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Das Matthaus-Evangelium

Schmidt-Nummer: S-2274

Online seit: 31st January, 2017

DRITTER VORTRAG

Bern, 3. September 1910

Bevor wir heute zu unserem Thema übergehen, möchte ich eine kleine Ergänzung geben zu dem gestern Gesagten. Ich machte darauf aufmerksam, wie in den Vorgängen der Menschheitsentwickelung, namentlich in den großen bedeutungsvollen Vorgängen unseres Daseins, etwas zu sehen ist, was sich charakteristisch ausdrücken läßt durch eine Sprache, die hergenommen ist von den Vorgängen im Kosmos. Ich erwähnte, wie unmöglich es ist, klar, deutlich und auch eingehend dasjenige, was in bezug auf die großen Geheimnisse zu sagen ist, in gewöhnliche Worte zu kleiden.

Wenn wir jenen bedeutungsvollen Vorgang charakterisieren wollen, den wir nennen können die Wechselwirkung zwischen den zwei großen Schülern des Zarathustra, zwischen Hermes oder Thoth und Moses, so können wir dies am besten dadurch tun, daß wir ihn darstellen als die Wiederholung eines großen kosmischen Vorganges, wobei wir diesen letzteren allerdings so auffassen müssen, daß er uns im Sinne der okkulten Weisheit, im Sinne der Geheimwissenschaft erscheint. Blik- ken wir, um diesen kosmischen Vorgang zunächst vor uns zu haben, wiederholentlich zurück auf jene Zeit, da sich unsere Erde von ihrer Sonne getrennt hat, wo beide also sozusagen mit einem selbständigen Zentrum ein eigenes Leben im Kosmos weiterführten. Wir können uns diesen Vorgang so vorstellen, daß wir uns die gesamte Substantia- lität der Erde und der Sonne in urferner Vergangenheit als ein Ganzes denken, gleichsam als einen großen Weltenleib, und daß sich diese beiden in urferner Vergangenheit trennten. Allerdings muß dabei immer im Auge behalten werden, daß wir dabei andere kosmische Vorgänge unberücksichtigt lassen, die der Trennung von Sonne und Erde parallel gingen, als die Abspaltung der anderen Planeten unseres Sonnensystems. Für unsere Zwecke können wir die Zeitverhältnisse dieser anderen Trennungen zunächst unberücksichtigt lassen und können sagen: Es fand also einmal eine Trennung in der Weise statt, daß die Sonne das eine Zentrum bildete und die Erde das andere.

Wenn wir nun diesen Zeitpunkt der Erden-Sonnentrennung ins Auge fassen, müssen wir zunächst auch berücksichtigen, daß wir hierbei auf Zeiten zurückblicken, in denen dasjenige, was jetzt als «Erde» bezeichnet ist, noch die Substantialität unseres heutigen Mondes in sich, in ihrem eigenen Schöße hatte, so daß da gleichsam Erde + Mond und Sonne einander gegenüberstehen. Alles, was vor dieser Trennung an geistigen, physischen Kräften vorhanden war, spaltete sich in der Weise, daß gleichsam das gröbere Element, die gröberen, dichteren Wirksamkeiten mit der Erde gingen, während die feineren, höheren, geistig-ätherischen Wirksamkeiten mit der Sonne gingen. Nun müssen wir uns vorstellen, daß eine längere Zeit hindurch Erde und Sonne voneinander getrennt ihre Lebensentwickelung durchmachten, daß zunächst alles, was von der Sonne ausging zur Erde hin, ganz anderer Natur war als etwa jene Wirkungen, welche heute von der Sonne auf die Erde herunter sich tätig erweisen. Da haben wir zuerst eine Art Erdendasein, ein Erdenleben, das sich sozusagen erweist als ein inneres, verschlossenes Erdenleben, welches wenig annimmt von dem Sonnenleben, von dem, was da geistig und in seinem Ausdruck physisch von der Sonne auf die Erde herunterstrahlt.

In dieser ersten Zeit der Sonnen-Erdentrennung war es ja so, daß die Erde gewissermaßen einer Vertrocknung, einer Verdorrung, einer Mumifizierung entgegenging. Und wenn es so geblieben wäre, daß die Erde den Mond in ihrem Schoß behalten hätte, so wäre das Leben, das heute auf der Erde besteht, niemals möglich geworden. Während die Erde noch den Mond in sich hatte, konnte das Sonnenleben sich nicht in vollem Maße wirksam erweisen; das konnte es erst später, nachdem die Erde dasjenige, was heute Mond ist, von sich abgesondert hatte, und gerade so die geistigen Wesenheiten, die mit dem Mond verbunden sind, aus sich heraussonderte, wie auch die Substantialität des Mondes von der Erde abgesondert worden ist.

Nun ist aber mit dieser Trennung des Mondes von der Erde noch etwas anderes verbunden. Wir müssen uns ja klar sein, daß alles, was wir heute das Leben auf unserer Erde nennen, sich langsam und allmählich entwickelt hat. Und wir geben in der Geisteswissenschaft auch die aufeinanderfolgenden Zustände an, wie sie sich herangebildet und entfaltet haben, welche das Erdenleben möglich machten. Da haben wir zuerst das alte Saturndasein, dann das alte Sonnendasein, das alte Mondendasein und zuletzt erst unser Erdendasein. Also demjenigen, was wir als Sonnentrennung oder auch als vorhergehendes Zusammensein der Erde mit der Sonne bezeichnen, dem gingen andere Entwicke- lungsprozesse voran von ganz anderer Natur, nämlich das Saturn-, Sonnen-, Mondendasein, aus dem sich dann erst unser Erdendasein entwickelte. Und als die Erde in der jetzigen Gestalt beginnt, da ist sie noch verbunden mit der Substanz aller Planeten, die zu unserem Sonnensystem gehören und die sich erst später herausdifferenzieren. Diese Herausdifferenzierung ist ein Ergebnis von Kräften, die während des Saturn-, Sonnen- und Mondendaseins gewirkt haben.

