ZWEITER VORTRAG
Dornach, 16. Februar 1919
Was
ich immer wieder betonen möchte und jetzt auch in
Anknüpfung an das gestern im Zusammenhange mit
unserem Aufruf Gesagte, ist, daß es mir als das
Nächste in der heutigen Lebenslage der
Menschheit darauf ankommt, in möglichst vielen
Menschen richtiges soziales Verständnis
hervorzurufen. Sie müssen nicht vergessen, daß
die Lebens Verhältnisse, wie sie sich in der
neueren Zeit entwickelt haben, über einen
großen Teil der zivilisierten Welt eine Art von Chaos
hervorgebracht haben; ein Chaos, dem nur beizukommen sein
wird von den Menschenseelen selbst aus. Äußere
Mittel — seien sie nun gesetzgeberisch gedacht oder
in Form einer bloß äußeren Ordnung des
Wirtschaftslebens — werden, so wie die Lage nun
einmal gekommen ist, nicht in durchgreifender Weise der
Menschheit helfen können. Gewiß, es kann in
einzelnen Territorien noch eine Weile gehen, aber es
wäre heute falsch zu glauben, daß damit
irgendwelche Verhältnisse vorliegen, die
für Einzelterritorien auf die Dauer bleiben
können inmitten der sozialen Welle, die sich als
eine die ganze Menschheit umfassende entwickeln muß. Von
anderswoher als aus dem sozialen Verständnis, aus
den Begriffen der Menschenseelen gegenüber den
sozialen Verhältnissen, von anderswoher kann
keine Hilfe kommen.
Man
kann das, was ich jetzt etwas komplizierter gesagt habe, ja
auch einfacher sagen. Man kann sagen: es wird dasjenige, was
jetzt in Unordnung hineinstrebt, nicht wieder in eine Ordnung
streben, wenn die Menschen sich nicht geeignet erweisen, diese
Ordnung zu machen. Und sie werden sich nur geeignet erweisen,
diese Ordnung zu machen, wenn sie wirkliches soziales
Verständnis erwerben, von dem die heutige
Menschheit — man kann sagen, die heutige Menschheit aller
Parteirichtungen — so weit als nur irgend
möglich entfernt ist. Dieses soziale
Verständnis zu verbreiten, das ist es, woran man
zuerst denken muß. Die Tatsache ist von durchgreifender
Wichtigkeit, daß es etwas ganz anderes ist, was in den
Seelen der Millionen und aber Millionen Proletarier selbst
lebt, als das, was in deren Führern lebt. Die
Führer tragen in sich zum großen Teil die
Erbschaft der bürgerlichen Lebensauffassung,
die sie anwenden wollen — nur in einer etwas
agitatorischen Form — auf die
Lebensverhältnisse des Proletariats.
Dies ist eine durchgreifende Tatsache. Und man trägt
dieser Tatsache nur Rechnung, wenn man sich
entschließt, zunächst auf soziales
Verständnis hinzuwirken. Selbst wenn man sich
gestehen muß, daß die äußeren
Verhältnisse zunächst noch verworrener
werden, als sie schon sind, so würde man doch von
einer falschen Voraussetzung ausgehen, wenn man glauben wollte,
daß man durch irgendwelches Pfuschen da oder dort etwas
erreichen könne. Was den Menschen heute fehlt, das
ist ja soziales Verständnis. Aus dem Grunde fehlt es
den Menschen, weil die ganze Entwicklung des Denkens, die ganze
Entwickelung des Fühlens und Wollens der Menschheit
in der neueren Zeit es sich nicht hat angelegen sein lassen,
soziales Verständnis wirklich
herbeizuführen. Das soziale
Verständnis ist auch bei vielen derjenigen Personen,
in denen der soziale Impuls heute mächtig ist,
außerordentlich gering.
Fassen Sie das nicht so auf, als ob es besonderer, weitgehender
Kenntnisse, weitmaschiger Wissenschaft bedürfe, um
soziales Verständnis zu entwickeln. Nicht
daran liegt es, sondern es liegt daran, daß einfach die
elementarsten Richtlinien nach dem sozialen
Verständnis hin der heutigen Menschheit
fehlen. Die Menschen denken an ganz andere Dinge, als an
diejenigen, an die gedacht werden muß, wenn es sich um die
Erwerbung des primitivsten sozialen Verständnisses
handelt. Und auf dieses primitivste soziale
Verständnis kommt es zunächst an. Es ist
ganz richtig, wenn man heute vor allen Dingen seine
Aufmerksamkeit darauf richtet, den Weg zu finden von den
abstrakten, schwarmgeistigen Begriffen, bei denen sich viele
Menschen heute beruhigen; die Menschen glauben, daß
die heutige Zeit die Möglichkeit habe, von
irgendeinem ethischen oder religiösen Standpunkte
aus das, was das soziale Problem ist, zu ordnen. Das ist nicht
der Fall. Man kann heute den Leuten noch so gute
religiöse, ethische Lehren predigen; die
können das Gemüt erwärmen und
haben manche Wirkung — gerade in einem egoistischen
Sinne. Es müssen die Begriffe fähig
gemacht werden, einzugreifen in das soziale Getriebe der
Menschen.
Also auf die Erwerbung des Verständnisses kommt
unendlich viel heute an. Ich sagte: die Menschen, in denen auch
der soziale Impuls heute mächtig wogt und
sprüht, haben vielfach primitive Begriffe. Nicht
wahr, es gibt ja noch viele Menschen — auf der einen
Seite den leitenden Kreisen angehörig, auf der
anderen Seite der proletarischen Welt angehörig die
sich vorstellen, daß eine einfache Umschichtung eine
wirkliche Änderung bringen könne. Also
zum Beispiel, wenn diejenigen, die bisher oben waren, die
Minister und Staatssekretäre, herunterpurzeln und
die anderen, die bisher in irgendwelchen Proletarierpositionen
waren, hinaufsteigen, wenn also einfach eine Um- Schichtung
stattfindet; daß dadurch die Dinge anders werden
könnten, das wäre eine ganz
irrtümliche Vorstellung. Es werden manche Leute
ablehnen, daß sie eine solche Vorstellung haben. Und
dennoch haben sie sie eigentlich. Sie sind nur umnebelt von
allerlei Parteianschauungen, und dadurch kommt ihnen nicht zum
Bewußtsein, daß sie eigentlich solche Vorstellungen
haben, wie ich sie jetzt angedeutet habe. Worum es sich
handelt, ist, daß in wirklich einfacher Weise die Menschen
sich ein Verständnis erwerben für das,
was ich Ihnen jetzt öfter hier und auch in
öffentlichen Vorträgen vorgebracht habe;
ein Verständnis erwerben für die
notwendige Dreigliederung des sozialen Organismus; daß
alle Einzelheiten in den sozialen Maßnahmen sich so
entwickeln, daß Rechnung getragen werde der Notwendigkeit,
die in dieser Dreigliederung liegt —
darauf kommt es an. Ob man nun die Maßnahmen zu treffen
hat mit Bezug auf, sagen wir, den Bau einer Eisenbahn, die
einer Privatgesellschaft oder dem Staate übertragen
werden soll, oder ob man zu entscheiden hat über die
Art und Weise, wie man bei irgendeiner Gelegenheit Leistungen
entlohnt — ich sage nicht Arbeitskräfte,
sondern Leistungen bei allen diesen Dingen kommt es darauf an,
daß man seinen Maßnahmen die Richtung gibt nach
dieser Dreigliederung, nach der Verselbständigung
des geistigen Lebens, des rechtlichen Lebens — dem
Staate, dem eigentlichen politischen Leben — und des
wirtschaftlichen Lebens.
