ZWÖLFTER VORTRAG
Bern, 12. September 1910
Wenn wir die Entwickelung der Menschheit ins Auge fassen, wie
sie im Sinne unserer Geisteswissenschaft fortschreitet von
Stufe zu Stufe, so muß uns als das Bedeutsamste innerhalb
der menschlichen Evolution erscheinen, daß der
Mensch, durch die einzelnen Epochen hindurch sich immer
wieder verkörpernd, aufsteigt, gewisse höhere
Vollkommenheitsgrade erreicht, um endlich nach und nach
jene Ziele zu Wirkenskräften in seinem Innersten zu
machen, die für die einzelnen planetarischen
Entwickelungsstufen eben die angemessenen sind. So sehen wir
auf der einen Seite den hinaufsteigenden Menschen, der im Auge
hat bei dieser Hinaufentwickelung sein Gottesziel. Aber der
Mensch würde sich zu solchen Höhen, zu denen er sich
entwickeln soll, niemals entwickeln können, wenn ihm nicht
gewissermaßen zu Hilfe kämen Wesenheiten, welche im
Weltganzen andere Wege der Entwickelung durchgemacht
haben als der Mensch. Von Zeit zu Zeit, so können wir es
etwa ausdrücken, kommen Wesen aus anderen
Sphären in unsere Erdenevolution herein und
verbinden sich mit der menschlichen Entwickelung, um den
Menschen zu ihren eigenen Höhen hinaufzuheben. Das
können wir, sogar für die früheren
planetarischen Zustände unseres Erdendaseins, im
großen ganzen dadurch ausdrücken, daß wir sagen:
Schon auf der alten Saturnstufe haben erhabene
Wesenheiten, die Throne, ihre Willenssubstanz hingeopfert,
damit daraus geformt werden konnte die erste Anlage des
physischen Menschenleibes. Das ist nur ein Beispiel im
großen. Aber es steigen immerzu - des Ausdruckes darf man
sich dabei wohl bedienen - Wesenheiten, welche in ihrer
Entwickelung dem Menschen voran- geeiit sind, herab zu dem
Menschen, verbinden sich mit der menschliehen Evolution
dadurch, daß sie zeitweilig innerhalb einer
Menschenseele wohnen, innerhalb einer menschlichen
Wesenheit, wie man wohl auch sagt, Menschengestalt annehmen,
oder wenn man es trivialer ausdrücken will, wie eine
Kraft in der menschlichen Seele auftreten, welche diese
Menschenseele, sie inspirierend, durchdringt; so daß ein
solches Menschenwesen, das von einem Gott durchseelt ist,
innerhalb der menschlichen Evolution mehr wirken kann als
sonst ein Mensch.
Solche Dinge hört unsere alles nivellierende, alles mit
materialistischen Vorstellungen durchdringende Zeit nicht
gern. Ich möchte sagen, nur ein letztes Rudiment hat
unsere Zeit von dieser Anschauung, die jetzt eben ausgesprochen
worden ist. Daß etwa irgendein Mensch gewissermaßen
durchdrungen wäre von einer aus höheren Regionen
herabgestiegenen Wesenheit, die zu ihm, dem Menschen, spricht,
das würde der moderne Mensch als einen furchtbaren
Aberglauben ansehen, wenn man ihm jemals zumuten
würde, so etwas zu glauben. Aber ein Rudiment davon hat
sich der Mensch wenigstens erhalten auch in unsere
materialistische Zeit hinein, obwohl er dieses Rudiment in
einen ihm unbewußten Wunderglauben hüllt,
nämlich, er hat sich bewahrt, an das Auftreten von
genialen Persönlichkeiten, von Genies hie und da zu
glauben. Aus der großen Masse der Menschen ragen auch
für das gewöhnliche moderne Bewußtsein Genies
hervor, von denen man sagt: In ihrer Seele keimen andere
Fähigkeiten als sonst in der menschlichen Natur hervor. An
solche Genies glaubt man wenigstens noch in unserer Zeit.
Aber es gibt auch schon Kreise, wo man an Genies nicht mehr
glaubt und sie hinwegdekretieren will, weil man innerhalb der
materialistischen Denkweise keinen Tatsachensinn mehr hat
für das geistige Leben. Aber in weiten Kreisen ist der
Glaube an Genies noch vorhanden. Und wenn man nicht bei einem
leeren Glauben stehenbleiben will, muß man sagen,
daß durch ein Genie, welches die Menschheitsevolution
weiterbringen will, eine andere Kraft aus der Menschennatur
herausspricht, als es die gewöhnlichen
Menschenkräfte sind. Würde man allerdings auf
diejenigen Lehren sehen, die den wahren Tatbestand solcher
Genies kennen, so würde man in einem solchen Falle, wo ein
derartiger Mensch auftritt, der plötzlich wie
besessen ist von etwas außerordentlich Gutem,
Großem und Gewaltigem, sich klar darüber sein,
daß eine geistige Kraft herabgestiegen ist und gleichsam
Besitz ergriffen hat von dem Ort, wo nun einmal solche
Wesenheiten wirken müssen, nämlich vom Inneren des
Menschen selber.
Dem
anthroposophisch Denkenden sollte es von vornherein
einleuchtend sein, daß diese zwei Dinge möglich
sind: das Hinaufentwickeln des Menschen der
Gotteshöhe entgegen und das Heruntersteigen
göttlich-geistiger Wesenheiten in menschliche Leiber oder
menschliche Seelen. In dem «Rosenkreuzermysterium»
ist an einer Stelle darauf aufmerksam gemacht worden, daß,
wenn irgend etwas Bedeutungsvolles in der
Menschheitsevolution geschehen soll, sich sozusagen ein
Gotteswesen mit einer Menschenseele verbinden muß und sie
durchdringen muß. Das ist ein Erfordernis der
Menschheitsevolution.
Um
dies in bezug auf unsere irdische Geistesentwickelung zu
verstehen, wollen wir uns erinnern, wie die Erde in den
Zeiten ihres Anfanges noch mit der Sonne verbunden war,
die heute von ihr abgetrennt ist. Später haben sich
dann in einem Zeitpunkt urfernster Vergangenheit Sonne
und Erde einmal getrennt. Natürlich weiß der An-
throposoph, daß es sich dabei nicht um eine bloß
materielle Trennung der Erdenmaterie und Sonnenmaterie handelt,
sondern um das Auseinandertreten der mit der Sonne oder
mit den anderen materiellen Planeten verbundenen
göttlich-geistigen Wesenheiten. Nach der Trennung
der Erde von der Sonne blieben mit der Erde gewisse geistige
Wesenheiten verbunden, während mit der Sonne andere
geistige Wesenheiten verbunden blieben, die, weil sie
über die Erdenverhältnisse hinausgewachsen waren,
ihre weitere kosmische Entwickelung nicht auf der Erde
vollenden konnten. So haben wir die Tatsache, daß eine Art
von geistigen Wesenheiten mit der Erde enger verbunden blieb,
während andere Wesenheiten von der Sonne herein ihre
Wirkungen in das Erdendasein sandten. Wir haben also sozusagen
nach der Sonnentrennung zwei Schauplätze: den
Erdenschauplatz mit seinen Wesenheiten und den
Sonnenschauplatz mit seinen Wesenheiten. Diejenigen geistigen
Wesenheiten nun, die dem Menschen aus einer höheren
Sphäre her dienen können, das sind eben die, welche
mit der Sonne außerhalb der Erde ihren Schauplatz verlegt
haben. Und aus dem Bereich der Wesenheiten, die zum
Sonnenschauplatz gehören, kommen diejenigen Wesen, die
sich von Zeit zu Zeit verbinden mit dem Menschentum der
Erde, um die Erdenevolution und Menschheitsentwickelung
weiterzuführen.
In
den Mythen der Völker finden wir immer wieder und wieder
solche «Sonnenhelden», solche aus der geistigen
Sphäre in die Evolution der Menschheit hereinwirkende
Wesenheiten. Und ein Mensch, der durchsetzt, durchdrungen ist
von einer solchen Sonnenwesenheit, ist in bezug auf das, als
was er uns zunächst äußerlich entgegentritt,
eine Wesenheit, die eigentlich viel mehr ist, als sie uns
zeigt. Das Äußere ist eine Täuschung, eine Maja,
und hinter der Maja ist das eigentliche Wesen, das nur der
ahnen kann, der hineinschauen kann in die tiefsten Tiefen einer
solchen Natur.
In
den Mysterien wußte und weiß man immer von dieser
zweifachen Tatsache in bezug auf den Entwickelungsgang der
Menschheit. Man unterschied und unterscheidet sozusagen aus der
geistigen Sphäre heruntersteigende göttliche
Geister und von der Erde hinaufsteigende, zur Einweihung in die
geistigen Geheimnisse strebende Menschen. - Mit was für
einer Wesenheit haben wir es nun bei dem Christus zu tun?
Wir
haben gestern gesehen, daß er in der Bezeichnung
«Christus, der Sohn des lebendigen Gottes», eine
herabsteigende Wesenheit ist. Wollte man ihn mit einem Wort der
orientalischen Philosophie benennen, so würde man
ihn eine «avatarische» Wesenheit nennen, einen
herabsteigenden Gott. Aber wir haben es nur von einem
bestimmten Zeitpunkt an mit einer solchen herabsteigenden
Wesenheit zu tun. Was uns als eine solche erscheinen muß,
schildern uns die vier Evangelisten, Matthäus,
Markus, Lukas und Johannes, alle vier. In dem Moment der
Johannes-Taufe steigt diese Wesenheit sozusagen aus dem Bereich
des Sonnendaseins herab auf unsere Erde und vereinigt sich mit
einer menschlichen Wesenheit. Nun müssen wir uns klar
sein, daß im Sinne der vier Evangelisten diese
Sonnenwesenheit eine größere ist als alle anderen
avatarischen Wesenheiten, als alle anderen Sonnenwesen,
die jemals herabgestiegen sind. Daher verlangt sie, daß
ihr sozusagen von dem Menschen aus eine besonders
zubereitete Menschenwesenheit entgegenwächst.
