VIERTER VORTRAG
Stuttgart, 1. September 1921
Es
wird in den nächsten Tagen meine Aufgabe sein, in diesen
Betrachtungen die Ideen zu gestalten, welche die Erkenntniswege
zu den übersinnlichen Welten und zur praktischen
Verwertung der Ergebnisse dieser übersinnlichen Forschung
bezeichnen. Ich habe mir es aber ganz besonders diesmal zur
Aufgabe gemacht, behufs Gestaltung dieser Ideen eine Art
Orientierung vorzubringen darüber, wie dasjenige, was an
solchen Ideen übersinnlich-anthroposophischer Wissenschaft
auftreten kann, ein gültiges Verhältnis zu denjenigen
Weltanschauungen gewinnt, die in der neuesten Zeit auf die
Menschheit Einfluß gewonnen haben und die diesen
Einfluß zum Teil noch haben. Ich habe gestern aus diesen
Intentionen heraus einiges vorgebracht von dem Suchen
Friedrich Nietzsches, und ich glaube, es dürfte
sich herausgestellt haben, daß Friedrich Nietzsches
Seelentragik sich zuletzt ganz besonders dadurch offenbarte,
daß er, um zu einer wahrhaft menschenwürdigen
Anschauung für das Leben zu kommen, gewissermaßen den
Menschen sprengen mußte und fassen mußte die Idee des
Übermenschen. Vor Nietzsches Blick verschwand der Mensch,
für den sich ihm kein befriedigender Inhalt ergeben
konnte, und er lechzte nach einer Anschauung, die er nur
lyrisch oder abstrakt zum Ausdruck bringen konnte in seiner
Idee vom Übermenschen. Und auf der anderen Seite hatte
Nietzsche das Bedürfnis, hinauszuschauen für eine
Gesamterklärung des Menschenlebens und Weltendaseins
über das einzelne menschliche Leben zwischen Geburt und
Tod; aber er kam bei diesem Suchen nur zu seiner Idee von der
Wiederkehr des Gleichen, von der ewigen Wiederkehr derselben
gleichen Erdenleben des einzelnen Menschen. Mit andern
Worten: er konnte demjenigen, was der Mensch in sich birgt
zwischen Geburt und Tod, dem, was erlebt werden kann in dieser
Zeitenspanne, nicht so viel entlocken, um für seine
wiederholten Erdenleben einen wirklichen Inhalt zu
gewinnen, und so blieb es bei der abstrakten Idee der
bloßen Wiederholung dieser Erdenleben.
Forscht man naher nach, wie Nietzsche zu dieser Seelentragik
gekommen ist, warum er nichts anderes herauslocken konnte aus
seinem so tiefen menschlichen Streben, so kommt man zuletzt
doch, wie ich glaube, zu denjenigen Ergebnissen, die ich im
Beginne dieses Jahrhunderts in meinem Aufsatze über die
Persönlichkeit Nietzsches als psycho-pathologisches
Problem in der «Wiener klinischen Rundschau»
niedergelegt habe. Es stellte sich mir dar, wie in Nietzsche
wohl das Streben nach einer umfassenden Anschauung des
gesamt-menschlichen Daseins vorhanden war, daß aber dieser
Drang in einem von Anfang an ungesunden Organismus lebte und
daß sich darin eben offenbart, wie auf der einen Seite
seine Seele gewissermaßen einen freien Flug entwickelte
gerade wegen der Ungesundheit des Organismus, wie aber dieser
Flug dadurch selber kein völlig gesunder sein konnte. Das
weist aber darauf hin, gerade die gesunden Erkenntnisquellen
anthroposophischer Weltanschauung zu suchen.
Bei
Nietzsche findet man, daß er niemals ein eigentliches
tieferes Verhältnis hat gewinnen können zu der
modernen naturwissenschaftlichen Anschauungsweise. Sie blieb
ihm gewissermaßen immer etwas Grobes, etwas, was auf seine
feine Organisation abstoßend wirkte. Er konnte sich nicht
anders befreunden mit solchen Ideen wie den Darwin'schen, als
indem er sie sprengte, indem er den Blick abwandte von ihnen
und sich nicht vergegenwärtigte, wie der Mensch aus andern
Organismen physisch hervorgegangen ist, sondern zu dem Postulat
sich hinneigte, daß sich der Übermensch aus dem
Menschen entwickeln müsse. Nun, auch wenn man, wie mir
scheint, noch so tief eingedrungen wäre in ein Erleben
geistiger Welten: man kann zu keiner für die heutige Zeit
befriedigenden Formulierung seiner Anschauungen kommen, wenn
man nicht die Linien von geistiger Anschauung zu der
naturwissenschaftlichen Weltanschauung der neueren Zeit zu
ziehen vermag.
In
derselben Zeit, in welcher meine «Philosophie der
Freiheit» erschienen ist, die zunächst die
menschlichen Handlungsimpulse in einer anthroposophischen Art
als übersinnliche zu enthüllen versuchte und damit
der menschlichen Ethik eine Grundlage zu liefern trachtete, in
derselben Zeit erschien die damals aufsehenerregende Wiedergabe
von Haeckels Altenburger Rede «Der Monismus als
Band zwischen Religion und Wissenschaft». Und ich glaube
nicht, daß der Weg, welchen der gegenwärtige Mensch
zu den Er-kenntnisquellen anthroposophischer Forschung
zurückzulegen hat, fruchtbar geschildert werden kann, ohne
daß man dasjenige ins Auge faßt, was gerade mit einer
solchen Anschauung wie Haeckels Monismus in unsere Gegenwart
hereingezogen ist. Nietzsches Tragik beruht gerade darauf,
daß er sich in so etwas eben nicht hat einleben
können.
