ZEHNTER VORTRAG
Dornach, 14. September 1924
Meine lieben Freunde! Wir haben gewissermaßen die
Endperspektive des Apokalyptikers vor unsere Seele gestellt,
und wir sehen, wie diese Endperspektive tatsächlich so
geschildert ist, daß sie in völliger
Übereinstimmung steht, wenn wir sie richtig verstehen, mit
alle dem, was die exakteste geistige Wissenschaft in bezug auf
die Evolution sagen kann. Wir haben gesehen, daß in der
Apokalypse jener Umschwung zum Ausdruck kommt, der eintritt im
Bauen des Menschenwesens und der Kulturerscheinungen von unten
nach oben, in eine Form des Bauens von oben nach unten. Und ich
habe am Ende der vorigen Betrachtung darauf aufmerksam gemacht,
daß, wer ehrlich nach dem Verständnis der Apokalypse
sucht, gedrängt wird, diejenigen Dinge kennenzulernen,
welche aus der Geistesforschung heraus über die
Weltevolution gesagt werden können.
Wir
sehen, daß es gewisse Stellen der Apokalypse gibt, in
denen man nur einen Sinn finden wird und sie nur dann richtig
erfassen kann, wenn man auf den Weg der anthroposophischen
Menschenerkenntnis eingeht. Das ist durchaus dann der Fall,
wenn man es mit einer solchen Offenbarung zu tun hat, die sich
stützt auf Erlebnisse der geistigen Welt selber.
Natürlich muß man zunächst den Sinn dafür
haben, um einsehen zu können, daß so etwas wie die in
der Apokalypse vorgeführten Bilder Offenbarungen der
geistigen Welt sind. Dann wird man auch über die Frage
hinwegkommen: Ist denn der Apokalyptiker wirklich in der Lage
gewesen, alle diese Einzelheiten, die wir wiederfinden in
seinem Werk, von sich aus intellektuell einzusehen? - Nun,
darum kann es sich ja eigentlich nicht handeln. Sondern es kann
sich nur darum handeln, ob er ein wirklicher Seher war. Er
sieht in die geistige Welt, und die Dinge der geistigen Welt
sind ja nicht durch ihn wahr; sie sind durch ihren eigenen
Inhalt wahr. Sie tragen auch durch das Sich-Offenbaren diesen
eigenen Inhalt in sich und nicht durch ihn. So können
meinetwillen äußere rationalistische Forscher kommen
und den Nachweis führen: Ja, derjenige, der die Apokalypse
gegeben hat, war so und so weit gebildet, und man kann von ihm
nicht erwarten, daß er in seiner eigenen Seele eine so
weite Perspektive gehabt hat. - Ich will diese Frage, ob der
Schreiber der Apokalypse diese Perspektive gehabt hat oder
nicht, hier gar nicht erörtern. Ich will nur darauf
aufmerksam machen, daß es darauf im Grunde nicht ankommt,
daß wir die Bilder, die Offenbarungen der geistigen Welt
sind, durch den Apokalyptiker erhalten, sondern es kommt darauf
an, daß wir die Bilder als solche vor unsere Seele
hinstellen und ihren Inhalt auf uns wirken lassen
müssen.
Nun
haben wir gewissermaßen das grandiose Endbild des neuen
Jerusalem vor unsere Seelen gestellt, das diejenigen
Erlebnishintergründe hat, von denen ich gesprochen habe.
