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Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken

Schmidt-Nummer: S-5926

Online seit: 31st December, 2016

NEUNTER VORTRAG

Dornach, 13. September 1924

Meine lieben Freunde! Wir werden jetzt, da wir eine Anzahl von Elementen zusammengetragen haben, um hinter das Wesen der Apokalypse zu kommen, die Apokalypse selber ins Auge zu fassen haben und dabei die Sache so gestalten, daß wir beginnen bei einigen Fragen, die sich auf das Ende, das Ziel desjenigen beziehen, was der Apokalyptiker schaut und was er der Menschheit mitteilen will. Es wird sich nachher schon zeigen, warum diese Komposition der Betrachtung gewählt werden soll.

Wenn wir zunächst auf dasjenige hinschauen, was der Apokalyptiker uns gibt, so ist es, man könnte sagen, eine Mitteilung an die Menschen, eine Offenbarung an die Menschen, aber eine Offenbarung, welche sich wesentlich unterscheidet von demjenigen, was auftritt, wenn andere, nicht aus der Hellsichtigkeit hervorgehende Mitteilungen an die Menschen gebracht werden. Und so verweist der Apokalyptiker auch darauf, daß es ja ein besonderes Ereignis war, eine mächtige Erleuchtung, aus der heraus er in der Lage ist, seine Mitteilung an die Menschheit zu machen. Dadurch aber erscheint die Apokalypse in der Tat als etwas, was als ein zu dem Fortgang der christlichen Entwickelung dazugehöriges Ereignis, als eine dazugehörige Tatsache auftritt.

Wir können sagen: Der große, der alles überragende Ausgangspunkt der christlichen Entwickelung auf Erden, auf den vorher nur hingeschaut werden konnte, der früher nur erhofft werden konnte, das ist natürlich das Mysterium von Golgatha selbst. Aber dann kommen die einzelnen Tatsachen, die geschehen müssen, damit die christliche Entwickelung von dem Mysterium von Golgatha an durch die Zeiten und Ewigkeiten weiter fort läuft. Ein solches Geschehnis ist ja die Offenbarung, welche durch die Apokalypse geschieht. Der Verfasser der Apokalypse ist sich dessen auch völlig bewußt, daß er damit nicht nur das, was er erfahren hat, hineinstellt in die Gegenwartsentwickelung und es den anderen mitteilt, sondern daß das, was im Empfangen und Weiterverbreiten der Apokalypse liegt, eine Tatsache ist.

Sehen Sie, das ist ja gerade das Wichtige bei der Unterscheidung des Christentums von anderen religiösen Bekenntnissen, daß man es in alten Religionsbekenntnissen zu tun hat mit Lehren, während in der christlichen Entwickelung die Tat von Golgatha das Wesentliche ist und weitere Taten zu diesem Wesentlichen hinzukommen müssen. Daher ist es nicht von allererster, fundamentaler Bedeutung, daß der Mensch die Evangelien ausgelegt bekommt, sondern das Wesentliche ist, daß ein realer Zusammenhang mit dem Mysterium von Golgatha durch das Christentum gesucht wird. Unter dem Einfluß des Intellektualismus hat das Christentum ja in neuerer Zeit selbst intellektualistische Formen angenommen. Und so, kann man sagen, konnte selbst so etwas entstehen wie der berühmte Ausspruch: Jesus gehört nicht in die Evangelien. - Das hieße etwa, man könne den Inhalt der Evangelien als Lehren hinnehmen, aber den dahinterstehenden Lehrer hätte man nicht zu berücksichtigen, der käme nicht in Betracht. Allein der Vater, so heißt es, gehöre in die Evangelien. - Es ist das so, als ob es beim Mysterium von Golgatha im wesentlichen nur darauf ankäme, daß der Christus Jesus erschienen wäre und eine Lehre vom Vater gegeben hätte. Das ist aber nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, daß die Tat auf Golgatha verrichtet worden ist, daß der Christus Jesus auf der Erde gelebt hat und die Tat auf Golgatha verrichtet hat. Und die Lehre ist eben nur das Akzessorische, das Akzidentelle. Dazu muß sich das Christentum wieder durchringen, dies anzuerkennen, aber auch es durchzuführen.

