ERSTER VORTRAG
Stuttgart, 11. Juli 1923
Die
herzlichen Worte, die soeben [von Herrn Dr. Rittelmeyer]
gesprochen worden sind, gehen hervor aus derjenigen
schönen Kraft, die ja zur Begründung dieser
religiösen Gemeinschaftsbildung geführt hat, und das
Wesentliche, was durch diese religiös wirkende
Gemeinschaft fließen soll, hängt ja von dem ganzen
Ernste und von der, ich möchte sagen Vertiefung dieses
Ernstes ab, wie er ursprünglich in den Absichten
derjenigen lag, die den Anstoß gegeben haben zu der
Begründung dieser religiösen Gemeinschaftsbewegung.
Es muß gesagt werden, daß auch im wesentlichen alles
das, was im Verlaufe dieses Jahres innerhalb dieser
religiösen Gemeinschaft selber geschehen ist, durchaus im
Sinne einer Fortsetzung dieses Ernstes geschehen ist, und
daß man wohl jetzt schon, bis zu einem gewissen Grade
wenigstens, sagen kann: die ursprünglichen Absichten haben
sich bewährt, durchaus bewährt.
Es
trat ja zum Beispiel auch dann diese Bewegung stark hervor,
wenn der äußere Eindruck des Rituals ich meine das im
edelsten Sinne des Wortes innerhalb unserer gesamten
Geistesbewegung wirkte. Es ging ein starker Strom von innerer,
wahrhaftig gemeinter und auch wahrhaftig wirkender Andacht aus
von der Art, wie wir vor kurzem eines der ältesten
Mitglieder unserer anthroposophischen Bewegung, Hermann Linde,
zur Einäscherung führen konnten. Die Eindrücke,
welche gerade bei dieser Gelegenheit von der Kultushandlung
ausgegangen sind, zeigten durchaus, daß das, was
beabsichtigt werden soll, wirklich auch auf einem guten Wege
der Verwirklichung ist; und das kann ja auf den verschiedensten
Gebieten bis jetzt gesagt werden.
Ich
habe sogar die Empfindung, daß es mit dem objektiven
Werdegang dieser religiösen Gemeinschaftsbestrebung
schneller gegangen ist als mit dem, was die innere
Befriedigung, die innere Harmonisierung in den Seelen der
einzelnen Träger dieses religiösen Gedankens ist. Die
Sache geht nun ihren guten Gang. Sie selbst werden sich auf der
einen Seite von diesem guten Gang von der Sache hingerissen
fühlen können, auf der anderen Seite werden Sie mit
manchen inneren seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen
haben, und da wäre es von ganz besonderer Bedeutung, wenn
gerade bei dieser Zusammenkunft solche seelischen inneren
Schwierigkeiten zum Besprechen kommen könnten, wenn also
gerade heute diese erste Zusammenkunft dazu benutzt werden
könnte, daß Sie die Schwierigkeiten geltend machen,
die Sie selbst haben, so daß wir dann in den nächsten
Tagen versuchen können, in bezug auf diese inneren
Schwierigkeiten eine gewisse Harmonisierung
herbeizuführen.
Es
ist durchaus begreiflich, daß diese inneren
Schwierigkeiten da sind, denn Sie müssen ja, gerade weil
Sie Vertreter der wichtigsten spirituellen Bestrebung sind,
stets vor Augen haben, daß die Realitäten im
geistigen Leben stark wirken. Auch wenn man das nicht gewahr
wird, Realitäten sind da. Das, was an der Oberfläche
des Geschehens geschieht, wurzelt, gerade wenn es für das
Geistige geschieht, in tiefen Untergründen, die gut oder
böse sein können. Es darf nie aus den Augen verloren
werden, wenn man in der Gegenwart auf religiösem Gebiete
wirken will, daß die religiös orientierten Geistes-
oderUngeistesströmungen gerade in der Gegenwart eine
außerordentlch rege Tätigkeit entwickeln.
