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Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken

Schmidt-Nummer: S-5906

Online seit: 31st December, 2016

VIERTER VORTRAG

Dornach, 8. September 1924

Das Bild, das der Verfasser der Apokalypse uns zeigt, stellten wir gestern vor unsere Seelen hin, das Bild der Erscheinung Jesu Christi, das der Vatergott gegeben hat, und bemerken durfte ich, wie dann dasjenige, was als Erklärung zum Verständnis des Bildes führen soll, aufzufassen ist wie ein Brief von Gott selbst an Johannes.

Es liegt durchaus im Wesen des Mysteriums und in der Art, wie man aus dem Mysterium heraus spricht und vorstellt, daß dann im weiteren der Verfasser der Apokalypse auch selber als der Briefschreiber aufgefaßt wird. Denn im Wesen des Mysteriums war es so, daß der Schreiber eines solchen Dokumentes sich durchaus nicht als dessen Verfasser fühlte in dem Sinne, wie wir heute den Verfasser eines Werkes auffassen, sondern er fühlte sich gewissermaßen als das Werkzeug des geistigen Schreibers. Er fühlte, daß in dem unmittelbaren Aufschreiben nichts Persönliches mehr enthalten sei. Deshalb darf Johannes nun durchaus weiter so handeln, wie wenn er das, was er zu schreiben hat, unter göttlichem Befehl als eine göttliche Botschaft schriebe. Das geht in einer wirklich mysterienhaften Art aus allem folgenden hervor.

Man kann schon sagen: Die Gegenwart bedarf wieder des Verständnisses für solche Dinge, wie es der Übergang ist von der Erscheinung Jesu Christi in den ersten Versen der Apokalypse zu den folgenden, den sieben Sendschreiben an die einzelnen Gemeinden. Denn die Gegenwart hat eigentlich das Verständnis für diese Dinge, das gang und gäbe war in den Mysterien und das auch durchaus noch in der Denkweise des ersten Christentums lag, einfach ganz und gar vergessen.

Das ist wieder etwas von dem, was an Euch ist, in der weiteren Entwickelung Eures Priestertums weiterzuführen. Ihr müßt bedenken, das, was in der Apokalypse gesagt wird und das inspiriert geschrieben worden ist, das wird gerichtet an die Engel der Gemeinde zu Ephesus, der Gemeinde zu Thyatira, der Gemeinde zu Sardes und so weiter. An Engel sollen diese Briefe gerichtet werden. Das ist etwas, worüber ja das moderne Verständnis sogleich stolpern muß. Wesentlich ist, daß wir das folgende richtig auffassen.

Zu mir kam einmal ein Mann, der eigentlich sich in der letzten Zeit seines Lebens ungeheuer stark bemüht hatte, zum vollen Verständnis der anthroposophischen Geistesanschauung zu kommen. Ihr müßt solche Dinge gerade in Eurem Priestertum wissen, denn es sind ja schließlich typische Erscheinungen der Gegen-wart. Es ist nur ein Beispiel, das ich herausgreife, bei dem die Sache, auf die es ankommt, besonders eklatant hervortritt, aber es ist etwas, was Euch auf Euren Priesterwegen immer wieder begegnen wird; und auf das Wirken auf Eurem Priesterweg kommt es ja an. Er sagte zu mir: «Es scheint eigentlich so, als ob durch die Anthroposophie angestrebt würde, die Bibel wörtlich zu nehmen». - Ich sagte ihm: «Ja». - Dann brachte er mir allerlei Beispiele vor, von denen er meinte, daß die Bibel doch nicht wörtlich genommen werden könne, sondern nur symbolisch. Ich sagte zu ihm: «Gewiß, es gibt sehr viele sogenannte Mystiker, Theosophen und so weiter, die suchen in der Bibel allerlei Symbole und dergleichen, sie lösen die Bibel auf in lauter Symbole. Das tut Anthroposophie nicht. Sie sucht nur durch das, was, vielleicht von der symbolischen Sprache ausgehend, dazu führen kann, den ursprünglichen Text in seiner wirklichen Bedeutung zu lesen. Und da», sagte ich, «habe ich noch nie gefunden, daß, wenn man nur den ursprünglichen Text den im Laufe der Zeit entstandenen späteren Mißverständnissen gegenüberstellt, die Bibel nicht überall, wo ich es nachprüfen konnte, wörtlich zu nehmen wäre.»