Nun wissen wir, daß während des Saturndaseins nicht eine solche Konfiguration der Materie, des Stoffes vorhanden war, wie es heute der Fall ist. Feste Körper, flüssige oder wässerige Körper, sogar gasförmige, dampfförmige oder luftförmige Körper waren auf dem alten Saturn noch nicht vorhanden. Er war lediglich in seinem ganzen Gefüge etwas, was nur in Wärme vorhanden war. Eine bloße Wärmedifferenzierung, eine bloße Wärmestruktur war auf diesem alten Saturn vorhanden. Wir können daher sagen: Der alte Saturn hatte nur einen Wärmeleib, und alles, was sich auf ihm entwickelte, entwickelte sich in dem Element der Wärme. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, daß derjenige, der so etwas sagt, ganz genau weiß, wie unmöglich es für die heutige Physik ist, sich einen solchen bloß aus Wärme bestehenden Leib zu denken, wie ja überhaupt «Wärme» für die heutige Physik nur ein Zustand, aber nicht etwas Substantielles ist. Aber es geht uns hier nicht die heutige Physik etwas an, sondern allein das, was die Wahrheit ist.

Nun geht die Entwickelung vorwärts von dem Wärmeleib des Saturn zu dem späteren alten Sonnenzustand. Da verdichtet sich gewissermaßen, wie es in der «Geheimwissenschaft im Umriß» dargestellt ist, der Wärmeleib des Saturn. Ein Teil der Wärme bleibt natürlich vorhanden; aber es verdichtet sich der Wärmeleib zum Teil zum gasigen, luftförmigen Zustand der Sonne. Aber damit ist nicht nur eine Verdichtung verknüpft, sondern auch eine Verdünnung; es findet dabei auch statt eine Hinaufentwickelung zum Licht. Wir können daher sagen: Wenn wir hinüberschreiten von dem Wärmezustand des alten Saturn zum Sonnenzustand, so kommen wir da zu einem Weltenkörper, der in sich hat Luft, Wärme und Licht.

Und wenn wir dann von der Sonne weiterschreiten zu dem alten Mondenzustand, der unserem Erdenzustand vorangegangen ist, so finden wir, daß wiederum eine Verdichtung eintritt; wir finden jetzt nicht nur einen gasigen oder luftförmigen Zustand, sondern daneben auch einen wässerigen Zustand. Aber nach der anderen Seite, gleichsam nach der Vergeistigung, nach der Ätherisierung hin, ist auch eine Veränderung eingetreten. Wir sehen, daß nicht nur Licht vorhanden ist während des Mondenzustandes, sondern auch dasjenige, was man Klangäther nennt, der identisch ist mit dem heutigen chemischenÄther. Was hier als Klangäther bezeichnet wird, ist nicht dasselbe, was wir physisch als Klang oder Ton bezeichnen. Dieses letztere ist nur ein Abglanz dessen, was das hellseherische Vermögen als die Harmonie der Sphären, als ätherischen Ton empfindet, der durch die Welt webt und lebt. Wir sprechen daher von etwas viel Geistigerem, von etwas viel Ätherischerem, wenn wir von diesem Äther und diesem Klange selbst sprechen.

Dann kommen wir von dem alten Mondendasein zu dem Erdenzustand. Da findet die Verdichtung zum Festen statt. Solche festen Körper, wie sie auf der Erde sind, gab es auf dem alten Mond nicht. Das ist erst ein Zustand, der sich auf der Erde gebildet hat. So haben wir jetzt auf der Erde Wärme, Gasförmiges oder Luftförmiges, Wässeriges oder Flüssiges und feste Körper, und auf der anderen Seite haben wir Lichtäther, Klangäther und dann Lebensäther.Das ist dasjenige, wozu es die Entwickelung auf der Erde gebracht hat. Wir haben auf der Erde also sieben Zustände elementarischer Natur, wie wir auf dem alten Saturn nur einen einzigen, einen mittleren, den Wärmezustand haben. Daher haben wir uns unsere Erde, als sie sich im Beginne ihres jetzigen Daseins aus dem kosmischen Dunkel heraushebt, wo sie noch mit der Sonne und auch mit den anderen Planeten vereinigt war, vorzustellen als in diesen sieben elementarischen Zuständen webend und lebend. Mit der Sonnentrennung aber geschieht etwas sehr Merkwürdiges.

Für das heutige äußere Leben, wie es sich darstellt unter den Wirkungsweisen, die von der Sonne zur Erde hereinstrahlen, findet sich zwar Wärme und Licht, aber unter diese Wirkungsweisen, die der wahrnehmbaren Sinneswelt angehören und in das ganze Gebiet der sinnlichen Wahrnehmungen fallen, gehören nicht die Äußerungen, die Offenbarungen des Klangäthers und des Lebensäthers. Aus diesem Grunde ist es auch, daß dasjenige, was wir die Wirkungen des Klangäthers nennen, sich nur in den chemischen Zusammensetzungen und Zersetzungen, also in den gegenseitigen Verhältnissen des materiellen Daseins äußert. Und was wir die Wirkung des Lebensäthers nennen, so wie er von der Sonne hereinstrahlt, kann nicht direkt wahrgenommen werden vom Menschen in ähnlicher Weise, wie das Licht dem Menschen unmittelbar wahrnehmbar wird, indem er mit der sinnlichen Wahrnehmung Helligkeit und Dunkelheit unterscheidet. Es wird das Leben wahrgenommen in seinen Wirkungen in den lebenden Wesenheiten, nicht aber wird der einstrahlende Lebensäther direkt wahrgenommen. Daher ist auch die Wissenschaft gedrängt zu sagen, das Leben als solches sei ihr ein Rätsel. - So finden wir, daß die zwei obersten Arten der ätherischen Offenbarungen, Lebensäther und Klangäther, ob sie zwar von der Sonne ausgehen und zu dem Feinsten gehören, was von der Sonne ausgeht, doch nicht für das Erdenwerden unmittelbar offenbar werden. Da haben wir etwas, was, obwolil es von der Sonne herniederstrahlt, dem gewöhnlichen Wahrnehmen verborgen ist. Für alles, was im Klangäther und Lebensäther lebt, wird auf der Erde, auch für die heutigen Verhältnisse, sozusagen etwas menschliches Inneres wahrnehmbar. Nicht die unmittelbaren Wirkungen des Lebens und der Sphärenharmonie werden auf der Erde wahrnehmbar, wohl aber wird wahrnehmbar das, was in der ganzen Konstitution des Menschen wirkt.

