SIEBENTER VORTRAG
Dornach, 11. September 1924
Ehe
wir in der Betrachtung der Apokalypse weiterschreiten,
müssen wir nun zu den Mitteln des richtigen Lesens noch
eines hinzufügen, das aber mehr von außen genommen
ist. Es handelt sich ja durchaus darum, daß wir uns mit
der gelesenen Apokalypse dann in unsere Gegenwart
hineinstellen. Dazu müssen wir zunächst ins Auge
fassen, aus welchen spirituellen Untergründen heraus diese
Apokalypse entstanden ist. Ich meine das natürlich in
diesem Augenblick nicht so, wie man heute ein Werk aus seiner
Zeit heraus im trivialen historischen Sinn erklären will.
Das ist nicht anwendbar auf Werke, die ja in der in der
Apokalypse geschilderten Art aus der geistigen Welt heraus
konzipiert sind. Aber dennoch müssen wir uns klar sein
darüber: Die Apokalypse ist ja entstanden auf die Weise,
wie sie eben nach den geistigen Bedingungen ihrer Zeit
entstehen konnte, nicht nach den äußeren historischen
Bedingungen, sondern nach den geistigen Bedingungen ihrer
Zeit.
Fassen wir nun einmal diese Zeit ins Auge, diese Zeit der
ersten Jahrhunderte des Christentums, und bringen wir sie in
spirituellem Sinne in Zusammenhang mit der allgemeinen
Weltevolution.
Ein
wichtiges Jahr, wenn wir die Evolution ansehen, die hinter den
äußeren Ereignissen vor sich geht, ist das Jahr 333
nach Christus. Dieses Jahr 333 stellt ja denjenigen Zeitpunkt
dar, in dem das Ich hereinschlug in die Verstandes- oder
Gemütsseele des Menschen, wie sie sich ausgebildet hat
zwischen dem Jahr 747 vor Christi Geburt und dem Beginn des
Zeitalters der Bewußtseinsseele im 15. Jahrhundert. Dieses
Jahr 333 steht da mitten drin. In diesem Zeitalter der
Verstandes- oder Gemütsseele hat ja eine große Rolle
gespielt die Ausbildung der griechischen Geistesart, und diese
wirkte nach, bis eben das Zeitalter der Bewußtseinsseele
kam. In dieses Zeitalter der Entwickelung der Verstandes- oder
Gemütsseele fällt ja das Mysterium von Golgatha.
Nun
müssen wir uns darüber klar sein, daß dieses
Hineinschlagen des Ich in die Verstandes- oder Gemütsseele
etwas außerordentlich Bedeutsames darstellt. Dieses
Hineinschlagen des Ich, das um das Jahr 333 stattfindet, das
erschüttert doch in der Tiefe der Seele und in der
allerernstesten Weise gerade die Menschheit, die in Betracht
kommt für das Empfangen der spirituellen Einflüsse.
Von demjenigen, der Anteil haben will am spirituellen Leben und
der in der Richtung des spirituellen Lebens wirken will,
müssen die äußeren Tatsachen der geschichtlichen
Entwickelung durchaus hinorientiert werden auf die spirituellen
Hintergründe.
Was
haben wir denn in der Zeit, als gewissermaßen hinter den
Kulissen der äußeren Ereignisse das Hereintreten des
Ich in die Menschenseele stattfand, was haben wir denn da
für hervorragende äußere Ereignisse, und wie
müssen diese alle im Lichte dieses Hereintretens des Ich
angesehen werden? Ja, meine lieben Freunde, da beginnt
plötzlich für den Menschen das ganze Verhältnis
des Göttlichen zum Menschen unverstanden und wankend und
strittig zu werden.
Wir
haben in diesem Zeitpunkt den bedeutsamen Streit zwischen Arius
und Athanasius. Mit dem Hereinschlagen des Ich in die
Verstandes- oder Gemütsseele tauchen im Innersten des
Menschen, wenn auch noch etwas unbewußt, die Unklarheiten
auf und damit die Frage: Wie lebt denn eigentlich das
göttliche Ich in der Menschennatur? - In dieser Zeit wurde
der Mensch wankend darüber, wie er sich das
Verhältnis des Göttlichen zur Welt und zum Menschen
selber zu denken hatte. Und da standen sich die beiden
Anschauungen des Arius und des Athanasius in schroffer Weise
gegenüber. Wir sehen dann, wie in Westeuropa die Ansicht
des Athanasius die Oberhand gewinnt, und wie die Anschauung des
Arius einem allmählichen Untergang entgegengeht.
