DRITTER VORTRAG
Bern, 3. September 1910
Bevor wir heute zu unserem Thema übergehen, möchte
ich eine kleine Ergänzung geben zu dem gestern Gesagten.
Ich machte darauf aufmerksam, wie in den Vorgängen
der Menschheitsentwickelung, namentlich in den
großen bedeutungsvollen Vorgängen unseres Daseins,
etwas zu sehen ist, was sich charakteristisch ausdrücken
läßt durch eine Sprache, die hergenommen ist von den
Vorgängen im Kosmos. Ich erwähnte, wie
unmöglich es ist, klar, deutlich und auch eingehend
dasjenige, was in bezug auf die großen Geheimnisse
zu sagen ist, in gewöhnliche Worte zu kleiden.
Wenn wir jenen bedeutungsvollen Vorgang charakterisieren
wollen, den wir nennen können die Wechselwirkung zwischen
den zwei großen Schülern des Zarathustra,
zwischen Hermes oder Thoth und Moses, so können wir
dies am besten dadurch tun, daß wir ihn darstellen als die
Wiederholung eines großen kosmischen Vorganges, wobei wir
diesen letzteren allerdings so auffassen müssen, daß
er uns im Sinne der okkulten Weisheit, im Sinne der
Geheimwissenschaft erscheint. Blik- ken wir, um diesen
kosmischen Vorgang zunächst vor uns zu haben,
wiederholentlich zurück auf jene Zeit, da sich unsere Erde
von ihrer Sonne getrennt hat, wo beide also sozusagen mit einem
selbständigen Zentrum ein eigenes Leben im Kosmos
weiterführten. Wir können uns diesen Vorgang so
vorstellen, daß wir uns die gesamte Substantia- lität
der Erde und der Sonne in urferner Vergangenheit als ein Ganzes
denken, gleichsam als einen großen Weltenleib, und
daß sich diese beiden in urferner Vergangenheit
trennten. Allerdings muß dabei immer im Auge behalten
werden, daß wir dabei andere kosmische Vorgänge
unberücksichtigt lassen, die der Trennung von Sonne und
Erde parallel gingen, als die Abspaltung der anderen
Planeten unseres Sonnensystems. Für unsere Zwecke
können wir die Zeitverhältnisse dieser anderen
Trennungen zunächst unberücksichtigt lassen und
können sagen: Es fand also einmal eine Trennung in der
Weise statt, daß die Sonne das eine Zentrum bildete und
die Erde das andere.
Wenn wir nun diesen Zeitpunkt der Erden-Sonnentrennung ins Auge
fassen, müssen wir zunächst auch
berücksichtigen, daß wir hierbei auf Zeiten
zurückblicken, in denen dasjenige, was jetzt als
«Erde» bezeichnet ist, noch die Substantialität
unseres heutigen Mondes in sich, in ihrem eigenen
Schöße hatte, so daß da gleichsam Erde + Mond
und Sonne einander gegenüberstehen. Alles, was vor dieser
Trennung an geistigen, physischen Kräften vorhanden war,
spaltete sich in der Weise, daß gleichsam das gröbere
Element, die gröberen, dichteren Wirksamkeiten mit der
Erde gingen, während die feineren, höheren,
geistig-ätherischen Wirksamkeiten mit der Sonne gingen.
Nun müssen wir uns vorstellen, daß eine längere
Zeit hindurch Erde und Sonne voneinander getrennt ihre
Lebensentwickelung durchmachten, daß zunächst alles,
was von der Sonne ausging zur Erde hin, ganz anderer Natur war
als etwa jene Wirkungen, welche heute von der Sonne auf die
Erde herunter sich tätig erweisen. Da haben wir zuerst
eine Art Erdendasein, ein Erdenleben, das sich sozusagen
erweist als ein inneres, verschlossenes Erdenleben,
welches wenig annimmt von dem Sonnenleben, von dem, was
da geistig und in seinem Ausdruck physisch von der Sonne auf
die Erde herunterstrahlt.
In
dieser ersten Zeit der Sonnen-Erdentrennung war es ja so,
daß die Erde gewissermaßen einer Vertrocknung, einer
Verdorrung, einer Mumifizierung entgegenging. Und wenn es so
geblieben wäre, daß die Erde den Mond in ihrem
Schoß behalten hätte, so wäre das Leben, das
heute auf der Erde besteht, niemals möglich geworden.
Während die Erde noch den Mond in sich hatte, konnte das
Sonnenleben sich nicht in vollem Maße wirksam erweisen;
das konnte es erst später, nachdem die Erde dasjenige, was
heute Mond ist, von sich abgesondert hatte, und gerade so die
geistigen Wesenheiten, die mit dem Mond verbunden sind,
aus sich heraussonderte, wie auch die Substantialität des
Mondes von der Erde abgesondert worden ist.
Nun
ist aber mit dieser Trennung des Mondes von der Erde noch etwas
anderes verbunden. Wir müssen uns ja klar sein, daß
alles, was wir heute das Leben auf unserer Erde nennen, sich
langsam und allmählich entwickelt hat. Und wir geben
in der Geisteswissenschaft auch die aufeinanderfolgenden
Zustände an, wie sie sich herangebildet und entfaltet
haben, welche das Erdenleben möglich machten. Da haben wir
zuerst das alte Saturndasein, dann das alte Sonnendasein, das
alte Mondendasein und zuletzt erst unser Erdendasein. Also
demjenigen, was wir als Sonnentrennung oder auch als
vorhergehendes Zusammensein der Erde mit der Sonne
bezeichnen, dem gingen andere Entwicke- lungsprozesse voran von
ganz anderer Natur, nämlich das Saturn-, Sonnen-,
Mondendasein, aus dem sich dann erst unser Erdendasein
entwickelte. Und als die Erde in der jetzigen Gestalt beginnt,
da ist sie noch verbunden mit der Substanz aller Planeten, die
zu unserem Sonnensystem gehören und die sich erst
später herausdifferenzieren. Diese Herausdifferenzierung
ist ein Ergebnis von Kräften, die während des
Saturn-, Sonnen- und Mondendaseins gewirkt haben.
