Kristiania (Oslo), 2. Oktober 1913
Zweiter Vortrag
Von dem sogenannten Pfingstereignis ist bei
dieser Betrachtung zu beginnen. Im
ersten Vortrag habe ich bereits angedeutet, daß der
Blick der hellsichtigen Forschung
zuerst auf dieses Ereignis wenigstens hingelenkt werden kann.
Denn dieses Ereignis stellt sich dem nach rückwärts
gerichteten hellseherischen Blick so dar wie eine Art
Erwachen, das diejenigen
Persönlichkeiten an einem gewissen Tage, an den
eben das Pfingstfest erinnern soll,
empfunden haben, die Persönlichkeiten, welche man gewöhnlich die Apostel oder Jünger
des Christus Jesus nennt. Es ist
nicht leicht, eine genaue Vorstellung von all diesen ja
zweifellos seltsamen Erscheinungen
hervorzurufen, und wir werden uns
schon an manches sozusagen in den Untergründen unserer
Seele erinnern müssen, was sich
uns aus den bisherigen anthroposophischen Betrachtungen hat ergeben können, wenn wir genaue
Vorstellungen mit all dem verbinden
wollen, was gerade über dieses Thema unseres
Vortragszyklus heute zu sagen
ist.
Wie erwachend kamen sich die Apostel vor,
wie Menschen, welche in diesem
Augenblick das Empfinden hatten, daß sie lange Zeit
— viele Tage hindurch —
in einem ihnen ungewohnten Bewußtseinszustand
gelebt hätten. Es war tatsächlich
etwas wie eine Art Aufwachen aus einem tiefen Schlaf, allerdings einem
merkwürdigen, traumerfüllten Schlaf, wie aus einem Schlaf, der aber so ist —
ich bemerke ausdrücklich, ich spreche immer von der Art,
wie es dem Bewußtsein der Apostel erschienen ist — , daß man daneben
alle äußeren Verrichtungen des Tages vollbringt, als
leiblich gesunder Mensch herumgeht, so daß gewissermaßen auch die anderen Menschen,
mit denen man umgeht, einem gar nicht ansehen, daß man in
einem anderen Bewußtseinszustand ist. Dennoch trat der
Zeitpunkt ein, wo es den Aposteln so vorkam, als ob sie eine lange, tagelang dauernde Zeit
verlebt hätten wie in einem
traumerfüllten Schlafe, aus dem sie nun mit diesem
Pfingstereignis erwachten. Und dieses
Erwachen, schon das fühlten sie in einer eigentümlichen Weise: sie fühlten
tatsächlich, wie wenn aus dem
Weltenall niedergestiegen wäre auf sie etwas, was man nur
nennen könnte die Substanz der
allwaltenden Liebe. Wie gleichsam von oben herab befruchtet durch die allwaltende Liebe und wie
auferweckt aus dem geschilderten
traumhaften Lebenszustand, so fühlten sich die
Apostel. Wie wenn durch alles dasjenige,
was als die ursprüngliche Kraft
der Liebe, die das Weltenall durchdringt und durchwärmt,
sie auferweckt worden wären,
wie wenn diese ursprüngliche Kraft der Liebe in die Seele eines jeden Einzelnen sich gesenkt
hätte, so kamen sie sich vor.
Und den anderen Menschen, die sie beobachten konnten, wie sie
nun sprachen, kamen sie ganz fremdartig vor. Sie
wußten, diese anderen Menschen,
daß das Leute waren, die bisher in einer
außerordentlich einfachen Weise gelebt
hatten, von denen allerdings einige
in den letzten Tagen sich etwas sonderbar, wie
traumverloren, benommen hatten. Das
wußte man. Jetzt aber kamen sie den Leuten
wie verwandelt vor: wie Menschen, die in
der Tat erlangt hatten eine ganz
neue Verfassung, eine ganz neue Stimmung der Seele, wie
Menschen, die alle Engigkeit des Lebens, alle
Eigensüchtigkeit des Lebens verloren hatten, die ein unendlich weites Herz, eine
umfassende Toleranz im Inneren gewonnen hatten, ein tiefes
Herzensverständnis für alles, was menschlich auf der Erde ist, die sich so
ausdrücken konnten, daß jeder, der da war, sie
verstand. Man empfand gleichsam, daß sie
in eines jeden Herz und Seele schauen
konnten und aus dem tiefsten Inneren
heraus Geheimnisse der Seele errieten, so daß sie einen
jeden trösten konnten,
dasjenige sagen konnten, was er gerade brauchte.
