ACHTER VORTRAG
Kristiania, 14. Juni 1910
Wenn man die
Entwickelung der germanisch-nordischen Geschichte und die darin
geschilderten geistigen Impulse studieren will, dann hat man
nötig, den Grundcharakter der germanisch-nordischen
Mythologie zunächst ins Auge zu fassen, und es ist schon
das letzte Mal darauf aufmerksam gemacht worden, daß diese
germanisch-nordische Mythologie, trotz manchem, worin sie
Ähnlichkeit hat mit anderen Mythologien und
Götterauffassungen, doch etwas ganz Eigentümliches ist.
Dabei bleibt doch richtig, daß ein sehr weitgehender Grundkern
mythologischer Auffassung sich über alle germanischen
Völker und Stämme Europas hin erstreckt, so daß bis
weit nach Süden hin eine einheitliche mythologische
Auffassung, im Grunde genommen ein gleichartiges
Verständnis jener verwandtschaftlichen Beziehungen möglich
ist. Gerade für das Eigenartige der germanisch-nordischen
Mythologie muß durch alle Volksgebiete, in denen in der einen
oder anderen Form diese Mythologie ausgebreitet war, einstmals ein
gleiches Verständnis vorhanden gewesen sein; denn es
unterscheidet sich das, was gemeinsam ist in der Mythologie der
germanisch-nordischen Völker, ganz gewaltig schon von dem
Wesenskern der griechischen Mythologie, ganz zu schweigen von der
ägyptischen, so daß alles, was verwandt ist in der
germanischen Mythologie, einander ganz nahe steht und weit entfernt.
ist von dem, was das Wesentliche in der griechischen und
römischen Mythologie ist. Man kann aber dieses Wesentliche heute
nicht sehr leicht verstehen, aus dem Grunde nicht, weil aus
Erkenntnisvoraussetzungen — über welche zu sprechen
hier zu weit führen würde — heute eine gewisse
Sehnsucht, ein gewisser Trieb herrscht, die Religionen der
verschiedenen Völker einfach miteinander zu vergleichen.
Vergleichende Religionswissenschaft, vergleichende Mythologie,
das ist etwas, wofür heute viel Enthusiasmus herrscht. Es ist
dies ein Gebiet, auf dem es möglich ist, den
allergrößten Unfug zu treiben. Was geschieht denn
gewöhnlich, wenn man Mythologien und Religionen einzelner
Völker miteinander vergleicht? Man vergleicht die
Äußerlichkeiten, die in den Göttergeschichten
vorliegen, sucht nachzuweisen, daß die eine
Göttergestalt in der einen Mythologie vorkommt und in
ähnlicher Weise auch in der anderen und dergleichen mehr. Diese
Religionsvergleichung ist für denjenigen, der den Tatbestand,
der darin vorliegt, wirklich kennt, so ziemlich das Unbehaglichste in
unserer gegenwärtigen Wissenschaftsrichtung, deshalb, weil
man eigentlich überall nur die Äußerlichkeiten
vergleicht. Eine solche Religionsvergleichung macht auf den, der den
Tatbestand kennt, ungefähr den Eindruck, wie wenn jemand sagte:
«Vor dreißig Jahren lernte ich einen Menschen kennen. Der
trug eine Uniform, die war so und so beschaffen. Der Mann hatte blaue
Hosen, einen roten Rock und diese oder jene Kopfbedeckung und so
weiter» und schnell dann fortfährt: «Dann habe ich vor
20 Jahren einen Menschen kennen gelernt, der trug dieselbe
Uniform und vor zehn Jahren wieder einen, der trug wieder dieselbe
Uniform.» Wenn der Betreffende nun glauben würde, die
Menschen, die er da kennen gelernt hat vor dreißig Jahren,
zwanzig Jahren und zehn Jahren, weil sie gleiche Uniform
trugen, auch ihrer Wesenheit nach miteinander vergleichen zu
können, so kann er sich sehr irren; denn es kann ein ganz
anderer Mensch, in den verschiedenen Zeiten, in der Uniform
drinstecken, und es kommt doch im wesentlichen darauf an, was
für ein Mensch in der Uniform steckt. Das Gleichnis ist
scheinbar weit hergeholt, und denn-noch kommt es bei der
Religionsvergleichung auf dasselbe hinaus, wenn man den
Adonis
nimmt und ihn mit dem Christus vergleicht. Da vergleicht man nur die
äußere Uniform. Kleidung und Eigenschaften der Wesen in den
Sagen können sehr ähnlich oder gleich sein, aber es
handelt sich darum, was für geistig-göttliche
Individualitäten darinnen sind, und wenn das ganz andere
Individualitäten sind, die im Adonis und im Christus darinnen
stecken, so hat eben diese Vergleichung nur den Wert einer
Vergleichung der Uniform. Dennoch ist diese Vergleichung heute
ungemein beliebt. Es kommt also auf das vielfach durchaus gar nicht
an, was heute die vergleichende Religionswissenschaft mit ihren ganz
äußerlichen Methoden auf diesem Gebiete zutage fördern
kann. Es kommt vielmehr darauf an, daß man kennen lernt,
gewissermaßen aus der Differentiation der Volksgeister
heraus, die Art und Weise wie dieses oder jenes Volk, sei es zu
seiner Mythologie, sei es zu seiner sonstigen Götterlehre, sei
es selbst zu seiner Philosophie, gekommen ist.