Das ist gerade als letztes Ziel zu erreichen: das Wörtlichnehmen der Bibel. Man kann geradezu sagen: Wer die Bibel noch nicht wörtlich nehmen kann, hat ja die Stellen, wo er die Bibel nicht wörtlich nehmen kann, auch noch nicht begriffen. Das ist allerdings in der neuen Zeit bei sehr vielen der Fall.

Hier berühren wir etwas Esoterisches, das vielleicht im bisherigen Verlauf unseres Zusammenseins überhaupt noch nicht so stark hervorgetreten ist, das aber doch einmal auch vor Euren meditativen Sinn treten muß. Denn zuweilen sprießt und spritzt heute - ich möchte sagen, nicht wie Blitzesflammen, denn die kommen von oben her, aber wie Vulkanflammen, denn die kommen von unten her - mancherlei, was in diesem oder jenem Bekenntnis von alten Mysterien zurückgeblieben ist. So gab es ja ich habe diese Tatsache schon öfter erwähnt - einen Hirtenbrief eines Erzbischofs, welcher nichts Geringeres als das folgende behauptete. In dem Brief war die Frage aufgeworfen: Wer ist höher, der Mensch oder Gott? - Und es wurde in diesem Hirtenbrief, obwohl in einer gewundenen Rede, aber doch auf der anderen Seite auch wieder unverblümt, darauf aufmerksam gemacht, daß, wenn der Priester am Altar steht, wenn also der Mensch als Priester am Altar steht - von den übrigen Menschen gilt das nicht, aber für die Priester -, er hoher sei als Gott, mächtiger als Gott, denn er könne Gott zwingen, irdische Gestalt in Brot und Wein anzunehmen. Wenn der Priester konsekriert, wenn er die Transsubstantiation vollzieht, dann müsse der Gott am Altar anwesend sein.

Das ist eine Auseinandersetzung, die tief in altes Mysterienwesen zurückgeht, und es ist auch eine Auseinandersetzung, die innerhalb des esoterischen Brahmanismus im Orient, insofern er aus dem Mysterienwissen heraus ist, heute durchaus noch geläufig ist. Es ist geläufig und im Einvernehmen mit allem Mysterienwesen die Vorstellung, daß der Mensch ein Wesen ist, das die Gottheit mit umspannt, eigentlich der Höhere gegenüber der Gottheit. Und es fühlte sich der Brahmanenpriester, namentlich der von ehemals, in dieser Verfassung seiner Seele als - wenn ich mich so ausdrücken darf - überpersönlicher Träger der Gottheit.

Das ist eine schwerwiegende Vorstellung, die da hereinleuchtet aus altem Mysterienwesen. Aber sie muß schließlich wenigstens einmal dem meditativen Leben der Priesterseele anvertraut werden. Denn es widerspricht ja vollständig dem, was sich namentlich im evangelischen Bewußtsein nach und nach ergeben hat. Dem evangelischen Bewußtsein gegenüber ist das, was in dem angezogenen Hirtenbriefe steht, natürlich eine Torheit. Nun, wir werden darauf noch zurückkommen im Laufe dieser Auseinandersetzungen über die Apokalypse. Es liegt ja in dem allen nur die ins Große erhobene Vorstellung von dem, was uns an dieser Stelle der Apokalypse, auf die ich hier hinweise, entgegentritt.

