ZEHNTER VORTRAG
Ilkley, 14. August 1923
Eine Ausnahmestellung nimmt in Unterricht und Erziehung
Rechnen, Arithmetik und Geometrie, also das Mathematische, ein.
Man sollte eigentlich als Lehrer immer ganz genau wissen, was
man in der Schule oder überhaupt dem Kinde gegenüber
tut, was durch irgendeine Handhabung an dem Kinde
geschieht. Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist,
wenn der Lehrer weiß, welche Konsequenz für das Kind
das eine oder das andere hat, das er tut, dann kann eigentlich
der Unterrieht die entsprechende Lebendigkeit haben und
auch eine wirkliche Kommunikation zwischen der Seele des
Lehrers und des Kindes hervorrufen.
Nun
ist der Mensch einmal ein Wesen, das aus Körper, Seele und
Geist gegliedert ist und bei dem das Körperliche vom
Geistigen gestaltet, geformt wird; so daß der Lehrer
immer auch wissen muß, was bei einer körperlichen
Gestaltung in der Seele, im Geiste eigentlich vorgeht, und
wiederum, welche Folge für den Körper etwas hat, wenn
auf den Geist oder auf die Seele gewirkt wird.
Wenn wir dem Kinde etwas beibringen, was auf sein bildhaftes
Vorstellen wirkt, also fast alles dasjenige, was wir gestern
anführen konnten als Malerisches, Zeichnerisches, das dann
zum Schreiben führt, wenn wir dem Kinde etwas wie die
Pflanzenkunde in dem Sinne beibringen, wie wir das
gestern ausgeführt haben, dann wirkt dies auf das Kind so,
daß dabei vorzugsweise dasjenige berücksichtigt wird,
was ich auch schon in diesen Vorträgen als ein
höheres Glied in der menschlichen Wesenheit, als den
Äther- oder Bildekräfteleib charakterisiert
habe.
Der
Mensch hat ja zunächst seinen physischen Leib. Man nimmt
ihn durch gewöhnliche physische Sinneswahrnehmungen eben
wahr. Der Mensch hat aber außer diesem physischen Leib
eine innere Organisation, die nur wahrgenommen werden
kann durch Imagination, durch die imaginative Erkenntnis: einen
übersinnlichen Leib, Ätherleib,
Bildekräfteleib. Und dann hat der Mensch in sich
eine Organisation, welche nur wahrgenommen werden kann durch
Inspiration. Man braucht sich dabei, ich sagte es schon einmal,
nicht an den Ausdrücken zu stoßen; sie sind eine
Terminologie, die man eben brauchen muß. Durch Inspiration
bekommt man eine Einsicht in den sogenannten astralischen Leib
und in das eigentliche Ich des Menschen, in das
eigentliche Selbst des Menschen.
Nun
ist die Sache so, daß von der Geburt bis zum Tode der
Ätheroder Bildekräfteleib, diese erste
übersinnliche Organisation, sich niemals vom
physischen Leib trennt. Erst mit dem Tode geschieht das. Im
Schlafzustande läßt der Mensch seinen Äther-
oder Bildekräfteleib bei dem physischen Leibe zurück.
Physischer Körper und Ätherkörper bleiben im
Bette liegen, wenn der Mensch schläft; der astralische
Leib und die Ich-Organisation gehen beim Einschlafen aus dem
physischen Leib und dem Ätherleib heraus und gehen beim
Aufwachen wieder in diese hinein.
Wenn wir nun dem Kinde zum Beispiel etwas beibringen aus
Rechnen oder Geometrie oder aus denjenigen Gebieten, die
ich gestern angeführt habe als zeichnendes Malen,
malendes Zeichnen, als Übergang zum Schreiben, so wird
durch diesen Unterricht der physische Leib und der
Ätherleib beeinflußt. Und wenn wir dem Äther-
oder Bildekräfteleib das beibringen, was ich gestern
hier skizziert habe, wenn wir ihm etwas beibringen von Rechnen
oder Geometrie, so behält er das auch während des
Schlafes, so schwingt er auch wahrend des Schlafes fort.
Wenn wir dem Kinde dagegen etwas beibringen von Geschichte oder
von jener Tierkunde, von der ich gestern gesprochen habe, so
wirkt das nur auf den astralischen Leib und die
Ich-Organisation. Das nimmt der Mensch beim Einschlafen aus
seinem physischen und Ätherleib heraus mit in die geistige
Welt.
Das
ist also ein großer Unterschied, ob ich Schreiben oder
Pflanzenkünde lehre, das behält die
körperliche und die ätherische Organisation im
Bette zurück, das schwingt weiter, oder ob ich Geschichte
oder Menschenkunde lehre, die nimmt das Ich und der astralische
Leib jedesmal beim Schlaf in die geistige Welt mit hinaus. Das
bedeutet einen gewaltigen Unterschied in der Wirkung auf den
Menschen.
Sie
müssen sich klar darüber sein, daß all die
bildhaften, imaginativen Eindrücke, die ich auf das
Kind mache, sogar während des Schlafes die Tendenz haben,
sich zu vervollkommnen, vollkommener zu werden. Dagegen
muß dasjenige, was wir zum Beispiel aus Geschichte oder
Menschenkunde dem Kinde beibringen, auf die eigentlich
seelischgeistige Organisation wirken, und das hat die
Tendenz, während des Schlafens vergessen zu werden,
unvollkommener zu werden, blaß zu werden. Es ist daher
notwendig, daß wir beim Unterricht darauf Rücksicht
nehmen, ob wir einen Stoff haben, der zum Ätherleib und
zum physischen Leibe spricht, oder ob wir einen Stoff haben,
der zur Ich-Organisation und zur astralischen Organisation
spricht.
