FÜNFZEHNTER
VORTRAG
Dornach, 19. September 1924
Wir
wollen uns nun vorstellen, meine lieben Freunde, wie in unserer
Zeit - natürlich in einem bestimmten Niveau
zurückweisend auf frühere Erdenerlebnisse - vorher
keimhaft sich andeuten gewaltige spätere Umwälzungen.
Wir können uns vorstellen, wie dasjenige, was mit den
Wehen und so weiter in der Apokalypse steht, gerade in unsere
Zeit so oft hereinspielt, und wie die Bewußtseinsseele
damit ergriffen werden kann (Apk. 8,13 / 9,12 / 11,14).
Nun
müssen wir uns ja klar sein darüber, daß
dasjenige, was ich gestern interpretierend geschildert habe,
einen bedeutenden Einfluß auf die Gesamtgestaltung der
menschlichen Evolution hat. Wir müssen dabei nur bedenken,
daß die Dinge, die sozusagen im geistigen Felde vor sich
gehen, weniger von Zeitgenossen und überhaupt wenig in
unserer Zeit berücksichtigt werden, daß sie aber,
wenn sie heute auch rein als solche geistigen Ereignisse
angesehen werden, dennoch ihre weit über das
Menschenbewußtsein hinausgehende unermeßlich starke
Wirksamkeit haben. Wenn ich zum Beispiel gestern davon
gesprochen habe, daß gewisse führende
Persönlichkeiten des europäischen Ostens von heute
Gedanken hegen, die eigentlich die Kraft darstellen, die in den
Wolkenbildungen spielen sollte, so ist das so, daß
allerdings das, was heute in den Köpfen der russischen
Führer vor sich geht, einmal, wenn es vom Keimhaften immer
mehr und mehr in die späteren Wachstumszustände
übergehen wird, darstellen wird dasjenige, was dann
erscheinen wird als Wolkenereignisse. So daß man sagen
kann, daß zum Beispiel die heutigen Umwälzungen in
Rußland später einmal darstellen werden
mächtige, ich möchte sagen Gewitterrevolutionen, die
sich über den Köpfen der Menschen abspielen
werden.
Da
kommen wir nun auf etwas, was auch zu den Geheimnissen des
apokalyptischen Schauens gehört und was wiederum eine
Stelle in der Apokalypse aufklären soll. Wir kommen
dadurch immer mehr zu einer eigentlichen Interpretation der
gewaltigen Visionen der Apokalypse, wir kommen zu dem, was wir
uns mit unserem heutigen menschlichen Erleben ganz klarmachen
sollten. Wenn wir den kurzen Zeitraum anschauen, in welchem wir
heute gewohnt sind, das Leben anzuschauen, ohne dabei durch
waghalsige, zumeist törichte Hypothesen zum Anfangszustand
oder zum Endzustand der Erde zu gehen, wenn man diesen Zeitraum
übersieht, ohne die geistige Beobachtung zu Hilfe zu
nehmen, dann kann man sagen: Draußen geht die Natur ihren
Gang. Wir sehen, wie kleinere Naturereignisse sich abspielen in
den Jahresläufen, wie die größeren
Naturereignisse sich abspielen in Erdbeben,
Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen und so weiter.
Aber daneben gehen - ohne daß wir heute gedrängt
sind, wegen des kurzen Zeitraumes, den wir überblicken,
einen Zusammenhang zu konstruieren -, daneben geht das, was wir
als Geschichte bezeichnen, die Ereignisse
dreißigjähriger Krieg, Ludwig XIV. und so weiter. Sie
folgen einander oder sie gehen gleichzeitig vor sich, und es
fühlt sich niemand gedrängt, einen Zusammenhang
zwischen den zwei Reihen, den Naturereignissen und den
geschichtlichen Ereignissen, zu konstruieren, die man als
parallelgehend ansieht.
Man
braucht nur einen größeren Zeitraum zu
überschauen, und man wird sogleich sehen, wie
irreführend diese bloße Parallelvorstellung ist. Wenn
man nämlich wirklich vom gegenwärtigen Erdenleben
zurückschaut in ein früheres Erdenleben - was
natürlich heute noch als Theorie aufgefaßt werden
muß, solange es nicht in Imaginationen, die der
Geistesforscher gibt, begriffen wird -, wenn man dasjenige, was
wiederholte Erdenleben sind, in die Realität, in das
wirkliche Erleben hereinbringt, dann bekommt man sogleich den
Eindruck: Man schaut hinaus auf die Wiese, in den Wald, und
bemerkt, wie anders diese Dinge doch sind, als sie waren, als
man in der vorigen Inkarnation auf der Erde war. Man merkt das,
auch wenn man in einer durchaus ganz verschiedenen Gegend ist.