Gerade während wir uns hier besprechen, ist zum Beispiel
eine Versammlung im Gange von Vertretern der römischen
Kirche an einem bestimmten Ort in Europa, die wahrscheinlich
eine außerordentlich große Wirkung haben wird;
wenigstens ist eine außerordentlich große Wirkung von
ihr beabsichtigt. Es ist ja heute so, daß, viel mehr als
man da oder dort ahnt, die Herzen der Menschen sich
religiös verödet fühlen. Die Herzen der Menschen
fühlen sich namentlich deshalb religiös verödet,
weil allzuwenig zu ihnen in der Sprache gesprochen wird, die
unmittelbar wirklich aus dem Geiste heraus kommt. Und für
ganz breite Schichten der Menschheit ist es einfach
unmöglich, daß man sie über diese Verödung
der Herzen hinausbringt, wenn man sie nicht tatsächlich
mit einer Sprache erfaßt, die nicht irdisch ist, das
heißt mit der Sprache, die in der Kultushandlung gegeben
ist, die eine übersinnliche Sprache ist. Sie müssen
nicht aus den Augen verlieren, wie ungeheuer wirksam gerade
heute das ist, was von der römischkatholischen Kirche in
der Messe gegeben wird, was sie in einem heute ja veralteten,
doch gerade auf die Seele stark wirkenden Kultus hat, und noch
mehr durch die Art, wie da gesprochen werden kann.
Man
muß sich immer klar darüber sein, wieviele
Kräfte in der Menschheit so liegen, daß sie gerade
nach dieser Seite hin in die Irre geführt werden
können. Bedenken Sie, wenn Sie heute fragen, welches das
so ziemlich verbreitetste Gedichtwerk in Mitteleuropa ist, so
müssen Sie ein Werk nennen, das in den Kreisen, die man
heute gewöhnlich meint, wenn man vom Fortgang in der
Geschichte spricht, oft gar nicht bekannt ist, nicht einmal dem
Namen nach, «Dreizehnlinden» von Weber, das rasch
viele Auflagen erlebt hat. Warum ist das so? Aus dem Grunde,
weil das Werk von römisch-katholischem Geiste durchweht
ist. ... [Lücke im Text des Stenographen.]
Diese Tatsachen sind die äußeren Symptome für
eine starke geistige Strömung, die speziell
römisch-katholische, die eben nach außen wirkt. Das
ist sehr stark im Anzug. Nun vergessen Sie nicht, diese
Kräfte gehen durch die menschliche Seele hindurch, gehen
auch durch Ihre Seelen hindurch, und manches von dem, was Sie
vielleicht nur einem subjektiven Bedürfnisse zuschreiben,
rührt objektiv von den Geistesströmungen in der
Gegenwart her. Und da wäre es von großer Bedeutung,
wenn heute von Ihnen diese subjektiven Bedürfnisse
formuliert würden, so daß wir sie in den
nächsten Tagen in unsere Besprechung einfließen
lassen können. Sie dürfen nicht vergessen, in einer
solchen Bewegung, wie es die Ihrige ist, muß es sich darum
handeln, daß Sie mit dem real-konkreten Geiste der
Gegenwart wirken. Was wissen die Leute heute von dem realen
Geiste der Gegenwart? Eine der wichtigsten Tatsachen für
das innere Wirken des Geistigen in der Gegenwart kommt dadurch
zustande, daß man in Amerika anfängt etwas
einzusehen, was in der Anthroposophie schon angedeutet worden
ist, was aber natürlich nicht gehört wird. Nun
fängt man an, mit äußerlichen Mitteln einige
Einsicht zu gewinnen.
Vergleichen Sie die Welt von heute mit der von vor hundert
Jahren. Sie werden sagen, wenn man die Welt von heute mit der
von vor hundert Jahren vergleicht, so ist im Ganzen ein
Unterschied zwischen heute und der Zeit vor hundert Jahren da;
aber einer der gewaltigsten Unterschiede, der nicht
aufgezählt wird, das ist der, daß wir heute unsere
Atmosphäre durchzogen haben von lauter
Telegraphendrähten, Telephondrähten und so weiter.
Nun, in Europa scheint das Durchwachsensein mit Drähten
noch ein Kinderspiel zu sein gegenüber Amerika. Deshalb
ist dort eine Spur von Einsicht vorhanden, was das für den
Menschen bedeutet. Man ahnt dort endlich, daß der Mensch
nicht unbeeinflußt bleibt von dem, was in den
Telegraphendrähten lebendig durch die Luft schwirrt,
daß der Mensch ein richtiger Induktionsapparat wird.