Diejenigen Dinge nun, die ich gestern angeführt habe als
Pflanzenkünde, als dasjenige, was zum Schreiben und
Lesen führt, das spricht alles zum physischen Leib und zum
Ätherleib. Wir werden noch über den geschichtlichen
Unterricht uns zu verständigen haben. Wir haben schon
über den tierkundlichen und menschenkundlichen Unterricht
Richtlinien gegeben; der spricht zu dem, was aus physischem
Leib und Ätherleib herausgeht während des Schlafes.
Rechnen, Geometrie spricht zu beiden; das ist das
Merkwürdige. Und daher ist wirklich in bezug auf den
Unterricht und die Erziehung Rechnen sowohl wie Geometrie, man
möchte sagen, wie ein Chamäleon; sie passen sich
durch ihre eigene Wesenheit dem Gesamtmenschen an. Und
während man bei Pflanzenkunde, Tierkunde, Rücksicht
darauf nehmen muß, daß sie in einer gewissen
Ausgestaltung, so wie ich das gestern charakterisiert habe, in
ein ganz bestimmtes Lebensalter hineinfallen, hat man bei
Rechnen und Geometrie darauf zu sehen, daß sie durch das
ganze kindliche Lebensalter hindurch getrieben werden, aber
entsprechend geändert werden, je nachdem das Lebensalter
seine charakteristischen Eigenschaften verändert.
Insbesondere aber hat man darauf zu sehen, daß — ja,
es muß das schon gesagt werden — der Äther-
oder Bildekräfteleib etwas ist, was mit sich auch fertig
wird, auch auskommt, wenn es allein gelassen wird von unserem
Ich und unserem astralischen Leib. Der Äther- oder
Bildekräfteleib hat durch seine eigene innere
Schwingungskraft immer die Tendenz, das was wir ihm beibringen,
von selbst zu vervollkommnen, weiterzubilden. In bezug
auf astralischen Leib und Ich sind wir dumm. Wir machen
dasjenige, was wir in dieser Beziehung als Mensch beigebracht
bekommen, unvollkommner. Und so ist es tatsächlich wahr,
daß übersinnlich unser Bildekräfteleib vom
Einschlafen bis zum Aufwachen dasjenige, was wir ihm als
Rechnen beigebracht haben, fortrechnet. Wir sind gar nicht in
unserem physischen und Ätherleib drinnen, wenn wir
schlafen; aber die rechnen fort, die zeichnen
übersinnlich ihre Geometriefiguren fort,
vervollkommnen sie. Und wenn wir das wissen und den ganzen
Unterricht daraufhin anlegen, so bekommen wir durch einen
richtig gearteten Unterricht eine ungeheure Lebendigkeit im
ganzen Weben und Wesen des Menschen zustande. Wir müssen
nur in entsprechender Weise diesem Äther- oder
Bildekräfteleib Gelegenheit geben, die Dinge, die
wir ihm beibringen, weiter zu vervollkommnen.
Dazu ist es nötig, daß wir zum Beispiel in der
Geometrie nicht mit jenen Abstraktionen, mit jenen
intellektualistischen Gestaltungen beginnen, mit denen
man gewöhnlich sich denkt, daß die Geometrie
anfangen müsse; sondern es ist nötig, daß
man mit einer nicht äußerlich gearteten, sondern
innerlich gearteten Anschauung beginne, daß man in dem
Kinde zum Beispiel einen starken Sinn für Symmetrie
erwecke.
Man
kann mit den kleinsten Kindern schon in dieser Beziehung
anfangen. Zum Beispiel: man zeichne auf die Tafel
irgendeine Figur (blau), mache dem Kinde dann dazu einen
solchen Strich (orange) und zeichne ihm dann ein Stückchen
des Symmetrischen, und versuche das Kind dazu zu bringen, dies
als etwas nicht Vollendetes zu betrachten, als etwas, das
erst fertig vorgestellt werden muß. Man versuche mit allen
möglichen Mitteln das Kind dazu zu bringen, daß es
von sich aus nun die Ergänzung bildet. Auf diese Weise
bringt man in das Kind hinein diesen inneren aktiven
Drang, unvollendete Dinge fertigzumachen, dadurch
überhaupt in sich eine richtige Wirklichkeitsvorstellung
auszubilden. Der Lehrer muß dazu Erfindungsgabe
haben, aber es ist ja überhaupt gut, wenn der Lehrer die
hat: bewegliches, erfindungsreiches Denken, das ist das,
was der Lehrer braucht. — Hat der Lehrer durch ein
erfindungsreiches, bewegliches Denken eine Zeitlang solche
Übungen gemacht, so gehe er zu anderen über. Er
zeichne zum Beispiel dem Kinde solch eine Figur auf und
versuche, in dem Kinde ein innerliches, raumhaftes
Vorstellen von dieser Figur hervorzurufen.
