Die letzten Fragen
Die Konzequenzen des Monismus
Die einheitliche
Welterklärung oder der hier gemeinte Monismus entnimmt
der menschlichen Erfahrung die Prinzipien, die er zur
Erklärung der Welt braucht. Die Quellen des Handelns
sucht er ebenfalls innerhalb der Beobachtungs welt,
nämlich in der unserer Selbsterkenntnis
zugänglichen menschlichen Natur, und zwar in der
moralischen Phantasie. Er lehnt es ab, durch abstrakte
Schlußfolgerungen die letzten Gründe für die
dem Wahrnehmen und Denken vorliegende Welt
außerhalb derselben zu suchen. Für den
Monismus ist die Einheit, welche die erlebbare denkende
Beobachtung zu der mannigfaltigen Vielheit der Wahrnehmungen
hinzubringt, zugleich diejenige, die das menschliche
Erkenntnisbedürfnis verlangt und durch die es den
Eingang in die physischen und geistigen Weltbereiche sucht.
Wer hinter dieser so zu suchenden Einheit noch eine andere
sucht, der beweist damit nur, daß er die
Übereinstimmung des durch das Denken Gefundenen mit dem
vom Erkenntnistrieb Geforderten nicht erkennt. Das einzelne
menschliche Individuum ist von der Welt nicht
tatsächlich abgesondert. Es ist ein Teil der Welt, und
es besteht ein Zusammenhang mit dem Ganzen des Kosmos der
Wirklichkeit nach, der nur für unsere Wahrnehmung
unterbrochen ist. Wir sehen fürs erste diesen Teil als
für sich existierendes Wesen, weil wir die Riemen und
Seile nicht sehen, durch welche die Bewegung unseres
Lebensrades von den Grundkräften des Kosmos bewirkt
wird. Wer auf diesem Standpunkt stehen bleibt, der sieht den
Teil eines Ganzen für ein wirklich selbständig
existierendes Wesen, für die Monade an, welches die
Kunde von der übrigen Welt auf irgendeine Weise von
außen erhält. Der hier gemeinte Monismus zeigt,
daß die Selbständigkeit nur so lange geglaubt
werden kann, als das Wahrgenommene nicht durch das Denken in
das Netz der Begriffswelt eingespannt wird. Geschieht dies,
so entpuppt sich die Teilexistenz als ein bloßer
Schein des Wahrnehmens. Seine in sich geschlossene
Totalexistenz im Universum kann der Mensch nur finden durch
intuitives Denkerlebnis. Das Denken zerstört den Schein
des Wahrnehmens und gliedert unsere individuelle Existenz in
das Leben des Kosmos ein. Die Einheit der Begriffswelt,
welche die objektiven Wahrnehmungen enthält, nimmt auch
den Inhalt unserer subjektiven Persönlichkeit in sich
auf. Das Denken gibt uns von der Wirklichkeit die wahre
Gestalt, als einer in sich geschlossenen Einheit,
während die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen nur ein
durch unsere Organisation bedingter Schein ist (vgl. S.
86ff.). Die Erkenntnis des Wirklichen gegenüber dem
Schein des Wahrnehmens bildete zu allen Zeiten das Ziel des
menschlichen Denkens. Die Wissenschaft bemühte sich, die
Wahrnehmungen durch Aufdeckung der gesetzmäßigen
Zusammenhänge innerhalb derselben als Wirklichkeit zu
erkennen. Wo man aber der Ansicht war, daß der von dem
menschlichen Denken ermittelte Zusammenhang nur eine
subjektive Bedeutung habe, suchte man den wahren Grund der
Einheit in einem jenseits unserer Erfahrungswelt gelegenen
Objekte (erschlossener Gott, Wille, absoluter Geist usw.). —
Und, auf diese Meinung gestützt, bestrebte man sich zu
dem Wissen über die innerhalb der Erfahrung erkennbaren
Zusammenhänge noch ein zweites zu gewinnen, das
über die Erfahrung hinausgeht, und den Zusammenhang
derselben mit den nicht mehr erfahrbaren Wesenheiten aufdeckt
(nicht durch Erleben, sondern durch Schlußfolgerung
gewonnene Metaphysik). Den Grund, warum wir durch geregeltes
Denken den Weltzusammenhang begreifen, sah man von diesem
Standpunkte aus darin, daß ein Urwesen nach logischen
Gesetzen die Welt aufgebaut hat, und den Grund für unser
Handeln sah man in dem Wollen des Urwesens. Doch erkannte man
nicht, daß das Denken Subjektives und Objektives
zugleich umspannt, und daß in dem Zusammenschluß
der Wahrnehmung mit dem Begriff die totale Wirklichkeit
vermittelt wird. Nur solange wir die die Wahrnehmung
durchdringende und bestimmende Gesetzmäßigkeit in
der abstrakten Form des Begriffes betrachten, solange haben
wir es In der Tat mit etwas rein Subjektivem zu tun.