Wir können
daher den Grundcharakter der germanisch-nordischen Mythologie kaum anders
verstehen, als wenn wir noch einmal einen Streifzug machen durch die
aufeinanderfolgenden fünf Kulturperioden der nachatlantischen
Zeit. Diese fünf Kulturperioden wurden dadurch hervorgerufen,
daß von Westen nach Osten Wanderzüge stattgefunden haben,
daß sozusagen die allerreifsten, fortgeschrittensten Menschen
nach Absolvierung dieser Wanderzüge in das indische Gebiet
vorrückten und dann die heilige uralt-indische Kultur
begründeten. Weiter herauf, gegen unsere Zeit, wird die
persische Kultur begründet, dann die
ägyptisch-chaldäisch-babylonische Kultur, dann die
griechisch-lateinische Kultur, auf die endlich die unserige folgt.
Diese fünf Kulturen sind in ihren Wesenskernen nur dadurch zu
verstehen, daß man weiß, daß die Menschen, die an
diesen Kulturen beteiligt sind, und auch die Engelw-esen, die
Volksseelen oder Erzengel und die Zeitgeister in den verflossenen
Zeiten selber alle durchaus voneinander verschieden waren. Heute
wollen wir mehr Rücksicht darauf nehmen, wie die Menschen
verschieden waren, die an diesen Kulturen teilgenommen
haben.
Grundverschieden
waren die Menschen, die im alten Indien die uralt-indische Kultur
begründeten, die dann ihre literarische Einkleidung in den
Veden und in der späteren indischen Literatur gefunden hat,
grundverschieden zum Beispiel von den griechisch-lateinischen
Völkern, verschieden schon von den persischen, verschieden von
den ägyptisch-chaldäischen und am meisten verschieden von
den Völkern, welche in Europa vorbereitend heranwachsen zur
fünften Kulturperiode der nachatlantischen Zeit. Inwiefern
waren sie aber verschieden? Es war die ganze Menschheitsanlage
der uralt-indischen Völker absolut verschieden von den Menschen
aller weiter nach Westen gelegenen Volksgebiete. Wenn wir uns
eine Vorstellung davon bilden wollen, welche Verschiedenheit da
bestand, so müssen wir uns sagen: Es waren die Völker des
alten Indien sehr weit in der menschlichen Entwickelung
fortgeschritten, bevor sie aufnahmen das Ich. Sie hatten in bezug auf
alles übrige in der Menschheitsentwickelung große,
ungeheuer große Fortschritte gemacht, sie hatten hinter
sich eine lange, lange Menschheitsentwickelung. Das hatten sie aber
durchgemacht gewissermaßen in einer Art von Dumpfheit. Dann trat
das «Ich» ein, das Bewußtsein des Ich. Das trat in
verhältnismäßig später Zeit beim indischen Volke
ein; zu einer Zeit, als das indische Volk in gewissem Grade schon
sehr reif war, als es schon durchgemacht hatte, was die
germanisch-nordischen Völker noch durchmachen mußten,
während sie schon ihr Ich besaßen. — Fassen Sie das
wohl ins Auge! Die germanisch-nordischen Völker mußten mit
ihrem vollentwickelten Ich bei dem dabei sein, was die Bewohner des
uralten Indiens in einer gewissen Dumpfheit, also ohne mit ihrem Ich
dabei zu sein, durchgemacht hatten.
Was ist es
denn nun, was man in der nachatlantischen Zeit als Menschheitsentwickelung
durchmachen konnte? Wenn man in der alten atlantischen Zeit als
Mensch lebte, so war man als solcher Mensch noch mit einem
höheren Grade alten, dumpfen Hellsehens behaftet. Man sah durch
altes, dumpfes Hellsehen in die göttlich-geistige Welt hinein,
man sah die Vorgänge, die sich in dieser Welt abspielen.