Also von dem Sonnenwesen, von dem « Sohn des lebendigen
Gottes », der dem Menschen entgegenkommt zu seiner
Entwicklung, berichten uns alle vier Evangelisten. Von
jenem Menschen aber, der entgegenwächst, um
aufnehmen zu können dieses Sonnenwesen, berichten
uns nur die Schreiber des Matthäus- und des
Lukas-Evangeliums. Sie berichten, wie der Mensch dreißig
Jahre entgegenstrebt dem großen Augenblick, da er
das Sonnenwesen in sich selber aufnehmen kann. Und weil die
Wesenheit, die wir als die Christus-Wesenheit bezeichnen,
eine so universelle, eine so umfassende ist, so genügt es
nicht, daß in einfacher Weise die körperlichen und
leiblichen Hüllen zubereitet werden, welche dieses
Sonnenwesen aufnehmen können. Dazu ist notwendig, daß
dem heruntersteigenden Sonnenwesen entgegenwächst
eine ganz besonders zubereitete physische und ätherische
Hülle. Woher sie genommen worden sind, haben wir gesehen,
als wir das Matthäus-Evangelium betrachteten. Aber aus
derselben Wesenheit heraus, aus welcher im Sinne des
Matthäus-Evangeliums die physische und ätherische
Hülle für jenes Sonnenwesen zubereitet worden sind,
die aus den zweiundvierzig Generationen des hebräischen
Volkes heraus vorbereitet worden sind, aus denselben
Hüllen konnte nicht zugleich vorbereitet werden die
astralische Hülle und nicht der Träger des
eigentlichen Ich. Dafür war eine besondere Veranstaltung
nötig, die durch eine andere menschliche Wesenheit erzielt
wurde, von der uns das Lukas-Evangelium erzählt, indem es
uns die Jugendgeschichte des sogenannten nathanischen Jesus
berichtet. Dann haben wir gesehen, daß die beiden
eins werden, der Matthäus- und der Lukas-Jesus, indem die
Wesenheit, die als Ich-Wesenheit zuerst Besitz ergriff von den
leiblichen Hüllen, welche das Matthäus-Evangelium
schildert, nämlich die Zarathustra-Individualität,
den zwölfjährigen MatthäusJesus
verläßt und hinüberdringt in den nathanischen
Jesus des LukasEvangeliums, um dort weiterzuleben und
auszubilden den astralischen Leib und Ich-Träger mit den
Errungenschaften, welche sie sich angeeignet hatte in dem
besonders zubereiteten physischen Leibe und Ätherleibe des
Matthäus-Jesus, damit dann die oberen Glieder
heranreifen können und die heruntersteigende
Wesenheit aus den oberen Regionen im dreißigsten Jahre
aufnehmen können.
Wollten wir den ganzen Hergang im Sinne des
Matthäus-Evangeliums schildern, so müßten
wir sagen, der Schreiber des MatthäusEvangeliums
richtete zunächst seinen Blick darauf: Welcher physische
Leib und welcher Ätherleib können dazu dienen, einmal
die Christus-Wesenheit auf der Erde wandeln zu lassen? Und aus
dem, was er erfahren hatte, beantwortete er die Frage in
folgender Weise. Damit dieser physische Leib und dieser
Ätherleib damals zubereitet werden konnten, dazu war es
notwendig, daß durch die zweiundvierzig Generationen
des hebräischen Volkes hindurch alle die Anlagen, die
einst in Abraham gelegt worden waren, sich voll entwickelten,
damit durch die Vererbung zustande kamen jener physische Leib
und Ätherleib, wie sie eben notwendig waren. Dann
beantwortete er die Frage weiter, indem er sich sagte: Ein
solcher physischer Leib und Ätherleib könnten
nur dann die Instrumente, die Werkzeuge hergeben, wenn die
größte Individualität, welche die Menschheit zum
Empfange und zum Verständnis für den Christus
vorbereitet hat, die Zarathustra- Individualität,
zunächst diese Werkzeuge benutzt. Sie kann sie
benutzen, soweit diese Werkzeuge die Möglichkeit
einer Entwickelung hergeben, bis zum zwölften Jahre;
dann muß sie verlassen den Leib des Matthäus-Jesus
und gleichsam hinübertreten in den Leib des
LukasJesus. Da lenkt nun der Schreiber des
Matthäus-Evangeliums seinen Blick von dem, worauf er
zuerst gerichtet war, hinweg zu dem LukasJesus und
verfolgt nun das Leben des Zarathustra weiter bis zum
dreißigsten Jahre. Das ist der Moment, wo Zarathustra auch
den astralischen Leib und den Ich-Träger so weit gebracht
hat, daß er jetzt alles hinopfern konnte, damit von oben
herunter der Sonnengeist, das Wesen der geistigen
Sphären, davon Besitz ergreifen kann. Das wird in der
Johannes-Taufe angedeutet.
Wenn wir uns nun noch einmal zurückerinnern an jene
Trennung der Erde von der Sonne und uns gegenwärtig
halten, daß ja diejenigen Wesenheiten sich dazumal
mit von der Erde getrennt haben, deren oberster
Anführer der Christus ist, so werden wir sagen: Es gibt
Wesenheiten, die erst nach und nach ihre Wirkung auf die Erde
ausdehnen, wie auch der Christus erst im Laufe der Zeit
seinen Einfluß auf die Erde hat geltend machen
können. Aber mit der Sonnentrennung war noch etwas
anderes verbunden. Da müssen wir uns an etwas erinnern,
was auch schon wiederholt ausgeführt worden ist: daß
das alte Saturndasein ein verhältnismäßig
einfaches war in bezug auf Substantialität. Es war ein
Dasein in Feuer oder Wärme. Auf dem alten Saturn gab es
noch nicht Luft und Wasser, aber auch noch nicht den
Lichtäther. Das trat erst während des Sonnendaseins
auf. Dann kam während des Mondendaseins als weiterer
Verdichtungszustand das Wässerige und als weiterer
Verfeinerungszustand der Tonoder Klangäther hinzu.
Und während des Erdendaseins kam das Feste, der erdige
Zustand als Verdichtungszustand hinzu und als
Verdünnungszustand das, was wir den Lebensäther
nennen. So haben wir also auf der Erde Wärme, Luft oder
Gasförmiges, Wässeriges oder Flüssiges und den
festen oder erdigen Zustand und als Verdünnungs-
zustände, Lichtäther, Ton- oder Klangäther und
Lebensäther, den feinsten Ätherzustand, den wir
kennen.
Nun
hat sich mit der Sonnentrennung nicht nur das Materielle der
Sonne herausbewegt aus der Erde, sondern damit war zu gleicher
Zeit das Geistige fortgegangen. Es kam nach und nach erst
wieder zurück auf die Erde, aber es kam nicht
vollständig zurück. Das habe ich schon in
München bei der Betrachtung des
«Sechstagewerkes» auseinandergesetzt, daher will ich
es hier nur kurz erwähnen. Von den höheren, gleichsam
ätherischen Zuständen nimmt der Mensch auf der Erde
die Wärme wahr, den Wärmeäther, und allenfalls
noch das Licht. Was er als Ton wahrnimmt, ist nur ein Abglanz
des eigentlichen Tones, der im Äther ist; das ist
eine Vermaterialisierung. Wenn man von Klangäther spricht,
meint man den Träger dessen, was bekannt ist als
Sphärenharmonie, was nur hellhörerisch zu hören
ist. Die Sonne sendet zwar, wie sie jetzt physisch ist, der
Erde ihr Licht zu, aber in der Sonne lebt auch dieser
höhere Zustand.
Schon öfter wurde gesagt: Es ist nicht ein leeres Wort,
wenn Leute, die das wissen, dann etwa sprechen wie
Goethe:
«Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.»
Daist hingewiesen auf die Sphärenharmonie, auf das, was im
Klangäther lebt. Das kann aber der Mensch nur
erleben, wenn er sich durch die Initiation hinaufarbeitet, oder
wenn ein Sonnenwesen heruntersteigt, um es irgendeinem
Menschen, der ausersehen wird zu einem Instrument der
Entwickelung für die anderen Menschen, mitzuteilen.
Für einen solchen Menschen beginnt die Sonne zu
tönen, beginnen die Sphärenharmonien hörbar zu
werden. - Und über dem Klangäther liegt noch der
Lebensäther. Und wie dem bloßen Ton als höherer
Inhalt, als Inneres, Seelenhafteres noch zugrunde liegt
das Wort, der Klang oder Sinn, so ist auch mit dem
Lebensäther verbunden Sinn, Wort, dasselbe, was man im
späteren Persischen «Honover» genannt hat, und
was der Johannes-Evangelist den «Logos» nennt, als
sinnvollen Ton, der dem Sonnenwesen eigen ist.
Zu
jenen Begnadeten, die im Laufe der Zeit dieser tönenden
Sonne, dieser sprechenden Sonne mit ihren Wesenheiten nicht
bloß sozusagen taub gegenüberstanden, gehörte in
frühen Zeiten unserer nachatlantischen Entwickelung
eben Zarathustra. Und es ist nicht ein bloßer Mythos,
sondern eine buchstäbliche Wahrheit, daß auch
Zarathustra seinen Unterricht empfangen hat durch das
Sonnenwort. Er war fähig geworden, dieses Sonnenwort
aufzunehmen. Und jene überwältigenden,
majestätischen Lehren, die der alte Zarathustra seinen
Schülern gegeben hat, was waren sie im Grunde genommen?
Sie waren das, was man so bezeichnen kann: Zarathustra war ein
Werkzeug, und durch ihn tönte hindurch der Klang, der Sinn
des Sonnenwortes selber. Daher spricht die persische Legende
von dem Sonnenwort, das sich verkündet durch den Mund des
Zarathustra, von dem geheimnisvollen Wort, das hinter dem
Sonnendasein steckt. So spricht sie, wenn sie vom astralischen
Leib der Sonne spricht, von Ahura Mazdao; aber sie spricht auch
von dem Sonnenwort, das man dann in der griechischen
Übersetzung den Logos genannt hat.
