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Anthroposophie, soziale Dreigliederung und Redekunst

Schmidt-Nummer: S-4630

Online seit: 30th April, 2010

ZWEITER VORTRAG

Dornach, 12. Oktober 1921


Wenn wir heute darangehen, zu sprechen über Anthroposophie und die Dreigliederungsbewegung mit ihren verschiedenen Konsequenzen – die ja aus Anthroposophie heraus entspringt und im Grunde aus ihr heraus gedacht werden muß –, dann müssen wir uns vor allen Dingen vor die Seele halten, daß es schwer ist, verstanden zu werden. Und ohne diese Empfindung, daß es schwer ist, verstanden zu werden, werden wir wohl kaum in einer uns befriedigenden Art zurechtkommen können als Redner für anthroposophisch Geisteswissenschaftliches und alles, was damit zusammenhängt. Denn wenn sachgemäß über Anthroposophie gesprochen werden soll, muß eigentlich durchaus anders gesprochen werden, als man nach den Traditionen des Sprechens gewohnt ist, über Dinge überhaupt zu sprechen. Man hat sich ja vielfach gewöhnt, auch über anthroposophische Dinge so zu sprechen, wie man eben gewohnt worden ist zu sprechen, namentlich in der Zeit des Materialismus. Aber dadurch verbaut man eher das Verständnis für Anthroposophie, als daß man zu ihr den Zugang eröffnete.

Wir werden uns zunächst einmal nur das Inhaltliche, das Stoffliche gewissermaßen ganz klarmachen müssen, das uns mit Anthroposophie und ihren Konsequenzen entgegentritt. Und ich werde es ja hier in diesen Vorträgen, wie ich schon gestern sagte, durchaus zu tun haben mit einem Anwenden des Rednerischen gerade nur in anthroposophischen und dazugehörigen Dingen, so daß, was ich zu sagen habe, eben nur dafür gilt.

Wir müssen uns nun klarmachen, daß zunächst für, sagen wir, die Hauptsache der Dreigliederung das Gefühl ja erst rege gemacht werden muß in unserer gegenwärtigen Menschheit. Es muß im Grunde genommen vorausgesetzt werden, daß ein gegenwärtiges Publikum zunächst mit dem Begriff der Dreigliederung nichts rechtes anzufangen weiß, und unser Sprechen muß langsam dazu führen, dem Publikum erst eine Empfindung von dieser Dreigliederung beizubringen.

Man ist ja gewohnt worden in der Zeit, in welcher der Materialismus geherrscht hat, rednerisch die Dinge der Außenwelt in beschreibender Art vorzubringen. Da hatte man in der Außenwelt selber eine Art von Anleitung- Und außerdem war das Objekt der Außenwelt, ich möchte sagen, zu feststehend, als daß man nicht geglaubt hätte, wie man rede über die Dinge der Außenwelt, das sei schließlich gleichgültig, wenn man nur den Menschen zur Anschauung dieser Außenwelt eine Anleitung auf den Weg gebe. Nun, und schließlich ist es ja auch so: Wenn man irgendwo, sagen wir, einen populären Experimen-talvortrag hält und dabei den Leuten vorführt, wie dieser oder jener Stoff in der Retorte reagiert, dann sehen sie, wie dieser Stoff in der Retorte reagiert, und ob man da nun so oder so redet – ein bißchen besser, ein bißchen weniger gut, ein bißchen sachgemäßer, ein bißchen unsachgemäßer –, macht ja schließlich nichts aus. Und nach und nach ist es schon ein wenig so geworden, daß solche Vorträge und solche Reden besucht werden, damit man dasjenige sieht, was experimentiert wird, und was da noch gesprochen wird, das nimmt man eben wie eine Art mehr oder weniger angenehmen oder unangenehmen Nebengeräusches mit. Man muß diese Dinge etwas radikal aussprechen, damit man gerade in die richtige Richtung weist, in der sich die Zivilisation in bezug auf diese Dinge bewegt. Und wenn es sich dann um dasjenige handelt, was man in den Leuten für das Tun, für das Wollen anregen will, da meint man, man müsse vor die Leute eben Ideale hinstellen, da müßten sie sich gewöhnen, Ideale aufzufassen, und da gleitet man dann nach und nach immer mehr ins Utopistische hinüber, wenn es sich um so etwas handelt wie zum Beispiel die Dinge der Dreigliederung des sozialen Organismus.

So ist es ja auch in vieler Beziehung gekommen: Viele Menschen, die heute über die Dreigliederung reden, rufen durchaus die Meinung hervor – durch die Art, wie sie reden –, daß es sich um irgendeine Utopie handle, um irgend etwas, was man anstreben solle. Und da man immer die Meinung hat, dasjenige, was angestrebt werden soll, das müsse meistens erst kommen können in fünfzig, in hundert Jahren – oder manche dehnen die Zeit noch länger aus –, so gestattet man sich dann auch, ganz unbewußt, über die Dinge so zu reden, als wenn sie eben erst in hundert oder fünfzig Jahren reif wären, heranzukommen. Man gleitet sehr bald von der Wirklichkeit ab und redet dann darüber: Wie wird ein Krämerladen eingerichtet sein beim dreigliedrigen sozialen Organismus? Wie wird das Verhältnis des einzelnen Menschen zur Nähmaschine sein im dreigliedrigen sozialen Organismus?-und so weiter. Diese Fragen werden ja wirklich in Fülle gestellt gegenüber einer Bestrebung, wie die zur Dreigliederung des sozialen Organismus eine ist. Gegenüber einer solchen Bestrebung, die mit allen ihren Wurzeln aus der Wirklichkeit herauskommt, sollte man durchaus nicht in dieser Weise utopistisch reden. Denn mindestens dieses Gefühl sollte man immer hervorrufen, daß ja die Dreigliederung des sozialen Organismus nichts ist, was man machen kann, machen kann in dem Sinne, wie man in irgendeinem Parlamente von der Art, wie zum Beispiel die Weimarische Nationalversammlung eines war, Staatsverfassungen macht. Die macht man! Aber in demselben Sinne kann man nicht sprechen vom Machen des dreigliedrigen sozialen Organismus.

