1 [Alle Stellen aus von Goethe verfaßten Briefen sind zitiert
nach der sog. Weimarer Ausgabe (= WA) oder Sophien-Ausgabe von
Goethes Werken, Abteilung IV: Briefe, 50 Bde., Weimar
1887-1912; die beiden Ziffern beziehen sich auf Band und Seitenzahl
dieser Abteilung. - Hinzufügungen des Herausgebers sind in eckige
Klammern gesetzt.]
2 Wer ein solches Ziel von vornherein für unerreichbar erklärt, der
wird zum Verständnis Goethescher Naturanschauungen nie kommen; wer
dagegen vorurteilslos, diese Frage offenlassend, an das Studium
derselben geht, der wird sie nach Beendigung desselben gewiß
bejahend beantworten. Es könnten wohl manchem durch einige Bemerkungen
Goethes selbst Bedenken aufsteigen, wie z. B. folgende ist: Wir
hätten.. ohne Anmaßung, die ersten Triebfedern der
Naturwirkungen entdecken zu wollen, auf Äußerung der Kräfte,
durch welche die Pflanze ein und dasselbe Organ nach und nach
umbildet, unsere Aufmerksamkeit gerichtet.» Allein solche Aussprüche
richten sich bei Goethe nie gegen die prinzipielle Möglichkeit, die
Wesenheit der Dinge zu erkennen, sondern er ist nur vorsichtig genug
über die physikalisch-mechanischen Bedingungen, welche dem Organismus
zugrunde liegen, nicht vorschnell abzuurteilen, da er wohl
wußte, daß solche Fragen nur im Laufe der Zeit gelöst
werden können.
3 Damit wollen wir keineswegs sagen, Goethe sei in dieser Hinsicht
überhaupt nie verstanden worden. Im Gegenteil: Wir nehmen in dieser
Ausgabe selbst wiederholt Anlaß, auf eine Reihe von Männern
hinzuweisen, die uns als Fortsetzer und Ausarbeiter Goethescher Ideen
erscheinen. Namen wie Voigt, Nees von Esenbeck, d'Alton (der ältere
und der jüngere), Schelver, C. G. Carus, Martius u. a. gehören in
diese Reihe. Aber diese bauten eben auf der Grundlage der in den
Goetheschen Schriften niedergelegten Anschauungen ihre Systeme auf,
und man kann gerade von ihnen nicht sagen, daß sie auch ohne
Goethe zu ihren Begriffen gelangt wären, wogegen aller - dings
Zeitgenossen des letzteren - z. B. Josephi von Göttingen -selbständig
auf den Zwischenknochen, oder Oken auf die Wirbeltheorie gekommen
sind.
4 [Im folgenden mit Natw. Schr. abgekürzt.]
5 Siehe «Dichtung und Wahrheit«, II. Teil, 6. Buch.
6 «Dichtung und Wahrheit«, II. Teil, 8. Buch.
7 «Dichtung und Wahrheit», III. Teil, 11. Buch.
8 [Natw. Schr., 2. Bd., S. 5 ff.; bezüglich dieses Aufsatzes vgl. man
auch die Ausführungen Rudolf Steiners in «Grundlinien einer
Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung», Gesamtausgabe
Dornach 1960, S. 138 (Anm. zu S. 28) und «Methodische Grundlagen der
Anthroposophie 1884-1901«, Gesamtausgabe Dornach 1961, S. 320ff.]
9 Siehe über die Autorschaft dieses Aufsatzes Anmerkung 1 am Schlusse
dieser Schrift. [Rudolf Steiner hatte die Absicht, für die
Sonderausgabe sämtlicher Einleitungen zu Goethes
Naturwissenschaftlichen Schriften», 1.-5. Aufl., Dornach 1926, an
dieser und weiteren 35 bereits von ihm bezeichneten Stellen - diese
Stellen tragen im vorliegenden Text sämtlich einen - Anmerkungen zu
schreiben. Er konnte diese Absicht nicht mehr verwirklichen.]
