X
Freiheitphilosophie und Monismus
Der naive Mensch, der nur als wirklich gelten
läßt, was er mit Augen sehen und mit Händen
greifen kann, fordert auch für sein sittliches Leben
Beweggründe, die mit den Sinnen wahrnehmbar sind. Er
fordert ein Wesen, das ihm diese Beweggründe auf eine
seinen Sinnen verständliche Weise mitteilt. Er wird von
einem Menschen, den er für weiser und mächtiger
hält als sich selbst, oder den er aus einem andern
Grunde als eine über ihm stehende Macht anerkennt, diese
Beweggründe als Gebote sich diktieren lassen. Es ergeben
sich auf diese Weise als sittliche Prinzipien die schon
früher genannten der Familien, staatlichen,
gesellschaftlichen, kirchlichen und göttlichen
Autorität. Der befangenste Mensch glaubt noch einem
einzelnen andern Menschen; der etwas fortgeschrittenere
läßt sich sein sittliches Verhalten von einer
Mehrheit (Staat, Gesellschaft) diktieren. Immer sind es
wahrnehmbare Mächte, auf die er baut. Wem endlich die
Überzeugung aufdämmert, daß dies doch im
Grunde ebenso schwache Menschen sind wie er, der sucht bei
einer höheren Macht Auskunft, bei einem göttlichen
Wesen, das er sich aber mit sinnlich wahrnehmbaren
Eigenschaften ausstattet. Er läßt sich von diesem
Wesen den begrifflichen Inhalt seines sittlichen Lebens
wieder auf wahrnehmbare Weise vermitteln, sei es, daß
der Gott im brennenden Dornbusche erscheint, sei es, daß
er in leibhaftig-menschlicher Gestalt unter den Menschen
wandelt und ihren Ohren vernehmbar sagt, was sie tun und
nicht tun sollen.
Die höchste Entwickelungsstufe des naiven
Realismus auf dem Gebiete der Sittlichkeit ist die, wo das
Sittengebot (sittliche Idee) von jeder fremden Wesenheit
abgetrennt und hypothetisch als absolute Kraft im eigenen
Innern gedacht wird. Was der Mensch zuerst als
äußere Stimme Gottes vernahm, das vernimmt er jetzt
als selbständige Macht in seinem Innern und spricht von
dieser innern Stimme so, daß er sie dem Gewissen
gleichsetzt.
Damit ist aber die Stufe des naiven
Bewußtseins bereits verlassen, und wir sind eingetreten
in die Region, wo die Sittengesetze als Normen
verselbständigt werden. Sie haben dann keinen
Träger mehr, sondern werden zu metaphysischen
Wesenheiten, die durch sich selbst existieren. Sie sind
analog den unsichtbar-sichtbaren Kräften des
metaphysischen Realismus, der die Wirklichkeit nicht durch
den Anteil sucht, den die menschliche Wesenheit im Denken an
dieser Wirklichkeit hat, sondern der sie hypothetisch zu dem
Erlebten hinzudenkt. Die außermenschlichen Sittennormen
treten auch immer als Begleiterscheinung dieses
metaphysischen Realismus auf. Dieser metaphysische Realismus
muß auch den Ursprung der Sittlichkeit im Felde des
außermenschlichen Wirklichen suchen. Es gibt da
verschiedene Möglichkeiten. Ist das vorausgesetzte Wesen
als ein an sich gedankenloses, nach rein mechanischen
Gesetzen wirkendes gedacht, wie es das des Materialismus sein
soll, dann wird es auch das menschliche Individuum durch rein
mechanische Notwendigkeit aus sich hervorbringen samt allem,
was an diesem ist. Das Bewußtsein der Freiheit kann dann
nur eine Illusion sein. Denn während ich mich für
den Schöpfer meiner Handlung halte, wirkt in mir die
mich zusammensetzende Materie und ihre
Bewegungsvorgänge. Ich glaube mich frei; alle meine
Handlungen sind aber tatsächlich nur Ergebnisse der
meinem leiblichen und geistigen Organismus zugrunde liegenden
materiellen Vorgänge. Nur weil wir die uns zwingenden
Motive nicht kennen, haben wir das Gefühl der Freiheit,
meint diese Ansicht. «Wir müssen hier wieder
hervorheben, daß dieses Gefühl der Freiheit auf der
Abwesenheit äußerer zwingender Motive...