Und so ist sich der Apokalyptiker bewußt, indem er die Offenbarung empfängt, daß diese Tatsache geschehen ist und daß diese Tatsache durch ihn weiterwirkt. Das ist es, worauf es ihm ankommt. - Was geschieht denn dadurch fortlaufend? Nicht wahr, formal betrachtet lebt der Mensch, namentlich wenn wir seinen heutigen Zustand betrachten, so, daß er während des Tages seine vier «Kleider», den physischen Leib, den ätherischen Leib, den astralischen Leib und das Ich, mit einer gewissen Normalität verbunden trägt. Wenn er im Schlafzustand ist, sind der astralische Leib und das Ich außerhalb des physischen und ätherischen Leibes, sie sind in dem Geistgebiet der irdischen Umgebung, das hinter den sinnlich-physischen Erscheinungen ist. Sie sind ja zunächst beim Menschen heute nicht auf Wahrnehmbarkeit eingerichtet, das sind sie erst durch die Initiation. Der Mensch lebt ein dumpfes Dasein im Schlafe, von dem er nur ein allgemeines Gefühl hat beim Erwachen, oder er schaut Träume, die auf die oft beschriebene Weise aus dem Schlaf auftauchen. Wir haben auf der einen Seite in der geistigen Welt darinnen den astralischen Leib und das Ich des Menschen, und die stehen eigentlich so in jener Welt drinnen, daß sie zunächst keine Impressionen, keine unmittelbaren Impressionen von Christus und seiner Wesenheit erhalten können. Wenn wir uns also nichts anderes denken als das, was ich jetzt erwähnt habe, würden das Ich und der astralische Leib jede Nacht in die geistige Welt hineingehen und würden da keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Christus haben; sie würden am Morgen wieder in dieses Irdisch-Physische zurückkommen und sie würden - da nun das Mysterium von Golgatha im Laufe der Erdenevolution vor sich gegangen ist - sogleich einen Eindruck von dem Christus haben, denn der Christus ist da in der Erdenaura. Aber dieser Eindruck würde dumpf bleiben. Geradeso wie sonst die nächtlichen Eindrücke für den Tag dumpf bleiben, so würde dieser Eindruck, daß demjenigen, was da als physischer und ätherischer Leib im Schlafe liegt, der Christus innewohnt, nur so wahrgenommen werden können, wie eben der Schlafzustand vom Erwachenden wahrgenommen wird, und es würde kein deutliches, klares Erlebnis des Christus dasein können.

Wir stellen uns vor, daß unmittelbar, nachdem das Mysterium von Golgatha auf der Erde vollendet war, Menschen da waren, welche die Sache noch miterlebt hatten, und welche aus den unmittelbaren Eindrücken, die sie miterlebt hatten', wiederum auf andere die unmittelbaren Wahrnehmungseindrücke von dem Mysterium von Golgatha übertragen konnten. Christus hat ja auch seine Jünger in esoterische Schulung genommen nach seiner Auferstehung, er gab ihnen manche bedeutsame Lehren. Das alles pflanzte sich zunächst in den ersten Jahrzehnten fort, nachdem das Mysterium von Golgatha vollendet war. Das hätte einmal ein Ende nehmen müssen. Und wir sehen ja auch, wie es in gewissen Kreisen allmählich versiegt. Man kann schon sagen, es gab in den als gnostisch verschrieenen Schriften und sonstigen älteren Ausführungen der alten Kirchenlehrer, die noch Schüler der Apostel waren oder Schüler der Apostelschüler, gewaltige esoterische Lehren über das Christentum, die von der Kirche dann ausgerottet worden sind, weil die Kirche dasjenige weghaben wollte, was immer mit diesen Lehren verbunden war: das Kosmische. Es sind ja ungeheuer bedeutsame Dinge von der Kirche vernichtet worden. Sie sind vernichtet worden, aber das Lesen in der AkashaChronik wird sie wiederherstellen bis zum letzten I-Tüpfelchen, wenn es an der Zeit ist, sie wiederherzustellen.

