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SIEBENTER VORTRAG
ANTHROPOSOPHIE UND
SPRACHWISSENSCHAFT
Berlin, 11. März 1922
Sehr verehrte Anwesende!
Die Veranstalter dieses Hochschulkurses haben gewünscht, daß ich an
jedem Morgen durch einige Ausführungen die Betrachtungen des Tages
einleite, und so muß es denn wohl auch sein, daß ich die heutige
Tagesarbeit in einer gewissen aphoristischen Weise durch eine
Besprechung eröffne. Ich bin mir bewußt, daß dies gerade am
heutigen Tage nicht ganz leicht ist. Bei einem kurzen Kurse, den
ich einmal vor einem kleineren Kreise in Stuttgart über diejenigen
Dinge hielt, die heute zur Sprache gebracht werden sollen, war es
mir ganz besonders klar geworden, wie man wirklich viel Zeit
braucht, um diejenigen umstrittenen Dinge zu besprechen, die heute
besprochen werden sollen. So möchte ich denn nur einiges über den
Geist der Betrachtung vorausschicken, der durch Anthroposophie
gefordert ist in bezug auf die Anschauung der menschlichen
Sprache.
Wenn von der Sprache die
Rede ist, und wenn man sich das Ziel setzt, die Sprache
wissenschaftlich zu behandeln, so muß man sich darüber klar sein,
daß man es gegenüber der Sprache als Objekt einer
wissenschaftlichen Behandlung nicht so leicht hat wie zum Beispiel
gegenüber der außer dem Menschen gelegenen Natur oder auch
gegenüber der physischen Natur des Menschen. In diesen Fällen hat
man nämlich wenigstens ein für die Wahrnehmung klar umrissenes
Objekt. Gewiß, man kann dann noch darüber diskutieren, inwiefern
dem Objekt eine Wahrnehmung zugrunde liegt, oder inwiefern es bloß
als Wirkung einer unbekannten Ursache vom menschlichen
Erkenntnisvermögen erfaßt wird. Aber das sind dann Diskussionen,
die rein innerhalb des Gedanklichen verlaufen. Was der
wissenschaftlichen Betrachtung als Objekt vorliegt, ist ein
abgeschlossener Gegenstand, der eben gegeben ist.
Das ist beim Sprachlichen
durchaus nicht der Fall. Beim Sprachlichen liegt ein großer Teil
dessen, was sich entfaltet, indem der Mensch spricht, schon in den
unbewußten Regionen des menschlichen Seelenlebens. Es schlägt schon
etwas herauf aus diesen unbewußten Regionen, und was da
heraufschlägt, das wird dann verbunden mit bewußten Elementen, die
gewissermaßen wie die Oberwellen sich hinbewegen auf einem
unbewußten oder unterbewußten Strom. Und das, was augenblicklich im
Bewußtsein präsent ist, was gegenwärtig ist während wir sprechen,
das ist eigentlich nur teilweise das für die Sprache im
Wesentlichen in Betracht kommende Objekt, der eigentliche
Gegenstand. Man kann, auch wenn man innerhalb der gegenwärtigen
Sprachgewohnheiten des Menschenwesens stehen bleibt, sich schon
eine gewisse Möglichkeit aneignen, die Sprache als Objekt in das
Bewußtsein hereinzubringen, auch während man spricht. Ich möchte
Ihnen dafür in bescheidener Weise ein Beispiel anführen, das dieses
vielleicht veranschaulichen kann.
Ich habe zu Weihnachten in
Dornach am Goetheanum einen Vortragszyklus zu halten gehabt über
pädagogisch-didaktische Gegenstände. Dieser Vortragszyklus war
zunächst dadurch veranlaßt, daß eine Reihe englischer Lehrer und
Lehrerinnen diesen Vortragszyklus, zu dem sie kommen wollten,
verlangten. Als aber bekannt wurde, daß dieser Kursus stattfinden
sollte, fanden sich dann aus allen Ländern des Westens und
Mitteleuropas, namentlich aus der Schweiz auch, Leute zusammen, die
nun ebenfalls diesen Vortragszyklus hören wollten. Weil nun dieser
Kursus nicht in dem weit über 900 Personen fassenden großen Saal
des Goetheanum gehalten werden konnte, sondern nur in einem kleinen
Saal stattfinden konnte, war ich genötigt, die Vorträge jeweilig
zweimal hintereinander zu halten. Nun glaubte ich schon von
vornherein, daß es in einem gewissen Grade notwendig sei, die
englisch sprechenden Menschen abzusondern von denjenigen, die
anderen Nationalitäten angehören — nicht etwa aus politischen
Gründen; der Vortragskursus — das bemerke ich ausdrücklich — war
durchaus auch für die Engländer deutsch gesprochen; denn wenn die
Leute etwas über Anthroposophie hören wollen, wo es auch immer ist,
wird von mir immer deutsch zu ihnen gesprochen. Ich denke, das ist
auch etwas, wodurch man seine «Deutschheit» dokumentieren kann, und
wodurch dem deutschen Wesen und der deutschen Sprache gedient
werden kann.
