ZWEITER
VORTRAG
Dornach,
12. Oktober 1921
Wenn
wir heute darangehen, zu sprechen über Anthroposophie und die
Dreigliederungsbewegung mit ihren verschiedenen Konsequenzen –
die ja aus Anthroposophie heraus entspringt und im Grunde aus ihr
heraus gedacht werden muß –, dann müssen wir uns vor
allen Dingen vor die Seele halten, daß es schwer ist, verstanden
zu werden. Und ohne diese Empfindung, daß es schwer ist,
verstanden zu werden, werden wir wohl kaum in einer uns
befriedigenden Art zurechtkommen können als Redner für
anthroposophisch Geisteswissenschaftliches und alles, was damit
zusammenhängt. Denn wenn sachgemäß über
Anthroposophie gesprochen werden soll, muß eigentlich durchaus
anders gesprochen werden, als man nach den Traditionen des Sprechens
gewohnt ist, über Dinge überhaupt zu sprechen. Man hat sich
ja vielfach gewöhnt, auch über anthroposophische Dinge so
zu sprechen, wie man eben gewohnt worden ist zu sprechen, namentlich
in der Zeit des Materialismus. Aber dadurch verbaut man eher das
Verständnis für Anthroposophie, als daß man zu ihr den
Zugang eröffnete.
Wir
werden uns zunächst einmal nur das Inhaltliche, das Stoffliche
gewissermaßen ganz klarmachen müssen, das uns mit
Anthroposophie und ihren Konsequenzen entgegentritt. Und ich werde es
ja hier in diesen Vorträgen, wie ich schon gestern sagte,
durchaus zu tun haben mit einem Anwenden des Rednerischen gerade nur
in anthroposophischen und dazugehörigen Dingen, so daß, was
ich zu sagen habe, eben nur dafür gilt.
Wir
müssen uns nun klarmachen, daß zunächst für, sagen wir,
die Hauptsache der Dreigliederung das Gefühl ja erst rege gemacht
werden muß in unserer gegenwärtigen Menschheit. Es muß
im Grunde genommen vorausgesetzt werden, daß ein
gegenwärtiges Publikum zunächst mit dem Begriff der
Dreigliederung nichts rechtes anzufangen weiß, und unser
Sprechen muß langsam dazu führen, dem Publikum erst eine
Empfindung von dieser Dreigliederung beizubringen.
Man
ist ja gewohnt worden in der Zeit, in welcher der
Materialismus geherrscht hat, rednerisch die Dinge der Außenwelt
in beschreibender Art vorzubringen. Da hatte man in der
Außenwelt selber eine Art von Anleitung- Und außerdem war
das Objekt der Außenwelt, ich möchte sagen, zu feststehend,
als daß man nicht geglaubt hätte, wie man rede über
die Dinge der Außenwelt, das sei schließlich
gleichgültig, wenn man nur den Menschen zur Anschauung dieser
Außenwelt eine Anleitung auf den Weg gebe. Nun, und
schließlich ist es ja auch so: Wenn man irgendwo, sagen wir,
einen populären Experimen-talvortrag hält und dabei den
Leuten vorführt, wie dieser oder jener Stoff in der Retorte
reagiert, dann sehen sie, wie dieser Stoff in der Retorte reagiert,
und ob man da nun so oder so redet –
ein bißchen besser, ein bißchen weniger gut, ein
bißchen sachgemäßer, ein bißchen
unsachgemäßer –, macht ja schließlich nichts
aus. Und nach und nach ist es schon ein wenig so geworden, daß
solche Vorträge und solche Reden besucht werden, damit man
dasjenige sieht, was experimentiert wird, und was da noch gesprochen
wird, das nimmt man eben wie eine Art mehr oder weniger angenehmen
oder unangenehmen Nebengeräusches mit. Man muß diese Dinge
etwas radikal aussprechen, damit man gerade in die richtige Richtung
weist, in der sich die Zivilisation in bezug auf diese Dinge bewegt.
Und wenn es sich dann um dasjenige handelt, was man in den Leuten
für das Tun, für das Wollen anregen will, da meint man, man
müsse vor die Leute eben Ideale hinstellen, da müßten
sie sich gewöhnen, Ideale aufzufassen, und da gleitet man dann
nach und nach immer mehr ins Utopistische hinüber, wenn es sich
um so etwas handelt wie zum Beispiel die Dinge der Dreigliederung des
sozialen Organismus.
So
ist es ja auch in vieler Beziehung gekommen: Viele
Menschen, die heute über die Dreigliederung reden, rufen
durchaus die Meinung hervor – durch die Art, wie sie reden
–, daß es sich um irgendeine Utopie handle, um irgend
etwas, was man anstreben solle. Und da man immer die Meinung hat,
dasjenige, was angestrebt werden soll, das müsse meistens erst
kommen können in fünfzig, in hundert Jahren – oder
manche dehnen die Zeit noch länger aus –, so gestattet man
sich dann auch, ganz unbewußt, über die Dinge so zu reden,
als wenn sie eben erst in hundert oder fünfzig Jahren reif
wären, heranzukommen. Man gleitet sehr bald von der Wirklichkeit
ab und redet dann darüber: Wie wird ein Krämerladen
eingerichtet sein beim dreigliedrigen sozialen Organismus? Wie wird
das Verhältnis des einzelnen Menschen zur Nähmaschine sein
im dreigliedrigen sozialen Organismus?-und so weiter. Diese Fragen
werden ja wirklich in Fülle gestellt gegenüber einer
Bestrebung, wie die zur Dreigliederung des sozialen Organismus eine
ist. Gegenüber einer solchen Bestrebung, die mit allen ihren
Wurzeln aus der Wirklichkeit herauskommt, sollte man durchaus nicht
in dieser Weise utopistisch reden. Denn mindestens dieses Gefühl
sollte man immer hervorrufen, daß ja die Dreigliederung des
sozialen Organismus nichts ist, was man machen kann, machen kann in
dem Sinne, wie man in irgendeinem Parlamente von der Art, wie zum
Beispiel die Weimarische Nationalversammlung eines war,
Staatsverfassungen macht. Die macht man! Aber in demselben Sinne kann
man nicht sprechen vom Machen des dreigliedrigen sozialen Organismus.