Nun
wissen wir, daß während des Saturndaseins nicht eine
solche Konfiguration der Materie, des Stoffes vorhanden war,
wie es heute der Fall ist. Feste Körper, flüssige
oder wässerige Körper, sogar gasförmige,
dampfförmige oder luftförmige Körper waren auf
dem alten Saturn noch nicht vorhanden. Er war lediglich in
seinem ganzen Gefüge etwas, was nur in Wärme
vorhanden war. Eine bloße Wärmedifferenzierung,
eine bloße Wärmestruktur war auf diesem alten
Saturn vorhanden. Wir können daher sagen: Der alte
Saturn hatte nur einen Wärmeleib, und alles, was sich auf
ihm entwickelte, entwickelte sich in dem Element der
Wärme. Ich brauche hier nicht zu wiederholen,
daß derjenige, der so etwas sagt, ganz genau weiß,
wie unmöglich es für die heutige Physik ist, sich
einen solchen bloß aus Wärme bestehenden Leib
zu denken, wie ja überhaupt «Wärme»
für die heutige Physik nur ein Zustand, aber nicht etwas
Substantielles ist. Aber es geht uns hier nicht die heutige
Physik etwas an, sondern allein das, was die Wahrheit ist.
Nun
geht die Entwickelung vorwärts von dem Wärmeleib des
Saturn zu dem späteren alten Sonnenzustand. Da
verdichtet sich gewissermaßen, wie es in der
«Geheimwissenschaft im Umriß» dargestellt ist,
der Wärmeleib des Saturn. Ein Teil der Wärme bleibt
natürlich vorhanden; aber es verdichtet sich der
Wärmeleib zum Teil zum gasigen, luftförmigen Zustand
der Sonne. Aber damit ist nicht nur eine Verdichtung
verknüpft, sondern auch eine Verdünnung; es findet
dabei auch statt eine Hinaufentwickelung zum Licht. Wir
können daher sagen: Wenn wir hinüberschreiten von dem
Wärmezustand des alten Saturn zum Sonnenzustand, so kommen
wir da zu einem Weltenkörper, der in sich hat Luft,
Wärme und Licht.
Und
wenn wir dann von der Sonne weiterschreiten zu dem alten
Mondenzustand, der unserem Erdenzustand vorangegangen ist, so
finden wir, daß wiederum eine Verdichtung eintritt; wir
finden jetzt nicht nur einen gasigen oder luftförmigen
Zustand, sondern daneben auch einen wässerigen Zustand.
Aber nach der anderen Seite, gleichsam nach der
Vergeistigung, nach der Ätherisierung hin, ist auch eine
Veränderung eingetreten. Wir sehen, daß nicht nur
Licht vorhanden ist während des Mondenzustandes, sondern
auch dasjenige, was man Klangäther nennt, der identisch
ist mit dem heutigen chemischenÄther. Was hier als
Klangäther bezeichnet wird, ist nicht dasselbe, was wir
physisch als Klang oder Ton bezeichnen. Dieses letztere ist nur
ein Abglanz dessen, was das hellseherische Vermögen als
die Harmonie der Sphären, als ätherischen Ton
empfindet, der durch die Welt webt und lebt. Wir sprechen daher
von etwas viel Geistigerem, von etwas viel Ätherischerem,
wenn wir von diesem Äther und diesem Klange selbst
sprechen.
Dann kommen wir von dem alten Mondendasein zu dem
Erdenzustand. Da findet die Verdichtung zum Festen statt.
Solche festen Körper, wie sie auf der Erde sind, gab
es auf dem alten Mond nicht. Das ist erst ein Zustand, der sich
auf der Erde gebildet hat. So haben wir jetzt auf der Erde
Wärme, Gasförmiges oder Luftförmiges,
Wässeriges oder Flüssiges und feste Körper, und
auf der anderen Seite haben wir Lichtäther,
Klangäther und dann Lebensäther.Das ist dasjenige,
wozu es die Entwickelung auf der Erde gebracht hat. Wir haben
auf der Erde also sieben Zustände elementarischer Natur,
wie wir auf dem alten Saturn nur einen einzigen, einen
mittleren, den Wärmezustand haben. Daher haben wir uns
unsere Erde, als sie sich im Beginne ihres jetzigen
Daseins aus dem kosmischen Dunkel heraushebt, wo sie noch
mit der Sonne und auch mit den anderen Planeten vereinigt war,
vorzustellen als in diesen sieben elementarischen
Zuständen webend und lebend. Mit der Sonnentrennung aber
geschieht etwas sehr Merkwürdiges.
Für das heutige äußere Leben, wie es sich
darstellt unter den Wirkungsweisen, die von der Sonne zur
Erde hereinstrahlen, findet sich zwar Wärme und Licht,
aber unter diese Wirkungsweisen, die der wahrnehmbaren
Sinneswelt angehören und in das ganze Gebiet der
sinnlichen Wahrnehmungen fallen, gehören nicht die
Äußerungen, die Offenbarungen des Klangäthers
und des Lebensäthers. Aus diesem Grunde ist es auch,
daß dasjenige, was wir die Wirkungen des
Klangäthers nennen, sich nur in den chemischen
Zusammensetzungen und Zersetzungen, also in den gegenseitigen
Verhältnissen des materiellen Daseins äußert.
Und was wir die Wirkung des Lebensäthers nennen, so wie er
von der Sonne hereinstrahlt, kann nicht direkt
wahrgenommen werden vom Menschen in ähnlicher Weise,
wie das Licht dem Menschen unmittelbar wahrnehmbar wird, indem
er mit der sinnlichen Wahrnehmung Helligkeit und
Dunkelheit unterscheidet. Es wird das Leben wahrgenommen in
seinen Wirkungen in den lebenden Wesenheiten, nicht aber wird
der einstrahlende Lebensäther direkt wahrgenommen. Daher
ist auch die Wissenschaft gedrängt zu sagen, das Leben als
solches sei ihr ein Rätsel. - So finden wir, daß die
zwei obersten Arten der ätherischen Offenbarungen,
Lebensäther und Klangäther, ob sie zwar von der
Sonne ausgehen und zu dem Feinsten gehören, was von
der Sonne ausgeht, doch nicht für das Erdenwerden
unmittelbar offenbar werden. Da haben wir etwas, was,
obwolil es von der Sonne herniederstrahlt, dem
gewöhnlichen Wahrnehmen verborgen ist. Für
alles, was im Klangäther und Lebensäther lebt, wird
auf der Erde, auch für die heutigen Verhältnisse,
sozusagen etwas menschliches Inneres wahrnehmbar. Nicht
die unmittelbaren Wirkungen des Lebens und der
Sphärenharmonie werden auf der Erde wahrnehmbar, wohl aber
wird wahrnehmbar das, was in der ganzen Konstitution des
Menschen wirkt.