Es wäre dennoch für die äußere historische Entwickelung dasjenige versiegt, was an großen Impressionen da war, aber in dem Augenblick, wo das Versiegen drohte, war eben auch die Apokalypse da. Und wenn die Apokalypse richtig aufgenommen wird - eine Probe wurde ja gerade, ich möchte sagen, im zweiten Stadium der Zeit nach dem Mysterium von Golgatha schon von verschiedenen Menschen geliefert -, wenn die Apokalypse, dieses grandiose Bild, dieses weissagende Bild der Evolution richtig aufgenommen wird, das heißt, wenn es in den astralischen Leib und namentlich in die Ich-Organisation aufgenommen wird, dann tragen Ich und astralischer Leib im schlafenden Zustande eine solche Offenbarung - die ja, wie ich Ihnen gleich in der ersten Stunde gesagt habe, unmittelbar von der geistigen Welt selber kommt, die eigentlich eine Art Brief ist, eine unmittelbare verbale Offenbarung aus der geistigen Welt, mit Visionen verknüpft -, dann tragen Ich und astralischer Leib im schlafenden Zustande eine solche Offenbarung hinaus in die Welt der Erdenaura. Und das, meine lieben Freunde, das bedeutet, daß allmählich von allen denjenigen, die die Apokalypse mit innerem Verständnis aufgenommen hatten, der Inhalt eingegraben wurde in den Äther der Erdenaura. So daß man sagen kann: den Grundton innerhalb der Erdenaura gibt die Anwesenheit des Christus, der weiterwirkt in der Erdenaura.

Dieser Christus-Impuls influenziert jede Nacht, wenn der astralische Leib und das Ich aus dem physischen und dem Ätherleib draußen sind, zunächst in tiefer Weise den Ätherleib des Menschen. Nur ist der Mensch zumeist nicht imstande, wenn er am Morgen mit seinem Ich und seinem astralischen Leib in den physischen Leib zurückkehrt, dasjenige wiederzufinden, was da an Christus-Impuls im ätherischen Leib enthalten ist.

Indem nun im weiteren von den Johannes-Schülern der Inhalt der Apokalypse aufgenommen wird, gräbt sich der Sinn der Worte in den Äther der Erdenaura ein. Und dann wirkt vom Einschlafen bis zum Aufwachen auf den menschlichen Ätherleib dasjenige, was da in der Erdenaura eingegraben ist, was eingegraben wurde schon durch die großen bedeutsamen Impressionen, die der Verfasser, oder besser gesagt, der Empfänger der Apokalypse selbst erhalten hat von den göttlich-geistigen Wesenheiten. Das bedeutet, daß diejenigen Menschen, die eine Hinneigung haben zum Mysterium von Golgatha, in ihren Schlafzuständen ihren Ätherleib dem Inhalte der Apokalypse aussetzen können. Es ist das eine reale Sache. Man kann durch die richtige Christus-Gesinnung sich einen solchen Schlafzustand herbeiführen, daß das von dem Inhalt der Apokalypse im Erdenäther Bewirkte, durch das Eintreten des Christus in der Erdenevolution Liegende, sozusagen in den menschlichen Ätherleib eingegraben wird. Das ist der reale Vorgang. Das ist als die fortwährende Tat der Apokalypse da.

Man kann im priesterlichen Wirken zu demjenigen, der einem in der Seelsorge anvertraut ist, ruhig sagen: Durch das Mysterium von Golgatha ist der Christus in die Erdenevolution eingetreten. Er hat zunächst zur Vorbereitung der Menschen das bewirkt, was in den Evangelien gegeben ist, damit die Menschen in ihren astralischen Leib und in ihr Ich - man muß das umkleiden in die entsprechende Terminologie, die man brauchen kann für die Bekenner -, damit die Menschen in ihren astralischen Leib und in ihr Ich den Inhalt der Evangelien aufnehmen können, und dadurch präpariert werden, den Christus-Impuls beim Aufwachen in ihrem Ätherleib zu empfangen. - Indem aber der Apokalyptiker in das sich entwickelnde Christentum hineingestellt ist, wird es ihm möglich, dasjenige, was er in konkreter Weise schildert, was in der Evolution des Christentums durch die verschiedenen Epochen hindurch bis in die Zukunftszeiten hinein ist, dem Ätherleib des Menschen einzuverleiben.