Nun hatte ich in einem
dieser Vorträge die ethische, die sittliche Erziehung zu erörtern.
Ich versuchte im Laufe des Vortrages darzustellen, wie das Kind
hinzuführen ist zu denjenigen Stufen des inneren Erlebens, die eine
gewisse ethisch-sittliche Verfassung in dem Kinde herbeiführen
können. — Wenn ich heute wieder vor Persönlichkeiten sprechen
würde, die in derselben Weise zuhören, wie manche gestern zugehört
haben, so würde man wieder das, was ich aus unmittelbarem Erlebnis
heraus spreche, konstruiert nennen können, wie das gestern
gegenüber dem geschehen ist, was ich über die Trinität gesagt habe.
Allein, Dr. Rittelmeyer hat ja darauf so deutlich geantwortet mit
dem Vergleich zwischen dem Kopf und dem Buch, wie ich es aus
begreiflichen Gründen nicht habe tun wollen.
Ich mußte also in diesem
Vortrage über ethisch sittliche Erziehung zeigen, wie das Kind
geführt werden muß, damit bei ihm in der richtigen Weise entfacht
werden: Dankbarkeitsgefühle, Interesse an der Welt, Liebe zu der
Welt und zum eigenen Handeln und Tun; und ich mußte dann zeigen,
wie durch Liebe zum eigenen Handeln und Tun heranentwickelt wird
das, was im Menschen als Pflicht gefühlt wird. Nun war es
notwendig, diese Dreiheit aus dem unmittelbaren Leben heraus mit
diesen drei Worten — wir reden ja heute von der Sprache — zu
bezeichnen. Ich kam also von den ersten beiden Stufen — Dankbarkeit
und Liebe — zu der dritten Stufe: Pflicht. Aber trotzdem ich den
Vortrag zweimal zu halten hatte, einmal von 10 bis 11 Uhr für die
englischen Zuhörer, das zweite Mal von 11 bis 12 Uhr für die
anderen Nationalitäten, die im Wesentlichen in ihrer Gemütsstimmung
das Mitteleuropäische hatten, mußte ich nun tatsächlich diesen
Vortrag, der eigentlich einfach ein Parallelvortrag sein sollte, an
diesem Tage ganz anders für die Engländer halten als für die
Deutschen, weil ich mich hineinzuleben versuchte in die Stimmung
der Zuhörer. Etwas ähnliches war zwar auch für die anderen Tage
notwendig, aber an diesem Tage war es ganz besonders
notwendig.
Warum war das so? Ja,
während ich in der Stunde von 11 bis 12 über Pflicht sprach vor
Leuten, die durchaus aus dem Empfinden heraus zuhörten, aus dem die
deutsche Sprache gebildet worden ist, hatte ich in der ersten
Stunde von 10 bis 11 vor Leuten zu sprechen, welche das, was ich
über den Pflicht-Impuls zu sagen hatte, aus dem heraus empfanden,
zu dem sie «duty» sagen. Nun ist es etwas ganz anderes, was jemand
in der Seele hat, wenn er das Wort «Pflicht» ausspricht, oder wenn
er das Wort «duty» ausspricht, und ich mußte einfach in den Vortrag
von 11 bis 12 Uhr einfließen lassen diejenige Nuance des Erlebens,
die sich ergibt, wenn man zu den Menschen von «Pflicht» spricht.