Fassen wir diesen Gegenstand jetzt einmal vom spirituellen
Standpunkte auf, denn das ist ja vor allem wichtig, wenn wir
den inneren Sinn und den inneren Geist von so etwas, wie es die
Apokalypse ist, wirklich verstehen wollen. Arius sieht auf der
einen Seite den Menschen, wie er immer höher und
höher steigt und sozusagen dem Göttlichen immer
näher kommen soll, und er sieht auf der anderen Seite die
göttliche Wesenheit; und er hat neben diesen großen
Weltenprinzipien nun das Mysterium von Golgatha zu verstehen,
die Natur Christi. Er will sich die Frage beantworten: Wie
steckt in Christus selber die menschliche und wie die
göttliche Natur? Hat man in Christus wirklich ein
göttliches Wesen zu sehen oder nicht? - Und er beantwortet
eigentlich diese Frage mit Nein. Er steht im Grunde genommen
auf dem Boden, der dann bei einem großen Teil der
europäischen Bevölkerung der allgemeine geworden ist:
die Grenzscheide aufzurichten zwischen dem Menschen und Gott,
die Innewohnung Gottes im Menschen nicht eigentlich zugeben zu
wollen und einen Abgrund zu setzen zwischen Gott und dem
Menschen.
Wir
müssen uns nun ohne Vorurteil zurückversetzen in jene
Zeit der ersten christlichen Entwickelung, die im Grunde nichts
gemein hat mit derjenigen des späteren römischen
Katholizismus, da später innerhalb des römischen
Katholizismus das Christentum in die Dekadenz gekommen ist.
Deshalb müssen wir uns auch darüber klar werden,
daß ja in der Tat für die Weiterentwikkelung der
Menschheit es dazumal notwendig war, die ganze Frage im Sinne
des Athanasius zu entscheiden, der in dem Christus eben ein
unmittelbar göttliches Wesen sah, der in dem Christus den
wirklichen göttlichen Sonnengeist sah, wenn das auch in
späterer Zeit wegen der Abneigung, den Christus
kosmologisch vorzustellen, in den Hintergrund trat. Aber in der
ganzen Geistesart des Athanasius lag das, daß er den
Christus wirklich als einen dem Vatergott gleichen Gott
ansah.
Diese Anschauung hat dann weitergewirkt, sie hat nur ihre
Spitze verloren im Jahr 869 durch das achte Konzil in
Konstantinopel, das im Grunde genommen dadurch die Lehre des
ersten Konzils von Nicäa zerstört hat, daß die
Trichotomie für ketzerisch erklärt worden ist. Damit
beginnt dann auch die Dekadenz des kirchlichen Christentums,
denn damit war das Hineinwachsen in die Geistigkeit für
spätere Jahrhunderte innerhalb der katholischen
Kirchenentwickelung durchaus abgeschnitten.
Es
ist durchaus jene Erschütterung, die im Innern des
Menschen stattfand beim Hereinbrechen des Ich in die
Verstandesoder Gemütsseele, welche durch dieses
äußere Ereignis koloriert wird und welche diesem
äußeren Ereignis den eigenen inneren Sinn gibt.
Und
wenn wir diese Dinge weiter historisch betrachten, so
müssen wir uns sagen: Nach diesem Jahr 333 folgten
diejenigen Zeiten, vor allem für die europäische
Entwicklung, die mit dem alten Römertum brachen. Wir
sehen, wie das alte Römertum, so wie es geworden war,
eigentlich im Grunde genommen das Christentum nicht aufnehmen
konnte. Es ist ein grandioses Bild, das sich uns entrollt, wenn
wir den Blick hinrichten auf dieses Jahr 333. Es ist ja
zugleich das Jahr, das die Zeitepoche angibt, in welcher das
Römertum von Rom aus weiter nach Osten verlegt wurde. Es
flüchtete sich, unter demjenigen römischen Kaiser,
dem römischen Cäsar, der das Christentum sich
aneignen will, das Christentum von Rom aus weiter nach Osten.
