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Aus der Akasha-Forschung. Das Fuenfte Evangelium

Schmidt-Nummer: S-2823

Online seit: 6th November, 2007

Kristiania (Oslo), 5. Oktober 1913
Vierter Vortrag

Eine Art Beruhigung, wenn ich überhaupt darangehe, von demjenigen zu sprechen, wovon als zum Fünften Evangelium gehörig heute gesprochen werden soll, gibt gewissermaßen der Schluß des Johannes-Evangeliums. Wir erinnern uns dieses Schlusses, wo da steht, daß ja in den Evangelien keineswegs aufgezeichnet sind alle Ereignisse, die geschehen sind um den Christus Jesus herum. Denn hätte man damals, so steht es da, alles aufzeichnen wollen, so hätte die Welt nicht genug Bücher aufweisen können, um alles das zu fassen. So also wird das eine nicht bezweifelt werden können: daß außer dem, was aufgezeichnet worden ist in den vier Evangelien, noch mancherlei anderes geschehen sein kann. Um mich verständlich zu machen in bezug auf alles dasjenige, was ich gerade in diesem Vortragszyklus aus dem Fünften Evangelium geben will, möchte ich heute beginnen mit Erzählungen aus dem Leben des Jesus von Nazareth, und zwar ungefähr von jenem Zeitpunkte an, auf den wir ja schon hingewiesen haben bei anderen Anlässen, wo kleine Teile aus dem Fünften Evangelium schon mitgeteilt worden sind.

Ungefähr von dem zwölften Jahre an des Jesus von Nazareth möchte ich heute einiges erzählen. Es war, wie Sie wissen, dasjenige Jahr, in dem das Ich des Zarathustra, das verkörpert war in dem einen der beiden Jesusknaben, die in der damaligen Zeit geboren sind und dessen Herkunft Matthäus beschreibt, hinübergegangen ist durch einen mystischen Akt in den anderen Jesusknaben, in jenen Jesusknaben, der insbesondere im Anfang des Lukas-Evangeliums geschildert wird. So daß wir also beginnen mit unserer Erzählung von demjenigen Jahre im Leben des Jesus von Nazareth, in dem aufgenommen hatte dieser Jesus des Lukas-Evangeliums das Ich des Zarathustra. Wir wissen, daß angedeutet wird im Evangelium dieser Augenblick im Leben des Jesus von Nazareth durch die Erzählung, daß verlorengegangen war auf einer Reise nach Jerusalem zum Feste der Jesusknabe des Lukas-Evangeliums und, als er wieder gefunden wurde, es sich zeigte, daß er im Tempel zu Jerusalem mitten unter den Schriftgelehrten saß und bei diesen und den Eltern Staunen hervorrief durch die gewaltigen Antworten, die er gab. Wir wissen jedoch, diese bedeutsamen, gewaltigen Antworten kamen daher, daß das Ich des Zarathustra wirklich jetzt bei diesem Knaben auftauchte und aus der tiefen Überfülle der Erinnerung seine Weisheit aus dieser Seele heraus wirkte, so daß der Jesus von Nazareth dazumal jene alle überraschenden Antworten geben konnte. Wir wissen auch, daß die beiden Familien durch den Tod der nathanischen Mutter einerseits und des salomonischen Vaters anderseits zusammengekommen sind und fortan eine Familie gebildet haben, und daß der mit dem Ich des Zarathustra befruchtete Jesusknabe in der gemeinsam gewordenen Familie heranwuchs.

Es war aber nun — so läßt es sich erkennen aus dem Inhalt des Fünften Evangeliums — ein ganz sonderbares, merkwürdiges Heranwachsen in den nächsten Jahren. Zuerst hatte ja die nächste Umgebung des jungen Jesus von Nazareth eine große, gewaltige Meinung bekommen von ihm, eben durch jenes Ereignis im Tempel, durch jene gewaltigen Antworten, die er den Schriftgelehrten gegeben hatte. Die nächste Umgebung sah sozusagen den kommenden Schriftgelehrten selber in ihm, sie sah heranwachsen in ihm denjenigen, der eine ganz hohe, besondere Stufe der Schriftgelehrsamkeit erreichen werde. Mit großen, ungeheueren Hoffnungen trug sich die Umgebung des Jesus von Nazareth. Man fing sozusagen an, jedes Wort von ihm aufzufangen. Dabei aber wurde er, trotzdem man förmlich danach jagte, jedes Wort aufzufangen, nach und nach immer schweigsamer und schweigsamer. Er wurde so schweigsam, daß es seiner Umgebung im höchsten Grade oftmals unsympathisch war. Er aber kämpfte in seinem Inneren, kämpfte einen gewaltigen Kampf, einen Kampf, der ungefähr in dieser seiner Innerlichkeit hineinfiel zwischen das zwölfte und achtzehnte Jahr seines Lebens. Es war wirklich etwas in seiner Seele wie ein Aufgehen innerlich liegender Weisheitsschätze, etwas, wie wenn aufgeleuchtet hätte in der Form der jüdischen Gelehrsamkeit die Sonne des einstigen Zarathustra-Weisheitslichtes.