Versetzen Sie sich nun eine Weile hinüber in das alte
atlantische Land, bevor die Züge nach Osten gehen. Die Luft war
noch durchsetzt mit Wasser- und Nebeldämpfen. Aber auch die
Seele der Menschen war anders. Der Mensch unterschied noch nicht
einmal die verschiedenen äußeren Sinneswahrnehmungen
voneinander. Es war damals so, daß er wie ein geistiges Aroma,
wie eine geistige Aura den geistigen Gehalt der Welt um sich
ausgebreitet fand. Ein gewisses Hellsehen war also da vorhanden, und
aus diesem Hellsehen mußte man herauskommen. Dies geschah durch
die Wirkung der Kräfte, in deren Bereich die Menschen kamen bei
den Wanderzügen von Westen nach Osten. Bei diesen
Wanderzügen wurden wieder die verschiedensten
Seelenentwickelungen durchgemacht. Da gab es Völker, welche,
indem sie hinüberwanderten nach dem Osten, zuerst wie
verschliefen das Heraustreten aus dem alten Hellsehen und schon auf
einer höheren Stufe der Entwickelung waren, als ihr Ich noch
immer in Dumpfheit sich befand. Sie machten verschiedene Stufen der
Entwickelung durch, und ihr Ich war noch immer ein dumpfes, ein
träumerisches. Am weitesten waren die Inder entwickelt, als ihr
Ich mit vollem Selbstbewußtsein erwachte. Da waren sie schon so,
daß sie ein sehr reiches inneres Seelenleben hatten, das gar
nicht mehr diejenigen Zustände besonders in sich zeigte, welche
die Völker Europas noch lange erlebten. Diese hatten sie schon
durchgemacht. Sie erwachten zum Selbstbewußtsein, als sie
bereits mit geistigen Kräften und geistigen Fähigkeiten
ausgestattet waren, durch die sie in hohem Grade hineindringen
konnten in die geistigen Welten. Daher war den Fortgeschrittenen der
indischen Bevölkerung bei ihrem Sichherausarbeiten aus ihren
alten dämmerhaften Hellseherzuständen all das Treiben und
Tätigsein der verschiedenen Engel- und Erzengelwesen an den
menschlichen Seelen im Grunde genommen höchst gleichgültig
geworden. Die Arbeit der Erzengel und Engel und derjenigen geistigen
Wesenheiten überhaupt, die besonders im Volksgeiste arbeiteten,
hatten sie nicht mehr unmittelbar beobachtet. Das war an ihrer Seele,
an ihrem Astral- und Ätherleib geleistet worden, als sie
sozusagen noch gar nicht dabei waren. Sie erwachten, als ihre Seele
mit einem ungeheueren Reifegrade bereits behaftet war; sie
erwachten so, daß die Fortgeschrittensten dasjenige, was
früher mit der Menschheitsentwickelung geschehen war, durch eine
leichte Entwickelung bereits in der Akasha-Chronik wieder lesen
konnten, so daß sie hinausblickten in die Umgebung, in die Weh
und daß sie dadurch in der Akasha-Chronik lesen konnten, was in
der geistigen Welt vorging, was sie durchgemacht hatten in
dumpfem, dämmerhaftem Bewußtseinszustande. Sie waren
unbewußt in höhere Gebiete geleitet, sie hatten, bevor ihr
Ichbewußtsein erwacht war, geistige Fähigkeiten erlangt,
die viel reicher waren als die Seelenfähigkeiten der
westlichen Völker.. So war die geistige Welt für diese
Menschen eine unmittelbare Beobachtung. Die Fortgeschrittensten der
indischen Volksführung waren so weit, daß sie, als ihr Ich
erwachte, tatsächlich nicht einmal mehr darauf angewiesen waren,
zu beobachten, wie sozusagen die menschliche Entwickelung
heraussprudelte aus den Geistern der Form oder Gewalten, sondern es
war ihnen dasjenige vertrauter, was wir Geister der Bewegung,
Mächte nennen und dasjenige, was über diesen ist, die
Geister der Weisheit. Das interessierte sie ganz besonders.
Diejenigen geistigen Wesenheiten, die darunter stehen, waren
dagegen solche Wesenheiten, in deren Bereich sie schon früher
gewesen, die ihnen daher nicht mehr von so ganz besonderer
Wichtigkeit waren. So sahen sie auf zu dem, was sie später
nannten die Summe aller Geister der Bewegung und aller Geister der
Weisheit; zu dem, was man später mit den griechischen
Ausdrücken Dynameis und Kyriotetes bezeichnete. Zu diesen
sahen sie auf und sagten zu ihnen:
Mula-Prakriti, das ist die Summe der Geister der Bewegung, und Maha-Purusha,
die gesamte Summe der Geister der Weisheit, was wie in einer geistigen
Einheit lebt. Solche Anschauungen konnten sie gewinnen, weil die
Angehörigen dieses Volkes in so späten Zuständen der
Entwickelung zu ihrem Ich erwachten. Sie hatten schon
abgemacht, was die späteren Völker mit ihrem Ich noch mit
anschauen mußten.
Weniger weit
entwickelt waren die Völker der persischen Kultur. Sie waren so
weit durch ihr eigenartiges Erkenntnisvermögen und durch das
Erwachen ihres Ich auf einer niedrigeren Stufe, daß sie sich
beschäftigen konnten mit den Wesenheiten der Gewalten oder
Geister der Form. Mit diesen wurden sie ganz besonders vertraut.
Diese durchschauten sie in gewisser Weise, und sie
interessierten sich auch vorzugsweise für sie. Eine Stufe
tiefer als die Inder, aber doch auf einer Stufe, auf die dann wieder
die Völker des Westens sich heraufarbeiten mußten,
erwachten die Völker der persischen Gemeinschaften. Daher wurden
sie mit den Gewalten oder Geistern der Form bekannt, die sie unter
dem Begriffe der «Amshaspands» zusammenfaßten. Das
sind die Ausstrahlungen, die wir als die Geister der Form oder
Gewalten kennen und die, von ihrem Gesichtspunkte aus, gerade die
Völker der persischen Kultur besonders gut beobachten
konnten.
