VIERTER VORTRAG
Bern, 4. September 1910
Nach dem, was wir gestern ausführen konnten, besteht ein
großer, bedeutungsvoller Unterschied zwischen dem,
was man die Erkenntnis der geistigen Welt durch alle Zeiten
hindurch nennen kann, und jener Art von Erkenntnis der
göttlich-geistigen Welt, wie sie angestrebt werden konnte
aus der besonderen Beschaffenheit, aus der besonderen
Organisation gerade des hebräischen Volkes. Wir haben
darauf hingewiesen, daß dieses hebräische Volk
schon in seinem Stammvater Abraham oder Abram eine ganz
besondere Organisation erhalten hat, die darin bestand,
daß dem menschlichen Organismus eingeordnet worden
ist ein physisches Werkzeug, ein physisches Organ, um sozusagen
durch die Mittel der Sinneserkenntnis, so weit das möglich
ist, sich hin- aufzuerheben zu einer gewissen - nicht nur
Ahnung, sondern Erkenntnis des Göttlich-Geistigen.
Erkenntnis des Göttlich-Geistigen gab es und gibt es
überall und immer. Aber diese gleichsam ewige
Erkenntnis des Göttlich-Geistigen wird erreicht auf
dem Wege der Mysterieneinweihung, auf dem Wege der
Initiation überhaupt. Von diesem, was durch eine besondere
menschliche Entwickelung, was sozusagen auf künstlichem
Wege innerhalb der Menschheitsevolution erreicht werden
kann, müssen wir unterscheiden jene Erkenntnis der
geistigen Welt, die für irgendeine Zeit die normale ist,
sozusagen als besondere Mission in der Menschheitsentwickelung
herauskommend. So könnten wir für die alte
atlantische Zeit eine astraüsch-hellseherische
Wahrnehmung des Göttlich-Geistigen das Normale
nennen. Für die Zeiten aber, in welchen das
hebräische Volk blüht, ist die normale, das
heißt die äußerliche, exoterische Erkenntnis der
geistigen Welt diejenige, welche zustande kommt mit Hilfe
eines besonderen physischen Organs durch jene
Erkenntniskraft, die an ein solches physisches Organ
gebunden ist. Und wir haben schon darauf hingewiesen, daß
das Volk Abrahams zu dieser Erkenntnis in der Weise kam,
daß es gleichsam das göttliche Dasein verschmolzen
fühlte mit dem eigenen Inneren. Innenerkenntnis
also, Ergreifen des Göttlichen im eigenen Innersten
war es, was durch dieses Organ möglich geworden war.
Aber es ist dieses Ergreifen des Göttlich-Geistigen im
Inneren durch diese Erkenntnis nicht gleich so möglich
geworden, daß der einzelne Mensch hätte sagen
können: Ich versenke mich in mein eigenes Inneres ;
ich suche dieses eigene Innere so tief zu erfassen, als ich es
nur erfassen kann, und dann finde ich den Tropfen des
göttlich-geistigen Daseins, der mir eine Erkenntnis geben
kann von der Beschaffenheit dessen, was auch die
äußere Welt an Göttlich-Geistigem durchlebt und
durchwebt. - So war es nicht gleich. Das ist erst gekommen
durch die Erscheinung, durch die Offenbarung des Christus
innerhalb der Menschheitsentwickelung. Für das
althebräische Volk war erst die Möglichkeit gegeben,
im Volksgeiste das Göttliche zu erleben, wenn sich der
einzelne fühlte als ein Glied des ganzen Volkes, nicht als
eine einzelne Individualität. Wenn er sich mit dem Blut in
eine herunterfließende Generationenreihe
hineingehörig fühlte, dann fühlte er leben in
dem Volksbewußtsein, in seinem Blut, das Gottes- oder
Jahve-Be- wußtsein. Wenn man daher zutreffend bezeichnen
will im geisteswissenschaftlichen Sinne, kann man den
Gott Jahve nicht dadurch bezeichnen, daß man sagen
würde: Er ist der Gott Abrahams. Damit würde er nur
ungenau bezeichnet sein. Sondern man muß sagen: Er ist der
Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; er ist diejenige Wesenheit,
die von Generation zu Generation fließt, die sich im
Volksbewußtsein in Einzelmenschen, durch einzelne Menschen
hindurch offenbart.
Das
ist der Unterschied und der große Fortschritt von dieser
Erkenntnis Abrahams, Isaaks und Jakobs zu der
christlichen, daß die christliche Erkenntnis in der
einzelnen Menschenindividualität dasselbe erkennt,
was die althebräische Erkenntnis nur erreichen konnte
durch Vertiefung in den Volksgeist, in den Geist, der in dem
Blute der Generationen rann. So konnte Abraham sagen: Insofern
mir verheißen ist, der Begründer eines Volkes
zu sein, das sich ausbreiten wird in den von mir abstammenden
Generationen, wird leben in dem Blute, das durch sie
hinunterrinnt, der Gott, den wir als den höchsten
anerkennen; er offenbart sich uns im Bewußtsein
unseres Volkes. - Das wurde das Normale.
Nun
geht durch alle Zeiten hindurch ein höheres Erkennen des
Göttlich-Geistigen: das Mysterienerkennen. Das ist nicht
abhängig von jenen anderen, besonderen Formen. Man konnte
in der Zeit der alten atlantischen Entwickelung durch ein
gewisses astralisch-ätheri- sches Hellsehen hineinschauen
in den göttlich-geistigen Untergrund des Daseins; man
konnte sein Inneres entwickeln und zu einer Mysterien-
oder Orakelerkenntnis kommen. Und auch in der Zeit, als die
hebräische Erkenntnis das Normale war, konnte man in
gewissen Stätten dadurch hinaufsteigen, daß man
nicht im Leibe, wie die Abraha- miten, sondern außer dem
Leibe das Göttliche erkannte; man konnte hinaufsteigen zu
dem Göttlich-Geistigen unter dem Gesichtspunkt des Ewigen,
indem der Mensch sein Ewiges erhob zum Anschauen des
Göttlich-Geistigen.