Es war natürlich im höchsten
Grade verwunderlich für diese Beobachter, daß eine
solche Umwandlung mit einer Anzahl von Menschen
vorgehen konnte. Diese Menschen selber
aber, die diese Umwandlung erfahren
hatten, die gleichsam durch den Geist der Liebe des
Kosmos auferweckt worden waren,
diese Menschen fühlten jetzt in sich selber
ein neues Verständnis, fühlten
ein Verständnis für dasjenige, was sich
allerdings in innigster Gemeinschaft mit
ihren Seelen abgespielt hatte, das
sie aber damals, als es sich abgespielt hatte, nicht begriffen
hatten: Jetzt erst, in diesem Augenblick, da sie sich
befruchtet fühlten mit der
kosmischen Liebe, trat vor ihr Seelenauge ein
Verständnis für das, was
auf Golgatha eigentlich geschehen war. Und wenn wir
in die Seele des einen dieser Apostel
hineinsehen, desjenigen, der gewöhnlich in den anderen
Evangelien Petrus genannt wird, so stellt sein Seeleninneres für den rückschauenden
hellsichtigen Blick sich so dar,
daß sein irdisches normales Bewußtsein in jenem
Augenblicke gleichsam wie
vollständig abgerissen war, von jenem Augenblicke
an, der in den anderen Evangelien
gewöhnlich bezeichnet wird als die Verleugnung. Er sah hin
auf diese Verleugnungsszene, wie er gefragt worden war, ob er einen Zusammenhang habe mit dem
Galiläer, und er wußte
jetzt, daß er das dazumal abgeleugnet hatte, weil sein
normales Bewußtsein begann sich herabzudämpfen, weil
sich ausbreitete ein anomaler
Zustand, eine Art Traumzustand, der eine
Entrücktheit in eine ganz
andere Welt bedeutete. Es war ihm jetzt an diesem Pfingstfest
so zumute, wie einem zumute ist beim Aufwachen am Morgen
und man sich da an die letzten
Ereignisse am Abend vor dem Einschlafen erinnert; so erinnerte sich Petrus an die letzten
Ereignisse, bevor dieser abnorme
Zustand eintrat, an dasjenige, was man gewöhnlich
die Verleugnung nennt, die
dreimalige Verleugnung, bevor der Hahn zweimal gekräht hatte. Und dann erinnerte er sich,
daß sich ausbreitete über seine Seele jener Zustand,
so wie für den Schlafenden die Nacht sich ausbreitet. Aber er erinnerte sich auch, wie
sich jener Zwischenzustand
erfüllte nicht mit bloßen Traumbildern, sondern
mit Gebilden, die eine Art
höheren Bewußtseinszustand darstellten, die
darstellten ein Miterleben von rein
geistigen Angelegenheiten. Und alles, was geschehen war, was Petrus gleichsam
verschlafen hatte seit jener Zeit,
das trat wie aus einem hellschauenden Traum vor seine
Seele. Vor allem lernte er jetzt schauen
das Ereignis, von dem man wirklich
sagen kann, er habe es verschlafen. Er hatte es nicht
mit seinem Verständnis erlebt,
weil zum vollen Verständnis für dieses Ereignis
notwendig war die Befruchtung mit der allwaltenden kosmischen
Liebe. Jetzt, wo diese erfolgt war, traten ihm vor Augen
die Bilder des Mysteriums von
Golgatha. So traten sie ihm vor Augen, wie wir sie wiederum erleben können, wenn wir sie
wachrufen können mit rückschauendem hellsichtigem
Bewußtsein, wenn wir die Bedingungen dazu herstellen.
Offen gestanden: mit einem Gefühl, das
ganz eigenartig ist, entschließt man sich, in Worte zu
prägen dasjenige, was sich da eröffnet
dem hellsichtigen Bewußtsein, wenn man
hineinschaut in das Bewußtsein des Petrus und der anderen,
die bei jenem Pfingstfeste versammelt waren. Mit einer heiligen
Scheu nur kann man sich entschließen, von diesen Dingen zu reden. Man möchte sagen, man
ist fast überwältigt von dem Bewußtsein, man
betrete heiligsten Boden des menschlichen Anschauens, wenn man
in Worten auszudrücken versucht, was sich dem Seelenblicke da eröffnet. Dennoch
erscheint es aus gewissen Vorbedingungen unserer Zeit heraus
notwendig, über diese Dinge zu
sprechen; allerdings mit dem vollen Bewußtsein, daß
andere Zeiten kommen werden als die
unsrigen sind, in denen man mehr Verständnis
entgegenbringen wird demjenigen, was gesagt
werden muß über das Fünfte Evangelium, als man es heute schon kann.
Denn um vieles von dem zu verstehen,
was bei dieser Gelegenheit gesagt werden muß,
muß die Menschenseele sich noch
befreien von mancherlei Dingen, die sie ganz notwendig aus der Zeitkultur heraus heute noch
erfüllen müssen.
Zunächst stellt sich, wenn man
hellsichtig zurückschaut auf das Ereignis von Golgatha, vor den hellsehenden Blick etwas
hin, was — wenn man es in
Worte faßt — sich ausnimmt wie eine Art
Beleidigung des gegenwärtigen
naturwissenschaftlichen Bewußtseins. Dennoch
fühle ich mich gezwungen, so gut es
geht, dasjenige in Worte zu prägen, was sich dem hellsichtigen Blick also
darstellt. Ich kann nichts
dafür, wenn das, was da gesagt werden muß, etwa
hinausdringen sollte in weniger vorbereitete Gemüter und
Seelen hinein und das Ganze
aufgebauscht würde wie etwas, was gegenüber den
wissenschaftlichen Anschauungen, welche die Gegenwart nun
einmal beherrschen, nicht
standhalten könnte. Es fällt der hellsehende
Blick zunächst auf ein Bild,
das eine Realität darstellt, das auch in den
anderen Evangelien angedeutet ist, das aber
doch einen ganz besonderen Anblick darbietet, wenn man es
gleichsam heraustreten sieht aus der
Fülle der Bilder, die der hellsehende Blick in der
Rückschau erhalten kann. Es
fällt dieser hellsehende Blick tatsächlich auf
eine Art von Verfinsterung der Erde.