Dann kommen wir
zu den chaldäischen Völkern. Die hatten schon ein Bewußtsein
von dem, was wir als Urkräfte, als führende Zeitgeister
kennen. Sie hatten ein Bewußtsein von den Wesenheiten, die als
Urkräfte, als Geister der Persönlichkeit erfaßt
werden sollen. In einer anderen Weise hatten wiederum die Völker
der griechisch-lateinischen Zeit gerade auch von diesen
Urkräften oder Geistern der Persönlichkeit ein
gewisses Bewußtsein. Aber bei ihnen war noch etwas ganz anderes
vorhanden, und das war das, was uns ein Stück weiter in der
Erkenntnis führen könnte. Die Griechen standen den
germanischen Völkern noch näher. Aber doch erwachte dort
das Ich auf einer höheren Stufe als bei den
germanisch-nordischen Völkern. Das, was bei den nordischen
Völkern noch als Arbeit der Engel und Erzengel durchlebt wurde,
das durchlebten die griechisch-lateinischen Völker nicht mehr
unmittelbar. Sie hatten aber noch eine deutliche Erinnerung daran.
Denken Sie sich also, daß der Unterschied zwischen den
germanischen und den griechisch-lateinischen Völkern der ist,
daß die griechisch-lateinischen Völker noch eine Erinnerung
daran hatten, wie die Engel und Erzengel an ihrem Seelenleben, das
sie in sich entwickelt hatten, teilgenommen haben. Sie hatten dies im
Grunde genommen aber nicht allzu deutlich durchgemacht. Sie waren
dabei noch in einem dumpfen Bewußtseinszustande. Doch in der
Erinnerung trat es ihnen nun ganz besonders vor die Seele. Die
Schöpfung dieser ganzen Welt, die Art und Weise, wie die Engel
und Erzengel — die abnormen und die normalen — in
die menschliche Seele hereinwirken, das kannten die Griechen.
Was sie durchgemacht hatten, das hatten sie in einem gewaltigen
Erinnerungsbilde in ihrer Seele. Erinnerung ist das, was
abgeklärter ist, festere Konturen hat als das, was man erlebt.
Es ist nicht mehr so frisch und nicht mehr so jung, aber es hat
schärfere Umrisse, schärfere Konturen, was als
Gedächtnis, als Erinnerung auftritt. Der Einfluß oder
Impuls der Engel- und Erzengelwelt auf die Menschenseele wurde bei
den Griechen aus der Erinnerung in festen, scharfen Konturen
wachgerufen. Das ist die griechische Mythologie. Wer sie nicht
so ansieht, sondern nur die Namen vergleicht mit Namen, die anderswo
auftreten, also nicht die besonderen Kräfte ins Auge faßt,
nicht die Gestalten auffaßt, die auftreten als Apollo, Minerva
und so weiter, der treibt äußere Religionsverglcichung,
vergleicht bloß die Uniformen. Die Art und Weise, wie damals
angeschaut wurde, ist es, worauf es ankommt.
Nachdem wir dies
gesehen haben, werden wir zugeben: Die Griechen formten sich ihre
Mythologie heraus aus der Erinnerung. — Die
ägyptisch-chaldäische Zeit hatte nur eine dunkle,
dumpfe Erinnerung an das Wirken der Engel- und Erzengelwelt, aber
einen Ausblick in die Welt der Urkräfte. Es ist bei ihr so, wie
wenn sie anfinge, etwas zu vergessen. In der persischen Mythologie
oder Götterlehre haben wir dafür ein vollständiges
Vergessen der Engel- und Erzengelwelt, aber zugleich einen Ausblick
in die Welt der Gewalten oder Geister der Form. Das, was in der
griechischen Mythologie liegt, haben die persischen Völker und
erst recht die indischen vergessen. Sie schauten die ganzen
Vorgänge bereits wieder aus der Akasha-Chronik an und schufen
sich die Bilder der früheren Vorgänge aus ihrer Erkenntnis
heraus, die aber schon vergöttlichte Erkenntnis mit höher
entwickelten Geisteskräften war. Daraus werden Sie aber auch
erkennen, daß es gerade jenen Völkern des Ostens
ungemein schwer wird, das abendländische Geistesleben zu
verstehen. Daher kommt dann jene Zugeknöpftheit der Völker
des Ostens gegenüber dem abendländischen Geistesleben. Sie
werden gewiß die materielle abendländische Kultur annehmen;
aber die geistige Kultur des Abendlandes bleibt ihnen, wenn sie nicht
auf dem Umwege der Geisteswissenschaft dazu kommen, mehr oder weniger
verschlossen. Sie standen auf einer menschlich hohen Stufe zu der
Zeit schon, als auf der Erde noch kein Christus Jesus war. Der kam
erst in der vierten nachatlantischen Kulturepoche. Das ist ein
Ereignis, das man nicht mehr auffassen konnte mit den Kräften,
welche sich aus dem indischen Volkstum heraus entwickelt hatten. Dazu
brauchte man noch Kräfte, die verwandt waren mit einem weniger
hohen Stand des Ich, mit einem Darinstehen des Ich in untergeordneten
Seelenkräften.