Denn sagt man «Pflicht», so schlägt man mit diesem Worte einen
Impuls an, der aus dem Gemütsleben kommt, der unmittelbar das
Erleben hinüberführt zu etwas, das — wenn ich es als Verbum
aussprechen will — mit «pflegen» zu tun hat, mit dem Hinausfließen
des Gefühls von dem Tätigsein zu dem, worauf sich die Tätigkeit
bezieht. Das liegt m dem Impulse, den man mit dem Worte «Pflicht»
bezeichnet. Etwas ganz anderes lebt in der Seele, wenn man diesen
Impuls mit dem Worte «duty» bezeichnet; denn ebenso, wie das Wort
«Pflicht» auf das Gemüt hindeutet, so deutet das Wort «duty» auf
den Intellekt, auf den Geist, auf das, was einen innerlich
dirigiert, so wie einen der Gedanke dirigiert, wenn man zum Handeln
übergeht. Man kann sagen: «Pflicht» wird erfüllt aus innerer Liebe
und Hingebung, «duty» wird erfüllt aus dem Grunde, weil man, wenn
man seine Menschenwürde fühlt, sich sagen muß: Du mußt einem dich
durchdringenden Gesetz gehorchen, mußt dich hingeben einem Gesetz,
das du intellektuell erfassest. Das ist nur annähernd
charakterisiert. Aber ich will damit zum Ausdruck bringen, wie die
innerlichen Erlebniskomplexe ganz andere sind bei dem einen und bei
dem anderen Worte, trotzdem im Lexikon für das deutsche Wort
«Pflicht» das englische Wort «duty» steht. Das aber überträgt sich
auf den ganzen Volksgeist, auf die ganze Volksseele, und in der
Sprache haben Sie eine Nuance der ganzen Volksseele. Sie werden
sehen, daß es in der Seele des Mitteleuropäers in dieser Beziehung
ganz anders aussieht als in der Seele anderer Nationalitäten, und
daß sich das Seelenleben ganz anders in der Sprache auslebt beim
Mitteleuropäer als beim Engländer.
Wer nun keinen Sinn dafür
hat, daß das, was Sie aus den unterbewußten Tiefen der Seele m die
Sprache hineinnehmen, schon eine ganze Stufe tiefer liegt als das,
was im Bewußtsein erlebt wird, der hat eigentlich nicht wirklich
ein sauberes Objekt für die [wissenschaftliche Betrachtung der]
Sprache. Man muß sich darüber klar sein: Bei der Naturbetrachtung
sind die Objekte da, oder man stellt sie etwa durch äußere
Hantierungen sich sauber her, wobei man aber wiederum die Objekte
außerhalb von sich selbst hat und deshalb durchaus verfolgen kann.
Betrachtet man die Sprache, so ist es notwendig, daß man zuerst
einen Bewußtseinsprozeß durchmacht, um darauf zu kommen, was
eigentlich das wirkliche Objekt ist, das man zu betrachten hat. So
darf man, wenn es sich um die Sprache handelt, nicht bloß das
betrachten, was im menschlichen Bewußtsein lebt, sondern man muß
bei der Betrachtung der Sprache das ganze Lebendige im Auge haben,
das sich im Sprechen und in der Sprache auslebt.
Diese Vorbereitung für die
wissenschaftliche Sprachbetrachtung wird im Grunde genommen ja sehr
wenig gemacht. Würde sie gemacht, so würde man, wenn man, sagen wir
Sprachgeschichte oder vergleichende Sprachwissenschaft treibt, das
tiefe Bedürfnis haben, überall erst den Gegenstand irgendeiner
Sprache, den inneren unbewußten Inhalt, diese unterbewußte
Substanz, die im Sprechen nur zum Teil bewußt zum Ausdruck kommt,
ins Auge zu fassen.
Nun kommt dazu noch etwas
anderes, nämlich daß bei den verschiedenen Stufen der
Menschheitsentwicklung dieser Grad der Bewußtheit, der mit der
Sprache verbunden ist, eben ein ganz verschiedener war. Ein ganz
anderer war er zum Beispiel in den Zeiten, in welchen die Quelle
der Sanskritsprache liegt; ein anderer war er in der Zeit, in der
die griechische Sprache gebildet worden ist, ein anderer ist er bei
uns hier in Deutschland — aber hier werden die Nuancen immer
kleiner und kleiner und unbemerkbarer — und ein anderer ist er zum
Beispiel in England. Es sind schon große Verschiedenheiten im
inneren Erleben bei der Handhabung der englischen Sprache durch
einen Engländer oder durch einen Amerikaner, wenn ich nur die
groben Unterschiede hier ins Auge fasse. Wer aber auf das
Dialekt-Studium eingehen kann, wer also zum Beispiel darauf
eingeht, was die verschiedenen Dialekte der deutschen Sprache den
Menschen erleben lassen, wenn sie gehandhabt werden, der merkt auch
daran, was da alles an komplizierten Seelenimpulsen hineinläuft in
das, was dann in der Sprache, im Sprachorganismus zum Ausdruck
kommt. Es ist zum Beispiel durchaus nicht etwa grundlos, daß die
Griechisch sprechenden, wenn sie «Sprache» sagten, und wenn sie
«Vernunft» sagten, im wesentlichen dasselbe empfanden und beides in
einem Worte zusammenfaßten, weil das Erleben innerhalb des Wortes
und das Erleben innerhalb des Gedankens, innerhalb der Vorstellung,
bei der griechischen Handhabung der Sprache noch bis zu einem
gewissen Grade unterschiedslos zusammenflössen, während unsere
heutige Zeitepoche Unterschiedlichkeiten in dieser Beziehung zeigt.