Johannes schreibt in göttlichem Auftrage, unter göttlicher Inspiration, an die Engel der sieben Gemeinden. Er fühlt sich also in demjenigen Zustand, in dem er da schreibt, durchaus als derjenige, der den Engeln der sieben Gemeinden Rat, Mahnung, Mission und so weiter geben soll. Wie ist das konkret vorzustellen? Auf wen hat man deuten müssen, wenn zum Beispiel von dem Engel der Gemeinde von Ephesus oder von Sardes oder von Philadelphia die Rede war? Auf wen hat man deuten müssen? So wenig das dem heutigen Menschen verständlich ist, damals gab es durchaus Menschen, welche man heute gebildete Menschen nennen würde - christlich gebildete Menschen würde man heute zu den in analoger Lebensstellung Befindlichen sagen -, es gab damals durchaus einen Kern von Menschen, die verstanden, was das heißt: Es schreibt eine prophetische Natur, eine weissagende Natur wie die des Johannes, der, indem er in dieser Seelenverfassung ist, in der er schreibt, höher steht als die Engel; er schreibt an die Engel der Gemeinden. Aber man hätte unter den Leuten, die das verstanden, gar nicht einmal hingedeutet etwa auf ein Übersinnliches, indem man «Engel» sagte. Man hatte die Vorstellung: Christliche Gemeinden sind gegründet worden, bestehen fort; und der Schreiber der Apokalypse denkt daran, daß er seine Briefe richtet an zukünftige Zeiten, in denen das, was er von diesen Gemeinden sagen muß, kommen wird. Er spricht durchaus nicht von den gegenwärtigen Zuständen. Er spricht von zukünftigen Zuständen. Aber hätten diejenigen, die dazumal aus dem, was sich als traditionelle Anschauung ergab aus den alten Mysterien heraus, deuten müssen auf den, der der Briefempfänger sein soll, sie hätten gedeutet auf den der Gemeinde vorstehenden Bischof.

Auf der einen Seite waren sie sich durchaus klar darüber, daß der eigentliche Leiter der Gemeinde der übersinnliche Angelos ist, auf der anderen Seite würden sie gedeutet haben auf den Bischof, den kanonischen Verwalter der Gemeinde. Denn es war die damalige Vorstellung, daß jemand, der der Verwalter einer solchen Gemeinde wie die zu Sardes, zu Ephesus, zu Philadelphia war, als Würdenträger der wirkliche irdische Träger der übersinnlichen Angelos-Wesenheit ist. So daß also tatsächlich Johannes, indem er schreibt, sich innerlich erfaßt fühlt von einem höheren Wesen als es der Angelos ist. Er schreibt an die Bischöfe der sieben Gemeinden als an Menschen, die durchdrungen sind nicht nur von ihrem eigenen Engel - das ist ja jeder -, sondern die durchdrungen sind von dem leitenden, führenden Engel der Gemeinde.

Und nun spricht er davon, was er diesen Gemeinden zu sagen hat, und er weist durchaus auf die Zukunft hin. Wir müssen die Frage aufwerfen: Warum werden sieben Briefe an sieben Gemeinden gerichtet? Diese sieben Gemeinden sind ja selbstverständlich die Repräsentanten der verschiedenen Nuancen des Heidentums und des Judentums, aus denen Christus hervorgegangen ist. Für Konkreta war in jenen Zeiten ein viel intensiveres Verständnis als später. Man wußte in der Zeit, aus der die Apokalypse stammt, selbstverständlich ganz genau: Da ist zum Beispiel die Gemeinde zu Ephesus, die einstmals die ganz grandiosen Mysterien von Ephesus geboren hat, in denen auf die Weise, wie es in alten Zeiten eben durchaus üblich sein konnte, auf die künftige Erscheinung Christi hingewiesen worden war. Einen Kultus gab es in Ephesus, der vermitteln sollte die Verbindung der in Ephesus Opfernden und der Zeugen des Opferdienstes mit den göttlich-geistigen Mächten und auch mit dem kommenden Christus. Die alte heidnische Gemeinde von Ephesus war wohl diejenige, die mit ihrer Vorprophetie des künftigen Christentums und mit ihrem heidnischen Kult diesem Christentum ganz besonders nahegestanden hat.

Daher wird an den Engel der Gemeinde von Ephesus geschrieben von den sieben Leuchtern. Die Leuchter sind ja die Gemeinden selber, das wird ausdrücklich ausgesprochen in der Apokalypse. Gerade der Brief an die Gemeinde von Ephesus muß in seiner wahren Gestalt genommen werden, so wie es dasteht.

Deutlich wird darauf hingewiesen, daß eigentlich diese Gemeinde von Ephesus diejenige war, die am intensivsten das Christentum aufgenommen hat, die mit der ersten Liebe dem Christentum zugetan war. Denn es wird ja gesagt, sie habe sich diese erste Liebe nicht bewahrt. Von der künftigen Zeit, die in Aussicht steht, von der will der Apokalyptiker in seinem Brief sprechen. So sehen wir schon an dem Beispiel dieses Mahnbriefes an die Gemeinde zu Ephesus, daß der Apokalyptiker die Entwicklung, welche die Gemeinde nimmt, so charakterisiert, daß in der Gemeinde auf das geschaut wird, was aus alten Zeiten herauflebt.