Wir werden gut daran tun, von diesem Bild aus ein wenig
zurückzugehen. Da haben wir die bedeutsame Stelle, wo
wiederum ein grandioses Bild vor unsere Seele tritt, jenes
grandiose Bild, wo der Apokalyptiker sieht, wie der Himmel auf
getan ist (Apk. 19, 11) und auf einem weißen Pferd
diejenige Macht ihm entgegentritt, von der er eigentlich so
spricht, daß wir gewahr werden: Er hat nicht nur in seinem
Verstand, in seiner Intellektualität die Trichotomie der
Gottheit, sondern er hat sie in seinem ganzen Menschen. Er
redet so, daß er wirklich mit voller Seele sich
bewußt ist, in den sogenannten drei Personen hat man die
drei Formen des Einigen Gottes vor sich, und man kann, wenn man
sich gewissermaßen jenseits der physischen Welt stellt,
nicht abwechselnd von dem einen oder von dem anderen sprechen,
weil sie ineinander übergehen. In die physische Welt
gestellt allerdings ergibt das Bild drei Personen, und man
muß unterscheiden zwischen dem Vatergott, der allen
Naturtatsachen zugrundeliegt, auch denen, die in die
menschliche Natur hineinwirken, dem Sohnesgott, der mit allem
zu tun hat, was in die Freiheit des seelischen Erlebens
hineinführt, und dem Geistgott, der da lebt in einer
naturfernen, naturfremden, eben in einer geistig-kosmischen
Ordnung. So scharf konturiert erscheinen gewissermaßen die
drei Personen der Gottheit hier auf dem physischen Plan.
Während der Mensch, wenn er die Schwelle zur geistigen
Welt überschreitet, hineinkommt in einen Zustand, den ich
beschrieben habe in meinem Buch «Wie erlangt man
Erkenntnisse der höheren Welten?», wo er sich
gewissermaßen in drei Wesenhaftigkeiten gliedert, so
daß dann Denken, Fühlen, Wollen mit einer gewissen
Selbständigkeit da sind, sehen wir, indem wir vom
physischen Plan ausgehend nach den höheren Welten kommen,
die Dreieinige Gottheit immer mehr als Einheit uns
entgegentreten. So muß natürlich gerade auf das hin
die Apokalypse gelesen werden. Man darf nicht mit Anlehnung an
die physische Welt unmittelbar voneinander unterscheiden den
Vatergott, den Sohnesgott, den Geistgott.
Derjenige, der in diesem grandiosen Bild auf einem weißen
Pferd uns entgegentritt, der ist der Einige Gott. Und das Bild
des Sohnesgottes haben wir mehr zu sehen in der Form der freien
seelischen Entwickelung der Menschen auf Erden. Aber nun tritt
etwas höchst Eigentümliches ein, etwas, was dieses
Bild so grandios erscheinen läßt. Es ist ganz
natürlich, ganz selbstverständlich: Johannes, der
Schreiber der Apokalypse, schaut den Himmel aufgetan, und das,
was nun als Neues herabkommt, ist von der geistigen Welt nach
abwärtssteigend. Das heißt, die ganze Kultur muß
nun in der Weise angeordnet werden, daß sie von der
geistigen Welt nach der physischen abwärts steigt. Wenn
wir uns dies recht vor die Seele stellen, dann ist
natürlich der Zustand, der da dem Endbild des Neuen
Jerusalem vorausgehen muß, der, daß Johannes
hineinschaut in die geistige Welt. Das heißt aber: Der
Himmel ist ihm aufgetan. Er will damit einen Zukunftszustand
andeuten, der für die Menschen da sein wird. Er sagt
eigentlich nichts Geringeres als dieses:
Bevor auf der Erde der Zustand eintreten wird, wo die geistigen
Ingredienzien zum Aufbau des neuen Jerusalem von der geistigen
Welt sich herabsenken, um von den Menschen aufgenommen zu
werden, bevor dieser Zustand kommen wird, daß die Menschen
sich bewußt werden, daß sie nun von oben herunter zu
bauen haben, und nicht mehr wie früher die materiellen
Ingredienzien von der Erde aus nach oben gehoben werden, bevor
dieser Zustand kommen wird - den ja Johannes als einen realen
betrachtet, wie ich neulich gesagt habe -, wo der Mensch
vorzugsweise mit seinem Willen beteiligt sein wird, bevor
dieser Zustand eintreten wird, wird ein anderer Zustand da
sein, an dem der Mensch bloß mit seiner Erkenntnis
beteiligt ist, wo er hineinschauen muß in die geistige
Welt: Der Himmel ist auf getan, und derjenige zeigt sich, der
den Wesenheiten der Welt sendend und schöpferisch und
heiligend zugrundeliegt.