Der Grieche fühlte durchaus, wenn er sprach, wie im Worte selbst
hinrollte der Gedanke. Für ihn war der Gedanke die «Seele» und das
Wort, das hinströmte, war der «Leib», das äußere Kleid, sagen wir,
der in den Gedanken hinströmenden Wortseele. Wir fühlen heute, wenn
wir uns den Prozeß klar zum Bewußtsein bringen, etwa so, wie wenn
wir auf der einen Seite das Wort aussprechen würden — das Wort
strömt dahin, indem wir es aussprechen —, und auf der anderen Seite
der Gedanke gewissermaßen oben auf dem Strom der Worte schwimmt; er
ist aber schon wieder deutlich unterscheidbar von dem Strom der
Worte.
Gehen wir zum Beispiel ins
Sanskrit zurück, dann ist es nötig, erst wirkliche psychologische
Prozesse durchzumachen, psychische Vorgänge zu erleben, damit wir
in die Lage kommen, wirklich innerlich dasjenige zu haben, was in
der Zeit, da die Sanskritsprache ihre Quelle hatte, bei einem Worte
erlebt wurde. Wir dürfen das Sanskrit durchaus nicht etwa mit
denselben Gefühlen gegenüber dem Sprechen, gegenüber der Sprache
betrachten, wie wir eine heutige Sprache betrachten.
Nehmen wir zum Beispiel
ein sehr bekanntes Wort: «manas». Sie werden, wenn Sie ein Lexikon
aufschlagen, für «manas» die mannigfaltigsten Worte finden: Geist,
Verstand, Gemüt, manchmal auch Zorn, Zorn Mutigkeit und so weiter.
Im Grunde genommen kommt man durch solche Übersetzungen dem inneren
Worterlebnis, das einmal da war und das in älteren Zeiten für die
Menschen sehr deutlich innerlich erlebbar war, nicht nahe.
Innerhalb derjenigen Zeitepoche, wo das Sanskrit in seiner vollen
Lebendigkeit lebte, war überhaupt die menschliche Seelenverfassung
noch anders als sie heute ist, und zwar wesentlich anders. Wir
müssen uns darüber klar sein, daß in der Menschheitsentwicklung
schon so etwas vorhanden ist wie eine tiefgehende Umwandlung der
Seelenverfassung des Menschen. Ich habe jene eine große Umwandlung
hier wiederholt charakterisiert, die etwa in die Mitte des 15.
Jahrhunderts gesetzt werden darf. Aber es gibt, indem man in der
Menschheitsentwicklung heraufsteigt, immer wieder solche
Epochengrenzen, und nur wenn man in der Geschichte auch das innere
seelische Leben des Menschen wirklich verfolgen kann, kommt man
darauf, was da eigentlich vorhanden war, und woran das
Spracherleben teilgenommen hat.
Es war in der Zeit, in der
so etwas wie das Wort «manas» noch lebendig innerlich ergriffen
worden ist, durchaus etwas vorhanden, was ich nennen möchte das
Erleben der Lautbedeutung. In einer ungeheuer intensiven Weise
empfand man das, was innerlich erlebt wurde bei den Lauten, die wir
heute als m, als a, als n und als s bezeichnen. Das Seelenleben
ging noch bis zu einem hohen Grade — wenn auch traumhaft, aber doch
im Traume bewußt — mit dem mit, was innerlich im Organismus lebte,
während die Vokale und die Konsonanten ausgesprochen wurden. Wer
dann mit einer solchen wissenschaftlichen Ausrüstung
verfolgt, wie die Sprache im Menschen lebt, der findet, daß alles,
was konsonantisch ist, darauf beruht, daß der Mensch sich mit
seinem eigenen Wesen in äußere Vorgänge, in Dinghaftes,
hineinversetzt, und das innere Leben der Dinge mit seinen eigenen
inneren, aber zurückgehaltenen Gebärden nachahmen will. Konsonanten
sind zurückgehaltene Gebärden, nicht sichtbar werdende Gebärden,
die aber in ihrem Inhalt durchaus dasjenige erfassen, was äußerlich
im Rollen des Donners, im Zucken des Blitzes, im Hinrollen des
Windes und so weiter erlebt werden kann. Ein inneres Sich
hineinversetzen in die äußeren Dinge ist vorhanden, indem der
Konsonant erlebt wird. Man will eigentlich, wenn ich mich so
ausdrücken darf, durch Gebärden nachahmen, was äußerlich lebt und
webt; man hält die Gebärde zurück, sie verwandelt sich im Innern
und kommt in dieser Verwandlung im Konsonanten zum
Vorschein.
