NEUNTER VORTRAG
Dornach, 13. September 1924
Meine lieben Freunde! Wir werden jetzt, da wir eine Anzahl von
Elementen zusammengetragen haben, um hinter das Wesen der
Apokalypse zu kommen, die Apokalypse selber ins Auge zu fassen
haben und dabei die Sache so gestalten, daß wir beginnen
bei einigen Fragen, die sich auf das Ende, das Ziel desjenigen
beziehen, was der Apokalyptiker schaut und was er der
Menschheit mitteilen will. Es wird sich nachher schon zeigen,
warum diese Komposition der Betrachtung gewählt werden
soll.
Wenn wir zunächst auf dasjenige hinschauen, was der
Apokalyptiker uns gibt, so ist es, man könnte sagen, eine
Mitteilung an die Menschen, eine Offenbarung an die Menschen,
aber eine Offenbarung, welche sich wesentlich unterscheidet von
demjenigen, was auftritt, wenn andere, nicht aus der
Hellsichtigkeit hervorgehende Mitteilungen an die Menschen
gebracht werden. Und so verweist der Apokalyptiker auch darauf,
daß es ja ein besonderes Ereignis war, eine mächtige
Erleuchtung, aus der heraus er in der Lage ist, seine
Mitteilung an die Menschheit zu machen. Dadurch aber erscheint
die Apokalypse in der Tat als etwas, was als ein zu dem
Fortgang der christlichen Entwickelung dazugehöriges
Ereignis, als eine dazugehörige Tatsache auftritt.
Wir
können sagen: Der große, der alles überragende
Ausgangspunkt der christlichen Entwickelung auf Erden, auf den
vorher nur hingeschaut werden konnte, der früher nur
erhofft werden konnte, das ist natürlich das Mysterium von
Golgatha selbst. Aber dann kommen die einzelnen Tatsachen, die
geschehen müssen, damit die christliche Entwickelung von
dem Mysterium von Golgatha an durch die Zeiten und Ewigkeiten
weiter fort läuft. Ein solches Geschehnis ist ja die
Offenbarung, welche durch die Apokalypse geschieht. Der
Verfasser der Apokalypse ist sich dessen auch völlig
bewußt, daß er damit nicht nur das, was er
erfahren hat, hineinstellt in die Gegenwartsentwickelung und es
den anderen mitteilt, sondern daß das, was im Empfangen
und Weiterverbreiten der Apokalypse liegt, eine Tatsache
ist.
Sehen Sie, das ist ja gerade das Wichtige bei der
Unterscheidung des Christentums von anderen religiösen
Bekenntnissen, daß man es in alten Religionsbekenntnissen
zu tun hat mit Lehren, während in der christlichen
Entwickelung die Tat von Golgatha das Wesentliche ist und
weitere Taten zu diesem Wesentlichen hinzukommen müssen.
Daher ist es nicht von allererster, fundamentaler Bedeutung,
daß der Mensch die Evangelien ausgelegt bekommt, sondern
das Wesentliche ist, daß ein realer Zusammenhang mit dem
Mysterium von Golgatha durch das Christentum gesucht wird.
Unter dem Einfluß des Intellektualismus hat das
Christentum ja in neuerer Zeit selbst intellektualistische
Formen angenommen. Und so, kann man sagen, konnte selbst so
etwas entstehen wie der berühmte Ausspruch: Jesus
gehört nicht in die Evangelien. - Das hieße etwa, man
könne den Inhalt der Evangelien als Lehren hinnehmen, aber
den dahinterstehenden Lehrer hätte man nicht zu
berücksichtigen, der käme nicht in Betracht. Allein
der Vater, so heißt es, gehöre in die Evangelien. -
Es ist das so, als ob es beim Mysterium von Golgatha im
wesentlichen nur darauf ankäme, daß der Christus
Jesus erschienen wäre und eine Lehre vom Vater gegeben
hätte. Das ist aber nicht das Wesentliche. Das Wesentliche
ist, daß die Tat auf Golgatha verrichtet worden ist,
daß der Christus Jesus auf der Erde gelebt hat und die Tat
auf Golgatha verrichtet hat. Und die Lehre ist eben nur das
Akzessorische, das Akzidentelle. Dazu muß sich das
Christentum wieder durchringen, dies anzuerkennen, aber auch es
durchzuführen.