10 Vgl. Natw. Schr., 1. Bd. [S. 68].
11 «Gerne schickte ich dir eine kleine botanische Lektion, wenn sie
nur schon geschrieben wäre.» [Brief an Knebel vom] 2. April 1785. [WA
7, 36]
12 [«Deutsche Rundschau» (Berlin etc.) Bd. XXVIII (Juli-Sept.) 1881,
S. 34 f.]
13 [Karl von Linné, «philosophia botanica«, Stockholm 1751.]
14 Italienische Reise, 8. Okt. 1786.
15 Italienische Reise, 8. Sept. 1786.
16 Unnötig wohl ist es zu sagen, daß die moderne
Deszendenatheorje damit durchaus nicht bezweifelt werden soll, oder
daß ihre Behauptungen damit eingeschränkt werden sollen; im
Gegenteil, es wird ihnen erst eine sichere Basis geschaffen.
18 Wir haben hier weniger die Entwicklungslehre derjenigen
Naturforscher, die auf dem Boden der sinnenfälligen Empirie stehen,
vor Augen, als vielmehr die theoretischen Grundlagen, die Prinzipien,
die dem Darwinismus zugrunde gelegt werden. Vor allem natürlich die
Jenaische Schule mit Haeckel an der Spitze; in diesem Geiste ersten
Ranges hat wohl die Darwinsche Lehre mit aller ihrer Einseitigkeit
ihre konsequente Ausgestaltung gefunden.
21 In welchem Sinne diese Einzelheiten zum Ganzen stehen, werden
wir an verschiedenen Stellen Gelegenheit haben auszuführen. Wollten
wir einen Begriff der heutigen Wissenschaft für ein solches
Zusammenwirken von belebten Teilwesen zu einem Ganzen entlehnen, so
wäre es etwa der eines Stockes» in der Zoologie. Es ist dies eine Art
Staat von Lebewesen, ein Individuum, das wieder aus selbständigen
Individuen besteht, ein Individuum höherer Art.
23 [Italienische Reise / Störende Naturbetrachtungen; vgl. auch den
Brief Goethes an Knebel vom 18. Aug. 1787 (WA 8, 251).]
24 [Italienische Reise, 28. Sept. 1787.]
25 Vgl. Natw. Schr., 2. Bd., S. 68ff.
26 [Brief an J. K. Lavater, etwa 20.März 1776; WA 3, 42.]
27 Vgl. Natw. Schr., 2. Bd., S. 69 [Eingang].
29 Siehe Natw. Schr., 1. Bd., S. 247.
30 Siehe Natw. Schr., 2. Bd. [S. 68 f.].
32 Lavaters Fragmente II, 143.
33 Siehe Natw. Schr., 2. Bd. [S. 69].
35 «Ein beschwerlicher Liebesdienst, den ich übernommen habe, führt
mich meiner Liebhaberei näher. Loder erklärt mir alle Beine und
Muskeln, und ich werde in wenig Tagen vieles fassen.» [WA 5, 207]
36 «Mir hat er (Loder) in diesen acht Tagen, die wir, freilich soviel
als meine Wächterschaft litt, fast ganz dazu anwandten, Osteologie und
Myologie durchdemonstriert.« [WA 5, 211]
37 [Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1.
Teil, 5. Buch, in: Herders Sämtliche Werke, hg. v. B. Suphan; Berlin
1877-1913, 13. Bd., S. 167.]
38 Oken, Lehrbuch der Naturphilosophie. 2. Aufl., Jena 1831,S. 389.
39 Herder, a. a. 0. 1. Teil, 5. Buch, bzw. I. Teil, 2. Buch.
40 Briefe an J. H. Merck, Darmstadt 1835 [S. 354 f.].
41 In: «Natuurkundige verhandelingen over den orang Outang.. .».
Amsterdam 1782, p. 75, § 2.
43 «Es ist mir ein köstliches Vergnügen geworden, ich habe eine
anatomische Entdeckung gemacht, die wichtig und schön ist.» [WA 6,
259]
44 «Ich habe gefunden - weder Gold noch Silber, aber was mir eine
unsägliche Freude macht - das os intermaxillare am Menschen!» [WA 6,
258]
45 Wir führten ihre Worte schon oben [S. 26] in anderem Zusammenhange
an.
