DREIZEHNTER
VORTRAG
Dornach, 17. September 1924
Meine lieben Freunde! Von einem bestimmten Gesichtspunkt aus
habe ich ja bereits gezeigt, wie die Apokalypse auf dem Prinzip
der Zahl, einem der okkulten Prinzipien, aufgebaut ist. Nun
haben Sie vielleicht gerade in der heutigen Auseinandersetzung
über die fundamentalen rhythmischen Zahlen des Weltalls
und des Menschen wiederum gesehen, wie tief begründet die
Zahl, insofern sie Rhythmisches zur Offenbarung bringen kann,
begründet ist im Weltall.
Nun
ist es mit den okkulten Offenbarungen, welche so gehalten sind
wie die Apokalypse des Johannes, so, daß der Aufbau nach
der Zahl eigentlich ganz selbstverständlich ist. Sehen
Sie, diese Schauung, von der der Apokalyptiker spricht, die
ergibt sich nach dem modernen Initiationsprinzip dann, wenn in
die Imaginationen, die man vor sich hat, hereinspricht die
Inspiration. Man hat dann die Schauung so, daß sich
ausbreitet die Bildhaftigkeit der Imagination, und daß
durch die Imagination hindurch die Inspiration spricht. Dann
aber, wenn das eintritt, geschieht es nach dem Prinzip der Zahl
- wobei für alle Okkultisten immer die Sieben die
vollkommenste Zahl ist; es ist geradezu ein Satz des
Okkultismus: Sieben ist die vollkommenste Zahl -, und man hat
die Möglichkeit, nach dem Prinzip der Zahl die Dinge zu
verfolgen. Sie müssen sich dabei nicht vorstellen,
daß diese Zahl Sieben von so großer Bedeutung ist
für den Inhalt, den man empfängt. Sie ist aber von
einer unermeßlich großen Bedeutung dafür, die
Inspirationen zu hören. Wenn man selber in der Siebenzahl
lebt, kann man in der verschiedensten Weise die Inspirationen
verstehen. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Nehmen wir an,
jemand empfindet für seine eigene Zeit wichtige geistige
Hintergründe. Das ist natürlich in bezug auf das
ganze Weltbild mehr oder weniger willkürlich, wenn man
gerade für seine eigene Zeit die geistigen
Hintergründe empfindet; menschlich ist das ja
natürlich, aber es ist doch mehr oder weniger
willkürlich. Nehmen wir also an, ich bin der Beobachter im
Jahre 1924, so ist das Beobachtungsjahr nur 1924; ein anderer
ist der Beobachter im Jahre 1903, da ist das Beobachtungsjahr
nur 1903.* Wenn ich aber als Beobachtender unabhängig
davon bin, wann meine Beobachtung stattfindet und ich sehe
richtig ein, was ich da in die Beobachtung nehme, und ich habe
die Fähigkeit, um sieben Eindrücke
zurückzugehen, ganz gleichgültig, von wo aus, so ist
nach den Gesetzen der geistigen Welt immer das, was den siebten
Eindruck macht, wieder aufklärend für den ersten, das
vierzehnte wiederum aufklärend für die beiden. Es ist
also mehr ein methodisches Prinzip, sich hineinzufinden in das,
was einem etwas sagen kann. Nicht, wahr, so, wie man, wenn man
eine Sprache versteht, den anderen Menschen verstehen kann, der
in dieser Sprache redet, so ist es hier eigentlich die
Hauptsache, daß man in der Siebenzahl leben kann. Und so
muß man die Dinge auch auffassen. Denn dieses Offenbaren
der Siebenzahl ist ja außerordentlich kompliziert. Es ist
sozusagen alles mögliche im Weltenall nach der Siebenzahl
geordnet, in geringerem Maße nach der Zwölfzahl und
wiederum nach anderen Zahlen, und man kann von jedem Punkte aus
im Vielfachen von Sieben die Ereignisse aufklärend
verfolgen.