Zunächst äußerte sich das so, als ob dieser Knabe in der feinsten Weise alles, was die zahlreichen Schriftgelehrten, die in das Haus kamen, sprachen, mit größter Aufmerksamkeit aufnehmen sollte und wie durch eine ganz besondere Geistesgabe überall Antwort zu geben wüßte. So überraschte er auch noch anfangs zu Hause in Nazareth diejenigen, die als Schriftgelehrte da erschienen und ihn wie ein Wunderkind anstaunten. Dann aber wurde er immer schweigsamer und schweigsamer und hörte nur noch schweigend dem zu, was die anderen sprachen. Dabei gingen ihm aber immer große Ideen, Sittensprüche, namentlich bedeutsame, moralische Impulse in jenen Jahren in der eigenen Seele auf. Während er so schweigsam zuhörte, machte doch einen gewissen Eindruck, was er von den im Hause sich versammelnden Schriftgelehrten hörte, aber einen Eindruck, der ihm oftmals in der Seele Bitterkeit verursachte, weil er das Gefühl hatte — wohlgemerkt schon in jenen jungen Jahren — , daß vieles Unsichere, leicht zum Irrtum Neigende stecken müsse in dem, was da jene Schriftgelehrten sprachen von den alten Traditionen, von den alten Schriften, die in dem Alten Testamente vereinigt sind. Ganz besonders aber bedrückte es in einer gewissen Weise seine Seele, wenn er hörte, daß in alten Zeiten der Geist über die Propheten gekommen sei, daß Gott selber inspirierend gesprochen hätte zu den alten Propheten, und daß jetzt die Inspiration von dem nachgeborenen Geschlechte gewichen sei. Besonders aber bei einem horchte er immer tief auf, weil er fühlte, daß dies, wovon die Rede war, bei ihm selber kommen würde. Es sagten jene Schriftgelehrten oftmals: Ja, jener hohe Geist, jener gewaltige Geist, der zum Beispiel über den Elias gekommen ist, der spricht nicht mehr; aber wer doch noch immer spricht — was auch noch mancher von den Schriftgelehrten zu vernehmen glaubte als Inspiration aus den geistigen Höhen — , was doch noch immer spricht, das ist eine schwächere Stimme zwar, aber eine Stimme, die manche doch noch zu vernehmen glauben als etwas, was der Geist Jahves selber gibt. — Die Bath-Kol nannte man jene eigentümliche, inspirierende Stimme, zwar eine schwächere Stimme der Eingebung, eine Stimme minderer Art als der Geist, der die alten Propheten inspirierte, aber doch noch etwas Ähnliches stellte diese Stimme dar. So sprach mancher in der Umgebung des Jesus von der Bath-Kol. Von dieser Bath-Kol wird uns in späteren jüdischen Schriften manches erzählt.

Ich schiebe nun etwas ein in dieses Fünfte Evangelium, was nicht eigentlich dazugehört, was nur zur Erklärung der Bath-Kol führen soll. Es war in etwas späterer Zeit, nach der Entstehung des Christentums, ein Streit ausgebrochen zwischen zwei Rabbinatschulen. Denn es behauptete der berühmte Rabbi Elieser ben Hirkano eine Lehre und führte zum Beweise dieser Lehre an — das erzählt auch der Talmud — , daß er Wunder wirken könne. Der Rabbi Elieser ben Hirkano ließ einen Karobbaum aus der Erde sich erheben — so erzählt der Talmud — und hundert Ellen weiter sich an einem anderen Orte wieder einpflanzen, er ließ einen Fluß rückwärts laufen, und als drittes berief er sich auf die Stimme vom Himmel, als Offenbarung, die er von Bath-Kol selber erhalte. Aber in der gegnerischen Rabbinatschule des Rabbi Josua glaubte man diese Lehre trotzdem nicht, und Rabbi Josua erwiderte: Mag auch Rabbi Elieser zur Bekräftigung seiner Lehre Karobbäume von einem Orte zum anderen sich verpflanzen lassen, mag er auch Flüsse nach aufwärts fließen lassen, mag er sich selbst berufen auf die große Bath-Kol — es steht geschrieben im Gesetz, daß die ewigen Gesetze des Daseins gelegt sein müssen in der Menschen Mund und in der Menschen Herz. Und wenn uns überzeugen will von seiner Lehre der Rabbi Elieser, so darf er sich nicht berufen auf die Bath-Kol, sondern er muß uns überzeugen von dem, was des Menschen Herz fassen kann. — Ich erzähle diese Geschichte aus dem Talmud, weil wir sehen, daß die Bath-Kol bald nach der Einführung des Christentums in gewissen Rabbinerschulen nur noch von einem geringeren Ansehen war. Aber sie hat in einer gewissen Weise geblüht als inspirierende Stimme unter den Rabbinern und Schriftgelehrten.