Wir müssen nicht so sehr auf die Auswüchse und
Schäden sehen, die dann durch das Konzil von
Konstantinopel eintraten, wir müssen mehr auf das
hinblicken, was darin liegt, daß von Westen nach Osten
geflüchtet werden muß, als in Rom das Christentum
hereinschlägt. Das ist ungeheuer bedeutungsvoll. Von der
geistigen Welt aus gesehen ist das ein so bedeutsames,
leuchtendes Ereignis, daß demgegenüber alles, was der
Byzantinismus an Schäden dann brachte, wenig in Betracht
kommt.
Man
möchte sagen, von ungeheurer Bedeutung ist es, daß
das Christentum, als es in seiner äußeren Gestaltung
vom Römertum berührt wurde, flüchten mußte.
Auf dem Boden des Römertums allerdings, auf dem, was sich
auf römischem Gebiet lange vorbereitet hat, geht ja dann
das Christentum auf, nachdem es unter Konstantin nach dem Osten
geflüchtet ist; aber indem es als Blüte aufgeht, wird
es hineingezwängt in äußere, weltliche
Formen.
Man
muß sich nur einmal vorstellen, was das heißt,
daß das prophetische Auge des Apokalyptikers auf das
Christentum hinsieht, wie es sich in Rom vorbereitet, wie aber
in dem Moment, wo das Römertum selbst sich in
ausgesprochener Weise für das Christentum erklärt,
das Christentum eigentlich die alten römischen Formen
annimmt. Das ist eigentlich der Aspekt, der sich uns darstellt:
Auf der einen Seite sehen wir den geistigen Streit zwischen
Arius und Athanasius, und auf der anderen Seite sehen wir das
alte Rom, das zum Christentum sich bekehrt. Aber indem das
Christentum nach Osten wandert, nimmt es die in Rom selbst
zurückbleibende Form, die römische Staatsgestaltung,
an und wird, auch in seiner äußeren Wirksamkeit, die
Fortsetzung des alten Rom.
Und
nun sehen wir zunächst ab von gewissen Dingen, die wir
noch tiefer spirituell werden erklären müssen, und
sehen wir auf das Historische hin. Ja, dieses Historische sieht
der Apokalyptiker in einer großen und gewaltigen Weise
voraus. Er macht darauf aufmerksam - das heißt, er spricht
es nicht deutlich aus, aber er hat es in seinem Gefühl,
und in der Komposition seiner Schrift liegt es -, er macht
darauf aufmerksam, wie das Wachstum desjenigen, was innerhalb
der Menschheit und äußerlich in der Geschichte vor
sich gehen wird, 333 Jahre braucht nach dem Mysterium von
Golgatha, und wie dann eine merkwürdige Scheinentwickelung
des Christentums eintritt. Das christliche Römertum,
entwurzelt, nach Osten hinübergegangen, das römische
Christentum, sich den römischen Formen ganz anbequemend
das ist der Boden, auf dem alles dasjenige sich vorbereitet,
was nun wiederum 333 Jahre dauert bis zum Jahr 666 (Tafel
5).
Und
wenn Sie sich vor die Seele rufen, meine lieben Freunde, was
wir gestern besprochen haben über das Sichversenken in die
Zahl bei solch einem noch aus den alten Mysterien inspirierten
Menschen wie dem Apokalyptiker, wenn Sie das nehmen, dann
werden Sie sich sagen können: Dieser Apokalyptiker schaut
auf die weiteren 333 Jahre hin, wo das Christentum in einer
gewissen äußeren Scheinblüte sein wird, wo es
aber nach zwei Seiten hin in trübe Nebel gehüllt sich
entwickeln muß, ostwärts getrieben zur Zeit
Konstantins und vom Westen das Alte wie ein Ahrimanisches
bewahrend. Da bereitet sich etwas vor im Schoße der
Entwickelung, was geblieben war vom nichtchristlichen alten
Römertum.
