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Vom Wesen des wirkenden Wortes

Vom Wesen des wirkenden Wortes: Erster Vortrag

Schmidt-Nummer: S-5345

Online seit: 28th February, 2016

ERSTER VORTRAG

Stuttgart, 11. Juli 1923

Die herzlichen Worte, die soeben [von Herrn Dr. Rittelmeyer] gesprochen worden sind, gehen hervor aus derjenigen schönen Kraft, die ja zur Begründung dieser religiösen Gemeinschaftsbildung geführt hat, und das Wesentliche, was durch diese religiös wirkende Gemeinschaft fließen soll, hängt ja von dem ganzen Ernste und von der, ich möchte sagen Vertiefung dieses Ernstes ab, wie er ursprünglich in den Absichten derjenigen lag, die den Anstoß gegeben haben zu der Begründung dieser religiösen Gemeinschaftsbewegung. Es muß gesagt werden, daß auch im wesentlichen alles das, was im Verlaufe dieses Jahres innerhalb dieser religiösen Gemeinschaft selber geschehen ist, durchaus im Sinne einer Fortsetzung dieses Ernstes geschehen ist, und daß man wohl jetzt schon, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, sagen kann: die ursprünglichen Absichten haben sich bewährt, durchaus bewährt.

Es trat ja zum Beispiel auch dann diese Bewegung stark hervor, wenn der äußere Eindruck des Rituals ich meine das im edelsten Sinne des Wortes innerhalb unserer gesamten Geistesbewegung wirkte. Es ging ein starker Strom von innerer, wahrhaftig gemeinter und auch wahrhaftig wirkender Andacht aus von der Art, wie wir vor kurzem eines der ältesten Mitglieder unserer anthroposophischen Bewegung, Hermann Linde, zur Einäscherung führen konnten. Die Eindrücke, welche gerade bei dieser Gelegenheit von der Kultushandlung ausgegangen sind, zeigten durchaus, daß das, was beabsichtigt werden soll, wirklich auch auf einem guten Wege der Verwirklichung ist; und das kann ja auf den verschiedensten Gebieten bis jetzt gesagt werden.

Ich habe sogar die Empfindung, daß es mit dem objektiven Werdegang dieser religiösen Gemeinschaftsbestrebung schneller gegangen ist als mit dem, was die innere Befriedigung, die innere Harmonisierung in den Seelen der einzelnen Träger dieses religiösen Gedankens ist. Die Sache geht nun ihren guten Gang. Sie selbst werden sich auf der einen Seite von diesem guten Gang von der Sache hingerissen fühlen können, auf der anderen Seite werden Sie mit manchen inneren seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, und da wäre es von ganz besonderer Bedeutung, wenn gerade bei dieser Zusammenkunft solche seelischen inneren Schwierigkeiten zum Besprechen kommen könnten, wenn also gerade heute diese erste Zusammenkunft dazu benutzt werden könnte, daß Sie die Schwierigkeiten geltend machen, die Sie selbst haben, so daß wir dann in den nächsten Tagen versuchen können, in bezug auf diese inneren Schwierigkeiten eine gewisse Harmonisierung herbeizuführen.

Es ist durchaus begreiflich, daß diese inneren Schwierigkeiten da sind, denn Sie müssen ja, gerade weil Sie Vertreter der wichtigsten spirituellen Bestrebung sind, stets vor Augen haben, daß die Realitäten im geistigen Leben stark wirken. Auch wenn man das nicht gewahr wird, Realitäten sind da. Das, was an der Oberfläche des Geschehens geschieht, wurzelt, gerade wenn es für das Geistige geschieht, in tiefen Untergründen, die gut oder böse sein können. Es darf nie aus den Augen verloren werden, wenn man in der Gegenwart auf religiösem Gebiete wirken will, daß die religiös orientierten Geistes- oderUngeistesströmungen gerade in der Gegenwart eine außerordentlch rege Tätigkeit entwickeln.