Als
ich im Jahr 1908 in Nürnberg versuchte, die Apokalypse des
Johannes zu interpretieren, war das ja für die ganze
anthroposophische Bewegung eine andere Zeit. Da kam es vor
allen Dingen darauf an, gewissermaßen die Anthroposophie
selber an der Hand der Apokalypse zu interpretieren. Man kann
aus der Apokalypse heraus vieles interpretieren, weil auch die
weltgeschichtlichen Ereignisse, die zu erwähnen
zunächst damals wichtig war, an der Apokalypse schon
abgeschaut werden können. Aber für Sie ist es, wie
ich schon wiederholt angedeutet habe, heute notwendig, sich in
Ihrem Ich mit der Apokalypse zu identifizieren und ganz konkret
auf das Wirkliche zu schauen, daß die Apokalypse eine
ganze Fülle, eine Vielfalt von in der Siebenzahl
vorrükkenden Ereignissen zeigt. Indem ich vom
Gesichtspunkte des Erlebens der Bewußtseinsseele
hingedeutet habe auf jene Ereignisse, die da
zusammenhängen mit dem «Weib, mit der Sonne
bekleidet, ... den Drachen unter ihren Füßen»
werden Sie selbst sehen, in welchem Zeitpunkt der
apokalyptischen Rechnung wir jetzt leben. Wir leben jetzt in
bezug auf die Bewußtseinsseele im Zeitalter der
Posaunenklänge - nicht in bezug auf die Entwickelung des
Astralleibes und nicht in bezug auf die Entwickelung der
Menschheit im allgemeinen, das ist mehr in meinen
Vorträgen von 1908 enthalten -, aber in bezug auf die
eigentliche Entwickelung der Bewußtseinsseele, die nicht
den anderen Entwicklungsprozessen parallel geht, sondern sich
wie hineinschiebt in diese, leben wir jetzt im Zeitalter der
Posaunenklänge.
*
Siehe Hinweis
Nun
ist es so, daß wir am Anfang der Entwickelung der
Bewußtseinsseele - wir stehen ja erst am Anfang der
Bewußtseinsseelenentwickelung -, daß wir
zunächst nur dann, wenn die Bewußtseinsseele sich
erhebt zu übersinnlichen Schauungen, die
Posaunenklänge wahrnehmen, weil von den Menschen der
Gegenwart eben das, was unten im Irdischen vorgeht, nicht in
übersinnlichem Sinn gedeutet wird. Das ist ja das
Bedeutsame, daß die Dinge nicht im übersinnlichen
Sinn heute gedeutet werden, sondern eben durchaus in einem
gleichgültigen Sinn hingenommen werden. Ich habe ja des
öfteren bei anthroposophischen Betrachtungen auf einen
gewissen Zeitpunkt im 19. Jahrhundert hingewiesen, auf den
Anfang der vierziger Jahre. Ich sagte, dieser Anfang der
vierziger Jahre stellt, geistig gesehen, einen wichtigen, einen
bedeutungsvollen Einschnitt in der Entwickelung der
zivilisierten Welt dar. Er ist sozusagen die Kulmination des
Materialismus.
Alles in bezug auf den Materialismus war eigentlich 1843/44
schon entschieden. Das weitere war im Grunde genommen
Auswirkung und wird noch weiter Auswirkung sein. Aber für
das, was über die zivilisierte Menschheit Europas und
ihres amerikanischen Anhangs gekommen ist, ist schon der
Zeitpunkt im Beginn der vierziger Jahre von einer unendlich
großen Bedeutung, weil damals das Hereinbrechen der
ahrimanischen Mächte in die Menschheitsangelegenheiten ein
ungeheuer intensives war. Sie können sagen: Ja, nach den
Jahren 1843/44 sind ja noch schlimmere Ereignisse gekommen. -
Aber sehen Sie, das ist nur scheinbar. Sie müssen nur
denken, daß Ahriman gescheiter ist als die Menschen. Im
Jahre 1843/44 handelte im wesentlichen Ahriman. Der stellte die
Dinge so, wie er es nach seiner Intelligenz macht. Das ist der
Tiefpunkt oder meinetwillen der Kulminationspunkt des
materialistischen Weges. Dann haben die Menschen
weitergewirtschaftet, und das, was die Menschen
weitergewirtschaftet haben, ist zwar äußerlich
scheinbar manchmal viel häßlicher, aber für die
Gesamtheit der menschlichen Evolution nimmt es sich nicht so
gräßlich aus; und wenn man es vom Gesichtspunkt des
Spirituellen betrachtet, ist es Auswirkung dessen, was
projektiert war im Beginn der vierziger Jahre des 19.
Jahrhunderts durch Ahriman.