Und
so ist sich der Apokalyptiker bewußt, indem er die
Offenbarung empfängt, daß diese Tatsache geschehen
ist und daß diese Tatsache durch ihn weiterwirkt. Das ist
es, worauf es ihm ankommt. - Was geschieht denn dadurch
fortlaufend? Nicht wahr, formal betrachtet lebt der Mensch,
namentlich wenn wir seinen heutigen Zustand betrachten, so,
daß er während des Tages seine vier
«Kleider», den physischen Leib, den ätherischen
Leib, den astralischen Leib und das Ich, mit einer gewissen
Normalität verbunden trägt. Wenn er im Schlafzustand
ist, sind der astralische Leib und das Ich außerhalb des
physischen und ätherischen Leibes, sie sind in dem
Geistgebiet der irdischen Umgebung, das hinter den
sinnlich-physischen Erscheinungen ist. Sie sind ja
zunächst beim Menschen heute nicht auf Wahrnehmbarkeit
eingerichtet, das sind sie erst durch die Initiation. Der
Mensch lebt ein dumpfes Dasein im Schlafe, von dem er nur ein
allgemeines Gefühl hat beim Erwachen, oder er schaut
Träume, die auf die oft beschriebene Weise aus dem Schlaf
auftauchen. Wir haben auf der einen Seite in der geistigen Welt
darinnen den astralischen Leib und das Ich des Menschen, und
die stehen eigentlich so in jener Welt drinnen, daß sie
zunächst keine Impressionen, keine unmittelbaren
Impressionen von Christus und seiner Wesenheit erhalten
können. Wenn wir uns also nichts anderes denken als das,
was ich jetzt erwähnt habe, würden das Ich und der
astralische Leib jede Nacht in die geistige Welt hineingehen
und würden da keinen unmittelbaren Zusammenhang mit dem
Christus haben; sie würden am Morgen wieder in dieses
Irdisch-Physische zurückkommen und sie würden - da
nun das Mysterium von Golgatha im Laufe der Erdenevolution vor
sich gegangen ist - sogleich einen Eindruck von dem Christus
haben, denn der Christus ist da in der Erdenaura. Aber dieser
Eindruck würde dumpf bleiben. Geradeso wie sonst die
nächtlichen Eindrücke für den Tag dumpf bleiben,
so würde dieser Eindruck, daß demjenigen, was da als
physischer und ätherischer Leib im Schlafe liegt, der
Christus innewohnt, nur so wahrgenommen werden können, wie
eben der Schlafzustand vom Erwachenden wahrgenommen wird, und
es würde kein deutliches, klares Erlebnis des Christus
dasein können.
Wir
stellen uns vor, daß unmittelbar, nachdem das Mysterium
von Golgatha auf der Erde vollendet war, Menschen da waren,
welche die Sache noch miterlebt hatten, und welche aus den
unmittelbaren Eindrücken, die sie miterlebt hatten',
wiederum auf andere die unmittelbaren
Wahrnehmungseindrücke von dem Mysterium von Golgatha
übertragen konnten. Christus hat ja auch seine Jünger
in esoterische Schulung genommen nach seiner Auferstehung, er
gab ihnen manche bedeutsame Lehren. Das alles pflanzte sich
zunächst in den ersten Jahrzehnten fort, nachdem das
Mysterium von Golgatha vollendet war. Das hätte einmal ein
Ende nehmen müssen. Und wir sehen ja auch, wie es in
gewissen Kreisen allmählich versiegt. Man kann schon
sagen, es gab in den als gnostisch verschrieenen Schriften und
sonstigen älteren Ausführungen der alten
Kirchenlehrer, die noch Schüler der Apostel waren oder
Schüler der Apostelschüler, gewaltige esoterische
Lehren über das Christentum, die von der Kirche dann
ausgerottet worden sind, weil die Kirche dasjenige weghaben
wollte, was immer mit diesen Lehren verbunden war: das
Kosmische. Es sind ja ungeheuer bedeutsame Dinge von der Kirche
vernichtet worden. Sie sind vernichtet worden, aber das Lesen
in der AkashaChronik wird sie wiederherstellen bis zum letzten
I-Tüpfelchen, wenn es an der Zeit ist, sie
wiederherzustellen.