Es war in der Tat so, daß die einzelnen Gemeinden, von denen hier die Rede ist, verschiedene Nuancen des Heidnischen oder des Jüdischen darstellen, daß sie verschiedene Kulte hatten und durch diese verschiedenen Kulte sich in verschiedener Weise den göttlichen Welten näherten. Und jeder Brief beginnt immer so, daß man sieht, in jeder dieser Gemeinden hat sich das Christentum auf besondere Art aus den alten heidnischen Diensten herausentwickelt.

Man muß sich nur klar darüber sein, daß in den ersten Zeiten der christlichen Entwickelung noch eine Seelenverfassung der Menschen da war, die wirklich ganz verschieden ist von der heutigen Seelenverfassung, insbesondere der von Europa - im Orient ist es ja nicht so. Dieses Sehen des Religiösen in einem begrifflichen Inhalt, den man logisch charakterisieren kann, das war den alten Mysterienvorstellungen der ersten christlichen Jahrhunderte noch ganz, ganz fremd, wirklich ganz fremd. Da sagte man sich etwa: Der Christus ist eine Erscheinung des gewaltigen Sonnenwesens. Hinstreben zu ihm aber muß die Gemeinde von Ephesus, die Gemeinde von Sardes, die Gemeinde von Thyatira und so weiter, jede auf ihre Art, aus ihrem Kultus heraus. Jede kann auf ihre besonders nuancierte Weise sich ihm nähern. Und daß das durchaus zugegeben wird, das ist ja überall angedeutet.

Man nehme eine solche Gemeinde wie die von Ephesus, die fortsetzen mußte die alten tiefen Mysterien von Ephesus; sie mußte anders sein als zum Beispiel die Gemeinde von Sardes. Die Gemeinde von Ephesus hatte einen Kultus, der tief durchdrungen war von der Anwesenheit göttlich-geistiger Substanzen im irdischen Leben. Der Priester, der in Ephesus herumging, hätte sich ebenso gut als Gott wie als Mensch bezeichnen können. Er wußte sich als Träger des Gottes. Das ganze Bewußtsein des Religiösen in Ephesus wurzelt eigentlich in Theophanie, in der Erscheinung des Gottes in den Menschen. Die Priesterschaft von Ephesus stellte jeweilig den entsprechenden Gott dar, und es war sogar eine bestimmte Aufgabe, dieses Theophanische, dieses Zur-Erscheinung-Bringen des Göttlichen so recht in die Seelen hineinzubringen.

Nehmen wir an, unter den Priesterinnen von Ephesus ging in der Verrichtung der Kulthandlungen diejenige herum, die im wesentlichen die lebendige menschliche Ausgestaltung der Artemis, der Diana, der Mondgöttin war. Verlangt wurde von den Leuten, daß die irdische Erscheinung nicht unterschieden wurde von der Göttin selber, also daß in der irdisch-menschlichen Erscheinung die Göttin gesehen wurde. Alte Mysterienveranstaltungen, sagen wir zum Beispiel öffentliche Aufzüge, stellten hintereinandergehende Menschen dar, die die Götter waren. Und wie man heute lernen muß, adäquate Begriffe von den Dingen zu haben, so mußte man dazumal die Seelenvorstellungen und Seelenempfindungen sich beibringen, in dem Menschen, der Priester oder Priesterin war, den Gott zu sehen.

Daher ist es auch kein Wunder, daß, nachdem nun einmal der Apokalyptiker, wie ich es angedeutet habe, in der Mysteriensprache spricht, er sich gerade an die Gemeinde von Ephesus wendet, wo diese besondere Art zu denken, zu fühlen, zu empfinden am intensivsten ausgebildet war. Daher war es der Gemeinde von Ephesus natürlich, das wesentlichste Symbol des Kultus in den sieben Leuchtern zu sehen. Diese stellten das Licht dar, das auf Erden lebt, das aber göttliches Licht ist.

