LEBEN, TOD UND SEELENUNSTERBLICHKEIT
IM WELTENALL
Berlin, 22. März 1917
Wer
im wirklich wissenschaftlichen Sinne die Geisteswissenschaft
vertritt, wie sie hier gemeint ist, der kann eigentlich nicht
erstaunt sein über die zahlreichen schiefen Urteile und
Ablehnungen, welche ihr heute noch von allen Seiten
entgegengebracht werden. Denn er vermag einzusehen, welche
Tragweite, welchen Geltungsbereich die naturwissenschaftlichen
Ergebnisse der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit
haben, von denen mancher vermeint, daß sie dieser
geisteswissenschaftlichen Weltanschauung widersprechen. Allein
auf Seiten derjenigen, die da glauben, auf dem festen Boden der
gegenwärtigen Forschungsresultate stehend, sich ein
Weltbild machen zu können, das die
geisteswissenschaftlichen Vorstellungen nicht
berücksichtigt, läßt man sich heute
begreiflicherweise noch nicht ein auf eine wirkliche
Prüfung dessen, was Geisteswissenschaft für ihre
Ergebnisse zu sagen hat. Und so stellt sich denn die Tatsache
ein, daß man zwar zeigen kann, wie diese
Geisteswissenschaft nicht nur mit allen berechtigten
naturwissenschaftlichen Ergebnissen der Gegenwart in Einklang
steht, sondern daß auch gerade diese
naturwissenschaftlichen Ergebnisse, recht angeschaut,
bekräftigen, was Geisteswissenschaft zu sagen hat; und
dennoch, man muß Gegnerschaft finden, die noch
begreiflicher wird, wenn man die Wege des
naturwissenschaftlichen Forschens in mehr konkreten, speziellen
Dingen ins Auge faßt.
Es
ist noch nicht lange her, da hat Professor Dewar in der
Royal Institution einen Vortrag gehalten, in dem er versuchte,
auf Grund der Anschauung, die er gewonnen hat aus den
naturwissenschaftlichen Ergebnissen der Gegenwart, über
einen zukünftigen Endzustand des Erdendaseins zu sprechen.
Halten wir uns einmal vor, was dieser Physiker, dessen
physikalische Forschungen durchaus von mir voll anerkannt
werden, sich für Ideen über einen Endzustand des
Erdendaseins macht, einen Zustand, in dem nicht mehr vorhanden
sein können die menschlichen Erdenbewohner, die jetzt auf
dieser Erde herumgehen. Professor Dewar versucht, die
physikalischen Vorstellungen, die ihm heute zur Verfügung
stehen, zu verwerten, und findet mit einer gewissen einseitigen
Berechtigung heraus, man müsse nach den Vorgängen,
die zu beobachten sind von dem Physiker, annehmen, daß die
Erde sich abkühle. Und er berechnet einen Endzustand, in
dem die Erde abgekühlt sein wird bis, sagen wir, minus 200
Grad Celsius. Er läßt den Gedanken durchblicken,
daß die Erde in ihrer Entwickelung zu einem solchen
Endzustand hin ihren Weg nimmt. Da ist er sich denn klar
darüber, daß selbstverständlich alles, was jetzt
als Wasser im Meere ist, längst fest geworden sein wird;
daß auch die Luft, die heute unsere Atmosphäre
bildet, flüssig sein wird, und in einer Höhe von zehn
Metern die Erde bedeckt sein wird von dieser flüssig
gewordenen Luft, in Form eines Meeres. Die Kälte, wie sie
dann herrschen wird, meint er, wird sehr vieles von dem, was
heute auf der Erde ist, anders erscheinen lassen. Es
ändert sich natürlich nicht bloß der
Wärmezustand und mit ihm die Aggregatzustände der
einzelnen Körper, sondern auch vieles andere im Aussehen
dessen, was dann auf der Erde sich vorfinden wird. So findet
Professor Dewar, wiederum ganz richtig von physikalischen
Vorstellungen ausgehend, daß die Milch, die dann
selbstverständlich fest sein wird, in blauem Lichte
erstrahlen wird. Ich weiß zwar nicht, auf welche Weise
diese feste Milch dann erzeugt werden wird, aber sie wird nach
physikalischen Vorstellungen in blauem Lichte erstrahlen. Ja
noch mehr: Eiweiß wird so leuchtend sein, daß man bei
diesem Lichte, das man ja dadurch erzeugen kann, daß man
die Wände der Zimmer mit diesem Eiweiß anstreicht,
wird Zeitung lesen können. Ich weiß zwar nicht, wer
dann Zeitung lesen wird, da ich vermute, daß die Menschen
längst erfroren sein werden, aber dennoch gebraucht Dewar
diese Auseinandersetzung, um den einstigen Zustand unserer Erde
nach seinem Weltenbilde sich in der Vorstellung zu formen, und
viele andere Dinge. Auf der flüssig gewordenen Luft, die
dann Meer sein wird, werden nurmehr ganz gasige leichte
Körper sein, Wasserstoff, Helium, Neon, Krypton. Er
beschreibt sehr schön, wie man sich dann ganz anders
fühlen wird, weil natürlich der Widerstand dieser
leichten Gase kein so starker sein wird wie der Widerstand der
Luft für den jetzigen Organismus.
Man
kann, indem man die Vorstellungen der heutigen Physik verfolgt,
diesen Endzustand der Erde sehr ins Detail ausmalen, und solch
ein Vortrag wird selbstverständlich in unserer Gegenwart
von den «nicht autoritätsgläubigen»
Menschen — das muß man aus Höflichkeit sagen,
denn heute ist natürlich niemand
autoritätsgläubig — hingenommen als etwas, was
außerordentlich bedeutsam ist, was endlich zeigt, wie der
«exakte Physiker» über ein gültiges
Weltbild zu denken hat.
Wenn Sie sich erinnern, was ich unter den
hauptsächlichsten Bedingungen angeführt habe, die
nötig sind, um geisteswissenschaftlich zu forschen, war es
dieses, daß die Seele allmählich durch jene inneren
Übungen, welche sie durchzumachen hat, zu dem kommt, was
ich mit einem Goethe'schen Worte das Schauen durch die Augen
der Seele genannt habe; daß sie namentlich durchzumachen
hat ein Leben in Vorstellungen, das nachgebildet ist dem
äußeren moralischen Denken. Nicht daß es mit
diesem zu verwechseln wäre, aber die ganze Seelenstimmung,
die der Geistesforscher in sich zu entwickeln hat, muß so
sein, daß zu den wirklichkeitsdurchsättigten
Vorstellungen, die er anstreben muß, sein eigenes Ich sich
so verhält, wie sich äußerlich der Mensch
verhält zu Dingen, die er für moralisch gut, und
solchen Dingen, die er für moralisch schlecht halt. Da ist
man nicht zufrieden damit, daß gewisse Dinge als moralisch
gut, andere als moralisch schlecht bezeichnet werden
können, sondern da weiß man, wenn der Affekt des
Menschen zum Guten spricht, daß man den guten Impulsen zu
folgen hat, und wenn der Affekt zum Bösen spricht,
daß man ihn zu unterdrücken hat. Und man verhält
sich demgemäß im äußeren Leben, wenn man
alle Kräfte seiner Seele voll entwickelt hat. So muß
das Verhältnis des Geistesforschers zu seiner eigenen
Begriffswelt ein lebendiges, nicht bloß ein logisches
werden. Und im Leben der Idee, der Vorstellung tritt eben das
auf, daß man gewisse Vorstellungen hegt, weil sie
fähig sind, in die Wirklichkeit einzudringen. Während
andere Vorstellungen sich so ankündigen, daß man sie
vergleichen kann mit dem, was zu unterlassen ist auf dem
Gebiete des moralischen Lebens; sie müssen
gewissermaßen weggerückt werden aus dem Horizont des
Bewußtseins. In diesem innerlichen Leben der Seele zeigt
sich jenes Aufsteigen der geistigen Welten, die dann
anzuschauen sind. Solche Menschen wie Professor Dewar werden
gerade durch ihre Vorurteile oder besser
«Vorfühlungen» abgeführt von einem solchen
Streben nach wirklichkeitsdurch-tränkten Vorstellungen.
Für den Geistesforscher wird es dann durchsichtig, wo
eigentlich der Fehler in dem Aufbau eines solchen Weltenbildes
liegt. Man könnte nämlich im Stile dieses
Weltenbildes mit Bezug auf den Endzustand der Erde einen
Vergleich ziehen dazu, wenn jemand aus ganz richtigen
physikalischen, chemischen, physiologischen Voraussetzungen
heraus, berechnet die Entwickelung, sagen wir, gewisser
Stoffwechselerscheinungen des Menschen. Man könnte da
gewisse Stoffwechselerscheinungen im Leibe des Menschen
ausdeuten und Zukunftszustände unter der Voraussetzung
berechnen, daß dieser Stoffwechselprozeß in der Zeit
gleichmäßig so abläuft, wie er abläuft,
nun, sagen wir, zwischen dem 30. und 40. Jahr des Menschen. Man
beobachtet da einzelne Vorgänge und berechnet dann, wie
diese sich nach den ganz richtigen Voraussetzungen der
Wissenschaft in 150 Jahren gestalten müssen. Der Einwand
ist nur der, daß nach 150 Jahren die Menschen nicht mehr
leben werden, daß da bereits der Zustand eingetreten ist,
wo die Seele den Leib verlassen hat, und der Leib nicht mehr
den Gesetzen folgt, die ihm aufgedrängt sind dadurch,
daß er von Seele erfüllt ist, sondern
äußeren physischen und chemischen Gesetzen der
Erdenumgebung folgt. Wenn man so etwas heute sagt, dann kann
man sich der Gefahr aussetzen, daß einem vorgeworfen wird,
etwas ganz Groteskes, etwas ganz Törichtes zu sagen.