Wenn wir auf den alten Zarathustra blicken, sehen wir an ihm,
daß selbst eine so hohe Persönlichkeit noch nicht in
jenen alten Zeiten so initiiert war, um bewußt
aufzunehmen, was da zum Menschen sprechen sollte,
daß eine solche Persönlichkeit gleichsam durchseelt
war von einem Höheren, zu dem sie sich noch nicht
hinaufentwickelt hatte. Zarathustra konnte lehren von Ahura
Mazdao, weil sich ihm die Sonnenaura enthüllte, weil die
geistige Wesenheit Ahura Mazdao in ihm tönte, weil durch
ihn sprach das Sonnenwort, die Große Aura, das
Weltenlicht. Es war gleichsam das äußere
Körperliche des Sonnengottes, der zu dem Menschen
seine Wirkungen voraussandte, schon vorhanden, als sie ihn noch
nicht auf der Erde selber hatten. Und das Sonnenwort war dann
mehr das Innerliche. - So könnte man etwa im Sinne des
Zarathustra sagen, er lehrte die, welche seine Jünger
waren: Ihr müßt euch klar sein, daß hinter dem
physischen Sonnenlichte ein geistiges Licht ist. Wie
hinter dem physischen Menschen sein Astralisches, die Aura ist,
so ist hinter der Sonne die Große Aura. Diese physische
Sonne ist aber gleichsam als der Lichrieib eines Wesens
anzusehen, das einst auf die Erde herabkommen wird; es ist
gewissermaßen das äußere Leibliche, das
man durch hellseherische Anschauung kennenlernt, und in
diesem Leiblichen ist noch ein Inneres, Seelisches darinnen. So
wie durch den Ton ein Seelisches sich ausdrückt, so
dringt durch das Mittel der Sonnenaura das Sonnenwort, der
Sonnenlogos. Und das konnte Zarathustra der Menschheit
versprechen : daß kommen werde einst aus den
göttlich-geistigen Sphären die Große Aura,
das Lichtwesen, und daß die Seele des Lichtwesens
das Sonnenwort sein werde. Das ist etwas, was wir - als in der
Quelle - zuerst bei dem alten Zarathustra zu suchen haben. Wie
eine Prophetenweisheit vom Kommen der Sonnenaura und des
Sonnenwortes haben wir es bei Zarathustra zu suchen.
Und
nun hat es fortgelebt von Epoche zu Epoche in den Mysterien,
daß der Menschheit prophezeit ist das Kommen des
Sonnenlogos, des Sonnenwortes. Und immerdar war das der
große Trost und die Hoffnung derjenigen, die
innerhalb der Menschheitsentwickelung sich sehnten nach
Höherem. Und immer genauere Lehren konnten die kleineren
Sonnengeister geben, die sich mit der Erde vereinigten, und die
im Grunde genommen Abgesandte waren vom Sonnenwort, vom Geiste
des Sonnenlichtes, von der Sonnenaura.
Das
war die eine Seite der Mysterientradition, wie sie durch die
Epochen ging. Das andere war, daß die Menschen
lernen und auch in der Praxis üben sollten, daß man
entgegenwachsen kann dem, was da heruntersteigt auf die Erde.
Aber es war in der vorchristlichen Zeit noch nicht so, daß
man den Glauben haben konnte, der Mensch könne ohne
weiteres als ein schwacher einzelner Mensch entgegenwachsen dem
größten Sonnenwesen, dem Führer der
Sonnengeister, dem Christus. Das war nicht möglich,
daß ein einzelner Mensch durch irgendeine Initiation
das erreichen konnte. Daher schildert das
MatthäusEvangelium, wie gleichsam alle Säfte
des hebräischen Volkes aufgerufen worden sind, um
einen solchen Menschen zustande zu bringen. Und auf der anderen
Seite wird im Lukas-Evangelium durch die siebenundsiebzig
Stufenfolgen dargestellt, wie das Beste, was überhaupt der
Erdenmensch sein konnte, gleichsam filtriert wurde, um dem
größten Wesen, das auf die Erde heruntersteigen
sollte, den entsprechenden Leib entgegenwachsen zu
lassen.
Nun
war es in den Mysterien so, daß man es natürlich bei
denen, welche man zu lehren hatte, auf die man wirken sollte,
sozusagen mit schwachen Menschen zu tun hatte, daß man es
keineswegs etwa überall mit solchen Menschen zu tun hatte,
die den ganzen Umfang dessen sich aneignen konnten, was der
Menschheit bevorsteht, oder was ein einzelner Mensch durch
seine Evolution erreichen kann. Daher gliederten sich in
den alten Mysterien die, welche in die
Mysteriengeheimnisse eingeweiht werden sollten, in
gewisse Klassen, die in der verschiedensten Weise herantreten
sollten an die Geheimnisse. Es gab solche, die sozusagen in
besonderer Weise darauf hingewiesen wurden, wie mehr der
äußere Mensch leben müsse, was der
äußere Mensch vollbringen müsse, damit er ein
geeignetes Instrument, ein Tempel der herabsteigenden
Sonnenwesenheit sein kann. Aber auch solche Schüler der
Mysterien gab es, die man mehr darauf aufmerksam machen
mußte, was die Seele ganz still in sich entwickeln
müsse, wenn sie zum Verständnis, zum Fühlen und
Erleben eines Sonnengeistes kommen wollte. Können
Sie sich vorstellen, daß es natürlich war, daß
es in den Mysterien Schüler gab, welche sozusagen die
Aufgabe hatten, ihr äußerliches Leben in der
Weise einzurichten, und auf die dementsprechend achtgegeben
wurde von früher Kindheit an, daß ihr Leib eine
solche Entwickelung nahm, daß sie Träger, Tempel
werden konnten für einen herabsteigenden Sonnengeist? Das
war in den alten Zeiten der Fall, und es ist im Grunde genommen
auch in den neueren Zeiten so, nur merkt man es nicht innerhalb
der äußeren materialistischen Weltanschauungen.
Nehmen wir an, es kommt die Zeit, wo heruntersteigen soll ein
höheres Wesen aus geistigen Sphären, um der
Menschheit wieder einen Ruck vorwärts zu geben.
Diejenigen, die in den Mysterien dienen, haben
abzuwarten, wann ein solcher Zeitpunkt eintritt; sie haben ja
die Aufgabe, die Zeichen der Zeit zu deuten. In aller Ruhe und
Entsagung und ohne viel Aufhebens zu machen, haben sie
abzuwarten den Zeitpunkt, wo ein Gott aus Himmelshöhen
heruntersteigt, um der Menschheit einen Ruck vorwärts zu
geben. Es ist aber auch ihre Aufgabe, achtzugeben auf die
äußere Menschheit, damit sich irgendeine
Persönlichkeit finde, die gelenkt und geleitet werden
kann, damit sie geeignet ist, eine solche Wesenheit
aufzunehmen. Wenn nun das Wesen, das heruntersteigen
soll, ein ganz besonders hohes ist, so muß im Grunde
genommen von der frühesten Kindheit an ein solcher Mensch
geleitet werden, der der Tempel sein soll für ein solches
Wesen. Das geschieht auch, nur merkt man es nicht. Nur
hinterher, wenn man das Leben solcher Menschen beschreibt,
findet man darin gewisse Regelmäßigkeiten. Wenn sich
auch in bezug auf die Außenseite ihre
Lebensverhältnisse in verschiedener Weise darstellen, so
haben sie doch eine gewisse Gleichheit. Daher kann man
angeben: Wenn wir den Blick zurückwenden in den Lauf der
Menschheitsentwickelung, finden wir da und dort
Wesenheiten, die einen gewissen gleichförmigen Gang
selbst in bezug auf die äußere Biographie haben. Das
ist gar nicht zu leugnen. Das ist auch den Forschern der
neueren Zeit aufgefallen. Und Sie können in
gebräuchlichen, aber nicht sehr tiefgründigen
gelehrten Werken Tabellen finden über Ähnlichkeiten
der Biographien solcher Persönlichkeiten. So können
Sie zum Beispiel bei Professor Jensen, Marburg,
zusammengestellt finden Ähnlichkeiten in bezug auf die
Biographien des altbabylonischen Gilgamesch, des Moses,
des Jesus, des Paulus. Da stellt er ganz hübsche Tabellen
auf. Er nimmt gewisse Züge aus dem Leben jeder dieser
Persönlichkeiten heraus - diese einzelnen Züge kann
man ganz gut gegenüberstellen und es ergeben sich dabei
ganz wunderbar merkwürdige Ähnlichkeiten,
Ähnlichkeiten, vor denen wirklich unser materialistischer
Sinn ganz verblüfft ist. Die Schlußfolgerung, die
daraus gezogen ist, ist natürlich die, daß eine Mythe
von der anderen abgeschrieben ist, daß der Schreiber des
Jesuslebens abgeschrieben hat aus der Biographie des
altbabylonischen Gilgamesch, daß die Moses-Biographie nur
der Abklatsch eines alten Epos ist. Und die letzte
Schlußfolgerung ist dann die, daß keiner von
allen, weder Moses noch Jesus noch Paulus, als physische
Persönlichkeit existiert habe! Gewöhnlich ahnen die
Menschen gar nicht, wie weit heute die sogenannte
Forschung ist in bezug auf diese materialistische
Ausdeutung der Sache.
Diese Gleichheit in den Biographien rührt aus keinem
anderen Umstände her als aus dem, daß
tatsächlich solche Persönlichkeiten, die ein
Gotteswesen aufnehmen sollen, gleich in der Kindheit schon
geführt, gelenkt werden müssen. Und wir brauchen uns
darüber gar nicht zu wundern, wenn wir den tieferen Gang
der Menschheits- und Weltentwickelung einsehen. Daher ist
also nicht nur die vergleichende Mythologie, sondern auch
alles Schwelgen in bezug auf ein Herauspressen von
Ähnlichkeiten aus den Mythen im Grunde genommen doch nur
eine höhere Spielerei. Es kommt dabei nichts heraus. Denn,
was nützt es, festzustellen, daß das deutsche
Siegfried-Leben und irgendein griechisches oder sonstiges
Heldenleben gleiche Züge aufweisen? Es ist
selbstverständlich, daß sie gleiche Züge
aufweisen. Es kommt gar nicht darauf an, wie die Gewänder
ausschauen, sondern wer darinnen steckt! Nicht darauf
kommt es an, daß das Siegfried-Leben so und so
verläuft, sondern welche Individualität da drinnen
ist. Diese Dinge aber können nur durch okkulte Forschung
festgestellt werden.