Sehen Sie, damit haben wir etwas in der Erdenevolution, was gegenüber den alten Mysterienlehren ein wesentlich Neues ist. Denn was haben die alten Mysterien eigentlich dem Initiaten vermittelt? Sie haben ihm dasjenige vermittelt, in das man hineinschauen kann, wenn man das sozusagen von Ewigkeit her in der Welt Veranlagte in seiner geistigen Wesenheit überblickt, wenn man innerhalb des äußeren physischen Wirkens findet die von Ewigkeit her in ihren Bahnen wirkende göttliche Wesenheit. Der Initiierte der alten Mysterien hat gar nicht Anspruch darauf erhoben, etwas anderes in seinen Ätherleib hereinzubekommen als das, was man eben durch die Ergebnisse der Initiation bekommt.

Der christliche Initiierte bleibt dabei nicht stehen. Er will das, was erst im Lauf der Zeiten in die Erdenentwickelung eingetreten ist, alles, was mit dem Mysterium von Golgatha und mit Christus zusammenhängt, in seinen Ätherleib aufnehmen. So daß in der Tat für die Christenheit eine beginnende Initiation in der Offenbarung der Apokalypse liegt. Diese Offenbarung ist eine Art von beginnender Initiation, nicht des einzelnen, aber eine beginnende Initiation für die ganze Christenheit; und der einzelne kann sich vorbereiten, so daß er daran teilnehmen kann.

Damit aber, so kann man sagen, ist der Weg erst eröffnet, um über das Natur-Vaterprinzip hinauszukommen. Im Grunde genommen ist alle alte Initiation der Form nach eine Vater-Initiation. Man suchte die Natur und den Geist in der Natur und konnte damit zufrieden sein. Denn der Mensch stand selbst in dieser Welt der Natur darinnen. Nun ist der Christus dagewesen in der Erde. Nun bleibt er da. Er hat seine Tat auf Golgatha verrichtet und bleibt nun da. Das, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, kann man nicht durch die bloße alte Initiation in sich aufnehmen, sondern da muß man sich erheben in eine Welt des Geistes, die nicht dieselbe ist, die durch die alten Mysterien strömte. Was durch die alten Mysterien strömte, erhoffte bloß, daß das Mysterium von Golgatha auch einmal durch die neuen Mysterien strömen sollte. Jetzt aber setzt sich der Mensch nicht mehr durch die Natur, sondern unmittelbar durch den Christus mit dem Geist in Verbindung. Der alte Initiat wählte immer den Umweg durch die Natur. Der neue Initiat - das war ja nicht im allerersten Jahrhundert, aber besonders in den späteren Jahrhunderten nach dem Mysterium von Golgatha die Ansicht vieler halb oder teilweise Initiierter -, der neue Initiat setzt sich in Verbindung mit dem Geistwesen der Welt durch das, was durch Christus in die Welt eingeflossen ist und durch das, was auf Christus aufbaut. So betrachtete ein solcher Initiat damals die Apokalypse. Er betrachtete sie als etwas, von dem er so sprach: Die Natur ist der eine Weg, um in die geistige Welt hineinzukommen; das, was durch die Apokalypse an grandiosem Wissen geoffenbart ist, ist der andere Weg, um in die geistige Welt hineinzukommen. Es ist das Bestürzend-Beglückende, wenn man in der geistigen Forschung immer wieder auf Menschen trifft - wie gesagt, nicht im allerersten christlichen Jahrhundert, aber in den etwas späteren, im 2. bis 6. Jahrhundert -, wenn man da auf Menschen trifft, die etwa sagen: Die Natur ist groß - sie meinten das, was man eben im Altertum von der Natur erkannte -, aber das, was durch den oder die Apokalyptiker aus dem Übersinnlichen geoffenbart ist, ist ebenso groß oder größer; denn die Natur führt zum Vater, aber das, was durch die Apokalyptiker eröffnet wird, führt durch den Sohn zum Geist. - Einen Weg zu dem reinen, unmittelbaren Geistigen suchte man damals durch die Apokalypse.