Mit
diesem Beginn der vierziger Jahre beginnt der sechste
Posaunen-Engel zu blasen, und er wird blasen, bis am Ende des
20. Jahrhunderts diejenigen Ereignisse eintreten, von denen ich
gestern gesprochen habe, wo der siebente Posaunenengel zu
blasen beginnt. Wir stehen also durchaus schon drinnen im
Gebiet der Wehen. Es ist das zweite Wehe, (Jas wir im Gebiet
der Bewußtseinsseele als zivilisierte Menschheit haben und
dem schon etwa anderthalb Jahrhunderte dasjenige voranging, was
die fünfte Posaune war. Und wenn wir die Posaunen mit
Bezug auf die Siebenzahl im Bewußtseinsseelenzeitalter
zurückverfolgen, so kommen wir auf einen etwas
früheren Zeitpunkt. Hier unten auf Erden beginnt das
Bewußtseinsseelenzeitalter 1413. Aber die Dinge
verschieben sich, frühere Zeiten wirken herein; wir kommen
zurück mit den Posaunenklängen etwa bis in das
Zeitalter der Kreuzzüge. Ja, an wirklichen okkulten
Stätten hat man diese Zeit von dem Zeitalter der
Kreuzzüge bis in unsere Zeit herein auch immer als das
Zeitalter der Posaunenklänge aufgefaßt. Und Sie
werden die Etappen desjenigen, was in der Apokalypse
geschildert ist, auch darin finden können. Sie werden
finden können, wie unter dem Hereinbrechen des
Materialismus, sagen wir zum Beispiel, als der Kopernikanismus
heranrückte, ein Drittel der Menschen eigentlich geistig
getötet wurde, das heißt, aufhörte, volle
Geistigkeit zu entwickeln. Und wirklich furchtbar
erschütternd ist ja die in der Apokalypse geschilderte
Heuschreckenplage.
Da
kommen wir aber auf eine Sache, die man, ich möchte sagen,
nicht gern sagt, die aber natürlich zu den Dingen
gehört, die gerade in das Priesterwirken hereinschlagen.
Diese Heuschrekkenplage ist ja, vom reinen Bewußtseins
Standpunkt aus gesehen, im allereminentesten Sinne schon
eingetreten, nicht wahr, wenn wir theoretisch sprechen. Wenn
wir zu Menschen sprechen, wo ja immer Gesundungen eintreten
können bei kranken Verhältnissen, dann dürfen
solche Dinge nicht erörtert werden; aber wenn es sich um
priesterliches Wirken handelt, dann muß man doch wissen,
mit wem man es bei den Menschen in der Regel zu tun hat.
Es
ist ja so, daß in der Regel ungeheure Fröhlichkeit
besteht bei denen, die sich heute liberale oder demokratische
Menschen nennen, wenn sie wieder und wieder anführen
können, daß sich die Menschheit in einem bestimmten
Gebiet der Erde so ungeheuer vermehrt. Bevölkerungszunahme
ist ja das, was so stark ersehnt wird besonders von
demokratisch-liberalen Menschen, ich meine im politischen Sinn,
auch von allen, wie sie meinen, geistig frei Denkenden.
Nun, sehen Sie, erstens ist das nicht ganz richtig, weil die
Statistiken auf Irrtümern beruhen; man nimmt bei den
statistischen Vergleichsrechnungen nicht die ganze Erde, man
nimmt immer nur ein Stück der Erde und denkt nicht daran,
daß die anderen Teile der Erde zu anderen Zeiten eben
dichter bevölkert waren als heute. Es ist also im
einzelnen nicht immer ganz richtig, aber im ganzen ist es schon
richtig, daß in unserer Zeit eine Art
überzähliger Menschen erscheinen, die ichlos sind,
die keine Menschen in Wirklichkeit sind. Das ist eine
furchtbare Wahrheit. Sie gehen herum, sie sind keine
Inkarnationen eines Ich, sie werden hereingestellt in die
physische Vererbung, bekommen Ätherleib und Astralleib,
sie werden in gewissem Sinne innerlich ausstaffiert mit einem
ahrimanischen Bewußtsein; sie machen den Eindruck von
Menschen, wenn man nicht genau hinsieht, aber sie sind nicht im
vollen Sinne des Wortes Menschen.
Das
ist eine schreckliche Wahrheit, das ist vorhanden, das ist eine
Wahrheit. Und direkt auf Menschen selber weist der
Apokalyptiker hin, wenn er in der fünften Posaunenepoche
von der Heuschreckenplage spricht. Und wiederum kann man den
Apokalyptiker in seinem Schauen erkennen. Denn in ihrem
astralischen Leib erscheinen solche Menschen durchaus so, wie
sie der Apokalyptiker beschreibt: als ätherische
Heuschrecken mit Menschengesichtern. Es ist durchaus so,
daß man über solche übersinnlichen Dinge so zu
denken hat, daß der Priester solche Dinge wissen muß.