Dennoch: wer nicht gedankenlos den naturwissenschaftlichen
Forschungen der Gegenwart folgt, sondern sich einläßt
auf die Art und Weise, wie gewisse Voraussetzungen zu
Folgerungen verwandt werden, der weiß, daß tief
berechtigt ist, was ich soeben als einen Vergleich
angeführt habe. Denn es gilt durchaus, daß nach der
Zeit, wo die Milch so schön in blauem Lichte erstrahlen
würde, wo man die Wände bestreichen könnte mit
Eiweiß, so daß man dabei Zeitungen lesen könnte,
die Erde ja ebensowenig vorhanden wäre, wie der
menschliche Leib vorhanden ist nach 150 Jahren.
Es
ist heute die Meinung verbreitet, daß Geisteswissenschaft
leichtgeschürzte Vorstellungen aus dem Handgelenk heraus
bildet. Und weil man diese Voraussetzung hat, fällt
natürlich der Vergleich von Geisteswissenschaft und
Naturwissenschaft so aus, daß man sagt: Da ist auf der
einen Seite diese Naturwissenschaft, die in exakter,
gründlicher Weise zu ihren Ergebnissen gelangt; und da ist
auf der anderen Seite die Geistesforschung, welche zwar
behauptet, mit der Naturwissenschaft in vollem Einklang zu
stehen, aber eben ihre Begriffe durch irgendeine Phantasterei
erhalt! Es müssen eben Vorurteile dieser Art erst einmal
überwunden werden, wenn Geisteswissenschaft weiter
anerkannt werden soll. Und zu den geisteswissenschaftlichen
Ergebnissen ist nicht so ohne weiteres zu kommen. Man kann
Schwierigkeiten, die sich wirklichen Ergebnissen der
Geistesforschung entgegenstellen, studieren, wenn man
Erkenntnismenschen ins Auge faßt, welche ihr Leben widmen
dem Ringen nach wirklicher Erkenntnis, welche nicht bloß
nachsprechen, was eben der Gang der äußeren Forschung
heute gibt, sondern, indem sie bekannt sind mit all den
Einzelheiten der modernen Forschung, ringen nach einer
Erkenntnis auch der geistigen Verhältnisse der Welt.
In
diesen Tagen konnte man erinnert werden an eine solche
Erkenntnis-Persönlichkeit, indem gerade der Seelenforscher
vor einigen Tagen gestorben ist, den ich vor kurzem hier
erwähnt habe in einem anderen Zusammenhang: Franz
Brentano, Die verehrten Zuhörer, die öfter hier
sind, wissen, daß ich nur sehr selten auf
Persönliches von mir aus eingehe. Allein eine Bemerkung
möchte ich mir heute doch gestatten: daß ich Franz
Brentanos, des Seelenforschers, Forschungsweg wirklich von
seinen Anfängen bis in sein späteres Ringen verfolgt
habe. Und gerade an ihm konnte man so recht sehen, wie es dem,
der nach der Erkenntnis der geistigen Welt strebt, in der
Gegenwart durch die entgegenstehenden Vorurteile schwierig
wird, zur vollen Kraft, soweit sie in jedem, also auch dem
heutigen Zeitalter möglich ist, sich durchzuringen. Franz
Brentano stand manches im Wege, was sich gerade dadurch ergab,
daß er — nicht im naturwissenschaftlichen Zeitalter,
das wäre sein Glück gewesen, aber—in den
Vorurteilen des naturwissenschaftlichen Zeitalters
drinnen lebte. Und so ist es denn gekommen, daß Brentano,
nachdem er einige geistvolle, tiefgründige Schriften
über Aristoteles geschrieben hatte, dann 1874 eine
«Psychologie,» eine Seelenkunde veröffentlicht
hat. Sie sollte der erste Band sein von mehreren Bänden,
in denen er aufsteigen wollte zum Begreifen des wirklichen
geistigseelischen Lebens. Es ist bei dem ersten Band geblieben,
und nur in kleineren Schriften hat dann Brentano, ich
möchte sagen, einige Späne dessen, was er zu sagen
hatte, weiter hinzugefügt.
Gewiß, Brentanos äußeres Leben war Wechsel voll;
und wer die Dinge nur äußerlich betrachtet,
könnte vielleicht sagen, dieses wechselvolle
äußere Leben hätte Franz Brentano gehindert, zu
der Sammlung zukommen, die nötig gewesen wäre, um
seine «Seelenkunde» zu vollenden. So ist es aber
nicht; sondern es ist so gekommen, daß Brentano an den
Rätseln des Seelenlebens selber gescheitert ist. Er begann
sie im ersten Bande seiner «Psychologie» so
darzustellen, daß ihn der Weg geführt hätte
gerade dahin, wo die Geisteswissenschaft steht, die hier
gemeint ist. Aber da konnte er nicht durch wegen seines Haltens
an naturwissenschaftlichen Vorurteilen. Und da er nicht
irgendwelche bloße Begriffe entwickeln wollte, sondern
Wirklichkeit enthaltende Begriffe, so ließ er die ganze
Sache stehen.
Nun
ist Brentano schon damals, als er seine Psychologie schrieb,
von dem Grundsatze ausgegangen, das innere seelische Leben
könne zwar wahrgenommen, aber nicht beobachtet werden. Es
ist ein Ausspruch, welcher so begründet wie möglich
erscheint, aus dem einfachen Grunde: Das seelische Leben, das
wir entwickeln, sind wir ja selber. So kann man sagen: Wenn
irgendeine Vorstellung auftritt, so müssen wir sie haben;
wir können uns ihr nicht gegenüberstellen und sie
beobachten. Wenn wir sie beobachten, so ist sie vergangen, so
muß sie aus der Erinnerung erst wieder heraufgeholt
werden. Diese und noch andere Schwierigkeiten liegen vor. Daher
meint Brentano, man könne das seelische Leben wohl
wahrnehmen, aber nicht beobachten. Aber er hat nicht gesehen,
daß man gerade dann niemals zu einer Wissenschaft des
Seelischen kommen würde, wenn man so beobachten
könnte, wie er es meint, nämlich daß dieses
Beobachten ganz nach dem Muster der Naturwissenschaft
wäre. Könnte man so beobachten, das heißt bliebe
einem das seelische Leben stehen, so würde man in diesem
seelischen Leben nichts wahrnehmen als Spiegelbilder,
Spiegelbilder einer Wirklichkeit. Aus diesen Spiegelbildern
würden sich ebensowenig Ergebnisse herausfinden lassen
über die Wirklichkeit, wie man die Bilder eben eines
Spiegels greifen kann oder dergleichen. Man kann das seelische
Leben überhaupt nicht beobachten, wenn man es nur in der
unmittelbaren Gegenwart beobachten will. Daher mußte ich
vor einigen Wochen hier sagen: Nicht darauf kommt es an bei der
Beobachtung des Seelisch-Geistigen, daß man
gewissermaßen sich diesem Seelisch-Geistigen
gegenüberstellt und es dann beobachtet wie ein
naturwissenschaftliches Objekt, sondern darauf kommt es an,
daß man solche inneren Vorgänge herbeiführt, wie
es zum Beispiel dieser ist: Man gibt sich, wie man sagt,
meditativ einer ganz bestimmten Vorstellung hin, immer wieder
und wiederum, aber man beobachtet dann auch, wie diese
Vorstellung wirkt, ohne daß man dabei ist; man
übergibt gewissermaßen — von vorneherein
braucht man sich darüber nicht zu entscheiden — das,
was man vorstellt, dem objektiven Gang der Welt. Ob das nun
heruntergedrängt wird in das sogenannte Unterbewußte,
oder ob es irgendeiner anderen Sphäre des Weltendaseins
übergeben wird, das zeigt sich im weiteren Verlauf der
Vorstellung. Man läßt das, was man in das
Bewußtsein hereingerufen hat, so wirken, daß man
nicht mehr dabei ist. Und hat man dann die anderen
Verstärkungen des Bewußtseins verrichtet, die da
beschrieben sind in dem Buche «Wie erlangt man
Erkenntnisse der höheren Welten?», dann findet man
allerdings, daß man zwar dieses Seelisch-Geistige, das in
einem selber waltet, nicht so beobachten kann, wie es Brentano
wollte, sondern daß man es beobachten muß, indem man
es in seinem Wirken in der Zeit ins Auge faßt. Das
Seelische zeigt sich nur, wenn man es im Lebenslauf des
Menschen ins Auge faßt; nicht indem man sich ihm in der
Gegenwart gegenüberstellt, sondern indem man sieht, wie
dieses Seelische arbeitet zwischen Geburt und Tod. Und dieses
Beobachten des Seelischen, das geschieht in derselben
Exaktheit, wie äußere wissenschaftliche Forschungen
angestellt werden.
Wie
gesagt, wenn ich Persönliches anführen darf, so darf
ich vielleicht sagen: Ich habe in den letzten zwei
Vorträgen hier über die Beziehungen des Seelischen
zum Nervensinnesmenschen, zum Atmungsmenschen, zum
Stoffwechselmenschen gesprochen, und habe versucht, im vollen
Einklang mit der Naturwissenschaft ein Ergebnis aufzuzeigen,
von dem ich glaube, daß es von ungeheurer Bedeutung sein
kann für das Verständnis des Weltenzusammenhanges.
Ich habe bisher in dieser Weise nicht formuliert, was ich in
den beiden letzten Vorträgen ausgesprochen habe, aber es
ist jetzt ganz genau fünfunddreißig Jahre her, seit
ich als ganz junger Mann in Wien begonnen habe mit den
Forschungen, welche zuletzt dazu führen konnten, das
auszusprechen, wie es in den letzten zwei Vorträgen
geschehen ist. Und ich war unablässig bei diesem Forschen.