Nun werde ich Ihnen das am leichtesten dadurch charakterisieren können, daß ich Sie noch einmal verweise auf die Entwickelung, welche der Mensch auf der Erde genommen hat. Wir wissen, daß in alten Zeiten bis in die atlantische Zeit hinein der Mensch begabt war mit einem unmittelbaren Hellsehen, durch das er mit seinem Wahrnehmungsvermögen nicht nur eine Sinnenwelt schaute wie heute, sondern durch das er die geistigenHintergründe des sinnlichen Daseins schauen konnte. Wodurch konnte er das ? Das war dadurch möglich, daß für die Menschen in jener alten Zeit ein Zwischenzustand vorhanden war, ein Zustand zwischen dem, was wir als unser heutiges Wachbewußtsein vom Aufwachen bis zum Einschlafen haben, und demjenigen, was wir den Schlafzustand nennen. Im Wachzustande nimmt der Mensch die physisch-sinnlichen Dinge wahr; im Schlafzustande nimmt er - oder die Mehrzahl der Menschen - zunächst heute gar nichts wahr, da lebt er nur. Würden Sie freilich hellseherisch dieses Leben des Menschen während des Schlafzustandes untersuchen, so würden Sie sonderbare Entdeckungen machen, sonderbar aber nur für den Menschen, der die Welt äußerlich betrachtet.

Während des Schlafzustandes ist der astralische Leib und das Ich des Menschen, das wissen wir, außerhalb seines physischen Leibes und Ätherleibes. Nun habe ich wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß man sich nicht vorstellen soll, daß der astralische Leib und das Ich, die in der Nacht außerhalb des physischen und Ätherleibes sind, etwa nur wie eine Nebelwolke, wie man gewöhnlich sagt, ganz in der Nähe des physischen Leibes schweben. Was man als eine solche Nebelwolke zum Beispiel in dem Zustand eines niederen astralischen Hellsehens ansehen kann, und was wir den astralischen Leib nennen, das ist nur der gröbste Anfang dessen, was der Mensch während des Schlafzustandes darstellt. Und wenn man diese Wolke in der Nähe des physischen und Ätherleibes als das einzige ansehen wollte, würde man damit nur beweisen, daß man von den niedersten Formen des astralischen Hellsehens ausgeht. Was der Mensch in Wirklichkeit während des Schlafes ist, das ist weit ausgedehnt. In der Tat beginnen die Innenkräfte im astralischen Leibe und im Ich im Augenblicke des Einschlafens sich auszudehnen über das ganze Sonnensystem, sie werden ein Teil des ganzen Sonnensystems. Von überall her saugt der Mensch in seinen astralischen Leib und in sein Ich die Kräfte zur Stärkung dieses Lebens ein, wenn er im Schlafzustande ist, um sich dann beim Aufwachen wieder zusammenzuziehen in die engeren Grenzen seiner Haut und in diese das hineinzufügen, was er in der Nacht herausgesogen hat aus dem Gesamtumfange des Sonnensystems. Deshalb nannten auch die mittelalterlichen Okkultisten diesen geistigen Leib des Menschen den «astralischen» Leib, weil er verbunden ist mit den Sternenwelten und aus ihnen seine Kräfte saugt. So können wir sagen: Der Mensch ist tatsächlich während des Nachtschlafens ausgedehnt über das ganze Sonnensystem.

Was durchdringt nun während des Schlafes unseren astraHschen Leib ? Wenn wir außerhalb unseres physischen Leibes sind in der Nacht, dann ist unser astralischer Leib durchlebt und durchwebt von den Sphärenharmonien, von dem, was sonst sich nur im Äther, im Klangäther verbreiten kann. Wie etwa auf einer Metallplatte, die mit einem gewissen Staub bestreut worden ist, die Schwingungen, die die Luft durchpulsen, wenn man die Platte mit einem Violinbogen streicht, auch innerhalb dieses Staubes fortpulsieren und die bekannten Chlad- nischen Klangfiguren erzeugen, so durchzittern und durchpulsen den Menschen während der Nacht die Sphärenharmonien und bringen wieder in Ordnung, was der Mensch während des Tages mit den äußeren Sinneswahrnehmungen in Unordnung gebracht hat. Und was den Lebensäther durchwebt und durchlebt, das durchpulst uns auch während des Schlafzustandes, nur hat der Mensch keine Wahrnehmung für dieses innerliche Leben seiner Hüllen, wenn er vom physischen und Ätherleibe getrennt ist. Im normalen Zustande besitzt der Mensch nur ein Wahrnehmen, wenn er wieder untertaucht in den physischen Leib und Ätherleib und die äußeren Organe des Ätherleibes zum Denken und die äußeren Organe des physischen Leibes zum sinnlichen Wahrnehmen benutzt.

Aber in den alten Zeiten gab es eben Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen, die heute nur auf abnorme Weise herbeigeführt werden können und im gewöhnlichen Leben wegen der damit verbundenen Gefahr auch gar nicht herbeigeführt werden sollen. In den atlantischen Zeiten aber waren diese Wahrnehmungsfähigkeiten normalerweise entwickelt, es waren Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen. Dadurch konnte sich der Mensch in dasjenige hineinversetzen, was lebte und webte in der Sphärenharmonie und in dem Lebensäther. Mit anderen Worten: Der Mensch konnte in den alten Zeiten - wenn auch in den Erdenwirkungen die Sphärenharmonie und das Leben sich nur in den äußeren Lebewesen zeigen - durch das alte Hellsehen wahrnehmen, was ihm die Sonne zustrahlte als Sphärenharmonie und als das den Raum durchpulsende Leben.

Diese Möglichkeit hörte nach und nach auf. Es schloß sich das Tor gegenüber diesen Wahrnehmungen, als der Mensch die alte Hellsichtigkeit verlor. Und damit trat dann allmählich etwas anderes ein: die innere Kraft des Wissens, die innere Kraft des Erkennens. Erst dadurch lernte der Mensch innerlich nachsinnen, innerlich nachdenken. Alles, was wir heute im wachen Leben unser Nachdenken über die Dinge der physischen Welt nennen und so weiter, also unser eigendiches Innenleben, das entwickelte sich erst mit dem Schwinden der alten Hellsichtigkeit. Ein solches Innenleben, wie es der Mensch heute hat, das in den Gefühlen, Empfindungen, Gedanken und Vorstellungen verläuft und das im Grunde das Schöpferische unserer Kultur ausmacht, hatte der Mensch in den ersten atlantischen Zeiten noch nicht. Er lebte in den Zwischenzuständen zwischen Wachen und Schlafen ausgegossen in eine geistige Welt, und die Sinnenwelt nahm er wie in einem Nebel wahr, jedenfalls war sie dem Verständnis, den inneren Spiegelbildern des äußeren Lebens vollständig entrückt. - Das äußere Leben steigt also auf, während das alte Hellsehen allmählich verschwindet.

