposophie. Der Mensch kommt, einfach durch ehrliches
Anschauen der Menschheitsentwicklung auf der Erde dazu, das
Mysterium von Golgatha, das historische Mysterium von Golgatha, nun
selber ins Auge zu fassen. Er kommt dazu durch das innerliche
Ausbilden geistiger Organe, [sie führen ihn zu] Imagination,
Inspiration und Intuition. Wenn man mit Hilfe dieser
Forschungsmittel den Weg verfolgt, den die Menschheitsentwicklung
vom Altertum bis zum Mysterium von Golgatha genommen hat, so findet
man, daß gerade in den Religionsvorstellungen überall — und nicht
nur in der alttestamentlichen Religionsvorstellung, sondern in
allen Religionsvorstellungen — lebte eine Hinneigung zu dem
kommenden Christus-Geist.
Dann kann man einfach
durch Anschauung erkennen lernen, wie dieser Christus-Geist in der
Zeit vor dem Mysterium von Golgatha nicht mit der Erde vereinigt
war. Verfolgen wir alles, was in den Mysterien gesucht worden ist,
was in den populären [vorchristlichen] Religionen war, so sehen
wir, wie die Vorstellungen, die sie sich von den Göttern machten,
überall zuletzt doch zusammenschmolzen zu dem, was die
Christus-Vorstellung ist. Wir sehen, wie sich die Gemüter der
Menschen über die Erde hinaus zu dem Überirdischen erhoben, wenn
sie zu ihren Göttern ihre Seelen wandten. Und wir sehen, wie im
Ausgangspunkte der irdischen Menschheitsentwicklung einfach durch
die menschliche Organisation dem Menschen mehr gegeben war als das,
was er durch seine Sinne und durch seinen Verstand in der Umgebung
seines Erdendaseins wahrnehmen konnte. Es kam in die menschliche
Seele das hinein — am stärksten in uralten Zeiten, dann immer
weniger und weniger —, was ich instinktives Schauen nennen möchte,
traumartiges Schauen, Anschauen einer geistigen — nichtirdischen —
Welt, der der Mensch sich angehörig fühlte. In dem Augenblicke, wo
der Mensch durch die Mysterien oder durch die populären Religionen
dazu gebracht worden ist, hinauf gehoben zu werden mit seiner Seele
zu dem, was er als Außerirdisches schauen konnte und mit dem er
sich selbst einig wußte in seinem tiefst inneren Wesen, in diesem
Augenblicke hatte der Mensch erlebt im Innern seine
Wiedergeburt.
Nun, meine sehr verehrten
Anwesenden, wenn wir vom anthroposophischen Gesichtspunkt die
Menschheitsentwicklung bis zum Mysterium von Golgatha verfolgen,
zeigt sich, daß gerade diese Fähigkeiten, die da im Inneren des
Menschen saßen, eigentlich immer geringer und geringer wurden und
nicht mehr da waren in dem Augenblick, wo das Mysterium von
Golgatha auf der Erde eintrat. Gewiß, Reste blieben immer da, weil
die Entwicklung nicht so sprunghaft vor sich geht. Einzelne
Menschen bewahrten sich, wenn auch vielleicht ein ungenaues
Schauen, so aber doch ein instinktives Bewußtsein von dem, was
einmal geschaut worden ist; das kann man verfolgen bis in die Kunst
hinein. Dann kam auf die Erde das Mysterium von Golgatha. Und in
dem Mysterium von Golgatha sieht Anthroposophie eben das Einströmen
desjenigen Geistes, der vorher nur im Außerirdischen gesucht werden
konnte, in einen Menschenleib: das Einströmen des Christus in den
Menschenleib des Jesus. Wie das im einzelnen vorgestellt werden
kann, darüber kann man nur mit denjenigen diskutieren, die sich
positiv auf die Forschung auf diesem Gebiete einlassen. Da zeigt
Anthroposophie, wie von jener Zeit an, von dem Mysterium von
Golgatha an, eine andere Zeit auf der Erde eingetreten ist, die
Zeit, von der alle alten religiösen Bekenntnisse [gesprochen
haben]. Und der Christus, der durch das Mysterium von Golgatha
gegangen ist, der Christus, den Paulus geschaut hat auf dem Wege
nach Damaskus, der Christus ist dann innerhalb der Erde bei der
Menschheit geblieben. Das wollen die Worte sagen: Ich bin bei Euch
alle Tage bis an das Ende der Welt. — Er lebt unter uns, er kann
wiedergefunden werden. Das Paulus-Ereignis kann mit gewisser
Vorbereitung immer wieder und wieder erneuert werden. Dann aber,
wenn in dieser Weise der Weg zu dem Christus gesucht wird, erlebt
der Mensch, indem er auf seine eigene innere Entwicklung schaut,
eben den seit dem Mysterium von Golgatha auf der Erde wandelnden
Christus durch Anschauung; dann findet er in innerlichem Erleben
den Christus so, wie er durch Erleben der äußeren Welt, wenn er
nicht krankhaft atheistisch ist, den Vatergott findet.