Und
nun folgt die bedeutsame Stelle, die das Bild so grandios
macht: Und er trug einen Namen geschrieben an sich, den nur er
selber kennt (Apk. 19, 12). - Das ist sehr bedeutsam. Kommt man
an diese Stelle der Apokalypse, wo das steht, so sieht man da
wiederum ein bedeutsames Zeichen dafür, daß man es
mit einer der größten spirituellen Offenbarungen zu
tun hat.
Die
Menschen bezeichnen in den verschiedenen Sprachen dasjenige,
was ihr Ich ist, in der verschiedensten Weise. Ich habe
öfter auf die, ich möchte sagen spirituell triviale
Tatsache hingewiesen, daß der Name «ich» ja
niemals von einem einzelnen Menschen so ausgesprochen werden
kann, daß er auch einem anderen gegeben werden kann. Ich
kann nicht zu einem anderen «ich» sagen. Dadurch
unterscheidet sich der Name des Selbstes von allen anderen
Namen, denn die werden äußeren Objekten gegeben. Wenn
ich aber «ich» sage in irgendeiner Sprache, so kann
ich es nur zu mir selbst sagen. Ich kann es zu einem anderen
eigentlich nur dann sagen, wenn ich, ja, durch einen realen
geistigen Vorgang in ihn hinübergeglitten bin. Aber davon
brauchen wir jetzt nicht zu sprechen.
In
den älteren Sprachen wurde das Selbst ja nicht bezeichnet,
es lag im Verbum darin, es wurde nicht das Ich unmittelbar
bezeichnet. Man bezeichnete mit dem Verbum das, was man tat,
und damit gewissermaßen demonstrativ sich selber. Aber ein
Name für das Selbst war nicht da. Das ist erst in der
späteren Zeit eingetreten, daß der Mensch dieses
Selbst seines Menschenwesens mit einem Namen bezeichnete, in
unserer deutschen Sprache mit dem Namen, der die Initialen Jesu
Christi enthält, was schon eine bedeutsame symbolische
Tatsache ist. Denken wir uns nun eine Steigerung dieser
Tatsache, daß wir in der Sprache einen Namen haben, den
jeder nur in Beziehung auf sich selbst aussprechen kann. Die
Steigerung besteht eben in dem, was jetzt in der Apokalypse
gesagt wird: daß der, der da aus der übersinnlichen
Welt herunterkommt, den Namen an sich geschrieben trägt,
den er nun nicht bloß für sich selbst ausspricht,
sondern den einzig und allein er selbst versteht, den kein
anderer versteht.
Nun
denken Sie sich, es kommt also dieser Offenbarer auf Johannes
zu, zeigend in prophetischem Bilde dasjenige, was einmal
für die Menschheit eintreten wird. Da kommt er herunter in
Zukunftszeiten, derjenige, der den Namen hat, den nur er allein
versteht. Was kann das alles überhaupt heißen? Es
erscheint ja zunächst, wenn man das ehrlich begreifen
will, ganz sinnlos. Warum heißt es denn: «... der der
Welt das Heil bringen soll, der Welt die Gerechtigkeit bringen
soll» -, das steht ja alles da in der Apokalypse (Apk. 19,
11) - «der Glaube und Erkenntnis wahr machen soll» -
so steht es in der Apokalypse -, nicht wie Luther
übersetzt: «der Treue und Wahrhaftigkeit
bringt», sondern «der Glaube und Erkenntnis wahr
machen soll»? -Ja, das ist doch ein Versteckspiel
eigentlich; und wenn er einen Namen geschrieben hat, den nur er
selbst versteht - was bedeutet das? Wir werden angeregt, hier
tiefergehende Fragen zu stellen.
Nun
denken Sie sich recht anschaulich: Er trägt einen Namen,
den nur er selbst versteht. Wie können wir denn dieses
Namens teilhaftig werden? Er muß doch eine Bedeutung
gewinnen für uns, er muß doch in uns wohnen
können, dieser Name. Wie kann das geschehen? Wenn das
Wesen, das diesen Namen versteht, eins wird mit uns selbst, in
unser eigenes Selbst einzieht, dann wird in uns dieses Wesen
den Namen verstehen und wir mit ihm, dann werden wir immerzu
mit ihm in uns das Bewußtsein tragen:
Christus in uns.