Dieses Forschen versuchte ich so zu verfolgen, wie ich das auch
neulich beschrieben habe: durch das Übergeben der
Vorstellungen an die Objektivität, um zu sehen, was aus
den Vorstellungen selber wird, wenn sie geistig arbeiten, ohne
daß man dabei ist. Man wird eben einmal erkennen, daß
geistige Forschung ebenso exakt ist wie äußere
naturwissenschaftliche Forschung. Das wird vielleicht notwendig
sein, wenn der Kreis derjenigen größer werden soll,
die in dieser Geisteswissenschaft das sehen, was der
zukünftigen Bildungsentwickelung der Menschheit notwendig
ist. Allerdings stellt sich heraus, daß auf dem Wege
dieser geistigen Forschung die Vorstellungen nicht so abstrakt
verlaufen in der Seele, wie sie verlaufen, wenn man
äußerlich naturwissenschaftlich forscht, oder wenn
man so, wie man es gewöhnt ist mit Bezug auf das
äußere Leben, nachdenkt. Die Vorstellungen verlaufen
vielmehr so, daß nach der anderen Seite hin, möchte
ich sagen, als nach der zur sinnlichen Außenwelt die
Vorstellungen, die also verfolgt werden in ihrem Eigengange,
wenn man persönlich nicht mehr dabei ist, sich durch ihre
eigene innere Wesenheit verbinden mit dem geistigen Leben, mit
dem geistigen Geschehen, das sich nur beobachten läßt
in seiner Tätigkeit, nicht in seiner Ruhe. Nur in vollem
Gange, den man mitmacht, läßt sich die geistige Welt
beobachten.
Eine Beobachtung, wie ich sie nunmehr anführen will, wird,
wenn man sie ohne die Vorbedingung einer inneren Schulung der
geistesforscherischen Tätigkeit vornimmt, zu nichts
richtigem führen, gerade so, wie beim Hantieren im
chemischen Laboratorium, für den, der die Dinge nicht
handhaben kann, sie zu nichts führen; erst nachdem man
sich die inneren experimentellen Dinge geschaffen hat, zeigt
sich die Sache im rechten Licht. Es zeigt sich nämlich das
in seiner wahren Gestalt, was manche Denker geahnt haben, wobei
sie aber wirklich kaum über die Ahnung hinausgekommen
sind: Alles dasjenige, was wir an seelischem Leben entwickeln,
indem wir mit der Außenwelt, sei es mit der leblosen oder
mit der lebendigen Außenwelt in Berührung kommen,
dieses ganze seelische Leben, das für gewöhnlich in
unserem Bewußtsein liegt, ist begleitet von einem anderen
Seelenleben. Und wer die inneren Bedingungen hergestellt hat,
um solche Dinge richtig innerlich zu beobachten, der kann
gewahr werden, wie die Seele — Eduard von Hartmann
würde es nennen: im Unbewußten, aber dieses
Unbewußte, das ich hier meine, unterscheidet sich von dem
Hartmannschen eben dadurch, daß es bewußt werden kann
— fortwährend in diesem Unbewußten arbeitet. Es
geht neben der Strömung des bewußten Seelenlebens
eine andere fortwährend einher, welche-man kann das
verfolgen, wenn man den Seelenblick darauf richten kann —
nicht den Gesetzen unterworfen ist, denen das äußere
Seelenleben unterworfen ist, und die übereinstimmen
selbstverständlich mit dem Gang der Naturereignisse.
Gesetzen ist zwar auch dieses Seelenleben unterworfen, auf
welches ich jetzt hinweise, aber es stimmen diese Gesetze nicht
mit dem, was als Gesetze vorwaltet in dem gewöhnlichen
bewußten Seelenleben. Für den Geistesforscher dringt
dieses unterbewußte Seelenleben herauf. Für das
gewöhnliche Leben dringt es auch herauf, nur weiß man
es nicht, daß es heraufdringt. Man glaubt zum Beispiel
oftmals: diese Vorstellung, diesen Gedanken hast du
gefaßt, und glaubt, der ganze Vorgang liegt im
gewöhnlichen bewußten Seelenleben. Das tut er nicht,
sondern er taucht herauf aus einem unterbewußten
Seelenleben.
Der
Geistesforscher kann nun verfolgen, wie diese zwei
Strömungen des Seelenlebens zusammenarbeiten. Und im
Grunde genommen, wenn man nicht im abergläubischen oder
theoretisch-mystischen Sinne von Hellsichtigkeit spricht,
sondern in exaktem Sinne, so ist diese Hellsichtigkeit nichts
anderes als die Fähigkeit, dieses parallel gehende
Seelenleben wirklich hinaufzuheben und sich überzeugen zu
können, daß es zwar seinen Gesetzen unterliegt,
daß aber diese Gesetze anders sind als diejenigen des
bewußten Seelenlebens. Nicht in irgendwelche krankhafte
oder pathologische Zustände wird sich der hineintreiben,
der in gesunder Weise, wie es beschrieben ist in meinem Buche
«Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren
Welten?», zu solchen Beobachtungen sich aufschwingt. Im
Gegenteil, es wird das eintreten, was ich im letzten Vortrage
hier angedeutet habe: er wird sein Seelenleben immer
gesünder und gesünder machen, wenn er richtig
vorgeht. Aber eine gewisse Fähigkeit des Zusammenwirkens
des unterbewußten Seelenlebens mit dem gewöhnlichen
Seelenleben, die wird sich ein solcher Geistesforscher
erwerben. Und während man im gewöhnlichen Leben, zum
Beispiel wenn man zuhört, wenn einem jemand etwas
vorliest, glaubt, man sei nun mit der ganzen Seele hingegeben
dem, was einem vorgelesen wird, meint man das als wirklich
geschulter Geistesforscher nicht mehr. Man weiß, daß
das unterbewußte Seelenleben fortläuft und oftmals
ganz andere Wege geht, als die Wege der Vorstellungen sind, die
vorgelesen werden. Und wenn man genügend Virtuosität
hat, um nun doch nicht unaufmerksam zu werden im Zuhören,
so steigen zwischen zwei Worten, die man anhört, aus dem
Unterbewußten Dinge herauf, die ebenso seelisch erarbeitet
sind, wie die Dinge des bewußten Seelenlebens, die
aber parallel laufen dem Strome des bewußten Seelenlebens;
Dinge eines ganz anderen Seelenlebens.
Gewisse Denker haben das geahnt, indem sie zum Beispiel
aufmerksam machten, daß der Mensch nicht nur im Schlafe
träumt, sondern daß eigentlich den ganzen Tag
über beim Wachen das Traumleben fortgeht, nur
überleuchtet wird von dem gewöhnlichen bewußten
Seelenleben. Das ist auch wahr — und doch auch wiederum
nicht wahr. Es geht nur so etwas ähnliches vor wie das
Traumleben. Das Traumleben ist nur wie eine chaotische
Abschattung desjenigen, was da vorgeht. Es geht nämlich im
Unterbewußten vor dieser parallel laufende Strom, der
für das heutige gewöhnliche Seelenleben so
flüchtig ist wie die Träume, und sich daher mit dem
Traume vergleichen läßt, der aber heraufsteigt aus
einer geistigen Wirklichkeit.
Indem man diese beiden Strömungen — das
Seelisch-Geistige und das an die äußere Natur
gebundene Seelische — in ihrem Zusammenwirken beobachtet,
lernt man allmählich aufsteigen zu einer Vorstellung, die
in ihren Einzelheiten in diesem einen Vortrage nicht
begründet werden kann, die aber ihrem Ergebnis nach
angeführt werden soll. Man lernt erkennen, daß das
gewöhnliche Seelenleben, wie es mit Recht von den
physiologischen Psychologen der Gegenwart von der Art Theodor
Ziehens zum Beispiel, den ich neulich angeführt habe,
dargestellt wird, zu seiner notwendigen Bedingung das
äußere physisch-leibliche Leben hat. Verfolgt man nun
wiederum dieses äußere physisch-leibliche Leben mit
den Mitteln der Geistesforschung, dann kommt man darauf,
daß dieses äußere physisch-leibliche Leben und
damit auch das an dieses gebundene seelische Erleben des
gewöhnlichen Bewußtseins zusammenhängt mit jenen
Wirkungen, die sich abspielen zwischen Erde und Sonne.
Wirkungen, die nur verfeinerter Art sind, die aber ähnlich
sind den Wirkungen der Sonnenumgebung, sagen wir, auf die
Pflanzenwelt und dergleichen. Man lernt erkennen den realen
Zusammenhang zwischen dem Werkzeuge unseres gewöhnlichen
bewußten Seelenlebens und Erde und Sonne, ich könnte
auch sagen: unseres ganzen Weltensystems, so wie die Astronomie
oder die Astrophysik von diesem Weltensystem spricht. Man lernt
aber auch erkennen, daß grundverschieden von den Gesetzen,
welche dem Leiblichen und damit auch dem Seelischen des
Menschen eingepflanzt werden durch das Sonnen-Erdenleben, der
Verlauf der anderen Strömung ist. Der hängt nicht
zusammen in seiner Gesetzmäßigkeit mit der
Gesetzmäßigkeit der leiblich-seelischen bewußten
Vorgänge. Im Gegenteil, er widerspricht ihnen vielfach. Wo
man im äußeren seelischen Leben das hat, was der
Psychologe eine Assoziation nennt, ein Zusammenbringen von
Vorstellungen, da vollführt dieses innere
unterbewußte Seelenleben eine Trennung, und umgekehrt.
Das
sind aber nur Andeutungen über weitgehende Unterschiede
des äußeren und des inneren Erlebens. Und erkennt man
so in einem viel weiteren Umfange den Zusammenhang des
Seelischen und des Leiblichen, und wiederum des Leiblichen des
Menschen mit dem ganzen Sonnen-Erdendasein, dann bekommt man
auch Vorstellungen über einen Endzustand des Erdendaseins
selbst; Vorstellungen, deren Bildung selbst in der heutigen
Sprache schwer zu beschreiben ist. Ich kann nur sagen: Jeder
weiß, wie der Astronom aus einer gegenwärtigen
Sternkonstellation eine zukünftige berechnen kann, wie man
zukünftige Sonnen- und Mondfinsternisse berechnen kann.
Dasjenige, was hier durch die Berechnung geschieht, das
geschieht, wenn man das richtige Verhältnis findet zu dem,
was man lernt über die beiden Strömungen, die ich
angedeutet habe, in ihrer Beziehung zum Erdenendzustand. Das,
was dort berechnet wird, wird hier innerlich geschaut. Man hat
es nicht zu tun mit vagen Analogien im Fechnerschen Sinn,
sondern mit einem wirklichen inneren Schauen des Endzustandes
der Erde. Denn man lernt erkennen, daß etwas, was aber in
seinen Einzelheiten natürlich nicht in einem Vortrage
dargelegt werden kann, sich als notwendiges Ergebnis
herausstellt. Ich will zu diesem Ergebnis hinführen durch
einen Vergleich.