Und
dann versuche er den Ubergang zu finden, indem er die Figur
(orange) so zeichnet, daß das Kind, wenn man das
Äußere variiert, darauf
kommt, die innere Figur nun auch entsprechend der
äußeren Figur zu machen. Hier (bei dem ersten Schema)
ist die Linie einfach gewunden; hier bekam sie eine
Ausbuchtung. Nun versuche man dem Kinde klarzumachen: wenn es
jetzt die innere Figur macht, muß es, damit die innere
Symmetrie herauskomme, an die Stelle, wo außen eine
Ausbuchtung ist, innen eine Einbuchtung setzen, so daß,
wie hier (beim ersten Schema) die einfache Linie der einfachen
Linie entspricht, hier der Ausbuchtung eine Einbuchtung
entspricht. — Oder man versuche folgendes:
Man
versuche dem Kinde diese Figur vorzuzeichnen (die innere) und
dann die entsprechende äußere Linie dazu, so daß
das eine Figurenharmonie ergibt. Und jetzt versuche man
von dieser Figur den Übergang dazu zu finden, diese
äußeren Figuren nun hier nicht zusammenlaufen,
sondern auseinanderlaufen zu lassen, so daß sie fortlaufen
ins
Unbestimmte. Nun bekommt das Kind die Vorstellung, daß
einem dieser Punkt davonlaufen will und man mit den Linien
nachlaufen muß, daß man gar nicht nachkommen kann,
daß dieser Punkt fortgeflogen ist; und es bekommt
dann die Vorstellung, daß es die entsprechende Figur
auch in entsprechender Weise anordnen muß, daß es,
weil dies fortlief, nun dieses besonders einwärts formen
muß und dergleichen. Ich kann nur das Prinzipielle
hier erklären. Kurz, man bekommt auf diese Weise die
Möglichkeit, daß das Kind auch asymmetrische
Symmetrien zur Anschauung sich bringt. Und dadurch bereitet man
während des Wachens den Äther- oder
Bildekräfteleib dazu vor, während des Schlafens
fortwährend weiterzuschwingen, aber in diesen
Schwingungen das beim Wachen Durchgemachte zu
vervollkommnen. Dann wacht der Mensch, das Kind, am
Morgen auf in einem innerlich bewegten und organisch
bewegten Bildekräfteleib, und damit auch physischen Leib.
Das bringt eine ungeheure Lebendigkeit in den Menschen
hinein.
Man
kann das natürlich nur dadurch erreichen, daß man
etwas weiß, wie der Bildekräfteleib wirkt, sonst wird
man immer äußerlich mechanisch an dem Kinde
herumhantieren.
Derjenige, der ein wirklicher Lehrer ist, nimmt eben nicht
bloß das zu Hilfe, was während des Wachens vorgeht
für das menschliche Leben, sondern auch dasjenige,
was während des Schlafes vorgeht. Man muß sich der
Bedeutung entsprechender Tatsachen durchaus klar sein, muß
sich erinnern können, wie man zuweilen am Abend schon als
Erwachsener nachgedacht hat über irgendein Problem:
man konnte es nicht lösen — am Morgen fällt es
einem zu. Warum? Weil der Ätheroder
Bildekräfteleib die Nacht hindurch für sich
gearbeitet hat.
Für manche Dinge ist das Wachleben nicht eine
Vervollkommnung, sondern eine Störung. Wir müssen
unseren physischen und Ätherleib eine Weile für sich
lassen und ihn nicht dumm machen durch unser Ich und durch
unseren astralischen Leib. Die Fälle zeigen das, die nun
wirklich im Leben vorkommen können, vielfach vorgekommen
sind, wo jemand am Abend studiert und studiert und nicht darauf
kommt, wie er ein Problem lösen soll. Er wacht am Morgen
auf; er ist zwar etwas unruhig, aber er geht an seinen
Schreibtisch und siehe, er hat in der Nacht, ohne daß er
zum Bewußtsein gekommen ist, das Problem gelöst!
Das
sind nicht Fabeln, diese Dinge kommen vor, sind ebenso wie
andere Experimente gut ausprobiert. Was ist da geschehen? Da
hat der Ätherleib in der Nacht fortgearbeitet; der Mensch
ist gar nicht einmal aufgewacht. Nun, das ist abnorm, das ist
nicht anzustreben.
Aber das unbewußte Fortschwingen des Äther- oder
Bildekräfteleibes, es ist dadurch anzustreben,
daß man nicht die Geometrie anfängt mit
Dreiecken und so weiter, wo immer schon das
Intellektualistische hineinspielt, sondern mit dem
anschaulichen Raumvorstellen. In einer ähnlichen Weise
muß dann mit dem Rechnen vorgegangen werden.
Sie
bekommen eine ausgezeichnete Vorstellung, wie Sie sich in
dieser Weise das anschauliche Mathematische zurechtlegen
können, so wie es in Arithmetik, Geometrie waltet, wenn
Sie die Broschüre studieren, die Dr. von Baravalle
zur Pädagogik der Physik und Mathematik geschrieben
hat.
Sie
sehen dort zu gleicher Zeit eine Ausdehnung dieser ganzen
Denkweise auf das Physikalische. Und trotzdem es sich
zumeist auf höhere Partien des Mathematischen bezieht,
wird es, wenn man in seinen Geist eindringt, ein
ausgezeichneter Leitfaden sein, um den Unterricht auf diesem
Gebiete in einer der menschlichen Organisation
entsprechenden Richtung pflegen zu können. Mit
diesem Büchelchen ist wohl geradezu eine Art von
Ausgangspunkt geschaffen für eine Reform des
mathematisch-physikalischen Unterrichts von dem ersten
kindlichen Lebensalter bis hinauf zu den höchsten Stufen
des Unterrichtes. Man muß dasjenige, was hier in bezug auf
das Anschaulich-Räumliche gesagt worden ist, nun
auch ausdehnen können auf das Rechnerische. Da handelt es
sich namentlich darum, daß alles dasjenige, was in
äußerlicher Weise das Rechnen und schon das
Zählen an das Kind heranbringt, eigentlich die
menschliche Organisation ertötet. Alles dasjenige,
was vom Einzelnen ausgeht, Stück an Stück reiht, das
ertötet die menschliche Organisation. Dasjenige, was vom
Ganzen ausgeht zu den Gliedern, zuerst die Vorstellung des
Ganzen hervorruft, dann die der Teile, das belebt die
menschliche Organisation. Das ist etwas, was schon beim
Zählenlernen in Betracht kommt. Wir lernen die Zahlen in
der Regel dadurch, daß wir uns an das ganz
Äußerliche, im physisch-sinnlichen Leben
Vorsichgehende halten.
