Agrippa von Nettesheim und
Theophrastus Paracelsus
Den Weg, auf welchen
die Vorstellungsweise des Nicolaus von Kues hinweist,
sind Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim
(1487-1535) und Theophrastus Paracelsus
(1493-1541) gewandelt. Sie vertiefen sich in die Natur
und suchen deren Gesetze mit allen Mitteln, die ihnen
ihre Zeitepoche darbietet, zu erforschen, und zwar so
allseitig wie möglich. In diesem Naturwissen sehen
sie zugleich die wahre Grundlage für alle
höhere Erkenntnis. Diese suchen sie aus der
Naturwissenschaft heraus selbst zu entwickeln, indem sie
diese im Geiste wiedergeboren werden lassen.
Agrippa von Nettesheim führte ein
wechselreiches Leben. Er stammt aus einem vornehmen
Geschlecht und ist in Köln geboren. Er studierte
frühzeitig Medizin und Rechtswissenschaft und suchte
sich über die Naturvorgänge in der Art
aufzuklären, wie es damals üblich war innerhalb
gewisser Kreise und Gesellschaften, oder auch bei
einzelnen Forschern, die, was ihnen an Naturkenntnis
aufging, sorgfältig geheim hielten. Er ging zu
solchen Zwecken wiederholt nach Paris, nach Italien und
England, und besuchte auch den berühmten Abt Trithem
von Sponheim in Würzburg. Er lehrte zu verschiedenen
Zeiten in wissenschaftlichen Anstalten und trat da und
dort in die Dienste von Reichen und Vornehmen, denen er
seine staatsmännischen und naturwissenschaftlichen
Geschicklichkeiten zur Verfügung stellte. Wenn von
seinen Biographen die Dienste, die er geleistet hat, als
nicht immer einwandfrei geschildert werden, wenn gesagt
wird, daß er unter dem Vorgeben, geheime Künste
zu verstehen und durch sie den Menschen Vorteile zu
verschaffen, sich Geld erworben habe, so steht dem sein
unverkennbarer, rastloser Trieb gegenüber, sich das
gesamte Wissen seiner Zeit in ehrlicher Weise anzueignen
und dieses Wissen im Sinne einer höheren
Welterkenntnis zu vertiefen. Deutlich tritt bei ihm das
Bestreben zutage, eine klare Stellung zur
Naturwissenschaft auf der einen Seite, zur höheren
Erkenntnis auf der anderen Seite zu gewinnen. Zu einer
solchen Stellung gelangt nur, wer Einsicht darin hat, auf
welchen Wegen man zu der einen und zur anderen Erkenntnis
gelangt. So wahr es ist, daß die Naturwissenschaft
zuletzt in die Region des Geistes heraufgehoben werden
muß, wenn sie in höhere Erkenntnis
übergehen soll, so wahr ist es auch, daß sie
zunächst auf dem ihr eigentümlichen Felde
bleiben muß, wenn sie die rechte Grundlage für
eine höhere Stufe abgeben soll. Der «Geist in
der Natur» ist nur für den Geist da. So
gewiß die Natur in diesem Sinne geistig ist, so
gewiß ist nichts in der Natur unmittelbar geistig,
was von körperlichen Organen wahrgenommen wird. Es
gibt nichts Geistiges, das meinem Auge als Geistiges
erscheinen kann. Ich darf den Geist als solchen
nicht in der Natur suchen. Das tue ich, wenn ich
einen Vorgang der äußeren Welt unmittelbar
geistig deute, wenn ich z.B. der Pflanze eine Seele
zuschreibe, die nur entfernt analog der Menschenseele
sein soll. Das tue ich ferner auch, wenn ich dem Geist
oder der Seele selbst ein räumliches oder zeitliches
Dasein zuschreibe, wenn ich z.B. von der ewigen
Menschenseele sage, daß sie ohne den Körper,
aber doch nach Art eines Körpers, statt als reiner
Geist, in der Zeit fortlebe. Oder wenn ich gar glaube,
daß in irgendwelchen sinnlich-wahrnehmbaren
Veranstaltungen der Geist eines Verstorbenen sich zeigen
könne. Der Spiritismus, der diesen Fehler begeht,
zeigt damit nur, daß er bis zur wahrhaften
Vorstellung des Geistes nicht vorgedrungen ist, sondern
in einem Grobsinnlichen unmittelbar den Geist anschauen
will. Er verkennt sowohl das Wesen des Sinnlichen wie
dasjenige des Geistes. Er entgeistet das gewöhnliche
Sinnliche, das Stunde für Stunde sich vor unseren
Augen abspielt, um ein Seltenes, Überraschendes,
Ungewöhnliches unmittelbar als Geist anzusprechen.