Subjektiv ist aber nicht der Inhalt des Be griffes, der mit
Hilfe des Denkens zu der Wahrnehmung hinzugewonnen wird.
Dieser Inhalt ist nicht aus dem Subjekte, sondern aus der
Wirklichkeit genommen. Er ist der Teil der Wirklichkeit, den
das Wahrnehmen nicht erreichen kann. Er ist Erfahrung, aber
nicht durch das Wahrnehmen vermittelte Erfahrung. Wer sich
nicht vorstellen kann, daß der Begriff ein Wirkliches
ist, der denkt nur an die abstrakte Form, wie er denselben in
seinem Geiste festhält. Aber in solcher Absonderung ist
er ebenso nur durch unsere Organisation vorhanden, wie die
Wahrnehmung es ist. Auch der Baum, den man wahrnimmt, hat
abgesondert für sich keine Existenz. Er ist nur
innerhalb des großen Räderwerkes der Natur ein
Glied, und nur in realem Zusammenhang mit ihr möglich.
Ein abstrakter Begriff hat für sich keine Wirklichkeit,
ebensowenig wie eine Wahrnehmung für sich. Die
Wahrnehmung ist der Teil der Wirklichkeit, der objektiv, der
Begriff derjenige, der subjektiv (durch Intuition, vgl. Seite
95ff.) gegeben wird. Unsere geistige Organisation reißt
die Wirklichkeit in diese beiden Faktoren auseinander. Der
eine Faktor erscheint dem Wahrnehmen, der andere der
Intuition. Erst der Zusammenhang der beiden, die
gesetzmäßig sich in das Universum eingliedernde
Wahrnehmung, ist volle Wirklichkeit. Betrachten wir die
bloße Wahrnehmung für sich, so haben wir keine
Wirklichkeit, sondern ein zusammenhangloses Chaos; betrachten
wir die Gesetzmäßigkeit der Wahrnehmungen für
sich, dann haben wir es bloß mit abstrakten Begriffen zu
tun. Nicht der abstrakte Begriff enthält die
Wirklichkeit; wohl aber die denkende Beobachtung, die weder
einseitig den Begriff, noch die Wahrnehmung für sich
betrachtet, sondern den Zusammenhang beider.
Daß wir in der Wirklichkeit leben (mit unserer
realen Existenz in derselben wurzeln), wird selbst der
orthodoxeste subjektive Idealist nicht leugnen. Er wird nur
bestreiten, daß wir ideell mit unserem Erkennen auch das
erreichen, was wir real durchleben. Demgegenüber zeigt
der Monismus, daß das Denken weder subjektiv, noch
objektiv, sondern ein beide Seiten der Wirklichkeit
umspannendes Prinzip ist. Wenn wir denkend beobachten,
vollziehen wir einen Prozeß, der selbst in die Reihe des
wirklichen Geschehens gehört. Wir überwinden durch
das Denken innerhalb der Erfahrung selbst die Einseitigkeit
des bloßen Wahrnehmens. Wir können durch abstrakte,
begriffliche Hypothesen (durch rein begriffliches Nachdenken)
das Wesen des Wirklichen nicht erklügeln, aber wir
leben, indem wir zu den Wahrnehmungen die Ideen
finden, in dem Wirklichen. Der Monismus sucht zu der
Erfahrung kein Unerfahrbares (Jenseitiges), sondern sieht in
Begriff und Wahrnehmung das Wirkliche. Er spinnt aus
bloßen abstrakten Begriffen keine Metaphysik, weil er in
dem Begriffe an sich nur die eine Seite der
Wirklichkeit sieht, die dem Wahrnehmen verborgen bleibt und
nur im Zusammenhang mit der Wahrnehmung einen Sinn hat. Er
ruft aber in dem Menschen die Überzeugung hervor,
daß er in der Welt der Wirklichkeit lebt und nicht
außerhalb seiner Welt eine unerlebbare höhere
Wirklichkeit zu suchen hat. Er hält davon ab, das