Ebensowenig
kann man davon sprechen, daß man organisieren soll, damit die
Dreigliederung herauskäme. Was ein Organismus ist, das
organisiert man eben nicht; das wächst. Es ist ja gerade das
Wesen des Organismus, daß man ihn nicht zu organisieren hat,
daß er sich selbst organisiert. Was man organisieren kann, ist
kein Organismus. Mit diesen Empfindungen müssen wir von
vornherein an die Dinge herangehen, sonst werden wir nicht die
Möglichkeit des sachgemäßen Ausdrucks finden können.
Die
Dreigliederung ist etwas, das ja einfach aus dem natürlichen
Zusammenleben der Menschen folgt. Man kann dieses natürliche
Zusammenleben der Menschen fälschen, indem man, wie es zum Beispiel
in der neueren Geschichte der Fall gewesen ist, die Eigentümlichkeiten
des einen Gliedes, des rechtlich-staatlichen Gliedes, auf die beiden
anderen ausdehnt. Dann werden einfach diese beiden anderen Glieder
korrumpiert, weil sie nicht gedeihen können, so wie jemand nicht
gedeihen kann, wenn man ihm ein ungeeignetes Gewand anzieht, das ihm
zu schwer ist oder dergleichen.
Im
natürlichen Zusammenhang der Menschen lebt die
Dreigliederung des sozialen Organismus, lebt das selbständige
Geistesleben, lebt das Rechts- oder Staatsleben, das auf die
Mündigkeit der Menschen gestellt ist, lebt auch das nur aus sich
heraus sich gestaltende Wirtschaftsleben. Man kann dem Geistesleben
und kann dem Wirtschaftsleben Zwangsjacken anlegen, obwohl man es
nicht nötig hat; aber dann macht sich fortwährend ihr
Eigenleben geltend, und was wir dann im Äußeren erleben,
ist eben das Sich-geltend-Machen des Eigenlebens. Es ist also
notwendig, aus der Natur des Menschen und aus der Natur des sozialen
Zusammenlebens die Selbstverständlichkeit der Dreigliederung des
sozialen Organismus zu zeigen. Sehen wir doch, wie in Europa das
Geistesleben durchaus selbständig und frei war bis zum 13., 14.
Jahrhundert, wo man das, was freies, selbständiges Geistesleben
war, zuerst in die Universitäten hineingeschoben hat. Sie finden
gerade in dieser Zeit die Begründung der Universitäten, und
die Universitäten schlüpften dann nach und nach wiederum in
das Staatsleben hinein. So daß man sagen kann: Etwa vom 13. bis
zum 16., 17. Jahrhundert schlüpfen die Universitäten in das
Staatsleben hinein, und mit den Universitäten, ohne daß es
ja eigentlich die Leute bemerkt haben, auch die übrigen
Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Sie sind ihnen einfach
nachgefolgt. Das haben wir auf der einen Seite.
Und
auf der anderen Seite haben wir ungefähr bis zu
demselben Zeitalter das freie wirtschaftliche Walten, das seinen
eigentlichen mitteleuropäischen Ausdruck gefunden hat in den
freien wirtschaftlichen Dorfgemeinschaften. Und wie das freie
Geistesleben hineingeschlüpft ist in die Universitäten, die
zuerst lokalisiert sind und die dann unterschlüpfen unter den
Staat, so bekommt dasjenige, was wirtschaftliche Organisation ist,
zuerst eine gewisse Verwaltung im rechtlichen Sinn, indem die
Städte immer mehr und mehr auftauchen und die Städte nun
dieses wirtschaftliche Leben zunächst organisieren, während
es früher gewachsen ist, als die Dorfgemeinden tonangebend
waren. Und dann sehen wir, wie nun auch immer wieder mehr und mehr
dasjenige, was in den Städten zentralisiert war, unterkriecht in
die größeren Territorien der Staaten. Wir sehen also, wie
die Tendenz der neueren Zeit darauf hinausgeht, auf der einen Seite
das Geistesleben, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben
unterkriechen zu lassen in die Staaten, die immer mehr und mehr den
Charakter der nach römischem Rechte konstituierten Gebiete
annehmen. Das war eigentlich die Entwickelung in der neueren Zeit.
Und
an dem Punkte der geschichtlichen Entwickelung sind wir angelangt, wo es
so nicht mehr weitergeht, wo sich wiederum ein Herz und ein Sinn entwickeln
muß für freies Geistesleben, weil einfach der Geist nicht
fortschreitet, wenn er in der Zwangsjacke ist, weil er nur scheinbar
fortschreitet, in Wahrheit aber dennoch zurückbleibt, niemals
wirkliche Geburten, sondern höchstens Renaissancen feiern kann.
Und ebenso ist es mit dem Wirtschaftsleben. Wir stehen eben heute
einfach in dem Zeitalter, wo wir die Bewegung, die sich gerade in der
zivilisierten Welt Europas mit ihrem amerikanischen Anhange
entwik-kelt hat, unbedingt rückgängig machen müssen,
wo die entgegengesetzte Richtung einsetzen muß. Denn dasjenige,
was eine Zeitlang sich fortentwickelt hat, muß an einem Punkt
ankommen, wo etwas Neues einsetzen muß. Sonst kommt man in die
Gefahr, es ebenso zu machen, wie man es machen würde, wenn eine
Pflanze wachsen sollte und man sagen würde, man läßt
sie nicht zum Keimen kommen, sondern sie soll weiter wachsen, sie
soll immer weiter, weiter blühen. Nicht wahr, so würde sie
wachsen: eine Blüte hervorbringen; jetzt keinen Keim, sondern
wieder eine Blüte, wieder eine Blüte und so fort. Es ist
also durchaus notwendig, daß man sich in diese Dinge ganz
innerlich hineinfindet, und daß man ein Gefühl entwickelt
für den historischen Wendepunkt, auf dem wir heute stehen.