Gerade während wir uns hier besprechen, ist zum Beispiel eine Versammlung im Gange von Vertretern der römischen Kirche an einem bestimmten Ort in Europa, die wahrscheinlich eine außerordentlich große Wirkung haben wird; wenigstens ist eine außerordentlich große Wirkung von ihr beabsichtigt. Es ist ja heute so, daß, viel mehr als man da oder dort ahnt, die Herzen der Menschen sich religiös verödet fühlen. Die Herzen der Menschen fühlen sich namentlich deshalb religiös verödet, weil allzuwenig zu ihnen in der Sprache gesprochen wird, die unmittelbar wirklich aus dem Geiste heraus kommt. Und für ganz breite Schichten der Menschheit ist es einfach unmöglich, daß man sie über diese Verödung der Herzen hinausbringt, wenn man sie nicht tatsächlich mit einer Sprache erfaßt, die nicht irdisch ist, das heißt mit der Sprache, die in der Kultushandlung gegeben ist, die eine übersinnliche Sprache ist. Sie müssen nicht aus den Augen verlieren, wie ungeheuer wirksam gerade heute das ist, was von der römischkatholischen Kirche in der Messe gegeben wird, was sie in einem heute ja veralteten, doch gerade auf die Seele stark wirkenden Kultus hat, und noch mehr durch die Art, wie da gesprochen werden kann.

Man muß sich immer klar darüber sein, wieviele Kräfte in der Menschheit so liegen, daß sie gerade nach dieser Seite hin in die Irre geführt werden können. Bedenken Sie, wenn Sie heute fragen, welches das so ziemlich verbreitetste Gedichtwerk in Mitteleuropa ist, so müssen Sie ein Werk nennen, das in den Kreisen, die man heute gewöhnlich meint, wenn man vom Fortgang in der Geschichte spricht, oft gar nicht bekannt ist, nicht einmal dem Namen nach, «Dreizehnlinden» von Weber, das rasch viele Auflagen erlebt hat. Warum ist das so? Aus dem Grunde, weil das Werk von römisch-katholischem Geiste durchweht ist. ... [Lücke im Text des Stenographen.]

Diese Tatsachen sind die äußeren Symptome für eine starke geistige Strömung, die speziell römisch-katholische, die eben nach außen wirkt. Das ist sehr stark im Anzug. Nun vergessen Sie nicht, diese Kräfte gehen durch die menschliche Seele hindurch, gehen auch durch Ihre Seelen hindurch, und manches von dem, was Sie vielleicht nur einem subjektiven Bedürfnisse zuschreiben, rührt objektiv von den Geistesströmungen in der Gegenwart her. Und da wäre es von großer Bedeutung, wenn heute von Ihnen diese subjektiven Bedürfnisse formuliert würden, so daß wir sie in den nächsten Tagen in unsere Besprechung einfließen lassen können. Sie dürfen nicht vergessen, in einer solchen Bewegung, wie es die Ihrige ist, muß es sich darum handeln, daß Sie mit dem real-konkreten Geiste der Gegenwart wirken. Was wissen die Leute heute von dem realen Geiste der Gegenwart? Eine der wichtigsten Tatsachen für das innere Wirken des Geistigen in der Gegenwart kommt dadurch zustande, daß man in Amerika anfängt etwas einzusehen, was in der Anthroposophie schon angedeutet worden ist, was aber natürlich nicht gehört wird. Nun fängt man an, mit äußerlichen Mitteln einige Einsicht zu gewinnen.