Ebensowenig kann man davon sprechen, daß man organisieren soll, damit die Dreigliederung herauskäme. Was ein Organismus ist, das organisiert man eben nicht; das wächst. Es ist ja gerade das Wesen des Organismus, daß man ihn nicht zu organisieren hat, daß er sich selbst organisiert. Was man organisieren kann, ist kein Organismus. Mit diesen Empfindungen müssen wir von vornherein an die Dinge herangehen, sonst werden wir nicht die Möglichkeit des sachgemäßen Ausdrucks finden können.

Die Dreigliederung ist etwas, das ja einfach aus dem natürlichen Zusammenleben der Menschen folgt. Man kann dieses natürliche Zusammenleben der Menschen fälschen, indem man, wie es zum Beispiel in der neueren Geschichte der Fall gewesen ist, die Eigentümlichkeiten des einen Gliedes, des rechtlich-staatlichen Gliedes, auf die beiden anderen ausdehnt. Dann werden einfach diese beiden anderen Glieder korrumpiert, weil sie nicht gedeihen können, so wie jemand nicht gedeihen kann, wenn man ihm ein ungeeignetes Gewand anzieht, das ihm zu schwer ist oder dergleichen.

Im natürlichen Zusammenhang der Menschen lebt die Dreigliederung des sozialen Organismus, lebt das selbständige Geistesleben, lebt das Rechts- oder Staatsleben, das auf die Mündigkeit der Menschen gestellt ist, lebt auch das nur aus sich heraus sich gestaltende Wirtschaftsleben. Man kann dem Geistesleben und kann dem Wirtschaftsleben Zwangsjacken anlegen, obwohl man es nicht nötig hat; aber dann macht sich fortwährend ihr Eigenleben geltend, und was wir dann im Äußeren erleben, ist eben das Sich-geltend-Machen des Eigenlebens. Es ist also notwendig, aus der Natur des Menschen und aus der Natur des sozialen Zusammenlebens die Selbstverständlichkeit der Dreigliederung des sozialen Organismus zu zeigen. Sehen wir doch, wie in Europa das Geistesleben durchaus selbständig und frei war bis zum 13., 14. Jahrhundert, wo man das, was freies, selbständiges Geistesleben war, zuerst in die Universitäten hineingeschoben hat. Sie finden gerade in dieser Zeit die Begründung der Universitäten, und die Universitäten schlüpften dann nach und nach wiederum in das Staatsleben hinein. So daß man sagen kann: Etwa vom 13. bis zum 16., 17. Jahrhundert schlüpfen die Universitäten in das Staatsleben hinein, und mit den Universitäten, ohne daß es ja eigentlich die Leute bemerkt haben, auch die übrigen Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Sie sind ihnen einfach nachgefolgt. Das haben wir auf der einen Seite.

Und auf der anderen Seite haben wir ungefähr bis zu demselben Zeitalter das freie wirtschaftliche Walten, das seinen eigentlichen mitteleuropäischen Ausdruck gefunden hat in den freien wirtschaftlichen Dorfgemeinschaften. Und wie das freie Geistesleben hineingeschlüpft ist in die Universitäten, die zuerst lokalisiert sind und die dann unterschlüpfen unter den Staat, so bekommt dasjenige, was wirtschaftliche Organisation ist, zuerst eine gewisse Verwaltung im rechtlichen Sinn, indem die Städte immer mehr und mehr auftauchen und die Städte nun dieses wirtschaftliche Leben zunächst organisieren, während es früher gewachsen ist, als die Dorfgemeinden tonangebend waren. Und dann sehen wir, wie nun auch immer wieder mehr und mehr dasjenige, was in den Städten zentralisiert war, unterkriecht in die größeren Territorien der Staaten. Wir sehen also, wie die Tendenz der neueren Zeit darauf hinausgeht, auf der einen Seite das Geistesleben, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben unterkriechen zu lassen in die Staaten, die immer mehr und mehr den Charakter der nach römischem Rechte konstituierten Gebiete annehmen. Das war eigentlich die Entwickelung in der neueren Zeit.

Und an dem Punkte der geschichtlichen Entwickelung sind wir angelangt, wo es so nicht mehr weitergeht, wo sich wiederum ein Herz und ein Sinn entwickeln muß für freies Geistesleben, weil einfach der Geist nicht fortschreitet, wenn er in der Zwangsjacke ist, weil er nur scheinbar fortschreitet, in Wahrheit aber dennoch zurückbleibt, niemals wirkliche Geburten, sondern höchstens Renaissancen feiern kann. Und ebenso ist es mit dem Wirtschaftsleben. Wir stehen eben heute einfach in dem Zeitalter, wo wir die Bewegung, die sich gerade in der zivilisierten Welt Europas mit ihrem amerikanischen Anhange entwik-kelt hat, unbedingt rückgängig machen müssen, wo die entgegengesetzte Richtung einsetzen muß. Denn dasjenige, was eine Zeitlang sich fortentwickelt hat, muß an einem Punkt ankommen, wo etwas Neues einsetzen muß. Sonst kommt man in die Gefahr, es ebenso zu machen, wie man es machen würde, wenn eine Pflanze wachsen sollte und man sagen würde, man läßt sie nicht zum Keimen kommen, sondern sie soll weiter wachsen, sie soll immer weiter, weiter blühen. Nicht wahr, so würde sie wachsen: eine Blüte hervorbringen; jetzt keinen Keim, sondern wieder eine Blüte, wieder eine Blüte und so fort. Es ist also durchaus notwendig, daß man sich in diese Dinge ganz innerlich hineinfindet, und daß man ein Gefühl entwickelt für den historischen Wendepunkt, auf dem wir heute stehen.