Sie
können dann gewiß die Frage aufwerfen: Wie soll
das eine oder das andere geschehen? Das sind zum großen
Teil falsch aufgeworfene Fragen in dem Stadium, in dem heute
die Sache steht. Der Geist desjenigen, was in dieser
Dreigliederung lebt, der läßt sich etwa in der
folgenden Weise umschreiben. Nicht wahr, es gibt zum Beispiel,
um etwas herauszugreifen, das beste Besteuerungssystem. Nun
handelt es sich heute gar nicht darum, dieses beste
Besteuerungssystem auszudenken, sondern es handelt sich
darum, hinzuarbeiten auf die Dreigliederung. Und wenn
diese Dreigliederung sich immer mehr und mehr verwirklicht, so
wird durch die Tätigkeit dieser Dreigliederung des
sozialen Organismus das beste Steuersystem entstehen. Es
handelt sich darum, die Bedingungen herzustellen, unter
denen die besten sozialen Einrichtungen entstehen
können. Denn daß irgendeiner den Gedanken hat,
das Beste auszuspintisieren, darum kann es sich gar nicht
handeln, das hat gar keinen Wirklichkeitswert. Bedenken Sie
doch nur einmal, Sie wären — irgendeiner von
Ihnen — ein so großes Genie, wie es noch gar nicht
dagewesen ist in der menschheitlichen Entwicklung, und dadurch,
daß Sie ein so großes Genie wären,
würden Sie in der Lage sein, das beste
Steuersystem auszudenken. Wenn Sie da nun aber allein in der
Welt stehen mit ihrem Gedanken des besten Steuersystems, und
die anderen wollen das nicht, sie wollen vielleicht das
falsche, aber sie wollen das Ihrige nicht — das ist es,
worauf es ankommt. Nicht darauf kommt es an, das Beste zu
denken, sondern dasjenige zu finden, auf Grund dessen die
Menschheit in ihrer Gesamtheit das Beste tun wird. Nun, so
können Sie allerdings sagen: Ja, aber irgendwo
muß man doch anfangen. Man muß die Dreigliederung
einrichten, auch wenn die Menschen sie nicht wollen!
Das
ist etwas anderes, meine lieben Freunde; denn da handelt es
sich nicht um etwas, was so wie irgendein Steuersystem die
Menschen wollen können oder nicht wollen
können, sondern da handelt es sich um etwas, was
eigentlich im Grunde genommen alle Menschen wollen, wenn sie es
nur verstehen. Das ist dasjenige, was Sie den Menschen, wenn
Sie den richtigen Weg finden, wirklich zum
Verständnis bringen können, weil die
Menschen im Unterbewußten wollen, daß es sich eben
realisieren soll in den nächsten Jahrzehnten des
Lebens der Menschheit über die zivilisierte Welt
hin. Das ist nicht ausgedacht, sondern das ist beobachtet, was
die Menschen wollen. Und nicht deshalb weisen es heute
noch zahlreiche Menschen zurück, weil sie es nicht
wollen, sondern nur, weil sie voller Vorurteile noch sind und
eigentlich gegen die Sache arbeiten, die sich durchaus
realisieren will. Das andere ergibt sich als Konsequenz. Sie
müssen auf das Primäre gehen. Das
Primäre ist dasjenige, wofür — mag
es nun kürzer oder länger dauern —
Verständnis wird erweckt werden können,
wenn nur erst einiges von dem, was heute noch dieses
Verständnis hindert, beseitigt sein wird. Es sind ja
natürlich noch immer gewisse
Führerpersönlichkeiten da, die sich
in den Weg stellen. Diese
Führerpersönlichkeiten werden nicht
zu überzeugen sein; die müssen erst
selbst ihre Köpfe blutig schlagen an den
Widerständen, die sich ihnen bieten werden.
Und solche Widerstände wird es viele geben. Deshalb
darf die Sache auch nicht, wenn sie heute nicht gleich auf den
ersten Anhieb so geht, wie man es sich vorstellt, als eine
vergebliche bezeichnet werden. Die Sache muß
vorbereitet sein. Sie muß da sein, wenn im Leben
das, was sich jetzt realisiert — falsch realisiert
—, sich selbst ad absurdum geführt haben wird,
wenn vieles von dem, was jetzt in die Welt tritt, ebensowenig
mehr da sein wird, wie die deutschen Fürsten zum
Beispiel jetzt noch da sind, die auch noch 1913 sich nicht
träumen ließen, daß sie 1919 nicht
mehr da sein würden. Wenn das weg ist, was jetzt die
Leute oftmals noch bejubeln, dann muß wenigstens etwas da
sein in den Köpfen, in den Herzen der Leute, auf das
zurückgegriffen werden kann. Es muß
vorbereitet werden, der Boden muß geschaffen werden. Das
ist es, woran Sie bei diesen Dingen denken müssen,
meine lieben Freunde. Sie werden, wenn Sie einmal
genügend lange und genügend
gründlich auf diese Dreigliederung in
Geistesleben, in politisches Leben, in wirtschaftliches
Leben eingedrungen sind, dann schon das Bedürfnis
haben, weiter in den Sachen ein gewisses Verständnis
sich zu entwickeln. Dieses Verständnis ist eben
durchaus notwendig, sonst redet man über die Dinge
so, daß man ja allen guten Willen in seine Rede
hineinversetzen kann, aber es kann keine
Realität daraus werden. Der soziale Organismus
ist ebenso bestimmten Gesetzen unterworfen wie der
natürliche menschliche Organismus. Handeln Sie gegen
diese Gesetze des sozialen Organismus mit den
allerschönsten Prinzipien, so können Sie
nichts erreichen. Sie können höchstens
die Menschen in eine Sackgasse hineinführen. —
Das ist es, worauf es ankommt.
Sagen Sie nun nicht: Ja, was ist dann die Freiheit des
Menschen, wenn der Mensch hineingestellt sein soll in einen
sozialen Organismus, der bestimmte Gesetze hat? —
Die Frage ist nicht klug; denn dieselbe Frage
könnten Sie auf einem anderen Gebiete so stellen:
Kann denn der Mensch frei sein, wenn er täglich
gezwungen ist zu essen? — Es steht ihm gar nicht frei, zu
essen. Die Dinge, die in der Welt einer gewissen
Gesetzmäßigkeit unterliegen, auch wenn der
Mensch hineingestellt ist in diese
Gesetzmäßigkeit, die haben
schließlich mit dem Problem der Freiheit nicht das
geringste zu tun, geradesowenig wie es mit dem Problem
der Freiheit zu tun hat, daß wir nicht den Mond
herunterfassen können. Aber etwas anderes hat zu tun
mit dem, was notwendig ist als soziales Verständnis.
Das ist, daß man sich in die Lage versetzt, auf das
Fundamentale, auf das Primäre
zurückzugehen und nicht von dem
Sekundären oder Tertiären, von dem, was
nur Folgeerscheinung ist, sein soziales Verständnis
abhängig macht. Nicht wahr, man kann aus einer
gewissen Lebenslage heraus sagen: innerhalb dieser Lebenslage
braucht der Mensch im Minimum so und so viel an Werten —
also sagen wir, an Geld, weil wir schon einmal die Werte in
Geld umgesetzt haben um sein Leben versorgen zu
können. Man kann von einem Existenzminimum
reden in einer bestimmten Lebenslage. Aber man kann von
diesem Existenzminimum so reden, daß man auf der einen
Seite etwas scheinbar höchst
Selbstverständliches und auf der anderen Seite
einen völligen Unsinn sagt. Das will ich Ihnen an
einem Beispiel versuchen, klarzumachen.