Vergleichen Sie die Welt von heute mit der von vor hundert Jahren. Sie werden sagen, wenn man die Welt von heute mit der von vor hundert Jahren vergleicht, so ist im Ganzen ein Unterschied zwischen heute und der Zeit vor hundert Jahren da; aber einer der gewaltigsten Unterschiede, der nicht aufgezählt wird, das ist der, daß wir heute unsere Atmosphäre durchzogen haben von lauter Telegraphendrähten, Telephondrähten und so weiter. Nun, in Europa scheint das Durchwachsensein mit Drähten noch ein Kinderspiel zu sein gegenüber Amerika. Deshalb ist dort eine Spur von Einsicht vorhanden, was das für den Menschen bedeutet. Man ahnt dort endlich, daß der Mensch nicht unbeeinflußt bleibt von dem, was in den Telegraphendrähten lebendig durch die Luft schwirrt, daß der Mensch ein richtiger Induktionsapparat wird. Bedenken Sie, daß ein entgegengesetzter Strom in Ihren Nerven und wiederum ein gleichgerichteter Strom in Ihrem Blutsystem wirkt. Das alles trägt die Menschheit heute in sich, aber davon spricht man kaum. Das sind im eminentesten Sinne ahrimanische Kräfte, die der Mensch heute durch die äußere Kultur aufnimmt, die er auch gar nicht ablehnen kann. Man macht sich ja Gedanken über das Mögliche und Unmöglichste, aber gerade über die stärksten Realitäten macht sich die heutige Menschheit am wenigsten Gedanken. Man sollte zum Beispiel auch einmal darüber sprechen, inwiefern der Unterschied zwischen Goethe und den heutigen Menschen darin besteht, daß Goethe noch nicht von Telegraphendrähten umwickelt war. Sehen Sie, was heute die Verödung der Menschenseele ist, das ist wesentlich mit alldem zusammenhängend.

Wenn Sie sich nun umsehen, wie die höchsten geistigen religiösen Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, so müssen Sie sich die Frage stellen: Sind in diese Befriedigungen schon die Impulse aufgenommen, die damit rechnen, daß der Mensch durch sein Seelisch-Geistiges diese Dinge in sich unschädlich machen kann? Das sind sie nicht! Die Befriedigungen der religiösen Bedürfnisse gehen in Zeiten zurück, in denen es dies alles noch nicht gab, was ich Ihnen eben geschildert habe. Heute gibt es eine Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, die nur für diejenigen Menschen gelten konnte, die nicht in einer solchen Kultur lebten, wie wir sie heute haben. Die Anthroposophie will hier so eingreifen, daß ein neuer Impuls entstehen kann, der in der Lage ist, die Menschen unabhängig zu machen von dem, wovon sie äußerlich nicht unabhängig werden können. Das muß hingenommen werden, was äußerlich da ist. Aber es muß auf der anderen Seite der Gegenpol dazu [geschaffen werden]. Das bedeutet, daß Sie ein starkes Bewußtsein aufnehmen müssen von der Bedeutung Ihrer Bewegung und mehr und mehr von rein geistigen Impulsen aus diese Bewegung machen müssen. An die wichtigsten Dinge muß gerade dabei gedacht werden, wenn es sich darum handelt, die Frage zu beantworten: Was sollen wir tun? Die richtige Anwendung des Kultus und der Predigt ergeben schon den nötigen starken Impuls, wenn diese religiöse Bewegung auf Anthroposophie aufgebaut ist. Aber ein Bewußtsein davon muß in jedem einzelnen von Ihnen vorhanden sein, daß man heute in der Art in der Welt steht, daß man drinnensteht in diesen Einflüssen. Jeder von Ihnen sollte möglichst viel dazu beitragen, den Starkmut des Bewußtseins nach dieser Richtung hin zu erhöhen, zu kräftigen.

Wir dürfen nicht vergessen, daß nach und nach in der Menschheit alles abstrakt und intellektuell geworden ist, und daß der Intellektualismus heute vollkommen in der Abendröte steht. Wir dürfen heute die Dinge nicht mehr nur verstehen wollen, sondern wir müssen unsere Herzen öffnen für die Realitäten aus der geistigen Welt. Das bloße Verstehen, wie dies oder jenes aufzufassen ist, ist sehr schön, es ist aber nicht dasjenige, was heute eine Bewegung tragen kann. Sehen Sie, eines muß besonders eingesehen werden: daß diejenigen Bewegungen, die heute regsam sind und mit starkem Willen ausgestattet sich dahin rüsten, mit Altem die Menschheit zu übersäen, ungeheuer stark sind und tief wurzeln namentlich im mitteleuropäischen und westlichen Volkstum; die römisch-katholische Kirche ist nur eine Phase davon. Gerade die Intellektuellen, weil sie heute bei der Verödung der Herzen angekommen sind, laufen heute in Scharen wieder zu den bestehenden Kirchen hin, namentlich zur katholischen.