Aber geradeso wie in einem Organismus jede Einzelheit notwendig so geformt ist, wie sie eben geformt ist, so ist in der Welt, in der wir leben und an der wir mitgestalten, alles so zu formen, wie es im Sinne des Ganzen an seinem Orte geformt werden muß. Sie können sich nicht denken, wenn Sie real denken, daß Ihr Ohrläppchen auch nur im allergeringsten anders geformt wäre, als es eben ist in Gemäßheit Ihres ganzen Organismus. Wäre Ihr Ohrläppchen nur ein bißchen anders geformt, dann müßten Sie auch eine ganz andere Nase, Sie müßten andere Fingerspitzen haben und so weiter. Und so muß auch die Rede, in die sich etwas ergießt, was wirklich neue Formen annimmt, durchaus – so wie das Ohrläppchen im Sinne des ganzen Menschen geformt ist – im Sinne der ganzen Sache gehalten sein.

Sie kann nicht gehalten sein in der Art, die man lernen kann etwa von der Predigtrede. Denn die Predigtrede, wie wir sie heute noch immer haben, beruht auf der Tradition, die eigentlich zurückgeht bis in den alten Orient; und sie beruht ja auf einer besonderen Stellung, welche der ganze Mensch im alten Orient zu der Sprache hatte. Diese Eigentümlichkeit ist dann fortgesetzt worden, so daß sie lebte in einer gewissen freien Weise in Griechenland, lebte in Rom und heute ihr letztes Aufflackern am deutlichsten zeigt in dem besonderen Verhältnis, das der Franzose zu seiner Sprache hat. Nicht als ob ich damit sagen wollte, daß jeder Franzose predigt, wenn er spricht, aber ein ähnliches Verhältnis, wie es sich aus dem orientalischen Verhältnis zur Sprache entwickeln mußte, lebt durchaus noch in der französischen Handhabung der Sprache weiter fort, nur eben durchaus in abschüssiger Bewegung.

Dieses Element, zu dem wir da hinschauen können in bezug auf das Sprachliche, das ist zum Ausdrucke gekommen, als man das Reden noch etwa so lernte, wie man es dann später, aber schon im Verfallsstadium, lernen konnte von den Professoren, die eigentlich durchaus wie Mumien aus alten Zeiten weiterlebten, und die den Titel trugen «Professor für Eloquenz». Es war in früheren Zeiten fast an jeder Universität, an jeder Schule, auch an den Seminarien und so weiter, solch ein Professor für Eloquenz, für Rhetorik. Der berühmte Curtius in Berlin führte eigentlich offiziell noch den Titel «Professor für Eloquenz». Aber die Geschichte ist ihm zu dumm geworden und er hat nicht Eloquenz vorgetragen, sondern hat sich als Professor für Eloquenz nur dadurch gezeigt, daß er vom Professorenkollegium immer ausgeschickt worden ist bei festlichen Gelegenheiten, weil das immer die Aufgabe des Professors für Eloquenz war. Da hat es sich Curtius allerdings sehr angelegen sein lassen, seine Aufgabe für solche festlichen Gelegenheiten dadurch zu lösen, daß er die alten Regeln der Eloquenz möglichst wenig berücksichtigt hat. Im übrigen war es ihm zu dumm, Professor der Eloquenz zu sein in Zeiten, in die eben Professoren der Eloquenz nicht mehr hineinpassen, und er hat Kunstgeschichte, griechische Kunstgeschichte vorgetragen. Aber im Universitätsverzeichnis war er angeführt als «Professor der Eloquenz». Das weist uns zurück auf ein Element, das im Reden in den alten Zeiten durchaus vorhanden war.

Nun, wenn wir etwas, was ganz besonders charakteristisch ist, die Ausbildung des Redens für die mitteleuropäischen Sprachen, also für das Deutsche etwa, nehmen, so hat ja alles, was man im ursprünglichen Sinne mit dem Wort Eloquenz bezeichnen kann, nicht den allergeringsten Sinn. Denn in diese Sprachen ist schon etwas eingeflossen, was durchaus anders ist als dasjenige, was dem Reden in den Zeiten eigen war, wo man die Eloquenz ernst nehmen mußte. Für die griechische, für die lateinische Sprache gibt es Eloquenz. Für die deutsche Sprache ist eine Eloquenz etwas ganz Unmögliches, wenn man innerlich auf das Wesenhafte sieht.

Nun leben wir aber heute durchaus in einem Übergange. Das kann auch nicht fortgebraucht werden, was etwa das Redeelement der deutschen Sprache war. Es muß durchaus versucht werden, aus diesem Redeelement herauszukommen und in ein anderes Redeelement hineinzukommen. Und das ist mit die Aufgabe, die in einem gewissen Sinne zu lösen hat, wer über Anthroposophie oder Dreigliederung heute fruchtbar reden soll. Denn erst, wenn eine größere Anzahl von Menschen so zu reden vermag, werden Anthroposophie und Dreigliederung in der Öffentlichkeit auch in einzelnen Vorträgen richtig verstanden werden, während nicht wenige sind, die nur ein Pseudoverständnis und Pseudobekenntnisse entwickeln.