beruht.» «Unser Handeln ist necessitiert wie unser
Denken.» (Ziehen, Leitfaden der physiologischen
Psychologie Seite 207 f.)[1]
Eine andere Möglichkeit ist die, daß
jemand in einem geistigen Wesen das hinter den Erscheinungen
steckende außermenschlicheAbsolute sieht. Dann wird er
auch den Antrieb zum Handeln in einer solchen geistigen Kraft
suchen. Er wird die in seiner Vernunft auffindbaren
Sittenprinzipien für einen Ausfluß dieses Wesens an
sich ansehen, das mit dem Menschen seine besonderen Absichten
hat. Die Sittengesetze erscheinen dem Dualisten dieser
Richtung als von dem Absoluten diktiert, und der Mensch hat
durch seine Vernunft einfach diese Ratschlüsse des
absoluten Wesens zu erforschen und auszuführen. Die
sittliche Weltordnung erscheint dem Dualisten als
wahrnehmbarer Abglanz einer hinter derselben stehenden
höheren Ordnung. Die irdische Sittlichkeit ist die
Erscheinung der außermenschlichen Weltordnung. Nicht der
Mensch ist es, auf den es in dieser sittlichen Ordnung
ankommt, sondern auf das Wesen an sich, auf das
außermenschliche Wesen. Der Mensch soll das,
was dieses Wesen will. Eduard von Hartmann, der das
Wesen an sich als Gottheit vorstellt, für die das eigene
Dasein Leiden ist, glaubt, dieses göttliche Wesen habe
die Welt erschaffen, damit es durch dieselbe von seinem
unendlich großen Leiden erlöst werde. Dieser
Philosoph sieht daher die sittliche Entwickelung der
Menschheit als einen Prozeß an, der dazu da ist, die
Gottheit zu erlösen. «Nur durch den Aufbau einer
sittlichen Weltordnung von seiten vernünftiger
selbstbewußter Individuen kann der Weltprozeß
seinem Ziel entgegengeführt... werden.» «Das
reale Dasein ist die Inkarnation der Gottheit, der
Weltprozeß die Passionsgeschichte des fleischgewordenen
Gottes, und zugleich der Weg zur Erlösung des im
Fleische Gekreuzigten; die Sittlichkeit aber ist die
Mitarbeit an der Abkürzung dieses Leidens, und
Erlösungsweges.» (Hartmann,
Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins 5. 871).
Hier handelt der Mensch nicht, weil er will, sondern er soll
handeln, weil Gott erlöst sein will. Wie der
materialistische Dualist den Menschen zum Automaten macht,
dessen Handeln nur das Ergebnis rein mechanischer
Gesetzmäßigkeit ist, so macht ihn der
spiritualistische Dualist (das ist derjenige, der das
Absolute, das Wesen an sich, in einem Geistigen sieht, an dem
der Mensch mit seinem bewußten Erleben keinen Anteil
hat) zum Sklaven des Willens jenes Absoluten. Freiheit ist
innerhalb des Materialismus sowie des einseitigen
Spiritualismus, überhaupt innerhalb des auf
Außermenschliches als wahre Wirklichkeit
schließenden, diese nicht erlebenden metaphysischen
Realismus, ausgeschlossen.
Der naive wie dieser metaphysische Realismus
müssen konsequenterweise aus einem und demselben Grunde
die Freiheit leugnen, weil sie in dem Menschen nur den
Vollstrecker oder Vollzieher von notwendig ihm
aufgedrängten Prinzipien sehen. Der naive Realismus
tötet die Freiheit durch Unterwerfung unter die
Autorität eines wahrnehmbaren oder nach Analogie der
Wahrnehmungen gedachten Wesens oder endlich unter die
abstrakte innere Stimme, die er als «Gewissen»
deutet; der bloß das Außermenschliche
erschließende Metaphysiker kann die Freiheit nicht
anerkennen, weil er den Menschen von einem «Wesen an
sich» mechanisch oder moralisch bestimmt sein
läßt.