Die
Dinge, die mit seinem Wesen zusammenhängen, die versteht
er allein, aber er versteht sie in uns, und das Licht, das
durch sein Verständnis in uns ausgestrahlt wird, weil er
in uns, in unserem eigenen Wesen dieses Licht wird, gibt die
Einsicht der Christus-Wesenheit in uns selbst. Sie wird eine
einwohnende, eine in dem Menschen einwohnende Einsicht
sein.
Sehen Sie, damit ist aber etwas eingetreten. Damit ist erstens
das eingetreten, was eine notwendig beabsichtigte Folge des
Mysteriums von Golgatha ist. Dieses Wesen, das durch das
Mysterium von Golgatha gegangen ist, dieses Wesen, das in uns
einziehen muß, damit wir mit seinem
Verständnis, nicht mit unserem Verständnis, die Welt
begreifen, dieses Wesen trägt ein Kleid, das mit Blut, mit
dem Blut von Golgatha besprengt ist. Und wir nehmen dieses
zweite Bild hin. Der Apokalyptiker Johannes sagt uns, daß
dieses mit dem Blut von Golgatha besprengte Kleid wiederum
einen Namen hat. Das ist nicht derselbe Name, von dem
früher die Rede war. Der Name für dieses mit Blut
besprengte Kleid ist der Logos Gottes, der Logos, der Gott, das
Wort Gottes (Apk. 19, 13). Derjenige also, der in uns wohnen
soll und durch sein eigenes Verständnis in uns das Licht
geben soll, das die Welt begreift, der erfüllt uns mit dem
Wort Gottes.
Die
Heiden haben das Wort Gottes in den Naturerscheinungen gelesen.
Sie mußten es durch äußere Offenbarungen
empfangen. Die Christen müssen das Wort Gottes, das
schaffende Wort Gottes dadurch empfangen, daß sie den
Christus in sich aufnehmen. Die Zeit wird kommen, wo durch den
Fortgang der Ereignisse alle Menschen, die das Christentum
ehrlich in ihre Seelen aufnehmen, wissen werden, daß das
Wort Gottes bei Christus ist, und daß dieses Wort Gottes
seinen Keim hat in dem Verständnis des Mysteriums von
Golgatha und des mit Blut besprengten Kleides. Wir haben also
in der Sprache des Apokalyptikers den Christus eingeschlossen
in das Mysterium von Golgatha.
Aber noch ein drittes tritt auf: Christus in drei Gestalten:
einmal durch sich selbst, das zweite Mal durch sein Kleid, das
dritte Mal durch die Taten, die er entwickelt für die
Menschen auf Erden. Damit wird wiederum der Zustand bezeichnet,
der eintreten muß, der natürlich nicht so eintreten
wird, daß man auf ein ganz bestimmtes Jahr zu weisen hat,
dem aber entgegengehen muß die christliche Entwickelung.
Das dritte ist, daß aufmerksam gemacht wird auf ein
Schwert, mit dem er wirkt, das das Schwert seines Wollens ist,
das Schwert seiner Taten, die er unter den Menschen auf der
Erde verrichtet hat dadurch, daß er ihnen innewohnt. Aber
das, was er jetzt tut, das trägt den dritten Namen:
König aller Könige, Herr aller Herren. Das ist die
dritte Form. Was ist denn das Wesen eines Königs, das
Wesen eines Herrn?
Lernen wir nur das lateinische Wort Dominus kennen in seiner
wirklichen inneren Wesensbedeutung, so kommen wir darauf, was
der Sprachgebrauch in diesem Falle bedeutet, ganz abgesehen von
der Geistesforschung: Derjenige, der irgendwie auf Erden oder
überhaupt in der Welt ausersehen ist, einem anderen Wesen
die Richtung zu geben, ist der Herr. Aber wie lange bedarf es
denn äußerer Herren auf der Erde? Wie lange bedarf es
denn der Gebote äußerer Herren, selbst der Gebote
äußerer Geistesherren über die Erde? - Nur bis
zu dem Zeitpunkt, wo der Christus mit dem Namen, den er nur
selber versteht, den Menschen innewohnt. Dann wird jeder Mensch
auch dem Christus in seinem eigenen Wesen, in seiner eigenen
Seele folgen können. Dann wird jeder in sich dasjenige zu
verwirklichen streben, was aus der inneren Liebe heraus den
Willen des Menschen realisieren will; dann wird der Herr der
Herren, der König der Könige in jedem einzelnen
wohnen.