Ganz etwas anderes war es bei der Gemeinde von Sardes. Diese Gemeinde war die christliche Fortsetzung eines alten, sehr ausgebildeten astrologischen Sternendienstes, wo man wirklich wußte, wie der Gang der Sterne mit den irdischen Angelegenheiten zusammenhängt, und wo man alles, was im Irdischen geschah, was etwa höhere oder niedere Häupter befahlen, aus den Sternen ablas. Die Gemeinde von Sardes war herausentwickelt aus einem Mysterienwesen, das in höchstem Grade zählte auf die Erforschung der Lebensgeheimnisse und Lebensimpulse aus dem nächtlichen Sternenhimmel. Bevor man von der Gemeinde von Sardes als einer christlichen Gemeinde reden konnte, mußte man gerade von ihr sprechen als derjenigen, die am meisten festhielt an dem alten traumhaften Hellseherzustand, denn gerade diesem traumhaften Hellsehertum ergab sich das nächtliche Geheimnis des Makrokosmos. Und da, wo festgehalten wurde an dem alten traumhaften Hellsehertum, das als Tradition fortbewahrt wurde, wurde wenig gesehen auf das, was der Tag gibt.

In dieser Beziehung ist schon wirklich sehr bezeichnend der Unterschied des Sonnendienstes und der Sonnenlehre zu Ephesus und zu Sardes, insofern man wirklich bei Ephesus wie bei Sardes von den alten Weistümern sprechen kann. Man lehrte ja in allen diesen alten Mysterien - und die Lehre der Mysterien ging hinaus zu den Laien - das, was für die damalige Zeit auch Wissenschaft war, denn eine von den Mysterien getrennte Wissenschaft gab es nicht. In Ephesus war die Sonnenlehre eine solche, daß man schon unterschied zwischen den fünf Planeten, die man annahm auf der einen Seite: Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur, und auf der anderen Seite die Sonne mit dem Mond. Man zeichnete die Sonne aus, die wir ja heute gegenüber den Planeten einen Fixstern nennen, indem man sie abtrennte von den Planeten und sie als Tagesgestirn verehrte - vor allem in Ephesus -, weil man in der Sonne von ihrem Aufgang bis zum Niedergang das lebenspendende Prinzip sah.

So war es nicht in den alten Zeiten in Sardes. In Sardes gab man nichts auf die Tagessonne, man empfing ihr Licht als eine Selbstverständlichkeit, aber man gab nichts auf die Tagessonne in der Stadt Sardes, sondern da galt nur die Nachtsonne, die man in den alten Mysterien die «Mitternachtssonne» nennt und die als gleichbedeutend mit den Planeten angesehen wurde. Den Mond unterschied man nicht von den übrigen Planeten, und die Sonne wurde angesehen als ein wirklich mit den anderen Planeten gleichstehender Planet.

In Sardes zählte man so auf: Saturn, Jupiter, Mars, Venus, Merkur, Sonne, Mond. - So hätte man es in Ephesus nicht gemacht. In Ephesus sagte man: Saturn, Jupiter, Venus, Merkur auf der einen Seite, auf der anderen Seite die dem Erdenleben nahestehenden Tag- und Nachtgötter Sonne und Mond. - Das ist also der große Unterschied, und darauf bezog sich alles Kultische in Sardes.

Es war in dieser ersten christlichen Zeit sogar so, daß in Ephesus der alte heidnische Kult fortlebte, der nur nach dem Christlichen hin orientiert war, während in Sardes fortlebte die Nuance des alten heidnischen Kultes, der nach dem Astrologischen hin orientiert war, wie ich das eben dargestellt habe. Daher ist es natürlich, daß der Apokalyptiker schreibt von Sardes: «das da hat die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne» (Apk. 3, 1). Jetzt sind es nicht die Leuchter, welche auf dem Altar stehen, nicht das Licht, das mit der Erde verbunden ist, sondern es ist das Licht, das oben steht im Makrokosmos.

Wie tief der Apokalypseschreiber noch im alten Mysterienwesen steht, könnt Ihr entnehmen, wenn Ihr Euch die Frage beantwortet: Was wirft der Apokalypseschreiber der Gemeinde von Sardes vor, worauf sie besonders zu achten hat? Der Gemeinde von Sardes wirft er in erster Linie vor, daß sie wachen soll, daß sie den Übergang finden soll zur Tagessonne, der Ausgangsstätte des Christus.