Der Monismus wird die teilweise
Berechtigung des naiven Realismus anerkennen müssen,
weil er die Berechtigung der Wahrnehmungswelt anerkennt. Wer
unfähig ist, die sittlichen Ideen durch Intuition
hervorzubringen, der muß sie von andern empfangen.
Insoweit der Mensch seine sittlichen Prinzipien von
außen empfängt, ist er tatsächlich unfrei.
Aber der Monismus schreibt der Idee neben der Wahrnehmung
eine gleiche Bedeutung zu. Die Idee kann aber im menschlichen
Individuum zur Erscheinung kommen. Insofern der Mensch den
Antrieben von dieser Seite folgt, empfindet er sich als frei.
Der Monismus spricht aber der bloß schlußfolgernden
Metaphysik alle Berechtigung ab, folglich auch den von
sogenannten «Wesen an sich» herrührenden
Antrieben des Handelns. Der Mensch kann nach monistischer
Auffassung unfrei handeln, wenn er einem wahrnehmbaren
äußeren Zwange folgt; er kann frei handeln, wenn er
nur sich selbst gehorcht. Einen unbewußten, hinter
Wahrnehmung und Begriff steckenden Zwang kann der Monismus
nicht anerkennen. Wenn jemand von einer Handlung seines
Mitmenschen behauptet: sie sei unfrei vollbracht, so
muß er innerhalb der wahrnehmbaren Welt das Ding, oder
den Menschen, oder die Einrichtung nachweisen, die jemand zu
seiner Handlung veranlaßt haben; wenn der Behauptende
sich auf Ursachen des Handelns außerhalb der sinnlich
und geistig wirklichen Welt beruft, dann kann sich der
Monismus auf eine solche Behauptung nicht einlassen.
Nach monistischer Auffassung handelt der Mensch
teils unfrei, teils frei. Er findet sich als unfrei in der
Welt der Wahrnehmungen vor und verwirklicht in sich den
freien Geist.
Die sittlichen Gebote, die der bloß
schlußfolgernde Metaphysiker als Ausflüsse einer
höheren Macht ansehen muß, sind dem Bekenner des
Monismus Gedanken der Menschen; die sittliche
Weltordnung ist ihm weder der Abklatsch einer rein
mechanischen Naturordnung, noch einer außermenschlichen
Weltordnung, sondern durchaus freies Menschenwerk. Der Mensch
hat nicht den Willen eines außer ihm liegenden Wesens in
der Welt, sondern seinen eigenen durchzusetzen; er
verwirklicht nicht die Ratschlüsse und Intentionen eines
andern Wesens, sondern seine eigenen. Hinter den handelnden
Menschen sieht der Monismus nicht die Zwecke einer ihm
fremden Weltenlenkung, die die Menschen nach ihrem Willen
bestimmt, sondern die Menschen verfolgen, insofern sie
intuitive Ideen verwirklichen, nur ihre eigenen,
menschlichen Zwecke. Und zwar verfolgt jedes
Individuum seine besonderen Zwecke. Denn die Ideenwelt lebt
sich nicht in einer Gemeinschaft von Menschen, sondern nur in
menschlichen Individuen aus. Was als gemeinsames Ziel einer
menschlichen Gesamtheit sich ergibt, das ist nur die Folge
der einzelnen Willenstaten der Individuen, und zwar meist
einiger weniger Auserlesener, denen die anderen, als ihren
Autoritäten, folgen. Jeder von uns ist berufen zum
freien Geiste, wie jeder Rosenkeim berufen ist, Rose zu
werden.
Der Monismus ist also im Gebiete des wahrhaft
sittlichen Handelns Freiheitsphilosophie. Weil er
Wirklichkeitsphilosophie ist, so weist er ebenso gut die
metaphysischen, unwirklichen Einschränkungen des freien
Geistes zurück, wie er die physischen und historischen
(naiv-wirklichen) des naiven Menschen anerkennt. Weil er den
Menschen nicht als abgeschlossenes Produkt, das in jedem
Augenblicke seines Lebens sein volles Wesen entfaltet,
betrachtet, so scheint ihm der Streit, ob der Mensch als
solcher frei ist oder nicht, nichtig. Er sieht in
dem Menschen ein sich entwickelndes Wesen und fragt, ob auf
dieser Entwickelungsbahn auch die Stufe des freien Geistes
erreicht werden kann.