In den
germanisch-nordischen Gebieten war das Hereinarbeiten der Angeloi und
Archangeloi in die Menschenseele nicht etwa bloß als Erinnerung
vorhanden, sondern so, daß die Menschen, selbst noch zur Zeit
als der Christus Jesus auf der Erde wandelte, das noch sehen
konnten, daß sie noch darin standen, daß sie die
Angelegenheiten der Engel- und Erzengelwesen, wie sie noch in ihrer
Seele arbeiteten, mitmachten,. Die griechisch-lateinischen
Völker erinnerten sich bei diesen Seelen-Erlebnissen an etwas,
was sie früher einmal durchgemacht hatten. Die germanischen
Völker lebten darin als in ihren eigenen, unmittelbaren
Angelegenheiten. Ihr Ich war erwacht auf der Stufe des Daseins, wo
noch hereinarbeiteten in die Seele die Volksgeister und diejenigen
geistigen Wesenheiten, die selbst noch unter den Volksgeistern
stehen. Daher standen diese Völker am allernächsten dem,
was wir als die Vorgänge in der alten Atlantis drüben
kennen.
In der alten
Atlantis sah man auf zu den geistigen Mächten und sprach von einer
Art von Einheitsgottheit, weil man eben hinaufsah in unmittelbarer
Wahrnehmung in alte, urferne Entwickelungszustände der
Menschheit. Man sah damals gleichsam noch das Walten der Geister der
Weisheit und das Walten der Geister der Bewegung, das die
späteren Inder wieder aus der Akasha-Chronik heraus
beobachteten. Um eine Stufe hatten sich diese Völker des Westens
über diesen Standpunkt hinauserhoben, so daß sie in
unmittelbarer Gegenwart das Herausdrängen aus der alten
Anschauung in die neue hinein erlebten. Sie sahen in ein Weben und
Leben von wirklichen geistigen Mikhten zu einer Zeit, als das Ich
noch nicht erwacht war. Aber sie sahen zugleich, wie das Ich nach und
nach erwachte, und wie Engeiwesen und Erzengelwesen in die
Seele eingriffen. Diesen unmittelbaren Übergang nahmen sie wahr.
Sie hatten eine Erinnerung an ein früheres Weben und Leben, als
die Anschauung noch so war, daß man gleichsam alles wie in einem
Nebelmeer sah, und sie schauten, wie dann aus diesem Nebelmeer
für sie das herauskam, was wir als die göttlich-geistigen
Gestalten, die unmittelbar über dem Menschen stehen, kennen
gelernt haben. Die alten Götter aber, die gewirkt haben, bevor
in das menschliche Seelenleben die Götter eingriffen, die
man jetzt sah, mit denen man sich verbunden fühlte, diese
göttlichen Wesenheiten, die in ferner, ferner
Vergangenheit, in der Zeit der alten Atlantis, wirksam waren,
nannte man die Wanen. Herausgetreten aus der alten atlantischen Zeit
sind dann die Menschen und sahen auf das Weben der Engel und
Erzengel; die nannte man die Asen. Das waren diejenigen Wesen, die
sich als Engel und Erzengel kümmerten um das Ich der Menschen,
das jetzt auf der untersten Stufe erwachte. Vorgesetzt waren sie
jenen Völkern. Das, was die anderen Völker des Ostens
verschlafen haben, nämlich zu sehen, wie die Seele sich
hinaufarbeitet durch die verschiedenen Kräfte, die von den
normalen und abnormen Engel- und Erzengelwesen verliehen werden, das
mußten die Völker Europas von unten auf beginnend
durchmachen; sie mußten ganz dabei sein, damit sich diese
Seelenkräfte nach und nach entwickelten.
So waren also die
Göttergestalten, welche sich sozusagen vor die Seele des
germanisch-nordischen Menschen stellten, die
Göttergestalten, die unmittelbar an seiner Seele
arbeiteten und dasjenige, was er selbst als das Sichherausringen des
Menschlich-Seelischen aus dem Kosmischen beobachtete,
unmittelbare Anschauungen; das war etwas, was er unmittelbar erlebte.
Er schaute nicht zurück in der Erinnerung auf die Art und Weise,
wie die Seelen sich in die Leiber hineingebildet haben, er sieht
vielmehr als gegenwärtig, was da geschieht. Es ist seine eigene
Entwickelung, und er ist mit seinem Ich dabei. Er hat
Verständnis dafür bis ins achte, neunte, zehnte
Jahrhundert nach Christus. Er hat sich ein Verständnis
dafür bewahrt, wie die Seelenkräfte nach und nach sich
bilden, sich hineinkristallisieren in den Leib. Zuerst schaut er auf
die Erzengelwesen, welche in seiner Seele arbeiteten, indem sie ihm
das gaben, was seine Seelenkräfte werden sollten, und da findet
er als den hervorragendsten dieser Erzengel
Wotan
oder Odin und sieht
ihn an seiner Seele arbeiten, sieht, wie er in seine Seele
hineinarbeitet. Was sieht er da? Wie nimmt er Wotan oder Odin wahr?