So kann ich nur ganz
flüchtig, skizzenhaft andeuten, wie Anthroposophie durch wirkliche
Forschung zu dem Christus-Ereignis als zu einer objektiven Tatsache
kommt. In allen möglichen Einzelheiten versucht Anthroposophie das
Christus-Ereignis hinzustellen als die wichtigste Tatsache des
Erdenlebens der Menschheit, als dasjenige, was objektiv geschehen
ist. Daher ist auch der ganze Geist, in dem das Christus-Ereignis
in der Anthroposophie dargestellt wird, so, daß dieses Ereignis
einfach als Tatsache hingenommen werden kann. Und wir hatten gerade
innerhalb der anthroposophischen Bewegung erlebt, daß zum Beispiel
Bekenner des Judentums im echtesten, wahrsten und ehrlichsten Sinne
sich fanden zur Anerkennung des Mysteriums von Golgatha. Damit
aber, meine sehr verehrten Anwesenden, ist vielleicht gerade durch
die anthroposophische Bewegung schon das vorausgenommen, was
überhaupt in der zukünftigen Entwicklung der Menschheit eintreten
muß: daß, indem man unmittelbar hinweist auf das, was geschaut
werden kann im Mysterium von Golgatha, der Weg zum Christentum
wiedergefunden werden kann.
Es ist durchaus die Frage,
ob es nicht doch eine tiefe Bedeutung hat, was in dem Buche von
Friedrich Nietzsches Freund Overbeck enthalten ist, daß ja die
moderne Theologie gar nicht mehr christlich sei. Würde darin einige
Berechtigung liegen, so dürfte man vielleicht doch mit einem
gewissen Recht sagen: Anthroposophie ist geeignet, in lebendiger
Weise den Menschen hinzuführen zu dem Christus-Erlebnis. Sie stellt
die Zeit, in welcher das Christus-Ereignis stattgefunden hat, so
dar, daß von den alten instinktiven Anschauungen bei einzelnen
Menschen noch so viel vorhanden war, daß der geistige Untergrund,
ich möchte sagen, die geistige Substanzialität des Mysteriums von
Golgatha geschaut und in den ersten christlichen Jahrhunderten
anerkannt werden konnte. Wir sehen dann, wie das immer weniger und
weniger wird, wir sehen es völlig verglimmen bei einer solchen
Erscheinung wie Scotus Erigena, wir sehen immer mehr und mehr sich
ausbilden die mittelalterliche Theologie, wo man versuchte, sich
auseinanderzusetzen mit dem, was die moderne Menschheit ausbilden
mußte, mit dem Intellekt, der, wenn er unmittelbar sich selbst
überlassen ist und sich innerlich nicht weiter entwickelt, nicht
herankommen kann an die übersinnlichen Welten. Sie spaltete
dasjenige, was in die Menschenseele hineinkommen wollte,
gewissermaßen auf in das, was der Mensch durch den Intellekt
erkennen kann, und in das Unerkennbare, zu dem der Mensch nicht
selbst gelangen kann, sondern nur durch eine
Offenbarung.
Aus diesen Untergründen
heraus kann man die ganze mittelalterliche Theologie begreifen,
besonders die thomistische Theologie, die von dem Katholizismus als
die allein maßgebende erachtet wurde. Davon wird heute manches
gesagt werden können. Worum es der Anthroposophie zu tun war und
ist, das ist nichts anderes, als in einfacher und schlichter Weise
auszusprechen, was für die geistige Anschauung da ist.