Wir
lernen zählen, indem wir eins haben; das nennen wir die
Einheit. Dann fügen wir dazu zwei, drei, vier, und
so geht es fort, wir legen Erbse zu Erbse, und es ist gar keine
Vorstellung, keine Idee da, warum das eine zum anderen gelegt
wird, was daraus eigentlich wird. Man lernt zählen, indem
an die Willkür des Nebeneinanderlegens appelliert
wird. Ich weiß wohl, daß in vielfacher Weise diese
Willkür variiert wird, allein dasjenige, um was es sich
handelt, wird heute noch im allergeringsten Maße irgendwo
berücksichtigt: daß von einem Ganzen
ausgegangen wird und zu den Teilen, Gliedern, fortgeschritten
werde. Die Einheit ist dasjenige, was zunächst vorgestellt
werden soll auch vom Kinde als ein Ganzes. Irgend etwas, was es
auch ist, ist eine Einheit. Nun, wenn man genötigt 1st,
die Sache durch Zeichnen zu vergegenwärtigen,
muß man eine Linie hinzeichnen; man kann auch einen Apfel
benützen, um dasselbe zu machen, was ich jetzt mit der
Linie machen werde. Da ist eins, und nun geht man von dem
Ganzen zu den Teilen, zu den Gliedern, und jetzt hat man aus
eins eine Zwei gemacht.
Die
Einheit ist geblieben. Die Einheit ist in zwei geteilt worden.
Man hat die Einheit «entzwei» geteilt, dadurch ist
die Zwei entstanden. Nun geht man weiter, es entsteht durch
weitere Gliederung die Drei. Die Einheit bleibt immer als das
Umfassende bestehen; und so schreitet man weiter durch die
Vier, Fünf, und man kann zugleich durch andere Mittel eine
Vorstellung hervorrufen, wie weit man die Dinge
zusammenhalten kann, die auf die Zahlen sich beziehen.
Man wird dabei die Entdeckung machen, daß eigentlich der
Mensch in bezug auf das Anschauliche der Zahl beschränkt
ist.
Bei
gewissen Völkern der modernen Zivilisation umfaßt man
eigentlich nur den überschaulichen Zahlbegriff bis
zehn; hier in England, kann man im Geld bis zwölf rechnen.
Das ist aber auch etwas, was schon das höchste in dem
Überschaulichen darstellt. Dann fängt man ja
eigentlich wieder an, dann zählt man eigentlich die
Zahlen; man zählt zuerst die Dinge bis zehn, aber dann
fängt man an, die Zehn zu zählen: zweimal zehn =
zwanzig, dreimal zehn — dreißig. Man bezieht
sich da schon gar nicht mehr auf die Dinge, sondern man geht
dazu über, die Zahl selbst auf das Rechnen anzuwenden,
weil durch den Elementarbegriff schon die Dinge selbst als ein
Anschauliches verlangt werden. Und wenn gar das moderne
Anschauen so stolz darauf ist, daß wir es in bezug auf das
Zählen so weit gebracht haben, während die
wilden Völker auf ihre zehn Finger angewiesen sind, so ist
es mit dem Stolz gar nicht so weit her, sondern wir zählen
bis zehn, weil wir die Glieder spüren, die Gliederung der
Hände die darinnen liegt, daß wir symmetrisch die
Hände empfinden, die zehn Finger. Dieses Empfinden ist
demgemäß auch herausgeholt, ist erlebt, und man
muß in dem Kinde den Übergang hervorrufen von dem
Ganzen, der Einheit in die Teile als Zahl. Dann wird man
leicht jenen anderen Übergang zum Zählen finden
können, indem man eines an das andere legt. Man kann ja
dann übergehen zu eins, zwei, drei und so weiter. Also das
rein additive Zählen, das ist dasjenige, was erst in
zweiter Linie kommen darf; denn das ist eine Tätigkeit,
die lediglich hier im physischen Räume eine
Bedeutung hat, während das Gliedern der Einheit eine
solche innere Bedeutung hat, daß es wiederum fortschwingt
im ätherischen Leib, auch wenn der Mensch nicht dabei ist.
Darauf kommt es an, daß man diese Dinge weiß.
Ebenso handelt es sich darum, daß, wenn wir das
Zählen auf diese Weise überwunden haben, wir nun
nicht leblos mechanisch zum Addieren übergehen, wo
wir dann Addend zu Addend reihen. Das Lebendige kommt in
die Sache hinein, wenn wir nicht von den Teilen der Addition
ausgehen, sondern von der Summe; wenn wir also eine Anzahl von
Dingen, sagen wir, eine Anzahl von Kugeln hinwerfen —
nun, im Zählen sind wir so weit, daß wir sagen
können, das sind vierzehn Kugeln. Jetzt gliedere ich
dieses, indem ich den Begriff des Teiles fortsetze. Ich habe
hier fünf, hier vier, hier wiederum fünf; so daß
ich die Summe auseinandergeworfen habe in fünf, vier,
fünf. Ich gehe also über von der Summe zu den
Addenden, von dem Ganzen zu den Teilen, und versuche beim Kinde
so vorzugehen, daß ich immer die Summe gewissermaßen
hinstelle und das Kind darauf kommen lasse, wie sich die Summe
gliedern kann in die einzelnen Addenden.