Als was erkennt er ihn, und als was lernt er ihn lieben und, vor
allen Dingen, als was verstehen? Er lernt ihn erkennen als
einen derjenigen Erzengel, die dazu gekommen sind, einmal Verzicht zu
leisten auf den Aufstieg zu höheren Stufen. Er lernt Odin als
einen der abnormen Erzengel kennen, als einen der großen
Verzichter der Vorzeit, die das Erzengeltum übernommen
hatten, als sie die wichtige Mission auf sich nahmen, in die Seele
des Menschen hineinzuarbeiten. Den Odin in seiner Tätigkeit
erlebt der germanisch-nordische Mensch noch in der Zeit, in der er an
das Werk herangeht, der Seele die Sprache einzuimpfen. In
wunderbarer Weise hat sich erhalten, wie Odin selbst an seinen
Völkern arbeitet, um ihnen die Sprache möglich zu
machen. Das wird geschildert als eine Götter-Einweihung. Wie
Odin dazu kam, sich die Macht zu verschaffen, den Seelen der
germanisch-nordischen Völker die Sprache zu verleihen, das wird
dadurch geschildert, daß Odin, bevor er diese
Fähigkeit erlangt hatte, dasjenige durchmacht, was uns als
die Einweihung durch den Göttertrank dargestellt wird, den
Göttertrank, der einstmals in urferner Vergangenheit bei den
Riesen war. Dieser Trank enthielt nicht bloß eine abstrakte
Weisheit, sondern stellt uns die unmittelbar im Laut sich auslebende
Weisheit dar. Über die im Laute sich auslebende Weisheit
erringt Odin bei seiner Einweihung die Macht; er lernt sie handhaben,
als er eine lange Einweihung, eine Einweihung von neun Tagen
durchmacht, aus der er dann durch Mimir, den alten Träger der
Weisheit, erlöst wird. So wird Odin der Herr der Sprachgewalt.
Daher führt die spätere Sage die Sprache der Dichter, die
Sprache der Skalden auf Odin zurück. Auf Odin wird auch
zurückgeführt die
Runenkunde,
die in alten Zeiten mit der
Sprache viel näher verwandt gedacht wurde als das spätere
Schrifttum. Wie also die Seele auf dem Umwege durch den
Ätherleib und hineinlebend in den physischen Leib durch den
entsprechenden Erzengel die Sprache erwirbt, das drückt
sich aus in den wunderbaren Geschichten, die über Odin
erzählt werden.
Ähnliche
Erzengelwesen haben wir in den Genossen des Odin vor uns, in
Hönir, welcher die Kraft des Vorstellens verleiht und in Lodur,
welcher dasjenige verleiht, was der Rasse noch am nächsten
liegt, also Hautfarbe und Blutcharakter. In diesen zwei Wesen haben
wir also Erzengelwesen zu sehen, die sozusagen mehr nach der normalen
Seite hin liegen. Die abnormen haben wir dann in den Wesen zu
erkennen, die als Wili und We auftreten. Das sind Wesenheiten, die
mehr noch im Innern, im Intimen der Seele wirken, wie ich es im
vergangenen Vortrage klargelegt habe. Aber innig verwandt
fühlt sich gerade mit einem abnormen Erzengel ein solches ich,
das selbst auf einer abnormen Entwickelungssrufe steht, wo es
schon bei der Heranbildung der untergeordneten
Seelenkräfte dabei ist. Ein solches Ich fühlt sich verwandt
mit einem abnorm entwickelten Erzengelwesen. Daher wird auch Odin
nicht als abnormer Erzengel empfunden, vielmehr als solcher, der in
seinem Zurückbleiben verwandt ist mit dem Zurückbleiben der
westländischen Seelen, die in mehr bewußter Weise das
in ihrem Ich erleben, was beim Durchgang durch jene Gebiete
zurückgeblieben ist, wogegen die östlichen Seelen an
gewissen Stadien des Seelenlebens vorübergingen, bis sie
sich entschlossen, zu erwachen. Daher lebt vor allen Dingen in der
Seele der germanisch-nordischen Menschen alles dasjenige, was
mit diesen in den elementaren Tiefen des Seelenlebens
wühlenden und arbeitenden Erzengeikräften des Odin
verbunden ist.