Absolut-Wirkliche anderswo als in der Erfahrung zu suchen,
weil er den Inhalt der Erfahrung selbst als das Wirkliche
erkennt. Und er ist befriedigt durch diese Wirklichkeit, weil
er weiß, daß das Denken die Kraft hat, sie zu
verbürgen. Was der Dualismus erst hinter der
Beobachtungswelt sucht, das findet der Monismus in dieser
selbst. Der Monismus zeigt, daß wir mit unserem Erkennen
die Wirklichkeit in ihrer wahren Gestalt ergreifen, nicht in
einem subjektiven Bilde, das sich zwischen den Menschen und
die Wirklichkeit einschöbe. Für den Monismus ist
der Begriffsinhalt der Welt für alle menschlichen
Individuen derselbe (vgl. S. 89ff.). Nach monistischen
Prinzipien betrachtet ein menschliches Individuum ein anderes
als seinesgleichen, weil es derselbe Weltinhalt ist, der sich
in ihm auslebt. Es gibt in der einigen Begriffswelt nicht
etwa so viele Begriffe des Löwen, wie es Individuen
gibt, die einen Löwen denken, sondern nur einen. Und der
Begriff, den A zu der Wahrnehmung des Löwen
hinzufügt, ist derselbe, wie der des B, nur durch ein
anderes Wahrnehmungssubjekt aufgefaßt (vgl. S. 90f.).
Das Denken führt alle Wahrnehmungssubjekte auf die
gemeinsame ideelle Einheit aller Mannigfaltigkeit. Die einige
Ideenwelt lebt sich in ihnen als in einer Vielheit von
Individuen aus. Solange sich der Mensch bloß durch
Selbstwahrnehmung erfaßt, sieht er sich als diesen
besonderen Menschen an; sobald er auf die in ihm
aufleuchtende, alles Besondere umspannende Ideenwelt blickt,
sieht er in sich das absolut Wirkliche lebendig aufleuchten.
Der Dualismus bestimmt das göttliche Urwesen als
dasjenige, was alle Menschen durchdringt und in ihnen allen
lebt. Der Monismus findet dieses gemeinsame göttliche
Leben in der Wirklichkeit selbst. Der ideelle Inhalt eines
andern Menschen ist auch der meinige, und ich sehe ihn nur so
lange als einen andern an, als ich wahrnehme, nicht mehr
aber, sobald ich denke. Jeder Mensch umspannt mit seinem
Denken nur einen Teil der gesamten Ideenwelt, und insofern
unterscheiden sich die Individuen auch durch den
tatsächlichen Inhalt ihres Denkens. Aber diese Inhalte
sind in einem in sich geschlossenen Ganzen, das die
Denkinhalte aller Menschen umfaßt. Das gemeinsame
Urwesen, das alle Menschen durchdringt, ergreift somit der
Mensch in seinem Denken. Das mit dem Gedankeninhalt
erfüllte Leben in der Wirklichkeit ist zugleich das
Leben in Gott. Das bloß erschlossene, nicht zu erlebende
Jenseits beruht auf einem Mißverständnis derer, die
glauben, daß das Diesseits den Grund seines Bestandes
nicht in sich hat. Sie sehen nicht ein, daß sie durch
das Denken das finden, was sie zur Erklärung der
Wahrnehmung verlangen. Deshalb hat aber auch noch keine
Spekulation einen Inhalt zutage gefördert, der nicht aus
der uns gegebenen Wirklichkeit entlehnt wäre. Der durch
abstrakte Schlußfolgerung angenommene Gott ist nur der
in ein Jenseits versetzte Mensch; der Wille Schopenhauers die
verabsolutierte menschliche Willenskraft; das aus Idee und
Wille zusammengesetzte unbewußte Urwesen Hartmanns eine
Zusammensetzung zweier Abstraktionen aus der Erfahrung. Genau
dasselbe ist von allen anderen auf nicht erlebtem Denken
ruhenden jenseitigen Prinzipien zu sagen.