Nicht wahr, so wie der Mensch als leibliches Wesen durch die
Welt geht, ist er nur möglich dadurch, daß das
Seelischeich will nicht sagen, ihn durchdringt, damit man nicht
glaubt, ich mache irgendwelche Hypothesen — in ihm sich
wirksam erweist. Kann es sich nicht mehr wirksam erweisen, dann
folgt dieser Leib anderen Gesetzen als denen, welchen er
zwischen Geburt und Tod folgt. Er folgt dann den Gesetzen,
denen er folgen muß wegen seiner Verwandtschaft zu der
äußeren physischen Erdenumgebung. Er geht ganz
über mit seiner eigenen Gesetzmäßigkeit in die
umgebende Erdengesetzmäßigkeit. Mit diesem
möchte ich vergleichen das Ergebnis, das herauskommt mit
Bezug auf das Leben unserer Erde. Unsere Erde macht ihren Gang
in der Entwickelung nach vorwärts, aber sie macht in
diesem Gang innere Verwandlungen durch. Diese Verwandlungen
kann man nicht kennenlernen, wenn man nicht weiß, daß
in dem Gange unserer Erde das eine reale Rolle spielt, was alle
seelischen Wesen in ihrem Unterbewußten wahrnehmen und
entwickeln in der angedeuteten Weise. So wie man nicht eine
Pflanze begreift in ihrem Werden, wenn man sich keine
Vorstellung darüber bilden kann, wie in der Pflanze dieses
Jahres in ihren ganzen Wachstumsgesetzen sich vorbereitet der
Pflanzenkeim des nächsten Jahres, wenn man nicht in allem
Aufschießen der Blätter und so weiter das Werden
des Fruchtkeimes der nächsten Pflanze sieht, so
kann man auch nicht unsere Erde begreifen, wenn man nur die
physikalischen Gesetze auf sie anwendet, wie es der Geologe
tut. Denn das, was wir erleben in unserem Unterbewußtsein,
das zeigt sich als etwas Keimhaftes in unserem Erdendasein.
Wenn ich einen Ausdruck brauchen darf, der nicht ganz richtig
ist, wir werden uns schon verstehen: Das wirkt und lebt mit,
ist aber etwas, was gar nicht zusammenhängt mit den
Beziehungen von Erde und Sonne. Und so stellt sich heraus:
Geradeso, wie für den leiblichen Menschen ein Zeitpunkt
eintritt, wo sein seelisches Erleben abgetrennt ist von dem
leiblichen, und das Leibliche übergeht in die
äußere Erdenumgebung, so tritt für die Erde ein
Zeitpunkt ein, welcher aufhören läßt die
Erden-Sonnenwirkungen. Geradeso wie aufhören die
seelischen Wirkungen im Leibe von innen, so hören von
außen auf die Sonnenwirkungen auf die Erde. Wie der Leib
von der Seele getrennt eine unmögliche Mischung ist, sich
auflöst, so wird die Erde von einem gewissen Zeitpunkte an
ein unmöglicher Körper im Weltenall. Und so wie der
menschliche Leib übergeht in die Erdenumgebung, in ihre
physischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten, so geht
die Erde von einem gewissen Zeitpunkte an über in die
Gesetzmäßigkeit, die wir jetzt in der angedeuteten
Strömung verfolgen.
Es
ist, wie Sie sehen, umgekehrt bei der Erde und beim Menschen.
Der Leib des Menschen geht über in die Erdenumgebung. Das,
was erden-sonnenhaft in der Erde ist, das geht über in
Geistiges. Dann, wenn dieser Zeitpunkt eintritt, herrscht in
diesem Erdenleibe, der dann auf diese Art, wie ich es
geschildert habe, gestorben sein wird, jene
Gesetzmäßigkeit, die wir wahrnehmen können in
der Parallelströmung, die gar nicht übereinstimmt mit
den äußeren Naturgesetzen. Und da kommt das
Eigentümliche zutage, das heute noch wie ein wahnsinniges
Paradoxon aussieht: daß die Gesetze, die wir heute
Naturgesetze nennen, eben nur bis zum Erdenende gelten. Und
wenn jemand versucht, nach der Art des Professors Dewar, diese
Gesetze über das Erdenende hinaus anzuwenden, so macht er
denselben Fehler, wie wenn jemand die Gesetze des Stoffwechsels
über den leiblichen Tod hinaus berechnet, über 150
Jahre. Die Erde wird nicht mehr da sein für den Zeitpunkt,
den Professor Dewar berechnet, denn sie hat sich in Geistiges
umgewandelt. Und alles Geistig-Seelische, das so beobachtet
werden kann in der zweiten Strömung, wie ich es
geschildert habe, das ist mit aufgenommen in dieses
Geistig-Seelische der Erde, das lebt drinnen zu anderen
Weltengestaltungen hinüber, zu künftigen
Weltengestaltungen, die zu beschreiben jetzt nicht möglich
ist. Aber wir sehen auf einen künftigen Endzustand unserer
Erde hin, in dem diese Erde so durch ihren Tod gegangen sein
wird, daß sie in einem Geistigen aufgegangen sein wird. Es
wird nicht einmal festgewordene Milch bläulich leuchten,
und Eiweiß als Kerze dienen, aber alles dasjenige, was
jetzt auf der Erde unter dem Erden-Sonnen-Gesetz steht, unter
dem, was wir heute Naturgesetze nennen, das wird einmal unter
ganz anderen Gesetzen, unter geistig-seelischen Gesetzen leben,
die heraufsteigen werden in der Weise, wie ich es geschildert
habe, aus unserem eigenen Innenleben. Denn wir sind mit dem,
was die Erde werden soll, wodurch die Erde unsterblich ist,
auch schon heute verbunden — keimhaft. Daher scheint das
wie traumhaft abgeschattet, was da unten im Seelenleben lebt.
Es ist eben mit der Keim künftiger Welten, und wir sind
unsterblich, indem wir mit diesem Unsterblichen des allgemeinen
Geistes leben.
Auf
diese Weise kommt man allerdings zu einer viel konkreteren
Anschauung über die geistige Welt, als wenn man die
abstrakten Schlagworte von «mystischem Pantheismus»
und so weiter braucht, mit denen sich heute so viele Menschen
noch viel zugute tun. Ein verschwommener, nebuloser Pantheismus
soll in der Geisteswissensdiafl;, die hier gemeint ist, nicht
gesucht werden, sondern konkrete Ergebnisse, die auf exakter
geistig-seelischer Beobachtung aufgebaut sind.
Das
allgemeine Bildungsdenken der Zeit ist heute noch abgeneigt
solchen wirklichkeitsgesättigten Vorstellungen, zu denen
der Geistesforscher aufrücken muß, um zu einem
Weltenbilde zu kommen, das alle Wirklichkeit, die wir erlangen
können, umfaßt, nicht bloß die äußere
physische. Wer bewußt mitgemacht hat den Bildungsgang der
letzten Jahrzehnte, hat ja bemerken können, wie die
Menschen im Grunde so gar nicht lieben — es beruht das
auf Entwickelungsgesetzen —, mit ihren Begriffen in die
Wirklichkeit unterzutauchen. Das lebendige Geistesleben zu
erfassen, indem man zu Vorstellungen kommen will, die selber
— ohne daß man persönlich dabei ist, sondern
das Drinnen-leben nur anschaut — in einer geistigen Welt
leben, dazu haben die Menschen der letzten Jahrzehnte
überhaupt gar nicht sich die Zeit genommen. Daher diese
zahlreichen Menschen, die ich nennen möchte die
«Knopfzähler» der Geisteswissenschaft. Ich
möchte sie Knopfzähler nennen aus folgendem Grunde:
Wenn man bewußt herangewachsen ist mit dem, womit sich
viele Menschen in den letzten Jahrzehnten als mit wichtigen
Begriffen befaßt haben, kann man durchaus begreifen,
daß es so geschehen ist, aber man muß es eben auch
begreifen. Da haben seit einigen Jahrhunderten bis zum heutigen
Tage gewisse Menschen sich immer wieder damit beschäftigt,
über das soziale Zusammenleben der Menschen nachzudenken.
Die einen sind zu mehr individualistischen Begriffen gekommen,
die anderen zu mehr sozialen Begriffen. Individualismus und
Sozialismus, sie haben in der letzten Zeit in den
mannigfaltigsten Variationen eine Rolle gespielt bei der
Betrachtung des menschlichen Zusammenlebens, das ja doch als
vom Geiste durchtränkt gedacht werden muß.
Demjenigen, der an wirklichkeitsgesättigte Begriffe
gewöhnt ist, erscheint dies Plätschern bei all den
Sozialisten und Individualisten der letzten Zeit und bis in
unsere Tage hinein, wenn man die Gedankengänge verfolgt,
durch die einer Individualist oder Sozialist wurde, wirklich
nicht tiefer geistig begründet, sondern so, als wenn man
an den Knöpfen abzählen würde: Individualist
— Sozialist, Individualist — Sozialist — und
gezählt hätte, bei welchem Knopf es aufhört; nur
daß es, wenn dieses Knopfzählen in Gedanken
geschieht, nicht so auffällig ist. Man plätschert da
herum in solchen Begriffen, die gar nicht dazu geeignet sind,
hineinzugreifen in die wahre Wirklichkeit, wie diese
Begriffsschatten, die man als Individualismus und Sozialismus
in den letzten Jahrzehnten so anhimmelt.
Die
Sache hat aber einen ganz ernsten Hintergrund und hängt
zusammen mit vielem, was für gewisse Verhältnisse in
der Gegenwart schon außerordentlich wichtig ist. Denn der
Mensch braucht nicht immer zu wissen, wie mit dem allgemeinen
Weltenbilde, das sich ergibt aus seinen Vorstellungen,
Empfindungen und Willensimpulsen, das gewöhnliche
Tagesleben, das soziale Leben zusammenhängt. Aber er wird
ungeheures Unheil anrichten, wenn er, insbesondere an einer
wichtigen Stelle stehend, von nicht
wirklichkeitsdurchtränkten Vorstellungen und Empfindungen
ausgeht. Wenn er über bloß wissenschaftliche Begriffe
eines Weltbildes theoretisiert, so wie Professor Dewar, so
erscheinen diese Begriffe für die Geisteswissenschaft wie
Wahnvorstellungen, die er seinen Zuhörern aufbürdet.