Sie sind nur erst eine kleine Bewegung und gering an der Zahl. Aber wenn Sie das Bewußtsein davon in sich tragen, daß Sie in der Wahrheit wirken, dann werden Sie sich eben sagen: Bei geistigen Bewegungen kommt es nicht auf die äußere Größe noch auf die Zahl an, sondern auf die innere Kraft. Diese wird wirken, wenn sie von starkem Bewußtsein dessen, was sie ist, getragen wird. Das ist es aber, was Sie haben müssen: Starkes Bewußtsein der Wahrheit, sich nicht entmutigen lassen, weil die Wahrheit heute am meisten gehaßt wird. Wenn Sie irgendeinen sektiererischen Irrtum verbreiten wollten, so würden Sie es leicht haben, man würde dann keine Ängstlichkeit Ihnen gegenüber haben. Aber gerade wenn Sie die Wahrheit verbreiten wollen, dann spüren die Menschen das, und da werden Sie die stärksten Widerstände finden.

Es handelt sich darum, daß man heute die zwei großen Gegensätze durchschaut. Ich möchte nicht bei jeder Gelegenheit den Jesuitismus erwähnen, auch nicht in dem gewöhnlichen Sinne, ich erwähne ihn hier nur als Repräsentant dessen, was die alte Geistigkeit über die Gegenwart verbreiten will, gegenüber dem, was moderne Kultur in die Gegenwart hereingebracht hat. Diese Strömung verspricht sich die Ausrottung der modernen Kultur. Sie dürfen nicht glauben, daß der Wille bei dieser Bewegung klein ist. Sie zweifelt nicht, daß es ihr gelingen wird, eine Menschheit ohne die modernen Kulturmittel zu haben, und das trägt diese Bewegung. Sie sieht in den modernen Kulturmitteln den Teufel und will ihn mit den Mitteln der alten Kultur überwinden. Doch Ahriman kann nicht ausgerottet werden, aber er kann geläutert, gereinigt, geedelt werden. Es muß mit der modernen Kultur gerechnet werden. Das wissen auch die Gegner; deshalb haben sie eine ganz ausgesprochene Angst gerade vor Ihrer Bewegung, weil sie die Wahrheit ist. Von dem Irrtum würde man sagen: der wird schon wieder aufhören -, aber gegenüber der Wahrheit greift der Gegner zu großen und kleinen Mitteln.

Nun sagten Sie, von Dornach ist manches ausgegangen, was mit Ihrer Bewegung zusammenhängt. Aber, in durchaus nicht irgendwie auch nur im geringsten schlimm gemeinten Sinne möchte ich es sagen: Auch das Schicksal des Goetheanums ist nicht ohne Zusammenhang damit, daß Ihre Bewegung von ihm ausging. An der Stelle, wo Ihre Handlung angeregt wurde, ist der zündende Funke gelegt worden. Man muß nicht glauben, daß [von den Gegnern] mit geringen Mitteln gearbeitet wird. Trotzdem müssen wir uns klar darüber sein, daß ein [Ihre Bewegung] fördernder Impuls eigentlich nicht im Äußeren liegen kann, und auch ein ihn tötendes Element kann nicht im Äußeren liegen. Einzig und allein darauf muß es ankommen, daß die Bewegung ihre Impulse im Innern der Seelen haben muß. Dann können die äußeren Dinge vielleicht einmal tragisch verlaufen, aber sie werden dann kein Hindernis dafür sein, daß die Impulse, die vertieft erst gefaßt worden sind, sich wirklich ausleben werden, wie sie es tun müssen. Es war ein guter Impuls, der den Anstoß gegeben hat zu dieser religiösen Bewegung; er wird sich ausleben und Frucht tragen, wenn er in dem gleichen guten Sinne weitergetragen wird. Und so werde ich an die einzelnen Impulse anknüpfen, wenn von Ihrer Mitte ausgehend vorgebracht wird, was Sie gern besprochen haben möchten.