Es
wäre dennoch für die äußere historische
Entwickelung dasjenige versiegt, was an großen
Impressionen da war, aber in dem Augenblick, wo das Versiegen
drohte, war eben auch die Apokalypse da. Und wenn die
Apokalypse richtig aufgenommen wird - eine Probe wurde ja
gerade, ich möchte sagen, im zweiten Stadium der Zeit nach
dem Mysterium von Golgatha schon von verschiedenen Menschen
geliefert -, wenn die Apokalypse, dieses grandiose Bild, dieses
weissagende Bild der Evolution richtig aufgenommen wird, das
heißt, wenn es in den astralischen Leib und namentlich in
die Ich-Organisation aufgenommen wird, dann tragen Ich und
astralischer Leib im schlafenden Zustande eine solche
Offenbarung - die ja, wie ich Ihnen gleich in der ersten Stunde
gesagt habe, unmittelbar von der geistigen Welt selber kommt,
die eigentlich eine Art Brief ist, eine unmittelbare verbale
Offenbarung aus der geistigen Welt, mit Visionen verknüpft
-, dann tragen Ich und astralischer Leib im schlafenden
Zustande eine solche Offenbarung hinaus in die Welt der
Erdenaura. Und das, meine lieben Freunde, das bedeutet,
daß allmählich von allen denjenigen, die die
Apokalypse mit innerem Verständnis aufgenommen hatten, der
Inhalt eingegraben wurde in den Äther der Erdenaura. So
daß man sagen kann: den Grundton innerhalb der Erdenaura
gibt die Anwesenheit des Christus, der weiterwirkt in der
Erdenaura.
Dieser Christus-Impuls influenziert jede Nacht, wenn der
astralische Leib und das Ich aus dem physischen und dem
Ätherleib draußen sind, zunächst in tiefer Weise
den Ätherleib des Menschen. Nur ist der Mensch zumeist
nicht imstande, wenn er am Morgen mit seinem Ich und seinem
astralischen Leib in den physischen Leib zurückkehrt,
dasjenige wiederzufinden, was da an Christus-Impuls im
ätherischen Leib enthalten ist.
Indem nun im weiteren von den Johannes-Schülern der Inhalt
der Apokalypse aufgenommen wird, gräbt sich der Sinn der
Worte in den Äther der Erdenaura ein. Und dann wirkt vom
Einschlafen bis zum Aufwachen auf den menschlichen
Ätherleib dasjenige, was da in der Erdenaura eingegraben
ist, was eingegraben wurde schon durch die großen
bedeutsamen Impressionen, die der Verfasser, oder besser
gesagt, der Empfänger der Apokalypse selbst erhalten hat
von den göttlich-geistigen Wesenheiten. Das bedeutet,
daß diejenigen Menschen, die eine Hinneigung haben zum
Mysterium von Golgatha, in ihren Schlafzuständen ihren
Ätherleib dem Inhalte der Apokalypse aussetzen
können. Es ist das eine reale Sache. Man kann durch die
richtige Christus-Gesinnung sich einen solchen Schlafzustand
herbeiführen, daß das von dem Inhalt der Apokalypse
im Erdenäther Bewirkte, durch das Eintreten des Christus
in der Erdenevolution Liegende, sozusagen in den menschlichen
Ätherleib eingegraben wird. Das ist der reale Vorgang. Das
ist als die fortwährende Tat der Apokalypse da.
Man
kann im priesterlichen Wirken zu demjenigen, der einem in der
Seelsorge anvertraut ist, ruhig sagen: Durch das Mysterium von
Golgatha ist der Christus in die Erdenevolution eingetreten. Er
hat zunächst zur Vorbereitung der Menschen das bewirkt,
was in den Evangelien gegeben ist, damit die Menschen in ihren
astralischen Leib und in ihr Ich - man muß das umkleiden
in die entsprechende Terminologie, die man brauchen kann
für die Bekenner -, damit die Menschen in ihren
astralischen Leib und in ihr Ich den Inhalt der Evangelien
aufnehmen können, und dadurch präpariert werden, den
Christus-Impuls beim Aufwachen in ihrem Ätherleib zu
empfangen. - Indem aber der Apokalyptiker in das sich
entwickelnde Christentum hineingestellt ist, wird es ihm
möglich, dasjenige, was er in konkreter Weise schildert,
was in der Evolution des Christentums durch die verschiedenen
Epochen hindurch bis in die Zukunftszeiten hinein ist, dem
Ätherleib des Menschen einzuverleiben.