Sie
können sich nun leicht vorstellen, daß für
Abraham eines notwendig war. Er lernte auf seine ganz
besondere Art, auf dem Wege durch ein physisches Organ, durch
physische Erkenntnis das GöttlichGeistige kennen. Er
lernte auf diesem Wege den führenden Weltengott kennen.
Wenn er sich lebendig in den Gesamtweg der Entwickelung
hineinstellen wollte, dann war es für ihn unendlich
wichtig, zu erkennen, daß der Gott, der sich im
Volksbewußtsein kundtut, derselbe ist, der in den
Mysterien zu allen Zeiten als die schöpferische und
schaffende Gottheit anerkannt wurde. Also es mußte
Abraham identifizieren können seinen Gott mit dem
Gott der Mysterien. Das war nur unter einer ganz
bestimmten Voraussetzung möglich. Unter einer ganz
bestimmten Voraussetzung mußte ihm die Gewißheit
gegeben werden, daß dieselben Kräfte im
Volksbewußtsein sprechen, die in den Mysterien auf
eine höhere Art sprechen. Wenn wir diese Gewißheit
einsehen wollen, müssen wir uns eine Tatsache der
Menschheitsentwickelung vor Augen führen.
In
meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» können
Sie nachlesen, daß es in der alten Atlantis Eingeweihte
gegeben hat, die dort Orakelpriester genannt werden; auf
den Namen kommt es nicht an. Ich habe auch darauf hingewiesen,
daß einer dieser großen Initiierten der Führer
aller atlantischen Orakel war, der Sonneneingeweihte, im
Gegensatz zu den untergeordneten Orakelstätten der
Atlantis, welche Merkur-, Mars-, Jupitereingeweihte und so
weiter in sich bargen. Ich habe auch darauf hingewiesen,
daß dieser große Sonneneingeweihte, der Führer
des Sonnenorakels, auch der große Führer der
bedeutungsvollen Kulturkolonie war, die sich vom Westen
nach dem Osten, von der Atlantis nach dem Inneren Asiens,
bewegt hat, um von dort auszustrahlen, zu inaugurieren die
nachatlantische Kultur. In geheimnisvolle Stätten im
Inneren Asiens zog sich dieser große Eingeweihte, der er
damals schon war, zurück. Er gab zunächst denjenigen
großen Weisen, die wir als die heiligen Rishis bezeichnen,
die Möglichkeit, große Lehrer ihres Volkstums zu
sein. Und er war es, dieser große, geheimnisvolle
Initiierte, der auch dem Zarathustra oder Zoroaster seine
Einweihung zuteil werden ließ.
Anders wurde allerdings dem Zarathustra, anders den indischen
Rishis die Einweihung gegeben; denn sie hatten verschiedene
Aufgaben. Den Rishis wurde eine solche Einweihung
gegeben, daß sie sozusagen wie von selbst, wenn sie
ihr Inneres weiter entwickelten, die großen Geheimnisse
des Daseins aussprechen konnten. Dadurch wurden sie die
großen Führer und Lehrer der vorvedischen,
altindischen Kultur. Es war für sie noch etwas, was zwar
auf künstlichem Wege erzeugt war, aber auf diesem
Wege durchaus ähnlich war dem alten atlantischen
Hellsehen, das nur einzeln auf die sieben Rishis verteilt war.
Jeder der sieben Rishis hatte sein bestimmtes Gebiet. Wie die
verschiedenen Orakelstätten ihr besonderes Gebiet
hatten, so hatte jeder der sieben Rishis seine besondere
Aufgabe. Und ein Kollegium sprach, wenn jeder der sieben Rishis
sagte, was er wußte von der Urweisheit der Welt. Die
hatten sie empfangen von dem großen
Sonneneingeweihten, der hinausverpflanzt hatte von dem
Westen nach dem Osten die alte atlantische Weisheit und sie
eben in einer besonderen Weise weitergegeben hatte an die,
welche die Träger der nachatlantischen Kultur werden
sollten. In anderer Weise gab er sie dem Zarathustra, so
daß Zarathustra so sprechen konnte, wie ich es auch
angedeutet habe.
Die
Rishis sagten: Um zum höchsten Göttlich-Geistigen zu
kommen, muß man alles, was in der Umwelt ist, was
sich den äußeren Sinnen darbietet, als Maja
oder Illusion ansehen; man muß sich abwenden davon,
ganz den Blick in das Innere versenken: dann geht eine andere
Welt in einem auf als die, welche vor einem ist. - Also mit
Abwendung von der illusionären Welt der Maja, mit
der Entwickelung des eigenen Inneren hinaufzusteigen in die
göttlich-geistigen Sphären, das war die Lehre der
alten indischen Rishis. Anders Zarathustra. Er wandte sich
nicht ab von dem, was sich äußerlich manifestiert. Er
sagte nicht: Das Äußere ist Maja oder Illusion, von
der wir uns abwenden müssen. Sondern er sagte: Diese
Maja oder Illusion ist die Offenbarung, das wirkliche
Kleid des göttlich-geistigen Daseins. Wir dürfen uns
nicht von ihm abwenden, sondern im Gegenteil, wir müssen
es erforschen. Wir müssen sehen im Sonnenlichtleib
das äußere Gewebe, worinnen webt und lebt Ahura
Mazdao!
So
war in gewisser Weise der Standpunkt Zarathustras der
entgegengesetzte von dem der alten Rishis. Es ist gerade
die nachindische Kultur dadurch bedeutsam geworden, daß
sie der Außenwelt einprägen sollte, was sich
der Mensch durch sein geistiges Wirken erobern kann. Und wir
haben auch gesehen, wie Zarathustra das Beste, was er zu geben
hatte, übertragen hatte in der geschilderten Art an Moses
und Hermes. Damit die Moses-Weisheit in der richtigen Weise
fruchtbar werden konnte und als Samen aufgehen konnte,
mußte sie hineingesenkt sein in das Volkstum, das zu
seinem Stammvater Abraham hatte. Denn Abraham hatte zuerst das
Organ in sich veranlagt, ein Jahvebewußtsein zu erwerben.