Haeckels Monismus ist gewiß in vieler Beziehung etwas
Anfechtbares, allein, wenn man sich wirklich eingelebt hat in
eine solche Denkergesinnung, muß man sagen, daß in
ihr diejenige Anschauungsweise wirksam geworden ist, die sich
aus der modernen Naturforschung heraus ergeben hat und die bei
Haeckel mit einem religiösen, man könnte sogar sagen,
fanatischen Charakter aufgetreten ist. Aber man wird doch
Haeckel nicht abtun können, wie so viele es wollen, indem
man einfach auf seine Klischees in der «Natürlichen
Schöpfungsgeschichte» hinweist. Das ist eine Sache,
die ihm allerdings, ich mochte sagen, durch eine gewisse
wissenschaftliche Schlamperei passiert ist. Er hat Embryonen in
frühem Stadium so gezeichnet, daß er, für
allerdings wenig Verschiedenes, aber doch Verschiedenes,
einfach die gleichen Klischees hat verwenden lassen. Es ist
aber doch zu billig, um einer solchen Schlamperei willen etwa
Haeckels ganze monistische Denkweise abtun zu wollen, denn
diese birgt dennoch in sich dasjenige, wiederum in Reinkultur,
was sich einem nach Konsequenz drängenden Geiste aus dem
modernen Forschungssinn heraus aufdrängte. Dieser moderne
Forschungssinn hat ja eine Hinneigung zur Beobachtung, zum
Experiment gezeitigt. Er hat dazu gedrängt, alle
subjektiven Einflüsse auf die Weltanschauung des
Natürlichen zu tilgen; er hat bewirkt, daß sich an
Beobachtung und Experiment das Denken in einer
außerordentlichen Weise diszipliniert und methodisiert
hat. Und wenn auch gerade in dieser Beziehung Haeckel manchen
Fehler aufweist, so wird man im Ganzen seiner Darlegungen immer
diese Disziplinierung und diese Methodisierung des Denkens
verspüren und zu gleicher Zeit ein künstlerisches
Hindrängen nach Lösung der höchsten Probleme,
die sich gerade aus naturwissenschaftlicher Forschung auch
über den Menschen ergeben können.
Was
ich mit Bezug auf Goethe sagen mußte —
daß er eine besondere Seelenverfassung hatte, um in die
vielgestaltige und werdende Pflanzenwelt mit seinen
anschaulichen Ideen einzudringen —, das lieferte zugleich
den Grund für das Verständnis, daß Goethe ein
eminenter Geist war zur Erforschung der Pflanzenwelt, aber es
brachte auf der andern Seite auch ein Bedenken, wenn man sieht,
wie Goethe mit seiner anschaulichen Idee nicht den Weg
fortsetzen konnte, um auch das Reich des Tierisch-Lebendigen in
einer ihn selbst befriedigenden Weise zu behandeln.
Haeckel segelte, ich möchte sagen, aus dem ganzen Sinn des
Zeitalters der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts,
in denen seine Studienjahre lagen, gerade in eine Erforschung
des Tierisch-Lebendigen hinein. Für ihn ergab sich die
Notwendigkeit, Gestaltung und Werden der tierischen Wesen zu
erforschen, zu erforschen wie die vielgestaltigen tierischen
Wesen im Weltendasein miteinander zusammenhängen. Man kann
nicht sagen, daß Haeckel auf der Höhe Goethes stand,
indem er seinen Forschersinn gegenüber der tierischen
Lebewelt anwendete; denn Goethe war immerzu bemüht,
dasjenige, was er forschend betätigte, in einer gewissen
Selbstbeobachtung sich zur Klarheit zu bringen und damit sich
mit sich selber dahin zu verständigen, wieviel die
äußere Anschauung gibt und wieviel durch eine
sinnlich-übersinnliche Anschauung, wie er sie nannte, zu
der äußeren Sinnesanschauung hinzukommen müsse,
um die wahre Wirklichkeit, namentlich des Pflanzenwesens, zu
ergreifen. Haeckel ging mehr wie ein naiver Geist vor; es lebte
etwas in ihm, das ihn gerade prädestinierte, in das Werden
der tierischen Welt einzudringen. Aber jenen Sinn für
Selbstbeobachtung, wie man ihn an Goethe bemerken kann, den
hatte Haeckel nicht. Deshalb kam es auch, daß er sich
eigentlich niemals recht Klarheit verschaffte, wie der Mensch
als solcher nun in der Welt drinnensteht, die er so erforschen
muß, wie Haeckel die tierische Welt zu erforschen
versuchte.