Denn er ist der Seelsorger. Er muß also auch die Worte
finden können für alles das, was in einer solchen
Seele vorgeht. Es brauchen durchaus nicht immer böse
Seelen zu sein, es können eben Seelen sein, die bis zum
Seelischen kommen, aber des Ichs entbehren. Man wird schon
darauf kommen, wenn man auf diese Menschen stößt. Der
Priester muß dies wissen, denn das beeinflußt ja die
Gemeinschaft unter den Menschen. Und vor allen Dingen leiden
diejenigen Menschen, die echt beseelt sind, von solchen
Personen, die eigentlich als Menschen-Heuschrecken durch die
Welt gehen. Und es kann und muß sogar die Frage entstehen:
Wie hat man sich solchen Menschen gegenüber zu
verhalten?
Solchen Menschen gegenüber hat man oftmals eine recht
schwierige Aufgabe, weil sie durchaus tief fühlend sind;
sie können außerordentlich tief fühlend sein,
man merkt aber, es steckt nicht eine eigentliche
Individualität in ihnen. Nur hat man ihnen das
natürlich sorgfältig zu verbergen, daß keine
Individualität in ihnen steckt, denn sonst wäre ja
die notwendige Folge der Wahnsinn. Aber trotzdem man ihnen das
zu verbergen hat, handelt es sich darum, daß man für
solche Seelen - Seelen sind es ja doch, wenn auch nicht Geister
-, alles so einrichtet, daß diese Menschen den
Anschluß finden an andere Menschen, in deren Gefolge sie
sich entwickeln können, daß sie also
gewissermaßen Mitgehende dieser anderen werden. Diese
Menschen zeigen eigentlich ziemlich genau die Natur und
Wesenheit des Menschen bis zum zwanzigsten Lebensjahr. Denn
beim zwanzigsten Lebensjahr wird ja erst die Gemüts- oder
Verstandesseele geboren und damit die Möglichkeit des
irdischen Auslebens des Ich gegeben.
Derjenige, der behaupten wollte, solchen ichlosen,
individualitätslosen Menschen gegenüber solle man
sich nicht teilnahmsvoll verhalten, da sie eine künftige
Inkarnation nicht hätten, weil ja keine
Individualität da sei, der irrt gar sehr. Er
müßte dann auch behaupten, man solle sich den Kindern
gegenüber nicht teilnahmsvoll verhalten. Es ist in jedem
einzelnen Fall zu entscheiden, was eigentlich in einem solchen
Menschen steckt. Manchmal stecken postume Seelen in solchen
Menschen, postum gegenüber den Menschenseelen, die in
einem bestimmten Zeitalter der Entwickelung entstanden sind und
sich als Menschen immer wiederholt verkörperten. Aber es
können auch zurückgebliebene Seelen sein, solche, die
später von einem anderen Planeten wieder
zurückgekommen sind, wohin in einem bestimmten Zeitalter
fast die ganze Menschheit gegangen war. Auch solche Seelen
können in solchen Menschenleibern stecken. Wir müssen
also mit vollem Bewußtsein diese Menschen wie bleibende
Kinder erziehen.
Sehen Sie, das alles ist eigentlich schon in die Apokalypse
hineingeheimnißt. Und wenn man so diese
Vorstellungen nimmt, die ja als Imaginationen sich ergeben - in
der Apokalypse sind sie ja manchmal furchtbar ins Herz
schneidend; schrecklich, wenn da geredet wird von allem
möglichen Leid, das über die Erdenmenschheit kommt -,
da müssen wir sagen: In unserem Zeitalter ist viel von dem
wirklich vorhanden, in geistigen Aspekten allerdings.
Nun
gibt es aber natürlich auch, ich möchte sagen
mild-großartige Vorstellungen in der Apokalypse, wie zum
Beispiel die Engel, die mit dem Räucherwerk herabkommen,
mit dem Rauchfaß (Apk. 8, 3). Auf den Opferrauch wird hier
hingewiesen. Und dort fällt dann unser Blick auf vieles,
was zur Zeit der Kreuzzüge stattgefunden hat. Mit den
ersten Posaunen werden wir zurückversetzt zu den
Kreuzzügen; bis in die Kreuzzugsepoche hinein kommen wir
ja, wenn wir die Bewußtseinsseelenentwickelung der
Menschheit überblicken. Und da sehen wir, daß da
einzelne Persönlichkeiten auftreten im Zeitalter der
Kreuzzüge und der damit zusammenhängenden Zeit, die
tatsächlich ungeheuer starke Impressionen hatten von ihrem
Miterleben der geistigen Welt. Wir treffen da tatsächlich
auf, ich möchte sagen, die Genies der Frömmigkeit.