Und man fühlt, wie in diesem bedeutungsvollen Augenblick,
der durch Stunden hindurch anhält, wie da die physische Sonne verfinstert war über dem
Lande Palästina, über der
Stätte von Golgatha. Man hat denselben Eindruck, den
der geisteswissenschaftlich
geschulte Blick jetzt noch nachprüfen kann,
wenn wirklich eine äußere
physische Sonnenfinsternis durch das Land geht. Für den Seelenblick nimmt sich die ganze
Umgebung des Menschen während einer solchen mehr oder
weniger starken Sonnenfinsternis folgendermaßen aus. Da
sieht alles ganz anders aus. Ich möchte absehen von jenem Anblick, der sich bei
einer Sonnenfinsternis darbietet, von all den Dingen, welche
Menschenkunst und Menschentechnik hervorgebracht haben, denn es
bedarf eines gewissen starken
Gemütes und eines Durchdrungenseins von dem
Bewußtsein der Notwendigkeit,
daß das alles entstehen mußte, um den
dämonischen Anblick zu ertragen, den diejenigen Wesen
darbieten, die sich während
einer Sonnenfinsternis aus der äußeren kunstlosen
Technik erheben. Aber ich will auf
diese Schilderung nicht weiter eingehen, sondern nur darauf aufmerksam machen, daß in einer
solchen Zeit dasjenige lichtvoll erscheint, was man sonst nur
durch sehr schwierige Meditationen
erreichen kann: Man sieht dann alles Pflanzliche und
Tierische anders, jeder Vogel, jeder
Schmetterling sieht dann anders aus.
Man bemerkt eine Herabdämpfung des Lebensgefühles. Es
ist etwas, was im tiefsten Sinne die
Überzeugung hervorrufen kann, wie innig zusammenhängt im Kosmos ein gewisses
geistiges Leben, das zur Sonne
gehört und das in dem, was man in der Sonne sieht,
gleichsam seinen physischen Leib hat, mit dem Leben auf der
Erde. Und man bekommt das
Gefühl, wenn dem physischen Leben das physische
Leuchten der Sonne gewaltsam verdunkelt
wird durch den davortretenden Mond, so ist das etwas ganz
anderes, als wenn die Sonne bloß nicht scheint in der Nacht. Ganz anders ist
für den beobachtenden Seelenblick der Anblick der uns
umgebenden Erde während einer
Sonnenfinsternis als während einer bloßen Nacht. Man
fühlt während einer
Sonnenfinsternis etwas wie ein Aufstehen der Gruppenseelen der
Pflanzen, der Gruppenseelen der Tiere, dagegen wie ein
Mattwerden aller physischen Leiblichkeit
der Pflanzen und Tiere. Es tritt
etwas ein wie ein Hellwerden alles dessen, was geistig ist,
was Gruppenseelenhaftigkeit
darstellt.
Das alles stellt sich in einem hohen
Maße dar, wenn der hellsehende Blick in der Rückschau hinsieht auf den Augenblick
der Erdenevolution, den wir bezeichnen als das Mysterium von
Golgatha. Und dann taucht etwas auf,
was man nennen könnte: man lernt lesen,
was dieses merkwürdige Naturzeichen,
diese plötzlich auftretende Verfinsterung der Sonne, die der nach
rückwärts gewendete, hellseherische Blick im Kosmos
erschaut, was das eigentlich bedeutet. Ich kann wirklich nichts dafür, wenn ich
genötigt bin, ein reines Naturereignis, wie es natürlich früher und
später auch stattgefunden hat,
gerade an diesem Punkte der Erdenevolution in okkulter
Schrift so zu lesen — in
Widerspruch mit allem gegenwärtigen materialistischen
Bewußtsein — , wie es eben unmittelbar den Eindruck
macht. Wie wenn man ein Buch
aufschlägt und die Schrift liest, so fühlt man
sich, wenn man dieses Ereignis vor sich
hat, so daß einem wie aus dem
Schriftzeichen entgegenkommt, was man lesen soll. So
kommt einem aus diesem
Schriftzeichen des Kosmos die Notwendigkeit entgegen, man solle
etwas lesen, was die Menschheit kennenlernen soll.
Wie ein in den Kosmos geschriebenes Wort
kommt das einem vor, wie ein
Lautzeichen im Kosmos.
Und was liest man dann, wenn man ihm seine
Seele öffnet? Ich habe gestern
aufmerksam gemacht, wie in die Griechenzeit hinein die
Menschheit sich so entwickelt hat, daß
sie in Plato und Aristoteles aufgestiegen ist zu einer ganz besonders hohen
Ausbildung der Intellektualität der menschlichen Seele. In
vieler Beziehung konnte dasjenige Wissen, das von Plato oder
Aristoteles erreicht worden ist, in der späteren Zeit gar nicht überholt werden,
denn es war für die Intellektualität der Menschheit damit in gewisser
Beziehung ein Höchstes herangekommen. Man kann viel
erkennen, wenn man dies wirklich erkennt. Und wenn sich die
hellsichtig beobachtende Seele, die die Zeit von Palästina beobachtet, anschaut, wie
dieses intellektuelle Wissen, zu dem
sich die Menschheit heraufentwickelt hatte, das
gerade in der Zeit des Mysteriums von
Golgatha auf der griechischen und
italischen Halbinsel durch Wanderprediger ungeheuer
populär geworden war, wenn man
das alles ins Auge faßt, wie dieses Wissen
verbreitet worden war in einer Art, wie man
es sich heute gar nicht vorstellen
kann, dann bekommt diese hellsichtig beobachtende Seele
die Möglichkeit eines Eindruckes, der
sich wie ein Lesen jenes genannten, in den Kosmos
hineingestellten Schriftzeichens ausnimmt. Man
sagt sich dann, wenn man das hellsichtige
Bewußtsein so herangezogen hat: Das alles, was die
Menschheit da an Wissen gesammelt hat, wozu sie sich erhoben hat in der vorchristlichen Zeit,
dafür ist ein Zeichen der Mond,
der für den Erdengesichtspunkt durch das Weltenall geht,
und deshalb der Mond, weil sich für alles höhere
Erkennen der Menschheit dieses Wissen nicht wie
aufschließend, wie Rätsel lösend verhalten hat, sondern für das
höhere Erkennen wie verdunkelnd, so wie der Mond die Sonne
verfinstert bei einer Sonnenfinsternis. Das liest man, wenn man
das okkulte Schriftzeichen der Sonne, die vom Mond verdunkelt wird, liest.