Aber er mußte wissen, daß der Gott, der sich in
seinem Inneren ankündigen konnte den physischen
Erkenntniskräften, mit derselben Stimme spricht, mit
welcher der ewige, alles durchwebende Gott der Mysterien
spricht, nur daß er sich auf eine eingeschränkte
Weise, nämlich wie Abraham ihn erkennen konnte,
offenbarte.
Einer solchen bedeutsamen Wesenheit, wie es der große
atlantische Sonneninitiierte war, ist es nicht ohne weiteres
möglich, zu denen, die zu irgendeiner Zeit leben und eine
besondere Mission haben, sogleich in einer verständlichen
Sprache zu reden. Eine so hohe Individualität wie der
große Sonneninitiierte, der in seiner Individualität
ein ewiges Dasein führt, von dem mit Recht gesagt wurde -
um anzudeuten den Ewigkeitscharakter dieser Individualität
daß man von ihm nicht anführen sollte Namen und
Alter, nicht Vater und Mutter, ein solcher großer
Führer des Menschheitsdaseins kann sich nur dadurch
offenbaren, daß er etwas annimmt, wodurch er
verwandt wird denen, welchen er sich offenbaren kann. So nahm,
um dem Abraham die entsprechende Aufklärung zu geben, der
Lehrer der Rishis, der Lehrer des Zarathustra, eine
Gestalt an, in welcher er den Ätherleib trug, der
aufbewahrt war von dem Stammvater des Abraham, denselben
Ätherleib, der schon in dem Stammvater des Abraham, in
Sem, dem Sohne Noahs, vorhanden war. Dieser Ätherleib des
Sem war aufbewahrt worden, wie der Ätherleib des
Zarathustra für Moses aufbewahrt worden war, und seiner
bediente sich der große Eingeweihte des
Sonnenmysteriums, um sich in einer verständlichen
Art dem Abraham offenbaren zu können. Diese Begegnung des
Abraham mit dem großen Eingeweihten des
Sonnenmysteriums ist jene Begegnung, welche uns im Alten
Testament geschildert wird als die Begegnung des Abraham mit
dem Könige, mit dem Priester des höchsten Gottes, mit
Melchisedek oder Malek-Zadik, wie man gewohnt geworden ist ihn
zu nennen (l.Mose 14,18-20). Das ist eine Begegnung von
größter, von universellster Bedeutung, diese
Begegnung des Abraham mit dem großen Eingeweihten des
Sonnenmysteriums, der - nur um ihn sozusagen nicht zu
verblüffen - in dem Ätherleib des Sem sich zeigte,
des Stammvaters des semitischen Stammes. Und
bedeutungsvoll wird in der Bibel auf etwas hingewiesen,
was leider nur zu wenig verstanden wird, nämlich darauf,
woher sozusagen dasjenige kommen kann, was Melchisedek dem
Abraham zu geben in der Lage ist. Was kann Melchisedek
dem Abraham geben? Er kann ihm geben das Geheimnis des
Sonnendaseins, das natürlich Abraham nur in seiner Art
verstehen kann, dasselbe, was hinter der
Zarathustra-Offenbarung steht, worauf Zarathustra erst
prophetisch hingewiesen hat.
Wenn wir uns die Tatsache vorstellen, daß Zarathustra
seine bevorzugten Schüler auf das hinwies, was als
Ahura Mazdao geistig hinter dem Sonnenlichtleib lebt, indem er
sagte: Seht hin, dahinter steckt etwas, was jetzt noch nicht
mit der Erde vereinigt ist, was aber einst in die
Erdenevolution sich ergießen wird und auf die Erde
heruntersteigen wird wenn wir anerkennen, daß
Zarathustra nur prophetisch vorherverkünden konnte den
Sonnengeist, den Christus, von dem er sagte: Er wird kommen in
einem menschlichen Leibe -, dann werden wir sagen müssen,
daß für denjenigen Menschen, der vorbereiten und
später herbeiführen sollte die Inkarnation des
Christus auf der Erde, sich noch größere Tiefen
dieses Sonnengeheimnisses zeigen mußten. Das geschah
dadurch, daß der Lehrer des Zarathustra selber bei jener
Begegnung Einfluß nahm auf Abraham, sozusagen aus
derselben Quelle seinen Einfluß brachte, aus der dann der
Christus-Einfluß kommt. Das wird uns wieder in der Bibel
symbolisch angedeutet, indem gesagt wird: Indem Abraham
dem Melchisedek entgegengeht, bringt ihm dieser König von
Salem, dieser Priester des höchsten der Götter, Brot
und Traubensaft. «Brot und Traubensaft» wird
später noch einmal ausgeteilt: Als das Geheimnis des
Christus ausgedrückt werden soll für seine Bekenner
bei der Einsetzung des Abendmahles, da geschieht es durch Brot
und Traubensaft! Indem die Gleichheit des Opfers in so
bedeutungsvoller Weise betont wird, wird darauf
hingewiesen, daß es dieselbe Quelle ist, aus der
Melchisedek schöpft, und woheraus der Christus
schöpft.
Also es sollte ein Einfluß stattfinden von dem, was
später auf die Erde niedersteigen sollte, auf dem Umwege
durch Melchisedek. Und dieser Einfluß sollte auf den
großen Vorbereiter des späteren Ereignisses,
auf Abraham, erfolgen. Und die Folge der Wirkung dieser
Begegnung des Abraham mit Melchisedek war die, daß
Abraham nun spürte: was ihn da antreibt, was er anspricht
mit dem Namen jahve oder Je- hova als das Höchste, was er
denken kann, das kommt aus derselben Quelle, aus der auch
für alles höchste Erdenwissen das Bewußtsein des
Initiierten kommt von dem alle Welten durchwebenden und
durchlebenden höchsten Gott. Das war das
Bewußtsein, das Abraham jetzt weitertragen konnte. - Ein
anderes Bewußtsein ging in Abraham noch auf: das
Bewußtsein, daß nun tatsächlich mit dem Blute
der Generationen, das durch das Volkstum hinunterrinnt,
etwas gegeben sein soll, was sich richtig nur vergleichen
läßt mit dem, was in den Mysterien geschaut
werden kann, wenn der hellseherische Blick sich hinausrichtet
in die Geheimnisse des Daseins und die Sprache des Kosmos
versteht.