Damit aber war zu gleicher Zeit hingedeutet auf die wirkliche Veränderung, die im Lauf der Menschheitsentwickelung eintreten muß und wird, wenn die Menschen sich dazu würdig machen. Man hatte es stark empfunden in alten Zeiten, daß der Mensch ja aus der geistigen Welt stammt, daß er aber eine Entwickelung hat, die ihn mit demjenigen stark verbindet, das in der physisch-sinnlichen Welt ihm entgegenkommt. Man hat stark diese Verbindung mit der physisch-sinnlichen Welt gefühlt und war der Ansicht, daß der Mensch gerade dadurch ein sündiges, ein sündenhaftes Wesen geworden ist, daß er sich mit der Materie der Erde verbindet.

Nun, demgegenüber sollte eine andere Zeit vorbereitet werden, und sie wird vom Apokalyptiker vorausgesehen und vorausverkündet. Das Bild, die rechte Imagination dafür, suchte er, um dasjenige, was hinter diesem Geheimnis steckt, in imaginativen Bildern vor die Seelen hinzustellen. Und so erneuert er, faßt er zusammen eine Vorstellung, die in der hebräischen Geheimlehre gang und gäbe war. In der hebräischen Geheimlehre zeigt man das folgende: Die Seelen kommen aus der geistigen Welt. Diese Seelen, die aus der geistigen Welt kommen, umkleiden sich mit dem, was von der Erde kommt; und wenn die Seelen sich äußerlich, für die alleräußerlichsten Verrichtungen des Geistes Häuser bauen, so entstehen Städte. Wenn sie aber die inneren Verrichtungen der menschlichen Seele umhüllen, so entsteht eben der menschliche Leib aus den Bausteinen der Erde. Es floß der Begriff des äußeren Wohnstättenbauens mit dem Begriff des eigenen Leibbauens zusammen. Und das war ja ein schönes, ein wunderbar schönes Bild, weil es sachlich begründet ist, daß man ein Haus als dasjenige ansah, in dem sozusagen das Verbreiten und Fortsetzen der Taten und Seelenvorgänge, Seelenfunktionen, seine Umhüllung findet, und daß man in dem äußeren Haus sozusagen die Hülle dafür sah. Man hatte diese wunderschöne Vorstellung: Wenn ich für mein äußeres Tun ein Haus aus Erdenmaterie auferbaue, so ist die Hausmauer, das ganze Haus, eine Hülle für das, was ich tue. Das ist nur eine erweiterte, ich möchte sagen, eine verhärtete, skierotisierte Fortsetzung dessen, was der Mensch sich als erstes Haus gebaut hat, denn als erstes Haus baut sich der Mensch ein Haus für die inneren Verrichtungen der Seele, und das ist sein Körper. Und wenn er nun seinen Körper als Haus hat, so baut er sich ein zweites Haus, das nun eben aus den Ingredienzien der Erde gebaut wird. Es war eine ganz gang und gäbe Vorstellung, daß man den Körper wirklich als Haus ansah und dieses Haus sozusagen als die Hülle, die der Mensch sich anzieht hier in der physischen Erdenwelt. Daher sah man das, was aus dem Seelenbildenden hervorgeht, an als ein Häuserbauen der Menschen.

Tafel 7

Es war ja in älteren Zeiten der Mensch wirklich auch äußerlich stark zusammengewachsen mit dem, was sein Haus war und dergleichen. Wir wollen es zeichnen: Hier (Tafel 7, rechts unten) hat er seinen Körper mit der Haut. Und würde er jetzt im Verlauf seines Lebens noch eine andere Haut kriegen für die äußerliche Wirksamkeit der Seele, so wäre das wie ein Zelt, nur wächst das Zelt nicht von selber, sondern der Mensch macht es sich.

Nun hat man gerade in der hebräischen Geheimlehre dieses Zusammenfließen im Beherrschen des Irdischen und im Aufnehmen der irdischen Ingredienzien zur menschlichen Entwickelung auf eine ganz bestimmte Art angesehen. Sehen Sie, in bezug auf das Physische wird man zugeben: Die Erde ist so eingerichtet, daß sie einen Nordpol hat, daß sich dort gewissermaßen die Kälte sammelt; und man kann äußerlich physisch-geographisch aus der Natur der Erde diesen Nordpol beschreiben und ihn als etwas Wesentliches der Erde ansehen. Die hebräische Geheimlehre hat das auch mit dem gemacht, was an seelischer Tätigkeit in den Kräften der Erde steckt, und sah nun - wie im Sinne eines geographischen Nordpols - den Pol auf der Erde, wo alles zusammenfließt an Kultur, wo also die Versammlung der vollkommensten Häuser ist, und das sah sie in Jerusalem, in der ganz konkreten Stadt Jerusalem. Das war der Pol für die Konzentrierung der äußeren Kultur um die Menschenseele herum, und die Krönung dieser Stadt war der Salomonische Tempel.