Bedenken Sie, daß ein entgegengesetzter Strom in Ihren
Nerven und wiederum ein gleichgerichteter Strom in Ihrem
Blutsystem wirkt. Das alles trägt die Menschheit heute in
sich, aber davon spricht man kaum. Das sind im eminentesten
Sinne ahrimanische Kräfte, die der Mensch heute durch die
äußere Kultur aufnimmt, die er auch gar nicht
ablehnen kann. Man macht sich ja Gedanken über das
Mögliche und Unmöglichste, aber gerade über die
stärksten Realitäten macht sich die heutige
Menschheit am wenigsten Gedanken. Man sollte zum Beispiel auch
einmal darüber sprechen, inwiefern der Unterschied
zwischen Goethe und den heutigen Menschen darin besteht,
daß Goethe noch nicht von Telegraphendrähten
umwickelt war. Sehen Sie, was heute die Verödung der
Menschenseele ist, das ist wesentlich mit alldem
zusammenhängend.
Wenn Sie sich nun umsehen, wie die höchsten geistigen
religiösen Bedürfnisse der Menschen befriedigt
werden, so müssen Sie sich die Frage stellen: Sind in
diese Befriedigungen schon die Impulse aufgenommen, die damit
rechnen, daß der Mensch durch sein Seelisch-Geistiges
diese Dinge in sich unschädlich machen kann? Das sind sie
nicht! Die Befriedigungen der religiösen Bedürfnisse
gehen in Zeiten zurück, in denen es dies alles noch nicht
gab, was ich Ihnen eben geschildert habe. Heute gibt es eine
Befriedigung der religiösen Bedürfnisse, die nur
für diejenigen Menschen gelten konnte, die nicht in einer
solchen Kultur lebten, wie wir sie heute haben. Die
Anthroposophie will hier so eingreifen, daß ein neuer
Impuls entstehen kann, der in der Lage ist, die Menschen
unabhängig zu machen von dem, wovon sie
äußerlich nicht unabhängig werden können.
Das muß hingenommen werden, was äußerlich da
ist. Aber es muß auf der anderen Seite der Gegenpol dazu
[geschaffen werden]. Das bedeutet, daß Sie ein starkes
Bewußtsein aufnehmen müssen von der Bedeutung Ihrer
Bewegung und mehr und mehr von rein geistigen Impulsen aus
diese Bewegung machen müssen. An die wichtigsten Dinge
muß gerade dabei gedacht werden, wenn es sich darum
handelt, die Frage zu beantworten: Was sollen wir tun? Die
richtige Anwendung des Kultus und der Predigt ergeben schon den
nötigen starken Impuls, wenn diese religiöse Bewegung
auf Anthroposophie aufgebaut ist. Aber ein Bewußtsein
davon muß in jedem einzelnen von Ihnen vorhanden sein,
daß man heute in der Art in der Welt steht, daß man
drinnensteht in diesen Einflüssen. Jeder von Ihnen sollte
möglichst viel dazu beitragen, den Starkmut des
Bewußtseins nach dieser Richtung hin zu erhöhen, zu
kräftigen.
Wir
dürfen nicht vergessen, daß nach und nach in der
Menschheit alles abstrakt und intellektuell geworden ist, und
daß der Intellektualismus heute vollkommen in der
Abendröte steht. Wir dürfen heute die Dinge nicht
mehr nur verstehen wollen, sondern wir müssen unsere
Herzen öffnen für die Realitäten aus der
geistigen Welt. Das bloße Verstehen, wie dies oder jenes
aufzufassen ist, ist sehr schön, es ist aber nicht
dasjenige, was heute eine Bewegung tragen kann. Sehen Sie,
eines muß besonders eingesehen werden: daß diejenigen
Bewegungen, die heute regsam sind und mit starkem Willen
ausgestattet sich dahin rüsten, mit Altem die Menschheit
zu übersäen, ungeheuer stark sind und tief wurzeln
namentlich im mitteleuropäischen und westlichen Volkstum;
die römisch-katholische Kirche ist nur eine Phase davon.