Während in dem Hause des Jesus von Nazareth die dort versammelten Schriftgelehrten von dieser inspirierenden Stimme der Bath-Kol sprachen, und der junge Jesus das alles hörte, fühlte und empfing er in sich selber die Inspiration durch die Bath-Kol. Das war das Merkwürdige, daß durch die Befruchtung dieser Seele mit dem Ich des Zarathustra in der Tat Jesus von Nazareth fähig war, rasch alles aufzunehmen, was die anderen um ihn herum wußten. Nicht nur, daß er den Schriftgelehrten in seinem zwölften Jahre die gewaltigen Antworten hatte geben können, sondern er konnte auch die Bath-Kol in der eigenen Brust vernehmen. Aber gerade dieser Umstand der Inspiration durch die Bath-Kol wirkte auf den Jesus von Nazareth, als er sechzehn, siebzehn Jahre alt war und er oftmals diese offenbarende Stimme der Bath-Kol fühlte, so daß er in bittere, schwere innere Seelenkämpfe dadurch geführt wurde. Denn ihm offenbarte die Bath-Kol — und das glaubte er alles sicher zu vernehmen — , daß nicht mehr fern wäre der Zeitpunkt, daß im Fortgang der alten Strömung des Alten Testamentes dieser Geist nicht mehr sprechen würde zu den alten jüdischen Lehrern, wie er früher zu ihnen gesprochen habe. Und eines Tages, und das war furchtbar für die Seele des Jesus, glaubte er, daß die Bath-Kol ihm offenbarte: Ich reiche jetzt nicht mehr hinauf zu den Höhen, wo mir wirklich der Geist offenbaren kann die Wahrheit über den Fortgang des jüdischen Volkes. — Das war ein furchtbarer Augenblick, ein furchtbarer Eindruck, den die Seele des jungen Jesus empfing, als die Bath-Kol ihm selber zu offenbaren schien, daß sie nicht Fortsetzer sein könne des alten Offenbarertums, daß sie sich selber sozusagen für unfähig erklärte, Fortsetzer der alten Offenbarungen des Judentums zu sein. So glaubte Jesus von Nazareth in seinem sechzehnten, siebzehnten Jahre, daß ihm aller Boden unter den Füßen entzogen wäre, und er hatte manche Tage, wo er sich sagen mußte: Alle Seelenkräfte, mit denen ich glaubte begnadet zu sein, sie bringen mich nur dazu, zu begreifen, wie in der Substanz der Evolution des Judentums kein Vermögen mehr besteht, heraufzureichen zu den Offenbarungen des Gottesgeistes.

Versetzen wir uns einen Augenblick in seinen Geist, in die Seele des jungen Jesus von Nazareth, der solche Erfahrungen in seiner Seele machte. Es war das in derselben Zeit, in der dann der junge Jesus von Nazareth im sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten Jahre, teilweise veranlaßt durch sein Handwerk, teilweise durch andere Umstände, viele Reisen machte. Auf diesen Reisen lernte er mannigfache Gegenden Palästinas kennen, und auch wohl manche Orte außerhalb Palästinas. Nun verbreitete sich in jener Zeit — das kann man ganz genau sehen, wenn man die Akasha-Chronik hellseherisch durchdringt — über die Gegenden Vorderasiens, ja sogar auch des südlichen Europas, ein asiatischer Kultus, der aus mancherlei anderen Kulten zusammengemischt war, der aber namentlich den Mithraskultus darstellte. An vielen Orten der verschiedensten Gegenden waren Tempel für den Mithrasdienst. An manchen Orten hatte er mehr Ähnlichkeit mit dem Attisdienst, aber im wesentlichen war es Mithrasdienst, Tempel, Kultusstätten waren es, in denen man überall die Mithrasopfer und Attisopfer verrichtete. Es war gewissermaßen ein altes Heidentum, aber in einer gewissen Art durchdrungen von den Gebräuchen, Zeremonien des Mithras- oder Attisdienstes. Wie sehr sich das verbreitete auch über die italienische Halbinsel, geht zum Beispiel daraus hervor, daß die Peterskirche in Rom an derselben Stelle steht, wo einstmals eine solche Kultstätte war. Ja, man muß auch das für manche Katholiken lästerliche Wort aussprechen: Der Zeremoniendienst der Peterskirche und alles dessen, was sich davon ableitet, ist in bezug auf die äußere Form gar nicht unähnlich dem Kult des alten Attisdienstes, der verrichtet wurde in dem Tempel, der damals auf derselben Stelle stand, auf deren Stätte die Peterskirche steht. Und der Kultus der katholischen Kirche ist in vieler Beziehung nur eine Fortsetzung des alten Mithraskultus.