Nun fühlte man, daß dies in der Evolution der Erde erschöpft ist. Diejenigen, die etwas von der hebräischen Geheimlehre verstanden, die sahen in dem, was auf das Mysterium von Golgatha folgte, in der Zerstörung Jerusalems, nicht ein äußeres Ereignis, das durch die Römer bewirkt wurde. Die Römer waren nur die Handlanger der geistigen Machte, die das ausführten, was ganz im Plan der geistigen Mächte war. Denn, so stellten sie es sich vor: Diese alte Art, von der Erde aus die Ingredienzien zu suchen, um den Menschenleib als Haus zu erbauen, ist erschöpft. Indem Jerusalem zu seiner Größe gekommen ist, ist alles das erschöpft, was von der Erde aus an Substanz, an Materialität verwendet werden konnte, um den Menschenleib als Haus zu erbauen.

In das Christliche umgesetzt, bedeutet diese hebräische Geheimlehre: Wäre das Mysterium von Golgatha nicht geschehen, so wäre dennoch die Zerstörung Jerusalems gekommen. Aber es wäre nicht hineingelegt worden in diesen Untergang des mit Hilfe der Erde schaffenden Menschenwesens dasjenige, was Neugestaltung werden kann. Gewissermaßen der Keim zu einer völligen Neugestaltung ist in das Jerusalem hineingelegt, das zum Untergang bestimmt war. Die Mutter Erde erstirbt in Jerusalem. Die Tochter Erde lebt in der Erwartung eines anderen Keimes. Da werden dann nicht mehr durch Heranziehen der Ingredienzien aus der Erde die Leiber gebaut und die Häuser des alten Jerusalem, das dastand als die Krönung desjenigen, was auf der Erde vor sich geht, sondern die Erde erhebt sich als ein geistiger Pol des alten Jerusalem. Nicht mehr wird man imstande sein, aus den Ingredienzien der Erde heraus so etwas zustande zu bringen wie das alte Jerusalem. Dafür tritt aber die andere Zeit ein, die im Keime veranlagt wurde durch das Mysterium von Golgatha. Die Menschen bekommen nun von oben herunter das, was ihr Inneres umhüllt (Tafel 7), mehr von außen. Die neue Stadt senkt sich von Tafel 7 oben herunter und gießt sich über die Erde aus: das neue Jerusalem. Das alte Jerusalem war aus der Erde und ihren Stoffen, das neue Jerusalem ist aus dem Himmel und seinen geistigen Ingredienzien.

Sie werden eine solche Vorstellung zunächst merkwürdig finden gegenüber alle dem, was in unserer Zeit gedacht wird und was Sie eben lernen konnten aus dem, was in unserer Zeit gedacht wird. Wie stellt man sich denn in unserer Zeit anatomisch-physiologisch den Menschen in seiner Entwickelung vor? Er ißt, er bekommt Stoffe der Nahrung in seinen Magen, er verdaut sie, wirft gewisse Stoffe ab und ersetzt das, was ersetzt werden muß, durch die Stoffe, die er aufnimmt.