Wenn wir zurückblicken auf das besondere Element, das in bezug auf das Reden in den Zeiten vorhanden war, aus denen sich erhalten hat die Handhabung der Eloquenz, so müssen wir sagen: Da war es so, daß die Sprache wie herauswuchs aus dem Menschen, in ganz naiver Weise, wie seine Finger wachsen, wie seine zweiten Zähne wachsen. Im Nachahmungsprozeß ergab sich das Sprechen, ergab sich die Sprache mit ihrer ganzen Organisation. Und man kam erst nach der Sprache zu dem Gebrauch des Denkens.

Und nun war es so, daß der Mensch, wenn er zu anderen Menschen unter irgendeiner Aufgabe sprach, darauf zu sehen hatte, daß das innere Erlebnis, das Gedankenerlebnis gewissermaßen einschnappte in die Sprache. Die Satzfügung war da. Sie war in einer gewissen Weise elastisch und dehnbar. Und innerlicher als die Sprache war das Gedankenelement. Man erlebte das Gedankenelement als etwas Innerlicheres als die Sprache und ließ es dann einschnappen in die Sprache, so daß es hineinpaßte, geradeso wie man in den Marmor hineinpaßt, was man als die Idee irgendeiner Statue oder dergleichen hat. Es war durchaus ein künstlerisches Bearbeiten der Sprache. Es hatte sogar die Art und Weise, wie man auch im Prosaischen zu sprechen hatte, etwas Ähnliches mit dem, wie man sich im Poetischen auszudrücken hatte. Rhetorik, Eloquenz hatten Regeln, die gar nicht unähnlich waren den Regeln des poetischen Ausdruckes. Ich möchte hier, damit ich nicht mißverstanden werde, einfügen, daß die Entwickelung der Sprache nicht etwa die Poesie ausschließt. Was ich jetzt sage, sage ich für ältere Arten des Ausdruckes, und ich bitte, das nicht so aufzufassen, als wenn ich behaupten wollte, heute könne es überhaupt nicht mehr Poesie geben. Wir haben nur nötig, die Sprache in der Poesie anders zu behandeln. Aber das gehört ja nicht hierher; das mochte ich nur in Parenthese einfügen, damit ich nicht mißverstanden werde.

Und wenn wir nun fragen: Wie hatte man also in dieser Zeit zu sprechen, in welcher der Gedanke, der Empfindungsgehalt in die Sprache einschnappte? – Man hatte schön zu sprechen! Das war die erste Aufgabe: schön zu sprechen. Schön sprechen kann man daher eigentlich auch nur lernen, indem man sich vertieft in die alte Art zu sprechen. Schön zu sprechen hatte man. Und das schöne Sprechen ist durchaus eine Gabe, welche der Menschheit aus dem Oriente zukommt. Man möchte sagen: Schön zu sprechen hatte man bis dahin, daß man eigentlich als Ideal des Sprechens angesehen hat das Singen, das Singen der Sprache. Und nur eine Form dieses Schönsprechens ist das Predigen, wobei manches abgestreift ist von dem Schönsprechen. Denn das volle Schönsprechen ist das kultische Sprechen. Gießt sich das kultische Sprechen in die Predigt aus5 so ist schon manches abgestreift. Aber immerhin ist die Predigt eine Tochter des Schönsprechens im Kultus.

Die zweite Form, die dann insbesondere ja in der deutschen Sprache und in ähnlichen Sprachen zum Ausdruck gekommen ist, ist diese, die eigentlich gar nickt bedingt ist, so daß man gar nicht mehr recht unterscheiden kann zwischen dem Worte und dem Begreifen, dem Worte und dem Gedankenerlebnis; das Wort ist abstrakt geworden, so daß es selbst wie eine Art Gedanke sich ausnimmt. Es ist das Element, wo abgestreift ist das Verständnis für die Sprache selbst. Es kann nicht mehr einschnappen, weil man das Einschnappende und dasjenige, in das eingeschnappt werden soll, schon von vornherein wie Eines empfindet.

Wer ist sich denn heute im Deutschen zum Beispiel klar, wenn er aufschreibt «Begriff», daß dies das substantivierte Begreifen ist, das Be-greifen, das Greifen mit einer Vorsilbe ist also, das Greifen an etwas ausführen, daß «Begriff» also nichts anderes ist als das substantivierte gegenständliche Anschauen? In einer Zeit ist der Begriff «Begriff» gebildet worden, als man noch eine lebendige Empfindung hatte von dem Ätherleibe, der die Dinge angreift. So daß man dazumal wirklich den Begriff des Begriffes bilden konnte, weil das Angreifen mit dem physischen Leibe eben nur ein Bild ist von dem Angreifen mit dem Ätherleibe.

Aber, um in dem Worte Begriff das Begreifen zu hören, dazu gehört ja, daß man die Sprache als einen eigenen Organismus empfindet. In dem Elemente des Sprechens, von dem ich jetzt berichte, da schwimmt ja Sprache und Begriff immer durcheinander, da ist gar nicht jene scharfe Trennung, die einst im Oriente vorhanden war, wo die Sprache ein Organismus ist, mehr äußerlich ist, und das, was sich ausspricht, innerlich lebt. Und einschnappen mußte beim Reden das innerlich Lebende in die sprachliche Form, und zwar so einschnappen, daß das innerlich Lebende der Inhalt ist, und das, worin es einschnappte, die äußere Form. Und dieses Einschnappen mußte im Sinne des Schönen geschehen, so daß man also ein wirklicher Sprachkünstler ist, wenn man reden will.