Was an solchen Kultstätten vorhanden war, das lernte Jesus von Nazareth kennen, als er jetzt in seinem sechzehnten, siebzehnten, achtzehnten Jahre begann herumzuwandern. Und er setzte das noch später fort. Er lernte, wenn wir so sagen dürfen, auf diese Weise durch äußere, physische Anschauung die Seele der Heiden kennen. Und es war dazumal in seiner Seele wie auf eine natürliche Weise durch den gewaltigen Vorgang des Überganges des Zarathustra-Ich in seine Seele dasjenige in einem hohen Grade ausgebildet, was andere sich nur mühsam aneignen konnten, was aber bei ihm naturgemäß ausgebildet war: eine hohe hellseherische Kraft. Daher erlebte er, wenn er bei solchen Kulten zuschaute, etwas ganz anderes als die anderen Zuschauer. Manches erschütternde Ereignis hat er dort erlebt. Und wenn es auch fabelhaft erscheint, so muß ich doch hervorheben, daß, wenn an manchen heidnischen Altären der Priester den Kult verrichtete und sich Jesus von Nazareth dann mit seinen hellseherischen Kräften das Opfer anschaute, er sah, wie durch die Opferhandlung mancherlei dämonische Wesen herangezogen wurden. Er machte auch die Entdeckung, daß manches Götzenbild, das da angebetet wurde, das Abbild war nicht von guten geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien, sondern von bösen, dämonischen Mächten. Ja, er machte weiter die Entdeckung, daß diese bösen, dämonischen Mächte vielfach übergingen in die Glaubenden, in die Bekenner, die an solchen Kultushandlungen teilnahmen. Aus leicht begreiflichen Gründen sind diese Dinge nicht in die anderen Evangelien übergegangen. Und es ist im Grunde erst im Schöße unserer geistigen Bewegung möglich, über solche Dinge zu sprechen, weil die Menschenseele erst in unserer Zeit ein wirkliches Verständnis haben kann für jene ungeheueren, tiefen, gewaltigen Erlebnisse, wie sie sich schon in diesem jungen Jesus von Nazareth abspielten lange vor der Johannestaufe.

Diese Wanderungen dauerten fort bis ins zwanzigste, zweiundzwanzigste, vierundzwanzigste Jahr hinein. Es waren immer Bitternisse, die er in seiner Seele empfand, wenn er also das Walten sah der Dämonen, der gleichsam von Luzifer und Ahriman hervorgebrachten Dämonen, und sah, wie das Heidentum es in vieler Beziehung sogar so weit gebracht hatte, die Dämonen für Götter hinzunehmen, ja sogar in den Götzenabbildungen Bilder zu haben wilder dämonischer Mächte, die angezogen wurden von diesen Bildern, von diesen Kultushandlungen, und in die betenden Menschen übergingen, die betenden Menschen, die in gutem Glauben daran teilnahmen, von sich besessen machten. Es waren bittere Erfahrungen, die Jesus von Nazareth so machen mußte. Und diese Erfahrungen kamen zu einem bestimmten Abschluß etwa im vierundzwanzigsten Lebensjahre. Da hatte Jesus von Nazareth dasjenige Erlebnis, welches sich anschloß als ein neues, unendlich schweres Erlebnis an das andere von der Enttäuschung durch die Bath-Kol. Ich muß, da ich ja dieses Erlebnis des Jesus von Nazareth auch zu erzählen habe, sagen, daß ich heute noch nicht in der Lage bin anzugeben, an welchem Orte seiner Reisen sich dieses Ereignis zugetragen hat. Die Szene selbst in einem hohen Grade richtig zu entziffern war mir möglich. Allein den Ort gerade für diese Szene ist mir heute nicht möglich anzugeben. Es scheint mir aber, daß diese Szene sich zugetragen hat bei einer Wanderung des Jesus von Nazareth außerhalb Palästinas. Aber ich kann das nicht mit Bestimmtheit sagen, muß aber die Szene mitteilen.

An einen Ort also kam Jesus von Nazareth, im vierundzwanzigsten Jahre seines Lebens, wo eine heidnische Kultstätte war, an der einer bestimmten Gottheit geopfert wurde. Ringsherum aber war nur trauriges, von allerlei furchtbaren seelischen und bis ins Körperliche gehenden Krankheiten behaftetes Volk. Von den Priestern war die Kultstätte längst verlassen worden. Und Jesus hörte das Volk jammern: Die Priester haben uns verlassen, die Segnungen des Opfers kommen nicht auf uns hernieder und wir sind aussätzig und krank, wir sind mühselig und beladen, weil uns die Priester verlassen haben. — Jesus sah mit tiefem Schmerze diese armen Menschen; es jammerte ihn dieses bedrückte Volk und eine unendliche Liebe zu diesen Bedrückten flammte in seiner Seele auf. Es muß von dieser unendlichen Liebe, die auflebte in seiner Seele, das Volk ringsherum etwas gemerkt haben; das muß einen tiefen Eindruck gemacht haben auf das jammernde Volk, welches von seinen Priestern und, wie es glaubte, auch von seinen Göttern verlassen worden war. Und nun entstand, man möchte sagen wie auf einen Schlag, in den Herzen der meisten dieses Volkes etwas, was darin zum Ausdruck kam, daß die Leute sagten, erkennend den Ausdruck der unendlichen Liebe auf dem Antlitz des Jesus: Du bist der neue uns gesandte Priester. — Sie drängten ihn zum Opferaltar hin, sie stellten ihn auf den heidnischen Altar. Und er stand auf dem heidnischen Altar, und sie erwarteten, ja sie verlangten von ihm, daß er die Opfer verrichte, damit der Segen ihres Gottes wieder über sie komme.