Sehen Sie, damit haben wir etwas in der Erdenevolution, was
gegenüber den alten Mysterienlehren ein wesentlich Neues
ist. Denn was haben die alten Mysterien eigentlich dem
Initiaten vermittelt? Sie haben ihm dasjenige vermittelt, in
das man hineinschauen kann, wenn man das sozusagen von Ewigkeit
her in der Welt Veranlagte in seiner geistigen Wesenheit
überblickt, wenn man innerhalb des äußeren
physischen Wirkens findet die von Ewigkeit her in ihren Bahnen
wirkende göttliche Wesenheit. Der Initiierte der alten
Mysterien hat gar nicht Anspruch darauf erhoben, etwas anderes
in seinen Ätherleib hereinzubekommen als das, was man eben
durch die Ergebnisse der Initiation bekommt.
Der
christliche Initiierte bleibt dabei nicht stehen. Er will das,
was erst im Lauf der Zeiten in die Erdenentwickelung
eingetreten ist, alles, was mit dem Mysterium von Golgatha und
mit Christus zusammenhängt, in seinen Ätherleib
aufnehmen. So daß in der Tat für die Christenheit
eine beginnende Initiation in der Offenbarung der Apokalypse
liegt. Diese Offenbarung ist eine Art von beginnender
Initiation, nicht des einzelnen, aber eine beginnende
Initiation für die ganze Christenheit; und der einzelne
kann sich vorbereiten, so daß er daran teilnehmen
kann.
Damit aber, so kann man sagen, ist der Weg erst eröffnet,
um über das Natur-Vaterprinzip hinauszukommen. Im Grunde
genommen ist alle alte Initiation der Form nach eine
Vater-Initiation. Man suchte die Natur und den Geist in der
Natur und konnte damit zufrieden sein. Denn der Mensch stand
selbst in dieser Welt der Natur darinnen. Nun ist der Christus
dagewesen in der Erde. Nun bleibt er da. Er hat seine Tat auf
Golgatha verrichtet und bleibt nun da. Das, was durch das
Mysterium von Golgatha geschehen ist, kann man nicht durch die
bloße alte Initiation in sich aufnehmen, sondern da
muß man sich erheben in eine Welt des Geistes, die nicht
dieselbe ist, die durch die alten Mysterien strömte. Was
durch die alten Mysterien strömte, erhoffte bloß,
daß das Mysterium von Golgatha auch einmal durch die neuen
Mysterien strömen sollte. Jetzt aber setzt sich der Mensch
nicht mehr durch die Natur, sondern unmittelbar durch den
Christus mit dem Geist in Verbindung. Der alte Initiat
wählte immer den Umweg durch die Natur. Der neue Initiat -
das war ja nicht im allerersten Jahrhundert, aber besonders in
den späteren Jahrhunderten nach dem Mysterium von Golgatha
die Ansicht vieler halb oder teilweise Initiierter -, der neue
Initiat setzt sich in Verbindung mit dem Geistwesen der Welt
durch das, was durch Christus in die Welt eingeflossen ist und
durch das, was auf Christus aufbaut. So betrachtete ein solcher
Initiat damals die Apokalypse. Er betrachtete sie als etwas,
von dem er so sprach: Die Natur ist der eine Weg, um in die
geistige Welt hineinzukommen; das, was durch die Apokalypse an
grandiosem Wissen geoffenbart ist, ist der andere Weg, um in
die geistige Welt hineinzukommen. Es ist das
Bestürzend-Beglückende, wenn man in der geistigen
Forschung immer wieder auf Menschen trifft - wie gesagt, nicht
im allerersten christlichen Jahrhundert, aber in den etwas
späteren, im 2. bis 6. Jahrhundert -, wenn man da auf
Menschen trifft, die etwa sagen: Die Natur ist groß - sie
meinten das, was man eben im Altertum von der Natur erkannte -,
aber das, was durch den oder die Apokalyptiker aus dem
Übersinnlichen geoffenbart ist, ist ebenso groß oder
größer; denn die Natur führt zum Vater, aber
das, was durch die Apokalyptiker eröffnet wird, führt
durch den Sohn zum Geist. - Einen Weg zu dem reinen,
unmittelbaren Geistigen suchte man damals durch die
Apokalypse.