Gerade die Intellektuellen, weil sie heute bei der
Verödung der Herzen angekommen sind, laufen heute in
Scharen wieder zu den bestehenden Kirchen hin, namentlich zur
katholischen.
Sie
sind nur erst eine kleine Bewegung und gering an der Zahl. Aber
wenn Sie das Bewußtsein davon in sich tragen, daß Sie
in der Wahrheit wirken, dann werden Sie sich eben sagen: Bei
geistigen Bewegungen kommt es nicht auf die äußere
Größe noch auf die Zahl an, sondern auf die innere
Kraft. Diese wird wirken, wenn sie von starkem Bewußtsein
dessen, was sie ist, getragen wird. Das ist es aber, was Sie
haben müssen: Starkes Bewußtsein der Wahrheit, sich
nicht entmutigen lassen, weil die Wahrheit heute am meisten
gehaßt wird. Wenn Sie irgendeinen sektiererischen Irrtum
verbreiten wollten, so würden Sie es leicht haben, man
würde dann keine Ängstlichkeit Ihnen gegenüber
haben. Aber gerade wenn Sie die Wahrheit verbreiten wollen,
dann spüren die Menschen das, und da werden Sie die
stärksten Widerstände finden.
Es
handelt sich darum, daß man heute die zwei großen
Gegensätze durchschaut. Ich möchte nicht bei jeder
Gelegenheit den Jesuitismus erwähnen, auch nicht in dem
gewöhnlichen Sinne, ich erwähne ihn hier nur als
Repräsentant dessen, was die alte Geistigkeit über
die Gegenwart verbreiten will, gegenüber dem, was moderne
Kultur in die Gegenwart hereingebracht hat. Diese Strömung
verspricht sich die Ausrottung der modernen Kultur. Sie
dürfen nicht glauben, daß der Wille bei dieser
Bewegung klein ist. Sie zweifelt nicht, daß es ihr
gelingen wird, eine Menschheit ohne die modernen Kulturmittel
zu haben, und das trägt diese Bewegung. Sie sieht in den
modernen Kulturmitteln den Teufel und will ihn mit den Mitteln
der alten Kultur überwinden. Doch Ahriman kann nicht
ausgerottet werden, aber er kann geläutert, gereinigt,
geedelt werden. Es muß mit der modernen Kultur gerechnet
werden. Das wissen auch die Gegner; deshalb haben sie eine ganz
ausgesprochene Angst gerade vor Ihrer Bewegung, weil sie die
Wahrheit ist. Von dem Irrtum würde man sagen: der wird
schon wieder aufhören -, aber gegenüber der Wahrheit
greift der Gegner zu großen und kleinen Mitteln.
Nun
sagten Sie, von Dornach ist manches ausgegangen, was mit Ihrer
Bewegung zusammenhängt. Aber, in durchaus nicht irgendwie
auch nur im geringsten schlimm gemeinten Sinne möchte ich
es sagen: Auch das Schicksal des Goetheanums ist nicht ohne
Zusammenhang damit, daß Ihre Bewegung von ihm ausging. An
der Stelle, wo Ihre Handlung angeregt wurde, ist der
zündende Funke gelegt worden. Man muß nicht glauben,
daß [von den Gegnern] mit geringen Mitteln gearbeitet
wird. Trotzdem müssen wir uns klar darüber sein,
daß ein [Ihre Bewegung] fördernder Impuls eigentlich
nicht im Äußeren liegen kann, und auch ein ihn
tötendes Element kann nicht im Äußeren liegen.
Einzig und allein darauf muß es ankommen, daß die
Bewegung ihre Impulse im Innern der Seelen haben muß. Dann
können die äußeren Dinge vielleicht einmal
tragisch verlaufen, aber sie werden dann kein Hindernis
dafür sein, daß die Impulse, die vertieft erst
gefaßt worden sind, sich wirklich ausleben werden, wie sie
es tun müssen. Es war ein guter Impuls, der den
Anstoß gegeben hat zu dieser religiösen Bewegung; er
wird sich ausleben und Frucht tragen, wenn er in dem gleichen
guten Sinne weitergetragen wird. Und so werde ich an die
einzelnen Impulse anknüpfen, wenn von Ihrer Mitte
ausgehend vorgebracht wird, was Sie gern besprochen haben
möchten.