Und während das geschah, während ihn das Volk auf den Opferaltar erhob, da fiel er wie tot hin, seine Seele wurde wie entrückt, und das Volk, das ringsherum glaubte seinen Gott wiedergekommen, sah das Furchtbare, daß derselbe, den es für den neuen, vom Himmel gesandten Priester gehalten hatte, wie tot hingefallen war. Die entrückte Seele des Jesus von Nazareth aber, sie fühlte sich erhoben in die geistigen Reiche, sie fühlte sich wie hineinversetzt in den Bereich des Sonnendaseins. Und jetzt hörte sie, wie aus den Sphären des Sonnendaseins herausklingend, Worte, wie diese Seele sie früher durch die Bath-Kol oftmals vernommen hatte. Aber jetzt war die Bath-Kol verwandelt, zu etwas völlig anderem geworden. Die Stimme kam ihm auch von ganz anderer Richtung her, und dasjenige, was Jesus von Nazareth jetzt vernahm, das kann man, wenn man es in unsere Sprache übersetzt, zusammenfassen in die Worte, die ich zum ersten Male mitteilen durfte, als wir vor kurzer Zeit den Grundstein legten für unseren Dornacher Bau.

Es gibt ja okkulte Verpflichtungen! Und einer solchen okkulten Verpflichtung folgend hatte ich damals mitzuteilen, was durch die verwandelte Stimme der Bath-Kol Jesus von Nazareth vernahm dazumal, als dies geschah, was ich jetzt eben erzählt habe. Es vernahm Jesus von Nazareth die Worte: [Siehe unter Hinweise Seite 331.]

Amen

Es walten die Übel

Zeugen sich lösender Ichheit

Von ändern erschuldete Selbstheitschuld

Erlebet im täglichen Brote

In dem nicht waltet der Himmel Wille

Da der Mensch sich schied von Eurem Reich

Und vergaß Euren Namen

Ihr Väter in den Himmeln.

Nicht anders als so kann ich in die deutsche Sprache übersetzen dasjenige, was wie die verwandelte Stimme der Bath-Kol dazumal von Jesus von Nazareth vernommen worden ist. Nicht anders als so! Es waren diese Worte, welche die Seele des Jesus von Nazareth zurückbrachte, als sie aus der Betäubung wieder erwachte, durch die sie sich entrückt fühlte bei jener eben geschilderten Begebenheit. Und als Jesus von Nazareth wieder zu sich gekommen war, und die Augen rings herum richtete auf die Menge der Mühseligen und Beladenen, die ihn auf den Altar erhoben hatten, da war diese entflohen. Und als er den hellsichtigen Blick in die Ferne schweifen ließ, konnte er ihn nur richten auf eine Schar von dämonischen Gestalten, von dämonischen Wesen, die alle mit diesen Leuten verbunden waren.

Das war das zweite bedeutsame Ereignis, der zweite bedeutsame Abschluß in den verschiedenen Perioden der Seelenentwickelung, die Jesus von Nazareth durchgemacht hat seit seinem zwölften Jahre. Ja, meine lieben Freunde, Ereignisse, die sozusagen durch ihr gemütliches Wesen die Seele nur in selige Stimmung versetzen, die waren es nicht, welche auf die Seele des heranwachsenden Jesus von Nazareth den größten Eindruck machten. Kennenlernen mußte diese Seele die Abgründe der Menschennatur schon in so jungen Jahren, bevor das Ereignis vom Jordan eingetreten war.

Und von dieser Reise kam Jesus von Nazareth nach Hause. Es war um jene Zeit, als der Vater, der zu Hause geblieben war, starb, etwa im vierundzwanzigsten Lebensjahre des Jesus von Nazareth. Als Jesus nach Hause kam, da hatte er in der Seele lebendig den gewaltigen Eindruck der dämonischen Wirkungen, die sich hineingesenkt hatten in manches, was in der alten Heidenreligion lebte. Wie es aber immer so ist, daß man gewisse Stufen der höheren Erkenntnis nur dadurch erreicht, indem man die Abgründe des Lebens kennenlernt, so war es in gewisser Weise auch bei Jesus von Nazareth, daß er — an einer Stelle, die ich nicht weiß — um sein vierundzwanzigstes Lebensjahr herum dadurch, daß er so unendlich tief in die menschlichen Seelen hineingeschaut, in Seelen, in die wie hineinkonzentriert war aller Seelenjammer der Menschheit der damaligen Zeit, auch besonders vertieft worden war in der Weisheit, die allerdings wie glühendes Eisen die Seele durchzieht, aber auch die Seele so hellsichtig macht, daß sie durchschauen kann die lichten Geistesweiten. Und dadurch, daß er die umgewandelte Stimme der Bath-Kol vernommen hatte, war er auch wie umgewandelt. So war er in verhältnismäßig jungen Jahren behaftet mit dem ruhigen, eindringlichen Geistesleseblick. Jesus von Nazareth war zu einem Mensehen geworden, der tief in die Geheimnisse des Lebens hineinschaute, der so in die Geheimnisse des Lebens schauen konnte, wie bisher niemand auf der Erde, weil niemand vorher so wie er betrachten konnte, bis zu welchem Grade menschliches Elend sich steigern kann. Zuerst hatte er gesehen, wie man den Boden unter den Füßen verlieren kann durch bloße Gelehrsamkeit; dann hatte er erlebt, wie die alten Inspirationen verlorengingen; dann hatte er gesehen, wie die Kulte und Opferhandlungen, anstatt die Menschen in Verbindung zu bringen mit den Göttern, herbeizauberten allerlei dämonische Wesen, die die Menschen von sich besessen machten und sie dadurch in seelische und körperliche Krankheiten und Elend aller Art hineinbrachten. Gewiß hatte keiner auf der Erde all diesen menschlichen Jammer so tief geschaut als Jesus von Nazareth, keiner jene unendlich tiefe Empfindung in seiner Seele gehabt wie er, als er jenes von Dämonen besessene Volk geschaut hatte. Gewiß war keiner auf der Erde so vorbereitet auf die Frage: Wie, wie kann der Verbreitung dieses Jammers auf der Erde Einhalt getan werden?