Das ist nicht mehr der Fall, wenn man zum Beispiel keine Empfindung mehr dafür hat, zu unterscheiden zwischen Gehen und Laufen in bezug auf das Sprachliche als solches. Gehen: zwei e, man wandelt dahin, ohne daß man sich dabei anstrengt; e ist immer der Empfindungsausdruck für die geringe Teilnahme, die man hat an der eigenen Tätigkeit. Wenn man ein au im Worte hat, da ist diese Teilnahme gesteigert. Beim Laufen kommt es auch zum Schnaufen, wo derselbe Vokal drinnen ist. Da kommt das Innere in Aufruhr. Da muß ein Laut da sein, der diese Modifikation des Inneren andeutet. Aber das alles ist ja heute nicht mehr da; die Sprache ist abstrakt geworden. Sie ist wie die dahinfließenden Gedanken selber für das ganze mittlere und namentlich auch für das westliche Gebiet der Zivilisation.

In jedem einzelnen Worte ist es möglich, ein Bild, eine Imagination zu schauen, und in diesem Bilde kann man so leben wie in etwas relativ Objektivem. Derjenige, der noch in älteren Zeiten der Sprache gegenübergestanden hat, der wird ebensowenig in die Lage gekommen sein, die Sprache als etwas zu betrachten, das nicht objektiv mit ihm verbunden gewesen wäre und in das das Subjektive sich hineinergossen hätte, wie er niemals aus dem Auge verloren hat, daß sein Rock etwas Objektives ist und nicht mit seinem Leibe als eine andere Haut zusammengewachsen ist.

Die zweite Stufe der Sprache dagegen nimmt ja überhaupt den ganzen Organismus der Sprache wie eine andere Haut der Seele, während die Sprache vorher viel loser, ich möchte sagen, wie ein Kleid da war. Ich spreche jetzt von der Stufe der Sprache, bei der nicht mehr in erster Linie in Betracht kommt, schön zu sprechen, sondern richtig zu sprechen, bei der es sich nicht um Rhetorik und Eloquenz, sondern um Logik handelte, in der die Grammatik selber so weit logisch wurde, daß man ja einfach – und zwar kommt das seit Aristoteles3 Zeiten langsam herauf – aus den grammatikalischen Formen die logischen entwickelte, von den grammatikalischen die logischen abstrahierte. Es ist ja alles da zusammengeschwommen: Gedanke und Wort. Der Satz ist dasjenige, woran man das Urteil entwickelt. Aber das Urteil ist ja eigentlich in dem Satze so gelegen, daß man es nicht mehr innerlich selbständig erlebt. Richtigsprechen, das ist die Signatur geworden.

Nun aber sehen wir heute schon ein neues Element des Sprechens heraufkommen, nur überall am falschen Ort angewendet, auf ein ganz falsches Gebiet übertragen. Das Schönsprechen verdankt die Menschheit dem Orient. Das Richtigsprechen liegt im mittleren Gebiet der Zivilisation. Und nach dem Westen müssen wir hinschauen, wenn wir das dritte Element suchen.

Aber in diesem Westen kommt es zunächst ganz korrumpiert herauf. Wie kommt es herauf? Nun, zunächst ist die Sprache abstrakt geworden. Was Wortorganismus ist, das ist fast schon Gedankenorganismus. Und im Westen hat sich das allmählich so gesteigert, daß man es dort vielleicht sogar für spaßhaft ansehen würde, solche Dinge noch zu erörtern. Aber es ist schon, auf einem ganz falschen Gebiete, der Fortschritt durchaus vorhanden.

Sehen Sie, in Amerika hat sich auf getan gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine philosophische Richtung, welche «Pragmatismus» genannt wird. In England hat man sie dann «Humanismus» genannt. James ist der Vertreter in Amerika, Schiller der Vertreter in England. Es sind dann Persönlichkeiten da, die nun schon daran sind, diese Dinge etwas zu erweitern. So gebührt das Verdienst, gerade diesen Begriff des Humanismus in einem sehr schönen Sinne erweitert zu haben, dem neulich hier anwesend gewesenen Professor Mackenzie.

Worauf laufen diese Bestrebungen denn hinaus? Ich meine jetzt den amerikanischen Pragmatismus und den englischen Humanismus. Sie gehen hervor aus einer vollständigen Skepsis gegenüber der Erkenntnis: Wahrheit ist etwas, was es eigentlich gar nicht gibt! Wenn wir zwei Behauptungen aufstellen, so stellen wir sie eigentlich aus dem Grunde auf, um im Leben Richtpunkte zu haben. Von einem «Atom» zu sprechen – man kann nicht irgendeinen besonderen Wahrheitsgrund dafür aufbringen; aber es ist nützlich, in der Chemie die Atomtheorie zugrunde zu legen; also stellen wir den Begriff des Atoms auf. Er ist brauchbar, er ist nützlich. Es gibt keine andere Wahrheit als eine solche, die in nützlichen, für das Leben brauchbaren Begriffen lebt. «Gott», ob es ihn gibt oder nicht, darauf kommt es nicht an. Wahrheit, das ist so irgend etwas, was uns nichts angeht. Doch es läßt sich nicht gut leben, wenn man nicht den Begriff «Gott» aufstellt; es läßt sich wirklich gut leben, wenn man so lebt, als ob es einen Gott gäbe. Also stellen wir ihn auf, weil es ein für das Leben brauchbarer, nützlicher Begriff ist. Ob die Erde im Sinne der Kant-Laplaceschen Theorie begonnen hat und im Sinne der mechanischen Wärmetheorie enden wird, vom Wahrheitsstandpunkt aus weiß kein Mensch etwas darüber – ich referiere jetzt bloß –, aber es ist nützlich für unser Denken, sich den Anfang der Erde und das Ende der Erde so vorzustellen. Das ist die pragmatistische Lehre von James und auch im wesentlichen die humanistische Lehre von Schiller. Schließlich weiß man auch gar nicht, ob der Mensch nun wirklich, wenn man vom Wahrheitsstandpunkt ausgeht, eine Seele hat. Darüber kann man diskutieren bis ans Ende der Welt, ob es eine Seele gibt oder nicht, aber nützlich ist es, wenn man all das, was der Mensch da im Leben ausführt, begreifen will, eine Seele anzunehmen.