Was
wir also hierbei betrachten müssen, das ist, daß
solche Menschen, die zum Tempel gemacht werden sollen
für ein die Menschheit höher bringendes Wesen, in
ihrem Leben in bestimmter Weise geführt werden, und
daß sie daher einen in gewisser Beziehung
ähnlichen, parallelgehenden Gang in bezug auf die
Grundzüge ihres Lebens aufweisen müssen. Seit
uralten Zeiten gab es deshalb in den Mysterientempeln
immer Vorschriften, was mit solchen Menschen zu geschehen
hat. Und unter diesen Vorschriften waren auch in den
Essäer- gemeinden solche vorhanden mit Bezug auf den
Christus Jesus: wie die Menschenwesen sein müßten,
die dann als der salomonische und der nathanische Jesus dem
hohen Sonnenwesen, dem Christus, ent-Aber es waren nicht alle
in alles eingeweiht. Es gab verschiedene Klassen, Arten von
Eingeweihten. So gab es solche, welchen insbesondere klar
war, was ein Menschenwesen, das dem Gotte entgegenwachsen
sollte, durchzumachen hatte, damit es würdig sein konnte,
um den Gott aufzunehmen. Und andere gab es, denen bekannt war,
wie sich der Gott verhält, wenn er sich in einem Menschen
zeigt, trivial gesprochen, wenn er sich sozusagen als Genie
zeigt. Denn das sehen heute auch die Menschen nicht ein,
daß die Genien auch etwas ganz Ähnliches zeigen, wenn
sie vom Menschen Besitz ergreifen. Aber heute schreibt man ja
auch nicht Biographien vom Geiste aus. Denn wenn man etwa den
Genius von Goethe vom Geistigen aus beschreiben wollte,
würde man eine merkwürdige Ähnlichkeit finden
zum Beispiel mit dem Genius Dantes, Homers, Äschylos'.
Heute schreibt man aber nicht Biographien vom Geistigen aus,
sondern man legt Zettelkästen an, die die Kleinigkeiten in
bezug auf das äußere Leben solcher Menschen
bezeichnen. Das interessiert die Menschen viel mehr. Und so
haben wir heute eine ausgiebige Zettelsammlung in bezug auf das
Leben Goethes und noch keine wirkliche Darstellung dessen, was
Goethe eigentlich war. Ja, die Menschheit erklärt sich
heute in gewisser Beziehung, und tatsächlich mit einem
riesigen Hochmute, unfähig dazu, die Evolution des
Genies in der menschlichen Persönlichkeit zu verfolgen,
und es gibt heute das Bestreben, sagen wir, die allerersten
Jugendgestalten einer Dichtung bei unseren großen
Dichtern so recht ins Licht zu zerren und besonders groß
damit zu tun, daß in diesen Jugendgestalten die Frische
und Ursprünglichkeit als etwas Elementares lebt,
während in späteren Jahren die Menschen es
verloren hätten und alt geworden wären. Aber die
wirkliche Tatsache, die dahintersteckt, ist die, daß die
Menschen in ihrem Übermut nur die jugendlichen
Dichter verstehen wollen und nicht mitgehen wollen mit
dem, was die Dichter durchgemacht haben. Die Menschen tun sich
ungeheuer viel darauf zugute, daß sie bei der Jugend
stehenbleiben; den Alten verachten sie und ahnen gar nicht,
daß nicht der Alte «alt» geworden ist, sondern
daß sie selbst nur Kinder geblieben sind! Das ist
ein weitverbreitetes Übel. Aber da es so tief
eingewurzelt ist, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn
so wenig Verständnis dafür vorhanden ist, daß
ein Gotteswesen Besitz ergreifen kann von einer
menschlichen Persönlichkeit, und daß das
SichAusleben solcher Gotteswesen in den verschiedenen
Menschenwesen in den verschiedenen Zeiten im Grunde genommen
doch ein gleiches ist.
Weil viel dazu gehört, diese tiefen Zusammenhänge zu
kennen, verteilte man eben diese Gebiete auf Klassen.
Daher dürfen wir uns nicht wundern, daß in gewissen
Abteilungen der Mysterien gelehrt worden ist, wie der Mensch
sich vorbereitet, um hinaufzuwachsen zum Gotteswesen,
während in anderen Klassen gelehrt wurde, wie
herunterwächst das in der Aura des Sonnenwesens
enthaltene Innere des Lichtwesens, der Logos, das
Sonnenwort.
In
dem Christus haben wir also das Herunterwachsen auf die aller-
komplizierteste Art. Und wir dürften uns gar nicht
wundern, wenn noch mehr als vier dazu nötig gewesen
wären, um diese große, gewaltige Tatsache zu
verstehen. Aber vier bemühten sich darum. Zwei, die
Schreiber des Matthäus- und des Lukas-Evangeliums,
bemühten sich darzustellen, wie die
Persönlichkeit war, die dem herabkommenden
Sonnenwesen entgegenwuchs, Matthäus in bezug auf den
physischen Leib und Ätherleib, Lukas in bezug auf den
astralischen Leib und Ich-Träger. Markus dagegen
kümmert sich nicht um das, was dem Sonnenwesen
entgegenwuchs. Er schildert die Sonnenaura, die Große
Aura, den Lichtleib, das geistige Licht, das durch die
Weltenräume wirkt, und das hereinwirkt in die
Gestalt des Christus Jesus. Er beginnt daher gleich mit der
Johannes-Taufe, wo heruntersteigt das Weltenlicht. Und im
Johannes-Evangelium wird uns die Seele dieses
Sonnengeistes geschildert, der Logos, das Sonnenwort, das
Innere. Daher ist das Johannes-Evangelium auch das innerlichste
der Evangelien.
So
haben Sie die Tatsachen verteilt und die komplizierte Wesenheit
des Christus Jesus von vier Seiten her geschildert. Daher
schildern uns den Christus in dem Jesus von Nazareth alle vier
Evangelisten. Aber ein jeder dieser vier Schreiber der
Evangelien ist gewissermaßen gezwungen, sich an seinen
Ausgangspunkt zu halten; denn davon hat er seinen
hellseherischen Blick erlangt, um diese komplizierte
Wesenheit überhaupt beschreiben zu können. -
Halten wir uns das noch einmal vor Augen, damit es uns wirklich
in die Seele dringe.
Matthäus ist gezwungen, den Blick hinzurichten auf die
Geburt des salomonischen Jesus und zu verfolgen, wie die
Kräfte des physischen Leibes und Ätherleibes
zubereitet werden, wie dann diese Hüllen von Zarathustra
abgeworfen werden und wie von ihm hinübergetragen wird in
den Jesus des Lukas-Evangeliums, was er sich errungen hat im
physischen Leibe und Ätherleibe des salomonischen Jesus.
Da muß dann der Schreiber des Matthäus-Evangeliums
verfolgen, was er anfangs nicht dargestellt hat. Aber er
verfolgt hauptsächlich das, wovon er den Anfang
genommen hat: die Schicksale dessen, was
hinübergegangen ist vom salomonischen Jesus an
Errungenschaften und Konsequenzen in den nathanischen Jesus. Er
richtet weniger den Blick auf das Elementarische im
astralischen Leib und Ich-Träger des LukasJesus, als
vielmehr auf das, was aus seinem Jesus hinübergegangen
war. Und als er das Sonnenwesen schildert, das heruntergekommen
ist, da ist er wieder vorzugsweise auf das bedacht, was der
Jesus an Fähigkeiten nur dadurch haben konnte, daß er
den physischen Leib und Ätherleib hatte ausbilden
können in dem salomonischen Jesus, Das war natürlich
auch noch an dem Christus zu bemerken; denn diese
Fähigkeiten waren da, und diesen Teil des Christus Jesus,
den er zuerst in Aussicht genommen hat, verfolgt er mit
besonderer Genauigkeit, weil das für ihn wichtig
war.
Der
Schreiber des Markus-Evangeliums richtet von Anfang an den
Blick auf den vom Himmel herunterkommenden Sonnengeist. Er
verfolgt kein irdisches Wesen; sondern, was da im
physischen Leibe wandelte, ist ihm nur das Mittel, um
darzustellen, was als der Sonnengeist darin gewirkt hat.
Er macht daher auf die Tatsachen aufmerksam, die er verfolgen
kann, nämlich, wie die Kräfte des Sonnengeistes
wirken. Daher stellt sich manches als gleich heraus bei
Matthäus und Markus; aber sie haben beide verschiedene
Gesichtspunkte. Matthäus schildert mehr den
Hüllencharakter und macht besonders aufmerksam, wie
sich in späteren Jahren die Eigenschaften zeigen, welche
schon in den ersten Jahren aufgenommen waren; und er beschreibt
es auch so, daß man sieht, wie diese Eigenschaften
besonders wirken.
Der
Schreiber des Markus-Evangeliums dagegen benützt
förmlich den physisch herumwandelnden Jesus nur, um das zu
zeigen, was der Sonnengeist auf der Erde wirken kann. Das geht
bis in die Einzelheiten. Wenn Sie die Evangelien wirklich
verstehen wollen bis in alle ihre Einzelheiten, so müssen
Sie berücksichtigen, daß der Blick der
Evangelisten stets auf das gerichtet ist, worauf sie ihn
von Anfang an gerichtet haben.
Der
Schreiber des Lukas-Evangeliums wird daher besonders im Auge
behalten, was ihm wichtig ist: den astralischen Leib und den
Ich-Träger, was also diese Wesenheit nicht erlebt als
äußere physische Persönlichkeit, sondern als
Astralleib, der Träger ist von Gefühlen und
Empfindungen. Von schöpferischen Fähigkeiten ist ja
auch der Astralleib der Träger. Alles Mitleid, alle
Barmherzigkeit fließen aus vom Astralleib, und der
Christus Jesus konnte gerade jenes barmherzige Wesen sein, weil
er den astralischen Leib des nathanischen Jesus hatte. Daher
richtet Lukas von Anfang an den Bück auf alle
Barmherzigkeit, auf alles, was der Christus Jesus wirken
kann, weil er gerade diesen astralischen Leib in sich
trägt.
Und
der Schreiber des Johannes-Evangeliums richtet seinen Blick
darauf, daß das Höchste, was auf der Erde wirksam
werden kann, das Innere des Sonnengeistes, durch das Mittel des
Jesus heruntergetragen wird. Ihn geht auch wieder
zunächst nicht das physische Leben an, sondern er hat den
Blick auf das Höchste gerichtet, auf den reinen
Sonnenlogos, und der physische Jesus ist ihm nur Mittel, um zu
verfolgen, wie sich der Sonnenlogos in der Menschheit
verhält. Und worauf sein Blick von Anfang an
gerichtet war, darauf hat er ihn dann immer gerichtet.
Wir
blicken als schlafende Menschen auf unsere äußeren
Hüllen, auf den physischen Leib und Ätherleib. In
diesen beiden Gliedern leben alle die Kräfte, die
von göttlich-geistigen Wesenheiten herkommen, die
durch Jahrmillionen und Jahrmillionen gearbeitet haben, um
diesen Tempel des physischen Leibes herzustellen. In diesem
Tempel haben wir seit der lemurischen Zeit gelebt und haben ihn
immer mehr und mehr verschlechtert. Aber ursprünglich ist
er uns zugekommen durch die Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit
hindurch. Da lebten und webten göttliche Naturen darinnen.
