Nachwort
zur Neuauflage 1918
Von
Beurteilern dieser Schrift wurde gleich nach ihrem Erscheinen
gesagt, daß sie nicht ein Bild von Goethes
«Weltanschauung», sondern nur von seiner
«Naturanschauung» gebe. Ich bin nicht der Ansicht,
daß dieses Urteil von einem berechtigten Gesichtspunkte
aus gefällt ist, wenn auch, äußerlich
betrachtet, in dem Buche fast ausschließlich von Goethes
Naturideen die Rede ist. Denn ich glaube im Verlaufe meiner
Ausführungen gezeigt zu haben, daß diese Naturideen
auf einer ganz bestimmten Art, die Welterscheinungen anzusehen,
beruhen. Und ich meine, durch die Schrift selbst, angedeutet zu
haben, daß das Einnehmen eines Gesichtspunktes
gegenüber den Naturerscheinungen, wie ihn Goethe gehabt
hat, zu bestimmten Ansichten, über psychologische,
historische und weitergehende Weltenerscheinungen führen
kann. Was sich in Goethes Naturanschauung auf einem bestimmten
Gebiete aus spricht, ist eben eine Weltanschauung, nicht eine
bloße Naturanschauung, die auch eine Persönlichkeit
haben könnte, deren Gedanken für ein weiteres
Weltbild keine Bedeutung haben. Andrerseits aber glaubte ich in
diesem Buche nichts anderes darstellen zu sollen, als was sich
in unmittelbarem Anschlusse an das Gebiet sagen läßt,
das Goethe selbst aus dem Gesamtumfange seiner Weltanschauung
herausgearbeitet hat. Das Weltbild zu zeichnen, das sich in
Goethes Dichtungen, in seinen kunstgeschichtlichen Ideen usw.
offenbart, ist selbstverständlich durchaus möglich
und zweifellos von dem allerhöchsten Interesse. Wer die
Haltung der vorliegenden Schrift ins Auge faßt, wird in
derselben ein solches Weltbild aber nicht suchen. Ein
solcher wird erkennen, daß ich mir zur Aufgabe gemacht
habe, denjenigen Teil des Goetheschen Weltbildes
nachzuzeichnen, für den in seinen eigenen Schriften
Ausführungen vorhanden sind, deren eine aus der anderen
lückenlos hervorgeht. Ich habe ja auch an den
verschiedensten Stellen angedeutet, wo die Punkte liegen, an
denen Goethe steckengeblieben ist in dieser lückenlosen
Herausarbeitung seines Weltbildes, die ihm für gewisse
Naturgebiete gelungen ist. Goethes Ansichten über die Welt
und das Leben offenbaren sich in weitestem Umfange. Das
Hervorgehen dieser Ansichten aus seiner ihm ureigenen
Weltanschauung ist aber aus seinen Werken über das Gebiet
der Naturerscheinungen hinaus nicht in der gleichen Art
anschaulich wie auf diesem Gebiete. Auf anderen Gebieten wird
anschaulich, was Goethes Seele der Welt zu offenbaren hatte;
auf dem Gebiete seiner Naturideen wird ersichtlich, wie der
Grundzug seines Geistes eine Weltanschauung bis zu einer
gewissen Grenze Schritt für Schritt sich erobert. Gerade
dadurch, daß man in der Zeichnung von Goethes
Gedankenarbeit einmal nicht weiter geht als in der
Ausführung desjenigen liegt, was sich in ihm selbst zu
einem gedanklich geschlossenen Stück Weltanschauung
herausgebildet hat, wird man ein Licht gewinnen für die
besondere Färbung dessen, was sich sonst in seinem
Lebenswerk offenbart. Deshalb wollte ich nicht das Weltbild
malen, das aus Goethes Lebenswerk im Ganzen spricht, sondern
denjenigen Teil, der bei ihm selbst in der Form zu Tage tritt,
in der man eine Weltanschauung gedanklich zum Ausdrucke bringt.
Aus einer noch so großen Persönlichkeit
hervorquellende Anschauungen sind noch nicht Teile eines in
sich geschlossenen und von der Persönlichkeit selbst
zusammenhängend gedachten Weltanschauungsbildes. Aber
Goethes Naturideen sind ein solches in sich geschlossenes
Stück eines Weltanschauungsbildes. Und sie sind als
Beleuchtung von Naturerscheinungen nicht eine bloße
Naturansicht, sondern das Glied einer
Weltanschauung.