Bis ins Wort hinein ist dasjenige, was dasteht, daher im eigentlichen Sinn zu nehmen, wenn man nur zu dem ursprünglichen Sinn wirklich vordringt und weiß, wie in alten Zeiten mit dem religiösen Leben verfahren worden ist und wie eigentlich als der Letzte im großen Stil - Nachwirkungen sind immer da - der Apokalypseschreiber gesprochen hat. So ist zum Beispiel Alexander der Große bei seiner Ausbreitung des Griechentums mustergültig mit dem religiösen Leben verfahren, was uns ja überall entgegentritt, wenn wir die Ausbreitungszüge Alexanders in religiöser Beziehung ins Auge fassen. Da ist kein Überreden der Menschen und da sind keine Dogmen. Da wird einer Volksgemeinschaft alles das gelassen, was sie hat an Kultus, an Überzeugung, und nur soviel wird hineingegossen, wie gerade aufgenommen werden kann. So sind auch die Sendboten Buddhas verfahren, die heraufzogen nach dem babylonischen Gebiete und hinüber nach ägyptischem Gebiete. Nachdem sie gewirkt hatten, konnte man äußerlich im Kultus und im Gebrauch des Wortes im wesentlichen nicht unterscheiden die spätere Zeit von der früheren. Innerlich war sie jedoch gewaltig zu unterscheiden, denn hineingegossen war in das, was dem Gott dieser Völker geheiligt war, alles das, was die besondere Nuance des Kultus, des Opferdienstes, der Überzeugung aufnehmen konnte. Im Grunde genommen fand etwas Ähnliches ja auch in den europäischen Gebieten in den älteren Zeiten statt: nicht ein eigenmächtiges Überfluten der Menschen mit vielen Dogmen, sondern ein Anknüpfen an das alte Mysterienwesen der jeweiligen Völker.

Sehen Sie, das sind zunächst Bausteine, die man kennenlernen muß, damit man so etwas wie die Apokalypse richtig liest, damit nicht ein auch nur spärlicher Rest zurückbleibt von dem Absurden, zu dem die heutige Theologie vielfach in bezug auf die Apokalypse gekommen ist. Dieses tolerante Hineinbauen in das Bestehende, das zum Beispiel dem Apokalypseschreiber öfter das Wort in den Mund gibt: «Ihr wollt Juden sein und seid es nicht» (Apk. 2, 9; 3, 9), das will er aus den Herzen, aus den Seelen der dort sitzenden Leute sprechen. Solche Dinge und andere haben ja dazu geführt, die Apokalypse überhaupt nicht als christliches Dokument gelten zu lassen, sondern als ein jüdisches Dokument anzusehen. Man muß es eben verstehen, wie diese Dinge aus der alten Vorstellungsweise hervorgegangen sind.

Nun, wir werden auf die Einzelheiten dann noch genauer einzugehen haben, aber eine Vorstellung muß möglichst heute schon berührt werden: Derjenige, der dazumal unter Inspiration geschrieben hat, der war sich klar darüber, daß man mit einer bestimmten Anzahl typischer Erscheinungen eine Wirklichkeit erschöpfend darstellen kann. Sehen Sie sich an, wie wunderbar individuell die sieben Gemeinden in den sieben Briefen der Apokalypse charakterisiert werden. Ganz wunderbar. Sie sind da alle so beschrieben, daß sie sich scharf voneinander abheben, daß sich jede in ihrer besonderen Eigenart uns darstellt. Der Schreiber der Apokalypse war sich klar darüber gewesen: Würde er eine achte Gemeinde beschreiben, so würde er etwas beschreiben müssen, was wiederum mit einer der vorhandenen Gemeinden ähnlich wäre. Ebenso würde das bei einer neunten sein. Mit diesen sieben Nuancen ist zugleich alles beschrieben, was möglich ist. Darüber war er sich klar.