Weil nun aber derjenige, der von der sinnlich-physischen Welt
in dem Sinne der hier gemeinten Anthroposophie in die
übersinnliche Welt hinauf will, durchaus beim Forschen in
dieser denselben Geist betätigen muß, der richtig in
die sinnliche, namentlich in die komplizierte sinnliche Welt
der tierischen Organismen einführt, so kann man an den
Forschungsweisen der Naturwissenschaft manches sich zum
Verständnis bringen, was auch zum Aufstieg in Imagination,
Inspiration, Intuition gehört, die ja notwendig sind
für die übersinnliche Forschung, damit man diese vom
Standpunkt des heutigen Wissenschaftsgeistes versteht. Und als
Haeckels Altenburger Rede vor mich hintrat — ich kannte
Haeckels vorhergehende Schriften gut —, mußte ich
mir sagen: Es ist trotz aller Fehler, die von Haeckel gemacht
worden sind, für die sinnlich-physische Welt von ihm ein
Standpunkt erreicht, der innerhalb dieser Welt festgehalten
werden muß, wenn man von einem sicheren Boden aus in die
geistige Welt eindringen will. Man muß exakt lernen, wie
man zu forschen hat, zum Beispiel in der Zoologie, um nicht in
Phantastik zu verfallen, sondern um den Phänomenen in
ihrer Reinheit nachzugehen. Man muß das gelernt haben,
wenn man in sich die gesunde Festigkeit haben will, die einen
berechtigt, über die sinnliche Welt hinauszugehen. Vor
meiner Seele stand dasjenige, was ich nennen muß: ein
methodischer Monismus, der sich klar darüber ist, daß
alles phantastischdilettantische Herumschwätzen über
Lebenskräfte und dergleichen gegenüber den
Errungenschaften neuerer Forschung aufhören müsse,
daß wir denselben Geist, den wir gebrauchen in der
sinnlichen Forschung, hineintragen müssen in die
übersinnliche Forschung, daß wir keinen Abgrund
aufrichten dürfen zwischen einem wissenschaftlichen und
einem Glaubensinhalte.
Aus
dem Duktus Haeckelschen Denkens, wie es sich äußerte
in seiner Altenburger Monismusrede, ging mir hervor, wie man
alle Forschung im monistischen Sinne zu gestalten habe. Man
kann ja selbstverständlich viel diskutieren über die
Einzelheiten, die von diesem Monismus vorgebracht werden. Da
wird man gewiß in vielem vieles einzuwenden haben, aber
gegenüber dem Grundnerv monistischer Denkungsweise habe
ich im Grunde genommen gerade von meinem anthroposophischen
Standpunkt aus nichts einzuwenden. Insofern der Monismus aus
einer richtigen Anschauung richtiger Forschungsergebnisse
hervorgeht, führe ich keine Polemik gegen ihn. Ich kann
nichts dafür, daß ich vom anthroposophischen
Standpunkt aus den Inhalt des Monismus bejahen muß,
daß ich aber auf der andern Seite, trotzdem ich zu allem
ja sage, was der berechtigte Monismus zu sagen hat, noch
anderes hinzuzufügen habe. Daß dieses andere gerade
von Monisten bekämpft wird, ist, indem ich von den eben
charakterisierten Voraussetzungen ausgehe, nicht meine Sache,
sondern ihre Sache.
Nunmehr handelt es sich aber darum, an der Anschauung gerade
des Haeckel-Monismus auch etwas zu gewinnen für die
Charakteristik der übersinnlichen Forschungsmethoden, die
von mir in den weiteren Vorträgen werden geschildert
werden müssen. Wenn es sich aber darum handelt,
übersinnliche Forschungsmethoden zu schildern, so kommt es
darauf an, die für das gewöhnliche Bewußtsein
gewissermaßen verborgenen Seelenkräfte, die
entwickelt werden können, zu schildern, Seelenkräfte,
die in der Seele vorhanden sind, die in den Tiefen der Seele
ein Sein haben, die aber für das gewöhnliche
Bewußtsein verborgen oder latent bleiben. Dann aber, wenn
man diese Seelenkräfte schildert, ist man gezwungen, sich
an die menschliche Gesamtnatur zu wenden. Aus dieser quillt ja
nicht allein dasjenige, was wir in abstrakter
Wissenschaftlichkeit über die Dinge zu sagen haben,
sondern aus den Untergründen des seelischen Lebens, aus
denselben Untergründen, aus denen unsere
naturwissenschaftlichen Methoden hervorquellen, quillt auch
dasjenige hervor, was den Menschen zum künstlerischen
Schaffen führt. Anthroposophische Geisteswissenschaft
muß es ja von ihrem Gesichtspunkte aus immer wieder
betonen, daß sie sich an den ganzen vollen Menschen, nicht
bloß an den Kopfmenschen wendet, und daß sie dadurch
auch zur Anschauung der Verwandtschaft des wissenschaftlichen
Forschens und des künstlerischen Schaffens kommt. Indem
man an diese Verwandtschaft sich wendet, wird man sogleich
wiederum an Goethe erinnert.
Goethe stellte die Kunst und die Wissenschaft nicht in einen
solch schroffen Gegensatz, wie das die Abstraktlinge tun,
sondern er fand, daß man wissenschaftlich eine gewisse
Seite der Weltgeheimnisse enthüllen könne, daß
aber eine andere Seite dieser Weltengeheimnisse unenthüllt
bleibe, wenn man sich der Welt nicht künstlerisch
empfindend, künstlerisch in sich schaffend, nahen kann.