Von den Teilnehmern werden folgende Fragen
vorgebracht:
-
Wie verhält sich unser Kultus
zu dem Kultischen, was in der Zukunft kommen wird? Wie
wirken wir in der rechten Weise mit der anthroposophischen
Bewegung zusammen? Wie können wir das Rechte tun zur
moralischen Unterstützung der Gesamtbewegung?
-
Ich bitte um Aufklärung
über die Weltvorgänge, in denen besonders das
Ruhrgebiet steht.
-
Es gelingt mir nicht, ein objektives
Gleichmaß in die Kulthandlung zu bringen. Es ist
verschieden, wie ich sie ausübe. Ich habe manchmal
starke Zweifel, ob ich eine Kulthandlung vollzogen habe.
Man kann die Menschenweihehandlung lesen so, daß man
eigentlich körperlich mit dem Nervensystem beteiligt
ist, aber es ist dann nichts Aufbauendes.
Rudolf Steiner: Es wäre schon notwendig, daß
gerade zu dieser letzten wichtigen Frage Sie oder jemand
anderes sich genauer aussprechen würde. Sie haben zum
Beispiel den Satz ausgesprochen, es sei Ihnen nicht immer klar,
ob Sie eine Kulthandlung wirklich vollzogen haben. Das ist eine
berechtigte Frage. Aber man muß auf diese Dinge schon
genauer eingehen. Es wird nicht gut sein, wenn Sie das
Nervensystem in diese Sache hineinbringen. Denn natürlich
muß die Kulthandlung auf einem solchen Niveau liegen,
daß alles, was von ihr ausgeht, nicht auf dem Niveau des
Nervensystems ist, von dem sich ja schon viel zu viel geltend
macht. Das Nervensystem muß natürlich stärker
beeinflußt werden, aber nicht in solcher Weise. ... [Vom
Stenographen gekennzeichnete Lücke.] Sie müssen in
Ihrem subjektiven Erleben dem objektiven Erleben nachkommen,
das durch den Kultus fließt.
Es
darf keine Unklarheit darüber herrschen, daß von
einem Verhältnis des Kultus zu etwas anderem nicht
gesprochen werden sollte. Der Kultus, der sich ergibt, wenn man
die geistige Welt fragt, ist der Kultus, der bei Ihnen lebt. Es
ist nicht so, daß das irgendeine äußerliche
besondere Form ist, sondern es ist der Kultus, der schon
seine Zukunft finden wird, aber durch das Leben. Das richtige
Darinnenstehen im Kultus hängt innig mit dem
Priesterbewußtsein zusammen. Das Priesterbewußtsein
kann nur dadurch entstehen, daß innerlich
äußerste Ehrlichkeit vorhanden ist. Deshalb wäre
es gut, wenn das, was subjektiv in den Seelen lebt, was die
einzelnen Persönlichkeiten erleben, indem sie den Kultus
ausüben, bei dieser Gelegenheit herauskäme. Dann
erst, wenn Sie Ihre subjektiven Bedürfnisse zum Ausdruck
bringen, werden wir fruchtreich sprechen können. ... [Vom
Stenographen gekennzeichnete Lücke.]