Ich
habe schon darauf aufmerksam gemacht, wie man in den
Mysterien die Geheimnisse des Kosmos ausdrückt,
indem man eine Sternen-Sprache spricht und die Geheimnisse des
Kosmos zum Ausdrucksmittel nimmt für das, was man
sagen will. Es gab Zeiten, in denen die Mysterienlehrer
das Auszudrückende in solche Worte, in solche Bilder
kleideten, die hergenommen waren von der Konstellation der
Sterne. Man sah gleichsam in den Wegen der Sterne, in den Lagen
der Sterne zueinander die Bilder, durch die man
ausdrücken wollte, was der Mensch geistig erlebt, wenn er
sich zu dem Göttlich-Geistigen hinauferhebt.
Was
hat man nun in der Mysterienweisheit gelesen in dieser
Sternenschrift? Man hat darinnen gelesen die Geheimnisse
der die Welt durchwebenden und durchlebenden Gottheit. Es
waren die Ordnungen der Sterne der augenfällige Ausdruck
der Gottheit. Man richtete den Blick in Weltenalle und sagte:
Da kündet sich die Gottheit an! Und wie sie sich
ankündet, das beschreiben uns die Ordnungen und Harmonien
der Sterne. - So lebte sich für ein solches Anschauen der
Weltengott aus in der Ordnung der Sterne.
Sollte sich auf eine besondere Art in der Mission des
hebräischen Volkes dieser Weltengott ausleben, so
mußte er sich in derselben Ordnung ausleben, die im
Kosmos in den Sternenbahnen vorgezeichnet ist. Das heißt,
es mußte sich durch das Blut der Generationen, in
welchem ja das äußere Instrument der
Jahve-Offenbarungen enthalten war, eine ähnliche Ordnung
ausdrücken, wie sie sich ausdrückt in den
Sternenbahnen. Mit anderen Worten: In der
Nachkommenschaft des Abraham mußte etwas sein, was
in der Generationenfolge, in der Blutsverwandtschaft, ein
Spiegelbild dessen war, was Sternenschrift im Kosmos ist.
Deshalb bekam Abraham die Verheißung: Deine
Nachkommen sollen geordnet sein wie die Sterne am Himmel!
- Das ist die richtige Auslegung des Satzes, der
gewöhnlich heißt: «Deine Nachkommen sollen
zahlreich sein wie die Sterne am Himmel», und womit nur
die Vielzahl der Nachkommenschaft angedeutet wird (1. Mose 22,
17). Aber nicht die Vielzahl ist gemeint, sondern gemeint ist,
daß in der Nachkommenschaft eine solche Ordnung herrschen
solle, wie sie am Himmel in der Sprache der Götter
wahrgenommen wurde in der Gruppierung der Sterne. Da sah
man hinauf in eine solche Ordnung, wie sie sich darstellt in
der Ordnung des Tierkreises. Und in der Stellung der
Wandelsterne, der Planeten zum Tierkreis drückten sich
jene Konstellationen aus, in denen man die Sprache fand,
um die Taten der Götter, wie sie weben durch das Weltall,
auszudrücken. Dieses feste Band also, das im Zodiakus und
in dem Verhältnis der Planeten zu den zwölf
Tierkreiszeichen sich darstellt, mußte sich
ausdrücken in der Blutsverwandtschaft in der
Nachkommenschaft des Abraham.
So
haben wir in den zwölf Söhnen Jakobs, in den
zwölf Stämmen des hebräischen Volkes die
Abbilder der zwölf Zeichen des Tierkreises. Wie sich
oben in den zwölf Tierkreisbildern die Sprache der
Götter ausdrückt, so drückt sich Jahve aus
in dem durch die Generationen herabfließenden Blute des
jüdischen Volkes, das sich nach den zwölf Söhnen
des Jakob in die zwölf Stämme teilte. Dasjenige, was
sich in diese Konstellation des Tierkreises hineinordnet,
bezeichnen wir mit dem Namen der Planeten, mit Venus, Merkur,
Mond, Sonne und so weiter. Und wir haben gesehen, wie
dasjenige, was sich im Laufe der Zeit im Lebensgange des
hebräischen Volkes als Einzelabschnitte abspielt, in
der Tat in gewisser Beziehung zu parallelisieren ist mit dem
Weg der Planeten durch den Zodiakus: daß wir David, den
königlichen Sänger, parallelisieren müssen mit
Hermes oder Merkur, daß wir die Zeit der babylonischen
Gefangenschaft, das heißt jene Konfiguration, welche die
Jahve-Offenbarung etwa sechs Jahrhunderte vor unserer
Zeitrechnung durch einen neuen Einschlag erhalten hat,
parallelisieren dürfen mit dem Namen der Venus als einem
Namen unseres Planetensystems. Das sollte dem Abraham
angedeutet werden. So daß zum Beispiel die Art, wie
eine Persönlichkeit wie David sich hineinstellt in die
Stammesfolge, parallel geht dem, wie der Merkur zum Zodiakus
steht. Der Stamm Juda zum Beispiel entspricht dem Sternbilde
des Löwen, und das Hineingestelltsein des David in den
Stamm Juda würde in der Geschichte des hebräischen
Volkes dem entsprechen, was im Kosmos das Bedecken des
Sternbildes des Löwen durch Merkur wäre. So kann man
lesen an allen Einzelheiten, in der Blutfolge, in dem
merkwürdigen Übertragen der Königs- oder
Priesterwürde, in den Kämpfen oder Siegen des einen
oder des anderen Stammes, in der ganzen hebräischen
Geschichte, was die Bedeckung der einzelnen Sternbilder
draußen im Weltenraume ist. Das lag in dem
bedeutungsvollen Wort: Deine Nachkommen sollen geordnet sein
wie die Harmonie der Sterne am Himmel. - Wir müssen nur
nicht in den Urkunden, die auf Okkultismus gebaut sind,
jene Trivialitäten sehen, welche so gern darin
gesehen werden, sondern wir müssen voraussetzen,
daß diese Urkunden von einer unendlichen Tiefe sind.