Aber
geradeso wie in einem Organismus jede Einzelheit
notwendig so geformt ist, wie sie eben geformt ist, so ist in der
Welt, in der wir leben und an der wir mitgestalten, alles so zu
formen, wie es im Sinne des Ganzen an seinem Orte geformt werden
muß. Sie können sich nicht denken, wenn Sie real denken,
daß Ihr Ohrläppchen auch nur im allergeringsten anders
geformt wäre, als es eben ist in Gemäßheit Ihres
ganzen Organismus. Wäre Ihr Ohrläppchen nur ein
bißchen anders geformt, dann müßten Sie auch eine ganz
andere Nase, Sie müßten andere Fingerspitzen haben und so
weiter. Und so muß auch die Rede, in die sich etwas
ergießt, was wirklich neue Formen annimmt, durchaus – so
wie das Ohrläppchen im Sinne des ganzen Menschen geformt ist
– im Sinne der ganzen Sache gehalten sein.
Sie
kann nicht gehalten sein in der Art, die man lernen kann etwa von der
Predigtrede. Denn die Predigtrede, wie wir sie heute noch immer
haben, beruht auf der Tradition, die eigentlich zurückgeht bis
in den alten Orient; und sie beruht ja auf einer besonderen Stellung,
welche der ganze Mensch im alten Orient zu der Sprache hatte. Diese
Eigentümlichkeit ist dann fortgesetzt worden, so daß sie
lebte in einer gewissen freien Weise in Griechenland, lebte in Rom
und heute ihr letztes Aufflackern am deutlichsten zeigt in dem
besonderen Verhältnis, das der Franzose zu seiner Sprache hat.
Nicht als ob ich damit sagen wollte, daß jeder Franzose predigt,
wenn er spricht, aber ein ähnliches Verhältnis, wie es sich
aus dem orientalischen Verhältnis zur Sprache entwickeln mußte,
lebt durchaus noch in der französischen Handhabung der Sprache
weiter fort, nur eben durchaus in abschüssiger Bewegung.
Dieses
Element, zu dem wir da hinschauen können in bezug
auf das Sprachliche, das ist zum Ausdrucke gekommen, als man das
Reden noch etwa so lernte, wie man es dann später, aber schon im
Verfallsstadium, lernen konnte von den Professoren, die eigentlich
durchaus wie Mumien aus alten Zeiten weiterlebten, und die den Titel
trugen «Professor für Eloquenz». Es war in
früheren Zeiten fast an jeder Universität, an jeder Schule,
auch an den Seminarien und so weiter, solch ein Professor für
Eloquenz, für Rhetorik. Der berühmte Curtius in Berlin
führte eigentlich offiziell noch den Titel «Professor
für Eloquenz». Aber die Geschichte ist ihm zu dumm geworden
und er hat nicht Eloquenz vorgetragen, sondern hat sich als Professor
für Eloquenz nur dadurch gezeigt, daß er vom
Professorenkollegium immer ausgeschickt worden ist bei festlichen
Gelegenheiten, weil das immer die Aufgabe des Professors für
Eloquenz war. Da hat es sich Curtius allerdings sehr angelegen sein
lassen, seine Aufgabe für solche festlichen Gelegenheiten
dadurch zu lösen, daß er die alten Regeln der Eloquenz
möglichst wenig berücksichtigt hat. Im übrigen war es
ihm zu dumm, Professor der Eloquenz zu sein in Zeiten, in die eben
Professoren der Eloquenz nicht mehr hineinpassen, und er hat
Kunstgeschichte, griechische Kunstgeschichte vorgetragen. Aber im
Universitätsverzeichnis war er angeführt als «Professor
der Eloquenz». Das weist uns zurück auf ein Element, das im
Reden in den alten Zeiten durchaus vorhanden war.
Nun,
wenn wir etwas, was ganz besonders charakteristisch ist, die Ausbildung
des Redens für die mitteleuropäischen Sprachen, also für
das Deutsche etwa, nehmen, so hat ja alles, was man im
ursprünglichen Sinne mit dem Wort Eloquenz bezeichnen kann,
nicht den allergeringsten Sinn. Denn in diese Sprachen ist schon
etwas eingeflossen, was durchaus anders ist als dasjenige, was dem
Reden in den Zeiten eigen war, wo man die Eloquenz ernst nehmen
mußte. Für die griechische, für die lateinische
Sprache gibt es Eloquenz. Für die deutsche Sprache ist eine
Eloquenz etwas ganz Unmögliches, wenn man innerlich auf das
Wesenhafte sieht.
Nun
leben wir aber heute durchaus in einem Übergange. Das kann auch nicht
fortgebraucht werden, was etwa das Redeelement der deutschen Sprache
war. Es muß durchaus versucht werden, aus diesem Redeelement
herauszukommen und in ein anderes Redeelement hineinzukommen. Und das
ist mit die Aufgabe, die in einem gewissen Sinne zu lösen hat,
wer über Anthroposophie oder Dreigliederung heute fruchtbar
reden soll. Denn erst, wenn eine größere Anzahl von
Menschen so zu reden vermag, werden Anthroposophie und Dreigliederung
in der Öffentlichkeit auch in einzelnen Vorträgen richtig
verstanden werden, während nicht wenige sind, die nur ein
Pseudoverständnis und Pseudobekenntnisse entwickeln.
Wenn
wir zurückblicken auf das besondere Element, das in bezug auf das
Reden in den Zeiten vorhanden war, aus denen sich erhalten hat die
Handhabung der Eloquenz, so müssen wir sagen: Da war es so,
daß die Sprache wie herauswuchs aus dem Menschen, in ganz naiver
Weise, wie seine Finger wachsen, wie seine zweiten Zähne
wachsen. Im Nachahmungsprozeß ergab sich das Sprechen, ergab
sich die Sprache mit ihrer ganzen Organisation. Und man kam erst nach
der Sprache zu dem Gebrauch des Denkens.