Denn alles auf der Erde verändert sich fortwährend,
und wo man auch war, die Pflanzenwelt namentlich, die Tierwelt,
sie haben einen ganz anderen Charakter angenommen. Man
empfindet das zunächst in dem Augenblick, wo man etwas von
der vorigen Inkarnation gewahr wird und dann wieder
freimütig in die Natur hinaussieht, man empfindet das als
etwas außerordentlich Bestürzendes,
Verblüffendes. Man bekommt etwas wie durch ein inneres
Gefühl: Es hat sich dasjenige, was man da in der Umgebung
sieht, gar nicht aus dem herausgehoben, was zu der Zeit der
früheren Inkarnation da war, sondern das Wesentliche ist
woanders hergekommen.
Es
ist so: Mit der gewöhnlichen naturwissenschaftlichen
Weltanschauung sieht man das, was als Natur fortläuft, in
einer solchen geraden Linie (es wird an die Tafel gezeichnet).
Das wäre das Jahr 1924.
Nun
stellt man sich ja vor, dasjenige, was da heute auf der Wiese
wächst, das sei halt entstanden aus den Samen des vorher
Gewachsenen; und zurück bis 1260, 895 und so weiter
verfolgt man nun immer Samenhervorgehen aus Samenhervorgehen
und stellt sich das in einer geraden Linie vor. Das war aber
nicht so. Ich habe öfter darauf aufmerksam gemacht: Die
Körper, die Sie heute an sich tragen, die haben Sie, von
wenigen Einschlüssen abgesehen, nicht vor sieben bis acht
Jahren an sich getragen. Manches verhärtet sich im Lauf
des Lebens - ich habe das dargestellt im anderen Kurs -, aber
jedenfalls haben Sie nichts von dem, was Sie heute in sich
tragen, als dreijähriges Kind in sich gehabt. Die ganze
physische Materie ist ausgewechselt. Und so ist auch in der
Wiese mit allen Blumen nichts von dem, was in früheren
Zeiträumen da war, sondern man muß sich vorstellen:
Dasjenige, was heute Wiese ist, ist aus geistigen Welten
heruntergestiegen; das, was damals Wiese war, ist wiederum aus
geistigen Welten herabgestiegen und so fort, und dasjenige, was
Wiese war vor Jahrhunderten, ist ganz vergangen. Es vererben
sich nicht nur physische Keime fort, sondern es treten
fortwährend Geistkeime aus den oberen Regionen an die
Stelle dessen, was da war.
Aber dann, wenn man sich sagt, dasjenige, was heute Wiese ist,
das war, sagen wir im 13. Jahrhundert nicht Wiese, sondern da
war eine andere Wiese, die mittlerweile gestorben ist, dann,
wenn man dies zuerst erfaßt hat, bekommt man eine
Vorstellung von der Mission des Schnees, man bekommt eine
Vorstellung davon, daß er der Träger des
fortwährenden Absterbens ist. Schnee erneuert sich jedes
Jahr, auch das Eis, und indem in diese ganz elementare
Gestaltung, die da in der Dynamik des Schnee- und Eisbildens
liegt, fortwährend die Natur hineinstirbt, wird sie von
oben fortwährend wieder erneuert.
So
ist es durchaus in unserer Zeit. Aber es ist das auch ein
Zustand, der nicht ganz bleibend ist. Wir werden gleich davon
sprechen. Vorher möchte ich erst noch das folgende sagen:
Indem man dies entdeckt, wenn man hinausschaut auf die Wiese -
es hat darauf keinen Einfluß, ob man in einer Gegend
vorher inkarniert war - und so ihr Hervorgehen über Schnee
und Eis aus überirdischen Regionen merkt, weiß man:
An der Wiese hast du mitgebaut in der Zeit von deiner letzten
Inkarnation bis heute. Das, was du da selber in der jetzigen
Inkarnation um dich hast, auch in der Natur, daran hast du
mitgebaut. - Das merkt man zunächst; und nachher wird man
gewahr, wie auch das nur ein vorübergehender Zustand ist.
Die Naturgelehrten meinen immer, wenn sie irgend so etwas
entdecken, was da draußen vor sich geht, das seien alles
bleibende Zustände. Das ist aber im Grunde genommen
Unsinn. Es bleibt nichts in Wirklichkeit. Es ist in
Wirklichkeit so, daß die Dinge bis in die
Naturgesetzlichkeit hinein sich verändern. Daher sind auch
die Naturgelehrten in unserer Zeit dazu gekommen, nur die
allerabstraktesten Naturgesetze als die bleibenden anzuschauen.