Nun
werde ich Ihnen das am leichtesten dadurch charakterisieren
können, daß ich Sie noch einmal verweise auf die
Entwickelung, welche der Mensch auf der Erde genommen
hat. Wir wissen, daß in alten Zeiten bis in die
atlantische Zeit hinein der Mensch begabt war mit einem
unmittelbaren Hellsehen, durch das er mit seinem
Wahrnehmungsvermögen nicht nur eine Sinnenwelt
schaute wie heute, sondern durch das er die
geistigenHintergründe des sinnlichen Daseins schauen
konnte. Wodurch konnte er das ? Das war dadurch möglich,
daß für die Menschen in jener alten Zeit ein
Zwischenzustand vorhanden war, ein Zustand zwischen dem, was
wir als unser heutiges Wachbewußtsein vom Aufwachen
bis zum Einschlafen haben, und demjenigen, was wir den
Schlafzustand nennen. Im Wachzustande nimmt der Mensch die
physisch-sinnlichen Dinge wahr; im Schlafzustande nimmt er -
oder die Mehrzahl der Menschen - zunächst heute gar nichts
wahr, da lebt er nur. Würden Sie freilich hellseherisch
dieses Leben des Menschen während des
Schlafzustandes untersuchen, so würden Sie
sonderbare Entdeckungen machen, sonderbar aber nur
für den Menschen, der die Welt äußerlich
betrachtet.
Während des Schlafzustandes ist der astralische Leib und
das Ich des Menschen, das wissen wir, außerhalb seines
physischen Leibes und Ätherleibes. Nun habe ich wiederholt
darauf aufmerksam gemacht, daß man sich nicht vorstellen
soll, daß der astralische Leib und das Ich, die in der
Nacht außerhalb des physischen und Ätherleibes sind,
etwa nur wie eine Nebelwolke, wie man gewöhnlich sagt,
ganz in der Nähe des physischen Leibes schweben. Was man
als eine solche Nebelwolke zum Beispiel in dem Zustand eines
niederen astralischen Hellsehens ansehen kann, und was wir den
astralischen Leib nennen, das ist nur der gröbste Anfang
dessen, was der Mensch während des Schlafzustandes
darstellt. Und wenn man diese Wolke in der Nähe des
physischen und Ätherleibes als das einzige ansehen wollte,
würde man damit nur beweisen, daß man von den
niedersten Formen des astralischen Hellsehens ausgeht.
Was der Mensch in Wirklichkeit während des Schlafes ist,
das ist weit ausgedehnt. In der Tat beginnen die
Innenkräfte im astralischen Leibe und im Ich im
Augenblicke des Einschlafens sich auszudehnen über das
ganze Sonnensystem, sie werden ein Teil des ganzen
Sonnensystems. Von überall her saugt der Mensch in seinen
astralischen Leib und in sein Ich die Kräfte zur
Stärkung dieses Lebens ein, wenn er im Schlafzustande ist,
um sich dann beim Aufwachen wieder zusammenzuziehen in die
engeren Grenzen seiner Haut und in diese das
hineinzufügen, was er in der Nacht herausgesogen hat aus
dem Gesamtumfange des Sonnensystems. Deshalb nannten auch die
mittelalterlichen Okkultisten diesen geistigen Leib des
Menschen den «astralischen» Leib, weil er
verbunden ist mit den Sternenwelten und aus ihnen seine
Kräfte saugt. So können wir sagen: Der Mensch ist
tatsächlich während des Nachtschlafens
ausgedehnt über das ganze Sonnensystem.
Was
durchdringt nun während des Schlafes unseren astraHschen
Leib ? Wenn wir außerhalb unseres physischen Leibes sind
in der Nacht, dann ist unser astralischer Leib durchlebt und
durchwebt von den Sphärenharmonien, von dem, was sonst
sich nur im Äther, im Klangäther verbreiten
kann. Wie etwa auf einer Metallplatte, die mit einem gewissen
Staub bestreut worden ist, die Schwingungen, die die Luft
durchpulsen, wenn man die Platte mit einem Violinbogen
streicht, auch innerhalb dieses Staubes fortpulsieren und die
bekannten Chlad- nischen Klangfiguren erzeugen, so durchzittern
und durchpulsen den Menschen während der Nacht die
Sphärenharmonien und bringen wieder in Ordnung, was der
Mensch während des Tages mit den äußeren
Sinneswahrnehmungen in Unordnung gebracht hat. Und was den
Lebensäther durchwebt und durchlebt, das durchpulst uns
auch während des Schlafzustandes, nur hat der Mensch keine
Wahrnehmung für dieses innerliche Leben seiner
Hüllen, wenn er vom physischen und Ätherleibe
getrennt ist. Im normalen Zustande besitzt der Mensch nur ein
Wahrnehmen, wenn er wieder untertaucht in den physischen Leib
und Ätherleib und die äußeren Organe des
Ätherleibes zum Denken und die äußeren
Organe des physischen Leibes zum sinnlichen Wahrnehmen
benutzt.
Aber in den alten Zeiten gab es eben Zwischenzustände
zwischen Wachen und Schlafen, die heute nur auf abnorme
Weise herbeigeführt werden können und im
gewöhnlichen Leben wegen der damit verbundenen
Gefahr auch gar nicht herbeigeführt werden sollen. In den
atlantischen Zeiten aber waren diese
Wahrnehmungsfähigkeiten normalerweise entwickelt, es
waren Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen.
Dadurch konnte sich der Mensch in dasjenige
hineinversetzen, was lebte und webte in der
Sphärenharmonie und in dem Lebensäther. Mit anderen
Worten: Der Mensch konnte in den alten Zeiten - wenn auch in
den Erdenwirkungen die Sphärenharmonie und das Leben sich
nur in den äußeren Lebewesen zeigen - durch das alte
Hellsehen wahrnehmen, was ihm die Sonne zustrahlte als
Sphärenharmonie und als das den Raum durchpulsende
Leben.
Diese Möglichkeit hörte nach und nach auf. Es
schloß sich das Tor gegenüber diesen Wahrnehmungen,
als der Mensch die alte Hellsichtigkeit verlor. Und damit
trat dann allmählich etwas anderes ein: die innere Kraft
des Wissens, die innere Kraft des Erkennens. Erst dadurch
lernte der Mensch innerlich nachsinnen, innerlich nachdenken.
Alles, was wir heute im wachen Leben unser Nachdenken über
die Dinge der physischen Welt nennen und so weiter, also unser
eigendiches Innenleben, das entwickelte sich erst mit dem
Schwinden der alten Hellsichtigkeit. Ein solches
Innenleben, wie es der Mensch heute hat, das in den
Gefühlen, Empfindungen, Gedanken und Vorstellungen
verläuft und das im Grunde das Schöpferische unserer
Kultur ausmacht, hatte der Mensch in den ersten atlantischen
Zeiten noch nicht. Er lebte in den Zwischenzuständen
zwischen Wachen und Schlafen ausgegossen in eine geistige Welt,
und die Sinnenwelt nahm er wie in einem Nebel wahr, jedenfalls
war sie dem Verständnis, den inneren Spiegelbildern des
äußeren Lebens vollständig entrückt. - Das
äußere Leben steigt also auf, während das alte
Hellsehen allmählich verschwindet.