Und
nun war es so, daß der Mensch, wenn er zu anderen
Menschen unter irgendeiner Aufgabe sprach, darauf zu sehen hatte,
daß das innere Erlebnis, das Gedankenerlebnis gewissermaßen
einschnappte in die Sprache. Die Satzfügung war da. Sie war in
einer gewissen Weise elastisch und dehnbar. Und innerlicher als die
Sprache war das Gedankenelement. Man erlebte das Gedankenelement als
etwas Innerlicheres als die Sprache und ließ es dann
einschnappen in die Sprache, so daß es hineinpaßte,
geradeso wie man in den Marmor hineinpaßt, was man als die Idee
irgendeiner Statue oder dergleichen hat. Es war durchaus ein
künstlerisches Bearbeiten der Sprache. Es hatte sogar die Art
und Weise, wie man auch im Prosaischen zu sprechen hatte, etwas
Ähnliches mit dem, wie man sich im Poetischen auszudrücken
hatte. Rhetorik, Eloquenz hatten Regeln, die gar nicht unähnlich
waren den Regeln des poetischen Ausdruckes. Ich möchte hier,
damit ich nicht mißverstanden werde, einfügen, daß die
Entwickelung der Sprache nicht etwa die Poesie ausschließt. Was
ich jetzt sage, sage ich für ältere Arten des Ausdruckes,
und ich bitte, das nicht so aufzufassen, als wenn ich behaupten
wollte, heute könne es überhaupt nicht mehr Poesie geben.
Wir haben nur nötig, die Sprache in der Poesie anders zu
behandeln. Aber das gehört ja nicht hierher; das mochte ich nur
in Parenthese einfügen, damit ich nicht mißverstanden werde.
Und
wenn wir nun fragen: Wie hatte man also in dieser Zeit zu
sprechen, in welcher der Gedanke, der Empfindungsgehalt in die
Sprache einschnappte? – Man hatte schön zu sprechen! Das
war die erste Aufgabe: schön zu sprechen. Schön sprechen
kann man daher eigentlich auch nur lernen, indem man sich vertieft in
die alte Art zu sprechen. Schön zu sprechen hatte man. Und das
schöne Sprechen ist durchaus eine Gabe, welche der Menschheit
aus dem Oriente zukommt. Man möchte sagen: Schön zu
sprechen hatte man bis dahin, daß man eigentlich als Ideal des
Sprechens angesehen hat das Singen, das Singen der Sprache. Und nur
eine Form dieses Schönsprechens ist das Predigen, wobei manches
abgestreift ist von dem Schönsprechen. Denn das volle
Schönsprechen ist das kultische Sprechen. Gießt sich das
kultische Sprechen in die Predigt aus5 so ist schon manches
abgestreift. Aber immerhin ist die Predigt eine Tochter des
Schönsprechens im Kultus.
Die
zweite Form, die dann insbesondere ja in der deutschen
Sprache und in ähnlichen Sprachen zum Ausdruck gekommen ist, ist
diese, die eigentlich gar nickt bedingt ist, so daß man gar
nicht mehr recht unterscheiden kann zwischen dem Worte und dem
Begreifen, dem Worte und dem Gedankenerlebnis; das Wort ist abstrakt
geworden, so daß es selbst wie eine Art Gedanke sich ausnimmt.
Es ist das Element, wo abgestreift ist das Verständnis für
die Sprache selbst. Es kann nicht mehr einschnappen, weil man das
Einschnappende und dasjenige, in das eingeschnappt werden soll, schon
von vornherein wie Eines empfindet.
Wer
ist sich denn heute im Deutschen zum Beispiel klar, wenn er aufschreibt
«Begriff», daß dies das substantivierte Begreifen ist,
das Be-greifen, das Greifen mit einer Vorsilbe ist also, das Greifen
an etwas ausführen, daß «Begriff» also nichts
anderes ist als das substantivierte gegenständliche Anschauen?
In einer Zeit ist der Begriff «Begriff» gebildet worden,
als man noch eine lebendige Empfindung hatte von dem Ätherleibe,
der die Dinge angreift. So daß man dazumal wirklich den Begriff
des Begriffes bilden konnte, weil das Angreifen mit dem physischen
Leibe eben nur ein Bild ist von dem Angreifen mit dem
Ätherleibe.
Aber,
um in dem Worte Begriff das Begreifen zu hören, dazu gehört
ja, daß man die Sprache als einen eigenen Organismus empfindet. In
dem Elemente des Sprechens, von dem ich jetzt berichte, da schwimmt
ja Sprache und Begriff immer durcheinander, da ist gar nicht jene
scharfe Trennung, die einst im Oriente vorhanden war, wo die Sprache
ein Organismus ist, mehr äußerlich ist, und das, was sich
ausspricht, innerlich lebt. Und einschnappen mußte beim Reden
das innerlich Lebende in die sprachliche Form, und zwar so
einschnappen, daß das innerlich Lebende der Inhalt ist, und das,
worin es einschnappte, die äußere Form. Und dieses
Einschnappen mußte im Sinne des Schönen geschehen, so
daß man also ein wirklicher Sprachkünstler ist, wenn man
reden will.
Das
ist nicht mehr der Fall, wenn man zum Beispiel keine
Empfindung mehr dafür hat, zu unterscheiden zwischen Gehen und
Laufen in bezug auf das Sprachliche als solches. Gehen: zwei e, man
wandelt dahin, ohne daß man sich dabei anstrengt; e ist immer
der Empfindungsausdruck für die geringe Teilnahme, die man hat
an der eigenen Tätigkeit. Wenn man ein au im Worte hat, da ist
diese Teilnahme gesteigert. Beim Laufen kommt es auch zum Schnaufen,
wo derselbe Vokal drinnen ist. Da kommt das Innere in Aufruhr. Da
muß ein Laut da sein, der diese Modifikation des Inneren
andeutet. Aber das alles ist ja heute nicht mehr da; die Sprache ist
abstrakt geworden. Sie ist wie die dahinfließenden Gedanken
selber für das ganze mittlere und namentlich auch für das
westliche Gebiet der Zivilisation.