Aus einer solchen Anschauung ging ja hervor, was Goethe zum
Beispiel in die Worte legte: Das Schöne ist eine
Manifestation geheimer Naturgesetze, die ohne dieses
Schöne niemals offenbar würden. Das heißt aber:
Goethe meinte, wenn jemand noch so sehr in wissenschaftlich
geprägten Ideen die Natur charakterisierte, hätte er
nicht die ganze Natur vor sich. In gewisse Untergründe des
natürlichen Daseins dringe er dadurch doch nicht ein.
Diese Untergründe des natürlichen Daseins, diese
Geheimnisse der Welt treten erst ins Bewußtsein herein,
werden erst anschaulich, wenn der Mensch ihnen mit
Künstlersinn entgegenkommt.
Selbstverständlich sind die Einwände gegen eine
solche Anschauung außerordentlich plausibel und daher
verführerisch, aber deshalb doch nicht gültig, denn
man kann mit logischen Gründen aus einer gewissen
einseitigen Verstandesanschauung sogar streng beweisen,
daß man zu einer sogenannten exakten Wissenschaftlichkeit
nur durch das logische Denken kommen könne, das einen
Begriff aus dem andern in einer fortwährenden
Urteilsvermittlung gewinnt. Aber wenn die Natur, wenn die Welt
überhaupt nicht geeignet ist, durch ihre eigene Wesenheit
sich einer solchen logischen Zergliederung zu ergeben, so
muß eben zu ihrer Erkenntnis ein anderer Weg gesucht
werden. Und gerade der Geistesforscher findet auf seinem Wege
manches, was ihn stark in die Nähe des inneren
künstlerischen Gestaltens bringt, denn dasjenige, was er
zur Heranbildung übersinnlicher Schaukräfte
auszugestalten hat, hat große Ähnlichkeit mit dem,
was im künstlerischen Schaffen sich betätigt. Das hat
Goethe gefühlt; daher sprach er auch die Worte aus: Wem
die Natur ihr offenbares Geheimnis zu enthüllen beginnt,
der empfindet die tiefste Sehnsucht nach ihrer würdigsten
Auslegerin, der Kunst.
Es
beeinträchtigt nicht die Exaktheit desjenigen, zu dem man
zuletzt im wissenschaftlichen Erkennen kommt, wenn die Seele
sich notwendig vorbereiten muß zu der schließlichen
Exaktheit des Forschens durch dasjenige, was in ihr
künstlerisch wirken kann. Es beeinträchtigt nicht,
sondern kann nur fördern, daß vielleicht die Seele
gerade aus künstlerischen Fähigkeiten heraus
dasjenige in sich ausbildet, was zuletzt die besten
Erkenntnismethoden abgibt. Daher wird man schon auf das Thema,
das ich hier anschlage, etwas eingehen müssen, wenn man
die übersinnlichen Erkenntnismethoden der Imagination, der
Inspiration und der Intuition zu schildern hat.
Goethe, sagte ich, ist besonders groß durch seine
besondere Seelenart in der Erforschung der pflanzlichen Welt.
Warum ist Goethe gerade in der Erfassung des pflanzlichen
Wesens groß? Sehen wir uns, um eine Antwort auf diese
Frage zu bekommen, diese goethesche Seelenart genauer an. Wenn
man sich Mühe gibt, deren besonderen Charakter vor das
eigene Auge treten zu lassen, so ergibt sich, daß diese
Seelenart Goethes als ihr charakteristischstes Merkmal das
aufweist, daß Goethe alles, was sich ihm vor das
Bewußtsein hinstellte, mit einer Art inneren plastischen
Gestaltungskraft auffaßte. Goethe war in gewisser
Beziehung auf dem Wege, ein Bildhauer zu werden, und mir
scheint das Allercharakteristischste bei Goethe eben dieses zu
sein, daß die bildhauerische Kraft in seiner
Seelenverfassung lag, aber in dieser Seelenverfassung wie ein
innerstes verborgenstes Wesen blieb, sich nicht in Bildhauerei
nach außen äußerte, daß er
gewissermaßen innerlicher Plastiker war in der
Ausgestaltung seiner seelischen Anschauungen, daß er aber
nicht den Weg dazu suchte, dasjenige, was sich ihm in innerer
Plastik als Anschauung geistig vor die Seele stellte, auch dem
äußeren Stoffe einzuverleiben. Mir erscheint die
Sache so, als ob Goethe, indem er nun seinen Blick über
die Pflanzenwelt richtete, mit dieser bildhauerischen Seelen
Verfassung, mit einem nach allen Richtungen hin ausgebildeten
plastischen Sinn schaute. Statt im Ton bildhauerisch zu
arbeiten, statt dasjenige, was der plastische Sinn innerlich
gestaltete, in den Ton hineinzuprägen, richtete Goethe den
Blick auf die Pflanze, und statt daß er die plastische
Gestalt dem Ton einverleibte, offenbarte die Pflanze ihre aus
ihrem Leben hervorgehende Plastik seiner Seele. Das scheint mir
ein Teil, und vielleicht der wichtigste, der Psychologie
Goethes zu sein.
Nun
stelle man neben diese Tatsache eine andere, eine allgemeinere.