Er begreift nicht, daß, was als «Geist in der
Natur» lebt, sich z.B. beim Stoß zweier
elastischer Kugeln für denjenigen, der Geist zu
sehen vermag, enthüllt; und nicht erst bei
Vorgängen, die durch ihre Seltenheit frappieren und
die in ihrem natürlichen Zusammenhange nicht sofort
überschaubar sind. Der Spiritist zieht aber auch den
Geist in eine niedere Sphäre herab. Statt etwas, das
im Raume vorgeht und das er mit den Sinnen wahrnimmt,
auch durch Kräfte und Wesen zu erklären, die
nur wieder räumlich und sinnlich wahrnehmbar sind,
greift er zu «Geistern», die er somit
völlig gleichsetzt mit dem Sinnlich-Wahrnehmbaren.
Es liegt einer solchen Vorstellungsart ein Mangel an
geistigem Auffassungsvermögen zugrunde. Man ist
nicht imstande, Geistiges auf geistige Art anzuschauen;
deshalb befriedigt man sein Bedürfnis nach dem
Vorhandensein des Geistes mit bloßen Sinnenwesen.
Der Geist zeigt solchen Menschen keinen Geist; deshalb
suchen sie ihn mit den Sinnen. Wie sie Wolken durch die
Luft fliegen sehen, möchten sie auch Geister
dahineilen sehen.
Agrippa von Nettesheim kämpft für
eine echte Naturwissenschaft, welche die Erscheinungen
der Natur nicht durch Geisteswesen, die in der Sinneswelt
spuken, erklären will, sondern welche in der Natur
nur Natürliches, im Geiste nur Geistiges
sehen will. - Man wird natürlich Agrippa völlig
mißverstehen, wenn man seine
Naturwissenschaft mit derjenigen späterer
Jahrhunderte vergleicht, die über ganz andere
Erfahrungen verfügt. Bei solcher Vergleichung
könnte leicht scheinen, daß er noch durchaus
auf unmittelbare Geisterwirkungen bezieht, was nur auf
natürlichen Zusammenhängen oder auf falscher
Erfahrung beruht. Ein solches Unrecht fügt Moritz
Carriere ihm zu, wenn er - allerdings nicht im
übelwollenden Sinne - sagt: «Agrippa gibt ein
großes Register der Dinge, welche der Sonne, dem
Mond, den Planeten oder Fixsternen zugehören und
Einflüsse von ihnen empfangen; z.B. der Sonne
verwandt ist das Feuer, das Blut, der Lorbeer, das Gold,
der Chrysolit; sie verleihen die Gabe der Sonne: Mut,
Heiterkeit, Licht... Die Tiere haben einen Natursinn, der
erhabener als der menschliche Verstand sich dem Geiste
der Weissagung nähert... Es können Menschen zu
Lieb' und Haß, zu Krankheit und Gesundheit gebunden
werden. So bindet man Diebe, daß sie irgendwo nicht
stehlen, Kaufleute, daß sie nicht handeln, Schiffe,
Mühlen, daß sie nicht gehen, Blitze daß
sie nicht treffen können. Es geschieht durch
Tränke, Salben, Bilder, Ringe, Bezauberungen; das
Blut von Hyänen oder Basilisken eignet sich zu
solchem Gebrauch - es gemahnt an Shakespeares
Hexenkessel.» Nein, es gemahnt nicht daran,
wenn man Agrippa richtig versteht. Er glaubte
selbstverständlich an Tatsachen, die man in seiner
Zeit nicht bezweifeln zu können glaubte. Aber das
tun wir auch heute noch gegenüber dem, was
gegenwärtig als «tatsächlich» gilt.
Oder meint man, künftige Jahrhunderte werden nicht
auch manches von dem, was wir als unzweifelhafte Tatsache
hinstellen, in die Rumpelkammer des «blinden»
Aberglaubens werfen? Ich bin allerdings überzeugt,
daß im menschlichen Tatsachenwissen ein wirklicher
Fortschritt stattfindet. Als die «Tatsache»,
daß die Erde rund ist, einmal entdeckt war, waren
alle früheren Vermutungen ins Gebiet des
«Aberglaubens» verwiesen. So ist es mit
gewissen Wahrheiten der Astronomie, der Wissenschaft vom
Leben u. a. Die natürliche Abstammungslehre ist
gegenüber allen früheren
«Schöpfungshypothesen» ein Fortschritt wie
die Erkenntnis, daß die Erde rund ist,
gegenüber allen vorhergehenden Vermutungen über
deren Gestalt. Dennoch aber bin ich mir klar
darüber, daß in unseren gelehrten
naturwissenschaftlichen Werken und Abhandlungen manche
«Tatsache» steckt, die künftigen
Jahrhunderten ebensowenig als Tatsache erscheinen wird,
wie uns heute manches, was Agrippa und Paracelsus
behaupten. Nicht darauf kommt es an, was sie als
«Tatsache» ansahen, sondern darauf, in welchem
Geiste sie diese Tatsachen deuteten. - Zu Agrippas Zeiten
fand man allerdings mit der von ihm vertretenen
«natürlichen Magie», die in der Natur
Natürliches - und Geistiges nur im Geiste - suchte,
wenig Verständnis; die Menschen hingen an der