So
können wir sagen: Es entwickelte sich in unserem Inneren
etwas, was ein schwacher Abglanz dessen ist, was wir die
Sphärenharmonie nennen und die Wirkung des
Lebensäthers. Aber in demselben Maße, wie sich der
Mensch innerlich erfüllt fühlte mit Empfindungen, mit
Wahrnehmungen, die ihm die äußere Welt wiederholten
und die sein heutiges Innenleben ausbildeten, in demselben
Maße schwand für ihn die Sphärenmusik. Und in
demselben Maße, wie sich der Mensch fühlte als eine
Ich-Wesenheit, schwand für ihn hin die Wahrnehmung des die
Welt durchpulsenden göttlichen Lebensäthers. Der
Mensch mußte sich den jetzigen Zustand dadurch erkaufen,
daß er gewisse Seiten des äußeren Lebens verlor.
So fühlte der Mensch als Erdenwesen in sich abgeschlossen
das Leben, das er als direkt von der Sonne ausstrahlend nicht
mehr wahrnehmen konnte; und nur einen schwachen Abglanz hat er
von dem gewaltigen kosmischen Leben, von Sphärenklang und
Lebensäther, heute in seinem Innenleben.
Auch für das menschliche Erkennen entwickelte sich wie
eine Wiederholung das, was sich für die Erde selbst
entwickelt hat. Die Erde wäre, als sie sich von der Sonne
abgetrennt hatte, in sich verschlossen worden, wäre
verhärtet worden, wenn sie weiter verbunden geblieben
wäre mit all den Substantiaütäten, mit denen sie
sich von der Sonne getrennt hatte. Die Sonne konnte mit
ihren Wirkungen zunächst nicht in das Erdenwerden
eingreifen, und das dauerte so lange, bis die Trennung
des Mondes von der Erde eintrat. Deshalb haben wir in dem, was
die Erde als Mond aus sich herauswarf, eine Abstoßung all
derjenigen Substantialitäten zu erblicken, welche es
der Erde unmöglich machten, die direkten Sonnenwirkungen
zu empfangen. Und indem sie den Mond aus sich heraussetzte,
öffnete sie dadurch ihr Sein und ihr Wesen erst so recht
den Einflüssen, den Wirkungen der von ihr getrennten
Sonne, kam gleichsam der Sonne entgegen. Entgegen jener
Richtung, in der sich die Erde selbst von der Sonne getrennt
hatte, schickte sie einen Teil ihres eigenen Wesens, den Mond,
der dann die Wirkung des Sonnenwesens der Erde reflektiert
wiedergab, wie er äußerlich das Licht wiedergibt. In
der Abspaltung des Mondes von der Erde liegt also etwas
höchst Bedeutungsvolles vor: das Sich-Öffnen der Erde
gegenüber den Sonnenwirkungen.
Was
so kosmisch geschah, das mußte auch eintreten - sich
wiederholend - für das Menschenleben. Die Erde hatte
sich längst geöffnet dem Sonnenwirken, da war erst
der richtige Zeitpunkt gekommen, wo sich der Mensch
abschließen mußte den unmittelbaren
Sonnenwirkungen. Die unmittelbaren Sonnenwirkungen waren
für die atlantischen Menschen noch vorhanden in
ihrem Hellsehen; da empfingen die Atlantier das, was von der
Sonne hereinstrahlte. Und wie für die Erde eine Zeit
eintrat, wo sie anfing sich zu verhärten, so trat für
den Menschen eine Zeit ein, wo er sich zurückzog, ein
Innenleben entwik- kelte und sich nicht der Sonnenwirkung mehr
Öffnen konnte. Und dieser Prozeß der
Heranbildung eines Innenlebens, wo sich der Mensch nicht der
Sonne öffnen konnte und nur in sich selber das entwickeln
konnte, was ein schwacher Abglanz war der Wirkungen des
Lebensäthers, des Klangäthers, der
Sphärenharmonie, diese Zeit dauerte lange bis in die
nachatlantische Zeit hinein.
So
gab es also in den ersten Zeiten der atlantischen Entwicklung
ein unmittelbares Wahrnehmen der Sonnenwirkungen. Dann
verschlossen sich die Menschen diesen Wirkungen. Und als
dieselben nicht mehr in den Menschen hereindringen konnten,
während das menschliche Innenleben dafür immer mehr
und mehr aufblühte, da waren es nur die heiligen
Mysterien, welche ihre Bekenner so zur Entwickelung der
geistigen Kräfte brachten, daß der Mensch sozusagen
entgegen den normalen ErdVerhältnissen, durch das, was man
mit Joga bezeichnen kann, die Sonnenwirkungen unmittelbar
wahrnehmen konnte. Daher entwickelten sich in der zweiten
Hälfte der atlantischen Zeit die mit Recht Orakel
genannten Stätten innerhalb des atlantischen Landes, wo
innerhalb einer Menschheit, die normalerweise nicht mehr
die direkten Wirkungen des Klangäthers und des
Lebensäthers wahrnehmen konnte, solche Schüler und
Bekenner der heiligen Weisheit ausgebildet wurden, die dadurch,
daß sie das bloße sinnliche Wahrnehmen zunächst
unterdrückten, die Offenbarungen des Klangäthers und
des Lebensäthers wahrnehmen konnten. Und diese
Möglichkeit blieb erhalten für die wirklichen
Stätten der Geheimwissenschaft in der
nachatlantischen Zeit. Es ist ja so stark geblieben,
daß selbst die äußere Wissenschaft, ob sie es
zwar nicht versteht, noch eine Überlieferung aus der
Schule des Pythagoras bewahrt hat, die dahin geht, daß man
die Sphärenharmonien hören kann. Nur verwandelt die
äußere Wissenschaft so etwas wie die
Sphärenharmonie gleich in ein Abstraktum - was sie aber
nicht war - und denkt nur nicht das, was sie ist. Denn in
Wirklichkeit verstand man in den Pytha- goreerschulen unter der
Fähigkeit der Wahrnehmung der Sphärenharmonie
das reale Sich-wieder-Öffnen der menschlichen Wesenheit
dem Klangäther, der Sphärenharmonie, und dem realen
göttlichen Lebensäther.