Der Monismus weiß, daß die Natur den
Menschen nicht als freien Geist fix und fertig aus ihren
Armen entläßt, sondern daß sie ihn bis zu
einer gewissen Stufe führt, von der aus er noch immer
als unfreies Wesen sich weiter entwickelt, bis er an den
Punkt kommt, wo er sich selbst findet.
Der Monismus ist sich klar darüber, daß
ein Wesen, das unter einem physischen oder moralischen Zwange
handelt, nicht wahrhaftig sittlich sein kann. Er betrachtet
den Durchgang durch das automatische Handeln (nach
natürlichen Trieben und Instinkten) und denjenigen durch
das gehorsame Handeln (nach sittlichen Normen) als notwendige
Vorstufen der Sittlichkeit, aber er sieht die
Möglichkeit ein, beide Durchgangsstadien durch den
freien Geist zu überwinden. Der Monismus befreit die
wahrhaft sittliche Weltanschauung im allgemeinen von den
innerweltlichen Fesseln der naiven Sittlichkeitsmaximen und
von den außerweltlichen Sittlichkeitsmaximen der
spekulierenden Metaphysiker. Jene kann er nicht aus der Welt
schaffen, wie er die Wahrnehmung nicht aus der Welt schaffen
kann, diese lehnt er ab, weil er alle
Erklärungsprinzipien zur Aufhellung der
Welterscheinungen innerhalb der Welt sucht und keine
außerhalb derselben. Ebenso wie der Monismus es ablehnt,
an andere Erkenntnisprinzipien als solche für Menschen
auch nur zu denken (vergleiche S.124f.), so weist er auch den
Gedanken an andere Sittlichkeitsmaximen als solche für
Menschen entschieden zurück. Die menschliche
Sittlichkeit ist wie die menschliche Erkenntnis bedingt durch
die menschliche Natur. Und so wie andere Wesen unter
Erkenntnis etwas ganz anderes verstehen werden als wir, so
werden andere Wesen auch eine andere Sittlichkeit haben.
Sittlichkeit ist dem Anhänger des Monismus eine
spezifisch menschliche Eigenschaft, und Freiheit die
menschliche Form, sittlich zu sein.
1. Zusatz zur Neuausgabe (1918). Eine
Schwierigkeit in der Beurteilung des in beiden vorangehenden
Abschnitten Dargestellten kann dadurch entstehen, daß
man sich einem Widerspruch gegenübergestellt glaubt. Auf
der einen Seite wird von dem Erleben des Denkens gesprochen,
das von allgemeiner, für jedes menschliche
Bewußtsein gleich geltender Bedeutung empfunden wird;
auf der andern Seite wird hier darauf hingewiesen, daß
die Ideen, welche im sittlichen Leben verwirklicht werden und
die mit den im Denken erarbeiteten Ideen von gleicher Art
sind, auf individuelle Art sich in jedem menschlichen
Bewußtsein ausleben. Wer sich gedrängt fühlt,
bei dieser Gegenüberstellung als bei einem
«Widerspruch» stehen zu bleiben, und wer nicht
erkennt, daß eben in der lebendigen Anschauung
dieses tatsächlich vorhandenen Gegensatzes ein
Stück vom Wesen des Menschen sich enthüllt, dem
wird weder die Idee der Erkenntnis, noch die der Freiheit im
rechten Lichte erscheinen können. Für diejenige
Ansicht, welche ihre Begriffe bloß als von der
Sinneswelt abgezogen (abstrahiert) denkt und welche die
Intuition nicht zu ihrem Rechte kommen läßt, bleibt
der hier für eine Wirklichkeit in Anspruch genommene
Gedanke als ein «bloßer Widerspruch» bestehen.