Von den Teilnehmern werden folgende Fragen vorgebracht:

  1. Wie verhält sich unser Kultus zu dem Kultischen, was in der Zukunft kommen wird? Wie wirken wir in der rechten Weise mit der anthroposophischen Bewegung zusammen? Wie können wir das Rechte tun zur moralischen Unterstützung der Gesamtbewegung?

  2. Ich bitte um Aufklärung über die Weltvorgänge, in denen besonders das Ruhrgebiet steht.

  3. Es gelingt mir nicht, ein objektives Gleichmaß in die Kulthandlung zu bringen. Es ist verschieden, wie ich sie ausübe. Ich habe manchmal starke Zweifel, ob ich eine Kulthandlung vollzogen habe. Man kann die Menschenweihehandlung lesen so, daß man eigentlich körperlich mit dem Nervensystem beteiligt ist, aber es ist dann nichts Aufbauendes.

Rudolf Steiner: Es wäre schon notwendig, daß gerade zu dieser letzten wichtigen Frage Sie oder jemand anderes sich genauer aussprechen würde. Sie haben zum Beispiel den Satz ausgesprochen, es sei Ihnen nicht immer klar, ob Sie eine Kulthandlung wirklich vollzogen haben. Das ist eine berechtigte Frage. Aber man muß auf diese Dinge schon genauer eingehen. Es wird nicht gut sein, wenn Sie das Nervensystem in diese Sache hineinbringen. Denn natürlich muß die Kulthandlung auf einem solchen Niveau liegen, daß alles, was von ihr ausgeht, nicht auf dem Niveau des Nervensystems ist, von dem sich ja schon viel zu viel geltend macht. Das Nervensystem muß natürlich stärker beeinflußt werden, aber nicht in solcher Weise. ... [Vom Stenographen gekennzeichnete Lücke.] Sie müssen in Ihrem subjektiven Erleben dem objektiven Erleben nachkommen, das durch den Kultus fließt.

Es darf keine Unklarheit darüber herrschen, daß von einem Verhältnis des Kultus zu etwas anderem nicht gesprochen werden sollte. Der Kultus, der sich ergibt, wenn man die geistige Welt fragt, ist der Kultus, der bei Ihnen lebt. Es ist nicht so, daß das irgendeine äußerliche besondere Form ist, sondern es ist der Kultus, der schon seine Zukunft finden wird, aber durch das Leben. Das richtige Darinnenstehen im Kultus hängt innig mit dem Priesterbewußtsein zusammen. Das Priesterbewußtsein kann nur dadurch entstehen, daß innerlich äußerste Ehrlichkeit vorhanden ist. Deshalb wäre es gut, wenn das, was subjektiv in den Seelen lebt, was die einzelnen Persönlichkeiten erleben, indem sie den Kultus ausüben, bei dieser Gelegenheit herauskäme. Dann erst, wenn Sie Ihre subjektiven Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, werden wir fruchtreich sprechen können. ... [Vom Stenographen gekennzeichnete Lücke.]