Man betrachte einmal die plastische Kunst. Gewiß, man kann
in allem alles machen, aber wenn man unbefangenen
künstlerischen Sinn anwendet, wie muß man sich dann
die folgende Frage beantworten: Ist es möglich, mit
völliger plastischer Empfindung, mit völlig
ausgebildetem plastischem Sinn in derselben Art etwa plastisch
geformte Pflanzen anzuschauen, wie man plastisch geformte Tiere
oder plastisch geformte Menschen anschaut? — Stellen Sie
sich im Geiste eine Blumengruppe vor, blühende Pflanzen in
Gips oder in Marmor geformt, vor Ihrem Blick. Ich glaube, mit
unbefangenem plastischem Sinn wird man sich sagen müssen:
Jawohl, die tierische Organisation, die menschliche
Organisation, sie läßt sich wie
selbstverständlich in die Plastik hineinbringen; plastisch
nachgebildete Pflanzen, die stoßen uns eigentlich ab.
— Warum dieses? Wenn man tiefer eingeht auf dieses
psychologisch-künstlerische Faktum, dann muß man sich
sagen: Die Pflanze ist für sich schon, so wie sie uns in
der Natur entgegentritt, so künstlerisch plastisch,
daß die Natur einem gar nicht gestattet, mit irgendeiner
Plastik noch über diese Naturplastik der Pflanzenwelt
selber hinauszugehen. Es ist naturgemäß die Plastik
des Pflanzlichen anzuschauen, wie sie da ist, denn man erkennt
dann, daß im Wesen des Pflanzlichen etwas liegt, was sich
plastisch schon als Natürliches ausgestalten muß. Man
hat nichts mehr dazuzubringen durch irgendeine
künstlerische Plastik.
Nehmen wir nun einen Geist, der so wie Goethe hineingestellt
ist in die Welt in einer durchaus naturgemäßen Weise,
und nehmen wir ihn mit seiner besonderen Geistesanlage, mit
seinen besonderen Fähigkeiten. Er ist nicht dazu
ausgebildet, wirklicher plastischer Künstler zu werden,
aber die Plastik trägt er überall hinein. Man sehe,
wie Plastik selbst in seine vollendetsten poetischen
Schöpfungen hineinspielt, wie die «Iphigenie»,
wie «Tasso», wie «Die natürliche
Tochter» überall die plastische Gestaltungskraft
selbst im Dramatischen verraten. Goethe ist gewissermaßen
überall Plastiker, aber er kommt nicht dazu, die
plastische Gestaltungskraft in den Ton hineinzugestalten. Da er
aber den innigsten Drang hat, mit der Natur ganz im Einklang zu
leben, wo wird er das, was so tief in seinem Inneren sitzt, den
plastischen Sinn, draußen befriedigt fühlen? Da, wo
die Natur am reinsten als Plastikerin wirkt: an der
Pflanzenwelt. Und nun sieht man an der Anschauung Goethes
selber, wie der innere Sinn der Menschenseele
gewissermaßen zur Plastik hinneigen muß, um die
Pflanzenwelt in dem, was sie von Natur aus ist, zu ergreifen,
sie in dem zu ergreifen, wie ihr Leben selber eine
natürliche Plastik darlebt.
Dem
Unorganischen gegenüber können wir mit einer solchen
Plastik nicht auskommen. Einem großen Teil der
unorganischen Welt gegenüber wenden wir an: Messen,
Zählen, Wägen. Das sind Betätigungen, die
eigentlich die Gestalt zerreißen; und selbst, wenn wir
über dieses Zerreißen der Gestalt in der
anorganischen Wissenschaft uns erheben zum Erfassen des
Kristalles, so ist es uns in der anorganischen Wissenschaft
selber nicht darum zu tun, die besondere plastische Formung des
Kristalles innerlich nachzuerleben, sondern wir rechnen die
Winkel der Flächen, wir rechnen die Neigungen der
Begrenzungslinien und so weiter. Wir versuchen aus demjenigen,
was die Gestalt analysiert, diese Gestalt zu begreifen.
Eine solche Anschauungsweise hätte gerade Goethes Geist
gegenüber der Pflanzenwelt nicht genügt. Seine
Morphologie wurde eine Metamorphosenanschauung. Er mußte
unmittelbar die Gestalt der Pflanze in ihrer Plastik ergreifen,
um die Umwandlung der einzelnen Pflanzengestalten ineinander
mit zu durchschauen. Und so wurde sein Anschauen der
Pflanzenwelt eine bewegliche innerliche Plastik. In der Pflanze
ist also etwas, was gerade einen natürlich veranlagten
Geist nötigt, seine Erkenntnisse in innerliche, plastische
Gestalten zu wandeln, zu innerlichen plastischen Gestalten zu
machen. Indem Goethe dieses tat, indem in seiner Seele lebendig
wurde dasjenige, was sich, ich möchte sagen, an
Kraftplastik durch die ganze Pflanzenwelt hindurchlebt, kam er
zu dem Wesentlichen in der Pflanzenwelt. Man nenne das nun, wie
man will: in der anthroposophischen Wissenschaft ist man
gewöhnt worden, dasjenige, was Goethe so an der Pflanze
mit seinem plastischen Sinn durchschaut hat, den Ätherleib
der Pflanze zu nennen. Ich werde wohl in den nächsten
Tagen zu sagen haben, warum. Aber man nenne es, wie man will,
man halte sich jedoch an die Art, wie man sich dem eigentlichen
Weben und Wesen des Pflanzlichen mit einem so
naturgemäßen Sinn der Erkenntnis, wie ihn Goethe
hatte, nähern muß. Und man sehe dann, wie man in der
Plastik selber dasjenige, was man nun im Anschauen der
Pflanzenwelt ausgestalten muß, für die tierische,
für die menschliche Gestalt in dem künstlerischen
Material ausarbeite. Es ist dasjenige, was die Pflanze belebt
und was man durch diesen plastischen Sinn findet, auch im Tier
und im Menschen drinnen. Nennt man dasjenige, was die Pflanze
so durchwebt, daß man es mit dem plastischen Sinn
ergreift, Ätherleib, dann findet man diesen Ätherleib
auch in der tierischen, in der menschlichen Organisation. Und
der Plastiker ist bemüht, dasjenige, was die tierische,
die menschliche Organisation durchzieht, in der allerdings noch
etwas anderes ist, herauszugestalten dann, wenn er seine
plastischen Formen des tierisch, des menschlich Organisierten
schärft.