Also ist es außerordentlich wichtig, daß man, wie man
beim Fahren die Pferde nicht beim Schwänze aufzäumt,
sondern beim Kopfe, ebenso seelisch mit dem Rechnen
vorgehe; daß man tatsächlich von der Summe, die
eigentlich in allem immer gegeben ist, von dem Ganzen ausgeht:
das ist das Reale. Vierzehn Äpfel, die sind das Reale
— nicht die Addenden sind das Reale; die verteilen sich
nach den Lebensverhältnissen in der verschiedensten
Weise. So daß man also ausgeht von dem, was immer das
Ganze ist, und übergeht zu den Teilen. Dann wird man den
Weg wiederum zurückfinden zu dem gewöhnlichen
Addieren.
Aber man hat eben, wenn man so vorgeht, wenn man vom ganz
Lebendigen übergeht zum Teilen, erreicht, daß
dasjenige, was zugründe liegt dem Rechnen, der
Bildekräfteleib, der eben lebendige Anregung haben
will zum Bilden, in Schwingungen versetzt wird, die er dann
vervollkommnend fortsetzt, ohne daß wir dann mit unserem
störenden astralischen Leib und der Ich-Organisation dabei
zu sein brauchen.
Ebenso wird der Unterricht in einer ganz besonderen Weise
belebt, wenn man die anderen Rechnungsarten vom Kopf, wo sie
heute vielfach stehen, wiederum auf die Beine stellt;
wenn man zum Beispiel darauf hinarbeitet, das Kind dazu zu
bringen, daß es sagt: Wenn man sieben hat, wieviel
muß man wegnehmen, damit man drei bekommt? — nicht:
Was bekommt man, wenn man von sieben vier wegnimmt? —,
sondern umgekehrt: Wenn man sieben hat — das ist das
Reale — und was man bekommen will, ist wiederum das
Reale. Wieviel muß man von sieben wegnehmen, damit man
drei bekommt? — Mit dieser Form des Denkens steht man im
Leben zunächst drinnen, während man mit der anderen
Form in der Abstraktion drinnen steht. So daß man, wenn
man in dieser Art verfährt, dann sehr leicht zu dem
anderen zurückkehren kann.
In
derselben Weise soll man beim Multiplizieren, beim Dividieren
vorgehen, nicht fragen: Was entsteht, wenn man zehn in zwei
teilt? sondern: Wie muß man zehn teilen, damit man
fünf bekommt? — Man hat ja das Reale als Gegebenes,
und im Leben soll dasjenige herauskommen, was dann eine
Bedeutung hat. Zwei Kinder sind da, unter denen sollen zehn
Äpfel geteilt werden, jedes soll fünf bekommen: das
sind die Realitäten. Was man dazu tun muß, das ist
das Abstrakte, das in die Mitte hineinkommt. So sind die Dinge
immer unmittelbar dem Leben angepaßt. Gelingt einem
dieses, dann ergibt sich, daß wir dasjenige, was wir
heute in additiver Weise, in rein äußerlich
nebeneinanderfügender Weise vielfach vornehmen und wodurch
wir ertötend wirken, gerade im rechnenden Unterricht als
Belebendes haben. Und darauf ist zu sehen gerade bei diesem
Unterricht, daß wir wirklich auch das Unterbewußte
des Menschen, das heißt dasjenige berücksichtigen,
was in den Schlaf hineinwirkt und was auch sonst
unterbewußt wirkt, wenn der Mensch wach ist. Denn der
Mensch denkt ja nicht immer an alles, sondern er denkt an einen
kleinen Teil desjenigen, was er seelisch erlebt hat; das
andere arbeitet aber immer fort. Gönnen wir es dem Kinde,
daß in gesunder Weise sein physischer und sein
Ätherleib fortarbeiten. Das können wir aber nur, wenn
wir wirklich Spannung, Interesse, Leben hineinbringen gerade in
den Rechnungs- und Geometrieunterricht.
Es
ist in diesen Tagen einmal gefragt worden, ob es denn gut sei,
den Unterricht epochenweise zu erteilen, so wie er in der
Waldorfschule erteilt wird. Wenn er richtig erteilt wird,
dann ist gerade das epochenweise Erteilen dasjenige, was am
allerfruchtbarsten sich erweist. Epochenartiger
Unterricht heißt: ich nehme nicht so, daß
fortwährend eines das andere beeinträchtigt,
etwa von acht bis neun Uhr Rechnen, von neun bis zehn Uhr
Geschichte oder Religion oder irgend etwas, was gerade
paßt, oder je nachdem der Lehrer in den Stundenplan
hineinkommt; sondern ich setze mir drei, vier, fünf Wochen
vor, in denen morgens durch zwei Stunden der Hauptunterricht in
einem Fach erteilt wird. Es wird immer dasselbe getrieben. Dann
wiederum durch fünf bis sechs Wochen im Hauptunterricht
irgend etwas, das sich meinetwillen aus dem anderen entwickelt,
aber wiederum in diesen zwei Stunden das gleiche. So
daß durch Wochen hindurch das Kind auf etwas Bestimmtes
konzentriert ist.