Worauf es ankommt, ist, daß der Kultus die Sprache der übergeordneten Welten sein soll. Die Menschensprache ist von vorneherein eine irdische Sprache, weil sie zu ihrem Ausdrucksmittel die geformte Luft hat. Es ist natürlich töricht, vorauszusetzen, daß abgeschiedene Geister in irgendeiner Menschensprache reden könnten. Die Medien in Deutschland lassen die Geister deutsch reden, in England englisch, in Frankreich französisch, als ob die Menschen nach dem Tode Deutsche, Engländer oder Franzosen wären. Der Geist redet nicht mehr in Menschensprache und kann auch nicht die Luft erfüllen. Was die Sprache durchströmen kann als Geist, liegt ganz in der Art, wie gesprochen wird. In dem Augenblick, wo man das Gefühl hat, man spricht mit Ehrerbietung, kann man durch die Sprache etwas Geistiges mitteilen. Was aber heißt das: Ehrerbietung? Ehrerbietung ist etwas, was unsere Philosophen ganz verlernt haben. Sie reden, als ob sie die Dinge, die sie besprechen, greifen und berühren würden. Wer über geistige Dinge sprechen will, muß sich bewußt sein, daß das Denken wie ein ätherisches Tasten ist und daß man die Gedanken ehrerbietig formen muß, so wie man ja auch in der physischen Welt das, was mit Ehrfurcht berührt werden soll, nur an der Oberfläche berühren würde. Dieses innere Gefühl der Ehrerbietung beim Reden ist natürlich der Anfang. Dadurch bekommt das Reden nicht nur Inhalt, sondern Physiognomie, es wird bewußt; dann erfüllt man sich nach und nach mit dem Sprachgenius. Dadurch fängt man an, das Reden selber als ein lebendiges Geistiges zu haben. Das muß beim Kult im höchsten Maße vorhanden sein. Dann steht man richtig drinnen in der Handlung, so daß man weiß: Du sprichst nicht dein Subjektives aus, sondern du bist ein Werkzeug der geistigen Welt.

Darauf beruht das starke Verständnis, das dem Kultus entgegengebracht werden kann. Dazu trägt das Wie des Sprechens sehr wesentlich bei. Das Wie aber kommt mit dem Bewußtsein, daß man Werkzeug ist für die geistige Welt. Jede einzelne Kulthandlung ist die Fortsetzung desjenigen, was aus dem Worte fließt. In der Kulthandlung setzt sich das fort, indem das Wort Gebärde wird. Dann ringt sich das Bewußtsein durch: Du selbst magst denken wie du willst über die Sache, [darauf kommt es nicht an,] aber es kommt darauf an, daß du sagst, was die Götter wollen. Dann kommt man durch das Bewußtsein dazu, den Impuls der Weihehandlung in alles einzelne hineinwirken zu lassen, was man den ganzen Tag hindurch tut.

Welches ist dieser Impuls? Der Impuls, der von der Menschenweihehandlung ausgeht, liegt im wesentlichen darin, daß auf der einen Seite da ist die Opferung. In der Opferung bringen wir das Irdische dar der geistigen Welt; wir legen es nieder an den Stufen der geistigen Welt. Bei der Kommunion empfangen wir es wieder, aber jetzt aus der geistigen Welt heraus. Aus dem Irdischen haben wir es hingegeben. Was ist dazwischen vorgegangen? Die Transsubstantiation; es ist vorgegangen eine Wechselwirkung mit der geistigen Welt. Das gibt ein Bewußtsein, das eigentlich jedesmal in der Menschenweihehandlung empfinden läßt das Darinnenstehen in der geistigen Welt. Erhöht wird das dadurch, daß das Evangelium vorausgeht. Wenn das Evangeliumlesen die entsprechende Vorbereitung ist, und wenn dann empfunden wird dieses Durchstoßen zur geistigen Welt zwischen Opferung und Kommunion, dann trägt man die richtige Empfindung weg von der Menschenweihehandlung.

Da liegt natürlich der Anlaß dazu, sich wenigstens implicite jeden Tag mit der Weihehandlung zu befassen. Dem katholischen Priester ist vorgeschrieben, jeden Tag die Messe zu lesen; dadurch empfängt er eine starke Kraft. Dies muß nicht unbedingt immer ausgeführt werden, aber sich jeden Tag mit der Messe implicite beschäftigen, das ist notwendig. Durch dieses Gefühl kommt man in Zusammenhang mit der geistigen Welt. Das ist von ungeheurer Wichtigkeit.