So können wir sagen: Es entwickelte sich in unserem Inneren etwas, was ein schwacher Abglanz dessen ist, was wir die Sphärenharmonie nennen und die Wirkung des Lebensäthers. Aber in demselben Maße, wie sich der Mensch innerlich erfüllt fühlte mit Empfindungen, mit Wahrnehmungen, die ihm die äußere Welt wiederholten und die sein heutiges Innenleben ausbildeten, in demselben Maße schwand für ihn die Sphärenmusik. Und in demselben Maße, wie sich der Mensch fühlte als eine Ich-Wesenheit, schwand für ihn hin die Wahrnehmung des die Welt durchpulsenden göttlichen Lebensäthers. Der Mensch mußte sich den jetzigen Zustand dadurch erkaufen, daß er gewisse Seiten des äußeren Lebens verlor. So fühlte der Mensch als Erdenwesen in sich abgeschlossen das Leben, das er als direkt von der Sonne ausstrahlend nicht mehr wahrnehmen konnte; und nur einen schwachen Abglanz hat er von dem gewaltigen kosmischen Leben, von Sphärenklang und Lebensäther, heute in seinem Innenleben.

Auch für das menschliche Erkennen entwickelte sich wie eine Wiederholung das, was sich für die Erde selbst entwickelt hat. Die Erde wäre, als sie sich von der Sonne abgetrennt hatte, in sich verschlossen worden, wäre verhärtet worden, wenn sie weiter verbunden geblieben wäre mit all den Substantiaütäten, mit denen sie sich von der Sonne getrennt hatte. Die Sonne konnte mit ihren Wirkungen zunächst nicht in das Erdenwerden eingreifen, und das dauerte so lange, bis die Trennung des Mondes von der Erde eintrat. Deshalb haben wir in dem, was die Erde als Mond aus sich herauswarf, eine Abstoßung all derjenigen Substantialitäten zu erblicken, welche es der Erde unmöglich machten, die direkten Sonnenwirkungen zu empfangen. Und indem sie den Mond aus sich heraussetzte, öffnete sie dadurch ihr Sein und ihr Wesen erst so recht den Einflüssen, den Wirkungen der von ihr getrennten Sonne, kam gleichsam der Sonne entgegen. Entgegen jener Richtung, in der sich die Erde selbst von der Sonne getrennt hatte, schickte sie einen Teil ihres eigenen Wesens, den Mond, der dann die Wirkung des Sonnenwesens der Erde reflektiert wiedergab, wie er äußerlich das Licht wiedergibt. In der Abspaltung des Mondes von der Erde liegt also etwas höchst Bedeutungsvolles vor: das Sich-Öffnen der Erde gegenüber den Sonnenwirkungen.

Was so kosmisch geschah, das mußte auch eintreten - sich wiederholend - für das Menschenleben. Die Erde hatte sich längst geöffnet dem Sonnenwirken, da war erst der richtige Zeitpunkt gekommen, wo sich der Mensch abschließen mußte den unmittelbaren Sonnenwirkungen. Die unmittelbaren Sonnenwirkungen waren für die atlantischen Menschen noch vorhanden in ihrem Hellsehen; da empfingen die Atlantier das, was von der Sonne hereinstrahlte. Und wie für die Erde eine Zeit eintrat, wo sie anfing sich zu verhärten, so trat für den Menschen eine Zeit ein, wo er sich zurückzog, ein Innenleben entwik- kelte und sich nicht der Sonnenwirkung mehr Öffnen konnte. Und dieser Prozeß der Heranbildung eines Innenlebens, wo sich der Mensch nicht der Sonne öffnen konnte und nur in sich selber das entwickeln konnte, was ein schwacher Abglanz war der Wirkungen des Lebensäthers, des Klangäthers, der Sphärenharmonie, diese Zeit dauerte lange bis in die nachatlantische Zeit hinein.

So gab es also in den ersten Zeiten der atlantischen Entwicklung ein unmittelbares Wahrnehmen der Sonnenwirkungen. Dann verschlossen sich die Menschen diesen Wirkungen. Und als dieselben nicht mehr in den Menschen hereindringen konnten, während das menschliche Innenleben dafür immer mehr und mehr aufblühte, da waren es nur die heiligen Mysterien, welche ihre Bekenner so zur Entwickelung der geistigen Kräfte brachten, daß der Mensch sozusagen entgegen den normalen ErdVerhältnissen, durch das, was man mit Joga bezeichnen kann, die Sonnenwirkungen unmittelbar wahrnehmen konnte. Daher entwickelten sich in der zweiten Hälfte der atlantischen Zeit die mit Recht Orakel genannten Stätten innerhalb des atlantischen Landes, wo innerhalb einer Menschheit, die normalerweise nicht mehr die direkten Wirkungen des Klangäthers und des Lebensäthers wahrnehmen konnte, solche Schüler und Bekenner der heiligen Weisheit ausgebildet wurden, die dadurch, daß sie das bloße sinnliche Wahrnehmen zunächst unterdrückten, die Offenbarungen des Klangäthers und des Lebensäthers wahrnehmen konnten. Und diese Möglichkeit blieb erhalten für die wirklichen Stätten der Geheimwissenschaft in der nachatlantischen Zeit. Es ist ja so stark geblieben, daß selbst die äußere Wissenschaft, ob sie es zwar nicht versteht, noch eine Überlieferung aus der Schule des Pythagoras bewahrt hat, die dahin geht, daß man die Sphärenharmonien hören kann. Nur verwandelt die äußere Wissenschaft so etwas wie die Sphärenharmonie gleich in ein Abstraktum - was sie aber nicht war - und denkt nur nicht das, was sie ist. Denn in Wirklichkeit verstand man in den Pytha- goreerschulen unter der Fähigkeit der Wahrnehmung der Sphärenharmonie das reale Sich-wieder-Öffnen der menschlichen Wesenheit dem Klangäther, der Sphärenharmonie, und dem realen göttlichen Lebensäther.