«Jede Wirkung hat eine Ursache», «Materie ist
konstant»; solche Allgemeinheiten, die eigentlich gar
nichts besagen, die werden dann als die ewigen Naturgesetze
angesehen.
Und
so ist auch dieser Zustand, der uns die Erde im Wandel zeigt -
im Grünenden des die Feuchtigkeit in Wärme
auflösenden Sommers, im Welkenden des die Feuchtigkeit in
Eis und Schnee verfestigenden Winters -, er ist etwas, was
nicht immer da war und was nicht immer da sein wird. Es wird
vielmehr ein Zustand eintreten, in dem etwas da sein wird, was
jetzt gar nicht da ist. Sehen Sie, wir haben heute den
wechselnden Zustand - ich möchte das ganz fest hinstellen
und würde gerne haben, daß Sie das auch fest erfassen
-, wir haben heute den wechselnden Zustand (es wird an die
Tafel geschrieben):
1.
Sommer, auflösend durch Wärme das Wässerige, 2.
Winter, verhärtend durch Kälte das Wässerige zu
Eis und Schnee.
Zwischen diesen beiden haben wir nun als einen hin- und
herpendelnden Zustand den Herbst und den Frühling. Das
wird allmählich sich ausgleichen. Es wird nicht mehr so
entschieden Sommer sein, wo das Wässrige ganz
aufgelöst wird, und nicht mehr so entschieden Winter, wo
das Wässrige ganz zu Eis und Schnee verhärtet sein
wird, sondern es wird ein Zwischenzustand eintreten, wo das
Wässrige eine andere Konsistenz haben wird, eine
wesentlich dickere als im Sommer, die nicht einfach in eine
andere übergehen wird, sondern die bleiben wird. Eis und
Schnee werden dann nicht so aussehen wie heute, sondern sie
werden aussehen wie eine spiegelnde Masse, die durchsichtig
ist, eine durchsichtige spiegelnde Masse, die Sommer und Winter
bleibt. Wir haben da das Gläserne Meer, dessen Eintreten
vom Apokalyptiker in der Apokalypse geschildert wird (Apk.
15,2).
Wir
haben hingewiesen auf eine Naturerscheinung, die wir erfassen
aus dem Anschauen der Naturereignisse, wir haben sie in die
Zeit hereingestellt; und sehen Sie, da wir nun auch wissen,
daß dasjenige, was um uns herum gemacht wird, eigentlich
von uns herrührt, daß wir dabei mitarbeiten, wie wir
an der Wiese mitarbeiten, auf die uns unser Karma in den
Inkarnationen stellt, so müssen wir das auch ausdehnen
können auf die große Umgestaltung der Erde. Es ist
richtig, der Mensch wird durch dasjenige, was er an
Intellektualität durchlebt im
Bewußtseinsseelenzeitalter, immer mehr und mehr gerade
durch seine innere Dynamik beitragen, das gläserne Meer zu
erzeugen, so daß die Menschheit in ihrem Zusammenwirken an
den großen Ereignissen der Zukunft beteiligt sein wird. Da
haben Sie nicht nur einen bloßen Parallelismus, da haben
Sie ein einheitliches Wirken desjenigen, was sich im Menschen
abspielt und desjenigen, was sich draußen in der Natur
abspielt.
Ja,
jetzt werden Sie auch noch ein anderes zu begreifen
vermögen, das ist das folgende, über das wir uns klar
sein müssen: Wenn wir hineinkommen in dasjenige
Göttliche, das im Gleichgewichtszustande, in dem sich
immer wiederholenden Gleichgewichtszustande zwischen dem
Luziferischen und dem Ahrimanischen ist, und wenn wir dies in
seiner tiefsten Wesenheit erfassen, so kommen wir darauf,
daß überall - wenn wir richtig schauen -, wo nicht
Einfluß Luzifers und wo nicht Einfluß Ahrimans ist,
eben das ist, was von dieser fortschreitenden göttlichen
Geistigkeit kommt, die mit der Menschheitsevolution verbunden
ist. Wenn wir in den Reichen, in die fortwährend
Luziferisches hereinflutet und in die fortwährend
Ahrimanisches hereinflutet, auf das den Gleichgewichtszustand
haltende Göttliche sehen, so finden wir als die Grundkraft
von all dem, was da fortströmt, den Menschen sowohl
äußerlich bildend, wie innerlich durchseelend und
durchgeistigend: lautere Liebe. Diese Grundkraft ist lautere
Liebe. Das Weltenall besteht seiner inneren Substanz und
Wesenheit nach, insofern es das All des Menschen ist, aus
lauterer Liebe, es ist nichts anderes als lautere Liebe. Wir
finden innerhalb des dem Menschen zugeordneten Göttlichen
nichts anderes als lautere Liebe. Aber diese Liebe ist eben ein
Innerliches, sie kann innerlich von Seelen erlebt werden. Sie
würde niemals zur äußeren Erscheinung kommen,
wenn sie sich nicht zunächst ihren Körper bildete aus
dem Elemente, dem ätherischen Elemente des Lichtes. Und
wenn wir richtig okkultistisch die Welt anschauen, so kommen
wir einfach dazu, uns zu sagen: Das Grundwesen der Welt ist als
Licht äußerlich erscheinende innere
Liebewesenheit.