Sieht man aber in der Natur das Tier, sieht man den
Menschen an, dann verbirgt sich die bloße Plastik des
Ätherleibes, dann ist ihr etwas anderes zugesetzt, dann
sieht man durch dieses andere, gewissermaßen wie durch
eine Abstraktion hindurch, dasjenige, was sich in der Plastik
als Ätherleib darlebt. So kann man sagen, daß Goethe
es durch seine besondere Veranlagung dahin brachte, tiefen
Einblick in die Pflanzenwelt zu gewinnen. Man könnte
sagen, eine künstlerisch veranlagte Persönlichkeit
behält eine gewisse künstlerische Richtung im
Inneren, auch wenn sie sich wissenschaftlich betätigt. Die
befähigt sie, gewisse Geheimnisse der Außenwelt zu
entdecken, die eben, wenn diese künstlerische
Befähigung im Inneren bleibt, entdeckt werden
können.
Ernst Haeckel wandte, allerdings in einer naiveren Weise als
Goethe das für die Pflanzen tat, seinen Sinn auf die
tierische Welt. Und man kann nun in einer gewissen Weise von
Haeckel das Folgende sagen: Wenn Goethes Denken, wie ich in den
vorigen Betrachtungen auseinandergesetzt habe, mit Recht von
Heinroth als ein gegenständliches bezeichnet worden ist
— das heißt ein solches, wobei der Seeleninhalt
untertaucht in die Objekte —, so kann man das, wenn auch
zunächst in einer unvollkommenen Weise, auch an Haeckels
zoologischen Forschungsmethoden durchaus bemerken. Es ist tief
bezeichnend, wenn Haeckel einmal, um sich in seiner naiven
Weise zu rechtfertigen, sagt, wie er nun nicht die Gestalt
— die Goethe gefunden hat, indem er sich auf das
Pflanzliche beschränkte —, sondern die Seele in den
tierischen Wesenheiten findet. Haeckel redet vom Tierischen,
und da muß er von der Seele reden.
Goethe verfolgte Pflanze für Pflanze, er verfolgte die
Metamorphose der Gestalt. Haeckel verfolgte Tier für Tier;
es blieb nicht beim Verfolgen der Gestalt, aber es kam zu einem
Suchen des Tierisch-Seelischen in den Gestaltungen des
Tierischen. Und wenn man ihm eingewendet hätte, er hatte
kein Recht, von diesem Seelischen auch in den einfachsten
Gestaltungen des Tierischen zu reden, so hätte er immer
wieder dasjenige gesagt, was er wirklich auch ausgesprochen
hat: Wenn einer gleich mir durch viele Jahrzehnte niedere
Tierwesen, wie die Protisten, betrachtet und gesehen hat, wie
sich ihre Gestalten verhalten, dann kann er nicht anders, als
in diesem Anschauen dazu kommen, daß in diesen Zelltieren
Zellseelen leben, die nur qualitativ von den kompliziertesten
Seelen verschieden sind.
So
hat Goethe auf der einen Seite gesagt: Wenn ich die
Pflanzenwelt durchgehe, so ergibt sich mir dasjenige, was ich
in dem einfachsten Pflanzenorganismus sehen muß: eine
Gestalt, der Typus der Pflanze, die Urpflanze. Sie bietet mir
in der einfachsten Pflanze dasselbe, was nur qualitativ
verschieden ist von dem, was ich auch in der vollkommensten
Pflanze als Gestalt, als lebendig wirkenden Typus finde.
Haeckel sagt, indem er jetzt nicht von der pflanzlichen, indem
er von der tierischen Welt spricht: Wenn ich die ganze
tierische Welt durchgehe, so finde ich das Seelenhafte schon in
dem einfachsten Tiere, und ich finde es in der mannigfaltigsten
Weise metamorphosiert, verwandelt bis in die
kompliziertesten Gestaltungen des Tierwesens hinein.