Nun war gerade derjenige, der am gewaltigsten, am großartigsten darauf hinwies, daß hinter der Wirksamkeit der Sonne, wie sie auf die Erde hereinstrahlt mit ihrem Licht und ihrer Wärme, noch etwas anderes ist, etwas, das Klangeswirksamkeit, ja Lebenswirksamkeit ist, die sich im menschlichen Innenleben eben nur in einem schwachen Abglanz geltend machen, Zarathustra oder Zoroaster. Und wenn wir seine Lehre in eine Sprache übersetzen wollen, die von unseren heutigen Worten genommen ist, so können wir sagen, er hat seine Schüler folgendes gelehrt: Wenn ihr hinaufschaut zur Sonne, so nehmt ihr die wohltätige Wärme wahr und das wohltätige Licht, das der Erde zustrahlt; wenn ihr aber höhere Organe entwickelt, wenn ihr geistiges Wahrnehmen entwickelt, so könnt ihr das Sonnenwesen wahrnehmen, das hinter dem physischen Sonnenleben ist; und dann nehmt ihr wahr Klangeswirkungen und in den Klangeswirkungen Lebenssinn! - Was so als Geistiges hinter den physischen Sonnenwirkungen als Nächstes wahrzunehmen war, das bezeichnete Zarathustra für seine Schüler als Ormuzd, als Ahura Mazdao, als die Große Aura der Sonne. Wir werden es daher begreiflich finden, daß man in der Übersetzung das Wort Ahura Mazdao auch die «große Weisheit» nennen kann, im Gegensatz zu dem, was der Mensch heute in sich als die kleine Weisheit entwickelt. Die große Weisheit ist die, welche er wahrnimmt, wenn er die Geistigkeit der Sonne, die große Sonnenaura wahrnimmt.

So konnte ein Dichter, auf alte Zeiten der Menschheitsentwickelung blickend, hinweisen auf dasjenige, was für den Geistesforscher eine Wahrheit ist, und sagen:

«Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.»

Ästhetlinge werden das natürlich für etwas Gesuchtes halten. Sie haben es so gern, wenn man sagt, es sei dichterische Freiheit, wenn Goethe die Sonne tönen läßt. Sie ahnen nicht, was ein Dichter im Sinne Goethes ist, der nur Realitäten schildert, wenn er sagt: «Die Sonne tönt nach alter Weise», das heißt nach der Weise, wie sie die alte Menschheit gekannt hat. Denn so tönt sie auch heute noch für den, der eingeweiht ist.

Darauf hatte Zarathustra seine Schüler hingewiesen. Er hatte natürlich unter seinen Schülern besonders die zwei auf diese gewaltige Tatsache hingewiesen, die wir als seine intimsten Schüler bezeichnen konnten, die dann in ihren Wiederverkörperungen als Hermes und Moses erschienen sind. Aber auf zwei ganz verschiedene Arten hat er sie hingewiesen auf das, was hinter dem lichthaften Sonnenleib ist. Er hat den Hermes so darauf hingewiesen, daß dieser in dem verblieb, was unmittelbar von der Sonne herkommt. Und er hat den Moses so inspiriert, daß er wie in einer Erinnerung behielt, was das Geheimnis der Sonnenweisheit ist.

Wenn wir nun im Sinne der «Geheimwissenschaft» uns vorstellen die Erde nach der Trennung von der Sonne, das Hinausgehen der Mondenkräfte von der Erde, und dieses alles nach dem Sich-ÖfFnen der Erde gegen die Sonne, so haben wir in Venus und Merkur dasjenige, was mitten drinnen steht zwischen Erde und Sonne. Und wenn wir nun den ganzen Zwischenraum zwischen Sonne und Erde einteilen in drei Mittelglieder, so können wir sagen: Die Erde hat sich von der Sonne herausgetrennt; sie selber hat der Sonne entgegengeschickt den Mond. Es haben sich dann abgespalten von der Sonne und sind der Erde entgegengekommen Venus und Merkur, So daß wir also in Venus und Merkur etwas zu sehen haben, was von der Sonne herankommt an die Erde und in dem Mond etwas, was der Sonne entgegengeht.

Wie sich die kosmischen Verhältnisse gestalten, so gestalten sich, wie in einer Spiegelung, auch die Verhältnisse in der Menschheitsentwickelung. Wenn wir die Offenbarungen des Zarathustra als Sonnenweisheit annehmen, die er auf der einen Seite dem Hermes, auf der anderen dem Moses vermittelte, so war dasjenige, was in Hermes lebte, weil er ja den astralischen Leib des Zarathustra in sich hatte, das von Zarathustra Ausstrahlende der Sonnenweisheit; und was in Moses lebte, war sozusagen abgeschlossen wie ein abgeschlossener Weisheitsplanet, der sich erst entgegenentwickeln mußte dem, was direkt von der Sonne ausstrahlte. Wie also die Erdenwirksamkeit durch das Abgeben des Mondes sich öffnete der Sonnenwirksamkeit, so öffnete sich die Moses-Weisheit der direkt von Zarathustra ausstrahlenden Weisheit, der Sonnenweisheit. Und diese beiden, die Erdenweisheit des Moses und die Sonnenweisheit des Zarathustra in Hermes, trafen zusammen in Ägypten, wo das Mosestum mit dem Hermestum zusammentrifft. So daß wir dasjenige, was Moses aus sich selbst herausentwickelte, was er, wie aus der Entfernung von Zarathustra aufnehmend, in sich selber erweckte, ausstrahlte und seinem Volke überlieferte, analog aufzufassen haben dem Ausschleudern der Mondensubstan- tialität von der Erde.

Was Moses so als Weisheit für sein Volk ausstrahlte, das können wir auch nennen nach dem Namen, der die Moses-Weisheit zusammenfaßt, die Jahve- oder Jehovaweisheit. Denn wenn wir den Namen Jahve oder Jehova in richtiger Weise verstehen, ist er wie ein Resume der gesamten Moses-Weisheit. Wenn wir aber das so auffassen, wird uns auch verständlich, warum die alten Traditionen Jahve oder Jehova eine Mondgottheit nennen. Diese Tatsache werden Sie in vielen Mitteilungen finden, aber den Grund dafür können Sie erst einsehen, wenn Sie diese tiefen Zusammenhänge auf sich wirken lassen. Wie die Erde das, was sie als Mond in sich enthielt, heraussetzte und der Sonne entgegenschickte, so mußte auch die Erdenweisheit des Moses dem Hermes entgegengehen, der ja die unmittelbare Weisheit des Zarathustra besaß in dem von Zarathustra hingeopferten Astralleibe, und dann sich selber entwickeln. Wir haben schon charakterisiert, wie nach dieser Begegnung mit Hermes das Mosestum sich entwickelte bis in das davidische Zeitalter, und wie ein anderes, ein neues Hermestum oder Mer- kurtum erscheint in David, dem königlichen Krieger und göttlichen Sänger des hebräischen Volkes. Und wir haben gesehen, wie das Mosestum näher kommt dem Sonnenelement, als es sich neuerdings berührt während der babylonischen Gefangenschaft mit der ausstrahlendenSon- nenweisheit, weil Zarathustra unter dem Namen Zarathas oder Nazarathos selber derLehrer der hebräischen Eingeweihten während der babylonischen Gefangenschaft war. So sehen wir in der Moses-Weisheit etwas, was den ganzen kosmischen Gang der Erdentrennung von der Sonne und das, was mit der Erde hinterher geschehen ist, wiederholt.