Worauf es ankommt, ist, daß der Kultus die Sprache der
übergeordneten Welten sein soll. Die Menschensprache ist
von vorneherein eine irdische Sprache, weil sie zu ihrem
Ausdrucksmittel die geformte Luft hat. Es ist natürlich
töricht, vorauszusetzen, daß abgeschiedene Geister in
irgendeiner Menschensprache reden könnten. Die Medien in
Deutschland lassen die Geister deutsch reden, in England
englisch, in Frankreich französisch, als ob die Menschen
nach dem Tode Deutsche, Engländer oder Franzosen
wären. Der Geist redet nicht mehr in Menschensprache und
kann auch nicht die Luft erfüllen. Was die Sprache
durchströmen kann als Geist, liegt ganz in der Art,
wie gesprochen wird. In dem Augenblick, wo man das
Gefühl hat, man spricht mit Ehrerbietung, kann man durch
die Sprache etwas Geistiges mitteilen. Was aber heißt das:
Ehrerbietung? Ehrerbietung ist etwas, was unsere Philosophen
ganz verlernt haben. Sie reden, als ob sie die Dinge, die sie
besprechen, greifen und berühren würden. Wer
über geistige Dinge sprechen will, muß sich
bewußt sein, daß das Denken wie ein ätherisches
Tasten ist und daß man die Gedanken ehrerbietig formen
muß, so wie man ja auch in der physischen Welt das, was
mit Ehrfurcht berührt werden soll, nur an der
Oberfläche berühren würde. Dieses innere
Gefühl der Ehrerbietung beim Reden ist natürlich der
Anfang. Dadurch bekommt das Reden nicht nur Inhalt, sondern
Physiognomie, es wird bewußt; dann erfüllt man sich
nach und nach mit dem Sprachgenius. Dadurch fängt man an,
das Reden selber als ein lebendiges Geistiges zu haben. Das
muß beim Kult im höchsten Maße vorhanden sein.
Dann steht man richtig drinnen in der Handlung, so daß man
weiß: Du sprichst nicht dein Subjektives aus, sondern du
bist ein Werkzeug der geistigen Welt.
Darauf beruht das starke Verständnis, das dem Kultus
entgegengebracht werden kann. Dazu trägt das Wie
des Sprechens sehr wesentlich bei. Das Wie aber kommt mit dem
Bewußtsein, daß man Werkzeug ist für die
geistige Welt. Jede einzelne Kulthandlung ist die Fortsetzung
desjenigen, was aus dem Worte fließt. In der
Kulthandlung setzt sich das fort, indem das Wort Gebärde
wird. Dann ringt sich das Bewußtsein durch: Du selbst
magst denken wie du willst über die Sache, [darauf kommt
es nicht an,] aber es kommt darauf an, daß du sagst, was
die Götter wollen. Dann kommt man durch das
Bewußtsein dazu, den Impuls der Weihehandlung in alles
einzelne hineinwirken zu lassen, was man den ganzen Tag
hindurch tut.
Welches ist dieser Impuls? Der Impuls, der von der
Menschenweihehandlung ausgeht, liegt im wesentlichen darin,
daß auf der einen Seite da ist die Opferung. In der
Opferung bringen wir das Irdische dar der geistigen Welt; wir
legen es nieder an den Stufen der geistigen Welt. Bei der
Kommunion empfangen wir es wieder, aber jetzt aus der geistigen
Welt heraus. Aus dem Irdischen haben wir es hingegeben. Was ist
dazwischen vorgegangen? Die Transsubstantiation; es ist
vorgegangen eine Wechselwirkung mit der geistigen Welt. Das
gibt ein Bewußtsein, das eigentlich jedesmal in der
Menschenweihehandlung empfinden läßt das
Darinnenstehen in der geistigen Welt. Erhöht wird das
dadurch, daß das Evangelium vorausgeht. Wenn das
Evangeliumlesen die entsprechende Vorbereitung ist, und wenn
dann empfunden wird dieses Durchstoßen zur geistigen Welt
zwischen Opferung und Kommunion, dann trägt man die
richtige Empfindung weg von der Menschenweihehandlung.
Da
liegt natürlich der Anlaß dazu, sich wenigstens
implicite jeden Tag mit der Weihehandlung zu befassen. Dem
katholischen Priester ist vorgeschrieben, jeden Tag die Messe
zu lesen; dadurch empfängt er eine starke Kraft. Dies
muß nicht unbedingt immer ausgeführt werden, aber
sich jeden Tag mit der Messe implicite beschäftigen, das
ist notwendig. Durch dieses Gefühl kommt man in
Zusammenhang mit der geistigen Welt. Das ist von ungeheurer
Wichtigkeit.