Das ist außerordentlich wichtig, daß wir uns
darüber klar sind. Wir treffen da auf die Genies der
Frömmigkeit.
Kommen wir weiter zurück, so finden wir
zurückschauend vor unserem Bewußtseinsfeld die Zeit
von dem Mysterium von Golgatha bis zum Zeitalter der
Kreuzzüge und alle dem, was damit zusammenhängt und
können dieses Zeitalter als eine kleinere Epoche der
Sieben-Siegel-Eröffnung ansehen. Man versteht das
vollständig eben erst dann, wenn man sich über
folgendes klar ist. Denken Sie nur, wieviele
Persönlichkeiten gerade im Zeitalter der Kreuzzüge
auftreten, die fast alle ihre Religiosität nach innen
leiten in die Tiefe, in die Intensität des Gefühls,
in das innere mystische Erleben. Das beginnt ja damals,
während vorher im Grunde genommen noch hinaufgeschaut
wurde in das ganze Weltall, wenn man die Welt des
Göttlichen wahrnehmen wollte jedenfalls von den
maßgebenden Menschen, wenn auch unter dem
fortwährenden Kampf mit der von Rom ausgehenden
Strömung. Es war das Verständnis vorhanden für
den Gott, der in der sinnlichen Erscheinung, zu der man
aufblickte, lebt und webt und wirkt. Dann aber wird alles mehr
oder weniger nach innen geleitet. Die großen Genies der
Mystik erscheinen. Vorher haben wir ein Anschauen des Weltalls
als einer Offenbarung des Göttlichen; nachher haben wir
ein Erfühlen dessen, was das Menschenherz erfühlen
kann als inneres Licht-Entzünden, so daß vom Inneren
des Menschen aus das Göttliche beleuchtet werden kann.
Und
diese Etappen, die die Apokalypse beschreibt, sind ja durchaus
auch in der Ausbreitung des Christentums vorhanden. Wir haben
da das erste still-sieghafte Vordringen des Christentums, wobei
die Ausbreitung des Christentums eigentlich in der Kraft des
siegenden Geistes, des siegenden Wortes liegt. Es wird das
Christentum ausgebreitet, ich möchte sagen, in den
Untergründen des damaligen sozialen Lebens. Wir haben dann
eine zweite Epoche, in welcher die Ausbreitung des Christentums
viel von dem von der Erde wegnimmt, was man nennt: Friede. Es
nimmt das Christentum an dem Streit in der zweiten Epoche ganz
wesentlich teil. Wir sehen dann auch das Zeitalter, wo nach und
nach ein Ersterben des inneren Impulses des Christentums
eintritt, wo das Christentum zur Staatsreligion wird, was
natürlich ein Ersterben des wirklichen ursprünglichen
christlichen Impulses ist. Wir haben dann aber die Epoche, die
man aufzufassen hat als diejenige des vierten Siegels, wo in
der Weise, wie ich es geschildert habe, der Mohammedanismus
hereinbricht. Und so wird weiter Siegel für Siegel
eröffnet, und dasjenige, was dann unter dem Einfluß
der Kreuzzüge geschieht, geschieht ja dennoch unter dem
Einfluß bedeutender religiöser Genies, das kann man
ja beobachten, wenn man genauer verfolgt, was eigentlich
geschehen ist. In dieser Beziehung ist die ganze
Geschichtsschreibung eigentlich durch und durch
Geschichtsfälschung.
Denn sehen Sie, vor den Kreuzzügen ist ja eigentlich alle
Verbreitung des Christentums, ich möchte sagen, im Guten
geschehen. Und das, was da durch zahllose Mitglieder des
Mönchtums wieder und wieder geschehen ist, auch das im
äußeren Sinne Schlimme, ist ja, als das Christentum
sich verbreitet hat, bis zu den Kreuzzügen, in Europa im
Grunde genommen mehr oder weniger in unmittelbarer Anlehnung an
die palästinensischen Erzählungen geschehen. Die
Evangelien waren allerdings nicht die Lektüre der Laien,
sie waren Beschäftigung der Priester. Aber das, was
dazumal geschah, stand durchaus unter dem Einfluß dessen,
was die Priester ersehen konnten aus dem Evangelium. Die
Priesterschaft hatte Evangelium und Kultus. Der Kultus war das,
in dem sich die übersinnliche Welt auf sinnliche Weise
spiegelte. Die Messe, das Meßopfer selber, war für
die Priester dasjenige, in dem sie die unmittelbaren Tore zum
Übersinnlichen sahen. Deshalb sahen sie allmählich
immer mehr und mehr ab von einem Hinaufblicken zur Offenbarung
des Göttlich-Geistigen durch den Sternenhimmel und alle
die alten wunderbaren Weissagungen, die noch im Zusammenhang
mit dem geblieben waren, was ich heute morgen - gegenüber
der heutigen Astronomie und Astrologie Astrosophie genannt
habe, alle diese alten Weistümer wurden allmählich
fast ganz verhüllt, bis zu dem Zeitalter der
Kreuzzüge.