Natürlich, es verbreitet sich alles das, was da an einem Orte heute in unserer Zivilisation auftritt, wiederum über die anderen Orte. Und für solche Dinge, die instinktiv im Westen aufgetreten sind, mußte der Deutsche etwas finden, was nun mehr begrifflich ist, was sich leichter begrifflich durchschauen läßt. Und daraus entstand die Philosophie des «Als Ob»: Ob es ein Atom gibt oder nicht, darauf kommt es nicht an; wir betrachten die Erscheinungen so, «als ob» es ein Atom gäbe. Ob das Gute sich realisieren kann oder nicht, darüber kann man nicht entscheiden; wir betrachten das Leben so, «als ob» das Gute sich realisieren könnte. Ob es einen Gott gibt oder nicht, darüber könnte man ja bis ans Ende der Welt streiten; wir betrachten aber das Leben so, daß wir handeln, «als ob» es einen Gottgäbe. Da haben Sie die «Als Ob»-Philosophie.

Man beachtet diese Dinge wenig, weil man sich denkt: Nun ja, da sitzt in Amerika der James mit seinen Schülern, da sitzt Schiller in England mit seinen Schülern; da ist der Vaihingery der die Philosophie des «Als Ob» geschrieben hat: das sind so ein paar Käuze, die leben so in einer Art Wolkenkuckucksheim, und was geht das die anderen Menschen an!

Wer aber das Ohr dafür hat, der hört heute die «Als Ob»-Philoso-phie schon überall anklingen: Fast alle Menschen reden im Sinne der «Als Ob»-Philosophie. Die Philosophen sind nur ganz spaßige Kerle. Die plauschen immer das aus, was die anderen Menschen unbewußt machen. Wenn man unbefangen genug dazu ist, so hört man heute nur selten einen Menschen, der seine Worte noch anders gebraucht, im Zusammenhang mit seinem Herzen und mit seiner ganzen Seele, mit seinem ganzen Menschen, der anders spricht, als wie wenn die Sache so wäre, wie er sie ausdrückt. Man hat nur gewöhnlich nicht das Ohrdafür, im Klang und in der Farbentönung des Sprechens zu hören, daß dieses «Als Ob» drinnen lebt, daß im Grunde genommen die Menschen schon über die ganze Zivilisation hin von diesem «Als Ob» ergriffen sind.

Aber so, wie sonst die Dinge am Ende in Korruption kommen, zeigt sich da etwas korrumpiert am Anfange, was nun gerade in einem höheren Sinne entwickelt werden muß für die Handhabung der Rede in Anthroposophie, in Dreigliederung und so weiter. So ernst, so wichtig sind diese Dinge, daß wir über sie eigentlich extra reden sollten. Denn es wird sich darum handeln, daß wir die Trivialität «Wir gebrauchen Begriffe, weil sie nützlich sind für das Leben», daß wir diese Trivialität einer materialistischen Utilitätstheorie ins Ethische hinaufheben und vielleicht durch das Ethische ins Religiöse. Denn die Aufgabe steht vor uns, wenn wir wirken wollen im Sinne von Anthroposophie und von Dreigliederung, daß wir hinzulernen zu dem, was wir aus der Geschichte uns aneignen können – zu dem Schönsprechen, zu dem Richtigsprechen –, das Gutsprechen, daß wir ein Ohr erhalten für das Gutsprechen.

Ich habe bis jetzt wenig bemerkt, daß es aufgefallen ist, wenn ich im Verlaufe meiner Vorträge hingewiesen habe – ich habe es sehr häufig getan – auf dieses in diesem Sinne Gutsprechen, indem ich immer gesagt habe, es komme heute nicht allein darauf an, daß dasjenige, was man sagt, im logisch-abstrakten Sinne richtig ist, sondern es komme darauf an, daß in einem gewissen Zusammenhang etwas gesagt wird, oder auch unterlassen wird zu sagen, nicht gesagt wird in diesem Zusammenhange; daß man ein Gefühl dafür entwickelt, daß etwas nicht nur richtig sein soll, sondern daß es in seinem Zusammenhang drinnen gerechtfertigt ist, daß es gut sein kann in einem gewissen Zusammenhange, oder schlecht sein kann in einem gewissen Zusammenhange. Wir müssen lernen, über die Rhetorik, über die Logik hinaus eine wirkliche Ethik des Sprechens. Wir müssen wissen, wie wir uns in einem gewissen Zusammenhange Dinge erlauben dürfen, die in einem anderen Zusammenhange gar nicht gestattet wären.