So war Jesus von Nazareth nicht nur ausgestattet mit dem Blick, mit dem Wissen des Weisen, sondern in gewisser Weise durch das Leben ein Eingeweihter geworden. Das lernten kennen Leute, die in jener Zeit zusammengetreten waren in einen gewissen Orden, der ja der Welt bekannt ist als der Essäerorden. Essäer waren Leute, welche eine Art Geheimdienst und Geheimlehre pflegten an bestimmten Orten Palästinas. Es war ein strenger Orden. Derjenige, der dem Orden beitreten wollte, mußte mindestens ein Jahr, zumeist aber mehrere Jahre strenge Probe durchmachen. Er mußte zeigen durch seine Aufführung, durch seine Gesittung, durch seinen Dienst gegenüber den höchsten geistigen Mächten, durch seinen Sinn für Gerechtigkeit, Menschengleichheit, durch seinen Sinn des Nichtachtens äußerer menschlicher Güter und dergleichen, daß er würdig war, eingeweiht zu werden. Wenn er dann aufgenommen wurde in den Orden, dann gab es verschiedene Grade, durch die man aufstieg zu jenem Essäerleben, das bestimmt war, mit einer gewissen Aus- und Absonderung von der übrigen Menschheit, in einer strengen klösterliehen Zucht und durch gewisse Reinheitsbestrebungen, durch die man alles Unwürdige körperlicher und seelischer Art beseitigen wollte, sich der geistigen Welt zu nähern. Das drückt sich schon in mancherlei symbolischen Gesetzen des Essäerordens aus. Die Entzifferung der Akasha-Chronik hat gezeigt, daß der Name Essäer kommt von oder jedenfalls zusammenhängt mit dem jüdischen Wort «Essin» oder «Assin». Und das bedeutet so etwas wie Schaufel, Schäufelchen, weil die Essäer als einziges symbolisches Zeichen stets eine kleine Schaufel als Abzeichen trugen, was sich in manchen Ordensgemeinschaften bis heute erhalten hat. In gewissen symbolischen Gepflogenheiten drückte sich auch das aus, was die Essäer wollten: daß sie keine Münzen bei sich tragen durften, daß sie nicht durch ein Tor gehen durften, das bemalt war oder in dessen Nähe Bilder waren. Und weil der Essäerorden in der damaligen Zeit in einer gewissen Weise auch äußerlich anerkannt war, hatte man in Jerusalem besondere Tore, unbemalte Tore gemacht, so daß auch sie in die Stadt gehen konnten. Denn wenn der Essäer an ein bemaltes Tor kam, mußte er immer wieder umkehren. Im Orden selbst gab es alte Urkunden und Traditionen, über deren Inhalt die Mitglieder des Ordens streng schwiegen. Sie durften lehren, aber nur, was sie innerhalb des Ordens gelernt hatten. Jeder, der in den Orden eintrat, mußte sein Vermögen dem Orden abgeben. Die Zahl der Essäer war damals zur Zeit des Jesus von Nazareth eine sehr große, etwa vierbis fünftausend. Es waren von allen Orten der damaligen Welt Leute zusammengekommen, die sich den strengen Regeln widmeten. Sie schenkten jedesmal, wenn sie irgendwo weit weg, in Kleinasien oder noch weiter, ein Haus hatten, dasselbe dem Essäerorden, und der Orden bekam überall kleine Besitzungen, Häuser, Gärten, ja weite Äcker. Keiner wurde aufgenommen, der nicht alles schenkte, was den Essäern Gemeingut wurde. Alles gehörte allen, kein einzelner hatte Besitz. Ein für unsere heutigen Verhältnisse außerordentlich strenges Gesetz, das aber begreiflich ist, war dieses, daß ein Essäer unterstützen durfte mit dem Gute des Ordens alle bedürftigen und belasteten Leute, nur diejenigen nicht, die seiner eigenen Familie angehörten.