Nun
war gerade derjenige, der am gewaltigsten, am
großartigsten darauf hinwies, daß hinter der
Wirksamkeit der Sonne, wie sie auf die Erde hereinstrahlt mit
ihrem Licht und ihrer Wärme, noch etwas anderes ist,
etwas, das Klangeswirksamkeit, ja Lebenswirksamkeit ist, die
sich im menschlichen Innenleben eben nur in einem schwachen
Abglanz geltend machen, Zarathustra oder Zoroaster. Und wenn
wir seine Lehre in eine Sprache übersetzen wollen, die von
unseren heutigen Worten genommen ist, so können wir
sagen, er hat seine Schüler folgendes gelehrt: Wenn ihr
hinaufschaut zur Sonne, so nehmt ihr die wohltätige
Wärme wahr und das wohltätige Licht, das der Erde
zustrahlt; wenn ihr aber höhere Organe entwickelt,
wenn ihr geistiges Wahrnehmen entwickelt, so könnt ihr das
Sonnenwesen wahrnehmen, das hinter dem physischen Sonnenleben
ist; und dann nehmt ihr wahr Klangeswirkungen und in den
Klangeswirkungen Lebenssinn! - Was so als Geistiges hinter den
physischen Sonnenwirkungen als Nächstes wahrzunehmen war,
das bezeichnete Zarathustra für seine Schüler als
Ormuzd, als Ahura Mazdao, als die Große Aura der Sonne.
Wir werden es daher begreiflich finden, daß man in
der Übersetzung das Wort Ahura Mazdao auch die
«große Weisheit» nennen kann, im Gegensatz
zu dem, was der Mensch heute in sich als die kleine Weisheit
entwickelt. Die große Weisheit ist die, welche er
wahrnimmt, wenn er die Geistigkeit der Sonne, die große
Sonnenaura wahrnimmt.
So
konnte ein Dichter, auf alte Zeiten der Menschheitsentwickelung
blickend, hinweisen auf dasjenige, was für den
Geistesforscher eine Wahrheit ist, und sagen:
«Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.»
Ästhetlinge werden das natürlich für etwas
Gesuchtes halten. Sie haben es so gern, wenn man sagt, es sei
dichterische Freiheit, wenn Goethe die Sonne tönen
läßt. Sie ahnen nicht, was ein Dichter im Sinne
Goethes ist, der nur Realitäten schildert, wenn er sagt:
«Die Sonne tönt nach alter Weise», das
heißt nach der Weise, wie sie die alte Menschheit gekannt
hat. Denn so tönt sie auch heute noch für den, der
eingeweiht ist.
Darauf hatte Zarathustra seine Schüler hingewiesen. Er
hatte natürlich unter seinen Schülern besonders
die zwei auf diese gewaltige Tatsache hingewiesen, die
wir als seine intimsten Schüler bezeichnen konnten,
die dann in ihren Wiederverkörperungen als Hermes und
Moses erschienen sind. Aber auf zwei ganz verschiedene Arten
hat er sie hingewiesen auf das, was hinter dem lichthaften
Sonnenleib ist. Er hat den Hermes so darauf hingewiesen,
daß dieser in dem verblieb, was unmittelbar von der Sonne
herkommt. Und er hat den Moses so inspiriert, daß er wie
in einer Erinnerung behielt, was das Geheimnis der
Sonnenweisheit ist.
Wenn wir nun im Sinne der «Geheimwissenschaft» uns
vorstellen die Erde nach der Trennung von der Sonne, das
Hinausgehen der Mondenkräfte von der Erde, und dieses
alles nach dem Sich-ÖfFnen der Erde gegen die Sonne, so
haben wir in Venus und Merkur dasjenige, was mitten drinnen
steht zwischen Erde und Sonne. Und wenn wir nun den ganzen
Zwischenraum zwischen Sonne und Erde einteilen in drei
Mittelglieder, so können wir sagen: Die Erde hat sich von
der Sonne herausgetrennt; sie selber hat der Sonne
entgegengeschickt den Mond. Es haben sich dann abgespalten von
der Sonne und sind der Erde entgegengekommen Venus und Merkur,
So daß wir also in Venus und Merkur etwas zu sehen haben,
was von der Sonne herankommt an die Erde und in dem Mond
etwas, was der Sonne entgegengeht.
Wie
sich die kosmischen Verhältnisse gestalten, so gestalten
sich, wie in einer Spiegelung, auch die Verhältnisse in
der Menschheitsentwickelung. Wenn wir die Offenbarungen
des Zarathustra als Sonnenweisheit annehmen, die er auf
der einen Seite dem Hermes, auf der anderen dem Moses
vermittelte, so war dasjenige, was in Hermes lebte, weil er ja
den astralischen Leib des Zarathustra in sich hatte, das von
Zarathustra Ausstrahlende der Sonnenweisheit; und was in Moses
lebte, war sozusagen abgeschlossen wie ein abgeschlossener
Weisheitsplanet, der sich erst entgegenentwickeln
mußte dem, was direkt von der Sonne ausstrahlte. Wie also
die Erdenwirksamkeit durch das Abgeben des Mondes sich
öffnete der Sonnenwirksamkeit, so öffnete sich die
Moses-Weisheit der direkt von Zarathustra ausstrahlenden
Weisheit, der Sonnenweisheit. Und diese beiden, die
Erdenweisheit des Moses und die Sonnenweisheit des Zarathustra
in Hermes, trafen zusammen in Ägypten, wo das
Mosestum mit dem Hermestum zusammentrifft. So daß
wir dasjenige, was Moses aus sich selbst
herausentwickelte, was er, wie aus der Entfernung von
Zarathustra aufnehmend, in sich selber erweckte, ausstrahlte
und seinem Volke überlieferte, analog aufzufassen haben
dem Ausschleudern der Mondensubstan- tialität von der
Erde.
Was
Moses so als Weisheit für sein Volk ausstrahlte, das
können wir auch nennen nach dem Namen, der die
Moses-Weisheit zusammenfaßt, die Jahve- oder
Jehovaweisheit. Denn wenn wir den Namen Jahve oder Jehova in
richtiger Weise verstehen, ist er wie ein Resume der
gesamten Moses-Weisheit. Wenn wir aber das so auffassen,
wird uns auch verständlich, warum die alten Traditionen
Jahve oder Jehova eine Mondgottheit nennen. Diese Tatsache
werden Sie in vielen Mitteilungen finden, aber den Grund
dafür können Sie erst einsehen, wenn Sie diese tiefen
Zusammenhänge auf sich wirken lassen. Wie die Erde das,
was sie als Mond in sich enthielt, heraussetzte und der Sonne
entgegenschickte, so mußte auch die Erdenweisheit
des Moses dem Hermes entgegengehen, der ja die
unmittelbare Weisheit des Zarathustra besaß in dem von
Zarathustra hingeopferten Astralleibe, und dann sich selber
entwickeln. Wir haben schon charakterisiert, wie nach dieser
Begegnung mit Hermes das Mosestum sich entwickelte bis in
das davidische Zeitalter, und wie ein anderes, ein neues
Hermestum oder Mer- kurtum erscheint in David, dem
königlichen Krieger und göttlichen Sänger des
hebräischen Volkes. Und wir haben gesehen, wie das
Mosestum näher kommt dem Sonnenelement, als es sich
neuerdings berührt während der babylonischen
Gefangenschaft mit der ausstrahlendenSon- nenweisheit, weil
Zarathustra unter dem Namen Zarathas oder Nazarathos
selber derLehrer der hebräischen Eingeweihten während
der babylonischen Gefangenschaft war. So sehen wir in der
Moses-Weisheit etwas, was den ganzen kosmischen Gang der
Erdentrennung von der Sonne und das, was mit der Erde hinterher
geschehen ist, wiederholt.