Wenn Sie die gegebenen Lebensverhältnisse auf
irgendeinem Territorium nehmen, so können Sie
vielleicht schon aus der Empfindung heraus, aus der
instinktiven Empfindung heraus sagen: Derjenige, der einfach
arbeitet, handarbeitet, der braucht so und so viel als
Existenzminimum, sonst kann er nicht leben in dieser
Gemeinschaft. Das kann ein scheinbar ganz
selbstverständlicher Gedanke sein. Aber bedenken
Sie, mag der Gedanke auch noch so selbstverständlich
sein, wenn er aber so, wie Sie ihn ausdenken müssen,
nach den Voraussetzungen, die ich eben angegeben habe, sich
nicht verwirklichen läßt innerhalb des sozialen
Organismus, in dem irgend jemand lebt; wenn ihn zu
verwirklichen eine Unmöglichkeit 1st —
was dann? Das ist es, was Sie sich vor allen Dingen beantworten
müssen: was dann, wenn das zu verwirklichen
unmöglich ist?
Es
ist das eben, wenn man so überlegt, wie ich es jetzt
eben dargestellt habe, nicht ein primärer
Gedanke. Man geht nicht an die fundamentalen Dinge
zurück, sondern man knüpft an etwas
Sekundäres an, an etwas, was bloß eine
Folgeerscheinung ist. Man muß immer in der Lage sein, zu
seinem sozialen Verständnis an die fundamentalen
Dinge anzuknüpfen. So ist eine fundamentale Sache,
daß man sich eine Ansicht verschaffen kann, eine
lebenfördernde Ansicht, wie gerade nach den
Lebensbedingungen des sozialen Organismus das
Existenzminimum sein kann; und mit
Leben-fördernd meine ich in diesem Falle eine solche
Ansicht, daß eine mögliche soziale Lage und ein
mögliches soziales Zusammenleben der Menschen daraus
folgt. Das ist das Primäre. Und nun kommt man
da allerdings auf gewisse Vorstellungen, die der heutigen
Menschheit zum großen Teil recht unbequem sind, weil
versäumt worden ist in den letzten Jahrhunderten,
die primitive Schulbildung, die auf solche Dinge hingehen soll,
nach solchen Dingen wirklich hinzuleiten. Es
dürfte heute schon bald den Menschen klarwerden,
daß man nicht bloß wissen soll, um ein halbwegs
gebildeter Mensch zu sein, daß drei mal neun
siebenundzwanzig ist, sondern daß man auch wissen sollte,
was denn eigentlich zum Beispiel das Ding ist, das man
«Grundrente» nennt. Nun frage ich Sie,
wieviele Menschen heute eine deutliche Vorstellung haben von
dem, was Grundrente ist. Ohne aber den sozialen
Organismus in bezug auf solche Dinge zu überblicken,
läßt sich überhaupt eine gedeihliche
Fortentwickelung der Menschheit nicht
herbeiführen.
Diese Dinge sind allmählich in große Verwirrung
gekommen. Und die verworrenen Verhältnisse, die
führen heute die Menschen zu ihren Vorstellungen,
nicht dasjenige, was wahre Verhältnisse auf diesem
Gebiete sind. Sehen Sie, die Grundrente, die man irgendwie
bewerten kann nach der Produktivität, die auf
irgendeinem Territorium ein Stück Boden hat, diese
Grundrente, die ergibt nun, sagen wir, eine bestimmte Summe
für ein staatlich begrenztes Territorium. Der
Boden ist nach seiner Produktivität, das
heißt, nach der Art oder nach dem Grade der rationellen
Ausnützung gegenüber der
Gesamtwirtschaft so und so viel wert. Für die
Menschen ist es heute sehr schwierig, diesen einfachen
Bodenwert in klaren Begriffen zu denken, weil sich im heutigen
kapitalistischen Wirtschaftsleben der Kapitalzins oder das
Kapital überhaupt konfundiert hat mit der
Bodenrente, weil der wirkliche volkswirtschaftliche Wert der
Bodenrente zu einem Truggebilde gemacht worden ist durch das
Hypothekenrecht, durch das Pfandbriefwesen, durch das
Obligationenwesen und dergleichen. Dadurch ist alles im Grunde
genommen in unmögliche, unwahre Vorstellungen
hineingetrieben worden. Es ist natürlich nicht
möglich, im Handumdrehen wirklich eine Vorstellung
von dem zu bekommen, was eigentlich Grundrente ist. Aber denken
Sie einfach als Grundrente den volkswirtschaftlichen Wert
des Grund und Bodens eines Territoriums, des Grund und Bodens
als solchem, aber mit Bezug auf seine Produktivität.
Nun besteht ein notwendiges Verhältnis zwischen
dieser Grundrente und dem, was ich vorhin als Existenzminimum
des Menschen angegeben habe. Nicht wahr, es gibt heute manche
Sozialreformer und Sozialrevolutionäre, die
träumen von einer Abschaffung der Grundrente
überhaupt, die glauben, daß zum Beispiel die
Grundrente abgeschafft ist, wenn man den gesamten Grund
und Boden, wie sie sagen, verstaatlicht oder vergesellschaftet.
Dadurch, daß man etwas in eine andere Form bringt, ist
aber die Sache nicht abgeschafft. Ob nun die ganze Gemeinschaft
den Grund und Boden besitzt, oder ob ihn so und so viele
besitzen, das ändert gar nicht das
Vorhandensein der Grundrente. Sie maskiert sich nur, sie
nimmt andere Formen an. Grundrente so definiert, wie ich es
vorhin definiert habe, ist eben immer da. Wenn Sie auf einem
bestimmten Territorium die Grundrente nehmen, sie
dividieren durch die Einwohnerzahl des betreffenden
Territoriums, so bekommen Sie einen Quotienten heraus, und
dieser Quotient ergibt das allein mögliche
Existenzminimum. Das ist ein Gesetz, das, wie meinetwillen das
Boyle-Mariottesche Gesetz in der Physik ein ganz bestimmtes
Gesetz ist, das nicht anders sein kann. Das ist aber eine
primäre Tatsache, das ist etwas Fundamentales,
daß eigentlich niemand in Wirklichkeit mehr verdient in
irgendeinem sozialen Organismus, als die gesamte Grundrente
dividiert durch die Einwohnerzahl. Was sonst mehr
verdient wird, wird verdient durch Koalitionen und durch
Assoziationen, wodurch Verhältnisse geschaffen
werden, durch die auf eine Persönlichkeit mehr Werte
kommen als auf die andere Persönlichkeit. Aber
wahrhaftig, in den mobilen Besitz eines einzigen Menschen
übergehen kann gar nichts mehr als dasjenige,
was ich jetzt bezeichnete. Und aus diesem Minimum, das
überall wirklich existiert, wenn auch die realen
Verhältnisse es zudecken, geht alles wirtschaftliche
Leben, insofern dieses wirtschaftliche Leben sich bezieht auf
dasjenige, was man als einzelner an mobilem Besitz hat, hervor.
Von dieser fundamentalen Tatsache muß ausgegangen werden.
Darauf kommt es an, daß man nicht von einer
sekundären, sondern von dieser primären
Tatsache ausgeht. Sie können diese
primäre Tatsache vergleichen mit irgendeiner
anderen primären Tatsache, sagen wir zum
Beispiel mit der primären Tatsache, die auch
für das Wirtschaftsleben eine solche ist, daß
auf einem bestimmten Territorium nur eine bestimmte Menge
eines Rohproduktes ist. Da könnten Sie es
natürlich auch als wünschenswert
bezeichnen, wenn dieses Rohprodukt mehr vorhanden
wäre, und könnten ausrechnen, wieviel man
dann mehr haben würde auf diesem Territorium. Aber
das Rohprodukt können Sie nicht vermehren. Das
ist eine primäre Tatsache. Ebenso ist es eine
primäre Tatsache, daß in Wirklichkeit in einem
sozialen Organismus niemand mehr verdient — man verdient
nicht durch Arbeit, auch wenn man noch so viel arbeitet —
als dasjenige, was dieser Quotient, den ich
angeführt habe, ergibt. Alles übrige ist
durch Koalitionen und so weiter unter den Menschen bewirkt.