Wenn wir gesagt
haben, daß die Engel es sind, welche dasjenige, was die Erzengel
bewirken, in die einzelnen Menschen heruntertragen, so hat ein Ich,
das auf einer so frühen Elementarstufe des Seelenlebens erwacht,
vor allen Dingen ein Interesse daran, daß in jenes Ich
gleichsam die Angelegenheiten der Erzengel hineingetragen
werden. Daher hat der germanisch-nordische Mensch ein Interesse an
einer solchen Engelgestalt, welche von besonderer Macht ist, aber zu
gleicher Zeit innig verwandt ist mit dem einzelnen Menschen und
seiner Individualität. Das ist Thor. Thor wird nur dadurch
erkannt, daß man weiß, daß in ihm gesehen werden
muß eine Wesenheit, die zwar sehr vorgerückt sein
könnte, wenn sie normal sich weiter entwickelt hätte, die
aber verhältnismäßig früh verzichtet hat und auf
der Stufe der Engel zurückgeblieben ist, damit sie in der
Zeit, da das Ich in der Seelenentwikkelung erwachte,
Führer in der Seelenwelt der germanisch-nordischen Gebiete sein
konnte. Daß dasjenige, was aus der geistigen Welt in jedes
einzelne Ich hineingetragen werden sollte, auch hineingetragen werden
konnte, das ist es, was in Thor als verwandt mit dem einzelnen
menschlichen Ich so unmittelbar empfunden wird. Wenn wir dies
ins Auge fassen, dann werden wir das, was an Einzelheiten
überliefert ist, auch besser verstehen. Bei uns handelt es sich
ja darum, diese Götterindividualitäten in
entsprechender Weise verstehen zu können. Nun aber hat der
germanisch-nordische Mensch empfunden, miterlebt dieses
Einprägen der Seele in die Leiblichkeit. Er war dabei, als
das Ich sich in die Leiblichkeit hineingliederte und von jedem
einzelnen Menschen Besitz ergriff.
Nun wissen wir,
daß das Ich im Blute des physischen Leibes pulsiert, und es
entspricht jedem Inneren ein Äußeres, jedem Mikrokosmischen
ein Makrokosmisches. Der Arbeit des Sprachen- und Runenweisheit
gebenden Odin, der auf einem weiten Umweg durch das Atmen wirkte,
entspricht draußen im Makrokosmos die Windesbewegung. Dem
regelmäßigen Eindringen der Luft durch unsere
Atmungsorgane, welche die Umformung der Luft zu dem Wort, der Sprache
bewirken, dem entsprechen draußen im Makrokosmos die
Bewegungen, die Strömungen im Winde. Ebenso wahr, wie wir das
Walten des Odin in der Umgestaltung der Luft zu den Worten in
uns selber empfinden, ebenso wahr müssen wir ihn draußen im
Winde walten und wirken sehen. Das aber hat derjenige, der noch die
alten germanisch-nordischen Fähigkeiten besaß, zu denen
besonders ein gewisser Grad von Hellsichtigkeit gehörte,
wirklich gesehen. Der hat überall Odin im Weltenwind walten
gesehen, hat ihn gesehen, wie er durch seinen Atem die Sprache
formte. Das sah der nordische Mensch als eine Einheit. So wie das,
was in uns lebt und die Sprache organisiert — das heißt
so, wie bei der nordischen Organisation die Sprache war —,
hindurchdringt in das Ich und die Pulsation des Blutes bewirkt, so
entspricht dem, was sich da als Sprache hinunorganisiert,
draußen im Makrokosmos der Blitz und der Donner. Die Sprache ist
eher da, als das Ich geboren ist. Daher wird das Ich überall als
der Sohn derjenigen Wesenheit empfunden, welche die Sprache gibt. An
der Einprägung in das einzelne Ich ist insbesondere Thor
beteiligt, und was dem Vorgange im Makrokosmos entspricht, ist im
Mikrokosmos die Pulsation des Blutes. Was also draußen im
Makrokosmos der Pulsation des Blutes im Menschen entspricht,
das ist dasjenige, was als Blitz und Donner durch die wehenden
Winde und webenden Wolken geht. Das aber sieht wiederum der
germanisch-nordische Mensch in seinem Hellsehen als eine
Einheit, und er sieht das Wehen des Windes, das Zucken des Blitzes
draußen in innigem Zusammenhang mit dem Weben der von ihm
eingeatmeten Luft. Er sieht, wie sie ins Blut übergeht und da
das Ich pulsieren macht. Das wird heute als ein materieller Vorgang
angesehen, war aber noch ein astralischer Vorgang bei den
germanisch-nordischen Menschen. Der sah die innige Verwandtschaft des
Feuers, des Blitzes mit dem, was durch das Blut geht. Er fühlte
den Pulsschlag in seinem Blute und wußte: Das ist der Schlag des
Ich; wußte: Das, was da schlägt, spüre ich und
spüre ich nach einiger Zeit wieder. Aber den äußeren,
materiellen Vorgang beachtete er nicht. Das alles war in
hellseherische Empfindung gekleidet. Er empfand das, was den
Pulsschlag bewirkt und ihn immer wieder an dieselbe Stelle
zurückgehen läßt, als Thors Tat. Als das
Immer-wiederZurückkehren des Hammers des Thor in die Hand
des Thor fühlte er in seinem Ich die Thor-Kraft, die Kraft eines
der mächtigsten Engel, die überhaupt jemals verehrt worden
sind, weil er eine mächtige Wesenheit war, die angesehen
wurde als stehengeblieben auf der Stufe des Engeltums.