Für solche wissenschaftliche Betrachtung eines Weltbildes
wird es ja noch gehen, aber wenn von demselben Geiste beseelt
jemand im sozialen Wirken drinnensteht und dieselbe Art des
Geistigen überträgt auf dieses Äußere, dann
wirkt es im höchsten Grade zerstörend, und man sucht
oftmals im Leben dasjenige, was eigentlich fehlt, auf ganz
anderen Punkten, als wo es gesucht werden müßte. Denn
das, was auf der Erde geschieht, steht doch in einem
Zusammenhang. Und wie manchmal der Arzt eine ganz andere Art
eines Übels angeben muß, als dasjenige ist, an das
man von vorneherein glaubt aus oberflächlicher
Betrachtung, so muß der, der die Sache überblickt,
auch manchmal an ganz anderem Orte die Ursprünge mancher
Übel und mancher verheerenden Wirkungen suchen, als es
nach einer oberflächlichen Betrachtung erscheint.
Dafür möchte ich ein Beispiel anführen; aber wie
soll ich es denn nur anführen in der heutigen Zeit, wo ich
gerade in bezug auf dieses Beispiel ja in den Schein kommen
könnte, daß ich mich in meinem Urteil beeinflussen
lasse von den uns alle so schmerzlich berührenden
Zeitereignissen? Aber gerade in bezug auf dieses Beispiel habe
ich einen Weg, durch den ich diesem Schein entgehe. Ich habe in
Helsingfors im Jahre 1913, also vor diesem Kriege, einen Zyklus
von Vorträgen gehalten über einen ganz anderen
Gegenstand, im Verlaufe dessen ich aber, um auf etwas
beispielsweise zu sprechen zu kommen, eine Anspielung machen
mußte auf Wilson, und ich will vorlesen, was ich
dazumal mit Bezug auf Wilson gesagt habe in anderem
Zusammenhange. Sie werden auch sehen aus dem, was ich damals
gesagt habe, daß ich eine gewisse Bedeutung, auch einen
gewissen Geist, den man Wilson zugestehen kann, durchaus nicht
verkannt habe, aber Sie werden auch sehen, daß es nicht
notwendig war, um ein Urteil über diesen Mann zu gewinnen,
erst die Ereignisse der letzten Jahre oder Wochen vielleicht
sogar — wie es bei manchen nötig war — auf
sich wirken zu lassen. Ich sagte dazumal:
«Da gibt es sehr bemerkenswerte Aufsätze, die in der
letzten Zeit erschienen sind, von dem Präsidenten der
Vereinigten Staaten Nordamerikas, Woodrow Wilson. Da gibt es
einen Aufsatz über die Gesetze des menschlichen
Fortschritts.»
Woodrow Wilson hat natürlich auch dazumal schon über
die Gesetze des wahren menschlichen Fortschrittes
gesprochen.
«Darin wird wirklich recht nett und sogar geistreich
ausgeführt, wie die Menschen eigentlich beeinflußt
werden von demjenigen, was das tonangebende Denken ihres
Zeitalters gibt. Und sehr geistreich führt er aus, wie in
dem Zeitalter Newtons, wo alles voll war von den Gedanken
über die Schwerkraft, man in die gesellschaftlichen
Begriffe, ja, in die Staatsbegriffe nachwirken fühlte die
Newtonschen Theorien, die in Wirklichkeit nur auf die
Weltenkörper paßten. Die Gedanken über die
Schwerkraft im besonderen fühlt man in allem nachwirken.
Das ist wirklich sehr geistreich, denn man braucht nur
nachzulesen den Newtonismus und man wird sehen, daß
überall Worte geprägt werden wie Anziehen und
Abstoßen usw. Das hebt Wilson wirklich sehr geistvoll
hervor. Er sagt, wie ungenügend es sei, rein mechanische
Begriffe anzuwenden auf das menschliche Leben, Begriffe von der
Himmelsmechanik anzuwenden auf die menschlichen
Verhältnisse, indem er zeigt, wie das menschliche Leben
damals geradezu wie eingebettet war in diese Begriffe, wie
diese Begriffe überall auf das staatliche und soziale
Leben Einfluß gehabt haben. Es rügt Wilson mit Recht
diese Anwendung rein mechanischer Gesetze in dem Zeitalter, in
dem sozusagen der Newtonismus das ganze Denken unter sein Joch
gespannt hat. Man muß anders denken, sagt Wilson, und
konstruiert jetzt seinen Staatsbegriff und zwar so, daß
nun überall, nachdem er dies von dem Zeitalter des
Newtonismus nachgewiesen hat, bei ihm der Darwinismus
herausguckt.»
Was
ich dazumal sagen wollte, das war, daß Wilson nun sieht,
indem er ein vorhergehendes Zeitalter betrachtet: Da hat man in
die Staatsbegriffe den Newton aufgenommen, man hat sich nun
nach dem gerichtet. Was tut er? Er nimmt nun den Darwinismus
auf, weil er ein Genosse des Zeitalters des Darwin ist, wie die
Menschen dazumal Zeitgenossen des Newton waren. Er begeht genau
dasselbe, aber er ist so naiv, auch nicht eine Spur davon zu
bemerken.
Wenn nun allerlei Leute gespielt haben mit den Begriffen
Individualismus und Sozialismus, und sie sind beim Spielen
geblieben, nun, so mag das hingehen; aber wenn mit einem so
defekten Denken, das wollte ich dazumal sagen, von einer
wichtigen Stelle aus gewirtschaftet wird, dann hat das eine
ganz andere Bedeutung. Will man einmal kennenlernen unser
Zeitalter, dann wird man kennenlernen müssen, mit welch
wirklichkeitsfremden Begriffen, die nur Schatten sind von
irgend etwas, wo diese Begriffe berechtigt sind, wie im
Wilsonschen Falle diese sozialen Begriffe, wie mit solchen
schattenhaften, wirklichkeitsfremden Begriffen gearbeitet wird.
Man mag noch recht weit sein von solcher Einsicht; aber man
wird die Wirklichkeit nicht verstehen und zu keinem Weltenbilde
kommen, das dieser Wirklichkeit entspricht, wenn man nicht
imstande ist, zu durchschauen, mit was für
Begriffshülsen heute in der Wissenschaft und auf den
sozialen Gebieten gearbeitet wird. Daher kommt es, daß am
wenigsten die Menschen eine Anschauung zu gewinnen imstande
sind, wenn es sich darum handelt, in die wirkliche geistige
Welt hineinzukommen, und von ihr, oder durch sie, ein
Weltenbild zu gewinnen. Es gibt Menschen, die, sei es durch
ihre lebendige innere Entwickelung, sei es durch
äußere Umstände, von der Sehnsucht erfaßt
werden, das Geistige zu erkennen. Allein, wo suchen sie es
oftmals? Dazu können sie sich durch eine gewisse innere
Bequemlichkeit des Denkens nicht entschließen, den Geist
da zu suchen, wo er wirklich zu finden ist: auf dem Wege des
Geistes selber. Denn das ist schwierig, obwohl es, wenn auch
die Dinge 35 Jahre gedauert haben, durchaus möglich ist,
wenn dann die Resultate zutage treten, sie unmittelbar
einleuchtend zu finden. Das erfordert vor allen Dingen, das
Innere der Seele in eine solche Stimmung und Verfassung zu
bringen, in die zu bringen es gerade exakten Forschern der
Gegenwart oftmals nicht lieb ist. Man kann das gerade dann am
deutlichsten sehen, wenn sich ein exakter Forscher, der mit
Recht ein Ansehen auf dem Gebiete der äußeren
Naturforschung hat, einmal auf die geistige Welt
einläßt.
Unter denjenigen Büchern, die — abgesehen von der
Kriegsliteratur — in den letzten Monaten innerhalb der
englisch-sprechenden Welt das allermeiste Aufsehen gemacht
haben, ist dasjenige, welches als sein neuestes Buch der
Naturforscher Sir Oliver Lodge geschrieben hat. Dieses
Buch hat eine besondere Veranlassung. Es hat die Veranlassung,
daß der Sohn des Naturforschers Lodge, Raymond Lodge, im
Jahre 1915 im August an der Westfront gefallen ist. Nun, Oliver
Lodge neigte ja immer zu einer gewissen Wissenschaft über
die geistige Welt. Der Tod des Sohnes hat zu seiner Sehnsucht,
in die geistige Welt einzudringen, noch das seinige
hinzugetan. Und so kam es denn — ich kann diese Dinge nur
kurz erzählen, daher wird manches unerklärlich sein,
aber ich will den Fall doch erzählen, um das zu
bekräftigen, was gerade mit dem angezogenen Gedankengange
zusammenhängt —, es kam so: Schon bevor der Sohn
fiel, war von Amerika herüber Sir Oliver Lodge darauf
aufmerksam gemacht worden, daß irgend etwas mit diesem
Sohne geschehen sei. Wenn man liest, was da von Amerika
herüber auf dem Umwege durch ein Medium — wie man
diese Persönlichkeiten nennt — der Familie Lodge
geschrieben worden ist, so hat man als ein wissenschaftlich
denkender Mensch — das ist ja Oliver Lodge auch —,
oder sagen wir, als ein geisteswissenschaftlich denkender
Mensch, den Eindruck: Ja, was ihm da geschrieben worden ist,
konnte alles mögliche bedeuten; es kann allenfalls so
ausgelegt werden, daß sich Frederick Myers, der
Herausgeber einer Schrift über die wissenschaftlichen
Untersuchungen über das Seelenleben, der vor langer Zeit
gestorben ist, des Sohnes von Sir Oliver Lodge annehmen
würde. Man konnte die Sache aber so und so deuten. Wenn
Raymond Lodge nicht gefallen war, so konnte man es so deuten,
daß Myers ihn beschützen werde vor einem Tode in der
Schlacht; nach dem Tode konnte man es so deuten, daß er
ihm jenseits ein Helfer, ein Führer sein wird. Ich will
gar nicht ausführen, was hinter solchen Dingen steckt; sie
sind nicht so harmlos, wie man denkt. Nun fiel Raymond Lodge.