So ist es aber nicht, sondern der Mensch ist ein dreigliedriges Wesen, er ist Nerven-Sinnes-Mensch, er ist rhythmischer Mensch und er ist Stoffwechsel-Gliedmaßen-Mensch. In den eigentlichen Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen geht substantiell gar nichts von dem hinein, was in den Nahrungsmitteln liegt, sondern das nimmt alles der Nerven-Sinnes-Mensch auf. Der Nerven-SinnesMensch nimmt das auf, was gebraucht wird an Salzen und an solchen Stoffen, die immer fein verteilt sind in Luft und Licht, und leitet es in den Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen. Der Stoffwechsel-Gliedmaßen-Mensch wird ganz von oben herunter genährt. Es ist gar nicht wahr, daß er aus den physischen Nahrungsmitteln seine Substanzen erhält. Wenn Substantielles von der Erde in den Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen kommt, so ist schon die Krankheit da. Alles, was durch die Nahrung aufgenommen und was verdaut wird, alles das versorgt nur die Organe des Nerven-Sinnes-Menschen. Gerade der Kopf ist dasjenige, was substantiell von der Erde aus gebildet wird. Die Organe des Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen hingegen sind vom Himmel aus gebildet. Das, was im rhythmischen Menschen ist, hat eine nach beiden Seiten hin gehende ausgleichende Bedeutung. Der Mensch ißt nicht den Sauerstoff der Luft, sondern er atmet ihn ein. Es ist eine gröbere Art, wie der Mensch durch sein Nerven-SinnesSystem Substantielles aufnimmt, als für den Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen. Eine ungeheuer verfeinerte Atmung ist es, wodurch der Mensch das aufnimmt, was er für den StoffwechselGliedmaßen-Menschen braucht. Die Atmung ist demgegenüber etwas Gröberes. Und was der Mensch mit dem Sauerstoff macht — Kohlensäure erzeugen -, das ist wiederum etwas Feineres gegenüber dem, was geschieht, damit die Nahrungsmittel, die durch den Magen gehen, den Kopf versorgen können. Der Übergang ist im rhythmischen Menschen.

Das ist die Wahrheit über den Bau des menschlichen Organismus und seine Prozesse. Was heute gelehrt wird in Anatomie und Physiologie, ist vor dem Antlitz der Wahrheit nur ein Unsinn, herbeigeführt durch die materialistische Anschauung. In dem Augenblick, wo man so etwas weiß, weiß man, daß nicht nur das, was den menschlichen Körper aufbaut, von unten herauf kommt, vom Pflanzen-, Mineral- und Tierreich der Erde, sondern daß das, was gerade seine oftmals als die gröbsten angesehenen Organe ernährt, das von oben Kommende ist. Da wird man sich vor allem klar vorstellen können, daß eine Art Überschuß in der Ernährung von unten da war bis zu der Zeit, wo Jerusalem zugrunde ging. Dann beginnt wirklich mit dem Mysterium von Golgatha allmählich das wichtig zu werden, was von oben kommt.

Wenn auch die Menschen in der genannten Art diese Tatsachen verkehrt haben, heute wird zunächst die Entwicklung so vollzogen, daß in vieler Beziehung an die Stelle der alten Ernährung von unten die Ernährung von oben die Hauptsache bildet. Damit wird auch der Mensch umgebildet. Unser Kopf gleicht nicht mehr den Köpfen der Alten. Die Köpfe der Alten waren vielmehr so gebildet, daß sie eine etwas weiter zurückgehende Stirne hatten (Tafel 7). Die heutige Stirn des Menschen ist hervortretend, das Tafel 7 äußere Gehirn ist wichtiger geworden. Das ist schon die Umgestaltung, denn gerade das, was da wichtiger wird im Gehirn, ist den Verdauungsorganen ähnlicher als das, was darunter liegt. Das peripherische Gehirn wird den Verdauungsorganen des Menschen ähnlicher als die feinen Gewebe des mittleren Gehirns, das heißt, die Fortsetzung der Sinnesnerven weiter gegen den Mittelpunkt des Kopfes hin. Denn gerade das, was Organ des Stoffwechsels ist, wird von oben ernährt.

Diese Dinge kann man bis ins einzelnste wirklich einsehen, wenn man den Willen hat, gegenüber gewissen Dingen so zu reden, wie der Apokalyptiker sagt: Hier ist Weisheit. - Nur ist in unserer gewöhnlichen Erkenntnis, die heute unter den Menschen lebt und webt, nicht Weisheit, sondern Finsternis. Das, was man heute Ergebnisse der Wissenschaft nennt, ist durchaus Ergebnis des Kaliyuga, der äußersten Verfinsterung der menschlichen Mentalität. Man sollte das als ein Geheimnis betrachten und es nicht auf die Straße tragen, denn das Esoterische besteht darin, daß es eben in einem gewissen Kreis bleibt.