Der menschliche Geist kommt in Wahrheit nie
über die Wirklichkeit hinaus, in der wir leben, und er
hat es auch nicht nötig, da alles in dieser Welt liegt,
was er zu ihrer Erklärung braucht. Wenn sich die
Philosophen zuletzt befriedigt erklären mit der
Herleitung der Welt aus Prinzipien, die sie der Erfahrung
entlehnen und in ein hypothetisches Jenseits versetzen, so
muß eine solche Befriedigung auch möglich sein,
wenn der gleiche Inhalt im Diesseits belassen wird, wohin er
für das erlebbare Denken gehört. Alles Hinausgehen
über die Welt ist nur ein scheinbares, und die aus der
Weit hinausversetzten Prinzipien erklären die Welt nicht
besser, als die in derselben liegenden. Das sich selbst
verstehende Denken fordert aber auch gar nicht zu einem
solchen Hinausgehen auf, da ein Gedankeninhalt nur innerhalb
der Welt, nicht außerhalb derselben einen
Wahrnehmungsinhalt suchen muß, mit dem zusammen er ein
Wirkliches bildet. Auch die Objekte der Phantasie sind nur
Inhalte, die ihre Berechtigung erst haben, wenn sie zu
Vorstellungen werden, die auf einen Wahrnehmungsinhalt
hinweisen. Durch diesen Wahrnehmungsinhalt gliedern sie sich
der Wirklichkeit ein. Ein Begriff, der mit einem Inhalt
erfüllt werden sollte, der außerhalb der uns
gegebenen Welt liegen soll, ist eine Abstraktion, der keine
Wirklichkeit entspricht. Ersinnen können wir nur die
Begriffe der Wirklichkeit; um diese selbst zu
finden, bedarf es auch noch des Wahrnehmens. Ein Urwesen der
Welt, für das ein Inhalt erdacht wird, ist
für ein sich selbst verstehendes Denken eine
unmögliche Annahme. Der Monismus leugnet nicht das
Ideelle, er sieht sogar einen Wahrnehmungsinhalt, zu dem das
ideelle Gegenstück fehlt, nicht für volle
Wirklichkeit an; aber er findet im ganzen Gebiet des Denkens
nichts, das nötigen könnte, aus dem Erlebnisbereich
des Denkens durch Verleugnung der objektiv geistigen
Wirklichkeit des Denkens herauszutreten. Der Monismus sieht
in einer Wissenschaft, die sich darauf beschränkt, die
Wahrnehmungen zu beschreiben, ohne zu den ideellen
Ergänzungen derselben vorzudringen, eine Halbheit. Aber
er betrachtet ebenso als Halbheiten alle abstrakten Begriffe,
die ihre Ergänzung nicht in der Wahrnehmung finden und
sich nirgends in das die beobachtbare Welt umspannende
Begriffsnetz einfügen. Er kennt daher keine Ideen, die
auf ein jenseits unserer Erfahrung liegendes Objektives
hindeuten, und die den Inhalt einer bloß hypothetischen
Metaphysik bilden sollen. Alles, was die Menschheit an
solchen Ideen erzeugt hat, sind ihm Abstraktionen aus der
Erfahrung, deren Entlehnung aus derselben von ihren Urhebern
nur übersehen wird.
Ebensowenig können nach monistischen
Grundsätzen die Ziele unseres Handelns aus einem
außermenschlichen Jenseits entnommen werden. Sie
müssen, insofern sie gedacht sind, aus der menschlichen
Intuition stammen. Der Mensch macht nicht die Zwecke eines
objektiven (jenseitigen) Urwesens zu seinen individuellen
Zwecken, sondern er verfolgt seine eigenen, ihm von seiner
moralischen Phantasie gegebenen. Die in einer Handlung sich
verwirklichende Idee löst der Mensch aus der einigen
Ideenwelt los und legt sie seinem Wollen zugrunde. In seinem
Handeln leben sich also nicht die aus dem Jenseits dem
Diesseits eingeimpften Gebote aus, sondern die der
diesseitigen Welt angehörigen menschlichen Intuitionen.