47 Briefe an J. H. Merck, S. 438.
49 Man nahm bisher an, daß Camper die Abhandlung anonym erhalten
habe. Sie kam ihm auf einem Umwege zu: Goethe schickte sie erst an
Sömmerring, dieser an Merck und der letztere sollte sie an Camper
gelangen lassen. Nun befindet sich aber unter den Briefen Mercks an
Camper, die noch ungedruckt sind, und die sich im Originale in der
«Bibliothéque de la société néerlandaise pour les progrès de la
médecine» zu Amsterdam befinden, ein Brief vom 17. Januar 1785 mit
folgender Stelle (wir zitieren buchstäblich): «Monsieur de Goethe,
Poète ce'le'bre, conseiller intime du Duc de Weimar, vient de
m'envoier un specimen osteologicum, que dost vous etre envoie apres
que Mr. Sömring l'aura ... C'est un petit traite' sur l'os
intermaxillaire, qui nous apprend entre autres la verite', que le
Triche(chus) a 4 dents incisives et que le Chameau a en deux.» Ein
Brief vom 10. März 1785 zeigt an, daß Merck die Abhandlung
demnächst an Camper schicken wird, wobei wieder der Name Goethe
ausdrücklich vorkommt: «J'aurai l'honneur de vous envoier le specimen
osteolog. de Mr. de Goethe, mon ami, par une voie, qui ne sera pas
conteuse un de ces jours.» Am 28. April 1785 spricht Merck die
Hoffnung aus, daß Camper die Sache erhalten habe, wobei wieder
«Goethe» vorkommt. Es ist somit wohl kein Zweifel, daß Camper
den Verfasser kannte.
50 Briefe an J. H. Merck, S. 466.
53 Goethes Annalen zu 1790.
54 Knebels Literarischer Nachlaß etc., hg. v. Varnhagen v. Ense
u. Th. Mundt, Leipzig 1835, II. Bd., S.236.
55 [Rudolf Wagner, Samuel Thomas von Sömmerrings Leben und Verkehr mit
seinen Zeitgenossen, 1. Abt.:] Briefe berühmter Zeitgenossen an
Sömmerring [Leipzig 1844] S. 293.
56 Ebenda - s. Anm. 55 -S. 22.
57 Natw. Schr., 1. Bd., S.405.
58 Gespräche mit Eckermann, 2. Aug. 1830.
59 Goethes Naturwissenschaftliche Korrespondenz (1812-1832), hg. v.
F. Th. Bratranek, 1. Bd., S. 51.
60 [Froriep, Notizen aus dem Gebiet der Natur- und Heilkunde, Bd.
19, 1828, S.283.]
61 Briefe an J. H. Merck, S. 476.
63 Vgl. Natw. Schr., 1. Bd., S. 344ff., wo einzelnes noch in
Anmerkungen gesagt ist.
64 Einige Philosophen behaupten, daß wir die Erscheinungen der
Sinnenwelt wohl auf ihre ursprünglichen Elemente (Kräfte) zurückführen
können, daß wir aber diese ebensowenig wie das Wesen des Lebens
erklären können. Demgegenüber ist zu bemerken, daß jene Elemente
einfach sind, d. i. sich nicht weiter aus einfacheren Elementen
zusammensetzen lassen. In ihrer Einfachheit sie abzuleiten, zu
erklären, ist aber eine Unmöglichkeit, nicht weil unser
Erkenntnisvermögen begrenzt ist, sondern weil sie auf sich selbst
beruhen; sie sind uns in ihrer Unmittelbarkeit gegenwärtig, sie
sind in sich abgeschlossen, aus nichts weiterem ableitbar.
65 Dies ist eben der Gegensatz des Organismus zur Maschine. Bei der
letzteren ist alles Wechselwirkung der Teile. Es existiert nichts
Wirkliches in der Maschine selbst außer dieser Wechselwirkung.