Damit aber war zu gleicher Zeit hingedeutet auf die wirkliche
Veränderung, die im Lauf der Menschheitsentwickelung
eintreten muß und wird, wenn die Menschen sich dazu
würdig machen. Man hatte es stark empfunden in alten
Zeiten, daß der Mensch ja aus der geistigen Welt stammt,
daß er aber eine Entwickelung hat, die ihn mit demjenigen
stark verbindet, das in der physisch-sinnlichen Welt ihm
entgegenkommt. Man hat stark diese Verbindung mit der
physisch-sinnlichen Welt gefühlt und war der Ansicht,
daß der Mensch gerade dadurch ein sündiges, ein
sündenhaftes Wesen geworden ist, daß er sich mit der
Materie der Erde verbindet.
Nun, demgegenüber sollte eine andere Zeit vorbereitet
werden, und sie wird vom Apokalyptiker vorausgesehen und
vorausverkündet. Das Bild, die rechte Imagination
dafür, suchte er, um dasjenige, was hinter diesem
Geheimnis steckt, in imaginativen Bildern vor die Seelen
hinzustellen. Und so erneuert er, faßt er zusammen eine
Vorstellung, die in der hebräischen Geheimlehre gang und
gäbe war. In der hebräischen Geheimlehre zeigt man
das folgende: Die Seelen kommen aus der geistigen Welt. Diese
Seelen, die aus der geistigen Welt kommen, umkleiden sich mit
dem, was von der Erde kommt; und wenn die Seelen sich
äußerlich, für die alleräußerlichsten
Verrichtungen des Geistes Häuser bauen, so entstehen
Städte. Wenn sie aber die inneren Verrichtungen der
menschlichen Seele umhüllen, so entsteht eben der
menschliche Leib aus den Bausteinen der Erde. Es floß der
Begriff des äußeren Wohnstättenbauens mit dem
Begriff des eigenen Leibbauens zusammen. Und das war ja
ein schönes, ein wunderbar schönes Bild, weil es
sachlich begründet ist, daß man ein Haus als
dasjenige ansah, in dem sozusagen das Verbreiten und Fortsetzen
der Taten und Seelenvorgänge, Seelenfunktionen, seine
Umhüllung findet, und daß man in dem
äußeren Haus sozusagen die Hülle dafür sah.
Man hatte diese wunderschöne Vorstellung: Wenn ich
für mein äußeres Tun ein Haus aus Erdenmaterie
auferbaue, so ist die Hausmauer, das ganze Haus, eine
Hülle für das, was ich tue. Das ist nur eine
erweiterte, ich möchte sagen, eine verhärtete,
skierotisierte Fortsetzung dessen, was der Mensch sich als
erstes Haus gebaut hat, denn als erstes Haus baut sich der
Mensch ein Haus für die inneren Verrichtungen der Seele,
und das ist sein Körper. Und wenn er nun seinen
Körper als Haus hat, so baut er sich ein zweites Haus, das
nun eben aus den Ingredienzien der Erde gebaut wird. Es war
eine ganz gang und gäbe Vorstellung, daß man den
Körper wirklich als Haus ansah und dieses Haus sozusagen
als die Hülle, die der Mensch sich anzieht hier in der
physischen Erdenwelt. Daher sah man das, was aus dem
Seelenbildenden hervorgeht, an als ein Häuserbauen der
Menschen.
Es
war ja in älteren Zeiten der Mensch wirklich auch
äußerlich stark zusammengewachsen mit dem, was sein
Haus war und dergleichen. Wir wollen es zeichnen: Hier (Tafel
7, rechts unten) hat er seinen Körper mit der Haut. Und
würde er jetzt im Verlauf seines Lebens noch eine andere
Haut kriegen für die äußerliche Wirksamkeit der
Seele, so wäre das wie ein Zelt, nur wächst das Zelt
nicht von selber, sondern der Mensch macht es sich.
Nun
hat man gerade in der hebräischen Geheimlehre dieses
Zusammenfließen im Beherrschen des Irdischen und im
Aufnehmen der irdischen Ingredienzien zur menschlichen
Entwickelung auf eine ganz bestimmte Art angesehen. Sehen Sie,
in bezug auf das Physische wird man zugeben: Die Erde ist so
eingerichtet, daß sie einen Nordpol hat, daß sich
dort gewissermaßen die Kälte sammelt; und man kann
äußerlich physisch-geographisch aus der Natur der
Erde diesen Nordpol beschreiben und ihn als etwas Wesentliches
der Erde ansehen. Die hebräische Geheimlehre hat das auch
mit dem gemacht, was an seelischer Tätigkeit in den
Kräften der Erde steckt, und sah nun - wie im Sinne eines
geographischen Nordpols - den Pol auf der Erde, wo alles
zusammenfließt an Kultur, wo also die Versammlung der
vollkommensten Häuser ist, und das sah sie in Jerusalem,
in der ganz konkreten Stadt Jerusalem. Das war der Pol für
die Konzentrierung der äußeren Kultur um die
Menschenseele herum, und die Krönung dieser Stadt war der
Salomonische Tempel.