In
jedem einzelnen Worte ist es möglich, ein Bild, eine Imagination
zu schauen, und in diesem Bilde kann man so leben wie in etwas relativ
Objektivem. Derjenige, der noch in älteren Zeiten der Sprache
gegenübergestanden hat, der wird ebensowenig in die Lage
gekommen sein, die Sprache als etwas zu betrachten, das nicht
objektiv mit ihm verbunden gewesen wäre und in das das
Subjektive sich hineinergossen hätte, wie er niemals aus dem
Auge verloren hat, daß sein Rock etwas Objektives ist und nicht
mit seinem Leibe als eine andere Haut zusammengewachsen ist.
Die zweite Stufe der Sprache dagegen nimmt ja überhaupt
den ganzen Organismus der Sprache wie eine andere Haut der Seele,
während die Sprache vorher viel loser, ich möchte sagen,
wie ein Kleid da war. Ich spreche jetzt von der Stufe der Sprache,
bei der nicht mehr in erster Linie in Betracht kommt, schön zu
sprechen, sondern richtig zu sprechen, bei der es sich nicht um
Rhetorik und Eloquenz, sondern um Logik handelte, in der die
Grammatik selber so weit logisch wurde, daß man ja einfach –
und zwar kommt das seit Aristoteles3 Zeiten langsam herauf –
aus den grammatikalischen Formen die logischen entwickelte, von den
grammatikalischen die logischen abstrahierte. Es ist ja alles da
zusammengeschwommen: Gedanke und Wort. Der Satz ist dasjenige, woran
man das Urteil entwickelt. Aber das Urteil ist ja eigentlich in dem
Satze so gelegen, daß man es nicht mehr innerlich selbständig
erlebt. Richtigsprechen, das ist die Signatur geworden.
Nun
aber sehen wir heute schon ein neues Element des
Sprechens heraufkommen, nur überall am falschen Ort angewendet,
auf ein ganz falsches Gebiet übertragen. Das Schönsprechen
verdankt die Menschheit dem Orient. Das Richtigsprechen liegt im
mittleren Gebiet der Zivilisation. Und nach dem Westen müssen
wir hinschauen, wenn wir das dritte Element suchen.
Aber
in diesem Westen kommt es zunächst ganz korrumpiert herauf. Wie kommt
es herauf? Nun, zunächst ist die Sprache abstrakt geworden. Was
Wortorganismus ist, das ist fast schon Gedankenorganismus. Und im
Westen hat sich das allmählich so gesteigert, daß man es
dort vielleicht sogar für spaßhaft ansehen würde,
solche Dinge noch zu erörtern. Aber es ist schon, auf einem ganz
falschen Gebiete, der Fortschritt durchaus vorhanden.
Sehen
Sie, in Amerika hat sich auf getan gerade im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts eine philosophische Richtung, welche
«Pragmatismus» genannt wird. In England hat man sie dann
«Humanismus» genannt. James ist der Vertreter in Amerika,
Schiller der Vertreter in England. Es sind dann Persönlichkeiten
da, die nun schon daran sind, diese Dinge etwas zu erweitern. So
gebührt das Verdienst, gerade diesen Begriff des Humanismus in
einem sehr schönen Sinne erweitert zu haben, dem neulich hier
anwesend gewesenen Professor Mackenzie.
Worauf
laufen diese Bestrebungen denn hinaus? Ich meine jetzt
den amerikanischen Pragmatismus und den englischen Humanismus. Sie
gehen hervor aus einer vollständigen Skepsis gegenüber der
Erkenntnis: Wahrheit ist etwas, was es eigentlich gar nicht gibt!
Wenn wir zwei Behauptungen aufstellen, so stellen wir sie eigentlich
aus dem Grunde auf, um im Leben Richtpunkte zu haben. Von einem
«Atom» zu sprechen –
man kann nicht irgendeinen besonderen Wahrheitsgrund dafür
aufbringen; aber es ist nützlich, in der Chemie die Atomtheorie
zugrunde zu legen; also stellen wir den Begriff des Atoms auf. Er ist
brauchbar, er ist nützlich. Es gibt keine andere Wahrheit als
eine solche, die in nützlichen, für das Leben brauchbaren
Begriffen lebt. «Gott», ob es ihn gibt oder nicht, darauf
kommt es nicht an. Wahrheit, das ist so irgend etwas, was uns nichts
angeht. Doch es läßt sich nicht gut leben, wenn man nicht
den Begriff «Gott» aufstellt; es läßt sich
wirklich gut leben, wenn man so lebt, als ob es einen Gott gäbe.
Also stellen wir ihn auf, weil es ein für das Leben brauchbarer,
nützlicher Begriff ist. Ob die Erde im Sinne der
Kant-Laplaceschen Theorie begonnen hat und im Sinne der mechanischen
Wärmetheorie enden wird, vom Wahrheitsstandpunkt aus weiß
kein Mensch etwas darüber – ich referiere jetzt bloß
–, aber es ist nützlich für unser Denken, sich den
Anfang der Erde und das Ende der Erde so vorzustellen. Das ist die
pragmatistische Lehre von James und auch im wesentlichen die
humanistische Lehre von Schiller. Schließlich weiß man auch
gar nicht, ob der Mensch nun wirklich, wenn man vom
Wahrheitsstandpunkt ausgeht, eine Seele hat. Darüber kann man
diskutieren bis ans Ende der Welt, ob es eine Seele gibt oder nicht,
aber nützlich ist es, wenn man all das, was der Mensch da im
Leben ausführt, begreifen will, eine Seele anzunehmen.