«übernatürlichen Magie», die im
Reiche des Sinnlichen das Geistige suchte, und die
Agrippa bekämpfte. Deshalb durfte der Abt Trithem
von Sponheim ihm den Rat geben, seine Anschauungen als
Geheimlehre nur wenigen Auserlesenen mitzuteilen, die
sich zu einer ähnlichen Idee über Natur und
Geist aufschwingen können, weil man «auch den
Ochsen nur Heu und nicht Zucker wie den Singvögeln
gebe». Diesem Abt hat Agrippa vielleicht selbst den
richtigen Gesichtspunkt zu danken. Trithemius hat in
seiner «Steganographie» ein Werk geschrieben,
in dem er mit der verstecktesten Ironie die
Vorstellungsart behandelte, welche die Natur mit dem
Geiste verwechselt. Er redet in dem Buche scheinbar von
lauter übernatürlichen Vorgängen. Wer es
liest, so wie es ist, muß glauben, daß der
Verfasser von Geisterbeschwörungen, Fliegen von
Geistern durch die Luft usw. rede. Läßt man
aber gewisse Worte und Buchstaben des Textes unter den
Tisch fallen, so bleiben - wie Wolfgang Ernst Heidel im
Jahre 1676 nachgewiesen hat - Buchstaben übrig, die,
zu Worten zusammengesetzt, rein natürliche
Vorgänge darstellen. (Man muß in einem Falle
z.B. in einer Beschwörungsformel das erste und
letzte Wort ganz weglassen, dann von den übrigen das
zweite, vierte, sechste usw. streichen. In den
übriggebliebenen Worten muß man wieder den
ersten, dritten, fünften usw. Buchstaben streichen.
Was dann übrig bleibt, setzt man zu Worten zusammen;
und die Beschwörungsformel verwandelt sich in eine
rein natürliche Mitteilung.)
Wie schwer es Agrippa geworden ist, sich selbst
aus den Vorurteilen seiner Zeit herauszuarbeiten und zu
einer reinen Anschauung emporzuheben, davon liefert den
Beweis, daß er seine bereits 1510 verfaßte
«Geheime Philosophie» philosophia occulta)
nicht vor dem Jahre 1531 erscheinen ließ, weil er
sie für unreif hielt. Ferner zeugt davon seine
Schrift «Über die Eitelkeit der
Wissenschaften» (De vanitate scientiarum), in der er
mit Bitterkeit über das wissenschaftliche und
sonstige Treiben seiner Zeit redet. Er spricht da ganz
deutlich aus, daß er nur schwer sich losgerungen hat
von dem Wahn derjenigen, welche in äußerlichen
Verrichtungen unmittelbare geistige Vorgänge, in
äußerlichen Tatsachen prophetische Hindeutungen
auf die Zukunft usw. erblicken. Agrippa schreitet in drei
Stufen zum höheren Erkennen fort. Er behandelt als
erste Stufe die Welt, wie sie mit ihren Stoffen, ihren
physikalischen, chemischen und anderen Kräften den
Sinnen gegeben ist. Er nennt die Natur, insofern sie auf
dieser Stufe betrachtet wird, die elementarische. Auf der
zweiten Stufe betrachtet man die Welt als Ganzes in ihrem
natürlichen Zusammenhang, wie sie ihre Dinge nach
Maß, Zahl, Gewicht, Harmonie usw. ordnet. Die erste
Stufe reiht das nächste an das nächste. Sie
sucht die im unmittelbaren Umkreis eines Vorganges
liegenden Veranlassungen desselben. Die zweite Stufe
betrachtet einen einzelnen Vorgang im Zusammenhange mit
dem ganzen Weltall. Sie führt den Gedanken aus,
daß jedes Ding unter dem Einfluß aller
übrigen Dinge des Weltganzen steht. Vor ihr
erscheint dieses Weltganze als eine große Harmonie,
in der jedes Einzelne ein Glied ist. Die Welt, unter
diesem Gesichtspunkte betrachtet, bezeichnet Agrippa als
astrale oder himmlische. Die dritte Stufe des Erkennens
ist diejenige, wo der Geist durch die Vertiefung in sich
selbst das Geistige, das Urwesen der Welt unmittelbar
anschaut. Agrippa spricht da von der geistig-seelischen
Welt.
Die Ansichten, die Agrippa über die Welt
und das Verhältnis des Menschen zu ihr entwickelt,
treten uns bei Theophrastus Paracelsus in
ähnlicher, nur in vollkommenerer Art entgegen. Man
betrachtet sie daher besser bei diesem.
Paracelsus kennzeichnet sich selbst,
indem er unter sein Bildnis schreibt: «Eines Andern
Knecht soll niemand sein, der für sich selbst kann
bleiben allein.» Seine ganze Stellung zur Erkenntnis
ist in diesen Worten gegeben. Er will überall auf
die Grundlagen des Naturwissens selbst zurückgehen,
um durch eigene Kraft zu den höchsten Regionen der
Erkenntnis emporzusteigen. Er will als Arzt nicht, wie
seine Zeitgenossen, einfach das annehmen, was die damals
als Autoritäten geltenden alten Forscher, z. B.