Es
ist das nicht eine Glaubensüberzeugung dessen, der in
diese Dinge hineinschaut, sondern es ist eine ganz objektiv
gewonnene Erkenntnis: Das Weltall, insofern der Mensch darin
wurzelt, ist durch das Licht äußerlich zur
Erscheinung gelangende innerlich wesentliche Liebe. Wesentlich,
weil wir es zu tun haben mit all den Wesenheiten der
höheren Hierarchien, die von dieser Liebe getragen werden
und die diese Liebe innerlich erleben, was aber, wenn wir eine
abstrakte Idee anwenden wollen, als Licht erscheint. Der
äußere Schein der Wesen ist Liebe, und der
äußere Schein von Liebe ist Licht. Das ist es, was
man in allen Mysterien immer wieder und wieder betont hat, was
nicht bloße Glaubensüberzeugung, sondern was die
wirklich gewonnene Erkenntnis jedes wahrhaften Okkultisten
ist.
Nun
aber ist es so, daß dieses eine Strömung ist
im Weltenall, eine Strömung, die allerdings uns als
Menschen im wesentlichen angeht, aber eben eine
Strömung. Wir können uns gut vorstellen das Zeitalter
des Materialismus seit dem 15., 16., 17. Jahrhundert, auch die
Kulmination des Materialismus während der vierziger Jahre
des 19. Jahrhunderts -, wir können uns gut vorstellen die
Ausgestaltung des Materialismus nachher mit allem, was die
Menschen denken und tun, mit all den furchtbar
zerstörenden Kräften, die seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts in der Menschheit wüten, obwohl dies von
vielen noch gar nicht einmal richtig bemerkt wird. Und
über all dem webt die im Lichte sich entfaltende
göttliche Liebe.
Aber, meine lieben Freunde, nehmen Sie einmal ganz reines
Wasser, absolut kristallreines Wasser, und nehmen Sie einen
schmutzigen Schwamm, einen Schwamm, der innerlich Schmutz
enthält. Bringen Sie ihn in dieses kristallklare,
kristallreine Wasser, tauchen Sie ihn ein, drücken Sie ihn
zusammen, lassen Sie das Wasser wieder herausfließen - es
ist schmutzig, trübe. Sie haben durch den schmutzigen
Schwamm das kristallklare Wasser aufsaugen lassen, haben es
wieder herausgepreßt, und es ist schmutziges Wasser
geworden. Was kann das reine kristallklare Wasser dafür,
daß es als schmutziges Wasser herausfließt, wenn man
den Schwamm auspreßt? Was kann die im reinen Lichte
quellende göttliche Liebe dafür, daß sie
aufgenommen wird vom Zeitalter des Materialismus wie das klare
Wasser von dem mit Unreinlichkeit durchsetzten Schwamm, und
dadurch in der nächsten Erscheinung etwas ganz anderes
wird? - So können wir das Bild sehen: Kristallklares
Wasser, aufgesogen von einem schmutzigen Schwamm, wird
trübes, untrinkbares Wasser. Die göttliche, im Lichte
erscheinende Liebe, aufgesogen im Zeitalter der
Bewußtseinsseelenentwickelung von all den Ingredienzien
des Bösen, die in der Zeit der
Bewußtseinsseelenentwickelung latent oder offenbar in der
Menschheit wüten, wird der göttliche Zorn.