Nun
fühlte man, daß dies in der Evolution der Erde
erschöpft ist. Diejenigen, die etwas von der
hebräischen Geheimlehre verstanden, die sahen in dem, was
auf das Mysterium von Golgatha folgte, in der Zerstörung
Jerusalems, nicht ein äußeres Ereignis, das durch die
Römer bewirkt wurde. Die Römer waren nur die
Handlanger der geistigen Machte, die das ausführten, was
ganz im Plan der geistigen Mächte war. Denn, so
stellten sie es sich vor: Diese alte Art, von der Erde aus die
Ingredienzien zu suchen, um den Menschenleib als Haus zu
erbauen, ist erschöpft. Indem Jerusalem zu seiner
Größe gekommen ist, ist alles das erschöpft, was
von der Erde aus an Substanz, an Materialität verwendet
werden konnte, um den Menschenleib als Haus zu erbauen.
In
das Christliche umgesetzt, bedeutet diese hebräische
Geheimlehre: Wäre das Mysterium von Golgatha nicht
geschehen, so wäre dennoch die Zerstörung Jerusalems
gekommen. Aber es wäre nicht hineingelegt worden in diesen
Untergang des mit Hilfe der Erde schaffenden Menschenwesens
dasjenige, was Neugestaltung werden kann. Gewissermaßen
der Keim zu einer völligen Neugestaltung ist in das
Jerusalem hineingelegt, das zum Untergang bestimmt war. Die
Mutter Erde erstirbt in Jerusalem. Die Tochter Erde lebt in der
Erwartung eines anderen Keimes. Da werden dann nicht mehr durch
Heranziehen der Ingredienzien aus der Erde die Leiber gebaut
und die Häuser des alten Jerusalem, das dastand als die
Krönung desjenigen, was auf der Erde vor sich geht,
sondern die Erde erhebt sich als ein geistiger Pol des alten
Jerusalem. Nicht mehr wird man imstande sein, aus den
Ingredienzien der Erde heraus so etwas zustande zu bringen wie
das alte Jerusalem. Dafür tritt aber die andere Zeit ein,
die im Keime veranlagt wurde durch das Mysterium von Golgatha.
Die Menschen bekommen nun von oben herunter das, was ihr
Inneres umhüllt (Tafel 7), mehr von außen. Die neue
Stadt senkt sich von Tafel 7 oben herunter und
gießt sich über die Erde aus: das neue Jerusalem. Das
alte Jerusalem war aus der Erde und ihren Stoffen, das neue
Jerusalem ist aus dem Himmel und seinen geistigen
Ingredienzien.
Sie
werden eine solche Vorstellung zunächst merkwürdig
finden gegenüber alle dem, was in unserer Zeit gedacht
wird und was Sie eben lernen konnten aus dem, was in unserer
Zeit gedacht wird. Wie stellt man sich denn in unserer Zeit
anatomisch-physiologisch den Menschen in seiner Entwickelung
vor? Er ißt, er bekommt Stoffe der Nahrung in seinen
Magen, er verdaut sie, wirft gewisse Stoffe ab und ersetzt das,
was ersetzt werden muß, durch die Stoffe, die er
aufnimmt.