Natürlich,
es verbreitet sich alles das, was da an einem
Orte heute in unserer Zivilisation auftritt, wiederum über die
anderen Orte. Und für solche Dinge, die instinktiv im Westen
aufgetreten sind, mußte der Deutsche etwas finden, was nun mehr
begrifflich ist, was sich leichter begrifflich durchschauen
läßt. Und daraus entstand die Philosophie des «Als
Ob»: Ob es ein Atom gibt oder nicht, darauf kommt es nicht an;
wir betrachten die Erscheinungen so, «als ob» es ein Atom
gäbe. Ob das Gute sich realisieren kann oder nicht, darüber
kann man nicht entscheiden; wir betrachten das Leben so, «als
ob» das Gute sich realisieren könnte. Ob es einen Gott gibt
oder nicht, darüber könnte man ja bis ans Ende der Welt
streiten; wir betrachten aber das Leben so, daß wir handeln,
«als ob» es einen Gottgäbe. Da haben Sie die «Als
Ob»-Philosophie.
Man
beachtet diese Dinge wenig, weil man sich denkt: Nun ja, da sitzt in
Amerika der James mit seinen Schülern, da sitzt Schiller in England
mit seinen Schülern; da ist der Vaihingery der die Philosophie des
«Als Ob» geschrieben hat: das sind so ein paar Käuze,
die leben so in einer Art Wolkenkuckucksheim, und was geht das die
anderen Menschen an!
Wer
aber das Ohr dafür hat, der hört heute die
«Als Ob»-Philoso-phie schon überall anklingen: Fast
alle Menschen reden im Sinne der «Als Ob»-Philosophie. Die
Philosophen sind nur ganz spaßige Kerle. Die plauschen immer das
aus, was die anderen Menschen unbewußt machen. Wenn man
unbefangen genug dazu ist, so hört man heute nur selten einen
Menschen, der seine Worte noch anders gebraucht, im Zusammenhang mit
seinem Herzen und mit seiner ganzen Seele, mit seinem ganzen Menschen,
der anders spricht, als wie wenn die Sache so wäre, wie er sie
ausdrückt. Man hat nur gewöhnlich nicht das Ohrdafür,
im Klang und in der Farbentönung des Sprechens zu hören,
daß dieses «Als Ob» drinnen lebt, daß im Grunde
genommen die Menschen schon über die ganze Zivilisation hin von
diesem «Als Ob» ergriffen sind.
Aber
so, wie sonst die Dinge am Ende in Korruption kommen,
zeigt sich da etwas korrumpiert am Anfange, was nun gerade in einem
höheren Sinne entwickelt werden muß für die Handhabung
der Rede in Anthroposophie, in Dreigliederung und so weiter. So
ernst, so wichtig sind diese Dinge, daß wir über sie
eigentlich extra reden sollten. Denn es wird sich darum handeln,
daß wir die Trivialität «Wir gebrauchen Begriffe, weil
sie nützlich sind für das Leben», daß wir diese
Trivialität einer materialistischen Utilitätstheorie ins
Ethische hinaufheben und vielleicht durch das Ethische ins
Religiöse. Denn die Aufgabe steht vor uns, wenn wir wirken
wollen im Sinne von Anthroposophie und von Dreigliederung, daß
wir hinzulernen zu dem, was wir aus der Geschichte uns aneignen
können – zu dem Schönsprechen, zu dem Richtigsprechen
–, das Gutsprechen, daß wir ein Ohr erhalten für das
Gutsprechen.
Ich
habe bis jetzt wenig bemerkt, daß es aufgefallen ist, wenn
ich im Verlaufe meiner Vorträge hingewiesen habe –
ich habe es sehr häufig getan – auf dieses in diesem Sinne
Gutsprechen, indem ich immer gesagt habe, es komme heute nicht allein
darauf an, daß dasjenige, was man sagt, im logisch-abstrakten
Sinne richtig ist, sondern es komme darauf an, daß in einem
gewissen Zusammenhang etwas gesagt wird, oder auch unterlassen wird
zu sagen, nicht gesagt wird in diesem Zusammenhange; daß man ein
Gefühl dafür entwickelt, daß etwas nicht nur richtig
sein soll, sondern daß es in seinem Zusammenhang drinnen
gerechtfertigt ist, daß es gut sein kann in einem gewissen
Zusammenhange, oder schlecht sein kann in einem gewissen
Zusammenhange. Wir müssen lernen, über die Rhetorik,
über die Logik hinaus eine wirkliche Ethik des Sprechens. Wir
müssen wissen, wie wir uns in einem gewissen Zusammenhange Dinge
erlauben dürfen, die in einem anderen Zusammenhange gar nicht
gestattet wären.
Da
darf ich jetzt ein naheliegendes Beispiel gebrauchen, das vielleicht
schon einigen von Ihnen, die letzthin bei den Vorträgen anwesend
waren, hat auffallen können: Ich habe in einem gewissen Zusammenhang
davon gesprochen, daß Goethe eigentlich in Wirklichkeit gar nicht
geboren ist. Ich habe davon gesprochen, daß Goethe lange Zeit
sich bemüht hat, malerisch sich auszudrücken, zu zeichnen,
aber daß daraus nichts geworden ist, daß das dann
übergeflossen ist in seine Dichtungen, und daß wiederum in
den Dichtungen, wie zum Beispiel in «Iphigenie» oder
besonders in der «Natürlichen Tochter» ja gar nicht im
schwärmerischen Sinne Dichtungen vorliegen. «Marmorglatt
und marmorkalt», haben die Leute diese Dichtungen Goethes
genannt, weil sie fast bildhauerisch sind, weil sie plastisch sind.