Solche Zusammenhänge erschienen als etwas, was die alten
Weisen des hebräischen Volkes und alle die, welche sie
fühlten, mit tiefster Ehrfurcht erfüllte. Sie
fühlten etwas wie unmittelbare Offenbarungen, die ihnen
aus den Weltenräumen und dem Weltensein selber
entgegenstrahlten. Und eine solche Persönlichkeit
wie die des Moses erschien ihnen wie ein Sendbote der
kosmischen Mächte selber. Sie fühlten es. Und so
etwas müssen wir nachfühlen, wenn wir wirklich die
alten Zeiten verstehen wollen, sonst bleibt alles Verstehen nur
eine leere Abstraktion.
Nun
handelt es sich darum, daß dasjenige, was so von
Zarathustra ausgestrahlt ist und sich durch Hermes und Moses
auf die Nachwelt ergossen hat, sich in einer entsprechenden
Weise auch so fortentwik- keln konnte, daß es auf
höherer Stufe wiedererscheinen konnte in einer anderen
Form, in einer höheren Ausbildungsform. Dazu war
notwendig, daß Zarathustra selber, die
Individualität, die vorher nur hingeopfert hatte den
astralischen Leib und den Ätherleib, in einem
physischen Leibe auf der Erde erscheinen konnte, um auch
diesen hinzuopfern. Das ist ein Stufengang, ein
schöner Stufengang. Erst lebte in uralten Zeiten
Zarathustra auf seine Art und gab den Impuls der
nachatlantischen Entwickelung in der urpersischen, in der
iranischen Kultur. Dann gab er seinen astralischen Leib
ab, um eine nächste Kultur in Szene zu setzen durch
Hermes, und er gab seinen Ätherleib ab an Moses. So hatte
er zwei seiner Hüllen hingeopfert. Nun mußte er auch
noch Gelegenheit erhalten, seinen physischen Leib hinzuopfern.
Denn das erforderte das große Geheimnis der Entwickelung
der Menschheit, daß von einem Wesen die drei Leiber
hingeopfert werden konnten. Für Hermes hatte
Zarathustra hingeopfert seinen astralischen Leib, für
Moses seinen Ätherleib. Das dritte, was ihm noch
bevorstand, war die Hinopferung des physischen Leibes. Dazu
bedurfte es besonderer Veranstaltungen, dazu mußte
der physische Leib des Zarathustra erst in besonderer Weise
zubereitet sein. Und wir haben gestern schon darauf
hingedeutet, wie durch das eigentümliche Leben beim
hebräischen Volke durch Generationen hindurch jener
physische Leib zubereitet wurde, der dann von Zarathustra
hingeopfert werden konnte als sein drittes großes Opfer.
Dazu war notwendig, daß in dem hebräischen
Volke alles, was sonst direkte äußere geistige
Wahrnehmung, was astralisches Schauen war, was bei den
turanischen Völkern in Dekadenz gekommen war, innerliche
Wirksamkeit wurde.
Das
ist das Geheimnis des hebräischen Volkes. Während bei
den turanischen Völkern die Kräfte, welche
Erbstücke aus alter Zeit waren, der Zubereitung
äußerer Hellseherorgane dienten, strahlten sie beim
hebräischen Volke nach innen und organisierten die innere
Leiblichkeit, so daß das hebräische Volk
ausersehen war, im Inneren zu fühlen und zu empfinden, was
sonst geschaut worden war während der atlantischen
Zeit, ausgebreitet über den Sinnesraum hinter den
einzelnen sinnlichen Dingen. Jahve oder Jehova, wie ihn
bewußt ausspricht das hebräische Volk, ist der in
einem Punkt zusammengefaßte «Große Geist»,
der hinter allen Dingen und Wesenheiten dem uralten
Hellsehen erschien. Auch das wird uns angedeutet,
daß der Stammvater dieses althebräischen Volkes in
einer ganz besonderen Art und Weise, eben als Stammvater, diese
innere Organisation erhalten hat.
Ich
bemerke an dieser Stelle etwas, was ich auch schon öfter
bemerkt habe: daß Sagen und Legenden, die in bildhafter
Weise von den Tatsachen erzählen, die sich in alten
Zeiten zugetragen haben, wahrer und zutreffender sind als die
heutige anthropologische Forschung, die aus den heutigen
Ausgrabungen und einzelnen Denkmalsfetzen ein Bild des
Weltenwerdens zusammensetzt. Die alten Legenden werden in den
meisten Fällen bewahrheitet von dem, was wir die
geisteswissenschaftliche Forschung nennen. Ich sage
«in den meisten» und nicht «in allen», weil
ich es nicht untersucht habe, obwohl es sehr
wahrscheinlich überall da, wo es wirkliche alte
Legenden sind, der Fall ist. So führt uns auch das
hebräische Volk, wenn wir seinem Ursprung nachgehen, nicht
auf das zurück, was heute eine anthropologische Forschung
vermutet, sondern es führt uns wirklich zurück auf
einen Stammvater, von dem uns die Bibel erzählt. Das ist
eine wirkliche Gestalt, dieser Abraham oder Abram, und es
ist durchaus wahr, was die talmudische Legende von diesem
Stammvater erzählt.
In
dieser Legende wird uns der Vater des Abraham geschildert als
ein Feldherr jener sagenhaften, aber wiederum wirklichen
Persönlichkeit, die in der Bibel als
«Nimrod» bezeichnet wird. Und auf Grund eines
Traumerlebnisses wird der Sohn seines Feldherrn dem Nimrod
angekündigt von denen, die die Zeichen der Zeit verstehen,
als eine Wesenheit, die viele Könige und Herrscher
entthronen werde. Nimrod fürchtet sich davor und befiehlt,
daß der Sohn seines Feldherrn getötet werde.