Es fällt ja noch etwas anderes jeweils zwischen zwei Tage hinein für den Priester: er schläft zwischen zwei Tagen. Nun, was bedeutet das Schlafen? Die heutige Wissenschaft hat ja die Eigentümlichkeit, die wichtigsten Dinge des Lebens [so zu sehen, daß sie] äußerlich stimmen, aber innerlich nicht. Was sie über den Schlaf sagt, ist Illusion. Im Schlafe ist das Geistig-Seelische des Menschen, sind das Ich und der Astralleib vom physischen und Ätherleib getrennt. Zwischen Einschlafen und Aufwachen arbeiten physischer und Ätherleib auf der Stufe des Pflanzlichen. Was von dem Menschen über dem Pflanzlichen ist, ist im Schlafe ja heraus; also der Mensch sinkt als physische Wesenheit auf die Pflanzenstufe herab. Das bedeutet, daß sich da Prozesse abspielen, die von niedererer Art sind als die normalen Prozesse im vollbewußten menschlichen Leben. Da «kocht» es, da wirken Wärme und Kälte, da wirken untergeordnete Naturkräfte, die beim Wachen nicht in der gleichen Weise wirken. Wir haben nur dann das richtige Gefühl beim Aufwachen das muß natürlich ins Geistige hinaufgenommen werden, sonst kann es gefährlich werden —, wenn wir uns sagen: Unser Ich und unser Astralleib waren in der göttlichen Welt, unseren Körper haben wir den niederen Welten überlassen gehabt; wir nehmen den Körper von den Welten zurück, die unterhalb der eigentlichen Menschenwelt liegen. Das dürfen wir nie vergessen; von einem ahrimanischen Niveau nehmen wir unseren Körper zurück, er ist voll von ahrimanischen Bildungen, die wir im Wachen wieder ausrotten müssen. Die ersten Stunden des Wachens müssen so verlaufen, daß wir imstande sind, das auszurotten, was sich namentlich an Salzen über Nacht in unserem Körper abgelagert hat. Wenn wir das nicht tun können, so werden wir im Physischen voller Rheumatismus, Gicht und so weiter, auf seelischem Gebiete voller Lüsternheitsgedanken. Das kommt von dem, was der Mensch auf diesem Niveau während des Schlafes durchgemacht hat.

Weil der Mensch jeden Tag [während des Schlafes] herunterrückt unter das menschliche Niveau, muß der Priester über dieses Niveau zu einem höheren Niveau hinaufrücken. Das geschieht, wenn der Priester die Kulthandlung ausübt. Man braucht nicht, wie in der katholischen Kirche, täglich die Messe auszuüben, aber man muß leben in der Menschenweihehandlung. Das wirkt ebenso stark wie die täglich gelesene Messe. Dann wird es objektiv stark. Das sind die Dinge, die wir in der Realität betrachten müssen. Es ist eine wesentliche Sache, daß die Menschen jede Nacht schlafen. Die Menschenweihehandlung ist so wichtig wie das Schlafen. Wenn Sie sich jeden Tag mit der Weihehandlung beschäftigen, so heben Sie sich dadurch heraus aus dem unteren Niveau des Schlaflebens. Der evangelische Sinn weiß von diesen Dingen nichts; er will nicht den Priester herausheben, läßt ihn drinnenstehen im nächtlichen Schlafleben. Aber dieses Heraufheben des Menschen aus dem nächtlichen Schlafleben, dieses bewußte Entgegenarbeiten dem Heruntergehen des Menschen in das untermenschliche Bewußtsein, das macht gerade den Priesterberuf aus.