Man weiß dann: So trat alles Wissen
damals nicht aufklärend, sondern das Welträtsel verdunkelnd auf, und man
fühlt als Hellseher die
Verfinsterung der höheren, eigentlich spirituellen
Regionen der Welt durch das Wissen
der alten Zeit, das sich vor die wirkliche Erkenntnis hingestellt hat wie der Mond vor die Sonne
bei einer Sonnenfinsternis. Und das
äußere Naturereignis wird ein Ausdruck
dafür, daß die Menschheit eine
Stufe erreicht hat, innerhalb welcher sich das aus der Menschheit selbst geschöpfte
Wissen vor das höhere Erkennen
hingestellt hat wie der Mond vor die Sonne bei einer
Sonnenfinsternis. Der Menschheit Seelenverdunkelung innerhalb
der Erdenevolution fühlt man
hingeschrieben in einem ungeheuren Zeichen der okkulten Schrift
in den Kosmos in jener Verfinsterung der Sonne im Momente des Mysteriums von Golgatha. Ich habe
gesagt, daß das
Gegenwartsbewußtsein es wie eine Beleidigung
empfinden kann, wenn man so etwas
ausspricht, weil es kein Verständnis mehr
hat für das Walten spiritueller
Kräfte im Weltenall, die im Zusammenhang stehen mit dem,
was in der Menschenseele als Kräfte waltet.
Ich will nicht im gewöhnlichen Sinne
von Wundern sprechen, von einem
Durchbrechen der Naturgesetze, aber ich kann nicht
anders als Ihnen mitteilen, wie man
jene Verfinsterung der Sonne lesen muß —
wie man nicht anders kann, als sich mit
seiner Seele vor diese Verfinsterung der Sonne hinzustellen
gleichsam wie lesend, was durch dieses Naturereignis ausgedrückt wird: Mit dem
Mondenwissen ist eine Verfinsterung
eingetreten gegenüber der höheren
Sonnenbotschaft.
Und dann — nachdem man diese okkulte
Schrift gelesen hat — stellt sich in der Tat vor das hellsichtige Bewußtsein
das Bild des erhöhten Kreuzes
auf Golgatha, des an ihm hängenden Körpers des
Jesus zwischen den beiden
Räubern. Und es stellt sich ein — und ich
darf wohl in Parenthese
einfügen, je mehr man sich gegen dieses Bild
wehrt, desto heftiger stellt es sich ein
— , das Bild stellt sich ein der Kreuzabnahme und der Grablegung. Jetzt tritt ein
zweites gewaltiges Zeichen ein,
wodurch wieder wie in den Kosmos hineingeschrieben
wird etwas, was man eben lesen muß, um
es zu begreifen, als ein Symbolum
dessen, was in der Evolution der Menschheit eigentlich
geschehen ist: Man verfolgt das Bild des
vom Kreuze herabgenommenen Jesus, der in das Grab gelegt wird,
und man wird dann durchrüttelt, wenn man den Seelenblick
darauf richtet, in der Seele von einem Erdbeben, das durch jene Gegend ging.
Vielleicht wird man einmal den Zusammenhang
jener Verfinsterung der Sonne mit
diesem Erdbeben auch naturwissenschaftlich besser einsehen,
denn gewisse Lehren, die heute schon, aber zusammenhanglos,
durch die Welt ziehen, zeigen einen Zusammenhang
zwischen Sonnenfinsternissen und
Erdbeben und sogar schlagenden Wettern in Bergwerken. Jenes Erdbeben war eine Folge der
Sonnenverfinsterung (siehe Seite
337). Jenes Erdbeben durchrüttelte das Grab, in das
der Leichnam des Jesus gelegt war
— und weggerissen wurde der Stein, der darauf gelegt worden war, und ein Spalt wurde
aufgerissen in der Erde, und der
Leichnam wurde aufgenommen von dem Spalt. Durch
weitere Aufrüttelung wurde über
dem Leichnam der Spalt wieder geschlossen. Und als die Leute am
Morgen kamen, war das Grab leer, denn die Erde hatte aufgenommen den Leichnam des Jesus;
nur der Stein lag noch da,
hinweggeschleudert.
Verfolgen wir noch einmal die Bilderreihe!
An dem Kreuze auf Golgatha
verscheidet der Jesus. Finsternis bricht herein über die
Erde. In das offene Grab wird der
Leichnam des Jesus hineingelegt. Ein Beben durchrüttelt den Erdboden, und der Leichnam
des Jesus wird aufgenommen von der
Erde. Der durch das Beben entstandene Spalt schließt sich, der Stein wird danebengeschleudert.