Und wenn wir auf unseren physischen Leib blicken,
können wir sagen: Er ist ein Tempel, den uns
zubereitet haben die Götter, jene Götter, die
aus der festen Materie uns diesen Tempel haben bereiten wollen.
- Und in unserem Ätherleib haben wir etwas vor uns, was
allerdings die feineren Substantialitäten der
Menschenwesenheit enthält, nur kann sie der Mensch deshalb
nicht sehen, weil er durch die luziferischen und ahrimanischen
Einflüsse nicht fähig ist, sie zu sehen. In diesem
Ätherleib lebt auch, was der Sonne angehört. Da
tönt herein, was als die Sphärenharmonie tätig
war, dasjenige, was hinter dem bloßen Physischen
wahrnehmbar von den Göttern ist. Daher können wir von
ihm sagen: Im Ätherleibe leben hohe Götter, und
gerade solche, die verwandt sind den Sonnengöttern.
- So blicken wir auf physischen Leib und Ätherleib als auf
die vollkommensten Glieder unserer Wesenheit. Wenn wir sie im
Schlafe verlassen haben, wenn sie von uns gefallen sind, sind
sie so, wie sie durchwirkt und durchwebt werden von
göttlichen Wesenheiten.
Auf
den physischen Leib, auf den er von Anfang an sein
Hauptaugenmerk gerichtet hatte, mußte der Schreiber
des Matthäus-Evangeliums beim Christus Jesus auch
weiter sein Hauptaugenmerk richten. Aber der materielle
physische Leib war gar nicht mehr vorhanden, denn der war
mit dem zwölften Jahre aufgegeben. Doch das
Göttliche, die Kräfte waren mit hinübergegangen
in den anderen physischen Leib des nathanischen Jesus. Daher
war dieser physische Leib des Jesus von Nazareth so vollkommen,
weil er seinen Leib durchsetzt hatte mit den Kräften, die
er aus dem Leibe des salomonischen Jesus mitgenommen
hatte. Nun stellen wir uns vor, wie der Schreiber des
Matthäus-Evangeliums hinlenkt den Blick auf den
sterbenden Jesus am Kreuz. Immer hat er den Blick auf das
gerichtet, was er ganz besonders zu verfolgen hat, auf das, was
er von Anfang an als seinen Ausgangspunkt genommen hat. Das
Geistige verläßt nun den physischen Leib und damit
auch dasjenige, was als Göttliches mitgenommen
worden war. Auf die Trennung des Inneren des Christus Jesus von
diesem Göttlichen in der physischen Natur, darauf hat der
Schreiber des Matthäus-Evangeliums den Blick gerichtet.
Und die alten Mysterienworte, die da lauteten immer, wenn die
geistige Natur des Menschen heraustrat aus dem physischen Leib,
um schauen zu können in der geistigen Welt: Mein Gott,
mein Gott, wie hast du mich verherrlicht! - er ändert sie
dahin, daß er sagt, hinschauend auf den physischen Leib:
«Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»
(Matth. 27,46) Du bist von mir weg, hast mich aufgegeben
in diesem Moment. - Und der Schreiber des
Matthäus-Evangeliums hat auf diesen Moment, auf
dieses «verlassen» sein Hauptaugenmerk
gerichtet.
Aber der Schreiber des Markus-Evangeliums schildert, wie die
äußeren Kräfte der Sonnenaura herankommen, wie
die Sonnenaura, der Leib des Sonnenwesens sich verbindet mit
dem Ätherleib. Der Ätherleib ist in derselben Lage
wie bei uns der Ätherleib im Schlafe. Wie bei uns im
Schlafzustande die äußeren Kräfte mit
hinausgehen, so gingen sie bei dem physischen Jesus-Tode in
gleicher Weise mit. Daher das gleiche Wort im Markus-Evangelium
(Mark. 15,34).
Der
Schreiber des Lukas-Evangeliums richtet auch bei dem
Christus Jesus-Tode seinen Blick auf das, worauf er ihn
von Anfang an gerichtet hat: auf astralischen Leib und
Ich-Träger. Und er sagt uns daher nicht dieselben
Worte. Er richtet auf die anderen Tatsachen sein
Hauptaugenmerk, die sich auf den astralischen Leib beziehen,
der in diesem Augenblick die höchste Entfaltung erlebt von
Barmherzigkeit, von Liebe. Und er verzeichnet daher die Worte:
«Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie
tun!» (Luk. 23,34) Das ist ein Liebeswort, das
allein herauskommen kann aus dem astralischen Leibe, auf den
der Schreiber des Lukas-Evangeliums von Anfang an
hingewiesen hat. Und was herauskommen kann an Demut und
Ergebenheit, das kommt im höchsten Grade heraus aus diesem
astralischen Leib, auf den Lukas bis zuletzt seinen Blick
richtet. Daher seine Schlußworte: «Vater, in deine
Hände befehle ich meinen Geist!» (Luk. 23,46.)
Und
Johannes schildert das, was zwar von der Erde genommen ist, was
aber von dem Menschen in der Erdenordnung verwirklicht
werden soll: den Sinn der Erdenordnung, der im Sonnenwort
liegt. Er hat daher sein Hauptaugenmerk auf das gerichtet, was
sich auf Golgatha vom Kreuz herab vollzieht als das Ordnende.
Er beschreibt uns, wie in diesem Moment der Christus eine
höhere Bruderschaft anordnet, als die ist, die sich auf
Blutsverwandtschaft gründet. Die früheren
Bruderschaften bestanden durch das Blut. Maria ist die
Mutter, die als die Blutsmutter das Kind hatte. Was Seele mit
Seele in Liebe vereinigen soll, das wird durch den Christus
Jesus angeordnet. Dem Schüler, den er lieb hatte, gibt er
nicht die Blutsmutter, sondern er gibt ihm im Geiste die eigene
Mutter. So alte Bande erneuernd, was der Menschheit
ursprünglich verlorengegangen war, klingt es herunter vom
Kreuz im neuen Sinne: «Das ist dein Sohn!» und
«Das ist deine Mutter!» (Joh. 19,26-27) Was so
als ordnender Sinn neue Gemeinschaften stiftete, das ist
das, was als der Sinn des Lebensäthers, der das Leben
ordnet, durch die Christus-Tat in die Erde einströmt.
So
haben wir die eine Tatsache, die Christus-Tatsache, hinter
alledem, was die Evangelisten schildern. Aber jeder
schildert von dem Gesichtspunkte aus, den er von Anfang an
eingenommen hat, weil eines jeden Evangelisten Sinn in der
Weise in Anspruch genommen war, daß er den hellseherischen
Blick auf das richten mußte, wozu er vorbereitet war; und
da überhörte er das andere. Daher müssen wir uns
sagen: Dieses umfassende Ereignis erscheint uns nicht dadurch
widerspruchsvoll, daß es von vier Seiten geschildert ist,
sondern wir lernen es dadurch erst kennen, daß wir die
vier verschiedenen Seiten zusammenzufassen vermögen. Und
wir finden es dann auch durchaus natürlich, warum das
Bekenntniswort des Petrus, auf das wir gestern hingewiesen
haben, nur im Matthäus-Evangelium stehen kann und warum es
nicht in den anderen Evangelien steht. Markus schildert den
Christus als Sonnenkraft, als die universelle kosmische Kraft,
die da wirkte - nur in einer neuen Weise - in die Erde herein.
Also die majestätische Kraft der Sonnenaura in ihren
elementarischen Wirkungen schildert Markus. Und das
Lukas-Evangelium schildert, indem es das Innere des Christus
Jesus schildert, den astralischen Leib vorzugsweise, die
einzelne menschliche Individualität, wie der Mensch
für sich lebt. Denn im Astralleib lebt der Mensch für
sich, da hat er seine eigene, tiefste Eigenheit, da wächst
er in sich selber. In bezug auf den astralischen Leib ist der
Mensch zunächst nicht gemeindebildend; die
gemeindebildende Kraft, wodurch der Mensch mit anderen Menschen
in Beziehung tritt, ist im Ätherleib. Lukas hat daher
keine Gelegenheit, keine Veranlassung, von irgendeiner zu
gründenden Gemeinschaft zu reden. Und der Schilderer
der Ich-Wesenheit, der Schreiber des Johannes-Evangeliums erst
recht nicht.
Dagegen hat der Schreiber des Matthäus-Evangeliums, der
uns den Christus Jesus als Menschen schildert, ganz besondere
Veranlassung, auch diejenigen Verhältnisse zu schildern,
die sich als die menschlichen Ereignisse dessen
herausstellen, daß einmal der Gott in Menschengestalt
gewandelt ist. Was da der Gott als Mensch unter Menschen hat
stiften können, als Verhältnisse unter Menschen, die
man als Gemeinde, als eine zusammengehörige Ganzheit
bezeichnen kann, das mußte der Evangelist besonders
schildern, der den Christus Jesus in seiner menschlichsten
Wesenheit schildert, weil er seinen Blick von Anfang an darauf
gerichtet hat, wie der Christus als Mensch wirkt durch das, was
er nimmt aus dem physischen Leib und Ätherleib. So werden
wir es, wenn wir inneres Verständnis dafür haben,
auch natürlich finden, daß diese viel
angefochtenen Worte nur im MatthäusEvangelium
vorkommen: «Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich
bauen meine Gemeinde» (Matth. 16,18). Und wenn wir die
vielen Diskussionen der heutigen Theologen der verschiedensten
Schattierungen in bezug auf diese Worte des
Matthäus-Evangeliums überblik- ken, finden wir
eigentlich immer nur ganz eigentümliche, eigenartige
Gründe für die Annahme oder Ablehnung dieser Worte,
auf keiner Seite aber ein Verständnis für den
tieferen Sinn. Die, welche sie ablehnen, tun es, weil die
äußere Gemeinschaft der katholischen Kirche sie
vertritt, weil die äußere Einrichtung der
katholischen Kirche darauf begründet worden ist. Damit
können sie vielleicht mißbraucht werden ; aber
das ist kein Beweis dafür, daß sie erst zugunsten der
katholischen Kirche hineingeflochten sein sollen. Die,
welche sie bekämpfen, wissen im Grunde auch nichts
Besonderes dagegen vorzubringen, weil sie die
Verdrehungen nicht sehen. Da sind dann die Herren in einer ganz
merkwürdigen Lage. So schildert einer, das
MarkusEvangelium sei das ursprünglichste von allen
vier Evangelien; dann seien das Matthäus- und das
Lukas-Evangelium dazu gekommen, die von dem Markus-Evangelium
in einer gewissen Weise abgeschrieben und ergänzt worden
seien; und es wäre nun erklärlich, da der
Schreiber des Matthäus-Evangeliums abgeschrieben
habe, daß er Verschiedenes dazu geschrieben habe,
und ebenso der Schreiber des LukasEvangeliums. Dem
Schreiber des Matthäus-Evangeliums sei es besonders
eingefallen, weil er die Gemeinde stützen wollte, jene
Worte hineinzufügen: «Du bist Petrus, und auf diesen
Felsen will ich bauen meine Gemeinde.»