Gegen eine solche Tatsache können die sozialen,
können die politischen Einrichtungen handeln.
Sie können dagegen verstoßen. Darum handelt es
sich, daß man das ganze organisierende Denken in die
Richtung bringt, in der die Tatsachen laufen. Darauf kommt es
an. Zufriedenheit unter Menschen kann nur dadurch entstehen,
daß solche Dinge eingesehen werden. Denn bringt man das
ordnende, das in die Wirklichkeit sich umsetzende Denken in
solche Richtungen, die die Natur des sozialen Organismus
fordert, dann richtet sich das andere danach, dann kann es gar
nicht eintreten, daß der eine sich benachteiligt
glaubt gegenüber dem anderen. Das ist dasjenige, was
als ein Gesetz dem sozialen, dem wirklichen Leben des sozialen
Organismus zugrunde liegt. Aber in der richtigen Weise
können Sie über solche Dinge nur denken
— ich habe Ihnen dieses Beispiel von der Beziehung des
Existenzminimums zu der Grundrente angegeben —,
über solche Dinge können Sie nur Begriffe
bekommen, die in die Wirklichkeit eingreifen, wenn Sie ausgehen
von der Dreigliederung, die wir als das Fundamentale haben.
Denn nur unter dem Einflüsse dieser
Dreigliederung ist es möglich, daß die
Menschen solche Maßnahmen treffen, daß nun wirklich
das Zusammenleben der Menschen über ein
Territorium sich in der produktivsten Weise entwickelt.
In der produktivsten Weise wird sich nämlich
das Leben entwickeln, wenn es in der Richtung der
Gesetzmäßigkeit verläuft, nicht
gegen diese Gesetzmäßigkeit; also im
Sinne des sozialen Organismus leben, das ist es, worauf es
ankommt.
Nun
muß man allerdings sich folgendes klarmachen. Aus der
äußeren Beobachtung des Lebens gewinnen
Sie nicht die Einsicht in das Fundamentale der Dreigliederung,
geradesowenig wie Ihnen — würden Sie noch so
viele rechtwinklige Dreiecke betrachten — der
pythagoräische Lehrsatz aufginge; aber wenn Sie ihn
einmal haben, dann ist er überall anwendbar, wo ein
rechtwinkliges Dreieck ist. So ist das mit diesen fundamentalen
Gesetzen. Sie sind überall anwendbar, wenn man sie
einmal in der richtigen Weise
wirklichkeitsgemäß erfaßt hat. Und Sie,
meine lieben Freunde, haben ja noch Gelegenheit, die
Notwendigkeit dieser Dreigliederung aus den Fundamenten
der Geisteswissenschaft heraus zu begreifen. Sie haben auch
folgende Möglichkeit noch. Bedenken Sie, was
als diese Dreigliederung angegeben wird. Wenn ich so sagen
darf, das Leben der irdischen Geistigkeit: Kunst, Wissenschaft,
Religion und, wie ich gesagt habe, auch Privat- und Strafrecht,
das ist das eine Gebiet. Das zweite Gebiet ist das
politische Zusammenleben der Menschen, das sich bezieht
auf das Verhältnis von Mensch zu Mensch. Das
dritte ist das wirtschaftliche Leben, das sich bezieht
auf das Verhältnis des Menschen zu dem, was
gewissermaßen untermenschlich ist, was der Mensch braucht,
damit er sich erheben kann zu seiner eigentlichen
Menschlichkeit. Diese drei
Gebiete sind diejenigen, die angeführt werden, wenn
von der Dreigliederung gesprochen wird.
Gemäß diesen drei Gliedern soll der Mensch
hineingestellt sein in den sozialen Organismus. Er muß so
hineingestellt sein, denn diese drei Glieder haben alle drei
einen ganz anderen Ursprung in der menschlichen Wesenheit als
solcher.
Alles was irdisches Geistesleben ist, das ist
gewissermaßen der Nachklang desjenigen — was ich
jetzt sage, gilt für unseren Zeitraum —, was
der Mensch erlebt hat in dem Leben vor dem Heruntersteigen
durch die Geburt ins physische Dasein. Da lebte der Mensch als
geistige Individualität in geistigem
Zusammenhange mit den höheren Hierarchien, in
geistigem Zusammenhange mit den entkörperten Seelen,
die eben in der geistigen Welt sind, die nicht augenblicklich
auf Erden verkörpert sind. Dasjenige, was der Mensch
hier als Geistesleben entwickelt — sei es, daß
er religiös tätig ist oder
religiöser Übung sich hingibt, in
religiöser Gemeinschaft lebt; sei es, daß er
künstlerisch tätig ist; sei es, daß
er als Richter über einen, der irgendwie das Gesetz
übertreten hat, oder der einem Menschen ein Unrecht
zugefügt hat, zu urteilen hat —, das
alles, was in diesem Geistesleben sich auslebt,
rührt von den Kräften her, die sich der
Mensch angeeignet hat in dem Zusammenleben in der geistigen
Welt, bevor er heruntergestiegen ist durch die Geburt ins
physische Dasein. Da müssen Sie unterscheiden
zwischen dem Zusammenleben mit anderen Menschen
gemäß dem Einzelschicksal, und dem
Zusammenleben mit anderen Menschen gemäß dem,
was ich jetzt eben charakterisiert habe. Wir Menschen im
irdischen Dasein kommen mit dem einen oder mit dem anderen
Menschen in individuelle Verhältnisse hinein.
Die sind abhängig von unserem individuellen Karma;
die führen zurück in frühere
Erdenleben oder weisen hin auf spätere Erdenleben.
Aber von diesen individuellen Beziehungen zwischen Mensch und
Mensch müssen Sie andere unterscheiden. Das sind
diejenigen, in die Sie kommen, wenn Sie zum Beispiel einer
gewissen religiösen Gemeinschaft
angehören. Da denken Sie oder fühlen Sie
mit einer Anzahl von anderen Menschen innerhalb dieser
religiösen Gemeinschaft gleich. Oder nehmen Sie an,
ein Buch erscheine. Die Menschen lesen das Buch, nehmen gleiche
Gedanken durch das Buch auf — das ist auch eine
Gemeinschaft, die man hier eingeht. Und in solchem besteht ja
eigentlich das irdische Geistesleben, ob es sich nun auf
Erziehung und Unterricht oder auf anderes bezieht, daß man
zu Menschen in Beziehung tritt, mit Menschen Gemeinschaften
entwickelt, um durch diese Gemeinschaft selber im Geiste
weiterzukommen. Das alles aber ist ein Ausleben von
Verhältnissen, in denen man in ganz anderer Form
drinnensteckte, bevor man herunterstieg in das irdische
Geistesleben. Das hat nichts zu tun mit dem individuellen
Karma, sondern das hat zu tun mit dem, was sich vorbereitete in
der in der geistigen Welt erlebten Zeit zwischen dem Tod und
einer neuen Geburt. So daß man die Quelle für
dasjenige, was ich im Speziellen bezeichnet habe als das
geistige Gebiet, zu suchen hat in dem Leben schon, das der
Mensch durchgemacht hat, bevor er sich anschickte, durch die
Geburt ins irdische Dasein herunterzusteigen.