Geistig gesehen ist das die Zeit, in der wir selber jetzt
leben. Und die Tatsache, daß wir in ihr leben, ist nur
dadurch verhüllt, daß die Menschen fortfahren, in
alten Bahnen zu leben und wirklich zunächst soviel als
möglich diese Christus-Innewohnung verleugnen, auf allen
Gebieten so viel als möglich verleugnen. Man muß
schon sagen: Es ist heute in zahlreichen Menschen vieles, was
sie in der rechten Weise vorbereitet auf das ätherische
Erscheinen des Christus, der ja ein aus der göttlichen
Welt herabkommendes Wesen ist. Aber die Menschen müssen
sich dazu vorbereiten dadurch, daß sie den Quell ihres
Handelns, ihres Tuns in sich selber rinden.
Und
damit berühren wir eigentlich aus dem Geist der Apokalypse
heraus die Schwierigkeit des heutigen Priesterwirkens. Der
Priester soll ja in gewissem Sinne der Dominus sein, er soll in
gewissem Sinne leiten und führen. Der Priester hat die
Bekennerschaft vor sich, und seine priesterliche Würde
setzt voraus, daß er der Führer, daß er in
gewissem Sinne der König für diejenigen ist, die er
zu führen hat. Er ist der Sakramente-Spender, er ist der
Seelsorger. Aber auf der anderen Seite leben wir in der Zeit,
wo die Menschen in sich die Essenz tragen, den Christus so weit
in sich aufzunehmen, daß sie immer mehr ihre eigenen
Führer werden können.
Sehen Sie, in diese Situation begibt sich derjenige, der heute
nach der Priesterwürde greift. Und diese
Priesterwürde ist dennoch gerade heute ganz voll
berechtigt, sie ist aus dem Grunde voll berechtigt, weil das,
was die Menschen als Essenz in sich tragen, zwar in den
Menschen da ist, aber aus ihnen erst herausgeholt werden
muß, wirklich aus ihnen herausgeholt werden muß. Man
braucht heute ja tatsächlich alles dasjenige, was hinter
der priesterlichen Würde liegt, um aus den Menschen
herauszuholen, was in ihnen ist. Denn wir leben in einer Zeit,
die eigentlich etwas ganz Bestimmtes voraussetzt. Die
äußere Welt kann dem, was da vorausgesetzt wird, sich
eigentlich noch nicht restlos gegenüberstellen. Denn die
äußere Welt hat es zu tun mit den Menschen, wie sie
nun einmal als Träger ihres physischen Leibes sind. Aber
es wäre ein furchtbarer Ausblick, wenn die Menschen nur so
in dieser Form, wie sie aus unserer heutigen Zivilisation
heraus sind, in die nächsten Erdenleben hinüberleben
würden.
Wir
wissen, auf anthroposophischem Gebiet wird das zu vermeiden
gesucht. Den Seelen der Menschen wird etwas geboten, wodurch
sie dasjenige aufnehmen können, was der Mensch heute
aufnehmen und in die nächste Inkarnation hinüberleben
soll. Aber das muß ja allgemein-menschlich werden. Die
Menschen müssen heute ein Ich ausbilden, eine
Individualität ausbilden, mit der sie hinüberleben
können in die nächste Inkarnation. Das ist nur
möglich, wenn zu den Menschenerlebnissen dasjenige
hinzugefügt wird, was durch die Gnade des Opfers, durch
die Gnade des Sakramentes gegeben wird. Dadurch wird sich von
den Menschen nicht ihr Karma lösen, wohl aber dasjenige,
was gerade in der heutigen Zeit im allerintensivsten Maße
den Menschen anhaftet. Die Menschen gehen ja heute maskiert
herum. Maskiert gehen sie herum. Und wenn einmal das
Bedürfnis auftritt, die Menschen wirklich in ihrer
Individualität zu sehen, so kann das in tragische
Konflikte hineinführen.