So
sehen wir in der Tat, wie Ordnung vorhanden ist in dieser
Generationenfolge, die uns dann im
Matthäus-Evangelium geschildert wird. Wir sehen, daß
uns dieser Evangelist andeutet, wie auf eine ganz besondere
Weise das Blut jenes Leibes zusammengesetzt war, der
zunächst aufnehmen sollte die Individualität
des Zarathustra, damit diese Individualität des
Zarathustra die Offenbarung des Christus auf der Erde
herbeiführen konnte.
Was
war also durch die zweiundvierzig Generationen hindurch von
Abraham bis auf Joseph erlangt worden? Das war erlangt worden,
daß mit dem Letzten in der Generationenfolge eine
Blutmischung zustande gekommen war, die sich nach den
Gesetzen der Sternenwelt, der heiligen Mysterien vollzogen
hatte. Und in dieser Blutmischung, welche die
Zarathustra-Individualität brauchte, um das große
Werk auszuführen, war eine innere Ordnung, eine Harmonie,
die einer der schönsten, der bedeutsamsten Ordnungen des
Sternensystems entsprach. So war die Blutmischung, die
Zarathustra vorfand, ein Abbild des ganzen Kosmos. Dieses Blut,
das da durch Generationen hindurch gebildet wurde, war so
gemischt, wie die Ordnungen des Kosmos geregelt sind. Das
alles Hegt zugrunde jener bedeutsamen Urkunde, welche wir
jetzt, wenn ich so sagen darf, in einer abgeschwächten
Form in dem Evangelium nach Matthäus vor uns haben. Dieses
tiefe Geheimnis von einem Volkswerden als Abbild eines
kosmischen Werdens liegt dem zugrunde.
So
fühlten diejenigen, welche zunächst etwas wußten
von dem großen Mysterium Christi. Sie fühlten
schon in dem Blut, welches dieser Matthäus-Jesus von
Nazareth in sich hatte, ein Abbild des Kosmos, ein Abbild jenes
Geistes, der im ganzen Kosmos waltet. Dieses Geheimnis
drückten sie aus, indem sie sagten: In dem Blut, in
welchem leben sollte das Ich, das dann Jesus von Nazareth war,
lebte der Geist des ganzen Kosmos. Sollte also dieser physische
Leib geboren werden, dann mußte er sein ein Abdruck des
Geistes des ganzen Kosmos, des Geistes, der da waltet in der
Welt. - Das war ursprünglich die Formel, daß die
Kraft, die jener Blutmischung zugrunde lag, welche die des
Zarathustra oder Jesus von Nazareth wurde, daß diese Kraft
der Geist war unseres ganzen Kosmos, eben jener Geist, der
ursprünglich, nach der Trennung der Sonne von unserer
Erde, brütend dasjenige durchdrang, was sich
herausgegliedert hatte in der Weltenevolution. Aus den schon
erwähnten Münchener Vorträgen wissen wir: Wenn
wir den Beginn der Genesis, das «Bereschit bara Elohim eth
haschamajim we'eth ha'aretz », nicht mit den trivialen
Worten der heutigen Zeit übersetzen wollen, die sich
nicht mehr mit dem alten Sinn decken, sondern wenn wir den
wahren Sinn heraussuchen, daß wir dann zu übersetzen
haben: «In dem, was herübergekommen war aus dem
Saturn-, Sonnen- und Mondendasein, ersannen in kosmischer
Tätigkeit die Elohim dasjenige, was sich nach
außen offenbart, was sich im Inneren regt. Und über
dem, was sich im Inneren regt, und durch das, was sich regt,
herrschte das finstere Dunkel; aber es breitete sich aus da
hinein, es brütete darüber, es durchdringend mit
Wärme - ähnlich wie das Huhn das Ei - der
schöpferische Geist der Elohim, Ruach-Elohim.» Was da
als Geist brütete, das ist dasselbe, ganz dasselbe, was
dann die Ordnungen bewirkte, welche man ausdrücken
konnte in einer gewissen Weise durch die Konstellation der
Sterne. So fühlten die ursprünglichen
Eingeweihten des Christus-Mysteriums, daß die Blutmischung
des Jesus von Nazareth ein Abbild dessen war, was Ruach-Elohim
durch das Weltendasein hindurch wirkte. Und sie nannten daher
das Blut, das auf diese Weise für das große Ereignis
zubereitet worden ist, «geschaffen durch den Geist des
Weltendaseins», durch denselben Geist, der in jener
bedeutungsvollen Schilderung der Genesis, in dem
«Bereschit bara...», genannt wird Ruach.