Der Monismus kennt keinen solchen Weltenlenker, der
außerhalb unserer selbst unseren Handlungen Ziel und
Richtung setzte. Der Mensch findet keinen solchen jenseitigen
Urgrund des Daseins, dessen Ratschlüsse er erforschen
könnte, um von ihm die Ziele zu erfahren, nach denen er
mit seinen Handlungen hinzusteuern hat. Er ist auf sich
selbst zurückgewiesen. Er selbst muß seinem Handeln
einen Inhalt geben. Wenn er außerhalb der Welt, in der
er lebt, nach Bestimmungsgründen seines Wollens sucht,
so forscht er vergebens. Er muß sie, wenn er über
die Befriedigung seiner natürlichen Triebe, für die
Mutter Natur vorgesorgt hat, hinausgeht, in seiner eigenen
moralischen Phantasie suchen, wenn es nicht seine
Bequemlichkeit vorzieht, von der moralischen Phantasie
anderer sich bestimmen zu lassen, das heißt: er muß
alles Handeln unterlassen oder nach Bestimmungsgründen
handeln, die er sich selbst aus der Welt seiner Ideen heraus
gibt, oder die ihm andere aus derselben heraus geben. Er
wird, wenn er über sein sinnliches Triebleben und
über die Ausführung der Befehle anderer Menschen
hinauskommt, durch nichts, als durch sich selbst bestimmt. Er
muß aus einem von ihm selbst gesetzten, durch nichts
anderes bestimmten Antrieb handeln. Ideell ist dieser Antrieb
allerdings in der einigen Ideenwelt bestimmt; aber faktisch
kann er nur durch den Menschen aus dieser abgeleitet und in
Wirklichkeit umgesetzt werden. Für die aktuelle
Umsetzung einer Idee in Wirklichkeit durch den Menschen kann
der Monismus nur in dem Menschen selbst den Grund finden.
Daß eine Idee zur Handlung werde, muß der Mensch
erst wollen, bevor es geschehen kann. Ein solches Wollen hat
seinen Grund also nur in dem Menschen selbst. Der Mensch ist
dann das letzte Bestimmende seiner Handlung. Er ist frei.
1. Zusatz zur Neuausgabe (1918). Im
zweiten Teile dieses Buches wurde versucht, eine
Begründung dafür zu geben, daß die Freiheit in
der Wirklichkeit des menschlichen Handelns zu finden ist.
Dazu war notwendig, aus dem Gesamtgebiete des menschlichen
Handelns diejenigen Teile auszusondern, denen gegenüber
bei unbefangener Selbstbeobachtung von Freiheit gesprochen
werden kann. Es sind diejenigen Handlungen, die sich als
Verwirklichungen ideeller Intuitionen darstellen. Andere
Handlungen wird kein unbefangenes Betrachten als freie
ansprechen. Aber der Mensch wird eben bei unbefangener
Selbstbeobachtung sich für veranlagt halten müssen
zum Fortschreiten auf der Bahn nach ethischen Intuitionen und
deren Verwirklichung. Diese unbefangene Beobachtung
des ethischen Wesens des Menschen kann aber für sich
keine letzte Entscheidung über die Freiheit bringen.
Denn wäre das intuitive Denken selbst aus irgendeiner
andern Wesenheit entspringend, wäre seine Wesenheit
nicht eine auf sich selbst ruhende, so erwiese sich das aus
dem Ethischen fließende Freiheitsbewußtsein als ein
Scheingebilde. Aber der zweite Teil dieses Buches findet
seine naturgemäße Stütze in dem ersten. Dieser
stellt das intuitive Denken als erlebte innere
Geistbetätigung des Menschen hin. Diese
Wesenheit des Denkens erlebend verstehen, kommt aber
der Erkenntnis von der Freiheit des intuitiven
Denkens gleich. Und weiß man, daß dieses Denken
frei ist, dann sieht man auch den Umkreis des Wollens, dem
die Freiheit zuzusprechen ist. Den handelnden Menschen wird
für frei halten derjenige, welcher dem
intuitiven Denkerleben eine in sich ruhende Wesenheit auf
Grund der inneren Erfahrung zuschreiben darf. Wer solches
nicht vermag, der wird wohl keinen irgendwie unanfechtbaren
Weg zur Annahme der Freiheit finden können. Die hier
geltend gemachte Erfahrung findet im Bewußtsein
das intuitive Denken, das nicht bloß im Bewußtsein
Wirklichkeit hat. Und sie findet damit die Freiheit als
Kennzeichen der aus den Intuitionen des Bewußtseins
fließenden Handlungen.