Und wie Anthroposophie zu
dem Satz kommt, der Atheismus ist eigentlich verborgene Krankheit,
so kommt sie zu dem zweiten Satze: Den Christus nicht zu finden, zu
dem Christus keine Beziehung zu finden, ist für den Menschen ein
Schicksal, ein Schicksalsunglück! Atheismus ist eine Krankheit, den
Christus nicht zu finden ist ein Schicksalsunglück; denn man kann
ihn finden im innerlichen Erleben. Dann aber stellt er sich dar als
diejenige Wesenheit, die durch das Mysterium von Golgatha gegangen
ist. Man kann durch innerliches Erleben allein zu dem Christus
kommen, man braucht nicht anthroposophische Forschung, um ein
religiöser Mensch im christlichen Sinne zu sein. Dann aber, wenn
man zu dem Christus kommt, dann wird man ein Glied der geistigen
Welt und man kann wirklich von einer Auferstehung der menschlichen
Wesenheit in der geistigen Welt sprechen, von einer Erweiterung des
Seelenwesens in dem Erleben der geistigen Welt, und man kann davon
sprechen, daß derjenige Mensch, der den Christus nicht findet, in
einer gewissen Weise in bezug auf seine Weltanschauung beschränkt
ist. Atheismus ist eine Krankheit! Nicht zum Christus kommen ist
ein Schicksal, nicht zum Geiste kommen ist eine seelische
Beschränktheit!
Nun, meine sehr verehrten
Anwesenden, Anthroposophie hat es aus solchen Untergründen heraus
im Grunde genommen nur mit Religion zu tun, [nicht mit Theologie],
und mit Religion nur insofern, als die Menschen, die religiöse
Bedürfnisse haben und diese in den gegenwärtigen Bekenntnissen
nicht befriedigen können, an die Anthroposophie herankommen.
Anthroposophie will nur das tun, was innerhalb der heutigen
Zeitbedürfnisse notwendig ist, und was die anderen nicht tun.
Welche Gesinnung dem zugrunde liegt — ich muß das immer wieder
charakterisieren —, können Sie aus folgendem entnehmen.
Schon vor vielen Jahren
hielt ich einmal in einer süddeutschen Stadt — damals war sie eine
deutsche Stadt, heute ist sie es nicht mehr — einen Vortrag über
«Bibel und Weisheit». Bei diesem Vortrag waren auch zwei
katholische Priester anwesend. Nach dem Vortrag kamen die beiden zu
mir und sagten: Wir haben eigentlich gar nichts in Ihrem Vortrage
gefunden, was vom katholischen Standpunkte aus angefochten werden
könnte. — Ich sagte: Wenn ich nur immer so glücklich sein könnte! —
Darauf sagten die beiden: Ja, aber eines ist uns aufgefallen; es
ist nicht, was Sie sagen, sondern es ist die Art und Weise,
wie Sie es vorbringen, und da müssen wir sagen: Sie reden zu
Menschen, die in einer gewissen Beziehung vorbereitet sind. Sie
reden zu einer Art von Gemeinde, welche eine bestimmte Bildung hat;
wir aber reden für alle Menschen. — Ich sagte: Hochwürden, es kommt
nicht darauf an, daß wir das nach unserem subjektiven Empfinden
entscheiden, sondern darauf, daß wir uns als Menschen einleben mit
unserer Arbeit in die Zeitenentwicklung, daß wir uns nicht
einbilden, wir reden für alle Menschen, sondern daß wir uns eine
solche Frage beantworten nach dem, was objektiv in der
Menschheitsentwicklung lebt. So, wie ich mir einbilden kann, ich
rede für alle Menschen — und mich darin sehr irren kann —, so
könnten Sie sich das einbilden. Für den Enthusiasmus ist es sehr
gut, wenn man diese Einbildung hat. Aber fragen wir einmal: Kommen
noch alle Menschen, die heute ein Bedürfnis haben, über den
Christus etwas zu hören, zu Ihnen in die Kirche? — Da konnten die
beiden nicht Ja sagen, denn natürlich wußten Sie, daß eine Menge
Menschen, die auch den Weg zum Christus suchten, nicht zu ihnen in
die Kirche kamen. Da sagte ich: Sehen Sie, für die, die nicht zu
Ihnen kommen, und doch den Weg zum Christus suchen, für diese rede
ich. — Das heißt, sich seine Aufgaben aus der Zeitentwicklung
heraus stellen, und nicht sich einbilden, man rede für alle
Menschen, sondern sich zu fragen: Sind Gemüter da, die in einer
besonderen Art dieses oder jenes entgegennehmen wollen?