Und Sir Oliver Lodge — der es ganz ablehnen würde,
auf den Wegen in die geistige Welt einzudringen, um zur
unsterblichen Seele zu kommen, die in der hier gemeinten
Geisteswissenschaft vertreten werden —, der kam in
Verbindung mit nach seiner Ansicht einwandfreien Medien, und da
stellte es sich sehr bald für ihn heraus, daß durch
diese Medien die Seele des Raymond Lodge sich kundgab, allerlei
wirklich mitteilte durch die Medien: wie sie jetzt lebe, welche
Wünsche sie habe in bezug auf den Vater, die Familie und
so weiter. Nun würde ich die Sache nicht erwähnen,
wenn ich bloß erzählen wollte, was gewöhnliche
Spiritisten berichten, denn bei denen waltet Kritiklosigkeit;
selbst da waltet Kritiklosigkeit, wo Lombroso und Riebet dabei
sind. Aber Oliver Lodge ist wirklich ein Mensch, der die
exakten Methoden kennt, der daher auch bei einer solchen Sache
exakt vorgeht, so daß auch derjenige, der in seinem
wissenschaftlichen Denken und Forschen eine Erziehung genossen
hat an den Methoden der Naturwissenschaft, und der gelernt hat,
wirkliche Gewissenhaftigkeit sich auszubilden an der
Naturwissenschaft, was im Grunde genommen der Geistesforscher
auch sollte, einen gewissen Respekt haben konnte vor der
Exaktheit, mit der Oliver Lodge vorgeht bei der Beschreibung
der Dinge, die er in seinem dicken Buche mitteilt. Und
während man bei gewöhnlichen Berichten
selbstverständlich immer gleich sieht, wenn man irgendwie
nur ein bißchen bekannt ist mit den Dingen, wo die
Beobachter eben nichts gesehen haben, wo die
Mitteilungen fehlen über die Zurichtungen und so weiter,
sieht man bei Sir Oliver Lodge, daß ein Mensch berichtet,
der wirklich wissenschaftliche Methoden zu handhaben und zu
beschreiben weiß.
Nun
hat besonders großen, tiefen Eindruck gemacht eine Sache,
die Sir Oliver Lodge angibt. Ich will die anderen Dinge nicht
erzählen, denn sie sind, trotzdem sie exakt angegeben
werden, nach dem Muster sonstiger Sitzungen. Aber das eine, das
besonders großen Eindruck gemacht hat, das ist dieses: Sir
Oliver Lodge erzählt, daß durch die einwandfreien
Medien — ich kann das alles erzählen, denn Sie
wissen, ich vertrete diese Richtung ja nicht —
herausgekommen ist, Raymond Lodge habe sich mit Kameraden,
bevor er gefallen ist an der Westfront, photographieren lassen.
Und nun beschreibt die Seele Raymond Lodges durch das Medium
das Bild, und zwar drei Aufnahmen, wie sie so gemacht werden
durch den Photographen hintereinander, wo, wenn eine Gruppe
aufgenommen ist, die gleiche Gruppe dasitzt, und nur manchmal
einer, während er bei der einen Aufnahme die Hände
auf die Knie legte, sie dann auf den Stuhl legt oder auf die
Schulter des Nachbarn. Mit großer Genauigkeit beschreibt
dieses Medium, sagen wir, diese Photographien. Während man
— das gibt ja auch Oliver Lodge zu — bei den
anderen Dingen manche Zusammenhänge finden könnte so,
daß irgendeine leise Suggestion, wie es ja bei solchen
Dingen meistens ist, stattgefunden habe, oder sonst ein anderer
Vorgang, den jeder Geistesforscher kennt, um auf das Medium zu
übertragen, was an Erinnerung, an Reminiszenzen,
namentlich an unterbewußten Reminiszenzen an den
verstorbenen Raymond Lodge lebte — während das bei
alledem ging, was sonst da war, ging es bei diesem Vorfall
nicht, denn niemand konnte etwas wissen von diesen
Photographien. Diese Photographien waren in der allerletzten
Zeit, bevor Raymond Lodge gefallen war, aufgenommen, und waren
noch nicht in England angekommen. Niemand wußte etwas
davon, weder irgend jemand von der Familie, noch das Medium.
Und in der Tat, vierzehn Tage oder drei Wochen nachher kamen
die drei Photographien, genau in der Beschreibung, wie sie das
Medium gegeben hatte, an. Nun wurde das selbstverständlich
für ihn ein experimentum crucis, ein Kreuzbeweis, denn
hier war unmittelbar nachweisbar: Niemand konnte etwas davon
wissen, es ist etwas gekommen aus einer Welt, die eben nicht
die Welt ist, in der früher Raymond Lodge gelebt hat,
bevor er durch die Pforte des Todes gegangen ist.
Das
hat nicht nur auf Sir Oliver Lodge, der eine große Neigung
hatte zu solchen Dingen, sondern es hat einen großen
Eindruck gemacht auf das ganze für solche Dinge sich
interessierende Publikum. Oliver Lodge ist tatsächlich
völlig überzeugt worden und konnte auch seine
Familienglieder überzeugen, die vorher skeptisch waren;
der Kreis hat sich dann immer mehr erweitert. Es ist nun
merkwürdig, wie man gerade heute so sehr befriedigt ist,
die Unbequemlichkeit sich nicht aufladen zu brauchen, in die
Wirklichkeit einzudringen, wie man sich auf
leichtgeschürzte Art gerade über die geistige Welt
Begriffe bildet.
Der
Geistesforscher weiß: Wenn schon bei diesen Dingen auf
diese Weise etwas herauskommt, so ist es jedenfalls nicht eine
Manifestation einer wirklich geistigen Welt. Deshalb nannte ich
im letzten Vortrage hier das, was auf solche Weise zutage
tritt, gerade das Seelenloseste, dasjenige, woraus der Geist
erst recht herausgetrieben ist, obwohl es den Geist manchmal
nachbilden kann. Wenn auf diese Weise etwas herauskommt, so
verhalt sich das zum Geiste so, wie die tote Muschelschale sich
zu der lebendigen Auster verhält, wenn die Auster
draußen ist. Es kommt die Schale heraus, das
Allermateriellste, das Allersinnlichste, der sinnlichste Rest,
der nur in seinen Formen manchmal nachbildet das Geistige. Denn
den Geist muß man schon auf geistigem Wege suchen. Aber
wie konnte sich Oliver Lodge solchem — man darf das
sagen, wenn man wirkliche Geistesforschung kennt —
solchem Dilettantismus hingeben? Weil ihm einfach die
wirklichkeitsgesättigten Begriffe fehlen, um solche Dinge
zu beurteilen. Hätte er nur ein wenig in der ja reichen
deutschen Literatur über diese Dinge gelesen, die
natürlich heute auch wenig berücksichtigt wird, die
aber da ist, besonders aus der ersten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts zahlreich da ist, so hätte er
gewußt, daß er es, zugegeben alle Exaktheit, doch
nicht mit etwas anderem zu tun hat als mit dem, was man in der
ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts im deutschen
Geistesleben in das Gebiet der Deuteroskopie verwiesen hat. Man
hat da Erscheinungen angeführt wie zum Beispiel die so oft
angeführte, wo jemand durch besondere Verfassung des
Seelenlebens — sogar Schopenhauer hat es angeführt
— in einer Art Traumbewußtsein darauf kommt: Dann
und dann wirst du dort und dort einen Unfall haben. Manche
somnambule Personen beschreiben ja solche Unfälle in einer
nicht allzu ferne liegenden Zukunft so genau, daß sie,
wenn sie zum Beispiel vom Pferde stürzen, die Szene ganz
genau beschreiben. Man hat es da nicht zu tun mit irgend etwas,
was die menschliche Einsicht in die wirkliche geistige Welt
erweitern könnte, sondern mit einer bloßen
Erweiterung der Wahrnehmung, die sich auf die sinnliche
Wirklichkeit bezieht. Man hat es zu tun mit der innerhalb
gewisser Grenzen durchaus möglichen Überschreitung
der gewöhnlichen Raumes- und Zeitwahrnehmungsgrenzen. Nun
lag ganz offenbar in dem Falle des Raymond Lodge nichts anderes
vor als das, was in solchen Fällen vorgeht. Was ist Oliver
Lodge durch das Medium angegeben worden? Nichts weiter als was
dann nachher geschehen ist. Zwar waren zu der Zeit, als das
Medium sie beschrieben hat, die Photographien noch nicht da,
aber sie sind später angekommen. Der Blick des Oliver
Lodge und seiner Familie ist darauf hingerichtet. Es war ein
Ereignis, das eintrat; gerade so wie ein Somnambuler
träumt, in vierzehn Tagen wird er vom Pferde stürzen.
Es ist also nicht irgend etwas, was dem, der nun wirklich
Geistesforscher ist, einen Weg weisen würde in eine
wirkliche geistige Welt hinein, sondern was sich zu der
wirklichen geistigen Welt so verhält, wie die
Austern-schale zu der Auster. Es bildet das nach. Aber in dem,
was da zutage tritt, kann man da etwas vermuten, wenn man die
Dinge ernst nimmt? Aber da es bequemer ist, als das wirkliche
Eintreten in die geistige Welt, so wird es mancher Mensch mehr
lieben, auf diese Weise etwas zu erforschen von der geistigen
Welt. Aber man hat es mit etwas viel mehr der Materialität
Angehörendem zu tun in einem spiritistischen Phantom, als
man es zu tun hat beim wirklichen leiblichen Menschen. Das ist
gerade das Eigentümliche mit Bezug auf die Weise, wie sich
einleben muß die wirkliche Geistesforschung in das
Bildungsleben der Menschen, daß diese Geistesforschung
ableiten wird von den Verirrungen, denen selbst große
Denker ausgesetzt sind, Menschen ausgesetzt sind, die gerade
recht bekannt sind mit den exakten Methoden der
äußeren Naturforschung.