Worin besteht dieses nichtchristliche Römertum? Nun,
schauen wir einmal hinein in die Mysterien, so finden wir,
daß in den ausgebildetsten, in den größten
Mysterien überall die Trichotomie, die heilige Dreizahl,
eine tiefe Bedeutung hatte, und wir wollen uns jetzt einmal vor
Augen stellen, wie diese Auffassung war. Da stellte man sich
den Menschen vor, wie er geboren wird im Verlaufe der
physischen Vererbungsströmung, den Menschen, wie er etwa
gedacht worden ist innerhalb der Weltordnung von der
hebräischen Geheimlehre. Man stellte sich den Menschen vor
mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften, die er sich
mitgebracht hatte durch die Vererbung, durch die Abstammung.
Man stellte sich das Leben des Menschen sozusagen als eine in
gerader Linie gehende Entwickelung vor, in die im wesentlichen
nichts eingreift als dasjenige, was verursacht ist durch die
Impulse der Vererbung. Ihr stammt von den physischen
Elterngewalten ab, ihr tragt auch die geistigen Impulse der
physischen Eltern waltend in euch -, so etwa war die Lehre der
Väter in den alten Mysterien. Und bei dieser Lehre blieb
es, sagen wir zum Beispiel in der hebräischen Geheimlehre,
aber auch in anderen Geheimlehren.
In
den Mysterien, welche als die höheren zu bezeichnen sind,
fügte man aber nun ein anderes hinzu. In diesen Mysterien
sprach man davon, wie der Mensch, indem er in sich trägt
die Impulse der Vererbung und sich mit diesen entwickelt, nun
aber während seines physischen Daseins zwischen Geburt und
Tod aufnehmen kann einen anderen Impuls, denjenigen Impuls,
durch den er sich herausheben, durch den er seelisch sich
herausfinden kann aus den Vererbungsverhältnissen: den
Sohnes-Impuls, den ChristusImpuls. Man sagte: Die Impulse der
Vererbung liegen im Menschen und bilden eine gradlinige
Evolution zwischen seiner Geburt und seinem Tod. Sie sind vom
Vater, vom Vater, der allem zugrundeliegt. Die Impulse des
Sohnes aber gehen nicht ein in die Vererbungskräfte, sie
müssen in die Seele aufgenommen und von der Seele
verarbeitet werden, sie müssen die Seele so weiten
können, daß sie frei wird von Leibeskräften,
frei von Vererbungskräften. Die Impulse des Sohnes gehen
in die Freiheit des Menschen ein - so wie man Freiheit in den
damaligen Zeiten verstand -, sie gehen in die Freiheit der
Seele ein, wo diese frei ist von Vererbungskräften. Sie
sind es, welche den Menschen seelisch wiedergeboren werden
lassen. Sie sind es, welche den Menschen befähigen, sich
während seines ihm vom Vater gegebenen Lebens selber in
die Hand zu nehmen. So sah man in allen diesen alten Mysterien
den Vater-Menschen und den Menschen, der der Sohn des Vaters
ist, der der Bruder Christi ist, der sich selber in die Hand
nimmt, der dasjenige in sich aufnimmt, was in gewisser
Beziehung frei ist vom Leibe, und der ein neues Reich in sich
tragen muß, das nichts weiß von der Natur, das eine
andere Ordnung darstellt als die Natur: das Reich des
Geistes.
Würde man nun vom Vatergott sprechen, so würde
man berechtigt sein — wenn auch nicht in der
äußerlich materialistischen Weise wie heute, sondern
mehr ähnlich wie in der hebräischen Lehre -,
überall zu sprechen von Naturwirkungen, die zugleich
Geistwirkungen sind, denn in den Naturwirkungen sind ja
überall Geistwirkungen enthalten. Unsere
Naturwissenschaft, wie sie vor einiger Zeit entstanden ist und
wie sie heute wirkt, ist ja nur eine einseitige Wissenschaft
vom Vater. Dazu kommen muß die Wissenschaft vom Sohne, vom
Christus, die Wissenschaft, die sich darauf bezieht, wie
sich der Mensch selber ergreift, wie der Mensch einen Impuls
erhält, den er nur durch die Seele aufnehmen kann und der
nicht aus den Vererbungskräften kommt. Daß der Mensch
sich da hineinlebt, ist zunächst ohne
Gesetzmäßigkeit, ohne Gesetzeskraft und -Wirksamkeit.