Ein
solcher tragischer Konflikt trat ja schon auf bei
Hölderlin, der einmal sagte, er sehe, wenn er die
Deutschen anschaue, «Handwerker, aber keine Menschen,
Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen,
Herren und Knechte, junge und gesetzte Leute, aber keine
Menschen.» Und so differenziert er weiter; die Menschen
tragen gewissermaßen das Siegel eines
Außermenschlichen an sich.
Heute brauchen wir ein priesterliches Wirken, das zu den
Menschen als Menschen spricht und das Menschheitliche
kultiviert. Das kann natürlich im Grunde genommen keine
der heutigen Konfessionen. Denken Sie nur einmal, wie
abhängig die Konfessionen sind. Gerade über diese
Abhängigkeit der Konfessionen muß die Gemeinschaft
für christliche Erneuerung hinauswachsen. Sie muß das
ja durch ihr eigenes Schicksal. Niemand, kein Beruf, der aus
der Anthroposophie herauswächst, ist in der gleichen Lage
wie die Priesterschaft. Das ist eine ganz besondere Lage, und
es ist vielleicht ganz richtig, das, was da vorliegt, einmal
aus dem Geist der Apokalypse heraus zu sagen. Bedenken Sie nur
einmal: Bei jeglichem anderen Wirken, das aus der
Anthroposophie herauswächst, sind die Menschen durch die
äußeren Gewalten, die heute bestehen, in irgendeiner
Weise abhängig von der Außenwelt. Wird jemand
Pädagoge aus der Anthroposophie heraus nun, wir sehen ja
die gewaltigen Widerstände, die uns gemacht werden. Die
Leute täuschen sich über das hinweg, aber wir werden
nicht eine zweite Waldorfschule bekommen, wenn überall die
Bedingung gestellt wird, daß nur Lehrer angestellt werden,
die ein staatliches Siegel haben in irgendeiner Weise. Nur aus
dem Grund konnte die Waldorfschule zustande kommen, weil wir
sie zu einem Zeitpunkt begründeten, in dem es in
Württemberg noch kein solches Schulgesetz gab.
Nehmen Sie die Mediziner: Wir können nicht ohne weiteres
aus der Wurzel des Daseins heraus Mediziner aus der
anthroposophischen Bewegung schaffen. Gewiß, wir
könnten Mediziner schaffen, aber sie würden nicht
approbiert werden, würden nicht anerkannt werden. Und in
gewissem Sinne haben wir diese Schwierigkeit sogar bei dem
Künstlerischen. Es wird gar nicht mehr lange dauern - wenn
es auch heute noch nicht völlig so ist -, daß die
Dinge hintendieren werden zu mancherlei, was heute schon in
Rußland versucht wird, daß man auch für den
Künstler eine staatliche Abstempelung fordern wird. Der
Priester, der aus der anthroposophischen Bewegung zunächst
herausgewachsen ist, ist der einzige, der das sozusagen alles
abstreifen kann. Wenn er etwas gelernt hat, ist es ja gut;
für sein Wirken aber kann er das alles abstreifen. Er kann
wirklich schon in der Theologie, die er nun vertritt, den
ersten Grundstein des neuen Jerusalem legen, denn er vertritt
eine Theologie, die von niemand als von ihm selbst anerkannt zu
werden braucht. Das ist das Bedeutsame.
In
dieser Lage seid Ihr allein. In dieser Lage sollt Ihr Euch auch
fühlen und werdet Ihr gerade das Spezifische Eurer
priesterlichen Würde fühlen. Man kann, wenn es sich
um ein Land wie Rußland handelt, Priester vertreiben, aber
man wird niemals in einem solchen Land etwas tun, um Priester
staatlich abzustempeln. Man wird entweder die Priester lassen,
wie sie sind, oder man wird sie gar nicht wollen, was ja heute
wenigstens der Tendenz nach in Rußland schon verwirklicht
ist.