Galen oder Avicenna, vor Zeiten behauptet haben; er will
selbst unmittelbar im Buche der Natur lesen.
«Der Arzt muß durch der Natur Examen gehen,
welche die Welt ist; und all ihr Anfang. Und das selbige,
was ihm die Natur lehrt, das muß er seiner Weisheit
befehlen, aber nichts in seiner Weisheit suchen, sondern
allein im Licht der Natur.» Er scheut vor nichts
zurück, um die Natur und ihre Wirkungen nach allen
Seiten kennenzulernen. Er macht zu diesem Zwecke Reisen
nach Schweden, Ungarn, Spanien, Portugal und in den
Orient. Er darf von sich sagen: «Ich bin der Kunst
nachgegangen mit Gefahr meines Lebens und habe mich nicht
geschämt, von Landfahrern, Nachrichtern und Scherern
zu lernen. Meine Lehre ward probiert schärfer denn
das Silber in Armut, Ängsten, Kriegen und
Nöten.» Was von alten Autoritäten
überliefert ist, hat für ihn keinen Wert; denn
er glaubt nur zu der rechten Anschauung zu kommen, wenn
er den Aufstieg von dem Naturwissen zu der höchsten
Erkenntnis selbst erlebt. Dieses Selbsterleben legt ihm
den stolzen Ausspruch in den Mund: «Wer der Wahrheit
nach will, der muß in meine Monarchei... Mir nach;
ich nicht euch, Avicenna, Rhases, Galen, Mesur! Mir nach
und ich nicht euch, ihr von Paris, ihr von Montpellier,
ihr von Schwaben, ihr von Meißen, ihr von Köln,
ihr von Wien, und was an der Donau und dem Rheinstrome
liegt; ihr Inseln im Meer, du Italien, du Dalmatien, du
Athen, du Grieche, du Araber, du Israelite; mir nach und
ich nicht euch! Mein ist die Monarchei!» - Man kann
Paracelsus wegen seiner rauhen Außenseite, die
machmal hinter Scherz tiefen Ernst verbirgt, leicht
verkennen. Er sagt doch selbst: «Von der Natur bin
ich nicht subtil gesponnen, auch nicht mit Feigen und
Weizenbrod, sondern mit Käs, Milch und Haberbtod
erzogen, darum bin ich wohl grob gegen die Katzenreinen
und Superfeinen; denn dieselben, die in weichen Kleidern,
und wir, die in Tannenzapfen erzogen, verstehen einander
nicht wohl. Ob ich mir selber holdselig zu sein vermeine,
muß ich also für grob gelten. Wie kann ich
nicht seltsam sein dem, der nie in der Sonne gewandert
hat?»
Goethe hat das Verhältnis des
Menschen zur Natur (in seinem Buche über
Winckelmann) mit den schönen Sätzen
geschildert: «Wenn die gesunde Natur des Menschen
als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in
einem großen, schönen, würdigen und werten
Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein
reines, freies Entzücken gewährt: dann
würde das Weltall, wenn es sich selbst
empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt,
aufjauchzen, und den Gipfel des eigenen Werdens und
Wesens bewundern.» Von einer Empfindung, wie
sie sich in solchen Sätzen ausspricht, ist
Paracelsus tief durchdrungen. Aus dieser Empfindung
heraus gestaltet sich für ihn das Rätsel des
Menschen. Sehen wir zu, wie das, im Sinne des Paracelsus,
geschieht. Verhüllt ist dem menschlichen
Fassungsvermögen zunächst der Weg, den die
Natur gegangen ist, um ihren Gipfel hervorzubringen. Sie
hat diesen Gipfel erstiegen; aber dieser Gipfel sagt
nicht: ich fühle mich als die ganze Natur; dieser
Gipfel sagt: ich fühle mich als dieser einzelne
Mensch. Was in Wirklichkeit eine Tat der ganzen Welt ist,
das fühlt sich als einzelnes, einsames, für
sich stehendes Wesen. Ja, das ist gerade das wahre Wesen
des Menschen, daß er sich als etwas anderes
fühlen muß, als er letzten Endes ist. Und wenn
dies ein Widerspruch ist, so darf der Mensch ein lebendig
gewordener Widerspruch genannt werden. Der Mensch ist die
Welt auf seine eigene Art. Er sieht seinen Einklang mit
der Welt als eine Zweiheit an. Er ist dasselbe, was die
Welt ist; aber er ist es als Wiederholung, als einzelnes
Wesen. Das ist der Gegensatz, den Paracelsus als
Mikrokosmos (Mensch) und Makrokosmos (Weltall) empfindet.
Der Mensch ist ihm die Welt im Kleinen. Was den Menschen
sein Verhältnis zur Welt so ansehen läßt,
das ist sein Geist. Dieser Geist erscheint an ein
einzelnes Wesen, an einen einzelnen Organismus gebunden.