Allerdings manchen Worten gegenüber nützt da die
Textüberlieferung nicht, weil man an gewissen alten
Texten nicht nachweisen kann, daß diese oder jene Worte
darinnenstehen. Aber bei diesen Worten des
Matthäus-Evangeliums ist es nun so, daß sie zu dem
gesichertsten Gut der Evangelien gehören; denn hier haben
wir nicht einmal eine philologische Möglichkeit, sie zu
bezweifeln. Es sind manche Worte durch die wirklich recht
komplizierte Überlieferung zu bezweifeln; aber gegen
die Worte des Petrus-Bekenntnisses: «Du bist Christus, der
Sohn des lebendigen Gottes» und gegen die anderen Worte:
«Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen
meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht
überwältigen», dagegen läßt sich vom
Standpunkt einer Philologie nichts einwenden. Und Einwände
dagegen werden auch nicht gemacht. Es gibt nirgends einen Text,
von dem aus dagegen Einwendungen gemacht werden könnten.
Von den Texten, die in der neueren Zeit gefunden worden sind,
hätte man vielleicht hoffen können, daß sich
Einwendungen daraus ergeben; aber man kann gerade bei
diesen Texten die betreffende Stelle nicht lesen, weil jener
Teil sehr korrumpiert ist. So wenigstens ist das philologische
Ergebnis. Natürlich müssen Sie sich dabei auf das
verlassen, was diejenigen berichten, die diese Handschriften
gesehen haben.
So
können wir von dieser Stelle nicht einmal behaupten,
daß es eine andere Wiedergabe wäre. Diese Worte
gehören auch nach der äußeren Philologie zu dem
Gesichertsten, und wir begreifen gar wohl, warum sie dazu
gehören nach der ganzen Natur des
Matthäus-Evangeliums. Da sehen wir, wie der Christus
Jesus so recht als Mensch geschildert wird. Und wenn wir diesen
Schlüssel gewonnen haben, werden wir überall, wo wir
wollen, anklopfen können: wir werden das
Matthäus-Evangelium verstehen. Und wir werden auch die
Gleichnisse verstehen, welche der Christus Jesus zu seinen
Jüngern und auch zu den mehr Außenstehenden
spricht.
Wir
haben gestern gezeigt, wie sich der Mensch entwickelt von unten
nach oben, wie er hinaufwächst bis zur
Bewußtseinsseele, die in der Menschenwesenheit als
Blüte entfaltet wird, wie er so sich
hinaufentwickelt, daß ihm entgegenkommt der
Christus-Impuls. Was durch die fünf Kulturepochen gegeben
ist, Ätherleib, Astralleib, Empfindungsseele,
Verstandes- oder Gemütsseele, Bewußtseinsseele, diese
fünf Glieder der Menschennatur wachsen von unten herauf.
Sie kann der Mensch so benutzen, daß er sie ausbildet,
entwickelt, gebraucht so, daß sie in sich jenen Inhalt
haben, der es möglich macht, daß sie, wenn die Zeit
gekommen ist, von dem Christus-Impuls durchdrungen werden
können. Die Menschheit kann sich so entwickeln, daß
in der Zukunft alle Menschen des Christus teilhaftig werden
können. Aber sie müssen diese fünf Glieder von
unten nach oben in entsprechender Weise ausbilden. Wenn
sie das nicht tun, werden sie nicht reif werden, den Christus
zu empfangen. Wenn sie sich durch die verschiedenen
Inkarnationen nicht kümmern um diese Glieder, sie nicht
ausbilden, um den Christus zu empfangen, dann kann der Christus
kommen - sie können sich mit ihm nicht verbinden, sie
haben «kein Öl auf ihre Lampen gegossen»! Diese
fünf Glieder kann man auch ohne Öl lassen. Alle
diejenigen, die kein Öl auf ihre Lampen gegossen
haben, sind dargestellt durch ein schönes, wunderbares
Gleichnis in den «fünf törichten
Jungfrauen», die, weil sie nicht zur rechten Zeit ihre
Lampen mit Öl versorgt haben, sich nicht mit dem Christus
vereinigen können; die fünf aber, die das Öl
haben, können sich in der richtigen Stunde mit dem
Christus vereinigen (Matth. 25,1-13), Alle diese Gleichnisse,
die sich auf Zahlen begründen, sind tief
hineinleuchtend in jenen Impuls, den der Christus den
Menschen bringen konnte.
Und
weiter. Denjenigen, die von außen seine Lehre ansahen,
machte er klar, wie sie ja manches Äußere auch nicht
bloß materiell betrachten, nicht bloß nach dem, was
es unmittelbar ist, sondern als ein Zeichen für etwas
anderes. Er wollte sie hinweisen auf ihr eigenes Denken, auf
ihre eigene Art des Denkens. Er ließ sich eine Münze
geben, zeigte ihnen das Bild des Kaisers darauf, um sie
aufmerksam zu machen, daß mit der Münze noch etwas
Besonderes ausgedrückt wird, was nicht in dem bloßen
Metall liegt, nämlich die Zugehörigkeit zu
einer besonderen Herrschaft, zu einem bestimmten Herrscher.
«Was daran des Kaisers ist, das gebt dem Kaiser, das ist
des Kaisers», und das liegt im Bilde, nicht im Metall.
Aber lernt, wollte er sagen, auch so den Menschen betrachten
und, was an ihm ist, als den Träger und Tempel des
lebendigen Gottes. Betrachtet den Menschen nur so, wie ihr eine
Münze betrachtet; lernt in dem Menschen das Bild des
Gottes erblicken, dann werdet ihr erkennen, wie der Mensch zu
dem Gotte gehört (Matth. 22,15-22).
Alle diese Gleichnisse haben noch eine tiefere Seite als die
Trivialseite, die man gewöhnlich nimmt. Und man
findet die tiefere Seite, wenn man weiß, daß der
Christus nicht so Gleichnisse gebrauchte, wie sie heute in
unserer zeitungspapierenen Zeit so oft gebraucht werden.
Sondern der Christus gebraucht sie so, daß er sie
herausgebiert aus der ganzen Menschennatur, daß der
Mensch, wenn er sie ausdenkt, sie ausdehnt auf seine ganze
Natur, gezwungen sein würde, das, was er gewohnt ist
zu tun, überall so zu tun, wie es sich auf dem einzelnen
Gebiete gehört. Gerade so müßte man es dem
Menschen zeigen, wie er mit seinem Denken von dem einen auf das
andere Gebiet hinübergehen muß, wenn man ihm
zeigen wollte, wie etwas als unsinnig sich darstellen kann.
Als
zum Beispiel Leute zum erstenmal aufgetreten sind und allerlei
«Sonnenmythen» ausgedacht haben für Buddha,
für Christus und so weiter, da wurde es endlich einem zu
bunt. Und heute geschieht es ja wieder, daß man alle
solche Gestalten als «Sonnenmythen» darstellt.
Da sagte der Betreffende: Mit dieser Methode, daß man in
äußerlicher Weise Mythenbilder, Sternzeichen anwendet
auf dieses oder jenes große Ereignis, kann man alles
mögliche machen. Wenn jemand kommt und nachweist, daß
in der Bedeutung des ChristusLebens ein Sonnenmythos
liege, um daraus zu beweisen, daß der Christus Jesus nicht
gelebt habe, dann kann man auch mit dieser Methode beweisen,
daß es nie einen Napoleon gegeben hat. Und das kann man
auf die leichteste Art machen, indem man sagt: Napoleon hat den
Namen des Sonnengottes Apollon. Nun bedeutet ein «N»
vor dem Namen im Griechischen nicht eine Verneinung, sondern
eine Verstärkung; daher wäre Napoleon - N'Apollon -
sogar eine Art Über-Apollon. Dann kann man weitergehen und
eine merkwürdige Ähnlichkeit finden. Denken Sie
daran, was der Erfinder des nicht- existierenden Jesus, der
deutsche Philosophieprofessor Drews, herausfindet
als Ähnlichkeit solcher Namen wie Jesus, Joses, Jason und
so weiter. So kann man merkwürdige Namenanklänge
herausfinden zwischen der Mutter des Napoleon,
Lätitia, und der Mutter des Apollon, Leto. Man kann
weitergehen und sagen: Apollon, die Sonne, hat um sich
zwölf Sternbilder - Napoleon hatte um sich zwölf
Marschälle, die nichts weiter sein sollen als symbolische
Ausdrücke für die sich um die Sonne herumgliedernden
Tierkreisbilder. Aber nicht umsonst hat der Held des
Napoleon-Mythos gerade sechs Geschwister, so daß Napoleon
mit seinen Geschwistern zusammen sieben ergibt, wie auch die
Planeten sieben an der Zahl sind. Also hat Napoleon nicht
gelebt!
Das
ist eine sehr geistreiche Satire auf die symbolischen
Ausdeutungen, die heute eine so große Rolle spielen.
Die Menschen lernen ja im Grunde niemals; denn sonst
müßten sie wissen, daß nach derselben
Methode, die auch heute wieder angewendet wird, schon
längst gezeigt worden ist, daß zum Beispiel Napoleon
nie gelebt hat. Aber die Menschheit lernt nichts; denn nach
derselben Methode wird auch heute wieder bewiesen, daß
Jesus nie gelebt hat.