Wo ist das Niveau, in dem wir sind als Menschen? Das menschliche Niveau liegt zwischen dem Pflanzlichen und Tierischen, wie auch zwischen Luft und Wasser. Im Schlafe sinken wir ins Pflanzliche hinunter, am Tage steigen wir ins Tierische herauf. Der Mensch ist zunächst mineralisch, pflanzlich, tierisch, aber noch nicht eigentlich Mensch. Das Menschliche wird erst in der Zukunft ausgebildet. Wenn wir die Messe durchmeditieren, gehen wir nicht ins Tierische, sondern wir gehen ins Göttliche hinauf, das sonst nur unbewußt in uns wirken kann. Würden wir nur das in uns herumtragen, was heutiges Tagesbewußtsein ist ja, sehen Sie, dann würden wir nicht so ausschauen, wie wir jetzt ausschauen: wir würden unsere Leiber nur bis zum Diaphragma, bis zum Zwerchfell ausgebildet haben, die Männer würden Stierköpfe haben, und Sie die Frauen würden einen Löwenkopf haben. Durch das, was wir in unserem heutigen Tagesbewußtsein haben, sind wir noch nicht imstande, einen physischen Menschenkopf zu haben den bildet uns die Gottheit. Daher wird ja auch beim Embryo der Kopf in hohem Grade ausgebildet. Während des gewöhnlichen Wachens können wir nicht ganz unsere Menschenform umfassen, aber Sie lernen die Menschenform, wie sie eine göttliche ist, wirklich erfühlen auf der Erde. Sie bekommen erst das Recht, sich mit menschlicher Physiognomie hineingestellt zu fühlen in die Welten, wenn Sie in der Messe sich herauserheben aus der Tierheit. Dann entstieren, dann entlöwen Sie sich. Das gibt eine menschlich-göttliche Physiognomie.

Das macht die katholische Kirche so stark, daß sie sich an das heranmacht, wo das Göttliche im Menschen spricht. Wenn man anfängt, der praktisch Ausübende des Kultus zu werden, dann muß man die Sache unendlich viel ernster fassen können als im gewöhnlichen Sinne; bis zum äußersten Ernst muß man sie fassen und sich sagen: Wir tragen gar nicht den Menschenkopf, wenn wir als gewöhnliche Menschen herumgehen, denn da [in den Menschenkopf] wirken die Götter hinein.

Daher ist «Menschenweihehandlung» kein schlechter Ausdruck, sondern ein guter, ein sehr guter. So wie Ihr Haupt hineingestellt ist in die Welt, ist es nicht durch Sie geworden, sondern von Gott geschaffen. Weihen heißt, das, was fest ist, flüssig machen, das, was der Mensch hat, eintauchen in das Geistige. So daß wir sagen können: Ich erwerbe mir das Recht, im Göttlichen zu leben, durch die Menschenweihehandlung und die Meditation und lasse die Mitglieder der Gemeinde zunächst nur teilnehmen an Menschenweihehandlung und Meditation. Das widerspricht nicht dem Sozialen und auch nicht dem evangelischen Bewußtsein, sondern es ist erst ein rechtes Hineinstellen in die Wirklichkeit. Erst dadurch widerspricht man diesen, daß man sich abwendet von den Dingen der gewöhnlichen Welt; aber dadurch, daß man sich ihnen bewußt gegenüberstellt, überwindet man sie. Das ist immer mehr anzustreben, daß man sich hindurchringt, die Dinge zu verstehen, denn der Ansatz zum Priesterbewußtsein kann nicht von heute auf morgen gegeben werden, dazu muß man sich erst durchringen.

Es wird nach einer Sprachübung gefragt.

Rudolf Steiner: Die katholische Kirche sieht auf die Sprache sehr, sie läßt Übungen machen. Der Jesuit muß sogar rezitieren und skandieren lernen, er muß lernen, wie man einen Vordersatz und einen Nachsatz gestalten muß, wie man im ersten Satz vorbereiten muß, wenn man im zweiten überzeugen will, und das endet dabei, daß man das, was man im gewöhnlichen Sinne Eloquenz nennt, nicht vernachlässigen darf. Das geht darauf hinaus, daß die Sprache etwas Objektives wird. Die Sprache bei den meisten Menschen ist nur ein Ausleben der rein physischen Organe, des Kehlkopfes und der Schleimhäute. Die Sprache, die den Kultus ausüben soll, muß frei sein von diesem Individuellen, sie muß hinaufkommen bis zu der Macht, die Luft vibrieren zu lassen, ohne daß der Schleim sich da hineinmischt. Das ist etwas, was man in der heutigen Zeit nicht so ohne weiteres kann, sondern das man üben muß. Die Berliner Universität hatte einmal einen Professor für Eloquenz, Curtius war es; aber so wenig lag das im Zeitbewußtsein, daß er nie diesen Lehrauftrag erfüllte, sondern griechische Kunstgeschichte vorgetragen hat.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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