Mit einer anderen
Gesinnung wandte sich Anthroposophie auch niemals an irgendein
religiöses Bekenntnis. Wenn wir auch in der Waldorfschule dazu
gelangt sind, gerade die Praxis unseres Unterrichtes aus der
Anthroposophie heraus zu gestalten, so haben wir doch ganz davon
abgesehen, aus der Waldorfschule eine solche Schule zu machen,
durch die die Anthroposophie in die Gemüter der Kinder
hineingepfropft würde. Mit Bezug auf den Religionsunterricht lassen
wir die katholischen Kinder unterrichten von einem katholischen
Pfarrer und die evangelischen von einem evangelischen Pfarrer. Nur
für die Dissidentenkinder ist eine Art freier Religionsunterricht
eingerichtet worden, aber durchaus in christlichem Sinn. Da bringen
wir aber nicht abstrakte Anthroposophie vor — auch keine konkrete
Anthroposophie, wie sie an die Erwachsenen herangebracht werden
kann —, sondern da versuchen wir mit aller Mühe, dasjenige an die
Kinder heranzubringen, was ihrer realen Entwicklungsstufe
entspricht; das muß aber alles nach Inhalt und Methode erst gesucht
und gefunden werden. Durch den von uns eingerichteten freien
Religionsunterricht haben wir erreicht, daß nun auch diejenigen
Kinder, die sonst gar keinen Religionsunterricht hätten, wieder an
das Christentum herangebracht werden, und sie kommen in Scharen, um
an dieser Art des christlichen Religionsunterrichtes teilzunehmen.
Aber niemals haben wir eine irgendwie religiös geartete Propaganda
getrieben innerhalb der anthroposophischen Bewegung und am
wenigsten wurde von der Anthroposophie aus irgend etwas unternommen
gegen die einzelnen theologischen Systeme. Denn, was in dieser
Beziehung der Anthroposophie allein obliegen kann, das ist, die
einzelnen theologischen Systeme in ihrer Differenzierung
begreiflich zu machen, und nicht, sie zu bekämpfen. Darin habe ich
immer meine Aufgabe gesehen, wenn ich vor den Menschen gesprochen
habe, die zur Anthroposophie gekommen sind: begreiflich zu machen,
warum der Katholizismus Katholizismus, der Protestantismus
Protestantismus, das Judentum Judentum und der Buddhismus
Buddhismus geworden ist, und wie in ihnen allen — ich glaube, das
ist eine christliche Vorstellung — dasjenige Wesen lebt, das durch
sein Schicksal der wirkliche Christ in seiner Seele zu erleben in
der Lage ist.
So hätte also gar nicht,
wenn nicht von anderer Seite die Angriffe gekommen wären, ein
Streit zu entstehen brauchen zwischen der Anthroposophie und der
Theologie, und auch heute spreche ich diese Worte nur, weil das
gewünscht wurde von denjenigen, die diesen heutigen Theologentag
veranstalten. Was sich aber Anthroposophie allein zur Aufgabe
macht, ist die Verkündigung von anthroposophischen
Forschungsergebnissen über die übersinnliche Welt. Deshalb war ich
auch immer zurückhaltend besonders gegenüber den von theologischer
Seite herrührenden Angriffen. Denn Anthroposophie will nicht als
Kämpfer auf den Plan treten, sondern sie will die von der Zeit
geforderten berechtigten menschlichen Seelenbedürfnisse
befriedigen. Und alle, die in diesem Sinne mit der Anthroposophie
zusammenwirken wollen zur Befriedigung dieser berechtigten, aus den
Untergründen der Seele an die Oberfläche drängenden menschlichen
Seelenbedürfnisse, alle, die in diesem Sinne mit ihr arbeiten
wollen, sind ihr willkommen!