Da darf ich jetzt ein naheliegendes Beispiel gebrauchen, das vielleicht schon einigen von Ihnen, die letzthin bei den Vorträgen anwesend waren, hat auffallen können: Ich habe in einem gewissen Zusammenhang davon gesprochen, daß Goethe eigentlich in Wirklichkeit gar nicht geboren ist. Ich habe davon gesprochen, daß Goethe lange Zeit sich bemüht hat, malerisch sich auszudrücken, zu zeichnen, aber daß daraus nichts geworden ist, daß das dann übergeflossen ist in seine Dichtungen, und daß wiederum in den Dichtungen, wie zum Beispiel in «Iphigenie» oder besonders in der «Natürlichen Tochter» ja gar nicht im schwärmerischen Sinne Dichtungen vorliegen. «Marmorglatt und marmorkalt», haben die Leute diese Dichtungen Goethes genannt, weil sie fast bildhauerisch sind, weil sie plastisch sind. Goethe hatte lauter Fähigkeiten, die eigentlich gar nicht bis zur Menschwerdung gediehen sind; er ist gar nicht wirklich geboren- – Sehen Sie, in jenem Zusammenhang, in dem ich das ausgesprochen habe letzthin, konnte man es ganz gewiß sagen. Aber denken Sie sich, wenn das einer als eine These für sich im absoluten Sinne vertreten würde! Es wäre nicht nur unlogisch; es wäre selbstverständlich ganz verrückt. Aus dem Lebenszusammenhang heraus sprechen ist etwas anderes, als die Adäquatheit oder Richtigkeit eines Wortzusammenhanges finden für den Gedanken- und Empfindungszusammenhang. Heraus entstehen lassen aus einem lebendigen Zusammenhange an einer bestimmten Stelle ein Diktum oder dergleichen, das ist dasjenige, was hinüberführt von der Schönheit, von der Richtigkeit zu dem Ethos der Sprache, wobei man empfindet, wenn man einen Satz ausspricht, ob man ihn aussprechen darf oder nicht aussprechen darf in dem ganzen Zusammenhange. Da gibt es wiederum, aber jetzt ein verinnerlichtes Zusammenwachsen, jetzt nicht mit der Sprache, sondern mit der Rede. Das ist es, was ich das Gutsprechen oder Schlechtsprechen nennen möchte; die dritte Form. Neben dem Schön- und Häßlichsprechen, neben dem Richtig- oder Unrichtigsprechen kommt das Gut- oder Schlechtsprechen in dem Sinne, wie ich das jetzt dargestellt habe.

Es ist heute noch vielfach die Ansicht verbreitet, es gäbe Sätze, die man formt und die man dann bei jeder Gelegenheit sprechen könne, weil sie absolut gelten. Solche Sätze gibt es nämlich in Wirklichkeit für unser Leben in der Gegenwart nicht mehr, sondern jeder Satz, der in einem gewissen Zusammenhang möglich ist, ist für einen anderen Zusammenhang heute schon unmöglich. Das heißt, wir sind in eine Epoche der Menschheitsentwickelung eingetreten, wo wir nötig haben, auf diese Vielseitigkeit des Erlebens unser Augenmerk zu lenken.

Der Orientale, der mit seinem ganzen Denken in einem kleinen Territorium lebte, auch noch der Grieche, der mit seinem Geistesleben, mit seinem Rechtsleben, mit seinem Wirtschaftsleben auf einem kleinen Territorium lebte, der goß auch in seine Sprache etwas hinein, was so aussieht, wie ein sprachliches Kunstwerk aussehen muß. Wie ist es denn bei einem Kunstwerk? So ist es, daß in einem einzelnen geschlossenen Objekte eigentlich ein Unendliches erscheint auf einem bestimmten Gebiete. So ist sogar, wenn auch einseitig, das Schöne definiert worden von Hegely von Hartmann und anderen: Es ist die Erscheinung der Idee in einem abgeschlossenen Formgebilde. Es ist das erste, wogegen ich mich wenden mußte in meinem Wiener Vortrag «Goethe als Vater einer neuen Ästhetik», daß das Schöne «die Erscheinung der Idee in der äußeren Form» sei, indem ich zeigte, daß man gerade das Umgekehrte meinen müsse: daß das Schöne entsteht, wenn man der Form den Schein des Unendlichen gibt.

Und so ist es mit der Sprache, die gewissermaßen auch als begrenztes Territorium auftritt, als Territorium, welches die mögliche Bedeutung in Grenzen einschließt: wenn in diese Sprache einschnappen muß dasjenige, was eigentlich an innerem Seelen- und Geistesleben unendlich ist. Da muß es in schöner Form zum Ausdrucke kommen.

Beim Richtigsprechen, da muß es adäquat sein, da muß der Satz zum Urteil, der Begriff zum Wort passen. Dazu waren die Römer genötigt, ganz besonders als ihr Territorium immer größer und größer wurde: da formte sich ihre Sprache um aus dem Schönen ins Logische, daher dann die Sitte beibehalten worden ist, gerade in der lateinischen Sprache den Leuten Logik beizubringen. Sie haben es ja auch daran ganz gut gelernt.

Aber nun sind wir wiederum über dieses Stadium hinaus. Nun ist es notwendig, daß wir die Sprache empfinden lernen mit Ethos, daß wir gewissermaßen eine Art Moralität des Sprechens in unsere Rede hinein gewinnen, indem wir wissen, wir haben uns in einem gewissen Zusammenhange etwas zu gestatten oder etwas zu versagen. Daschnappt die Sache nicht ein in der Weise, wie ich es früher geschildert habe, sondern da verwenden wir, indem wir das Wort gebrauchen, dieses Wort, um zu charakterisieren. Da hört alles Definieren auf; da wird das Wort verwendet, um zu charakterisieren. Da wird das Wort so gehandhabt, daß man eigentlich jedes Wort als etwas Ungenügendes empfindet, jeden Satz als etwas Ungenügendes empfindet, und den Drang hat, dasjenige, was man hinstellen will vor die Menschheit, von den verschiedensten Seiten her zu charakterisieren, gewissermaßen um die Sache herumzugehen und sie von den verschiedensten Seiten zu charakterisieren. Ich habe oft betont, daß das die Darstellungsweise der Anthroposophie sein muß. Ich habe es oft betont, daß man ja nicht glauben solle, man könne das adäquate Wort, den adäquaten Satz finden, sondern man kann sich nur so verhalten wie der Photograph, der, um einen Baum zu zeigen, wenigstens vier Aspekte nimmt. Also heraufgehoben werden muß eine Anschauung, die sich in einer abstrakten, trivialen Philosophie als «Pragmatismus» und «Humanismus» auslebt, herauf gehoben muß sie werden ins Gebiet des Ethischen. Und dann muß sie sich zuerst ausleben im Ethos der Sprache: Wir müssen gut sprechen lernen. Das heißt, wir müssen für das Sprechen etwas erleben von alldem, was wir sonst erleben in bezug auf die Ethik, die Sittenlehre.