Nun, gerade so, wie man sagen muß, die Naturgesetze, so
wie wir sie aus den Naturerscheinungen abstrahieren und auf die
Welt anwenden, sind in der charakterisierten Weise nicht
anwendbar für den Endzustand der Erde, da sich die Erde
eben verwandeln wird mit allem menschlichen Seelen-und
Geistesleben, wie es geschildert worden ist, so kann man das
auch für den Anfangszustand sagen. Da muß man
allerdings lernen, wie sich Erinnerung — also das Leben
von Vorstellungen, die schon von selbst so in unserer Seele
leben, daß wir nicht mehr dabei sind — eigentlich
verhalt zu dem leiblichen Leben. Und studiert man das in eben
derselben Weise, wie ich das angegeben habe für jenes
Seelenleben, das man braucht für den Erden-Endzustand,
dann findet man, daß ein Anfangszustand der Erde auch
nicht so berechnet werden kann, wie es die gegenwärtigen
Geologen tun, die einfach die physikalischen Gesetze nehmen und
dann errechnen, wie nach diesen physikalischen Gesetzen vor so
und so vielen Millionen Jahren die Erde ausgesehen haben mag.
Man könnte wiederum ebenso die Magengesetze nehmen und die
Rechnung anstellen bei einem siebenjährigen Kinde, wie das
ausgesehen haben mag als leibliches Wesen vor vierzig Jahren.
Da würde man ganz dieselbe Methode einschlagen, wie sie
der Geologe einschlagt, wenn er heute den Zustand der Erde vor
Jahrmillionen ausrechnet. Es ist wirklich so, daß die
Rechnung ganz richtig ist, wie auch die physikalischen Methoden
ganz richtig angewendet sind, wenn man aus dem Stoffwechsel
eines siebenjährigen Kindes berechnet, wie dieses Kind vor
vierzig Jahren ausgesehen haben mag — nur hat es dazumal
noch gar nicht gelebt. Und so ist nur das nicht richtig,
daß für den Zeitpunkt, für den der Geologe so
schöne Dinge angibt — wie ich es vorhin
angeführt habe, daß Professor Dewar für den
Endzustand der Erde angibt —, die Erde noch nicht da war.
Sie war noch nicht aufgetaucht aus dem andersartigen
Sonnenleben, sie war noch nicht heraus, sie hatte sich noch
nicht herausgehoben. — Und für den Anfangszustand
der Erde — das kann ich jetzt nur kurz angeben —
ist die Sache so: Wie wir es beim Endzustand der Erde zu tun
haben mit dem Aufgehen der in der
Sonnen-Erde-Gesetzmäßigkeit befindlichen materiellen
Erde in einen geistig-seelischen Zustand, so daß wir mit
der Vereinigung mit diesem Zustand selber unser
Unsterblich-Übersinnliches tragen durch künftige
Weltenläufe, so hat man es zu tun im Beginn der
Erdenentwickelung mit einem Herabsteigen—wenn man den
Ausdruck, der nicht sehr schön ist, gebrauchen will
— eines Geistig-Seelischen; aber so, daß es nun
nicht geistiger wird, sondern von dem, was vom Sonnenhaften
herkommt, in Anspruch genommen, gleichsam überflügelt
wird, so daß sich innerhalb des Materiellen das aus dem
Geistigen Herkommende verwirklicht, man kann schon sagen:
verkörperlicht. Da hat man es mit dem umgekehrten Vorgang
zu tun: mit der Herkunft eines Geistigen aus einem Geistigen,
das sich umgibt, einhüllt — «einwickelt»,
könnte man sagen, im Gegensatz zu «entwickelt»
— in ein Materielles aus der Raumeswelt, aus der
Zeitenwelt. Und auch da bemerkt man also wiederum, daß
für den Anfang der Erdenentwickelung die Gesetze gelten,
die ich vorhin für die Parallelströmung des
Unterbewußten angeführt habe, daß da die
gewöhnlichen Gesetze der Mathematik aufhören. So
grotesk es klingt, es ist doch wahr. Und ich möchte sagen:
Kant hat eine Viertelwahrheit von diesem begriffen, indem er in
seinen Antinomien gezeigt hat, wie für gewisse Anfangs-
und Endzustände gedacht werden kann so und so; nur weil er
eben eine Viertelwahrheit gefunden hat, hat das Ganze eher
lähmend gewirkt auf das Weltenbild der Wirklichkeit, als
daß es fördernd hätte werden können. Denn
Kant hätte nicht nur müssen den Glauben haben,
daß Raum und Zeit an das menschliche
Anschauungsvermögen gebunden sind, sondern er hätte
können erkennen, wenn er zur wirklichen Geistesforschung
vorgedrungen wäre, wie das, was im Menschen als
Geistig-Seelisches lebt, in enger Verbindung steht mit dem
geistigseelischen Geschehen des gesamten
äußeren Daseins, zunächst des Erdendaseins, und
wie eine Durchforschung des Geistig-Seelischen ein wirklich
geistes-wissenschaftliches Weltenbild ergibt, so daß man
sagen kann: an den Verkehr des Menschen mit der Erde ist
gebunden unsere Raumes- und Zeitenwelt. Daher ist auch das, was
wir durch sie ausmachen können, nur vom Erdenanfang bis
zum Erdenende gültig. Und man muß die anderen Gesetze
kennenlernen, die in der anderen Strömung sind, wenn man
über Erdenanfang und Erdenende so reden will, daß
sich ein wahrhaftiges, wirkliches Weltenbild ergibt. Dann
allerdings erkennt man, daß des Menschen Seele älter
ist als die Erde; daß des Menschen Seele in jenem
Geistigen schon vorhanden war, das sich eingewickelt,
involviert hat in jene Erdengesetzmäßigkeit, die im
Verkehr der Erde mit dem Sonnenleben zustandekommt.
Geisteswissenschaft kommt damit hinaus über dasjenige
Weltenbild, von dem ich neulich sagte, daß es auf
Herman Grimm, der ja diese Zusammenhänge
natürlich nicht kannte, einen so abstoßenden Eindruck
gemacht hat. Ich habe schon dazumal Herman Grimms Worte
mitgeteilt, ich habe sie oft schon mitgeteilt, aber sie sind im
Grunde ja so interessant, daß man sie immer wiederum auf
seine Seele wirken lassen kann. Denn man hat in ihnen Worte,
die beweisen, wie eine gesund empfindende Seele sich verhalten
muß zu solchen Weltenbildern, wie etwa der Professor Dewar
in der geschilderten Weise sie der Welt aufgebunden hat, und
wie sie so fest haften in der Bildung der Gegenwart, daß
man natürlich heute noch als ein recht verrückter
Kerl gilt, wenn man zustimmt solchen Worten, wie sie Herman
Grimm ausgesprochen hat. Herman Grimm verzieh man das. Man
sagte: ach, das ist ein Kunstforscher, der ist — ja, nun,
der ist nicht bekannt im allgemeinen mit den Regeln der exakten
Naturwissenschaft, mit deren Ergebnissen; das hat keine
Bedeutung. Das ist ein schöner Grund. Aber dem ernsten
Geistesforscher wird man es nicht verzeihen, wenn er Grimms
Worte, die er in Anknüpfung an Goethes Weltanschauung
sagte, anführt:
«Längst hatte, in seinen (Goethes) Jugendzeiten schon
die große Laplace-Kant'sche Phantasie von der Entstehung
und dem einstigen Untergange der Erdkugel Platz gegriffen. Aus
dem in sich rotierenden Weltnebel — die Kinder bringen es
bereits aus der Schule mit — formt sich der zentrale
Gastropfen, aus dem hernach die Erde wird, und macht, als
erstarrende Kugel, in unfaßbaren Zeiträumen alle
Phasen, die Episode der Bewohnung durch das Menschengeschlecht
mit einbegriffen, durch, um endlich als ausgebrannte Schlacke
in die Sonne zurückzustürzen: ein langer, aber dem
heutigen Publikum völlig begreiflicher Prozeß,
für dessen Zustandekommen es nun weiter keines
äußeren Eingreifens mehr bedurfte, als die
Bemühung irgendeiner außenstehenden Kraft, die Sonne
in gleicher Heiztemperatur zu erhalten.»
Wie
sollten die Kinder es denn auch nicht glauben, wie sollten sie
denn dieser wissenschaftlichen Phantasie sich nicht hingeben!
Man kann es ja so einfach zeigen. Man braucht sich nur als
Lehrer hinzustellen, man nimmt ein aus einer gewissen Substanz
geformtes Tröpfchen, nimmt ein Kartenblättchen und
schiebt dieses in die Äquatorebene, in den
Äquatorkreis des Tröpfchens, steckt oben eine Nadel
hinein, bringt es aufs Wasser; dann dreht man und kann dann
zeigen, wie so hübsch die kleinen Tröpfchen
entstehen, wie die kleinen Weltensysteme entstehen. Wie
könnte denn irgend etwas beweisender sein als dies,
dafür, daß auch das große Weltengebäude
nach Kant-Laplace'scher Theorie entstanden ist. Nur
leider-manchmal ist es gut, sich selber zu vergessen, in diesem
Falle aber, wenn man wissenschaftlich experimentiert, darf man
sich nicht selbst vergessen —, hat nämlich dar
Lehrer sich selber vergessen. Denn, hätte er nicht
gedreht, dann wäre nichts geworden von dem Weltensystem.
Wenn er richtig diesen Vorgang schildern wollte, dann
müßte er einen riesigen Herrn Professor im Weltenall
stehend denken.