Dann gibt es etwas, was man durchmacht bloß dadurch,
daß man hier auf der Erde lebt zwischen Geburt und Tod. In
dieses Leben wächst man allmählich erst
hinein. Tritt man durch die Geburt ins Dasein, ist man Kind,
dann trägt man noch viel — wenn ich mich eines
recht törichten Vergleiches bedienen darf, denn es
ist ja nicht hart, was man trägt — von den
Eierschalen der geistigen Welt. Das Kind ist sehr geistig,
trotzdem es gerade den physischen Leib am meisten
auszubilden hat. Aber in seiner Aura hat es viel
Geistiges; was es mitbringt, ist sehr verwandt mit dem, was das
irdische Geistesleben ist. Allmählich tritt man aber
immer mehr und mehr ein in das Leben, das nur
angehört der Zeit zwischen der Geburt und dem Tode.
In diesem Leben, das zunächst auf nichts im
Geistigen hinweist, da liegen die Quellen zu dem Leben
des politischen Staates. Der politische Staat hat es nur zu tun
mit demjenigen, was der Mensch durchlebt zwischen Geburt
und Tod. Daher soll sich auch in das politische Staatsleben
nichts hineinmischen, was etwas anderes angeht als das
Verhältnis von Mensch zu Mensch, insofern wir Wesen
sind zwischen Geburt und Tod. Mischt sich irgendetwas anderes
hinein — breitet zum Beispiel der Staat seine Fittiche
aus über das geistige Leben, über Kirche
und Schule —, so unterliegt das dem Urteil, das an den
Orten, wo man über solche Dinge
urteilsfähig war, die Leute so fällten,
daß sie gesagt haben: Mischt sich der Staat in irgend
etwas hinein, was sich auf etwas anderes bezieht, als auf das
öffentliche Rechtsleben zwischen Geburt und Tod, so
herrscht der widerrechtliche Fürst dieser Welt. In
all dasjenige, was Gegenstand staatlicher Organisation
ist, gehört eben nichts anderes hinein als
dasjenige, was sich auf das Leben zwischen Geburt und Tod
bezieht.
Das
dritte Glied ist dasjenige, was ich als das wirtschaftliche
bezeichnet habe. Dieses wirtschaftliche Leben, welches
wir führen müssen dadurch, daß wir
essende und trinkende Menschen sein müssen, daß
wir uns kleiden müssen und so weiter, dieses
wirtschaftliche Leben zwingt uns Menschen, daß wir in das
Untermenschliche hinuntertauchen. Das fesselt uns Menschen an
etwas, was eigentlich unter dem Niveau unseres Vollmenschentums
steht. Indem wir uns beschäftigen müssen
mit dem Wirtschaftsleben, indem wir untertauchen
müssen in das Wirtschaftsleben, leben wir etwas aus,
was sozial betrachtet mehr in sich hat, als man
gewöhnlich meint. Indem man im
Wirtschaftsleben drinnensteht und das Wirtschaftsleben
treibt, kann man nicht dem Geistigen, kann man nicht einmal dem
Rechte leben, sondern man muß untertauchen in ein
Untermenschliches. Aber gerade dadurch, daß man in ein
Untermenschliches untertaucht, entwickelt sich etwas in uns,
was nur dadurch Gelegenheit hat, sich zu entwikkeln.
Während wir das wirtschaftliche Leben organisieren,
während wir im wirtschaftlichen Leben
betätigt sind und die höheren
Gedanken schweigen müssen, auch das
Verhältnis von Mensch zu Mensch nur hereinspielt aus
einem anderen Gebiete, arbeitet sich in unserem
Unterbewußtsein dasjenige aus, was wir dann durch die
Pforte des Todes durchtragen in die geistige Welt hinein.
Während wir im irdischen Geistesleben den Nachklang
dessen ausleben, was wir geistig durchlebt haben, bevor wir auf
die Erde heruntergestiegen sind, während wir
im Rechtsleben des politischen Staates nur ausleben, was
zwischen Geburt und Tod liegt, lebt sich, während
wir im Wirtschaftsleben stehen, wo wir nicht untertauchen
können mit unserem höheren Menschen,
etwas aus, bereitet sich etwas vor, was auch geistig ist, was
wir durchtragen durch die Pforte des Todes. So sehr die
Menschen möchten, daß das Wirtschaftsleben nur
für die Erde da sei, es ist es nicht, sondern gerade
deshalb, weil wir untertauchen in das Wirtschaftsleben,
bereitet sich für uns als Menschen etwas vor, was
wiederum auf die übersinnliche Welt Beziehung
hat. Daher sollte niemand darauf verfallen, die
Organisierung des Wirtschaftslebens für sehr gering
zu halten. Gerade dieses äußere materielle
Leben hat einen gewissen Bezug auf das nachtodliche Leben, so
sonderbar und paradox das erscheint. So daß
tatsächlich die drei Gebiete für den
Kenner des Menschen auseinanderfallen: Das rein geistige Gebiet
weist auf das vorgeburtliche Leben; das politische Staatsgebiet
weist auf das Leben zwischen Geburt und Tod; und das
Wirtschaftsleben weist auf das Leben nach dem Tode. Wir
entwickeln die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben
wahrhaftig nicht umsonst. In all dem, was sich auf dem Grunde
des Wirtschaftslebens an Brüderlichkeit entwickelt,
liegen Antezedenzien, Vorbedingungen für das Leben,
das wir entwickeln nach dem Tode. Ich deute Ihnen dadurch nur
skizzenhaft zunächst an — wir wollen davon
später weitersprechen —, wie sich auch aus der
dreifachen Gliederung der Menschennatur in dieser Beziehung
gerade für den Geisteswissenschafter Lichter
ergeben, welche eben das soziale Leben notwendig in drei
voneinander verschiedene Gebiete gliedern.
Das
ist das Eigentümliche der Geisteswissenschaft:
läßt man sich auf sie ein, so wird sie
unmittelbar praktisch. Sie beleuchtet das Leben um uns herum,
und in der heutigen Zeit haben die Menschen keine andere
Möglichkeit, das Leben wirklich in seinen realen
Verhältnissen zu beleuchten, als auf das
Geisteswissenschaftliche irgendwie einzugehen. Daher
wäre es wünschenswert, daß gerade
von denjenigen, die sich für diese
geisteswissenschaftliche Bewegung interessieren,
Verständnis ausstrahlen würde auf
die anderen; denn der Geisteswissenschafter hat es
verhältnismäßig leichter, diese
Dinge zu durchschauen. Er kennt so etwas wie vorgeburtliches
und nachtodliches Leben von einem geisteswissenschaftlichen
Gesichtspunkte aus, und ihm ergibt sich die Notwendigkeit der
Dreigliederung des Lebens von diesem Gesichtspunkte aus. Man
kann die Notwendigkeit der Dreigliederung schon heute einsehen.
Aber gründlicher, umfassender wird man einen
Einblick in sie gewinnen, wenn man auch noch so etwas hat, wie
die geisteswissenschaftlichen Fundamente, von denen ich hier
gesprochen habe.
Sehen Sie, wieviel ist im Laufe der letzten Jahrhunderte in
schwärmgeistiger Art gesprochen worden, indem
man von einer allgemeinen Sittenlehre und dergleichen
gesprochen hat, indem man das Religiöse
möglichst getrennt hat von dem
äußeren, alltäglichen Leben. Wir
stehen jetzt einmal in diesem Zeitpunkt, wo wir Begriffe
auszubilden haben, welche untertauchen können in das
alltägliche Leben, welche nicht bloß reichen
bis zu der Verheißung der Erlösung, bis zu der
Forderung der Notwendigkeit: «Kindlein, liebet
einander!» — sie tun es ja doch nicht, wenn
sie es nicht müssen oder wenn nicht etwas anderes
vorliegt! Die Begriffe, die wir in diesen Regionen entwickeln,
müssen auch wirklich Trag- und Stoßkraft genug
haben, um das heute so kompliziert gewordene Wirtschaftsleben
wirklich zu verstehen. Also einfach durch die Erkenntnis der
Menschennatur ist die Notwendigkeit der Dreigliederung des
gesunden sozialen Organismus gegeben.