So
ist es aber nicht, sondern der Mensch ist ein dreigliedriges
Wesen, er ist Nerven-Sinnes-Mensch, er ist rhythmischer Mensch
und er ist Stoffwechsel-Gliedmaßen-Mensch. In den
eigentlichen Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen geht
substantiell gar nichts von dem hinein, was in den
Nahrungsmitteln liegt, sondern das nimmt alles der
Nerven-Sinnes-Mensch auf. Der Nerven-SinnesMensch nimmt das
auf, was gebraucht wird an Salzen und an solchen Stoffen, die
immer fein verteilt sind in Luft und Licht, und leitet es in
den Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen. Der
Stoffwechsel-Gliedmaßen-Mensch wird ganz von oben herunter
genährt. Es ist gar nicht wahr, daß er aus den
physischen Nahrungsmitteln seine Substanzen erhält. Wenn
Substantielles von der Erde in den
Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen kommt, so ist schon die
Krankheit da. Alles, was durch die Nahrung aufgenommen und was
verdaut wird, alles das versorgt nur die Organe des
Nerven-Sinnes-Menschen. Gerade der Kopf ist dasjenige, was
substantiell von der Erde aus gebildet wird. Die Organe des
Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen hingegen sind vom Himmel
aus gebildet. Das, was im rhythmischen Menschen ist, hat eine
nach beiden Seiten hin gehende ausgleichende Bedeutung. Der
Mensch ißt nicht den Sauerstoff der Luft, sondern er atmet
ihn ein. Es ist eine gröbere Art, wie der Mensch durch
sein Nerven-SinnesSystem Substantielles aufnimmt, als für
den Stoffwechsel-Gliedmaßen-Menschen. Eine ungeheuer
verfeinerte Atmung ist es, wodurch der Mensch das aufnimmt, was
er für den StoffwechselGliedmaßen-Menschen braucht.
Die Atmung ist demgegenüber etwas Gröberes. Und was
der Mensch mit dem Sauerstoff macht — Kohlensäure
erzeugen -, das ist wiederum etwas Feineres gegenüber dem,
was geschieht, damit die Nahrungsmittel, die durch den Magen
gehen, den Kopf versorgen können. Der Übergang ist im
rhythmischen Menschen.
Das
ist die Wahrheit über den Bau des menschlichen Organismus
und seine Prozesse. Was heute gelehrt wird in Anatomie und
Physiologie, ist vor dem Antlitz der Wahrheit nur ein Unsinn,
herbeigeführt durch die materialistische Anschauung. In
dem Augenblick, wo man so etwas weiß, weiß man,
daß nicht nur das, was den menschlichen Körper
aufbaut, von unten herauf kommt, vom Pflanzen-, Mineral- und
Tierreich der Erde, sondern daß das, was gerade seine
oftmals als die gröbsten angesehenen Organe ernährt,
das von oben Kommende ist. Da wird man sich vor allem klar
vorstellen können, daß eine Art Überschuß
in der Ernährung von unten da war bis zu der Zeit, wo
Jerusalem zugrunde ging. Dann beginnt wirklich mit dem
Mysterium von Golgatha allmählich das wichtig zu werden,
was von oben kommt.
Wenn auch die Menschen in der genannten Art diese Tatsachen
verkehrt haben, heute wird zunächst die Entwicklung so
vollzogen, daß in vieler Beziehung an die Stelle der alten
Ernährung von unten die Ernährung von oben die
Hauptsache bildet. Damit wird auch der Mensch umgebildet. Unser
Kopf gleicht nicht mehr den Köpfen der Alten. Die
Köpfe der Alten waren vielmehr so gebildet, daß sie
eine etwas weiter zurückgehende Stirne hatten (Tafel 7).
Die heutige Stirn des Menschen ist hervortretend, das
Tafel 7 äußere Gehirn ist wichtiger
geworden. Das ist schon die Umgestaltung, denn gerade das, was
da wichtiger wird im Gehirn, ist den Verdauungsorganen
ähnlicher als das, was darunter liegt. Das peripherische
Gehirn wird den Verdauungsorganen des Menschen ähnlicher
als die feinen Gewebe des mittleren Gehirns, das heißt,
die Fortsetzung der Sinnesnerven weiter gegen den Mittelpunkt
des Kopfes hin. Denn gerade das, was Organ des Stoffwechsels
ist, wird von oben ernährt.
Diese Dinge kann man bis ins einzelnste wirklich einsehen, wenn
man den Willen hat, gegenüber gewissen Dingen so zu reden,
wie der Apokalyptiker sagt: Hier ist Weisheit. - Nur ist in
unserer gewöhnlichen Erkenntnis, die heute unter den
Menschen lebt und webt, nicht Weisheit, sondern Finsternis.
Das, was man heute Ergebnisse der Wissenschaft nennt, ist
durchaus Ergebnis des Kaliyuga, der äußersten
Verfinsterung der menschlichen Mentalität. Man sollte das
als ein Geheimnis betrachten und es nicht auf die Straße
tragen, denn das Esoterische besteht darin, daß es eben in
einem gewissen Kreis bleibt.