Dagegen lebt im
Menschen, indem er sich der äußeren Natur entgegenstellt, eine
Summe von Sympathien und Antipathien. Diese Sympathien und
Antipathien, die ein inneres Erleben darstellen, gebären aus sich
heraus den gesamten Vokalismus; so daß der Mensch, indem er in der
Sprache lebt, so lebt, daß er im konsonantischen Wesen die äußere
Welt nachbildet, aber metamorphosiert, daß er dagegen im
Vokalischen sein eigenes inneres Verhältnis zur äußeren Welt
darstellt. — Das ist etwas, was, wenn man auf die konkrete Tatsache
des Spracherlebens eingeht, auch mit dem heutigen Seelenleben
durchaus erfaßt, durchschaut werden kann. Es handelt sich bei dem,
was als Imagination geschildert wird, nicht um irgendwelche
Phantasien, sondern darum, daß zum Beispiel dieser innere Prozeß
des Spracherlebens wirklich erschaut werden kann.
Nun war aber in den
älteren Zeiten, in denen das Sanskrit seine Quelle hat, noch etwas
in der Menschenseele lebendig wie eine traumhafte Imagination.
Nicht ein solches scharf konturiertes Vorstellen, wie wir es heute
haben, war damals dem Menschen eigen, sondern ein Leben in Bildern,
in Imaginationen — allerdings nicht solche Imaginationen, wie wir
sie heute in der Anthroposophie meinen, die vollbewußt sind wie
unsere scharf konturierten Begriffe, sondern traumhaft instinktive
Imaginationen waren da. Aber diese traumhaften Imaginationen
wirkten als Kraft. Gehen wir zurück bis zu dem angedeuteten
Zeiträume, so kann man sagen: Diese Imaginationen lebten als
lebendige Kraft in dem Menschen; er verspürte sie, wie er Hunger
und Durst verspürte, nur in einem leiseren Sinne. Man malte
innerlich in einer Art, die natürlich nicht ein Malen im heutigen
Sinne ist, die sich aber so auslebte, daß man das Vokalische
innerlich aufträgt, wie wir die Farben auf eine Fläche auftragen,
und daß man dann ins Konsonantische mit diesem Vokalisieren sich
hineinlebt, so wie wenn man, indem man die Farben nebeneinander
setzt, die Grenzen und die Konturen hervorbringt. Es ist ein
innerliches Nacherleben eines Imaginierens, das aber ein objektives
Nacherleben der äußeren Natur darstellt. Es ist ein Erleben der
traumhaften Imaginationen. Man gibt sich diesen Imaginationen hin
und stülpt die innerlich wirksamen Imaginationen durch die
Sprachorgane aus dem Organismus in die Worte.
Nur auf diese Weise stellt
man sich den innerlichen Vorgang des Spracherlebens so vor, wie er
einmal in der Menschheitsentwicklung gelebt hat. Wenn man dann
Ernst macht mit einer solchen Betrachtung, zum Beispiel mit dem
Erleben des Lautes, den wir heute m nennen, so merkt man beim
Erleben dieses Lautes, daß er einmal an der Grenze dessen stand,
was Konsonant und Vokal ist. So wie wenn wir heute ein Bild malen
und dann die Farben, die nun zu ihren inneren Grenzen ihre äußeren
Grenzen haben, nicht weiter fortsetzen in die Fläche hinein, so
wurde etwas ausgesprochen bei dem Worte «manas». Und beim a wurde
etwas gefühlt wie menschliche Innerlichkeit. Und wenn ich das ganze
Wort manas so umschreiben wollte, müßte ich sagen: In jenen alten
Zeiten lebten die Menschen mit ihren traumhaften Imaginationen in
der Sprache, so wie wir bewußt die Sprache erleben. Wir leben heute
mit Bezug auf die Sprache nicht mehr in Traumvorstellungen, sondern
unser Bewußtsein liegt über der Sprache. Die alten traumhaften
Imaginationen flössen fortwährend in die Sprache. Und so fühlte,
wer das Wort «manas» aussprach, sich wie in einer Art von Schale
drinnen; er fühlte seinen physischen Menschenleib, namentlich
insofern dieser flüssig-wässerig ist, wie in einer Art von Schale,
und den übrigen Leib wie getragen von einer Art Luftkörper. Das
alles wurde traumhaft erlebt, wenn in alten Zeiten das Wort «manas»
ausgesprochen wurde. Man fühlte nicht so, wie wir uns heute im
Seelenleben fühlen, sondern man fühlte sich als Träger des
Seelenlebens — und das Seelenhafte selber erlebte man wie aus den
außerirdischen und außermenschlichen Kräften der Schale
gegeben.