Das einheitliche Prinzip, welches das Zusammenwirken jener Teile
beherrscht, fehlt im Objekte selbst und liegt außerhalb
desselben in dem Kopfe des Konstrukteurs als Plan. Nur die
äußerste Kurzsichtigkeit kann leugnen, daß gerade darinnen
die Differenz zwischen Organismus und Mechanismus besteht, daß
dasjenige Prinzip, welches das Wechselverhältnis der Teile bewirkt,
beim letzteren nur außerhalb (abstrakt) vorhanden ist, während
es bei ersterem in dem Dinge selbst wirkliches Dasein gewinnt. So
erscheinen dann auch die sinnlich wahrnehmbaren Verhältnisse des
Organismus nicht als bloße Folge auseinander, sondern als
beherrscht von jenem inneren Prinzipe, als Folge eines solchen, das
nicht mehr sinnlich wahrnehmbar ist. In dieser Hinsicht ist es
ebensowenig sinnlich wahrnehmbar, wie jener Plan im Kopfe des
Konstrukteurs, der ja auch nur für den Geist da ist; ja es ist im
wesentlichen jener Plan, nur daß er jetzt eingezogen ist in das
Innere des Wesens und nicht mehr durch Vermittlung eines Dritten -
jenes Konstrukteurs - seine Wirkungen vollzieht, sondern dieses direkt
selbst tut.
66 Kant, Kritik der Urteilskraft; Ausgabe von Kehrbach, S. 294.
68 [Dichtung und Wahrheit, III. Teil, 14. Buch.]
69 Italienische Reise, 5. Okt. 1787.
70 Einiger Attribute Gottes in denselben.
72 Tag- und Jahres-Hefte 1811.
73 Masse, Richtung und Geschwindigkeit einer bewegten elastischen
Kugel.
74 [Italienische Reise, 17. Mai 1787.]
75 Die Frucht entsteht durch Auswachsung des unteren Teiles des
Stempels (Fruchtknotens 1); sie stellt ein späteres Stadium desselben
dar. kann also nur getrennt gezeichnet werden. In der Fruchtbildung
tritt die letzte Ausdehnung ein. Das Pflanzenleben differenziert sich
2n ein abschließendes Organ, eigentliche Frucht, und in den
Samen; in der ersteren sind gleichsam alle Momente der Erscheinung
vereinigt, sie ist bloße Erscheinung, sie entfremdet sich dem
Leben, wird totes Produkt. Im Samen sind alle inneren, wesentlichen
Momente des Pflanzenlebens konzentriert. Aus ihm entsteht eine neue
Pflanze. Er ist fast ganz ideell geworden, die Erscheinung ist bei ihm
auf ein Minimum reduziert.
76 Italienische Reise, 2. Dez. 1786.
77 [«Metamorphose der Tiere»]; vgl. Natw. Schr., 1. Bd., S. 344.
78 [Metamorphose der Tiere, a. a. 0. S.345.]
79 In der modernen Naturlehre versteht man unter Urorganismus
gewöhnlich eine Urzelle (Urzytode), d. h. ein einfaches Wesen, welches
auf der untersten Stufe der organischen Entwicklung steht. Man hat
hier ein ganz bestimmtes, reales, sinnenfällig wirkliches Wesen im
Auge. Wenn man im Goetheschen Sinne von Urorganismus spricht, so ist
nicht dieses ins Auge zu fassen, sondern jene Essenz (Wesenheit),
jenes gestaltende, entelechische Prinzip, welches bewirkt, daß
jene Urzelle ein Organismus ist. Dieses Prinzip kommt im einfachsten
Organismus ebenso wie im vollendetsten zur Erscheinung, nur in
verschiedener Ausbildung. Es ist die Tierheit im Tiere, das, wodurch
ein Wesen ein Organismus ist. Darwin setzt es von Anfang an voraus; es
ist da, wird eingeführt und dann sagt er von ihm, daß es auf die
Einflüsse der Außenwelt in dieser oder jener Weise reagierte. Es
ist bei ihm ein unbestimmtes X, dieses unbestimmte X sucht Goethe zu
erklären.
80 Goethes Naturwissenschaftliche Korrespondenz (1812-1832), hg. v.
F.Th. Bratranek, 1. Bd., S. 28.