Dieser heilige Sinn, der wahrhaftig größer ist als
jeglicher andere, triviale Sinn, liegt zunächst als der
höhere Sinn dem zugrunde, was genannt wird «die
Empfängnis aus dem heiligen Geiste des
Weltenalls». Das liegt dem zugrunde, was enthalten
ist in dem Wort: «Und die Gebärerin dieses Wesens war
erfüllt von der Kraft dieses Geistes des Weltenalls»
(Matth. 1,18). Wir müssen nur die ganze Größe
eines solchen Mysteriums empfinden, und wir werden dann schon
finden, daß in dieser Art, die Sache darzustellen, etwas
unendlich Höheres liegt als in alledem, was exoterisch in
der Conceptio immaculata, in der « Unbefleckten
Empfängnis » gegeben ist. Man braucht ja nur zwei
Dinge in der Bibel sich selbst gegenüberzustellen, wenn
man die wahre Absicht der Bibel erkennen und von einer
trivialen Ausdeutung der Unbefleckten Empfängnis
abkommen will. Das eine ist dies: Wozu würde der Schreiber
des Matthäus-Evangeliums die ganze Reihe der Generationen
von Abraham bis auf Joseph aufstellen, wenn er etwa sagen
wollte, daß mit dieser ganzen Generationenfolge die Geburt
des Jesus von Naza- reth nichts zu tun habe? Er bemüht
sich darzustellen, wie das Blut von Abraham bis auf Joseph
heruntergeleitet wird, und dann sollte er sagen, daß mit
diesem Blut in Wahrheit das Blut des Jesus von Nazareth nichts
zu tun habe? Und die andere Tatsache ist, daß
Ruach-Elohim, der in der Bibel der Heilige Geist genannt wird,
in der hebräischen Sprache weiblichen Geschlechts ist, ein
Femininum ist, was doch wohl auch in irgendeiner Weise in
Betracht kommen muß. - Wir werden darauf noch weiter zu
sprechen kommen; jetzt wollte ich nur ein Gefühl
dafür hervorrufen, wie groß die Gedankenkonzeption
ist, die diesem Mysterium bei seinem Ausgangspunkt zugrunde
liegt.
Was
da beim Ausgangspunkt unserer Zeitrechnung sich abgespielt hat,
und was nur die Weisen kannten, die wirklich in die Geheimnisse
des Weltendaseins eingeweiht waren, das wurde zunächst
ausgedrückt in aramäischer Sprache in der Urkunde,
welche dem Matthäus-Evangelium zugrunde liegt. Und
nicht nur durch den Okkultismus, sondern auch durch rein
philologische Forschung ist es möglich, zu beweisen,
daß diese Urkunde, welche dem Matthäus-Evangelium
zugrunde liegt, bereits im Jahre 71 existiert hat. Das
wahre Zustandekommen der Evangelien können Sie in
meinem Buche «Das Christentum als mystische
Tatsache» dargestellt finden. Aber wenn man wirklich
genau vorgeht, kann man selbst philologisch nachweisen,
daß alles, was von einer späteren Konzeption des
Matthäus-Evangeliums gesagt wird, nicht richtig ist; denn
wir können nachweisen, daß bereits im Jahre 71 - also
verhältnismäßig kurze Zeit nach dem Ereignisse
von Palästina - eine aramäische Urschrift des
Matthäus-Evangeliums vorhanden war. Aber weil ich
hier nicht philologische Tatsachen, sondern nur
geisteswissenschaftliche zu vertreten habe, will ich dabei nur
auf eines hinweisen aus der talmudischen Literatur, die
vollständig gesichert ist durch jüdische
Gelehrte.
In
der talmudischen Literatur finden wir eine Angabe, daß
Rabbi Gamaliel II. mit seiner Schwester in einen Erbschafts
streit verwickelt war, der dadurch entstanden war, daß im
Jahre 70 sein Vater in einem Streit mit den Römern
umgekommen war. Und es wird uns erzählt, daß Rabbi
Gamaliel II. damals vor einem Richter stand, der nach allem,
was uns die talmudische Literatur berichtet, ein Halbchrist
war, ein sogenannter Judenchrist. Solche gab es schon in
jenen Richterstellen, die von den Römern den Juden
hingesetzt waren. Dabei ging nun etwas Merkwürdiges vor:
Rabbi Gamaliel II. kämpft mit seiner Schwester um die
Erbschaft, um das Vermögen seines Vaters. Und vor seinem
Richter, der schon etwas vom Christentum weiß, macht
er geltend, daß nach dem bei den Juden geltenden Gesetz
nur der Sohn, nicht aber die Tochter erben könne,
und daß ihm allein also die Erbschaft gehöre. Da
hält ihm der Richter vor, daß ja die Thora abgesetzt
sei in denjenigen Kreisen, innerhalb welcher er Richter
sei, und da er Recht und Urteilsspruch bei ihm suche, so
wolle er nicht bloß richten nach dem Gesetz der Juden,
sondern nach dem Gesetz, das sich an die Stelle der Thora
hingesetzt habe. Das alles war geschehen, wie schon gesagt, im
Jahre 71, da der Vater des Gamaliel im Jahre 70 bei der
Judenverfolgung umgekommen war. Nun fand Rabbi Gamaliel
keinen anderen Ausweg mehr, als daß er den Richter
bestach. Da machte der bestochene Richter am nächsten Tage
ein Zitat, und zwar war das ein solches, das entlehnt war der
aramäischen Urschrift des Matthäus-Evangeliums. Und
was sagte der Richter? Der Christus «sei nicht gekommen,
das Gesetz des Moses zu brechen, sondern es zu
erfüllen!» (Matth. 5,17). So glaubte er damit sein
Gewissen entlasten zu können, wenn er das Gesetz beugte,
indem er sagte, er richte doch im Sinne des Christus, wenn er
dem Gamaliel die Erbschaft zuspräche.
Daraus wissen wir, daß im Jahre 71 eine christliche
Urkunde bestand, aus welcher Worte entlehnt wurden,
welche heute im MatthäusEvangelium enthalten sind.
Wir haben also dieses äußerliche Zeichen - es wird
nämlich jene Stelle in aramäischer Sprache
angeführt -, daß diese Urkunde, diese aramäische
Urschrift des Matthäus-Evangeliums, damals mindestens
teilweise vorhanden gewesen ist. Was die okkulte Forschung
darüber zu sagen hat, das werden wir noch zu besprechen
haben. Dies sollte jetzt nur angeführt werden, um zu
zeigen: Wenn man schon die äußere Wissenschaft zu
Hilfe zieht, darf man das nicht machen, was so oft gemacht
wird, daß nämlich alles zusammengetragen wird,
was die Herren gerade lesen können, während sie zum
Beispiel die talmudische Literatur unberücksichtigt
lassen, die außerordentlich bedeutsam ist für
das, was man auch exoterisch über diese Dinge erkennen
kann.