Es
fällt ja noch etwas anderes jeweils zwischen zwei Tage
hinein für den Priester: er schläft zwischen zwei
Tagen. Nun, was bedeutet das Schlafen? Die heutige Wissenschaft
hat ja die Eigentümlichkeit, die wichtigsten Dinge des
Lebens [so zu sehen, daß sie] äußerlich stimmen,
aber innerlich nicht. Was sie über den Schlaf sagt, ist
Illusion. Im Schlafe ist das Geistig-Seelische des Menschen,
sind das Ich und der Astralleib vom physischen und
Ätherleib getrennt. Zwischen Einschlafen und Aufwachen
arbeiten physischer und Ätherleib auf der Stufe des
Pflanzlichen. Was von dem Menschen über dem Pflanzlichen
ist, ist im Schlafe ja heraus; also der Mensch sinkt als
physische Wesenheit auf die Pflanzenstufe herab. Das bedeutet,
daß sich da Prozesse abspielen, die von niedererer Art
sind als die normalen Prozesse im vollbewußten
menschlichen Leben. Da «kocht» es, da wirken
Wärme und Kälte, da wirken untergeordnete
Naturkräfte, die beim Wachen nicht in der gleichen Weise
wirken. Wir haben nur dann das richtige Gefühl beim
Aufwachen das muß natürlich ins Geistige
hinaufgenommen werden, sonst kann es gefährlich werden
—, wenn wir uns sagen: Unser Ich und unser Astralleib
waren in der göttlichen Welt, unseren Körper haben
wir den niederen Welten überlassen gehabt; wir nehmen den
Körper von den Welten zurück, die unterhalb der
eigentlichen Menschenwelt liegen. Das dürfen wir nie
vergessen; von einem ahrimanischen Niveau nehmen wir unseren
Körper zurück, er ist voll von ahrimanischen
Bildungen, die wir im Wachen wieder ausrotten müssen. Die
ersten Stunden des Wachens müssen so verlaufen, daß
wir imstande sind, das auszurotten, was sich namentlich an
Salzen über Nacht in unserem Körper abgelagert hat.
Wenn wir das nicht tun können, so werden wir im Physischen
voller Rheumatismus, Gicht und so weiter, auf seelischem
Gebiete voller Lüsternheitsgedanken. Das kommt von dem,
was der Mensch auf diesem Niveau während des Schlafes
durchgemacht hat.
Weil der Mensch jeden Tag [während des Schlafes]
herunterrückt unter das menschliche Niveau, muß der
Priester über dieses Niveau zu einem höheren Niveau
hinaufrücken. Das geschieht, wenn der Priester die
Kulthandlung ausübt. Man braucht nicht, wie in der
katholischen Kirche, täglich die Messe auszuüben,
aber man muß leben in der Menschenweihehandlung. Das wirkt
ebenso stark wie die täglich gelesene Messe. Dann wird es
objektiv stark. Das sind die Dinge, die wir in der
Realität betrachten müssen. Es ist eine wesentliche
Sache, daß die Menschen jede Nacht schlafen. Die
Menschenweihehandlung ist so wichtig wie das Schlafen. Wenn Sie
sich jeden Tag mit der Weihehandlung beschäftigen, so
heben Sie sich dadurch heraus aus dem unteren Niveau des
Schlaflebens. Der evangelische Sinn weiß von diesen Dingen
nichts; er will nicht den Priester herausheben, läßt
ihn drinnenstehen im nächtlichen Schlafleben. Aber dieses
Heraufheben des Menschen aus dem nächtlichen Schlafleben,
dieses bewußte Entgegenarbeiten dem Heruntergehen des
Menschen in das untermenschliche Bewußtsein, das macht
gerade den Priesterberuf aus.
Wo
ist das Niveau, in dem wir sind als Menschen? Das menschliche
Niveau liegt zwischen dem Pflanzlichen und Tierischen, wie auch
zwischen Luft und Wasser. Im Schlafe sinken wir ins Pflanzliche
hinunter, am Tage steigen wir ins Tierische herauf. Der Mensch
ist zunächst mineralisch, pflanzlich, tierisch, aber noch
nicht eigentlich Mensch. Das Menschliche wird erst in der
Zukunft ausgebildet. Wenn wir die Messe durchmeditieren, gehen
wir nicht ins Tierische, sondern wir gehen ins Göttliche
hinauf, das sonst nur unbewußt in uns wirken kann.