Das erzählt die Legende; das bestätigt uns die
okkulte Forschung. Der Vater des Abraham ergreift eine
Ausflucht und zeigt ein fremdes Kind dem Nimrod vor. Das eigene
Kind aber, Abraham, wird in einer Höhle auferzogen. Und
die Tatsache, daß wirklich Abraham der erste ist,
der durch jene Kräfte, die sonst für die
äußeren hellseherischen Fähigkeiten
Verwendung fanden, jetzt im Inneren jene organisatorische
Kraft entwickelt, die zum inneren Gottesbewußtsein
führen soll, diese Umkehrung der ganzen Kraftsumme wird
angedeutet in der Legende dadurch, daß das Kind
während der drei Jahre, wo es in der Höhle auferzogen
wird, Milch saugt durch Gottes Gnade aus seinem eigenen Finger
der rechten Hand. Das Durch-sich-selber-Genährtwerden, das
Hineingehen der Kräfte, welche früher die alte
Hellsichtigkeit bewirkt haben, in die innere Organisation
des Menschen, das wird uns in dem Stammvater des
hebräischen Volkes, in Abraham, in wunderbarer Weise
charakterisiert. Solche Legenden wirken, wenn man ihren
eigentlichen Grund erfährt, mit einer solchen Kraft auf
uns, daß wir uns sagen: Wir begreifen es, daß die
alten Mitteiler dasjenige, was hinter den Legenden steht, nicht
anders sagen konnten als in Bildern. Aber diese Bilder waren
geeignet, wenn auch nicht das Bewußtsein, so doch die
Gefühle für die großen Tatsachen hervorzurufen.
Und das genügte für die alten Zeiten.
So
ist Abraham derjenige, der zuerst den inneren Abglanz der
göttlichen Weisheit, des göttlichen Schauens,
in so recht menschlicher Weise als menschliches Denken
über das Göttliche entwickelt. Abram oder Abraham,
wie er später genannt wurde, hatte tatsächlich, was
die okkulte Forschung immer zu betonen hat, eine andere
physische Organisation als alles, was sonst an Menschen
um ihn herum lebte. Die Menschen ringsherum waren damals in
ihrer Organisation nicht so, daß sie inneres Denken durch
ein besonderes Werkzeug hätten ausbilden
können. Sie konnten Denken ausbilden, wenn sie leibfrei
wurden, wenn sie sozusagen in ihrem Ätherleib
Kräfte entwickelten; wenn sie aber im physischen Leibe
darinnen steckten, hatten sie noch nicht ausgebildet das
Werkzeug des Denkens. Abraham ist in der Tat der erste, der in
vorzüglicher Weise das physische Werkzeug des Denkens
ausgebildet hatte. Daher wird er nicht mit Unrecht - auch das
ist natürlich wieder mit dem nötigen granum salis zu
verstehen - als der Erfinder der Arithmetik bezeichnet,
der in vorzüglicher Weise auf das Instrument des
physischen Leibes angewiesenen Gedankenwissenschaft.
Arithmetik ist etwas, was in seiner Form, wegen seiner inneren
Gewißheit, nahe herantritt an das, was hellseherisch
gewußt werden kann. Aber es ist die Arithmetik angewiesen
auf ein leibliches Organ.
So
haben wir hier einen tiefinneren Zusammenhang zwischen dem, was
äußere Kräfte bisher zum Hellsehen benutzten,
und dem, was jetzt ein inneres Organ benutzt zum Denken. Das
ist darin angedeutet, daß man Abraham als den Erfinder der
Arithmetik kennzeichnet. Wir haben daher in Abraham diejenige
Persönlichkeit zu sehen, welche zuerst eingepflanzt
erhalten hat das physische Organ des Denkens, jenes Organ,
durch das der Mensch mit seinem physischen Denken sich
erheben konnte zu dem Gedanken an einen Gott. Früher
konnte der Mensch von Gott und göttlichem Dasein nur etwas
wissen durch hellseherische Beobachtung. Alles, was aus
alter Zeit stammte an Wissen über Gott und göttliches
Dasein, das entstammte hellseherischer Beobachtung. Mit
dem Gedanken sich zu erheben zum Göttlichen, dazu brauchte
es eines physischen Werkzeuges; das ist dem Abraham
zuerst eingepflanzt gewesen. Und da es sich hier um ein
physisches Organ handelt, so war auch das ganze Verhältnis
zur objektiven Welt und zur subjektiven Wesenheit des Menschen
dieses Gottesgedankens, der durch ein physisches Werkzeug
erfaßt wurde, ein anderes als früher.
Früher hatte man in den Geheimschulen in der
göttlichen Weisheit den Gottesgedanken erfaßt, und
man konnte ihn überliefern an denjenigen, der dies
auch konnte, wenn er dahin gebracht wurde, daß er
Wahrnehmungen haben konnte im Ätherleib, frei von den
Organen des physischen Leibes. Soll aber das, was physisches
Werkzeug ist, auf einen anderen übergehen, so gibt es nur
ein Mittel: die Vererbung in der physischen Organisation. Was
also für Abraham das Wichtigste, das Wesentlichste war,
das physische Organ, das mußte, sollte es sich auf der
Erde erhalten, in physischer Vererbung von Generation zu
Generation fortgepflanzt werden, weil es eben ein physisches
Organ war. So begreifen wir es, daß die Vererbung im
Volke, sozusagen das Herunterrinnen dieser physischen
Veranlagung durch das Blut der Generationen, ein so Wichtiges
ist im hebräischen Volk.
Was
aber bei Abraham zuerst physische Veranlagung war, nämlich
Ausmeißelung, Auskristallisierung eines physischen Organs
für das Erfassen des Göttlichen, das mußte sich
erst einleben. Indem es sich vererbte von Generation zu
Generation, drang es immer tiefer in die menschliche Wesenheit
ein und erfaßte dieselbe immer tiefer, je tiefer es sich
vererbte. Wir können daher sagen: Was Abraham empfangen
hatte zur Mission des hebräischen Volkes, das mußte
sich vervollkommnen, das mußte, indem es von Mensch
zu Mensch durch die Vererbung überging, in der
Fortentwickelung vollkommener werden. Es konnte aber das, was
ein physisches Organ war, nur durch die Vererbung immer
vollkommener werden.