Im
Zeitalter der Kreuzzüge sehen wir plötzlich
überall Menschen auftreten, die nun auch von Osten nach
Westen wandern, entweder solche, die unmittelbar von den
Kreuzzügen zurückkommen, oder solche, die etwas
später kamen und bei denen deshalb Dinge Wurzel
gefaßt hatten, die Geheimnisse des Orients waren. Da sind
nach Europa eine Fülle von Schriften aus dem Osten
gebracht worden, die später zugrunde gegangen sind; es ist
das dem Umstand zuzuschreiben, daß man nicht mit solchen
Argusaugen gewacht hat über all dasjenige, was man
schriftlich hatte, wie man heute darüber wacht. Dadurch
ist kaum viel geblieben von dem, was schriftlich da war. Viel
mehr ist durch die Tradition des Mündlichen wieder
verbreitet worden vom Sinne eines kosmischen Christentums, und
das hat Wurzel gefaßt gerade zur Zeit der
Kreuzzüge.
Da
wird eine Art siebentes Siegel eröffnet. Und man
könnte sagen, was den Respekt vor dem Geschriebenen
betrifft, soll man sich nur einmal vorstellen: Wenn das wahr
ist, daß ein italienischer Professor die
Livius-Handschriften entdeckt hat, was für ein Sturm da
vom heutigen italienischen Staat gemacht wird trotzdem alles
ungewiß ist -, um diese Livius-Handschriften in die Hand
zu bekommen. Man braucht gar nicht weit in der Zeit
zurückzugehen und dem Staat wäre es höchst
gleichgültig gewesen, ob das oder jenes gefunden worden
ist. Das Interesse, Geschriebenes aufzubewahren, ist etwas, was
erst später aufgekommen ist.
Ich
selbst habe ein gelungenes Stückchen gesehen in dieser
Beziehung, als ich im Goethe-Schiller-Archiv war. Da bekamen
wir einen Brief Goethes, der sonderbar aussah: dreckig,
furchtbar zerrissen. Zu der Zeit, als ich im
Goethe-Schiller-Archiv war, war das schon eine Sünde. So
behandelt man Goethes Briefe nicht.
Wir
forschten nach, was dahinter war. Siehe da, der Brief war
einmal im Besitz von Kuno Fischer gewesen, und der hatte
einfach Goethes Brief in die Druckerei gegeben, hat ihn aber
nicht abgeschrieben, sondern den Originalbrief mit seinen
Notizen und Randbemerkungen an den Drucker geschickt. Es ist
nur ein Wunder gewesen, daß der Brief sich trotzdem
erhalten hat, da man damals im allgemeinen Manuskripte nicht
behielt.
So
braucht man sich nicht über die Tatsache zu wundern,
daß in der Zeit, in der das Christentum sich durch die
Kreuzzüge mit dem Orientalismus berührte, Wahrheiten
sich verbreiteten im Christentum, die wir heute kabbalistische
Wahrheiten nennen würden. Und mancher lebte in dieser
Zeit, der vielleicht mehr wußte als Jakob Böhme, ohne
daß das Aufsehen machte, während es in der Zeit Jakob
Böhmes schon Aufsehen machte, daß so ein Mensch da
war wie Jakob Böhme.
Es
ist die Zeit der Kreuzzüge - wobei wir nicht so sehr auf
die äußeren Ereignisse, die in den
Geschichtsbüchern beschrieben werden, hinweisen wollen,
als auf das, was im Bewußtsein der Menschen vor sich geht
-, es ist die Zeit der Kreuzzüge das Zeitalter, wo sich
die Siegel-Zeit verwandelt in die Posaunen-Zeit. Tiefer
fühlende Naturen haben die Zeit von den Kreuzzügen
bis heute immer so gefühlt, daß sie sagten: Ach, es
ist furchtbar, was da im Zeichen der Posaunenklänge - wenn
ich es vom übersinnlichen Gesichtspunkte betrachte - in
den Menschenseelen vor sich geht. Aber die Menschen auf Erden
hören nicht auf die Posaunenklänge.