Dies ist wiederum eine wunderbare Vorstellung, die aus alten Zeiten heraufragt. Mir ist das vor kurzer Zeit wiederum so lebendig entgegengetreten, als wir von Torquay, wo wir unsere englischen Sommerkurse hatten, hinausfuhren nach der Stätte, wo einst das Schloß des Königs Artus stand, des Artus mit seinen zwölf Rittern. Man sieht es heute dieser Stätte noch an, was sie einmal an lebendigem Leben bedeutete. Wenn man diese in das Meer hinausgehenden Landvorsprünge sieht, die besetzt sind mit den spärlichen noch vorhandenen Ruinen der alten Artusschlösser, die wunderbare Gestalt hatten, und dort den Blick hinausrichtet auf das Meer - (es wird an die Tafel gezeichnet:) in der Mitte ist ein Berg, hier das Meer und da das Meer -, dann sieht man das Meer diese dortige Gegend so merkwürdig durchseelend. Ein Bild, das einen Eindruck darbietet, der fortwährend wechselt.

Tafel 3

Während wir dort waren, wechselten in verhältnismäßig kurzer Zeit rasch hintereinander Sonnenschein und Regen. Das ist natürlich in der alten Zeit auch der Fall gewesen. Heute ist es sogar stiller; in dieser Beziehung hat sich das Klima dort geändert. Nun schaut man in dieses wunderbare Wechselspiel, in das Ineinanderspielen der elementarischen Lichtgeister, die Beziehungen eingehen mit den Wassergeistern, die von unten nach oben heraufstrahlen, und wiederum sieht man ganz besondere Geister-Erscheinungen, wenn das Meer anbrandet an das Land und sich losringend zurückgeworfen wird, oder wenn das Meer sich aufkräuselt. Nirgends sonst als an dieser Stätte der Erde findet man dieses eigentümliche Leben und Weben der elementarischen Weltwesen.

Das, was ich dort sehen durfte, war das Instrument der Inspiration für die Teilnehmer der Artustafelrunde. Sie empfingen wirklich die Antriebe zu dem, was sie tun sollten, aus dem, was ihnen mit Hilfe dieser Meer- und Luftwesen gesagt wurde. Diese Artusritter wiederum, sie konnten nur zwölf sein. Ich sage, es trat mir das entgegen, weil man tatsächlich heute noch wahrnehmen kann, worauf die Einsetzung dieser Zwölfzahl beruhte. Es gibt eben zwölf Nuancen des Wahrnehmens, wenn man es in dieser Art mit durch elementarische Wesen zustande gekommenen Weltwahrnehmungen zu tun hat, zwölf Arten des Wahrnehmens.

Wenn man aber als einzelner Mensch alle zwölf erfassen will, so wird immer eine durch die andere undeutlich. Die Ritter der Artustafelrunde haben ihre Aufgaben daher so verteilt, daß jede immer als eine dieser zwölf Nuancen aufgefaßt werden kann. Sie waren überzeugt, damit hatte jeder ein von dem anderen scharf differenziertes Gefühl von dem Weltall, dessen Aufgabe sie übernahmen. Aber es konnte keinen Dreizehnten geben, denn der hätte wieder einem von den Zwölfen ähnlich sein müssen.

Es liegt hier klar die Vorstellung zugrunde: Wenn Menschen sich ihre Aufgaben in der Welt teilen wollen, müssen es zwölf sein. Die bilden ein Ganzes, sie stellen die zwölf Nuancen dar. Wenn Menschen in Gemeinschaften, in Gemeinden, der Welt gegenüberstehen, bringt dies die Siebenzahl. Diese Dinge wußte man dazumal.

Der Apokalyptiker schreibt noch aus diesem übersinnlichen Zahlenverständnis heraus, und so spricht er auch im weiteren Verlauf der Apokalypse. Ich will heute zunächst nur über das Lesen der Apokalypse reden. Johannes macht uns darauf aufmerksam, wie da unter den Erscheinungen die ist, daß er sieht den Stuhl Christi, den Stuhl des verklärten Menschensohnes, um den herum 24 Älteste sitzen (Apk. 4, 4). Hier haben wir eine Nuancierung nach der Zahl Vierundzwanzig. Was bedeutet diese Nuancierung nach der Zahl Vierundzwanzig?