Sehen Sie, das hat schon begonnen seit dem Mysterium von
Golgatha, dieses Heranwachsen des neuen Jerusalem. Der Mensch
wird, wenn seine Erdenzeit völlig erfüllt ist, dazu
gekommen sein, daß er nicht nur durch seine Sinne in
seinen eigenen Leib die Himmelssubstanz hineinarbeitet, sondern
daß er diese Himmelssubstanz durch das, was man geistiges
Wissen und Kunst nennt, auch ausdehnt auf das, was dann die
äußere Stadt sein wird, auf die Fortsetzung des
Leibes in dem Sinne, wie ich das auseinandergesetzt habe. Das
alte Jerusalem war von unten nach oben gebaut, das neue
Jerusalem wird von oben nach unten ganz wirklich gebaut sein.
Das ist die gewaltige Perspektive, die aus einer Vision, aus
einer überkolossalen Vision des Apokalyptikers aufgegangen
ist. Ihm geht dieses Gewaltige auf: Da steigt alles, was die
Menschen bauen konnten, aus dem Erdboden auf nach oben, und das
konzentrierte sich in dem alten Jerusalem. Das hat nun ein
Ende. Er sah dieses Aufsteigen und dieses Abschmelzen in dem
alten Jerusalem und er sah die Menschenstadt des neuen
Jerusalem herabkommen von oben, von den geistigen Welten.
Das
ist der Zielpunkt, die letzte Tendenz der Offenbarung der
Apokalypse. Sie enthält wirkliche christliche
Menschheitswege und christliche Menschheitsziele. Wenn wir uns
bemühen, sie zu verstehen, so kommen wir bei der
Apokalypse auf eine gewisse Eigentümlichkeit, die so
manche Menschen ahnen, aber nicht ganz durchschauen
können. Wer sich ernstlich bemüht, die Apokalypse zu
verstehen, kann gar nicht anders als daß er sich sagt: Ja,
wie mache ich das, wie komme ich hinein in eine solche
Vorstellung wie die vom alten und neuen Jerusalem? Was tue ich,
um hineinzukommen? Ich kann doch nicht weiter bloß
herumreden mit diesen Bildern, die zunächst keinen Inhalt
für mich haben, ich muß doch in den Inhalt
hineinkommen. - Um in den Inhalt hineinzukommen, braucht man
eine Kosmologie und eine Anschauung vom Menschen, wie sie nur
durch eine neue Weltanschauung wie die Anthroposophie gegeben
werden kann, durch ein wirkliches Anschauen der geistigen Welt.
Man kommt durch die Apokalypse zur Anthroposophie, weil man das
Mittel der Anthroposophie braucht, um die Apokalypse zu
verstehen, weil man merkt: Johannes hat die Apokalypse bekommen
aus den Regionen, wo die Anthroposophie war, bevor sie zu den
Menschen gekommen ist.
Wenn man die Apokalypse ehrlich und ernst verstehen will, so
muß man sie anthroposophisch verstehen. Bei so etwas wie
dem Endziel, dem neuen Jerusalem, merken Sie es am
allerstärksten. Sie müssen nur die Geheimnisse von
dem Aufbau des Menschen von oben und von unten nicht bloß
wie eine äußere Wissenschaft kennen, dann können
Sie diese Vorstellungen erweitern zu der gesamten
Tätigkeit, die die Menschen auf der Erde verrichten, die
auch von unten nach oben gerichtet ist und sich verwandelt in
eine von oben nach unten gehende. Der Bau des alten Jerusalem
wird sich verwandeln in den Geistbau des neuen Jerusalem, der
von oben nach unten gebaut sein wird. Und die Menschen sollen
hineinwachsen in das, was geistig gebaut wird, sie sollen nicht
bloß in einem symbolisch-theoretisch-bildhaften Sinn die
Apokalypse sehen, wie die Bibelexegeten es tun, sondern so,
daß der Geist uns so real sein wird, wie eben durch
Jahrtausende das materielle Physische real da war.*
Das
ist das, was festgehalten werden muß: Die Apokalypse
enthält nicht Bilder, sondern Hinweise auf ganz konkrete
Tatsachen, auf das, was geschehen wird, und nicht bloß
das, was das Geschehen in Bildern andeuten will. Das ist das
Wichtige. So haben wir uns hineinzufühlen, hineinzufinden
in die Apokalypse. Davon dann morgen.
* Siehe Hinweis.
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