Die Wirksamkeit wird ihm hereingebracht durch den Geist, so
daß wir im Sinne der alten Mysterien zwei Reiche haben:
das Reich der Natur, also das Reich des Vaters, und das Reich
des Geistes; und der Mensch wird hineingetragen aus dem Reich
der Natur in das Reich des Geistes durch den Sohn, durch den
Christus.
Wenn wir uns so recht bewußt werden, wie solche
Anschauungen den Apokalyptiker noch beherrschten und auch in
seiner ganzen Zeit innerlich in den Seelen herrschten, dann
werden wir die Möglichkeit gewinnen, hineinzublicken in
seine prophetische Seele, welche die Zukunft in großen
Zügen überschauen konnte, um zu verstehen, wie er nun
dasjenige ansah, was um das Jahr 666 sich ergießt
über das nach zwei Richtungen hin in ein Scheinchristentum
verfallende Christentum.
Da
fiel sein prophetischer Blick auf jene Lehre, welche nun im
Osten entsteht - um 666 -, und welche zurückgreift in
jenes Mysterienwesen, das nichts weiß vom Sohn: die
mohammedanische Lehre. Die mohammedanische Lehre kennt nicht
diese Struktur der Welt, von der ich Ihnen gesprochen habe, sie
kennt nicht die zwei Reiche, das Reich des Vaters und das Reich
des Geistes, sie kennt nur allein den Vater. Sie kennt nur die
starre Lehre: Es gibt nur einen Gott, Allah, und nichts, was
neben ihm ist, und Mohammed ist sein Prophet. - Von diesem
Gesichtspunkt aus ist die mohammedanische Lehre die
stärkste Polarität zum Christentum, denn sie hat den
Willen zum Beseitigen aller Freiheit für alle Zukunft, den
Willen zum Determinismus, wie es nicht anders sein kann, wenn
man die Welt nur im Sinne des Vatergottes vorstellt.
Und
der Apokalyptiker empfindet: Da kann der Mensch sich nicht
selber finden. Da kann der Mensch nicht durchchristet werden.
Da kann der Mensch nicht sein Menschentum in sich ergreifen,
wenn er nur erfaßt diese ältere Lehre vom Vater. -
Und für eine innerlich so starre, geschlossene
Weltanschauung wird dann die äußere Menschengestalt
zum Schein. Denn der Mensch wird erst Mensch dadurch, daß
er sich selbst erfaßt, indem er in sich den Christus
lebendig macht. Dadurch wird er erst Mensch, daß er sich
in die von der Natur ganz freien Reiche des Geistes, in die
Geistesordnung, hineinfügen kann. Er wird nicht Mensch,
wenn er zurückfällt in die Anschauung, die nur mit
dem Vatergott rechnet.
Das
aber droht der Menschheit - so sagt im Grunde genommen der
Apokalyptiker -, daß die Menschheit, nachdem seit dem
Jahre 333 das Ich hereindringt in den Menschen, die Menschheit
nun irregemacht wird an der Durchdringung dieses Ichs mit dem
Sohnesgott, mit dem Christus. Da steht etwas auf, nach einem
Zeitraum, der ebensolange dauert, wie der Zeitraum gedauert hat
seit dem Mysterium von Golgatha, da steht etwas auf, was droht,
den Menschen auf der Stufe der Tierheit zu erhalten. 666 ist
die Zahl des Tieres.
In
dezidierter Weise sah der Apokalyptiker innerlich voraus, was
den Menschen drohte. Das Christentum wird nach zwei Richtungen
hin in ein Scheinchristentum verfallen - oder besser gesagt, es
wird in ein in Nebel gehülltes Christentum hineingeraten;
und das, was ihm droht als ein solches Überflutetsein, das
wird bezeichnet durch das Jahr 666, das in der geistigen Welt
das bedeutsame Jahr war, wo überall eintritt, was im
Arabismus, im Mohammedanismus lebt. Er bezeichnet dieses Jahr
666 mit aller Deutlichkeit. Diejenigen, die apokalyptisch lesen
können, die verstehen das schon. Der Apokalyptiker sah
voraus, wie dasjenige wirken würde, was da hereinbricht,
wenn er in dem gewaltigen Worte die Zahl 666 als die Zahl des
Tieres bezeichnet.