Würden wir nur das in uns herumtragen, was heutiges
Tagesbewußtsein ist ja, sehen Sie, dann würden wir
nicht so ausschauen, wie wir jetzt ausschauen: wir würden
unsere Leiber nur bis zum Diaphragma, bis zum Zwerchfell
ausgebildet haben, die Männer würden Stierköpfe
haben, und Sie die Frauen würden einen Löwenkopf
haben. Durch das, was wir in unserem heutigen
Tagesbewußtsein haben, sind wir noch nicht imstande, einen
physischen Menschenkopf zu haben den bildet uns die Gottheit.
Daher wird ja auch beim Embryo der Kopf in hohem Grade
ausgebildet. Während des gewöhnlichen Wachens
können wir nicht ganz unsere Menschenform umfassen, aber
Sie lernen die Menschenform, wie sie eine göttliche ist,
wirklich erfühlen auf der Erde. Sie bekommen erst das
Recht, sich mit menschlicher Physiognomie hineingestellt zu
fühlen in die Welten, wenn Sie in der Messe sich
herauserheben aus der Tierheit. Dann entstieren, dann
entlöwen Sie sich. Das gibt eine menschlich-göttliche
Physiognomie.
Das
macht die katholische Kirche so stark, daß sie sich an das
heranmacht, wo das Göttliche im Menschen spricht. Wenn man
anfängt, der praktisch Ausübende des Kultus zu
werden, dann muß man die Sache unendlich viel ernster
fassen können als im gewöhnlichen Sinne; bis zum
äußersten Ernst muß man sie fassen und sich
sagen: Wir tragen gar nicht den Menschenkopf, wenn wir als
gewöhnliche Menschen herumgehen, denn da [in den
Menschenkopf] wirken die Götter hinein.
Daher ist «Menschenweihehandlung» kein schlechter
Ausdruck, sondern ein guter, ein sehr guter. So wie Ihr Haupt
hineingestellt ist in die Welt, ist es nicht durch Sie
geworden, sondern von Gott geschaffen. Weihen heißt, das,
was fest ist, flüssig machen, das, was der Mensch hat,
eintauchen in das Geistige. So daß wir sagen können:
Ich erwerbe mir das Recht, im Göttlichen zu leben, durch
die Menschenweihehandlung und die Meditation und lasse die
Mitglieder der Gemeinde zunächst nur teilnehmen an
Menschenweihehandlung und Meditation. Das widerspricht nicht
dem Sozialen und auch nicht dem evangelischen Bewußtsein,
sondern es ist erst ein rechtes Hineinstellen in die
Wirklichkeit. Erst dadurch widerspricht man diesen, daß
man sich abwendet von den Dingen der gewöhnlichen Welt;
aber dadurch, daß man sich ihnen bewußt
gegenüberstellt, überwindet man sie. Das ist immer
mehr anzustreben, daß man sich hindurchringt, die Dinge zu
verstehen, denn der Ansatz zum Priesterbewußtsein kann
nicht von heute auf morgen gegeben werden, dazu muß man
sich erst durchringen.
Es
wird nach einer Sprachübung gefragt.
Rudolf Steiner: Die katholische Kirche sieht auf die
Sprache sehr, sie läßt Übungen machen. Der
Jesuit muß sogar rezitieren und skandieren lernen, er
muß lernen, wie man einen Vordersatz und einen Nachsatz
gestalten muß, wie man im ersten Satz vorbereiten
muß, wenn man im zweiten überzeugen will, und das
endet dabei, daß man das, was man im gewöhnlichen
Sinne Eloquenz nennt, nicht vernachlässigen darf. Das geht
darauf hinaus, daß die Sprache etwas Objektives wird. Die
Sprache bei den meisten Menschen ist nur ein Ausleben der rein
physischen Organe, des Kehlkopfes und der Schleimhäute.
Die Sprache, die den Kultus ausüben soll, muß frei
sein von diesem Individuellen, sie muß hinaufkommen bis zu
der Macht, die Luft vibrieren zu lassen, ohne daß der
Schleim sich da hineinmischt. Das ist etwas, was man in der
heutigen Zeit nicht so ohne weiteres kann, sondern das man
üben muß. Die Berliner Universität hatte einmal
einen Professor für Eloquenz, Curtius war es; aber so
wenig lag das im Zeitbewußtsein, daß er nie diesen
Lehrauftrag erfüllte, sondern griechische Kunstgeschichte
vorgetragen hat.
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