Nun
entstand die Frage, ob denn dadurch nicht zu viel vergessen
werde, ob dadurch nicht die Kinder wiederum das alles aus der
Seele herausbekommen, was man in sie hineingebracht hat? Wird
aber der Unterricht in der richtigen Weise getrieben, dann
arbeitet ja während der Zeit, in welcher ein anderer
Gegenstand gegeben wird, der frühere Gegenstand in den
unterbewußten Regionen fort. Man muß in einem solchen
Epochenunterricht gerade mit dem rechnen, was unbewußt
arbeitet; und es gibt nichts Fruchtbareres, als wenn man einen
Unterrieht, den man durch drei, vier Wochen erteilt hat,
in seinen Konsequenzen ruhen läßt, damit er nun
ohne Zutun des Menschen weiter im Menschen arbeitet. Dann wird
man schon sehen: hat man richtig unterrichtet, und frischt
gedächtnismäßig die Sache wieder auf, dann kommt
es bei der nächsten Epoche, wo dasselbe Fach getrieben
wird, in ganz anderer Weise wieder herauf, als wenn man es eben
nicht richtig getrieben hat. Aber mit solchen Dingen rechnet
man gar nicht, wenn man den Einwand macht: ob auch die Dinge so
richtig getrieben werden, da die Dinge vergessen werden
könnten! Der Mensch muß ja so viel mit dem Vergessen
rechnen. Denken Sie nur, was wir nicht alles im Kopfe haben
müßten, wenn wir nicht richtig vergessen
könnten und das Vergessene wiederum heraufbringen
könnten! Deshalb muß ein richtiger Unterricht nicht
nur mit dem Unterricht, sondern auch mit dem Vergessen richtig
rechnen.
Das
bedeutet nicht, daß man entzückt darüber zu sein
braucht, daß die Kinder vergessen, das besorgen sie schon
von selbst; sondern darauf kommt es an, was in die
unterbewußten Regionen so hinuntergegangen ist,
daß es dann in entsprechender Weise wieder
heraufgeholt werden kann. Zu dem ganzen Menschen
gehört eben nicht bloß das Bewußte, sondern auch
das jeweilig Unbewußte. Und in bezug auf alle diese Dinge
muß eben gesagt werden: Der Unterricht und die Erziehung
haben nicht nur an den ganzen Menschen zu appellieren, sondern
auch an die Teile, an die Glieder des Menschen. — Aber
dann ist es auch notwendig, vom Ganzen auszugehen, das Ganze
zunächst zu ergreifen und dann die Teile, während man
sich sonst um den ganzen Menschen gar nicht kümmert, wenn
man im Zählen eins zum anderen legt, wenn man im
Zählen Addend zu Addend gibt. An den ganzen Menschen
richtet man sich, wenn man die Einheit ins Auge faßt und
von da zu den Zahlen übergeht, wenn man die Summe, den
Minuenden ins Auge faßt, den Quotienten, das Produkt, und
von da zu den Gliedern übergeht.
Insbesondere ist der geschichtliche Unterricht sehr leicht der
Gefahr ausgesetzt, daß er zu stark vom Menschen
losgelöst werde. Wir haben gesehen, wie es zu einem
fruchtbaren Unterricht nötig ist, ein jegliches Ding an
seinen richtigen Platz zu stellen. Wir haben gesehen, wie es
für die Pflanzenkunde nötig ist, die Pflanze im
Zusammenhang mit der Erde zu betrachten, und wie es für
die Tierkunde nötig ist, die fächerartig
ausgebreiteten Tierarten im Zusammenhange mit dem Menschen zu
betrachten. So aber muß auch der Geschichtsunterricht
durchaus, ich möchte sagen, menschlich anschaulich bleiben
und die Dinge an den Menschen noch heranbringen.
Wenn wir das Kind oder den Schüler und die Schülerin
in die Geschichte einführen, handelt es sich darum,
daß wir verstehen lernen, daß in der Zeit, in der das
Kind sehr wohl ganz lebendig dazu veranlagt ist, die
Pflanze im Zusammenhang mit der Erde und die Erde selber als
einen Organismus zu betrachten, in der Zeit, in der es noch
ganz gut das gesamte Tierreich im Menschen lebendig
zusammengefaßt schauen kann, es gerade sogenannte
Kausalzusammenhänge in der Geschichte absolut nicht
zu fassen in der Lage ist. Wir können noch so schön,
wie wir es ja heute besonders gewöhnt sind, die
gebräuchlichen Geschichtsbetrachtungen durchnehmen, eine
Epoche nach der anderen schildern und immer darstellen, wie das
eine aus dem anderen, wie die Wirkung aus der Ursache
hervorgeht. Wir können schön schildern in der
Kunstgeschichte zum Beispiel den Leonardo, und dann den
Michelangelo als Wirkung und so weiter. Von alledem, was heute,
ich möchte sagen, unter den Erwachsenen konventionell
geworden ist, kausal leitende Motive in der Geschichte zu
suchen, von alldem kann der Mensch vor dem zwölften Jahr
überhaupt nichts verstehen. Wie eine Art ganz
willkürlichen Trommelns oder unmusikalischen
Klavierklimperns am Ohre vorbeigeht, so geht eine
Geschichtsbetrachtung, welche, wie man sagen kann, kausal das
Spätere aus dem Vorigen herleitet, an dem Kinde
vorüber. Und es kann das Kind nur durch Zwang dazu
veranlaßt werden, eine solche Geschichtsbetrachtung
irgendwie in die Seele aufzunehmen. Dann aber wird sie
aufgenommen von der Seele, wie vom Magen aufgenommen
werden eine Portion Steine, die verschluckt werden müssen.