Für eine Einsicht, die durchschaut, wie Ideen intuitiv
erlebt werden als ein auf sich selbst beruhendes
Wesenhaftes, wird klar, daß der Mensch im Umkreis der
Ideenwelt beim Erkennen sich in ein für alle
Menschen Einheitliches hineinlebt, daß er aber, wenn er
aus dieser Ideenwelt die Intuitionen für seine
Willensakte entlehnt, ein Glied dieser Ideenwelt durch
dieselbe Tätigkeit individualisiert, die er im
geistig-ideellen Vorgang beim Erkennen als eine
allgemein-menschliche entfaltet. Was als logischer
Widerspruch erscheint, die allgemeine Artung der
Erkenntnis-Ideen und die individuelle der Sitten-Ideen: das
wird, indem es in seiner Wirklichkeit angeschaut
wird, gerade zum lebendigen Begriff. Darin liegt ein
Kennzeichen der menschlichen Wesenheit, daß das intuitiv
zu Erfassende im Menschen wie im lebendigen
Pendelschlag sich hin, und herbewegt zwischen der allgemein
geltenden Erkenntnis und dem individuellen Erleben dieses
Allgemeinen. Wer den einen Pendelausschlag in seiner
Wirklichkeit nicht schauen kann, für den bleibt das
Denken nur eine subjektive menschliche Betätigung; wer
den andern nicht erfassen kann, für den scheint mit der
Betätigung des Menschen im Denken alles individuelle
Leben verloren. Für einen Denker der erstem Art ist das
Erkennen, für den andern das sittliche Leben eine
undurchschaubare Tatsache. Beide werden für die
Erklärung des einen oder des andern allerlei
Vorstellungen beibringen, die alle unzutreffend sind, weil
von beiden eigentlich die Erlebbarkeit des Denkens entweder
gar nicht erfaßt, oder als bloß abstrahierende
Betätigung verkannt wird.
2. Zusatz zur Neuausgabe (1918). Auf S.
175f. wird von Materialismus gesprochen. Es ist mir wohl
bewußt, daß es Denker gibt — wie der eben
angeführte Th. Ziehen — , die sich selbst durchaus nicht
als Materialisten bezeichnen, die aber doch von dem in diesem
Buche geltend gemachten Gesichtspunkte mit diesem Begriffe
bezeichnet werden müssen. Es kommt nicht darauf an, ob
jemand sagt, für ihn sei die Welt nicht im bloß
materiellen Sein beschlossen; er sei deshalb kein
Materialist. Sondern es kommt darauf an, ob er Begriffe
entwickelt, die nur auf ein materielles Sein
anwendbar sind. Wer ausspricht: «Unser Handeln ist
necessitiert wie unser Denken», der hat einen Begriff
hingestellt, der bloß auf materielle Vorgänge, aber
weder auf das Handeln, noch auf das Sein anwendbar ist; und
er müßte, wenn er seinen Begriff zu Ende
dächte, eben materialistisch denken. Daß er es
nicht tut, ergibt sich nur aus derjenigen Inkonsequenz, die
so oft die Folge des nicht zu Ende geführten Denkens
ist. — Man hört jetzt oft, der Materialismus des 19.
Jahrhunderts sei wissenschaftlich abgetan. In Wahrheit ist er
es aber durchaus nicht. Man bemerkt in der Gegenwart oft nur
nicht, daß man keine anderen Ideen als solche hat, mit
denen man nur an Materielles heran kann. Dadurch
verhüllt sich jetzt der Materialismus, während er
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich offen
zur Schau gestellt hat. Gegen eine geistig die Welt
erfassende Anschauung ist der verhüllte Materialismus
der Gegenwart nicht weniger intolerant als der eingestandene
des vorigen Jahrhunderts. Er täuscht nur viele, die da
glauben, eine auf Geistiges gehende Weltauffassung ablehnen
zu dürfen, weil ja die naturwissenschaftliche den
«Materialismus längst verlassen hat».
1. Über die Art,
wie hier von «Materialismus» gesprochen wird,
und die Berechtigung, von ihm so zu sprechen, vgl.
«Zusatz» zu diesem Kapitel am Schluß
desselben.
|