Diese Empfindung muß man
erst rege machen, wenn man einen älteren Wortinhalt verstehen will.
Und man muß wissen, daß, wenn wir heute unser Ich empfinden, das
innere Seelenerlebnis ein ganz anderes ist, als das war, was etwa
bei dem Wort «ego» erlebt worden ist oder was von den Menschen
früherer Zeiten bei dem Wort «aham» der Sanskritsprache erlebt
worden ist. Wir erleben heute unser Ich als etwas, was ganz und gar
wie in einem Punkte zusammengezogen ist, in einem Punkte, auf den
wir als den Mittelpunkt unseres Innenwesens alle unsere
Seelenkräfte beziehen.
Diese Empfindung lag nicht
den älteren Offenbarungen des Ich-Begriffes zugrunde. In diesen
älteren Zeiten fühlte man auch das Ich noch als etwas, was getragen
worden ist; man fühlte sich nicht im Ich drinnen. Man fühlte auch
das Ich gewissermaßen wie auf den Wogen des seelischen Lebens wie
etwas Selbständiges schwimmend. Was man aber so fühlte, deutete man
in dem Lautzusammenhang nicht an; so daß eigentlich das, was in dem
Sanskritwort «aham» liegt, etwas ist, was um das Ich herum ist, was
das Ich trägt. Und während wir das Ich innerlich als einen
Willensimpuls haben — denn so wird es heute wirklich erlebt —, der
innerlich unser Wesen durchstrahlt, sagen wir als ein Mittelpunkt
innerhalb einer Wärmequelle, die die Wärmestrahlen — um einen
Vergleich zu gebrauchen — nach allen Seiten hinstrahlt, so fühlte
der Grieche oder sogar noch der Lateiner das Ich wie eine Kugel von
Wasser, und diese Wasserkugel ganz durchdrungen von Luft. Es ist
etwas anderes, zu erleben die sich in einer Wasserkugel
ausbreitende Luft, oder zu erleben das innerliche Strahlen eines
Wärmemittelpunktes und Wärme nach allen Seiten der Kugel
hinstrahlen, die dann — wenn wir den Vergleich ganz genau
gebrauchen — als eine Luftkugel erfaßt werden muß. — Das alles sind
Symbole. Aber die Worte der Sprache sind ja in diesem Sinne auch
Symbole, und wer das Recht bestreitet, daß man die Worte als
Symbole bezeichnet, der wird überhaupt nicht in eine solche
Betrachtung einrücken können. So ist es notwendig, wenn man
Sprachwissenschaft treiben will, daß man sich erst hineinlebt in
das, was eigentlich Gegenstand der Sprachwissenschaft werden muß.
Und da findet man eben, daß in älteren Zeiten die Sprache durchaus
einen ganz anderen Charakter hatte als den, der etwa in den
heutigen Zivilisationssprachen liegt; und man findet weiter, daß
das Körperliche, das Leibliche einen viel größeren Anteil hatte am
Zustandekommen des Lautlichen, am Zustandekommen der Konfiguration
eines Wortes. Der Mensch gab viel mehr sein Inneres [in die
Sprache]. Daher auch haben Sie in dem Worte «manas» das m im
Anfang, weil es den Menschen in sich abschließt,
konturiert.
Wenn man Bezeichnungen in
der Sanskritsprache vor sich hat, merkt man sehr bald, daß man
darin das Erleben des Konsonantischen und des Vokalischen hat, man
merkt, wie in der Tat ein innerliches Einleben in die äußeren
Vorgänge und äußeren Dinghaftigkeiten da ist, und wie dadurch, daß
im Konsonantischen nachgeahmt wird, im Vokalischen Sympathien und
Antipathien empfunden werden, der Wortprozeß und der Sprachprozeß
Zustandekommen. Das ist in den alten Zeiten in einer viel
körperlicheren Schattierung zustande gekommen. Es war ein viel
volleres Erleben in dem älteren Spracherleben. Das kann man heute
noch erleben. Wenn Sie heute einen das Sanskrit oder überhaupt eine
orientalische Zivilisationssprache sprechenden Menschen hören, so
hören Sie, wie das, was er ertönen läßt, aus seinem ganzen Menschen
heraus, einschließlich aus der Leiblichkeit, ertönt, und wie die
Sprache musikalischen Charakter annimmt, weil sie aus einem solchen
inneren Erleben kommt wie das Musikalische. Denn erst in einer
späteren Phase der Menschheitsentwicklung hat sich in der Sprache
das Musikalische abgetrennt von dem Logischen, also von dem
Seelenleben m bloßen Vorstellungen.