Wir müssen ja durchaus darauf sehen, daß wir seelisch
ebensowenig Steine verabreichen statt eines Genießbaren,
wie wir dem Magen Steine statt Brot verabreichen
dürfen. Darum handelt es sich: tatsächlich
lebendig die Geschichte, das geschichtliche Leben an den
Menschen heranzubringen. Dazu haben wir vorerst nötig,
einen mit dem Menschen verbundenen geschichtlichen Zeitbegriff
zu erwecken.
Wenn wir da ein Buch haben über das Altertum, das zweite
Buch über das Mittelalter, das dritte über die
Neuzeit, wie wenig wird eigentlich darauf gesehen, daß
geschichtlicher Zeitbegriff drinnen waltet! Wenn ich aber
davon ausgehe, daß ich dem Kinde sage: Du bist jetzt zehn
Jahre alt, du hast also schon im Jahre 1913 gelebt. Dein Vater,
der ist viel älter als du, der hat schon im Jahre 1890
gelebt, und dessen Vater hat wiederum schon im Jahre 1850
gelebt. Stelle dir also vor, sage ich zu dem Kinde, da stehst
du, du gibst deinen Arm nach rückwärts, fassest
deinen Vater an den Seiten an, der gibt wiederum seine
Arme nach rückwärts und faßt seinen Vater an,
deinen Großvater und so weiter, da kommst du bis zum Jahre
1850 zurück. Und dann denkst du dir immer, jeder faßt
seinen Vater an! Ungefähr um ein Jahrhundert kommt man
immer zurück, wenn man in die dritte, vierte folgende
Generation geht, wenn Angehörige von drei oder vier
folgenden Generationen ihren Vater oder ihre Mutter anfassen.
Wir leben jetzt im 20. Jahrhundert. Wenn wir so die Reihe
aufstellen und immer einer den anderen nach rückwärts
anfaßt, so kommt man zu den Vorvätern oder
Vormüttern zurück. Und kommt man zu dem sechzigsten
Vorvater oder zu der sechzigsten Vormutter zurück, stehen
also sechzig hintereinander, die gedacht werden nach
rückwärts verlaufend in der Zeit — man kann
sich in einem großen Saal fast dies vorstellen, wie da
sechzig hintereinander stehen —, der Raum verwandelt sich
in die Zeit: da hat man in diesem Sechzigsten denjenigen
Vorfahren erreicht, der zur Zeit von Christi Geburt gelebt
hat.
Man
hat auf diese Weise an den Menschen herangebracht — man
kann ja, wenn man erfinderisch ist, auch noch andere Mittel
finden, aber ich will nur das Prinzip andeuten, daß er nun
selber in der Geschichte drinnen steht, und daß diejenigen
Menschen, die als Alfred der Große, als Cromwell und so
weiter bekannt sind, dann immer so bestimmt werden können,
als wenn sie ein Vorfahre wären. Man kann auf diese Weise
die ganze Geschichte unmittelbar in das Schulehalten
hineinstellen. Es wird an das Kind die Geschichte in einem
lebendigen geschichtlichen Zeitbegriffe herangebracht.
Das
ist notwendig, daß man auch da die Sache nicht absondert
vom Menschen, daß der Mensch nicht glaubt, es stehe die
Geschichte in einem Buch oder dergleichen. Es braucht ja nicht
gleich so arg zu sein, aber manche haben schon die Vorstellung,
die Geschichte stehe eigentlich in einem Buche. Aber es
müssen alle Mittel angewendet werden, um die Vorstellung
hervorzurufen, daß die Geschichte etwas Lebendiges sei,
und daß man selbst drinnen steht in diesem Lebendigen.
Dann handelt es sich darum, daß, wenn man eine
Zeitvorstellung in lebendiger Art hervorgerufen hat, man dazu
vorschreiten kann, innerlich das Geschichtliche zu beleben, wie
man das Rechnerische, das Geometrische dadurch belebt, daß
man nicht eine tote Anschauung entwickelt. Es phantasieren alle
Leute heute so viel von Anschauung, aber es handelt sich darum,
daß man eine lebendige Anschauung entwickeln muß,
nicht eine Anschauung erreicht, die auch tot sein kann.
Wenn man jene Symmetrie-Übungen macht, dann lebt in der
Anschauung drinnen die Seele: das ist lebendige
Anschauung. Wie man da die lebendige Anschauung im Räume
und so weiter versuchen muß, so muß man versuchen,
für einen gesunden geschichtlichen Unterricht des Kindes
zwischen dem neunten und zwölften Lebensjahre dasjenige
hineinzubringen, was eben von innen nun beleben kann, nicht vom
Räumlichen, sondern von der Seele her, vom Herzen her
beleben kann.
Der
Geschichtsunterricht muß ganz besonders vom Herzen aus
belebt werden. Man stelle daher die Geschichte
möglichst ideal in Bildern hin. Figuren, Gestalten sollen
dastehen; aber diese Gestalten sollen nicht kalt geschildert
werden, sondern immer soll, ohne daß man mit den
geschichtlichen Figuren den Unfug treibt, moralische oder
religiöse Ermahnungen damit zu geben, dennoch gerade das
religiöse Element, das moralische Element, in die
lebendige Schilderung der geschichtlichen Gestalten, der
geschichtlichen Figuren die Farbe hineinbringen. Das Kind
muß vorzugsweise durch die Geschichte in Gefühl und
Wille ergriffen werden, das heißt, es muß ein
persönliches Verhältnis gewinnen können zu
den geschichtlichen Gestalten, auch zu der Schilderung der
Lebensweise in einzelnen Epochen der Weltgeschichte.