*
Daß man mir auch angesichts dieses Buches vorgeworfen hat,
meine Anschauungen haben sich seit dem Erscheinen desselben
geändert, wundert mich nicht, da ich nicht unbekannt bin
mit den Voraussetzungen, von denen man sich bei solchen
Urteilen leiten läßt. Ich habe mich in der Vorrede
zum ersten Bande meiner «Rätsel der Philosophie»
und in einem Aufsatze in der Zeitschrift «Das
Reich»(«Die Geisteswissenschaft als Anthroposophie
und die zeitgenössische Erkenntnistheorie», 2.
Jahrgang, 2. Buch des «Reiches») über dieses
Suchen nach Widersprüchen in meinen Schriften
ausgesprochen. Ein solches Suchen ist nur bei Beurteilern
möglich, die völlig verkennen, wie gerade meine
Weltanschauung sich verhalten muß, wenn sie
verschiedene Gebiete des Lebens ins Auge fassen will. Ich will
hier nicht im allgemeinen auf diese Frage noch einmal eingehen,
sondern nur kurz einiges mit Bezug auf dieses Goethebuch
bemerken. Ich selber sehe in der anthroposophisch orientierten
Geisteswissenschaft, die ich in meinen Schriften seit 16 Jahren
zur Darstellung bringe, diejenige Erkenntnisart für den
dem Menschen zugänglichen geistigen Weltgehalt, zu welcher
derjenige kommen muß, der die Goetheschen Naturideen als
etwas ihm Gemäßes in seiner Seele belebt hat und von
da ausgehend zu Erkennmiserlebnissen über das Geistgebiet
der Welt strebt. Ich bin der Ansicht, daß diese
Geisteswissenschaft eine Naturwissenschaft voraussetzt, die der
Goetheschen entspricht. Nicht so nur meine ich das, daß
die von mir zur Darstellung gebrachte Geisteswissenschaft
dieser Naturwissenschaft nicht widerspricht. Denn ich
weiß, daß es wenig besagen will, wenn zwischen
verschiedenen Behauptungen nur kein logischer
Widerspruch ist. Sie könnten deshalb doch in der
Wirklichkeit durchaus unverträglich sein. Sondern ich
glaube einzusehen, daß Goethes Ideen über das
Naturgebiet, wirklich erlebt, zu den von mir dargelegten
anthroposophischen Erkenntnissen notwendig führen
müssen, wenn man, was Goethe noch nicht getan hat, die
Erlebnisse im Naturgebiet überleitet zu Erlebnissen im
Geistgebiet. Wie diese letzteren Erlebnisse geartet sind, das
findet man in meinen geisteswissenschaftlichen Werken
beschrieben. Aus diesem Grunde findet man den wesentlichen
Inhalt des vorliegenden Buches, das ich 1897 zum ersten Male
veröffentlicht habe, als meine Wiedergabe der Goetheschen
Weltanschauung auch jetzt, nach der Veröffentlichung
meiner geisteswissenschaftlichen Schriften, wieder abgedruckt.
Alle darin dargestellten Gedanken gelten mir unverändert
auch heute. Ich habe nur an einzelnen Stellen Änderungen
angebracht, die sich nicht auf die Haltung der Gedanken,
sondern nur auf Stilisierung einzelner Ausführungen
erstrecken. Und daß man, nach zwanzig Jahren, bei einem
Buche da oder dort einiges anders zu stilisieren wünscht,
kann am Ende begreiflich erscheinen. Was sonst in der
Neuauflage anders ist als in der vorigen sind einige
Erweiterungen, nicht Änderungen des Inhalts. Ich bin der
Meinung, daß wer einen naturwissenschaftlichen Unterbau
für die Geisteswissenschaft sucht, ihn durch Goethes
Weltanschauung finden kann. Deshalb scheint mir, daß eine
Schrift über Goethes Weltanschauung auch dem von Bedeutung
sein kann, der sich mit der anthroposophisch orientierten
Geisteswissenschaft beschäftigen will. Meine Schrift ist
aber so gehalten, daß sie Goethes Weltanschauung ganz
für sich, ohne Bezug zur eigentlichen
Geisteswissenschaft, betrachten will. (Einiges von dem, was
von besonderem geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte
über Goethe zu sagen ist, wird man in meiner Schrift
über «Goethes Faust und das Märchen von der
grünen Schlange» finden.)