Das
müßte heute als die allererste Grundlage zu
einem Neuaufbau möglichst vielen Menschen eben
klarwerden. Dies bloße Reden vom Geiste, auf das ich schon
gestern hingewiesen habe, das ist heute vielleicht
schädlicher als der Materialismus, der in der Mitte
des 19. Jahrhunderts angefangen hat und sich bis heute
weiter verbreitet hat. Denn das bloße Reden vom Geiste,
das bloße Hinseufzen zum Geiste, das bloße
Anbeten des Geistes, das ist heute nicht mehr unserer Epoche
entsprechend. Unserer Epoche entsprechend ist es, daß wir
den Geist realisieren, daß wir dem Geiste die
Möglichkeit geben, unter uns zu leben. Es
genügt heute nicht, daß die Menschen an den
Christus glauben, sondern es ist heute notwendig, daß die
Menschen den Christus in ihrem Handeln, in ihrem Wirken
verwirklichen. Darauf kommt es an. Denn wenn die Menschen in
dieser Beziehung auf diesem Gebiete gesundes Denken und
Empfinden entwickeln, dann fließt dieses gesunde Denken
und Empfinden auch in anderes ein.
Vergessen Sie niemals, so etwas wie das Folgende zu beachten:
Ein großer Teil der heutigen offiziellen Vertreter dieses
oder jenes christlichen Bekenntnisses redet von dem
Christus. Ich habe diese Tatsache von anderen Gesichtspunkten
auch schon hier berührt, allein wir
müssen von verschiedenen Gesichtspunkten immer
wiederum auf diese Dinge zurückkommen. Die Leute
reden von dem Christus, wenn man sie aber fragt: warum ist das
der Christus, was sie als den Christus bezeichnen, da
können sie eigentlich nur eine scheinbare Antwort
geben und bewegen sich eigentlich in einer inneren
Lüge. Eine große Anzahl der heutigen Theologen
redet, weil die Evangelien allmählich mehr oder
weniger zerzaust worden sind von der sogenannten Forschung,
redet von dem Christus — allein, wenn man sie fragen
würde: Wodurch unterscheidet sich das, was Sie in
Ihren Begriffen haben als das Christus-Wesen von dem
Jahve-Gotte, von dem einfachen Gotte, der die Welt durchwest
und durchwellt? — sie würden keine Antwort
geben können. Der große Theologe Harnack
in Berlin hat ein Buch geschrieben über
«Das Wesen des Christentums», aber das,
was er da als das Wesen des Christus schildert, das ist der
alttestamentliche Jahve, denn der hat gerade diese
Eigenschaften. Und deshalb ist es eine innere Lüge,
den Jahve als den Christus zu bezeichnen. Und so ist es bei
Hunderten und aber Hunderten, bei Tausenden von denjenigen, die
heute das Christentum predigen, daß sie eigentlich nur den
Gott im allgemeinen predigen, den Gott, von dem man sagen kann
«Ex deo nascimur». Den Christus hat man
erst gefunden, wenn man eine Art innerer Wiedergeburt erlebt
hat. Von dem Gotte, auf den man hinweist, wenn man sagt:
«Ex deo nascimur», muß man reden,
wenn man einfach gesund ist in seinem ganzen Menschenwesen.
Atheist sein heißt in Wirklichkeit krank sein. Aber von
dem Christus kann man nur reden, wenn man eine Art Wiedergeburt
des seelischen Lebens erlebt hat — was nicht einfach
dadurch da ist, daß man als Mensch geboren ist
—, wenn man eine solche Wiedergeburt des
seelischen Lebens gerade im Sinne des gegenwärtigen
Menschheitszyklus erlebt hat.
Man
kann das, wenn man sich sagt: Heute ist der Mensch einmal so,
wie er geboren wird, notwendig mit Vorurteilen behaftet. Wir
werden gar nicht anders geboren, als daß wir mit
Vorurteilen behaftet sind. Das ist das Wesen des heutigen
Menschen. Und bleibt der Mensch so, wie er heute geboren ist,
dann trägt er die Vorurteile durch das ganze Leben
hindurch. Er lebt einseitig. Man kann sich heute nur retten,
wenn man innere Toleranz hat, wenn man einzugehen vermag auf
die Meinungen — selbst wenn man sie für
Irrtümer hält — anderer Menschen.
Wenn man Verständnis, innigstes
Verständnis hat für die Meinungen anderer
Seelen, auch wenn man sie für Irrtümer
hält, wenn man liebevoll dasjenige, was der andere
denkt und fühlt, ebenso aufnehmen kann, wie
dasjenige, was man selbst denkt und fühlt —
eignet man sich diese Fähigkeit, diese innere
Toleranz an, dann kommt man allmählich
über die uns heute in unserem Menschheitszyklus
angeborenen Vorurteile hinaus. Und man lernt sich sagen: Was du
verstanden hast in einem der geringsten meiner
Brüder, das hast du von mir verstanden — denn
der Christus hat nicht nur in der Zeit gesprochen zu den
Menschen, als das Christentum entstanden ist, der Christus hat
sein Wort wahr gemacht: «Ich bin bei euch alle Tage
bis ans Ende der Erdenzeiten.» Und er offenbart sich
auch immer. Nicht nur hat er einmal gesagt: «Was ihr
einem der geringsten meiner Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan», sondern heute sagt er zu
dem Menschen: Was du in einem der geringsten deiner
Brüder mit innerer Toleranz verstehst, auch wenn es
ein Irrtum ist, das hast du von mir verstanden, und ich werde
dich die Vorurteile überwinden lassen, wenn du diese
deine Vorurteile abschleifst an dem toleranten Aufnehmen
desjenigen, was der andere denkt und fühlt. —
Das ist das eine. Das ist mit Bezug auf das Denken der Weg, zu
dem Christus zu kommen: daß der Christus einzieht,
daß wir nicht nur Gedanken über den Christus
haben, sondern daß der Christus in unseren Gedanken lebt.
Nur auf diese Weise wird er in unseren Gedanken leben, wie ich
es jetzt eben geschildert habe.
Das
zweite hat Bezug auf den Willen. In der Jugend ist der Mensch
zuweilen idealistisch. Es ist angeborener Idealismus. Den haben
wir einfach dadurch, daß wir als Menschen geboren sind.
Heute genügt er nicht in unserem Menschheitszyklus,
dieser Menschheitsidealismus. Heute brauchen wir noch einen
anderen Idealismus, einen solchen, den wir uns selbst
anerziehen, den wir nicht einfach dadurch, daß wir
Menschen sind, haben — zu dem wir uns
hinbändigen. Solch einen Idealismus brauchen wir.
Wir brauchen einen Idealismus, den wir uns selber erworben
haben. Das ist dann der Idealismus, der auch nicht mit den
Jugendjahren verschwindet, sondern der durch das ganze Leben
uns jung und idealistisch erhält. Eignen wir uns
einen solchen Idealismus an, den wir uns selber anerziehen,
dann liegt in einem solchen Idealismus auf Grund eines jetzt
nicht logischen, sondern Wirklichkeitsgesetzes, daß
wir die Stoßkraft aufbringen, nicht bloß als einzelne
egoistische Menschen zu handeln, sondern uns hineinzustellen in
den sozialen Organismus, um in diesem sozialen Organismus
drinnen zu handeln. Keiner, der sich heute nicht
herbeiläßt oder der nicht erzogen wird
zum selbsterworbenen Idealismus, wird wirkliches soziales
Verständnis erwerben.