Das alles sind tatsächliche Ereignisse; ich kann nicht
anders als sie so schildern. Mögen die Leute, die aus der Naturwissenschaft heraus solchen
Dingen sich nähern wollen,
urteilen wie sie wollen, alle möglichen Gründe
dagegen vorbringen: Das, was der
hellseherische Blick sieht, ist so, wie ich es
geschildert habe. Und wenn jemand sagen
wollte, so etwas könne nicht geschehen, daß aus dem Kosmos heraus wie in einer
gewaltigen Zeichensprache ein
Symbolum hingestellt wird dafür, daß etwas
Neues eingezogen ist in die
Menschheitsevolution, wenn jemand sagen wollte, so schreiben die göttlichen Gewalten
dasjenige, was geschieht, nicht in
die Erde hinein mit einer solchen Zeichensprache wie
einer Verfinsterung der Sonne und
einem Erdbeben, so könnte ich nur erwidern: Euer Glaube in allen Ehren, daß das
nicht so sein kann! Aber es ist halt
doch geschehen, es hat sich ereignet! — Ich kann
mir denken, daß etwa ein
Ernest Renan, der ja das eigenartige «Leben Jesu» geschrieben hat, kommen und sagen
würde: An solche Dinge glaubt
man nicht, denn man glaubt nur an dasjenige, was sich jederzeit
im Experimente wieder herstellen läßt. — Aber
der Gedanke ist nicht
durchführbar, denn würde zum Beispiel ein Renan nicht
an die Eiszeit glauben, obschon es
unmöglich ist, durch Experiment die Eiszeit wieder herzustellen? Das ist doch ganz
gewiß unmöglich, die Eiszeit wieder über die Erde zu bringen, und
dennoch glauben alle Naturforscher
daran. So ist es unmöglich, daß dieses einmal
geschehene kosmische Zeichen beim Ereignis von Golgatha jemals
wieder vor die Menschen hintritt.
Dennoch aber ist es geschehen.
Wir können zu diesem Ereignis nur
vordringen, wenn wir hellseherisch den Weg einschlagen, den ich
angedeutet habe, wenn wir uns
zunächst etwa vertiefen in die Seele des Petrus oder eines
der anderen Apostel, die beim
Pfingstfeste sich befruchtet fühlten von der
allwaltenden kosmischen Liebe. Nur, wenn
wir in die Seelen jener Leute
schauen und da sehen, was diese Seelen erlebt haben, finden
wir auf diesem Umwege die
Möglichkeit, hinzuschauen auf das auf Golgatha
erhöhte Kreuz, auf die Verfinsterung der Erde zu jener
Zeit und auf das Beben der Erde, das
darauf folgte. Daß im äußeren Sinne
diese Verfinsterung und dieses Beben ganz
gewöhnliche Naturereignisse waren, das wird durchaus nicht
geleugnet; daß aber für denjenigen, der diese
Ereignisse hellseherisch verfolgt, sich diese Ereignisse so
lesen, wie ich sie geschildert habe als gewaltige Zeichen
der okkulten Schrift, das muß
entschieden gesagt werden von demjenigen, der in seiner Seele die Bedingungen dazu hergestellt
hat. Denn in der Tat war, was ich
jetzt geschildert habe, für das Bewußtsein des
Petrus etwas, das auf dem Felde des
langen Schlafes sich herauskristallisierte. Auf dem Felde des durch mancherlei Bilder durchkreuzten
Bewußtseins des Petrus hoben sich zum Beispiel heraus: das
auf Golgatha erhöhte Kreuz, die
Verfinsterung und das Beben. Das waren für den
Petrus die ersten Früchte der
Befruchtung mit der allwaltenden kosmischen Liebe beim
Pfingstereignis. Und jetzt wußte er etwas, was er
früher mit seinem normalen
Bewußtsein tatsächlich nicht gewußt
hatte: daß das Ereignis von Golgatha
stattgefunden hat, und daß der Leib, der am Kreuze hing, derselbe Leib war, mit dem er
oftmals im Leben gewandelt war.
Jetzt wußte er, daß Jesus am Kreuze gestorben
ist und daß dieses Sterben eigentlich
eine Geburt war, die Geburt desjenigen Geistes, der als allwaltende Liebe sich
jetzt ausgegossen hatte in die
Seelen der beim Pfingstfeste versammelten Apostel. Und
wie einen Strahl der urewigen,
äonischen Liebe fühlte er in seiner
Seele aufwachen den Geist als denselben,
welcher geboren worden war, als der
Jesus am Kreuze verschied. Und die ungeheuere Wahrheit senkte
sich in die Seele des Petrus: Es ist nur Schein, daß
am Kreuze ein Tod sich vollzogen
hat, in Wahrheit war dieser Tod, dem unendliches Leiden vorangegangen war, die Geburt
desjenigen, was wie in einem Strahle
jetzt in seine Seele hineingedrungen war, für die
ganze Erde. Für die Erde war mit dem
Tode des Jesus geboren dasjenige, was früher allseitig
außerhalb der Erde vorhanden war: die allwaltende Liebe, die kosmische Liebe.
Solch ein Wort ist scheinbar abstrakt
leicht auszusprechen, aber man muß sich einen Augenblick wirklich hineinversetzen
in diese PetrusSeele, wie sie empfunden hat, in diesem Moment
zum allerersten Male empfunden hat:
Der Erde ist etwas geboren worden, was früher
nur im Kosmos vorhanden war, in dem
Augenblick, als Jesus von Nazareth
verschied am Kreuze auf Golgatha. Der Tod des Jesus von
Nazareth war die Geburt der allwaltenden
kosmischen Liebe innerhalb der Erdensphäre.