Wie die geistige
Kraft den physischen Leib zusammenhält, das drückt sich in der
germanisch-nordischen Mythologie dadurch aus, daß das Ich
dasjenige ist, was bei dem Gesponnenwerden des seelisch-leiblichen
Wesens dieses zusammenhält. Von innen heraus sieht der
germanisch-nordische Mensch das Weben des leiblich-seelischen
Menschen, und er hat in späterer Zeit noch Verständnis
dafür, wie aus dem Astralischen sich sein Inneres
hineingliedert, wie sozusagen das Innere dem Äußeren
antwortet. Er hatte noch Verständnis dafür, wenn ihm von
Eingeweihten gesagt wurde, wie die Welt zum Menschen sich
formt. Da hatte er Verständnis dafür, zurückzugehen zu
den früheren Stadien, zu dem, was ihm erzählt worden ist
von den Geschehnissen, die das Verhältnis der Engel und Erzengel
darstellen, zu den früheren Stadien, wo der Mensch aus dem
Makrokosmos in physisch-geistiger Art herausgeboren worden ist. Er
vermochte zu sehen, wie aus dem Makrokosmos der einzelne Mensch
herausgebaut wird, wie er im Makrokosmos ruht. Er suchte sich im
Makrokosmos diejenigen Vorgänge auf, die sich
mikrokosmisch so abspielen, daß von dem menschlichen
Norden aus, aus dem kühlen Geistgebiet, die menschlichen
Gedanken gewoben werden, und daß von dort aus die menschliche
Leiblichkeit mit den zwölf Gehirnnerven des Kopfes
versorgt wird. Diesen Vorgang, der mikrokosmisch zu den zwölf
Gehirnnerven geworden ist, sieht er. Er sieht den webenden
Geist in dem, was er «Nebelheim» oder «Niflheim»
nennt; er sieht die zwölf Ströme, die sich zusammenziehen
und materiell werden in den zwölf Gehirnnerven des Menschen; er
sieht, wie entgegengewirkt dem, was von oben herunterkommt,
dasjenige, was aus dem Herzen, aus dem menschlichen Süden kommt;
er sucht es im Makrokosmos draußen und versteht es, wenn es ihm
als «Muspelheim» genannt wird. So hat er noch in
christlichen Jahrhunderten ein Verständnis für das
Begreifen des Mikrokosmos aus dem ganzen Makrokosmos heraus, und man
kann für ihn noch weiter zurückgehen, indem man den
Menschen nach und nach aus dem Makrokosmos, als Extrakt der ganzen
Welt, entstehen läßt. Er ist imstande, zurückzublicken
in diese Zeit, und kann verstehen, daß diese Vorgänge eine
Vergangenheit haben, welche er selber noch sieht als ein
Hineinarbeiten der Engel und Erzengel in seine Seele. Er kann
einsehen, daß diese Vorgänge eine Vergangenheit haben, und
was er sich da als Vorstellungen erwirbt, das ist das, was uns
entgegentritt, was erkannt wird als die altgermanisch-nordische
Genesis, als die Entstehung der Menschheit aus dem gesamten
Makrokosmos heraus.
Da, wo
angefangen wird bei dem germanisch-nordischen Chaos, bei dem Ginnungagap,
mit dem stehen wir ungefähr da, wo die Erde sich wieder von neuem
bildet, nachdem sie die drei früheren Zustände, Saturn-,
Sonnen- und Mondzustand, durchgemacht hat, wo die Erde sich also aus
dem Pralaya wieder heraushebt, wo die Reiche der Natur sich noch
nicht differenziert haben, wo die Menschen noch ganz geistige Wesen
sind. Da versteht der nordische Mensch dann, wie sich
herausbilden die späteren Zustände.
Und nun ist es
interessant zu sehen, wie in der nordisch-germanischen Mythologie in
Bildern imaginativer Form die Vorgänge geschildert werden, die
sich in jenen Zeiten abgespielt haben, und für die wir in den
geisteswissenschaftlichen Lehren nur reifere Ausdrücke, Begriffe
statt der früheren Bilder gebrauchen. Es werden geschildert die
Vorgänge, die stattfanden, als noch Sonne und Mond verbunden
waren. Es wird uns das Hinausgehen des Mondes geschildert und wie
dann die Entwickelung übergeht in dasjenige, was
später zum «Riesenheim» wird. Es wird uns geschildert
alles das, was während der atlantischen Zeit gewesen ist, als
Fortsetzung von dein, was früher geschehen war und was eigene
Angelegenheiten des germanisch-nordischen Volkes
darstellte.
Für heute
wollte ich nur einen Begriff davon hervorrufen, wie das nordische Ich
erwacht ist, als es noch auf einer niederen Stufe der
Entwickelung stand, wie der nordische Mensch hineinsah in die
Volksseele, in die Seele des Thor und so weiter. Ich wollte ein
Gefühl dafür hervorrufen, wie das Ich dabei war, wie es ein
unmittelbares Interesse gewinnen konnte für das
Hineinweben auch höherer Wesenheiten, welche aber von einer ganz
anderen Seite her kamen als die Wesenheiten, die wir bei den
östlichen Völkerschaften finden.
Morgen wollen wir
versuchen, den Zugang zu finden zu den entlegeneren Teilen der
germanischen Mythologie. Wir werden erkennen, wie diese entlegenen
Teile Vorboten sind für das, was in den Volksseelen lebt, und
wir werden sehen, welches die Natur gerade dieser unserer westlichen
Volksseelen ist.
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