Das
«Ex deo nascimur» erwerben wir uns
dadurch, daß wir geboren werden. Der Weg zu Christus
geht auf der einen Seite durch übersinnliche
Gedanken, auf der anderen Seite durch den Willen. Durch den
Gedanken, indem wir von vornherein überzeugt sind:
wir werden heute geboren als vorurteilsvolle Menschen, wir
müssen uns die Vorurteile durch das tolerante
Abschleifen unserer Vorurteile an den Meinungen anderer
erwerben. In bezug auf den Willensweg müssen wir
sagen: unser Wille erhält heute nur das richtige
soziale Feuer, wenn wir selbsterworbenen Idealismus haben,
Idealismus, den wir in uns hineingetrieben haben durch eigene
Tätigkeit. Das gibt Wiedergeburt. Und was wir
so gefunden haben, indem wir es uns als Mensch erworben haben,
das führt erst zum Christus. Nicht der Gott, dem
gegenüber wir sagen: «Ex deo
nascimur», darf als Christus bezeichnet werden, denn
das ist eine innere Unwahrheit. Den Gott konnte auch das Alte
Testament haben. Der Gott, der zu uns spricht, wenn wir uns als
Menschen während unseres Lebens nach diesen zwei
Richtungen, die ich bezeichnet habe, umgewandelt haben,
der Gott wird von uns deutlich als ein anderer empfunden als
der bloße Vatergott — das ist der Christus. —
Von diesem Christus spricht die moderne Theologie eigentlich
sehr wenig. Dieser Christus muß als ein sozialer Impuls in
die Menschheit hineinkommen. Von dem Christus sprechen heute
viele Menschen so, daß ihre Rede nichts weiter ist als
eine innere Lüge.
Nun
sind solche Dinge ja nicht so einzusehen, wie man heute
spintisierend die Dinge einsehen will, daß sich so
logisch Glied an Glied gliedert. Ich habe Ihnen neulich einmal
gesagt: Es gibt ein Wirklichkeitsverständnis,
das ein anderes Verständnis ist als ein bloß
äußeres, logisches. Aber wenn der Mensch so
etwas in sich entwickelt, wie ich es jetzt als eine
Wiedergeburt bezeichnet habe, dann wird heute sein Denken in
die Christus-Nähe gebracht, und er lernt so denken
und empfinden, wie er denken und empfinden muß, wenn er
sich heute zum Heile der Menschheit in die menschliche
Gesellschaft hineinstellen soll. Er lernt
nämlich dann auch über andere Sachen
richtig zu denken und zu empfinden, wenn er über
dieses Fundamentale richtig denkt und empfindet. Davon ist aber
gerade das geistige Leben der neueren Menschheit furchtbar weit
abgekommen. Und der Grund ist vielfach der, daß dieses
geistige Leben der neueren Menschheit aufgesogen worden
ist von dem politischen Staatsleben. Befreit werden muß
das geistige Leben der Menschheit von dem politischen
Staatsleben, damit es wieder fruchtbar und impulsiv
werden kann für die menschliche Entwickelung. Sonst
werden alle Gedanken verrenkt, und nach den verrenkten Gedanken
falsche Wirklichkeiten geschaffen.
Ich
habe schon einmal angeführt, wie Wilson die
Freiheit definiert. Gewiß, es ist nicht besonders
bedeutsam, wie heute ein Staatsmann die Freiheit definiert,
wenn man auf Philosophie hält. Aber es ist bedeutsam
als Symptom, was da lebt in einem Menschen, wenn er diese oder
jene Gedanken über die Freiheit hat. Wilson sagt:
Dasjenige, was sich innerhalb gewisser
Verhältnisse so anpaßt, daß es sich frei
bewegen kann, von dem sagen wir, es ist frei. Also in einer
Maschine, wenn sich ein Korb frei bewegen kann, wenn er nicht
da und dort anstößt, sondern sich frei bewegen
kann, sagen wir, der Korb läuft frei; oder ein
Schiff, das so konstruiert ist, daß es mit der
Windrichtung läuft, bewegt sich frei
vorwärts. Würde es gegen die
Windrichtung laufen, würde es gefesselt sein,
würde es nicht frei sein. So ist auch der Mensch
frei, wenn er an die Verhältnisse angepaßt ist
im sozialen Mechanismus. — Da kann man ja dann nur von
sozialem Mechanismus sprechen.
Es
hat nicht so sehr eine Bedeutung, daß solche Gedanken in
einem Kopfe leben und realisiert werden, sondern daß das,
was realisiert ist, in solchen Gedanken sich auslebt. Daran
erkennt man, ob es gesund ist, oder ob es wider das Gesunde
läuft. Der Gedanke ist ganz verrenkt. Und
warum? Sie brauchen sich jetzt nur einmal mit den
Empfindungen, die Sie sich aus der Geisteswissenschaft
nehmen, das Folgende zu überlegen: Wenn Sie
angepaßt sind — Sie können ganz gut
angepaßt sein an die äußeren
Lebensverhältnisse, Ihr Leben läuft im
Sinne dieser Anpassung an die Verhältnisse, nirgends
stoßen Sie an —, so sind Sie frei; wie ein Schiff,
das mit dem Winde läuft, sind Sie frei. — Aber
so steht der Mensch nicht in der ganzen Welt darinnen, er steht
etwas anders in dieser Welt drinnen. Wenn nämlich
das Schiff in der Windrichtung läuft, so
läuft es frei — aber es muß auch einmal
stehenbleiben können. Das ist gerade das, was
für den Menschen sehr wichtig ist, daß er
sich auch einmal umdrehen kann, um sich gegen die Windrichtung
zu stellen, damit er nicht nur den
Verhältnissen angepaßt ist, sondern
seinem eigenen Inneren angepaßt werden kann. Man kann sich
nichts toller Unrichtiges denken, als die Definition der
Freiheit, die Wilson versuchte; denn sie widerspricht der
Menschnatur, sie sagt das Gegenteil von dem, was der wirklichen
Freiheit des Menschen zugrunde liegt. Wenn man den Menschen mit
einem Schiff vergleichen will, das frei im Winde
läuft, so muß man ihn vergleichen mit einem
solchen Schiff, das, wenn es genug gelaufen ist, sich auch
umdrehen kann, sich gegen den Wind stellen kann, damit es nun
nicht weiter zu laufen braucht. Denn wenn der Mensch immer und
immer den äußeren Verhältnissen
nachlaufen muß, dann ist er natürlich frei
für die Verhältnisse, aber er ist nicht
für sich frei. Man hat den Menschen ganz verloren in
der heutigen Weltbetrachtung und Lebensauffassung. Man
kann gar nicht mehr auf den Menschen bauen. Der Mensch
ist herausgefallen aus der Welt- und Lebensauffassung. Er
muß wieder hineingestellt werden in die Welt.
Das, was ich jetzt gesagt habe, hat seine sehr, sehr ernsten
Seiten; es ist nur symptomatisch erfaßt, aber es hat sehr
ernste Seiten. Denn der Mensch steht heute im sozialen
Organismus so drinnen, daß er eigentlich nur
läuft wie das Schiff mit dem Winde, und die
kapitalistische Wirtschaftsordnung, die hat es insbesondere
über den Proletarier verhängt, daß
er nur mit dem Winde laufen kann und sich niemals einstellen
kann, auch stehenzubleiben und gegen den Wind sich zu stellen,
damit er Ruhe haben kann. Ich habe im öffentlichen
Vortrag in Basel gesagt: innerhalb der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung braucht der Kapitalist bloß die
Arbeitskraft des Arbeiters. In dem gesunden sozialen Organismus
muß die Sache so veranlagt sein, daß der Kapitalist
auch die Ruhe des Arbeiters braucht, daß er angewiesen ist
auf die Ruhe. Das abstrakt-kapitalistische Kapital braucht nur
die Arbeitskraft — dasjenige Kapital, das durch die
Dreigliederung zurückgegeben wird der rein
menschlichen Stoßkraft, das wird auch die Ruhe des
Arbeiters brauchen, das wird die Ruhe aller Menschen brauchen.