Goethe hatte lauter Fähigkeiten, die eigentlich gar nicht bis
zur Menschwerdung gediehen sind; er ist gar nicht wirklich geboren-
– Sehen Sie, in jenem Zusammenhang, in dem ich das
ausgesprochen habe letzthin, konnte man es ganz gewiß sagen.
Aber denken Sie sich, wenn das einer als eine These für sich im
absoluten Sinne vertreten würde! Es wäre nicht nur
unlogisch; es wäre selbstverständlich ganz verrückt.
Aus dem Lebenszusammenhang heraus sprechen ist etwas anderes, als die
Adäquatheit oder Richtigkeit eines Wortzusammenhanges finden
für den Gedanken- und Empfindungszusammenhang. Heraus entstehen
lassen aus einem lebendigen Zusammenhange an einer bestimmten Stelle
ein Diktum oder dergleichen, das ist dasjenige, was
hinüberführt von der Schönheit, von der Richtigkeit zu
dem Ethos der Sprache, wobei man empfindet, wenn man einen Satz
ausspricht, ob man ihn aussprechen darf oder nicht aussprechen darf
in dem ganzen Zusammenhange. Da gibt es wiederum, aber jetzt ein
verinnerlichtes Zusammenwachsen, jetzt nicht mit der Sprache, sondern
mit der Rede. Das ist es, was ich das Gutsprechen oder
Schlechtsprechen nennen möchte; die dritte Form. Neben dem
Schön- und Häßlichsprechen, neben dem Richtig- oder
Unrichtigsprechen kommt das Gut- oder Schlechtsprechen in dem Sinne,
wie ich das jetzt dargestellt habe.
Es
ist heute noch vielfach die Ansicht verbreitet, es
gäbe Sätze, die man formt und die man dann bei jeder
Gelegenheit sprechen könne, weil sie absolut gelten. Solche
Sätze gibt es nämlich in Wirklichkeit für unser Leben
in der Gegenwart nicht mehr, sondern jeder Satz, der in einem
gewissen Zusammenhang möglich ist, ist für einen
anderen Zusammenhang heute schon unmöglich. Das heißt, wir
sind in eine Epoche der Menschheitsentwickelung eingetreten, wo wir
nötig haben, auf diese Vielseitigkeit des Erlebens unser
Augenmerk zu lenken.
Der
Orientale, der mit seinem ganzen Denken in einem kleinen Territorium
lebte, auch noch der Grieche, der mit seinem Geistesleben, mit seinem
Rechtsleben, mit seinem Wirtschaftsleben auf einem kleinen
Territorium lebte, der goß auch in seine Sprache etwas hinein,
was so aussieht, wie ein sprachliches Kunstwerk aussehen muß.
Wie ist es denn bei einem Kunstwerk? So ist es, daß in einem
einzelnen geschlossenen Objekte eigentlich ein Unendliches erscheint
auf einem bestimmten Gebiete. So ist sogar, wenn auch einseitig, das
Schöne definiert worden von Hegely von Hartmann und anderen: Es
ist die Erscheinung der Idee in einem abgeschlossenen Formgebilde. Es
ist das erste, wogegen ich mich wenden mußte in meinem Wiener
Vortrag «Goethe als Vater einer neuen Ästhetik»,
daß das Schöne «die Erscheinung der Idee in der
äußeren Form» sei, indem ich zeigte, daß man
gerade das Umgekehrte meinen müsse: daß das Schöne
entsteht, wenn man der Form den Schein des Unendlichen gibt.
Und
so ist es mit der Sprache, die gewissermaßen auch als begrenztes
Territorium auftritt, als Territorium, welches die mögliche Bedeutung
in Grenzen einschließt: wenn in diese Sprache einschnappen muß
dasjenige, was eigentlich an innerem Seelen- und Geistesleben unendlich
ist. Da muß es in schöner Form zum Ausdrucke kommen.
Beim
Richtigsprechen, da muß es adäquat sein, da muß der
Satz zum Urteil, der Begriff zum Wort passen. Dazu waren die
Römer genötigt, ganz besonders als ihr Territorium immer
größer und größer wurde: da formte sich ihre
Sprache um aus dem Schönen ins Logische, daher dann die Sitte
beibehalten worden ist, gerade in der lateinischen Sprache den Leuten
Logik beizubringen. Sie haben es ja auch daran ganz gut gelernt.
Aber
nun sind wir wiederum über dieses Stadium hinaus.
Nun ist es notwendig, daß wir die Sprache empfinden lernen mit
Ethos, daß wir gewissermaßen eine Art Moralität des
Sprechens in unsere Rede hinein gewinnen, indem wir wissen, wir haben
uns in einem gewissen Zusammenhange etwas zu gestatten oder etwas zu
versagen. Daschnappt die Sache nicht ein in der Weise, wie ich es
früher geschildert habe, sondern da verwenden wir, indem wir das
Wort gebrauchen, dieses Wort, um zu charakterisieren. Da hört alles
Definieren auf; da wird das Wort verwendet, um zu charakterisieren. Da
wird das Wort so gehandhabt, daß man eigentlich jedes Wort als etwas
Ungenügendes empfindet, jeden Satz als etwas Ungenügendes
empfindet, und den Drang hat, dasjenige, was man hinstellen will vor
die Menschheit, von den verschiedensten Seiten her zu
charakterisieren, gewissermaßen um die Sache herumzugehen und
sie von den verschiedensten Seiten zu charakterisieren. Ich habe oft
betont, daß das die Darstellungsweise der Anthroposophie sein
muß. Ich habe es oft betont, daß man ja nicht glauben
solle, man könne das adäquate Wort, den adäquaten Satz
finden, sondern man kann sich nur so verhalten wie der Photograph,
der, um einen Baum zu zeigen, wenigstens vier Aspekte nimmt. Also
heraufgehoben werden muß eine Anschauung, die sich in einer
abstrakten, trivialen Philosophie als «Pragmatismus» und
«Humanismus» auslebt, herauf gehoben muß sie werden
ins Gebiet des Ethischen. Und dann muß sie sich zuerst ausleben
im Ethos der Sprache: Wir müssen gut sprechen lernen. Das
heißt, wir müssen für das Sprechen etwas erleben von
alldem, was wir sonst erleben in bezug auf die Ethik, die Sittenlehre.