Das ist gewissermaßen die erste
Erkenntnis, die wir herauslesen können aus dem, was wir das Fünfte Evangelium
nennen. Mit dem, was im Neuen
Testamente die Herabkunft, die Ausgießung des Heiligen
Geistes genannt wird, ist gemeint dasjenige, was ich jetzt
geschildert habe. Die Apostel waren nicht geeignet durch ihre
ganze damalige Seelenverfassung, dieses Ereignis des Todes des
Jesus von Nazareth anders
mitzumachen als in einem abnormen
Bewußtseinszustande.
Noch eines anderen Momentes seines Lebens
mußte Petrus, auch Johannes und
Jakobus, gedenken, jenes Momentes, der auch in den
anderen Evangelien geschildert wird, der
uns aber nur durch das Fünfte
Evangelium in seiner vollen Bedeutung erst verständlich
werden kann. Derjenige, mit dem sie auf der Erde gewandelt
waren, hatte sie herausgeführt
zum Ölberge, zum Garten Gethsemane und hatte gesagt: Wachet und betet! — Sie aber waren
eingeschlafen und jetzt wußten
sie: Dazumal war schon gekommen jener Zustand, der
sich immer mehr und mehr ausbreitete
über ihre Seelen. Das normale Bewußtsein schlief ein, sie versanken in Schlaf,
der andauerte während des
Ereignisses von Golgatha, und aus dem herausstrahlte
dasjenige, was ich in stammelnden
Worten zu schildern versuchte. Und Petrus, Johannes und Jakobus mußten gedenken, wie sie in
diesen Zustand verfallen waren und
wie jetzt, als sie zurückblickten,
heraufdämmerten die großen
Ereignisse, die sich um den irdischen Leib Desjenigen
abgespielt hatten, mit dem sie umhergewandelt waren. Und
allmählich, wie versunkene
Träume herauftauchen im Menschenbewußtsein, in
der Menschenseele, so tauchten die
verflossenen Tage in dem Bewußtsein und den Seelen der
Apostel auf. Während dieser Tage hatten sie
das alles nicht mit normalem
Bewußtsein miterlebt. Jetzt tauchte das
in ihr normales Bewußtsein herein, und
dasjenige, was hereintauchte, das
war die ganze Zeit, die sie miterlebt hatten seit dem Ereignis
von Golgatha bis zu dem
Pfingstereignis, in den Untergründen ihrer Seele
versunken geblieben. Das fühlten sie,
wie diese Zeit ihnen vorkam wie eine
Zeit tiefsten Schlafes. Besonders die zehn Tage von der
sogenannten Himmelfahrt bis zum Pfingstereignis kamen ihnen vor
wie eine Zeit tiefsten Schlafes.
Rückwärtsschauend aber kam ihnen Tag
für Tag herauf die Zeit zwischen dem
Mysterium von Golgatha und der
sogenannten Himmelfahrt des Christus Jesus. Das hatten sie
miterlebt, das kam aber erst jetzt herauf, und in einer ganz
merkwürdigen Weise kam es
herauf.
Verzeihen Sie, wenn ich hier eine
persönliche Bemerkung einschalte. Ich muß gestehen,
daß ich selbst in höchstem Maße erstaunt
war, als ich gewahr wurde, wie das in den
Seelen der Apostel heraufkam, was sie erlebt hatten in der Zeit
zwischen dem Mysterium von Golgatha
und der sogenannten Himmelfahrt. Es ist ganz
merkwürdig, wie das heraufkam,
auftauchte in den Seelen der Apostel. — Da
tauchte auf in den Seelen der Apostel Bild
nach Bild, und diese Bilder sagten
ihnen: Ja, du warst ja beisammen mit dem, der am
Kreuze gestorben oder geboren worden ist,
du bist ihm ja begegnet. — So
wie man am Morgen beim Aufwachen sich erinnert an
Träume und da weiß, du
warst ja in diesem Traum zusammen mit diesem oder
jenem, so kamen wie Träume herauf in
die Seelen der Apostel die Erinnerungen. Aber ganz eigenartig war, wie die
einzelnen Ereignisse ins
Bewußtsein heraufkamen. Immer mußten sie sich fragen:
Ja, wer ist denn das, mit dem wir da
zusammen waren? — Und sie erkannten ihn immer wiederum und wiederum nicht. Sie
fühlten, das ist eine geistige
Gestalt; sie wußten, sie sind sicher in diesem
schlafartigen Zustand mit ihm
herumgewandelt, aber sie erkannten ihn nicht in
der Gestalt, in der er ihnen jetzt
aufgegangen war, nach der Befruchtung mit der allwaltenden
Liebe. Sie sahen sich wandelnd mit demjenigen, den wir Christus
nennen, nach dem Mysterium von Golgatha. Und sie sahen auch, wie er tatsächlich dazumal
ihnen Lehren gab vom Reiche des
Geistes, wie er sie unterwies. Und sie lernten
verstehen, wie sie vierzig Tage lang
mit diesem Wesen, das am Kreuze geboren war, herumgegangen waren, wie dieses Wesen — die
aus dem Kosmos in die Erde geborene
allwaltende Liebe — ihr Lehrer war, wie sie aber
mit ihrem normalen Bewußtsein nicht
reif gewesen waren, zu verstehen, was dieses Wesen zu sagen
hatte, wie sie mit unterbewußten Kräften ihrer Seele das hatten aufnehmen
müssen, wie sie wie Nachtwandler neben dem Christus
gegangen waren und nicht hatten aufnehmen können mit dem
gewöhnlichen Verstande, was dieses Wesen
ihnen zu geben hatte. Und sie hörten
auf ihn während dieser vierzig Tage, mit einem Bewußtsein, das sie nicht kannten,
das jetzt erst in sie heraufdrang,
nachdem sie das Pfingstereignis durchgemacht hatten.