So
sehen wir, daß wir auch äußerlich auf einem
recht guten Boden stehen, wenn man das Matthäus-Evangelium
verhältnismäßig früh ansetzt. Damit
schon allein, möchte ich sagen, ist auch
äußerlich ein gewisser Beweis geliefert,
daß die Menschen, welche an der Abfassung des
Matthäus-Evangeliums beteiligt waren, zeitlich nicht sehr
weit entfernt von den Ereignissen in Palästina waren, so
daß dadurch selbst exoterisch gesichert ist, daß man
damals nicht einfach den Leuten ins Gesicht lügen konnte
und sagen, es hätte also im Beginne unserer Zeitrechnung
nicht der Christus Jesus gelebt, von dem wir sprechen. Denn es
war nicht einmal ein halbes Jahrhundert darnach, so daß
man noch zu Augenzeugen zu sprechen hatte und denen nicht Dinge
sagen konnte, welche sich nicht zugetragen hatten. Das sind
Dinge, die exoterisch wichtig sind, und wir wollen sie
nur anführen zum Beleg für das Exoterische der
Sache.
Wir
haben also gesehen, wie aus den Geheimnissen des Kosmos
heraus in der Menschheitsevolution Veranstaltungen
getroffen worden sind, um aus dem gleichsam filtrierten Blute
des hebräischen Volkes, das die Ordnung des Weltalls
selbst in sich aufgenommen hatte, einen Körper
herzustellen, in welchem sich wieder inkarniert der große
Eingeweihte Zarathustra. Denn von der
Zarathustra-Individualität spricht das
Matthäus-Evangelium; und keine andere Individualität
als die Zarathustra-Individualität ist es, von der
dieses Evangelium spricht. Nun dürfen wir uns nicht etwa
denken, daß alles dies, was wir gleichsam aus den tiefsten
Geheimnissen der Weltenevolution hervorheben, sich so ganz
offen vor aller Augen abgespielt habe. Das war auch für
die Zeitgenossen in ein tiefes Geheimnis gehüllt und nur
den wenigsten Eingeweihten verständlich. Daher ist
es begreiflich, daß ein so tiefes Schweigen herrscht
über alles, was sich damals als das größte
Ereignis der Menschheitsevolution zugetragen hat. Und wenn sich
heute die Historiker auf ihre Urkunden berufen und sagen,
daß diese Urkunden über dieses Ereignis schweigen, so
muß uns das nicht verwundern, sondern ganz
natürlich erscheinen.
Wenn wir jetzt charakterisiert haben, wie von der
Zarathustra-Seite her dieses größte Ereignis unserer
Menschheitsevolution vorbereitet wurde, so müssen wir uns
jetzt noch andere vorbereitende Strömungen zu diesem
großen Ereignis ein wenig vor die Seele führen.
Vieles, vieles geschah in der Menschheitsevolution unmittelbar
vorher und auch unmittelbar nachher, nachdem diese Ereignisse
um Christus herum sich abgespielt hatten. Es ist dieses
Ereignis im Grunde schon lange vorher vorbereitet worden. Wie
es von äußerer Seite vorbereitet wurde, indem
Zarathustra Moses und Hermes ausgesandt hat, indem von
Melchisedek, von dem Sonnenmysterium selber, die
äußere Hülle des Jesus von Nazareth vorbereitet
wurde, so wurde ein anderes noch vorbereitet, gleichsam eine
Nebenströmung dieser großen Strömung, die aber,
wenn sie auch nur eine Nebenströmung ist, doch etwas zu
tun hat mit der großen Hauptströmung, die von
Zarathustra herkommt. Diese Nebenströmung bereitet sich
langsam vor in jenen Stätten, die uns bezeichnet werden
auch von der äußeren Geschichte dadurch, daß wir
auf gewisse Sekten aufmerksam gemacht werden, welche eine
besondere Seelenentwickelung anstrebten, und die uns von
Philo als die «Therapeuten» beschrieben
werden. Die Therapeuten waren Angehörige einer
geheimnisvollen Sekte, die auf innerlichem Wege ihre Seelen zu
reinigen suchten, um das herauszubringen, was durch den
äußeren Verkehr und durch die äußeren
Erkenntnisse verunreinigt wird, um sich dadurch in reine
geistige Sphären zu erheben. Eine Abzweigung dieser Sekte
der Therapeuten, in welcher jene Nebenströmung weiter
vorbereitet wurde, waren die in Asien lebenden
«Essäer» oder «Essener». Diese
Menschen alle - Sie können eine kurze Beschreibung
darüber in meinem « Christentum als mystische
Tatsache» finden welche in diesen Sekten vereinigt waren,
hatten eine gewisse gemeinsame geistige Leitung. Sowohl bei den
Therapeuten wie auch bei den Essä- ern war eine gewisse
geistige Leitung vorhanden. Und wenn wir diese geistige Leitung
exoterisch kennenlernen wollen, müssen wir uns an das
erinnern, was wir im vorigen Jahre bei den Vorträgen
über das Lukas-Evangelium besprochen haben. Wir haben
dabei angeführt das Geheimnis des Gautama Buddha, wie es
in den orientalischen Schriften auch exoterisch behandelt wird,
und wir haben gesagt, daß derjenige, der ein Buddha werden
will im Laufe der Entwickelung, zunächst ein Bodhisattva
werden müsse. Wir haben ausgeführt, wie derjenige,
der aus der Geschichte als «Buddha» bekannt ist, auch
zuerst ein Bodhisattva war und dann Buddha wurde. Bis zum
neunundzwanzigsten Jahre seines physischen Seins als der Sohn
des Königs Suddhodana war er noch ein Bodhisattva, und
erst im neunundzwanzigsten Jahre ist er durch seine innere
Seelenentwickelung vom Bodhisattva zum Buddha geworden. Der
Bodhisattvas gibt es nun eine ganze Reihe in der
Entwickelung der Menschheit; und jener Bodhisattva, der
sechs Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung ein Buddha
geworden war, ist einer von den Bodhisattvas, welche die
Entwickelung der Menschheit leiten. Eine solche
Individualität, welche aufsteigt von der Würde eines
Bodhisattva zur Würde eines Buddha, inkorporiert sich
später nicht wieder in einem physischen Leibe auf der
Erde. Wir haben dann gesehen, wie sich der Buddha
manifestiert hat bei der Geburt des Jesus des
Lukas-Evangeliums, indem er sich mit diesem Jesus, den wir den
Jesus der nathanischen Linie nannten, verband mit seinem
ätherischen Leibe. Und wir haben gesehen, daß dies
ein anderer Jesus ist als der, von dem wir beim
Matthäus-Evangelium zunächst sprechen.