Solche Zusammenhänge erschienen als etwas, was die alten Weisen des hebräischen Volkes und alle die, welche sie fühlten, mit tiefster Ehrfurcht erfüllte. Sie fühlten etwas wie unmittelbare Offenbarungen, die ihnen aus den Weltenräumen und dem Weltensein selber entgegenstrahlten. Und eine solche Persönlichkeit wie die des Moses erschien ihnen wie ein Sendbote der kosmischen Mächte selber. Sie fühlten es. Und so etwas müssen wir nachfühlen, wenn wir wirklich die alten Zeiten verstehen wollen, sonst bleibt alles Verstehen nur eine leere Abstraktion.

Nun handelt es sich darum, daß dasjenige, was so von Zarathustra ausgestrahlt ist und sich durch Hermes und Moses auf die Nachwelt ergossen hat, sich in einer entsprechenden Weise auch so fortentwik- keln konnte, daß es auf höherer Stufe wiedererscheinen konnte in einer anderen Form, in einer höheren Ausbildungsform. Dazu war notwendig, daß Zarathustra selber, die Individualität, die vorher nur hingeopfert hatte den astralischen Leib und den Ätherleib, in einem physischen Leibe auf der Erde erscheinen konnte, um auch diesen hinzuopfern. Das ist ein Stufengang, ein schöner Stufengang. Erst lebte in uralten Zeiten Zarathustra auf seine Art und gab den Impuls der nachatlantischen Entwickelung in der urpersischen, in der iranischen Kultur. Dann gab er seinen astralischen Leib ab, um eine nächste Kultur in Szene zu setzen durch Hermes, und er gab seinen Ätherleib ab an Moses. So hatte er zwei seiner Hüllen hingeopfert. Nun mußte er auch noch Gelegenheit erhalten, seinen physischen Leib hinzuopfern. Denn das erforderte das große Geheimnis der Entwickelung der Menschheit, daß von einem Wesen die drei Leiber hingeopfert werden konnten. Für Hermes hatte Zarathustra hingeopfert seinen astralischen Leib, für Moses seinen Ätherleib. Das dritte, was ihm noch bevorstand, war die Hinopferung des physischen Leibes. Dazu bedurfte es besonderer Veranstaltungen, dazu mußte der physische Leib des Zarathustra erst in besonderer Weise zubereitet sein. Und wir haben gestern schon darauf hingedeutet, wie durch das eigentümliche Leben beim hebräischen Volke durch Generationen hindurch jener physische Leib zubereitet wurde, der dann von Zarathustra hingeopfert werden konnte als sein drittes großes Opfer. Dazu war notwendig, daß in dem hebräischen Volke alles, was sonst direkte äußere geistige Wahrnehmung, was astralisches Schauen war, was bei den turanischen Völkern in Dekadenz gekommen war, innerliche Wirksamkeit wurde.

Das ist das Geheimnis des hebräischen Volkes. Während bei den turanischen Völkern die Kräfte, welche Erbstücke aus alter Zeit waren, der Zubereitung äußerer Hellseherorgane dienten, strahlten sie beim hebräischen Volke nach innen und organisierten die innere Leiblichkeit, so daß das hebräische Volk ausersehen war, im Inneren zu fühlen und zu empfinden, was sonst geschaut worden war während der atlantischen Zeit, ausgebreitet über den Sinnesraum hinter den einzelnen sinnlichen Dingen. Jahve oder Jehova, wie ihn bewußt ausspricht das hebräische Volk, ist der in einem Punkt zusammengefaßte «Große Geist», der hinter allen Dingen und Wesenheiten dem uralten Hellsehen erschien. Auch das wird uns angedeutet, daß der Stammvater dieses althebräischen Volkes in einer ganz besonderen Art und Weise, eben als Stammvater, diese innere Organisation erhalten hat.

Ich bemerke an dieser Stelle etwas, was ich auch schon öfter bemerkt habe: daß Sagen und Legenden, die in bildhafter Weise von den Tatsachen erzählen, die sich in alten Zeiten zugetragen haben, wahrer und zutreffender sind als die heutige anthropologische Forschung, die aus den heutigen Ausgrabungen und einzelnen Denkmalsfetzen ein Bild des Weltenwerdens zusammensetzt. Die alten Legenden werden in den meisten Fällen bewahrheitet von dem, was wir die geisteswissenschaftliche Forschung nennen. Ich sage «in den meisten» und nicht «in allen», weil ich es nicht untersucht habe, obwohl es sehr wahrscheinlich überall da, wo es wirkliche alte Legenden sind, der Fall ist. So führt uns auch das hebräische Volk, wenn wir seinem Ursprung nachgehen, nicht auf das zurück, was heute eine anthropologische Forschung vermutet, sondern es führt uns wirklich zurück auf einen Stammvater, von dem uns die Bibel erzählt. Das ist eine wirkliche Gestalt, dieser Abraham oder Abram, und es ist durchaus wahr, was die talmudische Legende von diesem Stammvater erzählt.