Kurz, die Sache ist so, trotzdem sie heute allgemein
wissenschaftlich ist, daß Herman Grimm sagen kann:
«Es kann keine fruchtlosere Perspektive für die
Zukunft gedacht werden als die, welche uns in dieser Erwartung
als wissenschaftlich notwendig heute aufgedrängt werden
soll. Ein Aasknochen, um den ein hungriger Hund einen Umweg
machte, wäre ein erfrischendes, appetitliches Stück
im Vergleich zu diesem letzten Schöpfungsexkrement, als
welches unsere Erde schließlich der Sonne wieder
anheimfiele, und es ist die Wißbegier, mit der unsere
Generation dergleichen aufnimmt und zu glauben vermeint, ein
Zeichen kranker Phantasie, die als ein historisches
Zeitphänomen zu erklären die Gelehrten
zukünftiger Epochen einmal viel Scharfsinn aufwenden
werden. Niemals hat Goethe solchen Trostlosigkeiten Einlaß
gewährt ...»
So
liefert die Geisteswissenschaft ein anderes Weltenbild, welches
in den Anfangs- und Endzustand der Erde das Geistig-Seelische
so mit aufnehmen kann, daß diese Aufnahme wahrhaftig so
gestützt ist, wie irgendeine andere wissenschaftliche
Tatsache, nur daß diese Dinge eben geistig-seelisch
erforscht werden müssen, nicht äußerlich
ausspintisiert werden können auf Grundlage dessen, was nur
für die materiellen Vorgänge der Erde gilt, solange
eben die Erde dieser materielle Leib ist, der sie ist.
Die
Menschen bemerken heute gar nicht, in welchen Begriffsschatten
sie eigentlich leben. Nur manchmal denkt einer etwas
schärfer; er kommt dann zwar nicht los von diesen
Begriffsschatten, aber er denkt ein bißchen schärfer
und da kommt er denn manchmal zu ganz merkwürdigen
Behauptungen. So zum Beispiel Eduard von Hartmann, der von den
physikalischen Vorstellungen nicht loskam, aber der denken
konnte. Hartmann kam dahin, auch über die physikalischen
Vorstellungen zu denken. Er dachte im Sinne dieser
physikalischen Vorstellungen und hatte den Mut, auszusprechen,
was sich ihm da ergab. Nehmen Sie einen sehr netten
Ausspruch:
«Daß es eine wirkliche Natur gibt, und daß die
von der Physik aufgestellten Gesetze in dieser wirklichen Natur
Geltung haben, ist selber nur eine Hypothese.»
Was
steckt eigentlich dahinter? Das heißt: die Physik stellt
Gesetze auf; wenn man sie wirklich durchdenkt, ist die ganze
Natur nur eine Hypothese. Es ist auch wirklich dann nur eine
Hypothese, denn mit den physikalischen Begriffen kommt man an
die Wirklichkeit nicht heran. Und wenn denjenigen, die ein
Weltenbild sich formen aus den physikalischen Begriffen,
nicht-Gott sei Dank-die wirkliche, von der Sonne beschienene
Natur, die Sonne entgegen schiene, so bliebe sie ihnen auch
eine Hypothese. Es gilt ihnen nur die äußere
Wirklichkeit.
Auf
dem geistigen Felde muß man es schon zu einer Wirklichkeit
bringen, indem man bei dem Eindringen in dieselbe durchaus
tätig ist. Das ist nicht so bequem. Das gibt sich einem
nicht von selber, wie die äußere Natur. Aber ein
solcher Ausspruch, wie der Eduard von Hartmanns, zeigt
durchaus, daß die Begriffe, die herrschen, auch auf
physikalischem Gebiet ohnmächtig sind, die wirkliche Natur
zu erreichen. Denn der, der wirklich denken kann, der
weiß, daß die Natur da draußen ist, aber was der
Physiker davon aufnehmen will, das gibt nur eine hypothetische
Natur.
Es
ist ein bedeutsamer Gedanke, den da Hartmann äußert,
obwohl es ein ganz wahnsinniger Gedanke selbstverständlich
ist. Es wird schon einmal, weil die Bedingungen dazu vorhanden
sind, dazu kommen, daß Geisteswissenschaft in das
Bildungsleben der Menschheit eingeht. Aber es wird manches
wiederum verstanden werden müssen, was heute nicht mehr
verstanden wird, was heute nurmehr wie dem Wortklange nach
aufgenommen wird.
Ich
habe hier oftmals die erste Stufe der Anschauung, zu der man
gelangt, wenn man diese zweite Strömung des menschlichen
Seelenlebens betrachtet, die bewußt werden kann, das
imaginative Vorstellen genannt. Man muß zu diesem
imaginativen Vorstellen, das kein eingebildetes Vorstellen ist,
sondern ein Leben in der geistigen Wirklichkeit, vordringen, um
die Wirklichkeit überhaupt zu erfassen. Man wird wiederum
verstehen müssen solche Vorstellungen, die innerlich
beleben können dieses Eindringen in die geistige
Wirklichkeit. Man wird nicht bloß dem Wortklange nach,
sondern ihrem tieferen inneren Werte nach solche Worte
verstehen müssen, wie sie sich zu hunderten finden in den
nur so hingeworfenen Fragmenten eines großen
Geistesmenschen, der nur früh gestorben ist:
Novalis. Und gerade aus dem, was heute ausgeführt
worden ist über Leben, Tod und Unsterblichkeit im
Weltenall, wird man eine Ahnung bekommen, welche Tiefe zum
Beispiel in einem solchen Worte des Novalis liegt: «Wir
werden erst Physiker werden, wenn wir imaginative Stoffe und
Kräfte zum Maßstab der Naturstoffe und Kräfte
machen.» Das heißt: Wenn wir aus dem Imaginativen
heraus auch erkennen können, wenn wir an die
äußere Natur herangehen.
Gewiß, es mußte eine Zeitlang die Aufmerksamkeit der
Menschen abgelenkt werden vom Geistigen, damit die großen
Fortschritte auf äußeren, naturwissenschaftlichen
Gebieten gemacht werden konnten. Aber der Mensch darf sich
nicht abschnüren von der geistigen Welt. Es muß
wiederum die Anknüpfung gefunden werden an wirkliches
geistiges Forschen.
Man
soll nun nicht glauben, daß man durchaus mit allem
Vernünftigen, mit allem Gesunden brechen müsse, wenn
man sich nicht den Vorstellungen hingibt, die aus einer
falschen Ausdeutung der Physik heraus solch ein Mensch wie
Professor Dewar gibt. Allerdings, die Sache hat auch in
gewissem Sinne ihr Moralisches. Und es wird mit Bezug auf
vieles auch eine andere wissenschaftliche Gesinnung erst
platzgreifen müssen, als diejenige ist, die heute oftmals
gerade die wissenschaftlichen Menschen beherrscht, wenn man
sich in der richtigen Weise wird stellen wollen zu der
Erforschung der geistigen Welten, um jene innere Seelenruhe zu
finden, die das Miterleben in der geistigen Welt so
möglich macht, daß die geistige Welt
gegenständlich wird, daß die geistige Welt wirklich
da ist vor dem Seelenauge, nicht als ein verwaschener
Pantheismus oder Mystizismus. Man wird gewisse Dinge auch mit
Bezug auf das innere Seelenäuge ausbilden müssen, vor
allen Dingen eine gewisse Gelassenheit und Demut in bezug auf
das innere Erleben. Ich meine es nicht in dem sentimentalen
Sinn, wie mancher, der sich Mystiker nennt, denn ich halte von
all diesen Schablonen-Benennungen gar nichts. Man wird sich
aber aneignen müssen eine gewisse Stimmung. Denn
angeähnelt hat sich auch die Stimmung jenen Begriffen, die
nur haften an der Oberfläche, und die Menschen glauben,
besonderen Idealismus zu entwickeln, wenn sie mit den
gebräuchlichen Schattenbegriffen ein wenig Abstraktion
treiben von der äußeren sinnlichen Wirklichkeit. Man
wird eine andere Gesinnung entwickeln müssen, denn auch
die Gesinnung der Wissenschaft hat sich dem bloßen Haften
an dem äußeren Leben hingegeben, eine Gesinnung, die
ich nun zum Schlüsse in ein paar Worten zusammenfassen
will. Nicht meine Worte sollen es sein, sondern die Worte, die
eine sinnige deutsche Persönlichkeit gebraucht hat, als
sie ein geisteswissenschaftliches Buch übersetzt hat,
— der sinnige Matthias Claudius. Lassen Sie mich
mit seinen Worten schließen, indem ich gewissermaßen
die Seelenkraft zeigen möchte, die als Seelengesinnung in
innerer Stimmung eintreten muß, wenn man wiederum
hinauskommen soll über solche wissenschaftliche
Wahnvorstellungen, wie ich sie heute auch charakterisiert habe.
Matthias Claudius sagte bei dieser Gelegenheit, als er ein Buch
aus dem Gebiete der Geisteswissenschaft übersetzte —
wie es der damaligen Zeit entsprach, nicht wie es der heutigen
Zeit entsprechen würde —, da sagte er in seiner
Vorrede:
«... denn ob einer auf einen Schnurrbart oder auf eine
Metaphysik und Henriade eingebildet und ein Narr ist, ob einer
über einen größeren Kürbis» — er
meint den Kopf — «oder über die Erfindung der
Differential- und Integralrechnung haßt und neidet, kurz,
ob man sich von seinen fünf Jochochsen» — er
meint die fünf Sinne — «oder von seiner
Polyhistorey» — das heißt von seiner
äußeren Gelehrsamkeit — «am Seil halten
und hindern läßt, das scheint im Grunde einerlei zu
sein und nicht zweierlei.»
Und
da inneres Seelenleben wirklich mit der Seelengesinnung sehr
eng zusammenhängt, so wird schon nötig sein, daß
ausgegossen werde über die Sehnsucht nach einem Erforschen
der geistigen Welt eine Gesinnung, wie sie sich ausdrückt
in diesen schönen Worten des Matthias Claudius. Denn hat
der Mensch das in sich verwirklicht, was in diesen Worten
angedeutet ist, dann steht er wirklich mit seinem Gefühl
in einem Verhältnis zur geistigen Welt. Und das ist eine
Vorbereitung dazu, um sich all die Nebel wegzuschaffen, die
namentlich vor der geistigen Welt sich erheben, wenn man all
die verschiedenen Arten von Hochmut und Überhebung auf
sich wirken läßt, die gerade in der
gegenwärtigen Geistesbildung vorhanden sind.
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