Sollte nun diejenige Wesenheit, die wir als die
Individualität des Zarathustra zunächst kennengelernt
haben, einen möglichst vollkommenen physischen Leib
haben, das heißt einen physischen Leib, der auch
diejenigen Organe hatte, die ein Werkzeug sein konnten zum
Erfassen des Gottesgedankens im physischen Menschenleibe,
dann mußte auf die höchste Höhe gebracht werden,
was als physisches Werkzeug dem Abraham eingepflanzt
worden war. Es mußte innerlich sich befestigen, mußte
sich vererben und so sich entwickeln, daß daraus ein
richtiger Leib für den Zarathustra werden konnte mit all
den Eigenschaften, die Zarathustra brauchte in seinem
physischen Leibe. Wenn aber der physische Leib eines Menschen
in dieser Weise vollkommen werden soll, wenn er so brauchbar
werden soll, wie er für Zarathustra brauchbar sein sollte,
dann durfte nicht bloß der physische Leib des Menschen
vollkommener werden. Es ist natürlich unmöglich,
daß für sich allein, herausgerissen aus dem gesamten
Menschen, nur der physische Leib des Menschen vollkommen
werde. Es mußten alle drei Hüllen nach und nach sich
vervollkommnen durch physische Vererbung. Was also dem
physischen Menschen, dem ätherischen und dem astralischen
Menschen auf dem Wege durch die physische Vererbung gegeben
werden kann, das mußte ihm gegeben werden in den
aufeinanderfolgenden Generationen.
Nun
besteht ein gewisses Gesetz innerhalb der Entwickelung.
Dieses Gesetz kennen wir für die Entwickelung des
einzelnen Menschen und haben es auch schon öfter
charakterisiert. Wir haben gezeigt, wie beim Menschen ein
besonderes Stück seiner Entwickelung die Zeit ausmacht von
der Geburt bis zum sechsten, siebenten Jahre: In diese Zeit
fällt hinein die Entwickelung des physischen Leibes. Die
Entwik- kelung des Ätherleibes fällt in die Zeit vom
sechsten, siebenten Jahre bis zum vierzehnten,
fünfzehnten. Von da ab bis zum einundzwanzigsten,
zweiundzwanzigsten Jahre haben wir dann die Entwickelung des
astralischen Leibes. Das ist sozusagen die
Gesetzmäßigkeit, die durch die Siebenzahl bezeichnet
wird, für die Entwickelung des einzelnen Menschen. Eine
ähnliche Gesetzmäßigkeit besteht für die
Entwickelung der Menschheit der äußeren
Hüllen durch die Generationen hindurch, und wir
werden auf die tieferen Gesetze dieses Vorganges noch
hinzuweisen haben. Während der einzelne Mensch im Verlaufe
von je sieben Jahren eine Entwicklungsstufe durchmacht, bis zum
siebenten Jahre seinen physischen Leib entwickelt, der
während dieser Zeit immer vollkommener und
vollkommener wird, so wird das ganze Gefüge des
physischen Leibes, wie es sich durch die Generationen
hindurch vervollkommnen kann, durch sieben Generationen
hindurch zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht. Aber die
Vererbung geschieht nicht so, daß sie von einem
Menschen auf den nächsten Nachkommen übergeht,
nicht direkt von der einen auf die nächste
Generation. Es können die Eigenschaften, auf die es
ankommt, nicht unmittelbar vom Vater auf den Sohn, von
der Mutter auf die Tochter übergehen, sondern nur
vom Vater auf den Enkel, also auf die zweite Generation,
dann auf die vierte Generation und so weiter. Also es kann sich
die Vererbimg nicht unmittelbar ausleben. Wir müßten
es bei den Generationen zu tun haben mit einer Vererbung
in der Siebenzahl; aber da die Vererbung immer ein Glied
überspringt, haben wir es in Wirklichkeit zu tun mit
einer Vierzehnzahl.
Was
in Abraham veranlagt war als physische Leiblichkeit, das konnte
auf seiner Höhe angelangt sein nach vierzehn Generationen.
Sollten aber auch der Ätherleib und der astralische Leib
davon ergriffen werden, so mußte jene Entwickelung,
die für den einzelnen Menschen weitergeht vom
siebenten bis zum vierzehnten Jahre, durch weitere sieben
beziehungsweise vierzehn Generationen hindurchgehen. Und was
für den Menschen eine Entwickelung durch die nächsten
sieben Jahre - vom vierzehnten ab - ist, das mußte wieder
durch vierzehn Generationen hindurchgehen. Das heißt
also: Was bei dem Stammvater Abraham veranlagt war als
physische Organisation, das mußte sich ausleben durch
dreimal sieben beziehungsweise dreimal vierzehn Generationen;
dann war es so, daß es ergriffen hatte den physischen
Leib, den Ätherleib und den astralischen Leib. Durch
dreimal vierzehn Generationen, das heißt durch
zweiundvierzig Generationen, ist es einem Menschen durch die
Vererbung in der Generationenreihe möglich, daß er
dasjenige vollkommen im physischen Leibe, Ätherleibe
und astralischen Leibe ausgebildet erhält, was
Abraham in der ersten Anlage erhalten hat.
Gehen wir also von Abraham durch dreimal vierzehn Generationen
hinunter, so haben wir einen Menschenleib, der in sich ganz
durchdrungen, imprägniert ist mit dem, was in der
ersten Anlage bei Abraham vorhanden war. Dies erst konnte
der Leib sein, den Zarathustra für seine Verkörperung
brauchen konnte. Das erzählt uns auch der Schreiber des
Matthäus-Evangeliums. Und in der Generationentafel, die er
gibt, deutet er noch ausdrücklich darauf hin, daß er
vierzehn Glieder aufzählt von Abraham bis auf David,
vierzehn von David bis zur babylonischen Gefangenschaft, und
vierzehn von der babylonischen Gefangenschaft bis auf
Christus. Durch diese dreimal vierzehn Glieder - wobei immer
eines übersprungen ist - ist in gewisser Weise ganz zur
Ausbildung gelangt, was bei Abraham für die Mission des
hebräischen Volkes veranlagt war. Da ist es ganz in die
Gliedrigkeit des Menschen eingeprägt. Da heraus konnte der
Leib genommen werden, den Zarathustra brauchte, um zur
Verkörperung zu kommen in der Zeit, als er ein ganz Neues
der Menschheit eröffnen sollte.
So
sehen wir, daß aus einer ganz besonderen Tiefe heraus der
Beginn des Matthäus-Evangeliums geschöpft ist.
Solche Dinge müssen wir aber erst verstehen. Wir
müssen verstehen: Was uns mit diesen dreimal vierzehn
Generationen gesagt ist, soll uns darauf hindeuten, wie in dem,
was vererbt werden konnte von dem Joseph auf den Jesus von
Nazareth, die Essenz dessen lebte, was in der ersten Anlage bei
Abraham vorhanden war, was dann ausstrahlte in das ganze
hebräische Volk und sich dann sammeln konnte in dem einen
Instrument, in der einen Hülle, die die Hülle war
für Zarathustra, in dem sich verkörpern konnte der
Christus.
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