81 Ebenda, 2. Bd., S. 19 f.
82 Ebenda, 2. Bd., S. 330 f.
83 Goethe empfand dies sein unbewußtes Handeln oft als
Dumpfheit. Siehe K. J. Schröer, Faust von Goethe, 6. Aufl., Stuttgart
1926, Bd. II,S. XXXIV ff.
84 Natw. Schr., 1. Bd., S. 108 ff.
85 Na-tw. Schr., 1. Bd., S.217ff.
86 Rudolf Steiner, Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen
Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller. Berlin u.
Stuttgart 1886, 6. Aufl. Gesamtausgabe Dornach 1960.
87 [ «Sprüche in Prosa»; Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 535.]
89 [«Sprüche in Prosa», Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 379.]
90 [Einfache Nachahmung der Natur, Manicr, Stil, in: Schriften zur
Kunst 1788-1800.]
91 Diese Trennung ist durch die absondernden ganz ausgezogenen Linien
charakterisiert.
92 Dieselbe ist durch die punktierten Linien versinnlicht.
93 Vgl. Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 593, Anm In meiner Einleitung
S. XXXVIII zum 34. Bande dieser Goethe-Ausgabe sagte ich: Leider
scheint der Aufsatz verlorengegangen zu sein, der den Ansichten
Goethes über Erfahrung, Versuch und wissenschaftliches Erkennen zur
besten Stütze dienen könnte. Er ist aber nicht verlorengegangen,
sondern hat sich in der obigen Form im Goethe-Archiv gefunden. (Vgl.
Weim. Goethe-Ausgabe II. Abt. Band 11, S. 38ff.) Er trägt das Datum
15. Januar 1798 und ist am 17. an Schiller gesandt worden. Er stellt
sich als Fortsetzung des Aufsatzes: Der Versuch als Vermittler von
Subjekt und Objekt> dar. Ich habe den Gedankengang des Aufsatzes
aus dem Goethe-Schillerschen Briefwechsel entnommen und in genannter
Einleitung S. XXXIX f. genau in der Weise angegeben, die sich jetzt
vorgefunden hat. Inhaltlich wird durch den Aufsatz zu meinen
Ausführungen nichts hinzugefügt; wohl aber wird meine aus Goethes
übrigen Arbeiten gewonnene Ansicht über seine Methode und
Erkenntnisweise in allen Punkten bestätigt.»
94 [Schelling, Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie; Jena
u.Leipzig 1799, S. 6.]
95 Sehr lesenswert ist Dr. Adolf Harpis Aufsatz Goethe und
Schopenhauer (Philos. Monatshefte 1885). Harpf, der auch schon eine
treffliche Abhandlung über «Goethes Erkenntnisprinzip» (Philos.
Monatshefte 1884) geschrieben hat, zeigt die Übereinstimmung des
<immanenten Dogmatismus Schopenhauers mit dem gegenständlichen
Wissen Goethes. Den prinzipiellen Unterschied zwischen Goethe und
Schopenhauer, wie wir ihn oben charakterisierten, findet Harpf, der
selbst Schopenhauerianer ist, nicht heraus. Dennoch verdienen die
Ausführungen Harpfs alle Aufmerksamkeit.
96 Damit soll nicht behauptet werden, daß in Hartmanns Ethik der
Begriff der Liebe nicht seine Berücksichtigung finde. H. hat denselben
in phänomenaler und metaphysischer Beziehung behandelt (siehe Das
sittliche Bewußtsein 2. Aufl., S. 223-247, 629-631, 641,
638-641). Nur läßt er die Liebe nicht als das letzte Wort der
Ethik gelten. Die opferwillige, liebevolle Hingabe an den
Weltprozeß scheint ihm kein Letztes zu sein, sondern nur
das Mitte! zur Erlösung von der Unruhe des Daseins und zur
Wiedergewinnung der verlorenen seligen Ruhe.
97 Siehe den Aufsatz. Bedeutende Fördernis durch ein einziges
geistreiches Wort», Natw. Schr., 2. Bd., S. 31ff.
101 Sinneswahrnehmung bedeutet hier dasselbe, was Kant Empfindung
nennt.
102 «Die Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus»;
Vortrag,gehalten in der 3. allgemeinen Sitzung der Versammlung der
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Lübeck am 20. 9.