Das kann man wiederum auch
heute noch merken. Wenn Sie zum Beispiel vergleichen das innere
Erleben in der deutschen und in der englischen Sprache, so ist es
so, daß bei der englischen Sprache der Prozeß des
In-abstrakten-Vorstellungen-Lebens weiter fortgeschritten ist. Wenn
wir heute in der deutschen Sprache leben wollen, müssen wir uns ja
in diejenigen Formen der Sprache hineinleben, welche mit dem
Neuhochdeutschen heraufgekommen sind. Die Dialekte lassen unsere
Seele durchaus noch untertauchen in ein viel intensiveres vitales
Erleben. Das eigentliche geistige Erleben der Sprache ist erst im
Hochdeutschen möglich. Daher ist auch eine solche Gestalt wie
Hegel, die ganz aus diesem Geiste herausgeboren ist, daß die
Vorstellung gesondert für sich ist und doch wieder ganz gebunden an
ein besonderes Element der Sprache erlebt wird, aus diesen
Voraussetzungen zustande gekommen und Hegel läßt sich deshalb in
Wirklichkeit nicht in eine westliche Sprache übersetzen. Denn da
erlebt man das Sprachliche noch unmittelbar.
Wenn Sie nach dem Westen
gehen, merken Sie überall in dem Erleben, das die Seele entfaltet,
wenn sie dem Sprachgebrauch hingegeben ist: Es erlebt zwar die
Seele intensiv, es wird aber überall das Sprachliche herausgeworfen
aus dem unmittelbaren Seelenerleben; es fließt der Strom der
Sprache dahin, und fortwährend wird gewissermaßen aus dem
fließenden Wasser etwas herausgebildet wie Eisschollen, die wie ein
fester Inhalt auf den Wogen dahinrollen — zum Beispiel im
Englischen. Wenn wir dagegen das Hochdeutsche sprechen, können wir
merken, wie man in dem Strom der Sprache ebenfalls ein Flüssiges
hat, aber es sind noch nicht Eisblöcke darin, die schon
herausgefallen wären aus dem Sprachlichen, das verbunden ist mit
dem Geistig-Seelischen des Menschen.
Kommt man nach Osten, so
findet man diesen Prozeß auf einer noch weiter rückwärts liegenden
Stufe. Da sieht man nun nicht Eisschollen, die herausgeworfen
werden aus dem Strom der Sprache, und die nicht etwa fest verbunden
mit ihm sind; da wird auch nicht wie im Hochdeutschen die
vollständige Adäquatheit des Gedankens mit dem Wort erlebt, sondern
es wird das Wort so erlebt, daß man es in seinem Organismus behält,
während wiederum der Gedanke etwas ist, dem die Worte entfließen,
und dem man nachläuft, der eigentlich vor einem
einhergeht.
Das sind die Dinge, die
man durchmachen muß, wenn man das Sprachliche wirklich erfassen
will. Und man kann das nicht durchmachen, wenn man nicht wenigstens
bis zu einem gewissen Grade diejenige Anschauung aufnimmt, die
Goethe für die Betrachtung der lebendigen Pflanzenwelt ausgebildet
hat, und die, wenn sie in innerlichem Erleben und innerlichem Üben
konsequent verfolgt wird, zu dem imaginativen Vorstellen führt, das
in der Anthroposophie gemeint ist. Überhaupt, wer die Sprache
betrachten will, muß sie so betrachten, daß er die innerliche
Metamorphose des Sprachorganisierens erlebt, erlebt in ihrer
Konkretheit; denn dann erst hat er das vor sich, was eigentlich der
Sprachprozeß ist. Solange man sich nicht aufschwingen kann zu einer
solchen innerlichen Betrachtung der Sprache, solange betrachtet man
eben die Sprache äußerlich, und man kann nicht bis zu dem
eigentlichen lebendigen Objekt der Sprache vordringen. Daher ist
alles mögliche an Sprachtheorien heraufgekommen. Das Denken über
die Sprache ist ja in vieler Beziehung zu einem Denken über den
Ursprung der Sprache geworden; eine ganze Anzahl von Theorien ist
da heraufgekommen. Wilhelm Wundt hat sie in seiner Sprachtheorie
aufgezählt und kritisch zerpflückt.
Es ist damit ja so, wie
man es heute auf vielen Gebieten erlebt, und wie man es gestern
beobachten konnte. Wenn nämlich die Träger irgendeiner
wissenschaftlichen Richtung sich heute zum vollen Nachdenken
erheben und das betrachten, was ihnen die Wissenschaft, die sie
vertreten, heute darbietet, dann fangen sie an vom «Untergang» zu
reden. Das ist eigentlich nicht das, was Ihnen die Anthroposophie
sagen will. Im Grunde genommen ist ja zum Beispiel gestern von der
Anthroposophie aus sehr wenig von Untergang geredet worden; sehr
wohl aber ist von denen, die heute in der Theologie drinnenstehen,
von dem von ihnen erlebten Untergang gesprochen worden.