So
nimmt er im Grunde genommen auf apokalyptische Art alles
voraus, was dann folgt: Es folgt das Herüberströmen
des Arabismus nach Europa, es folgt das Durchdrungenwerden des
Christentums von einer Lehre, die nur dazu hat führen
können, den Menschen in seiner Menschheit zu verkennen,
indem die Vaterlehre dann durch den Materialismus umgesetzt
worden ist, der zu der Auffassung der neuesten Zeiten
geführt hat, man könne die Evolution des Menschen
erklären, wenn man nur die Entwickelung der Tierreihe
verfolgt bis hinauf zum Menschen.
Ist
es nicht im Darwinismus noch so gewesen, daß, indem
heraufstieg die Zahl des Tieres, 666, der Mensch sich nicht
mehr begreifen konnte als Mensch, sondern sich nur begreifen
konnte als eine Art höheres Tier? Sehen wir nicht in der
Imprägnierung des Christentums mit der materialistischen
Form der Vaterlehre ahrimanische Widerstände gegen den
Sohnesgott wirken? Wirkt das nicht noch bis in unsere Zeit
hinein? Mußte ich doch oftmals sagen: Man nehme aus der
neueren theologischen Literatur so etwas wie Harnacks
«Wesen des Christentums»; Sie können in diesem
Buch überall, wo der Name Christus steht, stattdessen den
Vaternamen hinsetzen, denn Harnacks «Wesen des
Christentums» ist nur eine Lehre vom Vatergott, nicht eine
konkrete Christus-Lehre. Es ist vielmehr eine Verleugnung der
Christus-Lehre, denn es ist an die Stelle des Christus der
allgemeine Vatergott gesetzt, ohne daß auch nur ein
Vorstoß gemacht wurde zu all dem, was Christologie
ist.
Diese Zeit sieht der Apokalyptiker herankommen. Und indem er
sie herankommen sieht, sieht er darin im Grunde genommen dem
Wesen nach schon dasjenige, was - ich möchte es mit einem
menschlichen Ausdruck sagen, der nicht recht das Spirituelle
deckt, aber es gibt keinen anderen - sich auf seine Seele legt:
die Schwierigkeit mit der Transsubstantiation. Meine lieben
Freunde, Ihr wißt ja selber, wie Eure Seelen mit der
Schwierigkeit der Transsubstantiation gekämpft haben, als
diese Bewegung für christliche Erneuerung inauguriert
wurde, und wieviel von Euch noch heute weiter gekämpft
wird mit den Schwierigkeiten in der Auffassung der
Transsubstantiation. Wir können an manche
Diskussionsstunde denken, die wir drüben in jenem Zimmer,
von dem aus der Brand des Goetheanums seinen Anfang genommen
hat, gerade über die Transsubstantiation hatten. Denn in
der Transsubstantiation ist ja die ganze Frage enthalten: Sohn
und Vater. Und man möchte sagen: In dem
Transsubstantiationsstreit, wie er dann heraufgezogen ist im
Mittelalter, liegt auch etwas von derjenigen Bedrückung,
die die Menschheit im Streite zwischen Arianismus und
Athanasianismus gesehen hat.
Bei
der Transsubstantiation handelt es sich darum, daß sie ja
in der Tat nur eine Bedeutung haben kann, wenn ihr
zugrundeliegt eine wirkliche, dem Spirituellen entsprechende
Auffassung der Christologie, der Art, wie der Christus mit der
Menschheit und mit der Erde verbunden ist. Aber durch das
Hereinbrechen des Arianismus war die Transsubstantiationslehre
immer ausgesetzt der Annäherung an die Vater-Lehre, der
Annäherung daran, daß so etwas wie die Metamorphose,
die sich vollzieht mit den für die Transsubstantiation in
Betracht kommenden Substanzen, gestellt werden muß in die
Reihe der Naturvorgänge, in das Geistige der
Naturvorgänge.
Alle die Fragen, die sich an das Abendmahl anlehnen,
entspringen ja daraus, daß man sich eigentlich sagt: Wie
kann dasjenige, was sich in der Transsubstantiation vollzieht,
so erfaßt werden, daß man es vereinigen kann mit dem,
was man in dem Wirken des Vaters in der Evolution und in dem
Wirken des Geistes in den Naturgesetzen hat? Nicht die
Wunderfrage kommt dabei in Betracht, sondern die Frage des
Sakramentalismus, die auf etwas ganz anderes hinausgeht als auf
die triviale Wunderfrage, die ja im 19. und schon im 18.