So
kann der Priester zum ersten Mal fühlen das Herannahen des
neuen Jerusalem, das Herannahen des innewohnenden Christus, des
Christus, der der König der Könige, der Herr der
Herren wird. Deshalb ist es recht gut, wenn der Priester gerade
an dieser auf die Zukunft weisenden Stelle der Apokalypse
stehenbleibt, mit inbrünstigem Herzen stehenbleibt, und
den ganzen Enthusiasmus seiner Priesterseele, den er entwickeln
soll, an dieser Stelle der Apokalypse entwickelt. Denn die
Apokalypse soll nicht Lehre sein, die Apokalypse soll
werktätiges Leben in der Seele eines jeden von uns sein.
Wir sollen fühlen, wie wir eins sind mit der Apokalypse.
Wir sollen hineinstellen können dasjenige, in dem wir
selber wirken und leben, in den Strom der Prophetie der
Apokalypse. Da sehen wir uns dann versammelt um Johannes, den
Apokalyptiker, der vor sich das Gesicht hat: Der Himmel hat
sich auf getan; derjenige kommt, der seinen Namen nur selber
versteht, dessen Kleid den Namen des Wortes Gottes trägt,
der der König der Könige, der Herr der Herren ist -,
der kommt. Und die Priesterschaft, die sich mit dem Kultus
vereinigt, der nun wiederum aus der geistigen Welt
geschöpft ist, die Priesterschaft, die die
Transsubstantiation im Sinne des Heiligen Geistes selber
wiederum aufrichtet, die Priesterschaft, die die neue
Menschenweihehandlung hat, das umgestaltete Alte, in der das
Gültige vom Alten genommen ist, aber die Gestalt
angenommen hat, die heute aus der geistigen Welt fließt -,
diese Priesterschaft darf sich scharen um Johannes den
Apokalyptiker, der hineinschaut in den aufgetanen Himmel. Denn
wir dürfen jene Initiation, die sich vollzogen hat hier in
dem Saal, den dann das Feuer ergriffen hat, in dem Lichte
sehen, das da sich verbreitet, indem der Himmel aufgeht, das
weiße Pferd herauskommt mit dem, der daraufsitzt, der
seinen Namen nur selber kennt, der in uns einverleibt werden
muß, wenn dieser Name uns etwas sein soll. Das heißt
die Apokalypse verstehen; denn die Apokalypse muß lebendig
verstanden werden, nicht bloß mit der Erkenntnis.
Aber verbunden mit alle dem, was da als ein so grandioses Bild
auftritt, verbunden mit alle dem ist tiefe, tiefe Weisheit.
Bedenken Sie nur, was in unmittelbarer Nachbarschaft dieser
bedeutsamen Vision auftritt. Hingewiesen wird der Mensch
darauf, wie das Tier tätig ist, das ich ja charakterisiert
habe, das Tier, das den Menschen hinunterweist vom Geistigen
nach dem Physischen, das Tier, das der Apokalyptiker in drei
Etappen herankommen gesehen hat, das Tier, dessen eine Form
nicht nur die materialistische Lebensauffassung, sondern die
materialistische Lebenshaltung ist. Der Apokalyptiker weist auf
zwei Zeitpunkte hin. Er weist einmal darauf hin, wie das Tier
überwunden wird, und er weist zum anderen darauf hin, wie
der stärkere Widersacher der Menschheit für tausend
Jahre gebunden wird, um dann für kurze Zeit wiederum los
zu werden. Wir haben es also eigentlich mit zwei Widersachern
des guten Prinzips zu tun, mit dem Tier und mit demjenigen, den
die Tradition den Satan nennt.