Dieses Bewußtsein müßten eigentlich recht viele
Menschen gerade von dieser Zeit haben, die wir eben jetzt als
das Zeitalter der sechsten Posaune durchleben, von der Sie ja
wissen, was ihre wesentlichsten Eigenschaften und was ihre
wesentlichsten Auswirkungen sind. Ein Drittel der Menschen, so
wird da angeführt (Apk. 9,15), wird getötet werden.
Das geschieht natürlich erst im Lauf der Zeit. Mit
«Töten» ist hier aber gemeint dieses
Nichtvorhandensein des Ichs in denjenigen Menschen, die schon
vorher vorbereitet waren durch die Heuschreckengestalt.
Das
sind die Dinge, die gerade den Priester zwingen, tiefer
hineinzuschauen in das Gefüge desjenigen, was eigentlich
geschieht. Der Priester soll es ja zu tun haben mit dem
Übersinnlichen. Wir sind ja nach allen Richtungen hin vom
Übersinnlichen umgeben. Dasjenige, was an den Menschen
beobachtet werden kann, insoweit sie einen physischen Leib
haben, ist ja nur ein Ausschnitt aus dem Menschenleben. Sobald
wir beginnen, in das Übersinnliche einzudringen, dann
sehen wir ja die wirklichen Taten der Menschen, und wir sehen,
daß sie sich deren Folgen oft gar nicht bewußt sind.
Man kann manchmal gar nicht wissen, was ein Mensch im Leben
eines anderen anrichtet, wenn er an ihm vorbeigeht, ohne sich
um ihn zu kümmern, obwohl es eigentlich in seinem Karma
gelegen hat, sich ihm gegenüber in diesem Erdenleben in
einer bestimmten Weise zu verhalten. Später einmal wird
dieses Karma allerdings einen größeren Zwang
ausüben, es wird schon ausgeglichen werden, aber
eigentlich hätte es in diesem Leben ausgeglichen
werden müssen. Das braucht man im äußeren
physischen Leben nicht zu bemerken. Es ist eigentlich nichts
gegen den betreffenden Menschen einzuwenden, er hat vom
äußeren, bürgerlichen Gesichtspunkt aus alle
seine Pflichten getan, aber er hat vielleicht im Sinne des
Zusammenhanges mit der Weltevolution etwas getan, was furchtbar
tiefe Wunden geschlagen hat. Man kann nicht sagen, daß es
sich dabei um überirdische Dinge handelt, sondern es
handelt sich um übersinnliche Dinge, denn innerhalb
des Irdischen geht das Übersinnliche fortwährend vor
sich.
Sehen Sie, die Apokalypse in diesem Ernst zu verstehen, das
wird ja eine Notwendigkeit sein in dem Maße, wie das, was
ich den ätherischen Christus genannt habe, innerhalb der
Menschheit sichtbar werden wird. Daher entspricht es schon
einer ganz gesunden Empfindung, die aus dem tiefsten
Unterbewußtsein heraufkam, daß Sie, meine lieben
Freunde, gerade die Apokalypse zum Gegenstand dieser
Betrachtungen machen wollten. Vielleicht hatten Sie sich das
etwas anders vorgestellt, was ich gerade in der jetzigen Zeit
über die Apokalypse geben kann, aber daß Sie von mir
Betrachtungen über die Apokalypse hören wollten, das
war durchaus die Stimmung der Zeit in Ihren Herzen. Und man
könnte schon sagen: Daß in Ihnen das Bedürfnis
entstand, die Apokalypse zu verstehen, daß Ihr auch als
Priesterschaft, die zusammengehört, Euch vereinigt in
solchen Tendenzen, das zeigt, daß Ihr schon in gewissem
Sinn Verwandtschaft habt mit dem Apokalyptiker, mit Johannes.
Und so wird das, was vor allen Dingen für Euch notwendig
ist, dieses Sichdurchdringen mit dem Geiste der Apokalypse,
keinen Widerspruch darin finden, daß man bestimmte Epochen
nach dem Prinzip der Siebenzahl unterscheiden kann, daß
man damit im Grunde genommen überall anfangen kann und
daß sich dann findet, wie die Dinge gehen. Man wird
überhaupt nicht die Zusammenhänge in der
Weltenevolution finden, wenn man nicht das Prinzip der Zahl als
Methode der Betrachtung anwendet. Sehen Sie, damit haben wir
die Seite der Apokalypse berührt, die gerade für
unsere Zeit wesentlich und fruchtbar ist.