Jahrhundert den Menschen so sonderbare Schwierigkeiten gemacht
hat. Dasjenige kommt in Betracht, daß in der Tat in der
Welt gedacht werden muß die Ordnung des Vaters und die
Ordnung des Geistes; und dazwischen steht der Sohn, der das
Reich der Natur in das Reich des Geistes innerhalb der
Menschenwelt hinaufhebt. Wenn wir dies vor unsere Seele
hinstellen, dann erscheint uns in der Tat die
Transsubstantiation als etwas, was wir gar nicht in der weiten
Naturordnung sehen müssen, was aber nicht minder mit einer
Realität ausgestattet ist, mit einer spirituellen
Realität, mit einer wirklichen spirituellen Realität,
von der ebenso gesprochen werden kann wie von der Realität
der Naturordnung.
Aber der Apokalyptiker sah auch voraus, wie schwer es der
Menschheit werden würde - da die Zahl 666 in die
menschliche Evolution hereinspielt mit einer solchen Gewalt -,
wie schwer es den Menschen werden würde zu sagen: Es gibt
eben neben der Naturordnung noch diese andere Ordnung, die
geistige Ordnung.
Hier kommt nun etwas - man möchte sagen, wie die modernste
Rettung -, was aus der Anthroposophie heraus Licht werfen kann
gerade auf so etwas wie die Transsubstantiation. Denn durch
Anthroposophie machen wir ja wieder lebendig, wie der Mensch in
wiederholten Erdenleben lebt, und wie der Mensch, indem er mit
seinem Tun innerhalb der äußeren physischen Welt
steht, auch die Impulse hat, die in der Vererbungslinie liegen,
wie er mit der Vererbung, mit der Vaterkraft
zusammenhängt. Viel liegt in dem menschlichen Schicksal,
wenn wir es nur äußerlich betrachten, was mit diesen
Vererbungskräften zusammenhängt, was aus den in die
Natur hineingeheimnißten Vaterkräften geschieht.
Indem der Mensch aber so handelt, daß er mit seinem Tun
den Geist in seine physische Leiblichkeit hineinbringt, die er
zunächst im gegenwärtigen Dasein errungen hat, spielt
da nun fortwährend alles dasjenige herein, was als
Ergebnis aus den früheren Erdenleben kommt. Auch das wirkt
in ihm, auch diese Kräfte liegen seinem Handeln
zugrunde.
Schauen Sie sich eine menschliche Handlung an. Sie kann
angesehen werden von zwei Aspekten aus: vom Aspekt des
Menschen, der geboren ist von Vater, Mutter, Großvater,
Großmutter und so weiter; aber man schaue die Handlung
auch von dem anderen Aspekt an - da wirken in ihr die
Kräfte, die die Nachwirkungen sind von früheren
Erdenleben. Wir haben da eine ganz andere Ordnung, deshalb
können sie auch nicht von irgendeiner Naturwissenschaft,
das heißt Vaterwissenschaft begriffen werden.
Es
gibt eine Möglichkeit, zu zwei Dingen hinzuschauen, die
essentiell dasselbe sind, wenn sie auch akzidentiell
verschieden sind. Wir schauen hin auf der einen Seite, wie aus
dem Menschen heraus das Karma, das Schicksal, als Ergebnis
früherer Erdenleben sich entwickelt; wir haben da eine
Gesetzmäßigkeit, die ganz und gar nicht eine
Naturgesetzmäßigkeit ist, die aber da ist. Und
schauen wir nun hin auf den Altar, so sehen wir, wie auch die
Transsubstantiation äußerlich nicht sichtbar ist, und
wie sie in den physischen Substanzen als geistige Realität
sich vollzieht. Darin herrschen dieselben Gesetze. Zwei Dinge
können wir zusammenbringen: Die Art und Weise, wie Karma
wirkt, und die Art und Weise, wie die Transsubstantiation sich
vollzieht. Wer das eine versteht, kann auch das andere
verstehen.
Das
ist eines der Mysterien, die Ihr, meine lieben Freunde, in der
neuen Priesterschaft erfassen müßt. Das ist eines der
Mysterien, unter deren Licht diese priesterliche Gemeinschaft
sich aus der Anthroposophie heraus entwickeln muß. Das ist
einer der innerlichen Gründe dafür.