Wie Nachtwandler hatten sie zugehört.
Als der geistige Lehrer war er ihnen
erschienen und hatte sie unterwiesen in Geheimnissen,
die sie nur verstehen konnten, indem
er sie entrückte in einen ganz anderen
Bewußtseinszustand. Und so sahen sie jetzt erst: Sie waren
mit dem Christus, mit dem
auferstandenen Christus gegangen. Jetzt aber
erkannten sie erst, was mit ihnen geschehen
war. Und wodurch erkannten sie, daß das wirklich Derjenige
war, mit dem sie im Leibe vor dem
Mysterium von Golgatha umhergegangen waren? Das geschah in der
folgenden Weise.
Nehmen wir an, solch ein Bild träte
jetzt nach dem Pfingstfest vor die
Seele eines der Apostel. Er sah, wie er gewandelt war mit
dem Auferstandenen, wie der
Auferstandene ihn unterrichtet hatte. Aber er erkannte ihn nicht. Er sah zwar ein himmlisches,
geistiges Wesen, aber er erkannte es
nicht. Da mischte sich ein anderes Bild herein.
Ein solches Bild vermischte sich mit dem
rein geistigen Bilde, das ein Erlebnis der Apostel darstellte, das sie wirklich
durchgemacht hatten mit dem Christus
Jesus vor dem Mysterium von Golgatha. Da gab es
eine Szene, wo sie sich fühlten wie
unterrichtet von dem Geheimnis des
Geistes, von dem Christus Jesus. Aber sie erkannten ihn
nicht. Sie schauten sich
gegenüberstehend diesem geistigen Wesen, das sie
unterrichtete, und damit sie das erkannten,
verwandelte sich dieses Bild, indem
es sich zugleich aufrechterhielt, in das Bild des Abendmahles,
das sie miterlebt hatten mit dem Christus Jesus. Stellen
Sie sich wirklich vor, daß
solch ein Apostel vor sich hatte das übersinnliche
Erlebnis mit dem Auferstandenen und, wie im Hintergrunde
wirkend, das Bild des Abendmahles. Da erst erkannten sie,
daß es Derselbe ist, mit dem sie einstmals gewandelt sind
im Leibe, wie Derjenige, der sie jetzt unterrichtete in der
ganz anderen Gestalt, die er angenommen hatte nach dem Mysterium von Golgatha. Es
war ein vollständiges
Zusammenfließen der Erinnerungen aus dem
Bewußtseinszustand, der gleichsam ein Schlafzustand war,
mit den Erinnerungsbildern, die vorangegangen waren. Wie zwei
Bilder, die sich deckten, erlebten
sie das: Ein Bild aus den Erlebnissen nach dem
Mysterium von Golgatha, und eines vor
demselben, wie hereinleuchtend aus der Zeit, bevor sich ihr
Bewußtsein so getrübt hatte, daß sie
nicht mehr miterlebten, was sich da
abspielte. So erkannten sie, daß diese zwei Wesenheiten zusammengehören: der
Auferstandene und Derjenige, mit dem
sie einstmals, vor verhältnismäßig kurzer Zeit,
im Leibe herumgewandelt waren. Und
sie sagten sich jetzt: Bevor wir also aufgewacht sind durch die Befruchtung mit der
allwaltenden kosmischen Liebe, waren
wir wie hinweggenommen von unserem gewöhnlichen
Bewußtseinszustand. Und der Christus, der
Auferstandene war mit uns. Er hat
uns gleichsam unwissend in sein Reich aufgenommen, wandelte mit
uns und enthüllte uns die Geheimnisse seines
Reiches, die jetzt, nach dem
Pfingstmysterium, wie im Traume erlebt herauftauchen ins normale Bewußtsein.
Das ist dasjenige, was man als
Staunen-Hervorrufendes erlebt: Dieses Zusammenfallen immer eines Bildes von einem Erlebnis
der Apostel mit dem Christus
nach dem
Mysterium von Golgatha mit einem Bilde vor
dem Mysterium von Golgatha, das sie
wirklich normal wissend im physischen Leibe erlebt hatten mit
dem Christus Jesus.
Wir haben den Anfang damit gemacht,
mitzuteilen, was sich lesen läßt in dem sogenannten Fünften
Evangelium, und ich darf am Ende dieser ersten Mitteilung, die ich heute zu machen
hatte, vielleicht ein paar
persönliche Worte zu Ihnen sprechen, die neben dieser
Tatsache doch eben ausgesprochen
werden müssen. Ich fühle mich gewissermaßen
okkult verpflichtet, von diesen Dingen jetzt zu sprechen.