Gemeinden haben eine Nuancierung nach Sieben, leibhaftige Menschen auf dem physischen Erdengrund haben eine Nuancierung nach Zwölf. Wenn es sich aber darum handelt, den Menschen als Repräsentanten der menschlichen Entwickelung im überirdischen Leben anzusehen, dann kommen wir wiederum zu einer anderen Zahl. Es gab ja Führer der Menschheit, die von Epoche zu Epoche das zu offenbaren hatten, was die Menschheit an Offenbarungen aufzunehmen hatte, die einfach eingeschrieben sind in dem Weltenäther, den man auch die Akasha-Chronik nennt. Wenn wir die aufeinanderfolgenden großen Offenbarer der sich entwickelnden Menschheit nehmen, so können wir finden, wie da im übersinnlichen Reiche eingeschrieben ist, was die einzelnen Offenbarer zu geben hatten.

Eigentlich sollte man solch eine Individualität wie zum Beispiel Moses nicht nur aufsuchen, wie er als der Erden-Moses war, auch nicht nur, wie er nach den biblischen Dokumenten war, denn diese sind schon nach der Akasha-Chronik gegeben. Man sollte Moses aufsuchen, wie er auf dem Stuhle Christi sitzt. Das, was von seinem Erdensein das Ewige ist, das Bleibende sub specie aeternitatis, das ist fest eingegraben im Weltenäther. Es kann aber nur vierundzwanzig solche für die Ewigkeit gewählte Menschenwirksamkeiten geben, denn bei der fünfundzwanzigsten würde eine Wiederholung einer vorhergehenden auftreten. Das war ein Wissen in der Vorzeit.

Wollen Menschen auf Erden zusammenwirken, müssen es zwölf sein. Wollen menschliche Gemeinschaften zusammenwirken, müssen es sieben sein; die achte wäre eine Wiederholung von einer der sieben. Wirken aber sub specie aeternitatis die zusammen, die im Laufe der Menschheitsentwickelung sich vergeistigten, die eine Etappe des Menschlichen darstellen, müssen es vierundzwanzig sein. Das sind die 24 Ältesten.

Wenn wir nun diese 24 Ältesten nehmen, von deren Offenbarungen einzelne schon da sind, andere erst kommen werden, so haben wir sie um den Stuhl Christi herum wie die Synthese, wie die Zusammenfassung aller Menschenoffenbarungen. Aber wir haben vor diesem Stuhl Christi den Menschen selber, der jetzt als Mensch aufgefaßt wird gegenüber dem, was als Glied, als einzelne Etappe des Menschlichen dasteht. Ich möchte sagen: Der Mensch an sich, wie man ihn auffassen muß, der ist unter dem Bilde der vier Tiere dargestellt.

Ein grandioses Bild steht da vor uns. Der verklärte Menschensohn in der Mitte, auf dem Stuhl die einzelnen Etappen der Menschheit durch die Zeitenfolgen in den 24 Lenkern der 24 Stunden des großen Weltentages, und, ausgebreitet über alles das unter dem Bilde der vier Tiere, den Menschen selber, der alle einzelnen Etappen zu umfassen hat. Ein Wichtiges, Wesentliches tritt uns da entgegen.

Was geschieht denn da vor dem sehenden Schauen des Apokalyptikers, der des Gottes Botschaft den Engeln ihrer Gemeinden überliefert und damit der ganzen Menschheit überliefert? Was geschieht da? Als die vier Tiere in Aktion treten, das heißt, als der Mensch seine Beziehung zur Gottheit entdeckt, da fallen die 24 Lenker der 24 Tagesstunden des großen Weltentages auf ihr Antlitz. Da verehren sie dasjenige als das Höhere, was der ganze Mensch ist, gegenüber dem, was sie darstellen: eine Etappe der Menschheit. In den Ältesten sah man wirklich dieses Bild, das dann der Apokalyptiker vor die Menschheit hinstellt. Nur daß man in jenen ältesten Zeiten sagte: Derjenige, der auf dem Stuhl sitzt, wird kommen -, und der Apokalyptiker hat zu sagen: Derjenige, der auf dem Stuhl sitzt, ist schon dagewesen.

Ich wollte heute über die Bedeutung des Lesens der Apokalypse sprechen. Aber richtig lesen lernen wir nur dann, wenn wir in die Lage kommen, von den alten Mysterien ausgehend eben das Lesen zu lernen.

Nun wollen wir versuchen, in der Apokalypse weiter zu leben. Denn es stehen tiefe Geheimnisse darin, die nicht nur so sind, daß Ihr sie kennenlernen sollt, sondern die schon so sind, daß manche derselben von Euch ausgeführt werden sollen, getan werden sollen.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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