Sehen Sie, das hat schon begonnen seit dem Mysterium von Golgatha, dieses Heranwachsen des neuen Jerusalem. Der Mensch wird, wenn seine Erdenzeit völlig erfüllt ist, dazu gekommen sein, daß er nicht nur durch seine Sinne in seinen eigenen Leib die Himmelssubstanz hineinarbeitet, sondern daß er diese Himmelssubstanz durch das, was man geistiges Wissen und Kunst nennt, auch ausdehnt auf das, was dann die äußere Stadt sein wird, auf die Fortsetzung des Leibes in dem Sinne, wie ich das auseinandergesetzt habe. Das alte Jerusalem war von unten nach oben gebaut, das neue Jerusalem wird von oben nach unten ganz wirklich gebaut sein. Das ist die gewaltige Perspektive, die aus einer Vision, aus einer überkolossalen Vision des Apokalyptikers aufgegangen ist. Ihm geht dieses Gewaltige auf: Da steigt alles, was die Menschen bauen konnten, aus dem Erdboden auf nach oben, und das konzentrierte sich in dem alten Jerusalem. Das hat nun ein Ende. Er sah dieses Aufsteigen und dieses Abschmelzen in dem alten Jerusalem und er sah die Menschenstadt des neuen Jerusalem herabkommen von oben, von den geistigen Welten.

Das ist der Zielpunkt, die letzte Tendenz der Offenbarung der Apokalypse. Sie enthält wirkliche christliche Menschheitswege und christliche Menschheitsziele. Wenn wir uns bemühen, sie zu verstehen, so kommen wir bei der Apokalypse auf eine gewisse Eigentümlichkeit, die so manche Menschen ahnen, aber nicht ganz durchschauen können. Wer sich ernstlich bemüht, die Apokalypse zu verstehen, kann gar nicht anders als daß er sich sagt: Ja, wie mache ich das, wie komme ich hinein in eine solche Vorstellung wie die vom alten und neuen Jerusalem? Was tue ich, um hineinzukommen? Ich kann doch nicht weiter bloß herumreden mit diesen Bildern, die zunächst keinen Inhalt für mich haben, ich muß doch in den Inhalt hineinkommen. - Um in den Inhalt hineinzukommen, braucht man eine Kosmologie und eine Anschauung vom Menschen, wie sie nur durch eine neue Weltanschauung wie die Anthroposophie gegeben werden kann, durch ein wirkliches Anschauen der geistigen Welt. Man kommt durch die Apokalypse zur Anthroposophie, weil man das Mittel der Anthroposophie braucht, um die Apokalypse zu verstehen, weil man merkt: Johannes hat die Apokalypse bekommen aus den Regionen, wo die Anthroposophie war, bevor sie zu den Menschen gekommen ist.

Wenn man die Apokalypse ehrlich und ernst verstehen will, so muß man sie anthroposophisch verstehen. Bei so etwas wie dem Endziel, dem neuen Jerusalem, merken Sie es am allerstärksten. Sie müssen nur die Geheimnisse von dem Aufbau des Menschen von oben und von unten nicht bloß wie eine äußere Wissenschaft kennen, dann können Sie diese Vorstellungen erweitern zu der gesamten Tätigkeit, die die Menschen auf der Erde verrichten, die auch von unten nach oben gerichtet ist und sich verwandelt in eine von oben nach unten gehende. Der Bau des alten Jerusalem wird sich verwandeln in den Geistbau des neuen Jerusalem, der von oben nach unten gebaut sein wird. Und die Menschen sollen hineinwachsen in das, was geistig gebaut wird, sie sollen nicht bloß in einem symbolisch-theoretisch-bildhaften Sinn die Apokalypse sehen, wie die Bibelexegeten es tun, sondern so, daß der Geist uns so real sein wird, wie eben durch Jahrtausende das materielle Physische real da war.*

Das ist das, was festgehalten werden muß: Die Apokalypse enthält nicht Bilder, sondern Hinweise auf ganz konkrete Tatsachen, auf das, was geschehen wird, und nicht bloß das, was das Geschehen in Bildern andeuten will. Das ist das Wichtige. So haben wir uns hineinzufühlen, hineinzufinden in die Apokalypse. Davon dann morgen.

* Siehe Hinweis.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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