Dasjenige aber, was ich sagen möchte, ist das Folgende:
Ich weiß sehr wohl, daß
wir gegenwärtig in einer solchen Zeit leben, in der
sich mancherlei für die
nächste Erdenzukunft der Menschheit vorbereitet,
und daß wir innerhalb unserer —
jetzt Anthroposophischen — Gesellschaft gleichsam als
diejenigen uns fühlen müssen, denen eine
Ahnung aufgeht, daß in den
Seelen der Menschen etwas vorzubereiten ist für
die Zukunft, was vorbereitet werden
muß. Ich weiß, es werden
Zeiten kommen, in denen man noch
ganz anders, als es unsere heutige Zeit uns gestattet, wird über diese Dinge sprechen
können. Denn wir alle sind ja
Kinder der Zeit. Es wird aber eine nahe Zukunft kommen,
in der man genauer, präziser wird
sprechen können, in der vielleicht manches von dem, was heute nur andeutungsweise erkannt
werden kann, viel, viel genauer wird
erkannt werden können in der geistigen Chronik des Werdens. Solche Zeiten werden kommen, wenn
es auch der heutigen Menschheit noch
so unwahrscheinlich vorkommt. Dennoch liegt gerade aus diesem
Grunde eine gewisse Verpflichtung vor, schon heute wie vorbereitend über diese Dinge zu
sprechen. Und wenn es mich auch eine
gewisse Überwindung gekostet hat, gerade
über dieses Thema zu sprechen, so
überwog denn doch die Verpflichtung gegenüber
demjenigen, was sich in unserer Zeit vorbereiten muß. Das
führte dazu, zum ersten Male gerade bei Ihnen
hier über dieses Thema zu
sprechen.
Wenn ich von Überwindung spreche, so
fassen Sie dieses Wort wirklich so
auf, wie es ausgesprochen wird. Ich bitte
ausdrücklich, dasjenige, was
ich gerade bei dieser Gelegenheit zu sagen habe, wirklich nur
aufzufassen wie eine Art Anregung, wie etwas, was ganz
gewiß in Zukunft viel besser und präziser wird
ausgesprochen werden können.
Und das Wort Überwindung werden Sie besser
verstehen, wenn Sie mir gestatten,
eine persönliche Bemerkung nicht zu unterdrücken: Es
ist mir durchaus klar, daß für die Geistesforschung,
der ich mich ergeben habe,
zunächst manches außerordentlich schwierig
und mühevoll herauszuholen ist aus der
geistigen Schrift der Welt; gerade
Dinge von dieser Art! Und ich würde mich gar nicht
wundern, wenn das Wort
«Andeutung», das ich gebrauchte, eine noch
viel schwerere und weitere Bedeutung
hätte, als es vielleicht jetzt aufgefaßt zu werden
braucht. Ich will durchaus nicht sagen, daß ich
heute schon imstande bin, alles das
präzise zu sagen, was sich in der geistigen Schrift darstellt. Denn gerade ich fühle
mancherlei Schwierigkeiten und Mühe, wenn es sich darum
handelt, Bilder, die sich auf die
Geheimnisse des Christentums beziehen, aus der
Akasha-Chronik zu holen. Ich
fühle Mühe, diese Bilder zu der nötigen
Verdichtung zu bringen, sie
festhalten zu können, und
betrachte es gewissermaßen als
mein Karma, daß mir die Pflicht auferlegt ist, dies
zu sagen, was ich eben
ausspreche. Denn ganz zweifellos würde ich weniger
Mühe haben, wenn ich in der Lage
gewesen wäre, in der mancher unserer Zeitgenossen ist, in meiner ersten Jugend eine
wirklich christliche Erziehung erhalten zu haben. Das habe ich
nicht gehabt; ich bin in einer
vollständig freigeistigen Umgebung aufgewachsen, und
auch mein Studium hat mich zum
Freigeistigen geführt. Mein eigener Bildungsgang war ein rein wissenschaftlicher. Und das
macht mir eine gewisse Mühe,
diese Dinge jetzt zu finden, von denen ich zu sprechen
verpflichtet bin.
Gerade diese persönliche Bemerkung
darf ich vielleicht machen aus zwei
Gründen: aus dem Grunde, weil ja gerade durch eine
ganz eigenartige Gewissenlosigkeit
ein törichtes, albernes Märchen über
meine Zusammenhänge mit gewissen
katholischen Strömungen durch die Welt gesendet worden ist. Von allen diesen Dingen
ist nicht ein einziges Wort wahr.
Und wohin es gekommen ist mit dem, was sich heute vielfach Theosophie nennt, das kann man einfach
daran ermessen, daß auf dem Boden der Theosophie solche
gewissenlose Aufstellungen und Gerüchte in die Welt
geschickt werden. Da wir aber gezwungen sind, nicht in nachsichtiger Weise,
phrasenhaft darüber hinwegzugehen, sondern demgegenüber die Wahrheit
hinzustellen, so darf diese
persönliche Bemerkung gemacht werden. — Auf der
anderen Seite fühle ich mich
gerade dadurch, daß ich in meiner Jugend dem
Christentum fernstand, diesem um so
unbefangener gegenüber und glaube, da ich erst durch den Geist zu dem Christentum
und der Christus-Wesenheit
geführt worden bin, gerade auf diesem Gebiete
ein gewisses Recht zu haben auf
Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um über diese
Dinge Aussagen zu machen. Vielleicht wird man —
gerade in dieser Stunde der Weltgeschichte
— mehr geben können auf
das Wort eines Menschen, der aus wissenschaftlicher
Bildung kommt, der in seiner Jugend
dem Christentum ferngestanden hat, als eines solchen, der seit der frühesten Jugend mit
dem Christentum im Zusammenhang
gewesen ist. Und ich glaube wahrhaftig nicht, daß
das Christentum etwas verlieren kann, wenn
es in seinen tieferen Elementen
dargestellt wird von einem Bewußtsein, das erst aus
dem Geist selber sich zu dem
Christentum hingefunden hat. Aber wenn Sie diese Worte ernst nehmen, so werden Sie wie
angedeutet fühlen, was in mir
selber lebt, wenn ich jetzt spreche von den
Geheimnissen, die ich bezeichnen
möchte als die Geheimnisse des sogenannten
Fünften Evangeliums.
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