1895; Leipzig 1895. - Dies ist kurze Zeit, nachdem die betreffenden
Äußerungen Ostwalds gemacht worden sind, geschrieben.
103 Dies ist im Beginne der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
geschrieben. Was darüber heute zu sagen ist, darüber* [vgl. Anm.
S.21].
104 H. L. F. v. Helmholtz, Goethes Vorahnungen kommender
wissenschaftlicher Ideen usw.; Berlin 1892, S. 34.
105 «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen
Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller» (1886),
Gesamtausgabe Dornach 1960; «Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer
«Philosophie der Freiheit» (1892), Gesamtausgabe Dornach 1958;
«Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung»
(1894), Gesamtausgabe Dornach 1972.
106 Goethes Anschauungen stehen in dem denkbar schärfsten Gegensatz
zur Kantschen Philosophie. Diese geht von der Auffassung aus,
daß die Vorstellungswelt von den Gesetzen des menschlichen
Geistes beherrscht werde und deshalb alles, was ihr von außen
entgegengebracht wird, in ihr nur als subjektiver Abglanz vorhanden
sein könne. Der Mensch nehme nicht das «An sich» der Dinge wahr,
sondern die Erscheinung, die dadurch entsteht, daß die Dinge ihn
affizieren und er diese Affektionen nach den Gesetzen seines
Verstandes und seiner Vernunft verbindet. Daß durch diese
Vernunft das Wesen der Dinge spricht, davon haben Kant und die
Kantianer keine Ahnung. Deshalb konnte die Kantsche Philosophie für
Goethe nie etwas bedeuten. Wenn er sich einzelne ihrer Sätze
aneignete, so gab er ihnen einen völlig anderen Sinn, als sie
innerhalb der Lehre ihres Urhebers haben. Es ist durch eine Notiz, die
erst nach Eröffnung des Weimarischen Goethe-Archivs bekannt geworden
ist, klar, daß Goethe den Gegensatz seiner Weltauffassung und
der Kantschen sehr wohl durchschaute. Für ihn liegt der Grundfehler
Kants darin, daß dieser «das subjektive
Erkenntnisvermögen nun selbst als Objekt betrachtet und den
Punkt, wo subjektiv und objektiv zusammentreffen, zwar
scharf aber nicht ganz richtig sondert«. Subjektiv und objektiv treten
zusammen, wenn der Mensch das, was die Außenwelt ausspricht, und
das, was sein Inneres vernehmen läßt, zum einigen Wesen
der Dinge verbindet. Dann hört aber der Gegensatz von subjektiv und
objektiv ganz auf; er verschwindet in der geeinten Wirklichkeit. Ich
habe darauf schon hingedeutet in dieser Schrift S. 218ff. Gegen meine
damaligen Ausführungen polemisiert nun K. Vorländer im 1. Heft
der «Kantstudien«. Er findet, daß meine Anschauung über den
Gegensatz von Goethescher und Kantscher Weltauffassung «mindestens
stark einseitig und mit klaren Selbstzeugnissen Goethes in
Widerspruch« sei und sich «aus dem völligen Mißverständnis der
transzendentalen Methode» Kants von meiner Seite erkläre. Vorländer
hat keine Ahnung von der Weltanschauung, in der Goethe lebte. Mit
ihm zu polemisieren würde mir gar nichts nützen, denn wir sprechen
verschiedene Sprachen. Wie klar sein Denken ist, zeigt sich darin,
daß er bei meinen Sätzen nie weiß, was gemeint ist. Ich
mache z. B. eine Bemerkung zu dem Goetheschen Satze. Sobald der Mensch
die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in bezug
auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal
davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn
anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nützen oder schaden. Diese
ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu beurteilen, scheint
so leicht zu sein, als sie notwendig ist . . . Ein weit schwereres
Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb nach Kenntnis
die Gegenstände der Natur an sich selbst und in ihren
Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt, sie suchen und
untersuchen, was ist, und nicht was behagt.» Meine Bemerkung lautet:
«Hier zeigt sich, wie Goethes Weltanschauung gerade der
entgegengesetzte Pol der Kantschen ist. Für Kant gibt es überhaupt
keine Ansicht über die Dinge, wie sie an sich sind, sondern nur wie
sie in bezug auf uns erscheinen. Diese Ansicht läßt
Goethe nur als ganz untergeordnete Art gelten, sich zu den Dingen in
ein Verhältnis zu setzen.» Dazu sagt Vorländer. Diese (Worte
Goethes) wollen weiter nichts als einleitend den trivialen Unterschied
zwischen dem Angenehmen und dem Wahren auseinandersetzen. Der Forscher
soll suchen, was ist und nicht was behagt>. Wer, wie
Steiner, die letztere allerdings sehr untergeordnete Art, sich
zu den Dingen in ein Verhältnis zu setzen, als diejenige Kants zu
bezeichnen wagt, dem ist zu raten, daß er sich erst die
Grundbegriffe der Kantschen Lehre, z. B. den Unterschied von
subjektiver und objektiver Empfindung, etwa aus § 3 der Kr. d. U.