In Nazareth gab es durch Schenkung eine solche Niederlassung des Essäerordens, und dadurch war gerade in den Gesichtskreis des Jesus von Nazareth dasjenige gekommen, was der Essäerorden war. In dem Zentrum des Ordens bekam man Kunde von der tiefen Weisheit, die sich in der beschriebenen Art in die Seele des Jesus von Nazareth gesenkt hatte, und gerade unter den Bedeutendsten, Weisesten der Essäer entstand eine gewisse Stimmung. Es hatte unter ihnen sich herausgebildet eine gewisse prophetische Anschauung: Wenn die Welt ihren richtigen Fortgang nehmen sollte, dann müsse eine besonders weise Seele erstehen, die wie eine Art Messias wirken müsse. Deshalb hatten sie Umschau gehalten, wo besonders weise Seelen wären. Und sie waren tief berührt, als sie Kunde erhielten von jener tiefen Weisheit, die in der Seele des Jesus von Nazareth entstanden war. Daher war es kein Wunder, daß die Essäer, ohne daß Jesus von Nazareth die Erprobung der niederen Grade durchzumachen hatte, ihn aufnahmen wie einen Externisten in ihre Gemeinschaft — ich will nicht sagen in den Orden selber — und daß in einer gewissen Weise zutraulich, offenherzig wurden selbst die weisesten Essäer in bezug auf ihre Geheimnisse gegenüber diesem weisen, jungen Menschen. In der Tat hörte in diesem Essäerorden der junge Jesus von Nazareth viel, viel Tieferes über die Geheimnisse, die vom Hebräertum bewahrt worden waren, als von den Schriftgelehrten im Hause seines Vaters. Manches auch hörte er, was er schon selber früher durch die Bath-Kol wie durch eine Erleuchtung in seiner Seele aufglänzend vernommen hatte. Kurz, es entstand ein reger Ideenaustausch zwischen Jesus von Nazareth und den Essäern. Und Jesus von Nazareth lernte kennen in seinem Verkehr mit den Essäern, im fünfundzwanzigsten, sechsundzwanzigsten, siebenundzwanzigsten, achtundzwanzigsten Lebensjahr und noch darüber hinaus, fast alles, was der Essäerorden zu geben hatte. Denn was ihm nicht durch Worte mitgeteilt wurde, das stellte sich ihm dar durch allerlei hellsichtige Impressionen. Wichtige hellsichtige Impressionen hatte Jesus von Nazareth entweder innerhalb der Gemeinschaft der Essäer selber oder einige Zeit darauf in Nazareth zu Hause, wo er in einem mehr beschaulichen Leben auf sich wirken ließ, was in seine Seele sich hineindrängte aus Kräften, die ihm gekommen waren, von denen die Essäer nichts ahnten, die aber als Folge der mit den Essäern geführten bedeutsamen Gespräche in seiner Seele erlebt wurden.

Eines von diesen Erlebnissen, von diesen inneren Impressionen muß besonders hervorgehoben werden, weil es hineinleuchten kann in den ganzen geistigen Gang der Menschheitsentwickelung. Es war eine gewaltige, bedeutsame Vision, die wie in einer Art Entrückung Jesus von Nazareth hatte, in der ihm Buddha wie in unmittelbarer Gegenwart erschien. Ja, der Buddha erschien dem Jesus von Nazareth als Folge des Ideenaustausches mit den Essäern. Und man kann sagen, daß in jener Zeit zwischen Jesus und Buddha ein Geistgespräch stattgefunden hat. Es gehört zu meiner okkulten Verpflichtung, Ihnen den Inhalt dieses Geistgespräches mitzuteilen, denn wir dürfen, ja wir müssen heute diese bedeutsamen Geheimnisse der Menschheitsevolution berühren. In diesem bedeutsamen Geistgespräch erfuhr Jesus von Nazareth von dem Buddha, daß dieser etwa sagte: Wenn meine Lehre so, wie ich sie gelehrt habe, völlig in Erfüllung gehen würde, dann müßten alle Menschen den Essäern gleich werden. Das aber kann nicht sein. Das war der Irrtum in meiner Lehre. Auch die Essäer können sich nur weiter fortbringen, indem sie sich aussondern von der übrigen Menschheit; für sie müssen übrige Menschenseelen da sein. Durch die Erfüllung meiner Lehre müßten lauter Essäer entstehen. Das aber kann nicht sein. — Das war ein bedeutsames Erlebnis, das durch die Gemeinschaft mit den Essäern Jesus von Nazareth hatte.

Ein anderes Erlebnis war dieses, daß Jesus von Nazareth die Bekanntschaft machte mit einem auch noch jüngeren Manne, mit einem fast gleichaltrigen Manne, der nahegetreten war, allerdings in einer ganz anderen Weise als Jesus von Nazareth, dem Essäerorden, der aber trotzdem auch nicht ganz Essäer geworden ist. Es war der, man möchte sagen, wie ein Laienbruder innerhalb der Essäergemeinschaft lebende Johannes der Täufer. Er trug sich wie die Essäer, denn diese trugen im Winter Kleider von Kamelhaar. Aber er hatte niemals die Lehre des Judentums vollständig in sich auswechseln können mit der Lehre der Essäer. Da aber die Lehre der Essäer, das ganze Leben der Essäer auf ihn einen großen Eindruck machte, lebte er als Laienbruder das Essäerleben, ließ sich anregen, ließ sich allmählich inspirieren und kam nach und nach zu dem, was ja von Johannes dem Täufer in den Evangelien erzählt ist. Viele Gespräche fanden statt zwischen Jesus von Nazareth und Johannes dem Täufer. — Da geschah es eines Tages — ich weiß, was es heißt, diese Dinge so einfach zu erzählen, aber nichts kann mich abhalten; ich weiß trotzdem, daß diese Dinge jener okkulten Verpflichtung zufolge jetzt erzählt werden müssen — , es geschah eines Tages, daß Jesus von Nazareth, während er mit Johannes dem Täufer sprach, wie verschwunden vor sich sah die physische Leiblichkeit des Täufers und die Vision des Elias hatte. Das war das zweite wichtige Seelenerlebnis innerhalb der Gemeinschaft des Essäerordens.