Denn das wird sich sozial hineinstellen müssen in
den sozialen Organismus, wird wissen, wie es von dem
sozialen Organismus getragen wird und ihn wieder tragen
muß.
Wer
gesund denkt und dem geistigen Gebiete angehört, der
weiß ganz gut, was das einzelne, das individuelle Leben
ist; das ist eine Sache für sich, das ist keine
Sache für den sozialen Organismus; er hat als
solcher ein Einzelleben. Aber insofern der Mensch ein
soziales Leben hat, hat er dasjenige, was er geistig ist,
aus der menschlichen Gemeinschaft heraus, muß es ihr
wieder zurückgeben und wird das Bedürfnis
haben, es ihr wieder zurückzugeben.
Das
ist es, worauf es ankommt, daß man ebenso den seine
Arbeitskraft ersparenden Proletarier braucht, um ihn an
dem geistigen Leben teilnehmen zu lassen; daß man den
Willen hat, dem Arbeiter so viel Ruhe zu geben, so viel
ersparen zu lassen von seiner Arbeitskraft, daß er
herankommt, um an dem geistigen Leben teilzunehmen. Darauf
kommt es an. Während die bürgerliche
Wirtschaftsordnung es allmählich dahin gebracht hat,
daß eine tiefe Kluft entstanden ist, wie ich schon gestern
angedeutet habe: die bürgerliche Wirtschaftsordnung
produziert ein Geistiges, das nur für diese
bürgerliche Wirtschaftsordnung gilt, und das
gar keinen Zusammenhang hat mit dem proletarischen Leben.
Dazu kann man sagen: der Kapitalismus hat es dahin gebracht,
nur auf die Arbeitskraft angewiesen zu sein und nicht auf die
Ruhe des Proletariers. Solche Dinge scheinen heute noch
abstrakt zu sein. Sie werden es nicht mehr sein
dürfen. Denn von dem richtigen
Verständnis dieser Dinge hängt die
heilsame Entwicklung der menschlichen Gegenwart und Zukunft
ab.
Nun, ich habe Ihnen heute wiederum einige Andeutungen gemacht
gerade über eine Beziehung mancher
geisteswissenschaftlicher Fundamentalsätze zu
dem sozialen Leben. Man möchte so gern, daß
gerade eine geistige Bewegung, wie es die unsrige ist, auch in
sich selbst als ein kleiner sozialer Organismus gesundete an
dem Durchdringen von praktischen Lebensbegriffen mit
geisteswissenschaftlichen, geistig wissenschaftlichen
Begriffen, damit jenes schrecklich
Bürgerliche, was sich herausgebildet hat zum
Unheil der Menschheit, diese Abtrennung des wirtschaftlichen,
materiellen Lebens von dem geistigen Leben, damit diese
ungesunde Abtrennung aufhöre. Gliedern muß sich
der soziale Organismus, damit es nicht mehr Menschen gibt, die
auf der einen Seite ihre Coupons abschneiden und in dem
Couponabschneiden nichts anderes als Sklavenhalter sind,
weil für die Coupons, die sie abschneiden, so
und so viel Leute ohne Zusammenhang mit ihnen schwere Arbeit
verrichten müssen, und die nachher in die Kirche
gehen und zu Gott beten um ihre Erlösung, oder auf
die theoretischen Versammlungen gehen, um da
über alle möglichen schönen
Dinge zu reden; die sich gar keine Begriffe darüber
machen, welcher Unsinn darin liegt, ein abstraktes Geistesleben
zu führen, einen Zusammenhang mit einem Gott
zu suchen, während man auf der anderen Seite
durch das Abschneiden der Coupons einfach teilnimmt am
Sklavenhalten, an der Ausnützung der Arbeitskraft.
In ungesunder Weise trennen Sie die Dinge, wenn Sie nicht
darauf eingehen, sie in gesunder Weise zu trennen. Das ist es,
worum es sich handelt, was versäumt worden ist und
korrigiert werden muß: diese abstrakte Trennung, diese
Installierung einer Kluft zwischen einer in
Wolkenkuckucksheim schwebenden Religiosität
und Ethik und dem äußeren Leben, das man
gedankenlos nach der Struktur, die heute der ungesunde
soziale Organismus eingenommen hat, einfach weiter treibt. Es
kommt darauf an, daß man diese Dinge in der Weise
durchschaut und daß man vor allen Dingen durchschaut,
daß das Unglück der heutigen Zeit aus dieser
bürgerlichen Trennung des Abstrakten und des
Konkreten gekommen ist. Man kann schon den Anfang machen
gerade in einer solchen Bewegung, wie die unsrige ist, eine Art
gesunden kleinen sozialen Organismus hervorzurufen, wenn man
sich bestrebt, alles dasjenige, was gerade in einer solchen
Bewegung als krankhafte Bildungen sich geltend macht, das
Sektiererwesen, auszutreiben. Unter nichts hat man mehr zu
leiden gehabt in dieser anthroposophisch orientierten
Geistesbewegung, als daran, daß immer wieder und
wieder da und dort die Tendenzen zum Sektiererwesen, zu
Sektenbildüngen auftauchen; ohne daß die Leute
es merken, streben sie nach irgendeiner Sektiererei. Das
Gegenteil von irgendwelcher Sektenbildung muß
anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft sein. Dann
wird sie auch den unbewußten und unterbewußten
Forderungen der Gegenwart entgegenkommen, die wahrhaftig nicht
darauf hinauslaufen, neue Sekten zu bilden, sondern etwas
auszubilden, was aus dem ganzen Menschen für alle
Menschen, und aus allen Menschen für den ganzen
Menschen sich entwickelt.
Denken Sie nur einmal darüber nach, wie Sie
über das innerlich Sektiererische in Ihrer eigenen
Seele hinauskommen, meine lieben Freunde. Sektiererisches lebt
heute wie ein Atavismus, wie eine ungesunde Erbschaft in
zahlreichen Seelen. Und dieses Sektiererische beruht auf dem
Unwillen, in die Verhältnisse des
äußeren Lebens dasjenige hineinzutragen,
was wirkliches Geistesleben ist. Nur durch solche
sektiererische Schwarmgeistigkeit konnte es geschehen, daß
also zum Beispiel diesem Aufruf, von dem ich Ihnen gestern
gesprochen habe und den ich Ihnen vorgelesen habe, vorgeworfen
wurde: gerade von dieser Seite hätte man erwartet,
daß auf den Geist hingewiesen werde. Das ist mir
allerdings immer passiert, daß ich niemals in dem Sinne
solcher Schwarmgeister auf den Geist habe hinweisen
können. Als im Anfange der neunziger Jahre von
Amerika herüber sich die Adler-Unoldsche ethische
Bewegung verbreitete, da habe ich mich mit aller Kraft dagegen
gewendet, weil ja eine Bewegung für ethische Kultur
hätte gegründet werden sollen, die auf
gar nichts basierte und mit gar nichts im Leben zusammenhing,
als eben nur damit, daß man ethische Grundsätze
verbreiten wollte. Lebensverständnis,
Verständnis des Lebens aus dem Fundamentalen dieses
Lebens heraus, das ist es, was der heutigen Menschheit not tut,
nicht Phrasen-Dreschen, man solle die Dinge so oder so machen.
Und mit Bezug auf den sozialen Organismus ist die
Dreigliederung dasjenige, über das
zunächst als über etwas Fundamentales
nachgedacht, nachgeforscht, nachgesonnen werden muß, was
eigentlich eingehen müßte in die menschlichen
Gemüter, so daß sie es so beherrschen, wie man
das Einmaleins beherrscht.
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