In
diesem Buddhawerden des Königssohnes des Suddhodana haben
wir zu sehen den Abschluß einer alten Entwickelung. In der
Tat gehört diese Entwickelung, welche ihren
Abschluß mit dem Buddhawerden jenes Bodhisattva
erreicht, derselben Strömung an, der auch die heiligen
Rishis der Inder angehören; aber diese erreichte mit dem
Buddhawerden jenes Bodhisattva einen gewissen Abschluß. -
Wenn nun ein Bodhisattva zum Buddha wird, so tritt an seine
Stelle sein Nachfolger. Das erzählt auch die alte indische
Legende, indem sie sagt, daß der Bodhisattva, der
herunterstieg, um als Sohn des Königs Sud- dhodana zur
Buddhawürde aufzusteigen, vor seinem letzten
Herabsteigen die Krone des Bodhisattva weitergab an
seinen Nachfolger in den geistigen Reichen. Es gab also seit
jenen Zeiten einen Nachfolger jenes Bodhisattva, der damals
Buddha wurde. Und dieser neue Bodhisattva, der nun als
Bodhisattva weiter wirkte, hatte eine besondere Aufgabe
für die Menschheitsentwickelung. Ihm war besonders die
Aufgabe zugefallen, geistig zu leiten jene Bewegung, welche
sich im Therapeutentum, im Essäertum kundgab, so daß
wir in jenem Bodhisattva, der der Nachfolger des Buddha
wurde, anerkennen den geistigen Leiter der Therapeuten-
und Essäergemeinden. Da wirkte sein Einfluß. Dieser
Bodhisattva schickte sozusagen zur Leitung der Essäer
unter der Regierung des Königs Alexander Jannai -
ungefähr 125 bis 77 vor unserer Zeitrechnung - eine
besondere Individualität in die Essäergemeinden
hinein. Diese besondere Individualität leitete
ungefähr ein Jahrhundert vor dem Erscheinen des
Christus Jesus auf der Erde die Essäergemeinden. Diese
Persönlichkeit ist dem Okkultismus gut bekannt, aber
auch der äußeren talmudischen Literatur.
Es
gab also ein Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, ein
Jahrhundert vor der Erscheinung des Christus auf der
Erde, eine Individualität, die nichts zu tun hat mit dem
Jesus des Lukas-Evangeliums und nichts zu tun hat mit dem Jesus
des Matthäus-Evangeliums, eine Persönlichkeit,
die Lenker und Leiter war in den Essäergemeinden. Diese
Persönlichkeit ist dem Okkultismus gut bekannt als eine
Art von Vorläufer der Essäer für das
Christentum; sie ist bekannt aber auch in der talmudischen
Literatur unter dem Namen Jesus, der Sohn des Pandira, Jeshu
ben Pandira. Diesen Jesus, Sohn des Pandira, über den
üble jüdische Literaturen allerlei gefabelt haben,
was dann in neuerer Zeit wieder aufgewärmt worden ist,
diese Persönlichkeit, die eine edle und große
Persönlichkeit war, darf man nicht verwechseln, wie es
einige Talmudisten tun, mit dem Jesus von Nazareth, von dem wir
sprechen. Wir kennen auch diesen essäischen
Vorläufer des Christentums in dem Jesus, dem Sohn des
Pandira. Und wir wissen, daß dieser Jeshu ben Pandira von
denen, die damals in der essäischen Lehre
Gotteslästerungen sahen, angeklagt worden ist der
Gotteslästerung und Häresie, dann zuerst gesteinigt
und, nachdem er gesteinigt worden war, an einem Baum
aufgehängt worden ist, um zur Strafe auch noch die Schande
hinzuzufügen. Das ist eine okkulte, aber auch eine in der
talmudischen Literatur vorkommende Tatsache.
In
diesem Jeshu ben Pandira haben wir eine Persönlichkeit zu
sehen, die unter dem Schutze des Bodhisattva steht, welcher der
Nachfolger jenes Bodhisattva ist, der als der Sohn des
Königs Suddhodana später zum Buddha geworden ist. So
liegen die Dinge ganz klar. Wir haben eine Art Vorbereitung,
eine Nebenströmung der christlichen Hauptströmung in
jener Strömung zu sehen, welche abhängig ist von dem
Nachfolger des Buddha, von dem jetzigen Bodhisattva, der
später der Maitreya Buddha werden wird und seine Sendboten
in die Essäer- gemeinden hineingeschickt hat; sie lebte
sich damals aus in dem Missionar, der in den
Essäergemeinden das bewirkte, was wir in dem nächsten
Vortrag kennenlernen werden.
So
haben wir den Namen Jesus zu suchen bei der
Individualität, von der uns das Matthäus- und das
Lukas-Evangelium berichten; wir müssen den Namen Jesus
aber auch ein Jahrhundert vor dem Beginn unserer Zeitrechnung
in der Essäergemeinde suchen bei jener edlen
Persönlichkeit, gegenüber der alles, was üble
talmudische Literatur gefunden hat, Verleumdung ist, die
angeklagt worden ist wegen Gotteslästerung und
Häresie, die erst gesteinigt und nachher an einen Baum
gehängt worden ist.
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