Da gab es aber noch andere Erlebnisse. Schon seit längerer Zeit hatte Jesus von Nazareth etwas Besonderes beobachten können: Wenn er an Orte kam, wo Essäertore waren, wo bildlose Tore waren, da konnte Jesus von Nazareth durch solche Tore nicht schreiten, ohne wiederum eine bittere Erfahrung zu machen. Er sah diese bildlosen Tore, aber für ihn waren geistige Bilder an diesen Toren; für ihn erschien zu beiden Seiten eines solchen Tores immer dasjenige, was wir jetzt kennengelernt haben in den verschiedenen geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzungen unter dem Namen Ahriman und Luzifer. Und allmählich hatte sich ihm das Gefühl, der Eindruck in der Seele gefestigt, daß die Abneigung der Essäer gegen die Torbilder etwas zu tun haben müsse mit dem Herbeizaubern solcher geistiger Wesenheiten, wie er sie an diesen Toren erschaute, daß Bilder an den Toren Abbilder von Luzifer und Ahriman seien. Und öfter hatte Jesus von Nazareth dieses bemerkt, öfter waren solche Gefühle in seiner Seele aufgestiegen.

Wer solches erlebt, der findet nicht, daß man über diese Dinge gleich viel grübeln sollte; denn diese Dinge wirken zu erschütternd auf die Seele. Man fühlt auch sehr bald, daß menschliche Gedanken nicht hinreichen, um sie tief genug zu ergründen. Die Gedanken hält man dann nicht für fähig, an diese Dinge heranzudringen. Aber die Eindrücke graben sich nicht nur tief in die Seele ein, sondern werden zu einem Teil des Seelenlebens selber. Man fühlt sich wie verbunden mit dem Teil seiner Seele, in dem man solche Erlebnisse gesammelt hat, wie verbunden mit den Erlebnissen selber, man trägt diese Erlebnisse weiter durchs Leben.

So hatte Jesus von Nazareth durchs Leben getragen die beiden Bilder von Luzifer und Ahriman, die er oftmals gesehen hatte an den Toren der Essäer. Es hatte zunächst nichts anderes bewirkt, als daß ihm bewußt wurde, daß ein Geheimnis walte zwischen diesen geistigen Wesenheiten und den Essäern. Und die Wirkung, die das auf seine Seele ausübte, trug sich hinein in die Verständigung mit den Essäern; man konnte sich seit diesen Erlebnissen in der Seele des Jesus von Nazareth nicht mehr so gut gegenseitig verstehen. Denn es lebte in seiner Seele etwas, von dem er nicht sprechen konnte gegenüber den Essäern, weil sich jedesmal etwas wie in der Rede verschlug, denn immer stellte sich dazwischen, was er an den Essäertoren erlebt hatte.

Eines Tages, als nach einer besonders wichtigen, bedeutsamen Unterredung, in der vieles Höchste, Geistige zur Sprache gekommen war, Jesus von Nazareth das Tor des Hauptgebäudes der Essäer verließ, da traf er, indem er durch das Tor ging, auf die Gestalten, von denen er wußte, daß sie Luzifer und Ahriman waren. Und er sah fliehen Luzifer und Ahriman von dem Tore des Essäerklosters. Und es senkte sich in seine Seele eine Frage. Aber nicht als ob er selber, nicht als ob er durch den Verstand früge, sondern mit tiefer elementarer Gewalt drängte sich herauf in seine Seele die Frage: Wohin fliehen diese, wohin fliehen Luzifer und Ahriman? — Denn er wußte, die Heiligkeit des Klosters der Essäer hatte sie zum Fliehen gebracht. Aber die Frage lebte sich in seine Seele ein: Wohin fliehen diese? — Und diese Frage brachte er nicht mehr los aus seiner Seele, diese Frage brannte wie Feuer in seiner Seele; mit dieser Frage ging er stündlich, ja minütlich sie erlebend in den nächsten Wochen umher. Als er nach dem geistigen Gespräch, das er geführt hatte, die Tore des Hauptgebäudes der Essäer verlassen hatte, da brannte in seiner Seele die Frage: Wohin fliehen Luzifer und Ahriman?

Was er unter dem Eindruck dieser in seiner Seele lebenden Frage weiter tat, nachdem er durchlebt hatte, daß die alten Inspirationen verlorengegangen waren, die Religionen und Kulte von dämonischen Gewalten verdorben waren und als er hingefallen war an dem Altare des Heidenkultus, die umgewandelte Stimme der Bath-Kol vernommen hatte, und sich fragen mußte, was die Worte der Bath-Kol zu bedeuten haben, und was das eben von mir Erzählte zu bedeuten hatte, daß die Seele des Jesus von Nazareth sich jetzt fragte: Wohin fliehen Luzifer und Ahriman? — davon wollen wir morgen weiter sprechen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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