Diese Dinge also zeigen, daß es allerdings notwendig ist,
mit Vorbereitung, auch mit innerer Vorbereitung an das
heranzutreten, was uns die Evangelien erzählen von dem
größten Ereignis der Welt. Und wir müssen uns
auch darüber klar sein, daß hierin gerade Anthropo-
sophen recht leicht sündigen können. Auch die
anthroposophische Bewegung ist keineswegs frei gewesen von
jenem Spielen mit allerlei Symbolen, die aus den Sternenwelten
genommen sind. Ich wollte daher gerade in diesem
Vortragszyklus da, wo ich auch über die großen
Ereignisse in der Menschheitsentwickelung in bezug auf ihre
Darstellung in der Sternensprache gesprochen habe, zeigen, in
welch wirklich richtiger Weise die Sternensprache gebraucht
wurde, wo man die Zusammenhänge wirklich verstand.
Treten Sie mit solcher Vorbereitung heran an das, worauf sich
die Evangelien zuspitzen. Ich habe schon hingewiesen auf die
Taufe und auf die Lebens- und Todesgeschichte als auf die zwei
Etappen der Einweihung. Ich habe nur noch hinzuzufügen,
daß der Christus Jesus, nachdem er seine Jünger dahin
geführt hat, wo sie schauen konnten das Heraustreten des
innersten Menschenwesens in den Makrokosmos, wo sie durch den
Tod hindurch schauen konnten, daß er auch da nicht
vorführt eine Auferstehung in jenem trivialen Sinne, wie
es so vielfach verstanden wird. Sondern es ist durchaus im
Sinne des Matthäus-Evangeliums - nehmen Sie nur die
Worte und verstehen Sie sie wirklich, gerade wie es auch im
Johannes-Evangelium deutlich gezeigt wird -, daß das
Wort des Paulus wahr ist. Er hat den Christus als den
Auferstandenen gesehen durch das Ereignis von Damaskus, und er
betont es noch besonders, daß ihm dasselbe zuteil geworden
ist, was den anderen Brüdern, den Zwölfen und den
Fünfhundert, auf einmal zuteil geworden ist (l.Kor.
15,3-8). So, wie er den Christus gesehen hat, so haben
ihn die anderen nach der Auferstehung gesehen.
Das
wird uns hinlänglich angedeutet, indem erzählt wird
im Evangelium, daß Maria von Magdala, die den
Christus erst vor ein paar Tagen gesehen hat, ihn nach der
Auferstehung sieht und ihn für den Gärtner hält,
weil sie keine Ähnlichkeit mit ihm findet (Joh. 20,11-18).
Würde er wirklich so ausgesehen haben, wie er vor ein paar
Tagen ausgesehen hat, so wäre das ausgeschlossen; dann
wäre es eine abnorme Tatsache. Denn niemandem werden
Sie zutrauen, daß er einen anderen, den er vor einigen
Tagen gesehen hat, nach ein paar Tagen in derselben Gestalt
nicht wieder erkennen würde. Daher müssen wir uns
darüber klar sein, daß in der Tat eine
Veränderung vor sich gegangen ist. Und wenn wir die
Evangelien genau verfolgen, erscheint uns als ein notwendiges
Ergebnis, daß wir uns klar sind, daß durch die ganzen
Vorgänge in Palästina, durch das Mysterium von
Golgatha die Augen der Jünger aufgetan wurden und
daß sie den Christus so erkennen konnten, wie er war
als der die Welt durchwebende und durchwirkende Geist,
wie er war, nachdem er den physischen Leib der Erde
übergeben hatte, aber ebenso wirksam, wie er im physischen
Leibe war, jetzt für die Erde verblieb.
Das
zeigt auch das Matthäus-Evangelium hinlänglich, sogar
mit den bedeutsamsten Worten, die wir vielleicht überhaupt
in einer Urkunde finden können. Es zeigt uns ganz klar,
daß darauf hingewiesen werden sollte: Einmal war da
der Christus in einem physischen Menschenleib; aber
dieses Ereignis ist nicht bloß ein Ereignis, es ist eine
Ursache, ein Impuls. Von da aus geht eine Wirkung. Das
Sonnenwort, die Sonnenaura, wovon Zarathustra einst sprach als
von einem außerhalb der Erde Vorhandenen, das ist durch
das Christus JesusLeben etwas geworden, was mit der Erde
vermählt, verbunden ist und verbunden bleiben wird. Vorher
war nicht dasselbe mit der Erde verbunden, was nachher
mit ihr verbunden war.
Diese Tatsache zu verstehen, geziemt uns Anthroposophen. Daher
begreifen wir also, daß der auferstandene Christus der
war, der sich als Geist verständlich gemacht hatte den
hellsehend gewordenen Augen der Jünger, der hinweisen
konnte, wie er jetzt als Geist durchwebt das Erdendasein, und
sagen konnte: «Gehet hin und machet zu Jüngern alle
Völker, und taufet sie auf den Namen des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten,
was ich euch befohlen habe! Und siehe, Ich bin bei euch
alle Tage bis ans Ende der Erdenzeit» (Matth. 28,19-20).
Das soll uns die Geisteswissenschaft zum Verständnis
bringen, was damals begonnen hat, daß mit der Erdenaura
verbunden worden ist die Sonnenaura und daß es zu sehen
ist für den, dessen Geistesauge geöffnet ist, und
daß diese Sonnenaura in der Erdenaura, die für Paulus
sichtbar geworden ist, zu hören ist, wenn sich unser
inneres Ohr so aufschließt, daß es hört das
Sonnenwort, wie es hörbar wurde für den durch
den Christus Jesus selbst eingeweihten Lazarus. Dazu soll die
Geisteswissenschaft da sein, um uns darauf vorzubereiten,
daß dies eine Tatsache ist. Die Geisteswissenschaft
ist eine Interpretin dessen, was geschehen ist in bezug auf die
geistige Entwickelung der Welt. Und indem sie das ist, wird sie
in Wirklichkeit stiften, was auch der Christus Jesus, und zwar
auch im Sinne des Matthäus-Evangeliums, stiften
wollte.
Ein
Wort aus dem Matthäus-Evangelium wird gewöhnlich ganz
falsch übersetzt, das schöne, herrliche Wort:
«Ich bin nicht auf diese Erde herabgestiegen, um von
dieser Erde wegzuwerfen den Frieden, sondern um wegzuwerfen das
Schwert!» (Matth. 10,34). Das schönste, wunderbarste
Friedenswort ist leider im Laufe der Zeit in sein
Gegenteil verkehrt worden. Um die Erde allmählich
von dem zu erlösen, was Unfriede, Disharmonie in die
Menschheit bringt, dazu hat sich dem geistigen Erdendasein
eingeprägt die Christus-Wesenheit. Und die
Geisteswissenschaft wird Frieden stiften, wenn sie in diesem
Sinne sozusagen wahrhaft christlich sein kann, daß sie die
Religionen vereinigt. Und sie kann nicht nur das, was in
unseren nächsten Gegenden ist, vereinigen, sie kann
über den ganzen Erdkreis hin wirklich Frieden
stiften, wenn sie die Tat des größten Friedenstifters
versteht. Es ist gewiß nicht im Sinne des
größten Friedenstifters, daß fanatische Menschen
von einem Teil der Erde zum anderen gehen und eine engbegrenzte
Christus-Lehre einem ganz anderen Volk aufdrängen,
das nichts hat von den Bedingungen für eine Christus-Lehre
in der Form, wie sie sich bei einem anderen Volke
ausgeprägt hat. Große Fehler werden gemacht, wenn die
Christus-Lehre, wie sie sich gerade da oder dort
ausgeprägt hat, in unserer Zeit etwa nach dem Orient
übertragen werden sollte. Denn wir als Anthroposophen
haben oftmals darauf hingewiesen, daß der Christus
nicht nur den « Christen» gehört, und
daß es im Grunde genommen dasselbe Wesen ist, auf das
Zarathustra hindeutet als auf Ahura Mazdao und auf das die
sieben indischen Rishis hingedeutet haben als auf Vishva
Karman. Wir stehen im Westen und wissen, wie vom Christus die
Rede ist, wenn im Osten andere Worte gebraucht werden.
Wir
wollen den Christus auch so verstehen, daß dieses
Verständnis vereinbar ist mit der Menschheitsevolution,
mit dem weiteren Fortschreiten der Menschen. Und wir sind
uns klar darüber, daß uns über den Christus
nicht Urkunden und Erkenntnisse Aufschluß geben
können, welche den Christus ablehnen; sondern nur
diejenigen können uns Aufschluß geben, welche den
lebendigen Einfluß des Christus selber bewußt in sich
tragen können. Und wir wissen, wenn wir in der rechten
Weise anderen Völkern, die den Christus ablehnen, in
unserem christlichen Sinne von Vishva Karman, von Ahura
Mazdao sprechen, daß sie uns verstehen, wenn wir
ihnen auch keine Namen aufdrängen, und daß sie von
sich selber aus zum Christus-Verständnis vordringen
werden. Wir wollen ihnen Christus dem Namen nach nicht
aufzwingen. Wir sind uns klar darüber, wenn wir nicht nur
Anthroposophen, sondern Okkultisten sind, daß Namen ganz
gleichgültig sind, daß es auf die Wesenheit
ankommt. Könnten wir uns nur in einem Augenblick davon
überzeugen, daß wir die Wesenheit, die in dem
Christus ist, bezeichnen dürften mit einem anderen Namen,
so würden wir es tun. Denn um die Wahrheit ist es uns zu
tun und nicht um unsere Vorliebe, weil wir auf irgendeinem
bestimmten Fleck der Erde stehen und irgendeinem Volke
angehören. Aber man soll uns auch nicht sagen, daß
man mit Mitteln, die nicht geeignet sind - weil sie sich selber
dem Einfluß des Christus entzogen haben den Christus
begreifen kann; das ist jedem unmöglich. Man kann den
Christus auch bei den anderen Nationen finden, aber man
muß ihn studieren mit den Mitteln, die von dem Christus
selber fließen.
Niemand darf den Anthroposophen etwas vorwerfen, wenn sie das
Christentum nicht mit solchen Formen studieren wollen, die
nicht aus dem Christentum selbst genommen sind. Man kann nicht
mit orientalischen Namen den Christus begreifen; man
sieht dann den Christus gar nicht, man sieht daneben vorbei und
glaubt ihn vielleicht zu sehen. Und was würde es denn
sein, wenn man uns zumuten würde, daß wir auf
theosophischem Felde von orientalischer Anschauung aus den
Christus begreifen sollten? Wir müßten uns auflehnen
dagegen, daß der Christus aus dem Orient gebracht werden
würde! Das wollen wir nicht; aber man würde uns
dadurch zwingen, den Okzident nach dem Orient zu bringen und
den Christus-Begriff darnach zu formen. Das kann und darf nicht
sein, nicht aus Aversion, sondern weil die orientalischen
Begriffe, die einen älteren Ursprung haben, nicht
ausreichen, den Christus zu begreifen, weil der Christus ganz
und gar nur zu begreifen ist aus jener Linie der
Evolution heraus, in welche hineinfällt zunächst
Abraham, dann Moses. Aber in Moses ist eingezogen die Wesenheit
des Zarathustra. Und dann müssen wir den Zarathustra
weiter suchen, wie er sich erstreckt in seinem Einfluß auf
den Moses.