In dieser Legende wird uns der Vater des Abraham geschildert als ein Feldherr jener sagenhaften, aber wiederum wirklichen Persönlichkeit, die in der Bibel als «Nimrod» bezeichnet wird. Und auf Grund eines Traumerlebnisses wird der Sohn seines Feldherrn dem Nimrod angekündigt von denen, die die Zeichen der Zeit verstehen, als eine Wesenheit, die viele Könige und Herrscher entthronen werde. Nimrod fürchtet sich davor und befiehlt, daß der Sohn seines Feldherrn getötet werde. Das erzählt die Legende; das bestätigt uns die okkulte Forschung. Der Vater des Abraham ergreift eine Ausflucht und zeigt ein fremdes Kind dem Nimrod vor. Das eigene Kind aber, Abraham, wird in einer Höhle auferzogen. Und die Tatsache, daß wirklich Abraham der erste ist, der durch jene Kräfte, die sonst für die äußeren hellseherischen Fähigkeiten Verwendung fanden, jetzt im Inneren jene organisatorische Kraft entwickelt, die zum inneren Gottesbewußtsein führen soll, diese Umkehrung der ganzen Kraftsumme wird angedeutet in der Legende dadurch, daß das Kind während der drei Jahre, wo es in der Höhle auferzogen wird, Milch saugt durch Gottes Gnade aus seinem eigenen Finger der rechten Hand. Das Durch-sich-selber-Genährtwerden, das Hineingehen der Kräfte, welche früher die alte Hellsichtigkeit bewirkt haben, in die innere Organisation des Menschen, das wird uns in dem Stammvater des hebräischen Volkes, in Abraham, in wunderbarer Weise charakterisiert. Solche Legenden wirken, wenn man ihren eigentlichen Grund erfährt, mit einer solchen Kraft auf uns, daß wir uns sagen: Wir begreifen es, daß die alten Mitteiler dasjenige, was hinter den Legenden steht, nicht anders sagen konnten als in Bildern. Aber diese Bilder waren geeignet, wenn auch nicht das Bewußtsein, so doch die Gefühle für die großen Tatsachen hervorzurufen. Und das genügte für die alten Zeiten.

So ist Abraham derjenige, der zuerst den inneren Abglanz der göttlichen Weisheit, des göttlichen Schauens, in so recht menschlicher Weise als menschliches Denken über das Göttliche entwickelt. Abram oder Abraham, wie er später genannt wurde, hatte tatsächlich, was die okkulte Forschung immer zu betonen hat, eine andere physische Organisation als alles, was sonst an Menschen um ihn herum lebte. Die Menschen ringsherum waren damals in ihrer Organisation nicht so, daß sie inneres Denken durch ein besonderes Werkzeug hätten ausbilden können. Sie konnten Denken ausbilden, wenn sie leibfrei wurden, wenn sie sozusagen in ihrem Ätherleib Kräfte entwickelten; wenn sie aber im physischen Leibe darinnen steckten, hatten sie noch nicht ausgebildet das Werkzeug des Denkens. Abraham ist in der Tat der erste, der in vorzüglicher Weise das physische Werkzeug des Denkens ausgebildet hatte. Daher wird er nicht mit Unrecht - auch das ist natürlich wieder mit dem nötigen granum salis zu verstehen - als der Erfinder der Arithmetik bezeichnet, der in vorzüglicher Weise auf das Instrument des physischen Leibes angewiesenen Gedankenwissenschaft. Arithmetik ist etwas, was in seiner Form, wegen seiner inneren Gewißheit, nahe herantritt an das, was hellseherisch gewußt werden kann. Aber es ist die Arithmetik angewiesen auf ein leibliches Organ.

So haben wir hier einen tiefinneren Zusammenhang zwischen dem, was äußere Kräfte bisher zum Hellsehen benutzten, und dem, was jetzt ein inneres Organ benutzt zum Denken. Das ist darin angedeutet, daß man Abraham als den Erfinder der Arithmetik kennzeichnet. Wir haben daher in Abraham diejenige Persönlichkeit zu sehen, welche zuerst eingepflanzt erhalten hat das physische Organ des Denkens, jenes Organ, durch das der Mensch mit seinem physischen Denken sich erheben konnte zu dem Gedanken an einen Gott. Früher konnte der Mensch von Gott und göttlichem Dasein nur etwas wissen durch hellseherische Beobachtung. Alles, was aus alter Zeit stammte an Wissen über Gott und göttliches Dasein, das entstammte hellseherischer Beobachtung. Mit dem Gedanken sich zu erheben zum Göttlichen, dazu brauchte es eines physischen Werkzeuges; das ist dem Abraham zuerst eingepflanzt gewesen. Und da es sich hier um ein physisches Organ handelt, so war auch das ganze Verhältnis zur objektiven Welt und zur subjektiven Wesenheit des Menschen dieses Gottesgedankens, der durch ein physisches Werkzeug erfaßt wurde, ein anderes als früher.

Früher hatte man in den Geheimschulen in der göttlichen Weisheit den Gottesgedanken erfaßt, und man konnte ihn überliefern an denjenigen, der dies auch konnte, wenn er dahin gebracht wurde, daß er Wahrnehmungen haben konnte im Ätherleib, frei von den Organen des physischen Leibes. Soll aber das, was physisches Werkzeug ist, auf einen anderen übergehen, so gibt es nur ein Mittel: die Vererbung in der physischen Organisation. Was also für Abraham das Wichtigste, das Wesentlichste war, das physische Organ, das mußte, sollte es sich auf der Erde erhalten, in physischer Vererbung von Generation zu Generation fortgepflanzt werden, weil es eben ein physisches Organ war. So begreifen wir es, daß die Vererbung im Volke, sozusagen das Herunterrinnen dieser physischen Veranlagung durch das Blut der Generationen, ein so Wichtiges ist im hebräischen Volk.

Was aber bei Abraham zuerst physische Veranlagung war, nämlich Ausmeißelung, Auskristallisierung eines physischen Organs für das Erfassen des Göttlichen, das mußte sich erst einleben. Indem es sich vererbte von Generation zu Generation, drang es immer tiefer in die menschliche Wesenheit ein und erfaßte dieselbe immer tiefer, je tiefer es sich vererbte. Wir können daher sagen: Was Abraham empfangen hatte zur Mission des hebräischen Volkes, das mußte sich vervollkommnen, das mußte, indem es von Mensch zu Mensch durch die Vererbung überging, in der Fortentwickelung vollkommener werden. Es konnte aber das, was ein physisches Organ war, nur durch die Vererbung immer vollkommener werden.