klarmache.» Nun habe ich durchaus nicht, wie aus meinem Satze klar
hervorgeht, gesagt, daß jene Art, sich zu den Dingen in ein
Verhältnis zu setzen, die Kants ist, sondern daß Goethe die
Kantsche Auffassung vom Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt nicht
entsprechend dem Verhältnis findet, in dem der Mensch zu den Dingen
steht, wenn er erkennen will, wie sie an sich sind. Goethe ist der
Ansicht, daß die Kantsche Definition nicht dem menschlichen
Erkennen, sondern nur dem Verhältnisse entspricht, in das sich der
Mensch zu den Dingen setzt, wenn er sie in bezug auf sein Gefallen und
Mißfallen betrachtet. Wer einen Satz in einer solchen Weise
mißverstehen kann wie Vorländer, der mag es sich
ersparen, andern Leuten Ratschläge zu geben über ihre philosophische
Ausbildung, und lieber erst sich die Fähigkeit aneignen, einen Satz
richtig lesen zu lernen. Goethesche Zitate aufsuchen und sie
historisch zusammenstellen kann jeder; sie im Sinne der Goetheschen
Weltanschauung deuten, kann jedenfalls Vorländer nicht.
107 (Berlin 1894 [Gesamtausgabe Dornach 1973]).
108 Wie wenig Verständnis für die ethischen Anschauungen sowohl, wie
für eine Ethik der Freiheit und des Individualismus im allgemeinen,
bei den Fachphilosophen der Gegenwart vorhanden ist, zeigt folgender
Umstand. Ich habe im Jahre 1892 in einem Aufsatz der «Zukunft» (Nr. 5)
mich für eine streng individualistische Auffassung der Moral
ausgesprochen [jetzt in «Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und
Zeitgeschichte 1887-1901»; Gesamtausgabe Dornach 1966, S. 169ff.]. Auf
diesen Aufsatz hat Ferdinand Tönnies in Kiel in einer
Broschüre: «<Ethische Kultur und ihr Geleite. Nietzsche-Narren in
der <Zukunft und in der <Gegenwart>. .» (Berlin 1893)
geantwortet. Er hat nichts vorgebracht als die Hauptsätze der in
philosophische Formeln gebrachten Philistermoral. Von mir aber sagt
er, daß ich «auf dem Wege zum Hades keinen schlimmeren Hermes«
hätte finden können als Friedrich Nietzsche. Wahrhaft komisch wirkt es
auf mich, daß Tönnies, um mich zu verurteilen, einige von
Goethes «Sprüchen in Prosa« vorbringt. Er ahnt nicht, daß, wenn
es für mich einen Hermes gegeben hat, es nicht Nietzsche, sondern
Goethe gewesen war. Ich habe die Beziehungen der Ethik der Freiheit
zur Ethik Goethes bereits S. 195 ff. dieser Schrift dargelegt. Ich
hätte die wertlose Broschüre nicht erwähnt, wenn sie nicht
symptomatisch wäre für das in fachphilosophischen Kreisen herrschende
Mißverständnis der Weltanschauung Goethes.
109 Italienische Reise, 6. Sept. 1787.
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