Dieser Organismus gehört, seinem ganzen Wesen nach,
dem großen Strom des Weltalls an. Er ist ein Glied
in demselben, das nur im Zusammenhange mit allen anderen
seinen Bestand hat. Der Geist aber erscheint als ein
Ergebnis dieses einzelnen Organismus. Er sieht sich
zunächst nur mit diesem Organismus verbunden. Er
reißt diesen Organismus aus dem Mutterboden los, dem
er entwachsen ist. So liegt für Paracelsus ein
tiefer Zusammenhang zwischen dem Menschen und dem ganzen
Weltall in der Naturgrundlage des Seins verborgen, der
sich durch das Dasein des Geistes verbirgt. Der Geist,
der uns zur höheren Erkenntnis flihrt, indem er uns
das Wissen vermittelt, und dieses Wissen auf höherer
Stufe wieder geboren werden läßt, hat für
uns Menschen zunächst die Folge, daß er uns
unseren eigenen Zusammenhang mit dem All verhüllt.
So löst sich für Paracelsus die menschliche
Natur zunächst in drei Glieder auseinander: in
unsere sinnlich-körperliche Natur, unseren
Organismus, der uns als ein Naturwesen unter anderen
Naturwesen erscheint und genau so ist, wie alle anderen
Naturwesen; in unsere verhüllte Natur, die ein Glied
in der Kette der ganzen Welt ist, die also nicht
innerhalb unseres Organismus beschlossen ist, sondern die
Kraftwirkungen aussendet und empfängt von dem ganzen
Weltall; und in die höchste Natur: unseren Geist,
der nur auf geistige Art sich auslebt. Das erste Glied
der menschlichen Natur nennt Paracelsus den
Elementarleib; das zweite den
ätherisch-himmlischen oder astralischen
Leib, das dritte Glied nennt er Seele. - In
den «astralischen» Erscheinungen sieht also
Paracelsus eine Zwischenstufe zwischen den rein
körperlichen und den eigentlichen
Seelenerscheinungen. Sie werden also dann sichtbar
werden, wenn der Geist, welcher die Naturgrundlage
unseres Seins verhüllt, seine Tätigkeit
einstellt. Die einfachste Erscheinung dieses Gebietes
haben wir in der Traumwelt vor uns. Die Bilder, die uns
im Traume umgaukeln, mit ihrem merkwürdigen
sinnvollen Zusammenhange mit Vorgängen in unserer
Umgebung und mit Zuständen unseres eigenen Innern,
sind Erzeugnisse unserer Naturgrundlage, die durch das
hellere Licht der Seele verdunkelt werden. Wenn ein Stuhl
neben meinem Bette umfällt, und ich träume ein
ganzes Drama, das mit einem durch ein Duell verursachten
Schuß endet, oder wenn ich Herzklopfen habe, und ich
träume von einem kochenden Ofen, so kommen
Naturwirkungen zum Vorschein, sinnvoll und bedeutsam, die
ein Leben enthüllen, das zwischen den rein
organischen Funktionen und dem im hellen Bewußtsein
des Geistes vollzogenen Vorstellen liegt. An dieses
Gebiet schließen sich alle Erscheinungen an, die dem
Felde des Hypnotismus und der Suggestion angehören.
Wir können in der Suggestion eine Einwirkung von
Mensch auf Mensch sehen, die auf einen durch die
höhere Geistestätigkeit verhüllten
Zusammenhang der Wesen in der Natur deutet. Von hier aus
eröffnet sich die Möglichkeit das zu verstehen,
was Paracelsus als «astralischen» Leib deutet.