Und im Grunde genommen ist ja die Sache in der neueren Zeit recht anschaulich geworden. Da haben wir im Sprechen der Theosophen eine einfach schon durch die Sprache bedingte Altertümlichkeit, nämlich altertümlich in bezug auf die letzten Jahrhunderte materialistischer Färbung: «physischer Leib» – nun, er ist dick; «Ätherleib» – er ist dünner, nebelhaft; «astralischer Leib» – wiederum dünner, aber eben doch nur dünner; «Ich» – noch dünner. Nun kommen ja immerfort und immerfort neue Glieder der menschlichen Wesenheit: das wird immer dünner. Man weiß zuletzt schon gar nicht mehr, wie man zu dieser Dünnheit noch kommen kann, aber jedenfalls wird es nur immer dünner und dünner. Man kommt aus dem Materialismus nicht heraus. Das ist ja auch das Kennzeichen dieser theosophischen Literatur. Und das ist immer das Kennzeichen, was da auftritt, wenn über diese Dinge gesprochen werden soll} von dem theoretischen Sprechen bis zu dem, was ich einmal innerhalb der Theosophischen Gesellschaft in Paris erlebt habe, ich glaube, es war 1906. Da wollte eine Dame, die eine richtige kernfeste Theosophin war, ausdrücken, wie gut ihr einzelne Reden gefallen haben, die in dem Saal, wo wir waren, gesprochen worden sind; und da sagte sie: Es sind so gute Vibrationen da! – Und man merkte ihr an: eigentlich war dieses gemeint wie etwas, das man schnüffelt. Also die Düfte, die da zurückgeblieben waren von den Reden und die man so etwas erschnüffeln konnte, die waren eigentlich gemeint.

Wir müssen lernen, die Sprache loszureißen von der Adäquatheit. Denn sie kann adäquat sein nur dem Materiellen. Wollen wir sie für das Spirituelle verwenden im Sinne der heutigen Entwickelungsepoche der Menschheit, dann müssen wir sie freibekommen. Dann muß Freiheit in das Handhaben der Sprache hineinkommen. Und wenn man diese Dinge nicht abstrakt, sondern lebensvoll nimmt, so ist das erste, wo hineinkommen muß Philosophie der Freiheit in das Sprechen, in die Handhabung der Sprache. Denn das hat man nötig, sonst wird man nicht den Übergang finden zum Beispiel zu der Charakteristik des freien Geisteslebens.

Sehen Sie, für freies Geistesleben, das heißt Geistesleben, das aus seinen eigenen Gesetzen heraus da ist, es ist noch nicht sehr viel Verständnis in der gegenwärtigen Menschheit dafür vorhanden. Denn meistens versteht man unter freiem Geistesleben ein Gebilde, in dem Menschen leben, von denen jeder nach seinem eigenen Kikeriki kräht, wo jeder Hahn – verzeihen Sie das etwas merkwürdige Bild – auf seinem eigenen Misthaufen kräht, und wo dann die unglaublichsten Zusammenklänge aus diesem Krähen Zustandekommen. In Wirklichkeit kommt beim freien Geistesleben nämlich durchaus Harmonie zustande, weil der Geist lebt, nicht die einzelnen Egoisten, weil der Geist wirklich über die einzelnen Egoisten hinüber ein eigenes Leben führen kann.

Es ist zum Beispiel – man muß diese Dinge schon heute sagen – für unsere Waldorfschule in Stuttgart durchaus ein Waldorfschulgeist da, der unabhängig ist von der Lehrerschaft, in den die Lehrerschaft sich hineinlebt, und in dem es immer mehr und mehr klar wird, daß unter Umständen der eine fähiger oder unfähiger sein kann – der Geist aber hat ein eigenes Leben.

Es ist eine Abstraktion, von der sich heute noch die Menschen eine Vorstellung machen, wenn sie von «freiem Geist» sprechen. Das ist ja gar keine Wirklichkeit. Der freie Geist ist etwas, was wirklich lebt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen, und was wirkt unter den Menschen, man muß ihn nur zum Dasein kommen lassen.

Was ich heute zu Ihnen gesprochen habe, habe ich im Grunde auch nur gesprochen, um das, was wir hier profitieren sollen, von prinzipiellen Empfindungen ausgehen zu lassen, also von der Empfindung des Ernstes der Sache. Ich kann natürlich nicht meinen, daß jetzt alle gleich hinausgehen und so, wie die Alten schön gesprochen haben, die Mittleren richtig, nun alle gut sprechen werden! Aber Sie können deshalb auch nicht einwenden: Was helfen uns denn dann unsere ganzen Vorträge, wenn wir ja doch nicht gleich gut sprechen können? – Sondern es handelt sich darum, daß wir wirklich die Empfindung bekommen von dem Ernst der Lage, in die wir uns dadurch hineinleben sollen, daß wir wissen: Was da gewollt wird, ist etwas in sich so organisch Ganzes, daß sich selbst in der Sprache nach und nach ausdrücken muß eine Notwendigkeit der Form, wie sich in dem Ohrläppchen eine Notwendigkeit der Form ausdrückt, wie das nicht anders sein kann, je nachdem der ganze Mensch ist.

So werde ich versuchen, dann noch näher zusammenzubringen, was nun bei uns Inhalt von Anthroposophie und Dreigliederung ist, mit der Art, wie es an die Menschen herangebracht werden soll. Und ich werde aus dem Prinzipiellen in das Konkrete und in dasjenige, was dem Praktizieren zugrunde liegen soll, immer mehr und mehr hereinkommen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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