Ähnlich spricht man auch,
wenn man über die Sprache philosophiert, von den untergehenden
Theorien, zum Beispiel von der «Erfindungstheorie». Wundt zählt die
verschiedenen Theorien auf. Nach der Erfindungstheorie ist die
Sprache so entstanden, daß die Menschen gewissermaßen festgesetzt
haben die Bezeichnungen für die Dinge; aber das findet der heutige
Mensch nicht mehr angemessen, denn, so meint er, wie sollten die
Stummen die Sprachformen haben festsetzen können, wenn auch noch so
primitive? Als zweite zählt Wundt die «Wundertheorie» auf, die
darauf ausgeht, daß die Sprache dem Menschen in einem gewissen
Entwicklungsstadium als ein Geschenk des Schöpfers gegeben worden
ist. Aber das hat ja gestern schon Dr. Geyer ausgeführt, daß es
heute für einen halbwegs anständigen Wissenschafter das nicht mehr
gibt, an Wunder zu glauben; das ist verboten, und damit ist auch
die Wundertheorie nicht mehr möglich. Dann wird als weitere die
«Nachahmungstheorie» aufgezählt, die schon Elemente enthält, die
eine partielle Berechtigung haben, weil das konsonantische Element
der Sprache auf einem viel innerlicheren Prozeß beruht, als man
sich gewöhnlich vorstellt. Dann wird die «Naturlauttheorie»
angeführt; sie besagt, daß aus innerlichem Erleben heraus der
Mensch in bezug auf die Sprache anstrebte, daß sich die Worte in
lautlicher Beziehung decken sollten mit dem, was man draußen in der
Natur wahrnimmt und mit Sympathie oder Antipathie verfolgt. Diese
Theorien könnten auch anders definiert werden. Aber es ist heute ja
möglich, daß auch auf dem Boden derjenigen, die diese Theorien
kritisieren, gezeigt wird, wie diese Theorien alle nicht das
eigentliche Objekt der Sprache erfassen können.
Sehr verehrte Anwesende,
die Sache ist eben durchaus so, daß Anthroposophie — auch wenn die
Leute sagen, sie brauchten nicht auf sie zu warten — dennoch in
einer gewissen Beziehung zeigen kann, was sie an Fruchtbarem zu
geben in der Lage ist, wodurch — selbst auf solchem Gebiete, wie es
die Sprachwissenschaft ist — erst die sauberen, die reinlichen
Objekte zu finden sind, an denen dann die Betrachtung angestellt
werden kann. Man kann ja selbstverständlich über alles mögliche
reden, auch über die Sprache, selbst wenn man sie als ein wirklich
sauberes Objekt noch gar nicht hat. Aber Anthroposophie trägt eben
in sich jenen tieferen Charakter der Wissenschaftlichkeit, der
darauf ausgeht, zuerst einmal sich klar zu werden, welche Art von
Wirklichkeit auf einem bestimmten Gebiete gefunden werden kann, so
daß dann der Zusammenhang dessen, was wir als Wahrheit, als
Erkenntnis von diesen Gebieten durchdringen, mit diesem
Wirklichkeitsgebiete auch tatsächlich innerlich erlebt werden kann.
Und wenn, wie es gestern hier geschehen ist, dann mit Bezug auf
das, was in so ehrlicher Arbeit, die nicht leichter ist als die in
anderen Wissenschaften, gesagt wird, diese Anthroposophie stecke
ihre Nase in alles mögliche hinein, so muß erwidert werden: Gewiß,
es hat sich gezeigt, daß diese Anthroposophie im Laufe ihrer
Entwicklung ihre Nase auch in alles hineinstecken mußte. Wenn es
aber nicht bei der Oberflächlichkeit bleibt, dieses Aperçu zu
prägen: «Die Anthroposophie steckt ihre Nase in alles mögliche
hinein» —, sondern wenn man dazu fortschreiten möchte, dasjenige
einmal wirklich ins Auge zu fassen und es ernsthaft zu studieren,
was dabei herauskommt, wenn die Anthroposophie ihre Nase in alles
steckt, dann erst, wenn man zu dieser zweiten Stufe des
Verhältnisses zur Anthroposophie übergeht, wird sich zeigen, wie
fruchtbar die Anthroposophie ist, und inwiefern sie ihre
Berechtigung hat gegenüber dem ersten Urteil, das doch nur aus
einer oberflächlichen Betrachtung hervorgeht!
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