Damit ist aber zugleich hingewiesen auf die ungeheure
Schwierigkeit, die für die Auffassung der
Transsubstantiation dadurch bestand, daß man gar nicht
eine solche Gesetzmäßigkeit begreifen konnte, wie sie
zunächst im menschlichen Karma vorhanden ist und wie sie
der Transsubstantiation zugrundeliegt. Jenes Jahr, in dem das
Ich in den Menschen eingezogen ist, das ihn die Freiheit
erringen ließ im physischen Leben, jenes Jahr 333, in dem
das Christentum auf der einen Seite flüchten mußte
nach dem Osten, auf der anderen Seite geflüchtet ist in
das alte Römertum - das ja niemals ganz christlich sein
konnte -, jenes Jahr 333 hat nicht nur den Einzug des Ich
gebracht, sondern es hat auch einen Schatten, eine Finsternis
geworfen, werfen müssen über die Zusammenhänge
zwischen den verschiedenen Erdenleben. Es liegt das ja in der
Evolution der Menschheit.
Wäre damals das Ich nicht eingezogen in den Menschen, was
wäre geschehen? Julian Apostata - den man eigentlich in
bezug auf die alten Mysterien nicht Apostat, sondern Confessor
nennen sollte -, Julian Apostata hätte gesiegt. Mit der
Lehre der alten Mysterien, die er hatte einführen wollen,
hätte geschehen können, daß das Ich, das
hereingezogen ist aus spirituellen Welten, von der Menschheit
so aufgenommen worden wäre, daß man damit auch die
Karmalehre begriffen hätte. Es ist das natürlich nur
eine Hypothese, wir wollen nur beleuchten, was hätte
geschehen können. Die Menschheit mußte aber erst
stärkere Wälle überschreiten und konnte nicht
auf so leichte Weise hereinkommen in das Verständnis des
Christentums, wie es der Fall gewesen wäre, wenn Julian
Apostata gesiegt hätte.
So
wurde denn die Menschheit ausgesetzt dem Heraufkommen des
Tieres, den Folgen, den Ergebnissen der Zahl 666. Wie gesagt,
wir wollen dies in den nächsten Tagen noch mehr innerlich
besprechen. So wurde der Menschheit entzogen die Karmalehre,
und so wurde in die Menschheit hineingestellt die
Transsubstantiationslehre, aber so, daß sie nichts
Analoges hatte in der äußeren Weltanschauung, denn
das Analoge zum Verständnis der Transsubstantiationslehre
ist das Verständnis der Karmalehre. Die Kraft, durch die
das Schicksal eines Menschen in aufeinanderfolgenden Erdenleben
«gemacht» wird, das ist keine Naturkraft, das ist
keine Vaterkraft - das ist die Kraft des Geistes durch die
Vermittlung des Sohnes. Und die Kraft, welche am Altar wirkt
bei der Umwandlung des Sanktissimum, ist dieselbe.
Wir
müssen uns das schon tief in die Seele hineinschreiben, um
es richtig verstehen zu können. Wenn wir unsere Seele,
unser Gemüt erheben können zu den geistigen Impulsen,
die von Erdenleben zu Erdenleben wirken, dann verstehen wir
auch das, was am Altar in der Transsubstantiation geschieht.
Denn da ist es nicht anders:
Wenn das gewöhnliche Verständnis hinschaut auf das
Sanktissimum, sieht es nichts von dem, was wirklich geschieht,
so wie man auch im Schicksal eines Menschen nichts von dem
sieht, was wirklich geschieht, wenn man nur auf das hinschaut,
was im materiellen Sinne aus den Kräften seiner Muskeln
und seines Blutes hervorgeht - ich spreche nicht von den
spirituellen Kräften, die in den Muskeln und im Blute
wirken -, also aus dem, was in der Vererbungsströmung
liegt.
Sehen Sie, meine lieben Freunde, das sind die
Zusammenhänge, ohne deren Verständnis auch ein wahres
Verständnis der Apokalypse und des Apokalyptikers nicht
möglich ist. Die Impulse, die wir ganz deutlich lesen
können in der Apokalypse, führen aber unmittelbar in
die Gegenwart herein.
|