Sollte nun diejenige Wesenheit, die wir als die Individualität des Zarathustra zunächst kennengelernt haben, einen möglichst vollkommenen physischen Leib haben, das heißt einen physischen Leib, der auch diejenigen Organe hatte, die ein Werkzeug sein konnten zum Erfassen des Gottesgedankens im physischen Menschenleibe, dann mußte auf die höchste Höhe gebracht werden, was als physisches Werkzeug dem Abraham eingepflanzt worden war. Es mußte innerlich sich befestigen, mußte sich vererben und so sich entwickeln, daß daraus ein richtiger Leib für den Zarathustra werden konnte mit all den Eigenschaften, die Zarathustra brauchte in seinem physischen Leibe. Wenn aber der physische Leib eines Menschen in dieser Weise vollkommen werden soll, wenn er so brauchbar werden soll, wie er für Zarathustra brauchbar sein sollte, dann durfte nicht bloß der physische Leib des Menschen vollkommener werden. Es ist natürlich unmöglich, daß für sich allein, herausgerissen aus dem gesamten Menschen, nur der physische Leib des Menschen vollkommen werde. Es mußten alle drei Hüllen nach und nach sich vervollkommnen durch physische Vererbung. Was also dem physischen Menschen, dem ätherischen und dem astralischen Menschen auf dem Wege durch die physische Vererbung gegeben werden kann, das mußte ihm gegeben werden in den aufeinanderfolgenden Generationen.

Nun besteht ein gewisses Gesetz innerhalb der Entwickelung. Dieses Gesetz kennen wir für die Entwickelung des einzelnen Menschen und haben es auch schon öfter charakterisiert. Wir haben gezeigt, wie beim Menschen ein besonderes Stück seiner Entwickelung die Zeit ausmacht von der Geburt bis zum sechsten, siebenten Jahre: In diese Zeit fällt hinein die Entwickelung des physischen Leibes. Die Entwik- kelung des Ätherleibes fällt in die Zeit vom sechsten, siebenten Jahre bis zum vierzehnten, fünfzehnten. Von da ab bis zum einundzwanzigsten, zweiundzwanzigsten Jahre haben wir dann die Entwickelung des astralischen Leibes. Das ist sozusagen die Gesetzmäßigkeit, die durch die Siebenzahl bezeichnet wird, für die Entwickelung des einzelnen Menschen. Eine ähnliche Gesetzmäßigkeit besteht für die Entwickelung der Menschheit der äußeren Hüllen durch die Generationen hindurch, und wir werden auf die tieferen Gesetze dieses Vorganges noch hinzuweisen haben. Während der einzelne Mensch im Verlaufe von je sieben Jahren eine Entwicklungsstufe durchmacht, bis zum siebenten Jahre seinen physischen Leib entwickelt, der während dieser Zeit immer vollkommener und vollkommener wird, so wird das ganze Gefüge des physischen Leibes, wie es sich durch die Generationen hindurch vervollkommnen kann, durch sieben Generationen hindurch zu einer gewissen Vollkommenheit gebracht. Aber die Vererbung geschieht nicht so, daß sie von einem Menschen auf den nächsten Nachkommen übergeht, nicht direkt von der einen auf die nächste Generation. Es können die Eigenschaften, auf die es ankommt, nicht unmittelbar vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter übergehen, sondern nur vom Vater auf den Enkel, also auf die zweite Generation, dann auf die vierte Generation und so weiter. Also es kann sich die Vererbimg nicht unmittelbar ausleben. Wir müßten es bei den Generationen zu tun haben mit einer Vererbung in der Siebenzahl; aber da die Vererbung immer ein Glied überspringt, haben wir es in Wirklichkeit zu tun mit einer Vierzehnzahl.

Was in Abraham veranlagt war als physische Leiblichkeit, das konnte auf seiner Höhe angelangt sein nach vierzehn Generationen. Sollten aber auch der Ätherleib und der astralische Leib davon ergriffen werden, so mußte jene Entwickelung, die für den einzelnen Menschen weitergeht vom siebenten bis zum vierzehnten Jahre, durch weitere sieben beziehungsweise vierzehn Generationen hindurchgehen. Und was für den Menschen eine Entwickelung durch die nächsten sieben Jahre - vom vierzehnten ab - ist, das mußte wieder durch vierzehn Generationen hindurchgehen. Das heißt also: Was bei dem Stammvater Abraham veranlagt war als physische Organisation, das mußte sich ausleben durch dreimal sieben beziehungsweise dreimal vierzehn Generationen; dann war es so, daß es ergriffen hatte den physischen Leib, den Ätherleib und den astralischen Leib. Durch dreimal vierzehn Generationen, das heißt durch zweiundvierzig Generationen, ist es einem Menschen durch die Vererbung in der Generationenreihe möglich, daß er dasjenige vollkommen im physischen Leibe, Ätherleibe und astralischen Leibe ausgebildet erhält, was Abraham in der ersten Anlage erhalten hat.

Gehen wir also von Abraham durch dreimal vierzehn Generationen hinunter, so haben wir einen Menschenleib, der in sich ganz durchdrungen, imprägniert ist mit dem, was in der ersten Anlage bei Abraham vorhanden war. Dies erst konnte der Leib sein, den Zarathustra für seine Verkörperung brauchen konnte. Das erzählt uns auch der Schreiber des Matthäus-Evangeliums. Und in der Generationentafel, die er gibt, deutet er noch ausdrücklich darauf hin, daß er vierzehn Glieder aufzählt von Abraham bis auf David, vierzehn von David bis zur babylonischen Gefangenschaft, und vierzehn von der babylonischen Gefangenschaft bis auf Christus. Durch diese dreimal vierzehn Glieder - wobei immer eines übersprungen ist - ist in gewisser Weise ganz zur Ausbildung gelangt, was bei Abraham für die Mission des hebräischen Volkes veranlagt war. Da ist es ganz in die Gliedrigkeit des Menschen eingeprägt. Da heraus konnte der Leib genommen werden, den Zarathustra brauchte, um zur Verkörperung zu kommen in der Zeit, als er ein ganz Neues der Menschheit eröffnen sollte.

So sehen wir, daß aus einer ganz besonderen Tiefe heraus der Beginn des Matthäus-Evangeliums geschöpft ist. Solche Dinge müssen wir aber erst verstehen. Wir müssen verstehen: Was uns mit diesen dreimal vierzehn Generationen gesagt ist, soll uns darauf hindeuten, wie in dem, was vererbt werden konnte von dem Joseph auf den Jesus von Nazareth, die Essenz dessen lebte, was in der ersten Anlage bei Abraham vorhanden war, was dann ausstrahlte in das ganze hebräische Volk und sich dann sammeln konnte in dem einen Instrument, in der einen Hülle, die die Hülle war für Zarathustra, in dem sich verkörpern konnte der Christus.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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