Er ist die Summe von Naturwirkungen, unter deren
Einfluß wir stehen oder durch besondere
Umstände stehen können; die von uns ausgehen,
ohne daß unsere Seele dabei in Betracht kommt; und
die doch nicht unter den Begriff rein physikalischer
Erscheinungen fallen. Daß Paracelsus auf diesem
Felde Tatsachen aufzählt, die wir heute bezweifeln,
das kommt von einem Gesichtspunkte aus, den ich oben
bereits angeführt habe (vgl. S. 103f.), nicht in
Betracht. - Auf Grund solcher Anschauungen von der
menschlichen Natur sonderte Paracelsus diese in sieben
Glieder. Es sind dieselben, welche wir auch in der
Weisheit der alten Ägypter, bei den Neuplatonikern
und in der Kabbala antreffen. Der Mensch ist
zunächst ein physikalisch-körperliches Wesen,
also denselben Gesetzen unterworfen, denen jeder
Körper unterworfen ist. Er ist also, in dieser
Hinsicht, ein rein elementarischer Leib. Die
rein körperlich-physikalischen Gesetze gliedern sich
zum organischen Lebensprozeß. Paracelsus
bezeichnet die organische Gesetzmäßigkeit als
«Archaeus» oder «Spiritus vitae»; das
Organische erhebt sich zu geistähnlichen
Erscheinungen, die noch nicht Geist sind. Es sind dies
die «astralischen» Erscheinungen. Aus
den «astralischen» Vorgängen tauchen die
Funktionen des «tierischen Geistes»
auf. Der Mensch ist Sinnenwesen. Er verbindet
sinngemäß die sinnlichen Eindrücke durch
seinen Verstand. Es belebt sich also in ihm die
«Verstandesseele». Er vertieft sich in
seine eigenen geistigen Erzeugnisse, er lernt den Geist
als Geist erkennen. Er hat sich somit bis zur Stufe der
«Geistseele» erhoben. Zuletzt erkennt
er, daß er in dieser Geistseele den tiefsten
Untergrund des Weltdaseins erlebt; die Geistseele
hört auf, eine individuelle, einzelne zu sein. Es
tritt die Erkenntnis ein, von der Eckhart sprach, als er
nicht mehr sich in sich, sondern das Urwesen in
sich sprechen fühlte. Es ist der Zustand
eingetreten, in dem der Allgeist im Menschen sich selbst
anschaut. Paracelsus hat das Gefühl dieses Zustandes
in die einfachen Worte geprägt: «Und das ist
ein Großes, das ihr bedenken sollt: nichts ist im
Himmel und auf Erden, das nicht sei im Menschen. Und
Gott, der im Himmel ist, der ist im
Menschen.» - Nichts anderes will Paracelsus mit
diesen sieben Grundteilen der menschlichen Natur zum
Ausdruck bringen als Tatsachen des äußeren und
inneren Erlebens. Daß in höherer Wirklichkeit
eine Einheit ist, was sich für die menschliche
Erfahrung als Vielheit von sieben Gliedern
auseinanderlegt, das bleibt dadurch unangefochten. Aber
gerade dazu ist die höhere Erkenntnis da: die
Einheit in allem aufzuzeigen, was dem Menschen wegen
seiner körperlichen und geistigen Organisation im
unmittelbaren Erleben als Vielheit erscheint. Auf der
Stufe der höchsten Erkenntnis strebt Paracelsus
durchaus darnach, das einheitliche Urwesen der Welt
lebendig mit seinem Geiste zu verschmelzen. Er weiß
aber, daß der Mensch die Natur in ihrer Geistigkeit
nur erkennen kann, wenn er mit ihr in unmittelbaren
Verkehr tritt. Nicht dadurch begreift der Mensch die
Natur, daß er sie von sich aus mit willkürlich
angenommenen geistigen Wesenheiten bevölkert,
sondern dadurch, daß er sie hinnimmt und
schätzt, so wie sie als Natur ist. Paracelsus sucht
daher nicht Gott oder den Geist in der Natur;
sondern die Natur, so wie sie ihm vor Augen tritt, ist
ihm ganz unmittelbar göttlich. Muß man
denn der Pflanze erst eine Seele nach Art der
menschlichen Seele beilegen, um das Geistige zu finden?
Darum erklärt sich Paracelsus die Entwicklung der
Dinge, soweit das mit den wissenschaftlichen Mitteln
seiner Zeit möglich ist, durchaus so, daß er
diese Entwicklung als einen sinnlichen Naturprozeß
auffaßt. Er läßt alle Dinge aus der
Urmaterie, dem Urwasser (Yliaster) hervorgehen. Und er
betrachtet als einen weiteren Naturprozeß die
Scheidung der Urmaterie (die er auch den großen
Limbus nennt) in die vier Elemente: Wasser, Erde, Feuer
und Luft. Wenn er davon spricht, daß das
«göttliche Wort» aus der Urmaterie die
Vielheit der Wesen hervorrief, so ist auch das nur so zu
verstehen, wie etwa in der neueren Naturwissenschaft das
Verhältnis der Kraft zum Stoffe zu verstehen ist.