Nun, in einer gewissen Weise ist ja für die
äußere physische Welt das Tier überwunden,
überwunden dadurch, daß dem Materialismus immerhin
eine spirituelle Weltauffassung gegenübergestellt werden
kann. Und in einer gewissen Weise ist ja in der Gegenwart Satan
gebunden. Aber er wird wieder los werden. Satan ist gebunden,
und derjenige, der die Dinge durchschaut, auf die es in der
Evolution ankommt, der weiß auch, daß Satan gebunden
ist. Denn wäre Satan in der Gegenwart nicht gebunden,
träte alles dasjenige hervor, was tatsächlich die
Zornesschalen voll ausgießen könnte. Wenn Satan nicht
gebunden wäre, dann würde in einer grausigen Art sich
in der Außenwelt der Zusammenhang zeigen mit dem, was
heute als materialistische Gesinnung und Lebenshaltung auf der
Erde vorhanden ist. Dann würde der tiefste innere Zynismus
den Materialismus als Wahrheit verkünden und eine solche
Begierde bei dem nichtgebundenen Satan erregen, daß man
sehen würde dieses Heraufziehen der materialistischen
Gesinnung und Lebenshaltung und das Sich-Aneignen durch die
ahrimanischen Mächte als die schauderhaftesten,
furchtbarsten Krankheiten.
Wäre Satan nicht gebunden, dann würde man nicht
bloß sprechen müssen von einem Materialismus als
Gesinnung und Lebenshaltung, sondern man würde von dem
Materialismus als der bösesten Krankheit sprechen
müssen. Statt dessen gehen heute die Menschen mit dem
Zynismus und der Frivolität des Materialismus, selbst des
religiösen Materialismus, durch die Welt, und es geschieht
ihnen nichts. Aber es geschieht ihnen bloß aus dem Grunde
nichts, weil Satan gebunden ist und die Gottheit den Menschen
zunächst noch die Möglichkeit läßt, zum
Spirituellen zu kommen, ohne dem Satan zu verfallen. Wäre
der Satan da, dann würde gerade mancher, der als Lehrer
innerhalb irgendeines Bekenntnisses steht und vom Materialismus
befallen ist, einen schrecklichen, einen grausigen Anblick der
Menschheit zeigen. Die Vorstellung, die da hinweist auf die
mögliche Krankheit durch den Materialismus, auf den
Aussatz des Materialismus, der eigentlich da wäre, wenn
Satan nicht gebunden wäre, ist allerdings eine furchtbare
Vorstellung.
Aber innerhalb keines anderen Zusammenhanges als im
Zusammenhang mit der Apokalypse wird heute derjenige, der sich
seiner Geistverantwortung gegenüber dieser Erkenntnis
bewußt ist, eine solche Vorstellung erregen. Ich selber
würde das Wort von dem Aussatz des Materialismus nicht in
einem anderen Zusammenhang aussprechen als in dem, in dem ich
es hier ausspreche, wo ich angeknüpft habe an die
Apokalypse. Wer sich einlebt in die Vorstellungen der
Apokalypse, hat auch diese grausigen Bilder vor sich, die aber
durchaus einer geistigen Realität entsprechen.
Die
Apokalypse soll nicht nur unser Leben durchdringen, sie soll
auch unser Wort durchdringen. Die Apokalypse, wenn wir sie in
uns aufnehmen, ist nicht nur das Belebende in dem
Priesterwirken, sie ist zugleich auch dasjenige, was uns
gestattet, auf Dinge hinzuweisen, auf die wir sonst im
exoterischen Leben niemals hinweisen würden. Die
Apokalypse soll nicht nur in unserem Ich leben, wenn wir sie
verstehen wollen, die Apokalypse will auch in unserem Wort
sprechen. Manches werdet Ihr Euch sagen, wenn Ihr in rechter
Priesterschaft allein im Kämmerchen unter Euch seid, damit
es in Euch lebe und unter Euch bleibe. Dann werdet Ihr die
Kraft schöpfen, das rechte Wort wiederum auch vor Euren
Gläubigen zu reden.
Priestersein heute bedeutet, die ersten zu sein, die von der
Apokalypse frei sprechen dürfen unter sich. Es ist diese
Apokalypse das den Evangelien angefügte Priesterbuch. Ihr
werdet umso mehr Priester werden, je mehr Ihr Euch einlebt in
diesen inneren Geist der Apokalypse. Davon dann morgen
weiter.
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