2. Zusatz zur Neuausgabe (1918). Die
Darstellung dieses Buches ist aufgebaut auf dem rein geistig
erlebbaren intuitiven Denken, durch das eine jegliche
Wahrnehmung in die Wirklichkeit erkennend hineingestellt
wird. Es sollte in dem Buche mehr nicht dargestellt werden,
als sich von dem Erlebnis des intuitiven Denkens aus
überschauen läßt. Aber es sollte auch geltend
gemacht werden, welche Gedankengestaltung dieses erlebte
Denken erfordert. Und es fordert, daß es im
Erkenntnisvorgang als in sich ruhendes Erlebnis nicht
verleugnet werde. Daß ihm die Fähigkeit nicht
abgesprochen werde, zusammen mit der Wahrnehmung die
Wirklichkeit zu erleben, statt diese erst zu suchen in einer
außerhalb dieses Erlebens liegenden, zu
erschließendenWelt, der gegenüber die menschliche
Denkbetätigung nur ein Subjektives sei. —
Damit ist in dem Denken das Element gekennzeichnet,
durch das der Mensch in die Wirklichkeit sich geistig
hineinlebt. (Und niemand sollte eigentlich diese auf das
erlebte Denken gebaute Weltanschauung mit einem bloßen
Rationalismus verwechseln.) Aber andrerseits geht doch wohl
aus dem ganzen Geiste dieser Darlegungen hervor, daß das
Wahrnehmungselement für die menschliche Erkenntnis eine
Wirklichkeitsbestimmung erst erhält, wenn es im Denken
ergriffen wird. Außer dem Denken kann die
Kennzeichnung als Wirklichkeit nicht liegen. Also darf nicht
etwa vorgestellt werden, daß die sinnliche Art des
Wahrnehmens die einzige Wirklichkeit verbürge. Was als
Wahrnehmung auftritt, das muß der Mensch auf seinem
Lebenswege schlechterdings erwarten. Es könnte
sich nur fragen: darf aus dem Gesichtspunkte, der sich
bloß aus dem intuitiv erlebten Denken ergibt, berechtigt
erwartet werden, daß der Mensch außer dem
Sinnlichen auch Geistiges wahrnehmen könne?
Dies darf erwartet werden. Denn, wenn auch
einerseits das intuitiv erlebte Denken ein im
Menschengeiste sich vollziehender tätiger Vorgang ist,
so ist es andererseits zugleich eine geistige, ohne
sinnliches Organ erfaßte Wahrnehmung. Es ist eine
Wahrnehmung, in der der Wahrnehmende selbst tätig ist,
und es ist eine Selbstbetätigung, die zugleich
wahrgenommen wird. Im intuitiv erlebten Denken ist derMensch
in eine geistige Welt auch als Wahrnehmender versetzt. Was
ihm innerhalb dieser Welt als Wahrnehmung so entgegentritt
wie die geistige Welt seines eigenen Denkens, das erkennt der
Mensch als geistige Wahrnehmungswelt. Zu dem Denken
hätte diese Wahrnehmungswelt dasselbe
Verhältnis wie nach der Sinnenseite hin die sinnliche
Wahrnehmungswelt. Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem
Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er
im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein
geistigen Charakter trägt. Von einer solchen geistigen
Wahrnehmungswelt spre chen eine Anzahl der von mir nach
diesem Buche veröffentlichten Schriften. Diese
«Philosophie der Freiheit» ist die philosophische
Grundlegung für diese späteren Schriften. Denn in
diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig
verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist. Deshalb
scheint es dem Verfasser, daß derjenige nicht vor dem
Betreten der geistigen Wahrnehmungswelt haltmachen wird, der
in vollem Ernste den Gesichtspunkt des Verfassers dieser
«Philosophie der Freiheit» einnehmen kann. Logisch
ableiten — durch Schlußfolgerungen — läßt
sich aus dem Inhalte dieses Buches allerdings nicht, was in
des Verfassers späteren Büchern dargestellt ist.
Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten
intuitiven Denkens wird sich aber naturgemäß der
weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt
ergeben.
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