Ein «Geist» im tatsächlichen Sinne ist auf
dieser Stufe noch nicht vorhanden. Dieser
«Geist» ist kein tatsächlicher Grund des
Naturprozesses, sondern ein tatsächliches Ergebnis
dieses Prozesses. Dieser Geist schafft nicht die Natur,
sondern entwickelt sich aus ihr. Manches Wort des
Paracelsus könnte im entgegengesetzten Sinne
gedeutet werden. So wenn er sagt: «Es ist nichts
körperlich, es hätte und führete nicht
auch einen Geist in ihm verborgen und lebete. Es hat auch
nicht nur das Leben, was sich regt und bewegt,
als die Menschen, die Tiere, die Würmer der Erde,
die Vögel im Himmel, und die Fische im Wasser,
sondern auch alle körperlichen und wesentlichen
Dinge.» Aber mit solchen Aussprüchen will
Paracelsus nur vor der oberflächlichen
Naturbetrachtung warnen, welche mit ein paar
«hingepfahlten» Begriffen (nach Goethes
trefflichem Ausdruck) das Wesen eines Dinges
auszuschöpfen glaubt. Er will in die Dinge nicht ein
ausgedachtes Wesen hineinlegen, sondern alle Kräfte
des Menschen in Bewegung setzen, um das, was
tatsächlich in dem Dinge liegt, herauszuholen. - Es
kommt darauf an, sich dadurch nicht verführen zu
lassen, daß Paracelsus sich im Geiste seiner Zeit
ausdrückt. Es handelt sich vielmehr darum, zu
erkennen, welche Dinge ihm vorschweben, wenn er, auf die
Natur blickend, in den Ausdrucksformen seiner Zeit seine
Ideen ausdrückt. Er schreibt z.B. dem Menschen ein
zweifaches Fleisch, also eine zweifache körperliche
Beschaffenheit zu. «Das Fleisch muß also
verstanden werden, daß seiner zweierlei Art ist,
nämlich das Adam entstammende Fleisch und das
Fleisch, welches nicht aus Adam ist. Das Fleisch aus Adam
ist ein grobes Fleisch, denn es ist irdisch und sonst
nichts als Fleisch, das zu binden und zu fassen ist wie
Holz und Stein. Das andere Fleisch ist nicht aus Adam, es
ist ein subtiles Fleisch und nicht zu binden oder zu
fassen, denn es ist nicht aus Erde gemacht.» Was ist
das Fleisch, das aus Adam ist? Es ist alles das, was der
Mensch durch seine natürliche Entwicklung
überkommen hat, was sich also auf ihn vererbt hat.
Dazu kommt das, was sich der Mensch im Verkehr mit der
Umwelt im Lauf der Zeiten erworben hat. Die
modernen naturwissenschaftlichen Vorstellungen von
vererbten und durch Anpassung erworbenen
Eigenschaften lösen sich los aus dem
angeführten Gedanken des Paracelsus. Das
«subtilere Fleisch», das den Menschen zu seinen
geistigen Verrichtungen befähigt, ist nicht von
Anfang an in dem Menschen gewesen. Er war «grobes
Fleisch» wie das Tier, im Fleisch, das «zu
binden und zu fassen ist, wie Holz und Stein». Im
naturwissenschaftlichen Sinne ist also auch die Seele
eine erworbene Eigenschaft des «groben
Fleisches». Was der Naturforscher des neunzehnten
Jahrhunderts im Auge hat, wenn er von den Erbstücken
aus der Tierwelt spricht, das hat Paracelsus im Auge,
wenn er das Wort gebraucht, das «aus Adam stammende
Fleisch». Durch solche Ausführungen soll
natürlich durchaus nicht der Unterschied verwischt
werden, der besteht zwischen einem Naturforscher des
sechzehnten und einem solchen des neunzehnten
Jahrhunderts. Erst dieses letztere Jahrhundert war ja
imstande, im vollen wissenschaftlichen Sinne die
Erscheinungen der Lebewesen in einem solchen
Zusammenhange zu sehen, daß deren natürliche
Verwandtschaft und tatsächliche Abstammung bis
herauf zum Menschen vor Augen trat. Die Naturwissenschaft
sieht nur einen Naturprozeß, wo noch Linné im
achtzehnten Jahrhundert einen geistigen Prozeß
gesehen und mit den Worten charakterisiert hat:
«Spezies von Lebewesen zählen so viele, als
verschiedene Formen im Prinzip geschaffen worden
sind.» Während bei Linné also der Geist
noch in die räumliche Welt verlegt werden und ihm
die Aufgabe zugewiesen werden muß, die Lebensformen
geistig zu erzeugen, zu «schaffen», konnte die
Naturwissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts der Natur
geben, was der Natur ist, und dem Geiste, was des Geistes
ist. Der Natur wird selbst die Aufgabe zugewiesen, ihre
Schöpfungen zu erklären; und der Geist kann
sich dort in sich versenken, wo er allein zu finden ist,
im Innern des Menschen. - Aber, wenn Paracelsus auch im
gewissen Sinne durchaus im Sinne seiner Zeit denkt, so
hat er doch gerade in bezug auf die Idee der
Entwickelung, des Werdens, das
Verhältnis des Menschen zur Natur in tiefsinniger
Weise erfaßt. Er sah in dem Urwesen der Welt nicht
etwas, was als Abgeschlossenes irgendwie vorhanden ist,
sondern er erfaßte das Göttliche im Werden.