Eine gewisse Verwandtschaft ist da zwischen dieser Anschauung
des Tierischen bei Haeckel und der Anschauung des Pflanzlichen
bei Goethe; und legt man einen Wert darauf, betrachtet man es
nicht als etwas Untergeordnetes, daß Goethe von Gestalt
reden muß, Haeckel von Seele, dann ist man auf dem Wege,
wie ich glaube, ganz Bedeutsames zu finden. Und woher dieses,
daß sich in der naiven Forscherseele Haeckels dasjenige,
was Goethe in einer bewußteren Weise anstrebte, in einer
solchen Art ergab, wie ich es geschildert habe? Ich suchte nach
einer Erklärung für diese Tatsache, und ich fand sie
zu meiner vollen Befriedigung, als ich einmal bei einer
Ausstellung im Giordano-Bruno-Bund in Berlin dasjenige
durchsah, was da vorlag an Haeckels zum Teil dilettantischen
Malereien. Das ist etwas, was in die Haeckel-Psychologie
hineinführt. Überall ist Haeckel nicht nur tätig
als Forscher; überall setzt er sich zugleich hin und malt,
und überall hat er seine Freude, dasjenige, was die Natur
seinem Forschersinn enthüllt, zu gleicher Zeit in der
Farbe festzuhalten. Welche Freude er hatte, diese Formen der
tierischen Welt in den Farben festzuhalten, das kann man noch
nachempfinden, wenn man die Hefte vor sich ausbreitet, die
Haeckel herausgegeben hat unter dem Titel: «Kunstformen
der Natur».
So
wie Goethe auf einer höheren Stufe in der plastischen
Kunst innerlich lebte, so Haeckel in den Farben, welche das
Tierische an seine Oberfläche zaubert. Und so wie Goethe
nicht zum Bildhauer geworden ist, sondern das Bildhauerische in
seinem Inneren bewahrt hat, so wurde Haeckel nicht Maler,
sondern Naturforscher; aber ein innerlich Wesenhaftes seiner
ganzen Seelenveranlagung war das in Farben Malende. Das lebte
in seinem Inneren, und er suchte dasjenige, was sich nun in der
Außenwelt so ausdrückt, daß es aus seinem Leben,
das von der Empfindung durchdrungen ist, daß es aus dem
Seelenhaften heraus sich in der Farbe offenbart. Das suchte er
zu erforschen.
Damit aber sind wir vorgedrungen zu demjenigen, was das
Tierische von dem Pflanzlichen unterscheidet. Allerdings kann
man sagen: Die Pflanze zeigt erst recht die Farben! —
Aber jeder wird empfinden, daß das Innerlichste des
tierischen Wesens ganz anders zusammenhängt mit dem, was
sich als Farbe enthüllt, als das Pflanzliche. Das
Pflanzliche lebt eigentlich in der Gestalt, und die Farbe ist
im Grunde genommen etwas, wovon man leicht einsehen kann,
daß es von außen an die Pflanze wesenhaft
herangebracht ist. Man wird studieren müssen das
Verhältnis von Sonne und Luft und anderem
Äußerem zur Pflanze, wenn man die Farbe der Pflanze
betrachten will. Will man aber das Innere der Pflanze
begreifen, dann muß man mit plastischem Sinne die Gestalt
der Pflanze ins Auge fassen.
Nicht in derselben Weise ist dasjenige, was an der
Oberfläche des Tieres an Farben auftritt, von den
äußeren Verhältnissen abhängig. Ja, wenn es
abhängig ist — wie bei den Erscheinungen von Mimikry
—, dann fühlen wir uns noch veranlaßt, es aus
besonderen Bedingungen zu erklären, weil wir ein
Gefühl haben, wie aus dem mit Empfindungen durchdrungenen
Leben auch von innen heraus die Tingierung mit der Farbe
stattfindet. Aber es kommt weniger auf die Farbe, es kommt auf
das Leben an, das vom Menschen nacherlebt werden kann, indem er
selber im Farbigen empfindet, im Farbigen denkt. Nicht auf das
Zusammenstellen der Farbe kommt es an, sondern auf das, was man
innerlich empfindet, wenn man in Farben empfindet, in Farben
denkt. Und geradeso wie man bei der Pflanze sprechen kann vom
ätherischen Leib, den man ergreifen muß durch den
plastischen Sinn, so muß man beim Tiere — in
gewisser Beziehung auch beim Menschen — sprechen von
demjenigen, was Mensch und Tier über die Pflanze hinaus
haben, wenn man von den innerlichen Bedingungen des Farbigen
sprechen will. Und hält man fest, was das Tier, was der
Mensch mit der Pflanze gemein haben, so hält man es in der
farblosen Skulptur fest. Greift man zur Malerei für Mensch
und Tier, so schafft man beim Tier und beim Menschen dasjenige,
was einen durch die Farbe in das Innere hineinschauen
läßt, was einem das Innere enthüllt, dasjenige,
was sich nicht mehr bloß in der Metamorphose der Gestalt
ausspricht, was sich in einer tiefer bedingten
Verwandlungsfähigkeit des Lebens selber zur Offenbarung
bringt. Was da ebenso anschaulich verfolgt werden kann beim
Tier wie beim Menschen, das mag man wiederum nennen, wie man
will: in der anthroposophischen Geisteswissenschaft ist man
gewöhnt worden, aus der besonderen Anschauung, wie sich
das der Inspiration ergibt, es den astralischen Leib zu nennen.
Ich werde davon in den nächsten Vorträgen zu sprechen
haben. Aber daß man überhaupt herangedrängt
wird, die Verwandlungen, das Werden des Tierischen zu
erforschen, das hängt zusammen mit einer inneren
Seelenverfassung, die anders ist als diejenige, die als
plastische Seelenverfassung ins Pflanzliche
hineinführt.