*
Nachträgliche Anmerkung:
Ein
Kritiker dieses meines Goethebuches (in den Kantstudien III,
1898) hat geglaubt, einen besonderen Fund in bezug auf meine
«Widersprüche» zu machen, indem er, was ich in
diesem Buche über den Platonismus sage (in der ersten
Auflage 1897) zusammenstellt mit einem Ausspruche, dem ich fast
ganz zur selben Zeit in meiner Einleitung zum 4. Band von
Goethes naturwissenschaftlichen Schriften (Kürschnersche
Ausgabe) getan habe: «Die Philosophie Platos ist eines der
erhabensten Gedankengebäude, die je aus dem Geiste der
Menschheit entsprungen sind. Es gehört zu den traurigsten
Zeichen unserer Zeit, daß platonische Anschauungsweise in
der Philosophie geradezu für das Gegenteil von gesunder
Vernunft gilt.» Es wird gewissen Geistern eben schwer
begreiflich, daß ein jeglich Ding von verschiedenen Seiten
betrachtet, verschieden sich darstellt. Daß meine
verschiedenen Aussprüche über den Platonismus keinen
wirklichen Widerspruch darstellen, wird derjenige leicht
einsehen, der nicht an die bloßen Wortklänge sich
hält, sondern auf die verschiedenen Beziehungen eingeht,
in die ich das eine und das andere Mal den Platonismus, durch
seine eigene Wesenheit, bringen mußte. Es ist einerseits
ein trauriges Zeichen, wenn man den Platonismus als der
gesunden Vernunft widerstrebend ansieht, weil man dieser nur
gemäß findet das Stehenbleiben bei der bloßen
Sinnesanschauung als der einzigen Wirklichkeit. Und es ist auch
einer gesunden Anschauung von Idee und Sinneswelt
widerstrebend, wenn man den Platonismus so wendet, daß
durch ihn eine ungesunde Trennung von Idee und Sinnesanschauung
bewirkt wird. Wer auf eine solche Art gedanklicher
Durchdringung der Erscheinungen des Lebens nicht eingehen kann,
der bleibt, mit dem, was er begreift, immer außerhalb der
Wirklichkeit stehen. Wer - um mit Goethe zu reden - einen
Begriff hinpfahlt, um einen reichen Lebensinhalt zu begrenzen,
der hat keinen Sinn dafür, daß sich das Leben in
Beziehungen ausgestaltet, die nach den verschiedenen Richtungen
hin verschieden wirken. Es ist allerdings bequemer, an die
Stelle einer Ansicht des vollen Lebens einen schematischen
Begriff zu setzen; man kann mit solchen Begriffen eben leicht
schematisch urteilen. Man lebt aber durch einen solchen Vorgang
in wesenlosen Abstraktionen. Die menschlichen Begriffe werden
gerade dadurch zu solchen Abstraktionen, daß man meint,
man könne sie im Verstande so behandeln, wie die Dinge
einander behandeln. Aber diese Begriffe gleichen vielmehr
Bildern, die man von verschiedenen Seiten her von einem Dinge
aufnimmt. Das Ding ist eines; der Bilder sind viele. Und nicht
die Einstellung auf ein Bild, sondern das
Zusammenschauen mehrerer Bilder führt zu einer Anschauung
des Dinges. Da ich nun leider sehen mußte, wie viel
Neigung bei manchen Beurteilern vorhanden ist, aus einer
solchen, nach Durchdringung mit der Wirklichkeit strebenden
Betrachten einer Erscheinung unter verschiedenen
Gesichtspunkten «Widersprüche» zu konstruieren,
so fühlte ich mich veranlaßt, in dieser Neuauflage
bei den Ausführungen über den Platonismus erstens
durch eine etwas veränderte Stilisierung der in der ersten
Auflage gegebenen Darstellung dasjenige noch besonders deutlich
zu machen, was mir vor zwanzig Jahren wahrlich klar genug aus
dem Zusammenhange, in dem er steht, zu sein schien; zweitens
durch unmittelbares Setzen des Ausspruches aus meiner andern
Schrift neben das, was in diesem Buche gesagt ist, zu
zeigen, wie die beiden Aussprüche in vollem Einklang
miteinander stehen. Wer nun aber doch den Geschmack hat, in
solchen Dingen Widersprüche zu finden, dem habe ich
dadurch die Mühe erspart, sie erst aus zwei Büchern
zusammensuchen zu müssen.
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