Und
im Grunde genommen ist ja die Sache in der neueren Zeit
recht anschaulich geworden. Da haben wir im Sprechen der Theosophen
eine einfach schon durch die Sprache bedingte Altertümlichkeit,
nämlich altertümlich in bezug auf die letzten Jahrhunderte
materialistischer Färbung: «physischer Leib» –
nun, er ist dick; «Ätherleib» – er ist
dünner, nebelhaft; «astralischer Leib» –
wiederum dünner, aber eben doch nur dünner; «Ich»
– noch dünner. Nun kommen ja immerfort und immerfort neue
Glieder der menschlichen Wesenheit: das wird immer dünner. Man
weiß zuletzt schon gar nicht mehr, wie man zu dieser
Dünnheit noch kommen kann, aber jedenfalls wird es nur immer
dünner und dünner. Man kommt aus dem Materialismus nicht
heraus. Das ist ja auch das Kennzeichen dieser theosophischen
Literatur. Und das ist immer das Kennzeichen, was da auftritt, wenn
über diese Dinge gesprochen werden soll} von dem theoretischen
Sprechen bis zu dem, was ich einmal innerhalb der Theosophischen
Gesellschaft in Paris erlebt habe, ich glaube, es war 1906. Da wollte
eine Dame, die eine richtige kernfeste Theosophin war,
ausdrücken, wie gut ihr einzelne Reden gefallen haben, die in
dem Saal, wo wir waren, gesprochen worden sind; und da sagte sie: Es
sind so gute Vibrationen da! – Und man merkte ihr an:
eigentlich war dieses gemeint wie etwas, das man schnüffelt.
Also die Düfte, die da zurückgeblieben waren von den Reden
und die man so etwas erschnüffeln konnte, die waren eigentlich
gemeint.
Wir
müssen lernen, die Sprache loszureißen von der Adäquatheit.
Denn sie kann adäquat sein nur dem Materiellen. Wollen wir sie
für das Spirituelle verwenden im Sinne der heutigen
Entwickelungsepoche der Menschheit, dann müssen wir sie
freibekommen. Dann muß Freiheit in das Handhaben der Sprache
hineinkommen. Und wenn man diese Dinge nicht abstrakt, sondern
lebensvoll nimmt, so ist das erste, wo hineinkommen muß
Philosophie der Freiheit in das Sprechen, in die Handhabung der
Sprache. Denn das hat man nötig, sonst wird man nicht den
Übergang finden zum Beispiel zu der Charakteristik des freien
Geisteslebens.
Sehen
Sie, für freies Geistesleben, das heißt
Geistesleben, das aus seinen eigenen Gesetzen heraus da ist, es ist
noch nicht sehr viel Verständnis in der gegenwärtigen
Menschheit dafür vorhanden. Denn meistens versteht man unter
freiem Geistesleben ein Gebilde, in dem Menschen leben, von denen
jeder nach seinem eigenen Kikeriki kräht, wo jeder Hahn –
verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild – auf seinem
eigenen Misthaufen kräht, und wo dann die unglaublichsten
Zusammenklänge aus diesem Krähen Zustandekommen. In
Wirklichkeit kommt beim freien Geistesleben nämlich durchaus
Harmonie zustande, weil der Geist lebt, nicht die einzelnen Egoisten,
weil der Geist wirklich über die einzelnen Egoisten hinüber
ein eigenes Leben führen kann.
Es
ist zum Beispiel – man muß diese Dinge schon heute sagen –
für unsere Waldorfschule in Stuttgart durchaus ein Waldorfschulgeist
da, der unabhängig ist von der Lehrerschaft, in den die Lehrerschaft
sich hineinlebt, und in dem es immer mehr und mehr klar wird, daß
unter Umständen der eine fähiger oder unfähiger sein kann
– der Geist aber hat ein eigenes Leben.
Es ist eine
Abstraktion, von der sich heute noch die Menschen eine Vorstellung
machen, wenn sie von «freiem Geist» sprechen. Das ist ja
gar keine Wirklichkeit. Der freie Geist ist etwas, was wirklich lebt
unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen,
und was wirkt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein
kommen lassen.
Was
ich heute zu Ihnen gesprochen habe, habe ich im Grunde
auch nur gesprochen, um das, was wir hier profitieren sollen, von
prinzipiellen Empfindungen ausgehen zu lassen, also von der
Empfindung des Ernstes der Sache. Ich kann natürlich nicht
meinen, daß jetzt alle gleich hinausgehen und so, wie die Alten
schön gesprochen haben, die Mittleren richtig, nun alle gut
sprechen werden! Aber Sie können deshalb auch nicht einwenden:
Was helfen uns denn dann unsere ganzen Vorträge, wenn wir ja
doch nicht gleich gut sprechen können? –
Sondern es handelt sich darum, daß wir wirklich die Empfindung
bekommen von dem Ernst der Lage, in die wir uns dadurch hineinleben
sollen, daß wir wissen: Was da gewollt wird, ist etwas in sich
so organisch Ganzes, daß sich selbst in der Sprache nach und
nach ausdrücken muß eine Notwendigkeit der Form, wie sich
in dem Ohrläppchen eine Notwendigkeit der Form ausdrückt,
wie das nicht anders sein kann, je nachdem der ganze Mensch ist.
So
werde ich versuchen, dann noch näher zusammenzubringen, was nun bei
uns Inhalt von Anthroposophie und Dreigliederung ist, mit der Art, wie es
an die Menschen herangebracht werden soll. Und ich werde aus dem
Prinzipiellen in das Konkrete und in dasjenige, was dem Praktizieren
zugrunde liegen soll, immer mehr und mehr hereinkommen.
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