Wenn, wie gesagt, auf naivere Art als Goethe, so war doch auch
Haeckel dazu veranlagt, in die tierische Welt künstlerisch
einzudringen. Und das ist es, was Haeckel als einen besonders
charakteristischen Geist innerhalb der modernen
naturwissenschaftlichen Weltanschauung erscheinen
läßt. Daß er nicht in einer
äußerlichen Weise forschte, sondern daß er, ich
möchte sagen, aus einer verhaltenen Künstlerschaft
heraus forschte, wie Goethe ebenfalls aus verhaltener
plastischer Künstlerschaft an die Pflanzenmetamorphose
herankam, das brachte einen dazu, trotz aller Ver-irrungen
Haeckels die innere Wahrheit dieses Haeckelschen Monismus
dennoch zu fühlen und etwas darinnen zu sehen, das, wenn
die Ablegung seiner Einseitigkeiten weiter verfolgt werden
kann, auch dazu führen kann, nicht nur dasjenige zu
suchen, was sich äußerlich im Tiere, im Menschen,
über das Pflanzliche hinaus offenbart, sondern es auch im
Inneren, in seiner ureigensten Wesenheit durch
übersinnliche Erkenntnisse, die so streng diszipliniert
sind wie heute die sinnlichen, zu suchen.
Es
gibt also einen Weg, um lebensvoll hineinzukommen aus den
tiefsten Bedürfnissen nach einer menschenwürdigen
Weltanschauung in einen modernen Forschergeist. Es gibt einen
Weg, dasjenige in einer positiven Gestalt aufzunehmen, was
Nietzsche im Grunde genommen nie hat verdauen können und
weswegen er zu seiner so ergreifenden, aber ihn auch
zerbrechenden seelischen Lebenstragik gekommen ist. Es muß
schon der Weg der modernen Naturforschung in das Gebiet
anthroposophischer Geistesforschung herübergenommen
werden, wenn man zu echten, zu gültigen Formulierungen der
Ideen kommen will, wenn man nicht im Dilettantischen, im
Laienhaften steckenbleiben will. Wer es ernst mit seiner Zeit
nimmt, muß immer ein gewisses Verhältnis zu seiner
Zeit haben. Daher ist es nötig, daß, wenn von den
Erkenntnisquellen anthroposophischer Geisteswissenschaft
gesprochen wird, auf dieses Verhältnis zu den andern
Erkenntnisquellen der gegenwärtigen Epoche hingewiesen
wird. Mußte vieles in den vorangegangenen Vorträgen
gesagt werden zur Ablehnung der agnostischen Denkweise, so ist
heute der erste, vielleicht noch wenig weitreichende Ausblick
hingestellt worden in einer selbst den Agnostizismus
ablehnenden Weltanschauung, wie es der Haeckelsche Monismus
war. Und damit ist das angedeutet, was dieser Monismus, wenn er
auch vielfach überholt ist, auch für uns Heutige noch
sein kann.
Als
ich zu schreiben hatte 1897, am hundertsten Geburtstage Lyells,
über Charles Lyell, einen der Begründer der
modernen naturwissenschaftlich-monistischen Denkweise, da stand
mir auch Haeckel lebendig vor dem Seelenauge. Mir erschien im
Geiste eine Gemeinde, welche imstande sein könnte, jenes
Hineinleben in die Natur, welches man finden kann in der Linie
der Geister von Lyell bis Haeckel, fortzusetzen in der
Richtung, in der es fortgesetzt werden muß. Deshalb
schrieb ich für diese ideelle Gemeinde, die suchen sollte
den Weg, der begonnen war gerade mit dem Haeckelschen Monismus,
diejenigen Worte, welche, wenn man sie richtig versteht,
andeuten können, daß nun mit diesem Monismus
zunächst dennoch ein Wall überschritten worden ist,
über den man nicht mehr in frühere Zeiten
zurückkehren darf, wenn man es nicht mit Niedergangs-,
wenn man es mit Aufgangskräften der menschlichen
Entwicklung zu tun haben will.
Jawohl, vorwärtsgeschritten werden muß von diesem
Monismus; nie und nimmermehr darf zurückgegangen werden zu
dem, was durch diesen Monismus an alten Weltanschauungen
überwunden worden ist. Deshalb schrieb ich dazumal die
Worte nieder: «Wenn wir auch an mancher Stelle»,
— ich bitte das zu beachten — «an die er uns
führt», — nämlich Haeckel —
«nicht gerade vorbei wollen», — das kann
niemand, in dessen Seele Anthroposophie keimt —, «er
hat doch die Richtung, die wir einschlagen wollen. Aus Lyells
und Darwins Händen hat er das Steuerruder bekommen; sie
hätten es keinem Besseren geben können. Und unsere
Gemeinde segelt rasch vorwärts...» Ja, möge sie
den strengen Wissenschaftsgeist, den die wahre Naturforschung
heraufgebracht hat, in sich aufnehmen und rasch
vorwärtsschreiten in diejenigen Untergründe des
Weltendaseins, die im Übersinnlichen liegen und doch nur
durch übersinnliche Forschung ergründet werden
können!
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