Nun
finden wir ja eingestreut in die Apokalypse, gewöhnlich an
den Stellen, wo die Siebenzahl in andere übergeht, auch
andere Ereignisse. Da tritt uns wiederum etwas entgegen, was ja
sehr einer Aufklärung bedarf. Denken Sie nur, daß
einem da in Zahlen entgegentritt: In einem bestimmten Zeitraum
sind soundsoviele Menschen da, die das Siegel Gottes an ihrer
Stirne tragen, die also zu den Glücklichen gehören,
die gewissermaßen gerettet oder erlöst werden oder
wie man es nennen will (Apk. 7, 4-8); die anderen aber
können gar nicht zu einer Erlösung kommen. Wenn man
so äußerlich die Apokalypse liest, ist es etwas, was
beim Lesen zunächst etwas Bedrückendes haben
kann.
Nun
muß man aber sich klar darüber sein, daß
überall in alten Schriften ein Unterschied gemacht wird
zwischen Rassenentwikkelung und individueller Entwickelung der
Menschen. Man muß sich durchaus darüber klar sein,
daß kein einzelnes Individuum sich irgendwie bedrückt
fühlte in früheren Zeiten, wenn man davon sprach, von
einer Rasse würden einmal soundsoviele gerettet, die
anderen würden untergegangen sein. Denn keiner rechnete
sich dazu, weil man real dachte, ganz genau in derselben Weise,
wie heute, wenn ein Mensch sich dazu drängt, daß ihm
sein Leben versichert wird. Dabei wird ja ausgerechnet, wie
lange man wahrscheinlicherweise noch leben wird. Die
Versicherungsanstalten, nicht wahr, nehmen Leute nicht an, die
wahrscheinlich bald sterben; denn würden sie lauter Leute
assekurieren, die bald sterben, so würden sie bald ihre
Kassen leer haben. Sie wollen Leute haben, die lange leben und
lange einzahlen; daher müssen sie mit einer
Wahrscheinlichkeitsrechnung, die ja eine ganz interessante
Rechnungsmethode ist, bei dem, der zu versichern ist, aus den
verschiedensten Antezedenzien heraus seine wahrscheinliche
Lebensdauer berechnen. Ich habe noch nie gefunden, daß
jemand sich deshalb verpflichtet fühlte, in dem Moment zu
sterben, den die Assekuranzgesellschaft als seinen
wahrscheinlichen Tod nach ihrer gewiß richtigen Methode
berechnet hat. Das gibt es nicht; man fühlt sich nicht
verpflichtet, gerade dann zu sterben. Und da liegt auch eine
Realität zugrunde. Sobald man in die Zahl hineinkommt,
erfaßt man nicht diejenige Stufe der Geistigkeit, auf der
die menschliche Individualität steht.
Sehen Sie, wenn man solche Dinge sagt, berührt man eben
ein gewisses Mysterium, ein okkultes Geheimnis. Es beruht
darauf, daß man glaubt, wenn man eins, zwei, drei, vier,
fünf Individualitäten abzählt und dann diese
Zahl anwendet auf Geistiges, dieses Zählen müsse auch
für die geistige Welt eine Bedeutung haben. Das hat es
aber nicht in derselben Weise. Das Prinzip der Zahl tritt in
dem Moment auf, wo die geistige Welt durchbricht und sich
offenbart, sich offenbart meinetwillen im platonischen
Weltenjahr oder in der Zahl der Atemzüge und so weiter,
überhaupt da, wo die geistige Welt durchbricht. So
daß man, wenn man zum Geistbewußtsein aufsteigt, an
der Grenze, an der Schwelle in die geistige Welt hinein die
Zahl braucht. Da kommt man nicht weiter, wenn man die Zahl oder
etwas der Zahl Ähnliches nicht hat. Aber wenn man
drüben im Geistigen ist und will mit den Zahlen etwas
anfangen, dann paßt alles nicht. Daher kann sehr wohl ein
solcher okkult Schreibender wie der Apokalyptiker, wenn er von
der auf der Erde sich abspielenden Rassenentwickelung spricht,
sagen: Soundsoviele sind da, die werden errettet und
soundsoviele werden untergehen - wir werden das nächste
Mal sehen, was diese Zahlen bedeuten -, aber es kann dadurch
sich nicht die einzelne Menschenindividualität betroffen
fühlen, denn diese Zahlen sind wohl auf die Entwickelung
der Rassen, nicht aber auf die Individualität des Menschen
zu beziehen.
Wie
das dann im Genaueren möglich ist zu verstehen, das werde
ich dann noch das nächste Mal auseinandersetzen.
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