Dadurch konnte er dem Menschen wirklich eine
selbstschöpferische Tätigkeit zuschreiben. Ist
das göttliche Urwesen ein für allemal
vorhanden, dann kann von einem wahren Schaffen des
Menschen nicht die Rede sein. Nicht der Mensch schafft
dann, der in der Zeit lebt, sondern Gott schafft, der von
Ewigkeit ist. Aber für Paracelsus ist kein solcher
Gott von Ewigkeit. Für ihn ist nur ein ewiges
Geschehen, und der Mensch ist ein Glied in diesem ewigen
Geschehen. Was der Mensch bildet, war vorher noch in
keiner Weise da. Was der Mensch schafft, ist so wie er
schafft, eine ursprüngliche Schöpfung. Soll sie
göttlich genannt werden, so kann sie so genannt
werden nur in dem Sinne, wie sie als menschliche
Schöpfung ist. Deshalb kann Paracelsus dem Menschen
eine Rolle im Weltenbaue zuweisen, die diesen selbst zum
Mitbaumeister an dieser Schöpfung macht. Das
göttliche Urwesen ist ohne den Menschen
nicht das, was es mit dem Menschen ist. «Denn die
Natur bringt nichts an den Tag, was auf seine Statt
vollendet sei, sondern der Mensch muß es
vollenden.» Diese selbstschöpferische
Tätigkeit des Menschen am Bau der Natur nennt
Paracelsus Alchymie. «Diese Vollendung ist Alchymie.
Also ist der Alchymist der Bäcker, indem er das Brod
bäckt, der Rebmann, indem er den Wein macht, der
Weber, indem er das Tuch macht.» Paracelsus will auf
seinem Gebiet, als Arzt, Alchymist sein. «Darum so
mag ich billig in der Alchymie hie so viel schreiben, auf
daß ihr sie wohl erkennet, und erfahret, was an ihr
sei, und wie sie verstanden soll werden: nicht ein
Ärgernis nehmen daran, daß weder Gold noch
Silber dir daraus werden soll. Sondern daher betrachtet,
daß dir die Arkanen (Heilmittel) eröffnet
werden... Die dritte Säule der Medizin ist Alchymie,
denn die Bereitung der Arzneien kann ohne sie nicht
geschehen, weil die Natur ohne Kunst nicht gebraucht
werden kann.»
Im strengsten Sinne also sind die Augen des
Paracelsus auf die Natur gerichtet, um ihr selbst
abzulauschen, was sie über ihre Hervorbringungen zu
sagen hat. Die chemische Gesetzmäßigkeit will
er erforschen, um in seinem Sinne als Alchymist zu
wirken. Er denkt sich alle Körper aus drei
Grundstoffen zusammengesetzt, aus Salz, Schwefel und
Quecksilber. Was er so bezeichnet, deckt sich
natürlich nicht mit dem, was die spätere Chemie
mit diesem Namen bezeichnet; ebenso wenig wie das, was
Paracelsus als Grundstoff auffaßt, ein solcher im
Sinne der späteren Chemie ist. Verschiedene Dinge
werden zu verschiedenen Zeiten mit denselben Namen
bezeichnet. Was die Alten vier Elemente: Erde, Wasser,
Luft und Feuer nannten, haben wir noch immer. Wir nennen
diese vier «Elemente» nicht mehr
«Elemente», sondern Aggregatzustände und
haben dafür die Bezeichnungen: fest, flüssig,
gasförmig, ätherförmig. Die Erde z. B. war
den Alten nicht Erde, sondern das «Feste». Auch
die drei Grundstoffe des Paracelsus erkennen wir wohl in
gegenwärtigen Begriffen, nicht aber in den
gleichlautenden gegenwärtigen Namen wieder. Für
Paracelsus sind Auflösung in einer Flüssigkeit
und Verbrennung die beiden wichtigen chemischen Prozesse,
die er anwendet. Wird ein Körper gelöst oder
verbrannt, so zerfällt er in seine Teile. Etwas
bleibt als Rückstand; etwas löst sich oder
verbrennt. Das Rückständige ist ihm salzartig,
das Lösliche (Flüssige) quecksilberartig; das
Verbrennliche nennt er schwefelig.
Wer über solche Naturprozesse nicht
hinaussieht, den mögen sie als
materiell-nüchterne Dinge kalt lassen; wer den Geist
durchaus mit den Sinnen fassen will, der wird diese
Prozesse mit allen möglichen Seelenwesen
bevölkern. Wer aber, wie Paracelsus, sie im
Zusammenhange mit dem All zu betrachten weiß, das im
Innern des Menschen sein Geheimnis offenbar werden
läßt, der nimmt sie hin, wie sie sich den
Sinnen darbieten; er deutet sie nicht erst um; denn so,
wie die Naturvorgänge in ihrer sinnlichen
Wirklichkeit vor uns stehen, offenbaren sie auf ihre
eigene Art das Rätsel des Daseins. Was sie durch
diese ihre sinnliche Wirklichkeit aus der Seele des
Menschen heraus zu enthüllen haben, steht dem, der
nach dem Licht der höheren Erkenntnis strebt,
höher als alle übernatürlichen Wunder, die
der Mensch ersinnen, oder sich offenbaren lassen mag
über ihren angeblichen «Geist». Es gibt
keinen «Geist der Natur», der erhabenere
Wahrheiten auszusprechen vermöchte, als die
großen Werke der Natur selbst, wenn unsere Seele in
Freundschaft sich mit dieser Natur verbindet und im
vertraulichen Verkehre den Offenbarungen ihrer
Geheimnisse lauscht. Solche Freundschaft mit der Natur
suchte Paracelsus.
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