Man
braucht bei der Gestaltung nicht bloß an den Menschen zu
denken. Man kann zum Beispiel schildern, wie es, sagen wir, in
einer Stadt im 12. Jahrhundert vor sich gegangen ist. Aber
dasjenige, was man da schildert, das muß in Gefühl
und Wille des Kindes hineingehen. Das Kind muß sich
selber drinnen formen in dem, wie es sich drinnen bewegt, wie
ihm die Dinge sympathisch und antipathisch werden.
Gefühl und Wille müssen erregt werden.
Sie
sehen aber, wie gerade in den geschichtlichen Unterricht auf
diese Art das künstlerische Element hineinkommen muß.
Dieses künstlerische Element kommt in die Dinge dann
hinein, wenn der Unterrieht, so wie ich es oftmals nenne,
ökonomisch erteilt wird.
Ökonomisch wird der Unterricht erteilt, wenn der Lehrer
eigentlich die Hauptsache für sich ganz erledigt hat, bis
zur Überreife erledigt hat, sobald er das Schulzimmer
betritt, wenn er da nicht mehr nötig hat, über irgend
etwas nachzudenken, wenn ihm die Lehrstunden durch seine eigene
Vorbereitung in plastischer Weise vor der Seele stehen.
ökonomisch erteilt man einen Unterricht, wenn man so
vorbereitet ist, daß für den Unterricht selbst nur
noch die künstlerische Gestaltung übrigbleibt. Daher
ist jede Unterrichtsfrage nicht bloß eine Frage des
Interesses, des Fleißes, der Hingebung der Schüler,
sondern in erster Linie eine Frage des Interesses, des
Fleißes, der Hingebung der Lehrer.
Keine Unterrichtsstunde sollte erteilt werden, die nicht vorher
vom Lehrer im Geiste voll erlebt worden ist. Daher muß
selbstverständlich das Lehrerkollegium so gestaltet sein,
daß für den Lehrer absolut die Zeit vorhanden ist,
alles auch für sich voll und intensiv zu erleben, was er
dann in die Schule hineinzutragen hat.
Etwas Schreckliches ist es, Lehrer, die noch zu kämpfen
haben mit dem Lehrstoff, mit einem Buche vor den Bänken
der Schüler herumgehen zu sehen! Wer das furchtbar
Unpädagogische dieser Sache nicht empfindet, der weiß
eben nicht, was alles unbewußt in den Kinderseelen
vor sich geht, und wie dieses Unbewußte eine ungeheure
Rolle spielt. Geschichte mit einem Notizbuch in der Schule
vorzubringen, das ruft, nicht im Oberbewußtsein, aber im
Unterbewußtsein, bei den Kindern ein ganz bestimmtes
Urteil hervor. Das ist ein intellektualistisches Urteil, ein
Urteil, das auch nicht bewußt wird, aber das in dem
Organismus des Menschen tief drinnen sitzt: Warum sollte denn
ich das alles wissen? Der weiß es doch auch nicht, oder
die weiß es doch auch nicht, die muß es erst ablesen;
das kann ich ja später einmal auch tun, ich brauche es
nicht erst zu lernen. — Das ist nicht ein in der Form dem
Kinde zum Bewußtsein kommendes Urteil, aber die anderen
Urteile sind viel wichtiger, die unbewußt im
Gemüt und Gefühl drunten sitzen.
Daher handelt es sich darum, daß mit innerer Lebendigkeit
und Frische aus dem Menschen selbst heraus der Unterricht
gegeben wird, ohne daß der Kampf besteht, wenn man zum
Beispiel die geschichtlichen Gestalten hinmalen soll, sich
selber erst die Daten zu vergegenwärtigen. Gerade beim
geschichtlichen Unterricht ist es notwendig, daß er nicht
nur so zum Menschen spricht, wie ich es in bezug auf den
historischen Zeitbegriff mit den hintereinandergestellten
Generationen gezeigt habe, sondern daß er auch aus dem
Menschen unmittelbar elementar hervorquillt, daß nichts
Abstraktes wirkt, sondern der Lehrer als Mensch wirke,
namentlich im geschichtlichen Unterricht. Und wenn so oft
gesagt worden ist, man habe, wenn man unterrichtet, zum ganzen
Menschen hin zu wirken, nicht zu einem Teil des Menschen, so
handelt es sich darum, daß man vor allen Dingen auch
folgendes zu betonen hat: ebenso wichtig, wie immer davon zu
sprechen, was das Kind lernen muß, ob das Kind
intellektualistisch oder dem Willen nach erzogen werden soll,
ebenso notwendig für die Pädagogik ist es, die Frage
zu entscheiden: Wie hat der Lehrer zu wirken? Soll der ganze
Mensch erzogen werden, so muß der Erzieher ein ganzer
Mensch sein, das heißt, nicht ein Mensch, der aus dem
mechanischen Gedächtnis heraus schafft und erzieht, oder
aus einer mechanistischen Wissenschaft, sondern der aus dem
Menschen heraus, aus dem ganzen, vollen Menschen heraus erzieht
und unterrichtet. Darauf kommt es an!
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