Und
weiter müssen wir den Zarathustra nicht in den alten
Schriften des Zarathustrismus suchen, sondern wie er sich von
selber wiederverkörpert in dem Jesus von Nazareth.
Auf die Entwickelung müssen wir schauen! So müssen
wir auch den Buddha nicht da suchen, wo er sechs Jahrhunderte
vor unserer Zeitrechnung war, sondern da, wo ihn uns das
Lukas-Evangelium schildert und wo er herunterscheint aus der
Höhe, nachdem er vom Bodhisattva zum Buddha geworden war
und hereinscheint in den astralischen Leib des Lukas-Jesus. Da
haben wir den Buddha und lernen ihn in seinem Fortschritt
kennen.
Daran sehen wir, wie tatsächlich die Religionen
zusammenstimmen, zusammenwirken, um die Menschheit wirklich zum
Fortschritt zu bringen. Es handelt sich nicht darum, daß
wir bloß anthroposophische Grundsätze predigen,
sondern daß wir sie in lebendiges Gefühl
umsetzen, daß wir nicht bloß von Toleranz
sprechen und intolerant sind, weil wir Vorliebe haben für
irgendein besonderes Religionssystem der Erde. Tolerant sind
wir nur, wenn wir ein jegliches mit seinem eigenen
Maß messen und jedes aus sich selbst heraus verstehen. -
Es ist gewiß nicht unsere Schuld und keine Schuld
unserer besonderen Vorliebe, daß die verschiedenen
Religionssysteme sichtlich zusammengewirkt haben, um das
Christentum zustande zu bringen. Wahrhaftig, in den geistigen
Höhen, wo die großen geistigen Wesenheiten gewirkt
haben, ist es anders zugegangen als da, wo ihre Bekenner auf
der Erde gewirkt haben. Diese Bekenner auf der Erde haben zum
Beispiel ein Konzil in Tibet berufen, um eine orthodoxe Lehre
an den Namen des Buddha anzuknüpfen in der Zeit, als der
wirkliche Buddha herabgestiegen ist, um den astralischen
Leib des Lukas-Jesus zu inspirieren. So ist es immer: Die
Bekenner auf Erden schwören auf das, was nachwirkt
auf der Erde; die Götterwesen aber wirken mittlerweile
weiter, damit die Menschheit vorwärtskommen kann. Aber am
besten kommt die Menschheit vorwärts, wenn die Menschen
versuchen, ihre Götter zu verstehen, wenn sie versuchen,
einen ähnlichen Fortschritt zu gehen wie die Götter,
indem diese auf die Menschen herunterblicken. Das soll uns eine
lebendige Empfindung, ein lebendiges Verständnis geben
für das, was wir in den verschiedenen Evangelien erblickt
haben.
Sie
haben gesehen, daß wir in Anknüpfung an jedes der
drei Evangelien etwas anderes in jedem sehen konnten.
Einstmals, wenn wir das Markus-Evangelium studieren werden,
wird sich uns eine besonders intime Kosmologie ergeben,
weil Ahura Mazdao, der durch alle Räume wirkt, in der Tat
geschildert werden kann in richtiger Anknüpfung an
das Markus-Evangelium, wie uns die Geheimnisse des menschlichen
Blutes, die Vererbungszusammenhänge des Individuums
mit dem Volkstum, aus dem es herauswächst, in den
Schilderungen des Matthäus-Evangeliums vor die Seele
getreten sind.
Nehmen Sie das, was ich in diesen Tagen schildern durfte, als
eine Seite des großen Christus-Ereignisses, und
seien Sie sich klar, daß durchaus noch nicht alles damit
gesagt ist. Es ist vielleicht heute noch nicht an der Zeit,
alles zu sagen, was über diese großen
Mysterien, vielleicht auch nur im kleinsten Kreise, zu
sagen möglich ist. Das Beste aber, was uns aus dieser
Tatsachendarstellung fließen kann, ist, daß wir sie
aufnehmen nicht nur in unseren Verstand und Intellekt, sondern
daß wir sie verbinden mit den innersten Fasern unseres
Seelenlebens, mit unserem ganzen Gemüt und unserem
ganzen Herzen und darin weiterleben lassen. Die Evangelienworte
sind Worte, die, wenn wir sie in unser Herz einprägen,
darinnen zu Kräften werden, die uns durchdringen und eine
merkwürdige Lebenskraft entwickeln, wenn wir sie wirklich
verstehen. Und wir werden sehen, daß wir diese Lebenskraft
hinaus mit ins Leben tragen. Und heute, wo ich in bezug auf
diesen Zyklus das letzte Wort über das
Matthäus-Evangelium zu sprechen genötigt bin,
möchte ich ganz besonders sagen, was ich öfter am
Ende unserer Sommerzyklen gesagt habe, möchte aber dabei
anknüpfen an dieses menschlich schönste Dokument der
christlichen Urkunden, an das Matthäus-Evangelium.
Was
tritt uns besonders beim Matthäus-Evangelium entgegen, da
uns ja das Menschliche des Christus Jesus bei demselben von
Anfang an ins Auge gefaßt erscheint? Wenn wir auch noch so
groß den Abstand annehmen zwischen irgendeinem
Menschen auf der Erde und jenem Menschen, der den Christus
aufnehmen konnte, so tritt uns beim Matthäus-Evangelium
entgegen - wenn wir es in Demut sehen -, was ein Mensch wert
ist und wessen ein Mensch würdig ist. Denn wenn auch
unsere eigene Natur noch weit, weit entfernt sein mag von der
Natur des Jesus von Nazareth, so dürfen wir doch sagen:
Wir tragen die Menschennatur in uns, und diese
Menschennatur zeigt sich so, daß sie den Gottessohn, den
Sohn des lebendigen Gottes in sich aufnehmen kann; so
daß aus dieser Aufnahme die Verheißung
entspringen kann, daß der Gottessohn nunmehr mit dem
geistigen Erdendasein verbunden bleiben kann, und
daß, wenn die Erde an ihrem Ziel angelangt sein wird, alle
Menschen durchdrungen sein werden von der Christus-Substanz und
Christus-Wesenheit, soweit sie es selbst in ihrem Innersten
sein wollen. Wir brauchen Demut, um überhaupt dieses
Ideal hegen zu dürfen. Denn hegen wir es nicht in Demut,
dann macht es uns hochmütig, übermütig, und wir
denken dann nur an das, was wir als Menschen sein könnten,
und erinnern uns zu wenig daran, wie wenig wir noch bisher zu
leisten imstande sind. In Demut müssen wir es erleben.
Wenn wir es so verstehen, dann erscheint es uns so groß
und gewaltig, so majestätisch und eindringlich in seinem
Glänze, daß es uns gewichtig zur Demut mahnt. Aber es
kann uns diese Demut nicht niederdrücken, weil wir die
Wahrheit dieses Ideals durchschauen. Und wenn wir die Wahrheit
durchschauen, dann mag die Kraft in uns noch so klein sein: sie
wird uns immer höher und höher unserem Gottesziel
entgegentragen.
In
dem «Rosenkreuzermysterium» finden wir alle Töne
angeschlagen, die wir dafür brauchen: das eine Mal
in der zweiten Szene, wo Johannes Thomasius unter dem Eindruck
des Wortes « O Mensch, erkenne dich!»
zerschmettert steht, und das andere Mal, wo er unter dem
Eindruck des Wortes «O Mensch, erlebe dich!»
jauchzend hinaufgehoben wird in Weltenweiten. Wenn wir
uns das vor Augen halten, wird uns in Anlehnung daran
auch die Majestät und Größe, die uns in dem
Jesus des Matthäus-Evangeliums entgegentritt,
verständlich werden, die uns zur Demut auffordert
und unsere Kleinheit uns anschaulich macht, die uns aber auch
auf die innere Wahrheit und innere Wirklichkeit weist,
die uns entreißt alledem, was uns als ein Abgrund
unserer Kleinheit erscheint gegenüber dem, was wir sein
sollen, was wir werden können. Und wenn wir erkennend uns
manchmal zerschmettert fühlen wollen gegenüber
dem, was Menschen-Göttergröße im Menschen sein
kann, so müssen wir doch, wenn wir den guten Willen haben,
etwas von dem göttlichen Impuls, von dem «Sohn des
lebendigen Gottes» zu erleben, uns des Christus Jesus
erinnern, der da, wo wir als Menschen dieses Ich erleben
können, von dem er der höchste Repräsentant ist,
selber uns ermahnt hat, indem er uns in lapidaren Formen das
Wort «O Mensch, erlebe dich!» zugerufen hat für
alle kommenden Zeiten.
Wenn wir so verstehen das Menschliche im
Matthäus-Evangelium - und daher ist es auch das uns am
nächsten liegende der Evangelien -, so wird uns
entgegenströmen aus diesem Evangelium Mut zum Leben,
Kraft und Hoffnung zum Aufrechtstehen auch in unserer
Lebensarbeit. Dann werden wir am besten verstehen, was
diese Worte haben sein sollen.
Nehmen Sie diese Worte mit und versuchen Sie darüber
nachzudenken. Es kann immer nur wenig angedeutet werden.
An Ihren Herzen und Seelen ist es aber, das weitere aus
diesen Worten herauszuholen. Und davon können Sie
überzeugt sein: insofern das Richtige getroffen ist
über das Christus-Ereignis, sind es doppelt lebendige
Worte. Und Sie werden mehr finden in diesen Worten, wenn Sie
die Nachwirkung in Ihren Herzen nachklingen lassen, als wenn
Sie es nur dem äußeren Gedächtnis anpassen. Was
gesprochen worden ist, soll eine Anregung sein. Aber suchen Sie
die Ergebnisse, die Wirkungen dieser Anregung in Ihrem eigenen
Herzen. Dann kann es sein, daß Sie in ihnen noch etwas
ganz anderes finden, als was hier gesprochen worden ist und was
Sie hier in dieser kurzen Zeit gefunden haben.
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