Das
ist das Geheimnis des nächsten Zeitalters, daß durch
dasjenige, was in der Menschheit geschieht, die göttliche
Liebe erscheinen wird in der Form des göttlichen Zornes -
des göttlichen Zornes, der schützen wird vor allen
materiellen Gestaltungen, die entstehen infolge des
materialistischen Bewußtseinsseelenzeitalters, der
schützen wird dadurch, daß er diese Gestaltungen
untergehen läßt, vor dem weiteren schädigenden
Wirken. Ausgehend von dem, was dem Apokalyptiker erscheint,
spricht er von der Ausgießung der Zornesschalen im
nächsten Zeitalter (Apk. 16,1 ff.). Das ist dasjenige, was
in den Mysterien ausgesprochen wurde in einem Satze, der
furchtbar erschütternd auf den angehenden Initiaten
wirkte: In der Sphäre der menschlichen Illusion tritt die
göttliche Liebe in der Form des göttlichen Zornes in
die Erscheinung.
Ein
viele Jahrtausende alter, durch die Mysterien gehender Satz,
der in prophetischer Weise in den Visionen Johannis lebt, indem
in der Apokalypse dasjenige geschildert wird, was vorangeht,
wodurch die göttliche Liebe getrübt wird, und was
dann geschehen muß als die nötige Erfüllung des
Vorangehenden: die Ausgießung des göttlichen Zornes
in dem Zeitalter, in dem, in viel stärkerem Grade als im
unsrigen, das was Menschen tun, Einfluß haben wird auf das
Naturgeschehen. Denn der Parallelismus, der die Menschen zu der
Illusion treibt, als ob die Natur und der menschliche Geist und
die menschliche Seele nebeneinanderliefen, dieser Parallelismus
herrscht nur in den mittleren Zeiten der Evolution und bringt
da diese Illusion hervor. Sogar in den Anfangsund
Endzuständen der kleineren Evolutionen, zum Beispiel der
Evolution von der atlantischen Katastrophe bis zum Krieg aller
gegen alle, herrschte immer ein großer Einfluß auf
die Naturereignisse durch das, was im Menschen vorgeht. Deshalb
ist es keine Fabel, daß, als sich ein großer Teil der
Menschheit in den letzten Phasen der atlantischen Entwickelung
in großem Maßstabe mit schwarzer Magie befaßte,
dasjenige, was die Menschen da verbrachen in ihrem Befassen mit
schwarzer Magie, sich in der atlantischen Katastrophe in
Naturerscheinungen erfüllte.
Und
so werden viele Dinge, die jetzt geschehen, in
Naturerscheinungen sich erfüllen. Da wird es nur eines
davon sein, daß die russische Revolution, die eben auch
viele okkulte Ursachen hatte, vom Himmel herunter in
Stürmen von Donner und Blitz, die ganze Sommer hindurch
dauern werden, sich ergießen wird über die Köpfe
der Menschen, und daß anderes, was in unserer Zeit
angesammelt wird als Weltenelement in Trübung der
göttlichen Liebe, erscheinen wird in denjenigen
Naturerscheinungen, die wir gar nicht anders zu deuten
vermögen werden, denn als Verwandlung der göttlichen
Liebe in göttlichen Zorn, durch die Illusionen der
Menschen.
Der
Satz ist schon so ausgesprochen worden, wie ich ihn vorhin
ausgesprochen habe. Aber das, was da der göttliche Zorn
ausgießt über die Menschen, das ist in Wahrheit immer
noch eine Offenbarung der göttlichen Liebe. Denn
würde in diesem Zeitalter die göttliche Liebe sich
der Schwachheit der Menschen scheinbar erbarmen, so wäre
es eben kein wirkliches Erbarmen. Es würde über alles
hinweggesehen, was als notwendige Folge der menschlichen
Gedanken und Taten geschehen ist; es würde dies das
Liebloseste sein, denn dann würde die Menschheit
verderben. Einzig und allein durch die Ausgießung des
göttlichen Zornes, der aber nur die Metamorphose der
göttlichen Liebe ist, kann das, was die Menschheit bewirkt
hat an schädigenden Dingen, hinweggeschafft werden, was
sonst unsagbar schädigend wirken würde auf die
weitere Entwickelung der Menschheit. Der in den Schriften
geschriebene Satz ist so alt, daß er in Europa sehr
häufig noch in orientalischer Form ausgesprochen wird,
indem man sagt: In der Region der Maya tritt die göttliche
Liebe als der göttliche Zorn zutage.
Sehen Sie, da haben Sie wieder ein neues Beispiel, wo man an
der Apokalypse sieht, wie gründlich sie aus den in der
Welt waltenden wesenhaften Ingredienzien herausgeholt ist. Je
tiefer man in sie eindringt, desto mehr findet man alles in
dieser Apokalypse, was nun wirklich in eminentestem Sinne
zeigt, daß man sich auf die Apokalypse verlassen kann -
wenn ich mich trivial ausdrükken soll. Sie ist im Grunde
dasjenige, was dem Priester die Erkenntnis dessen gibt, was
geschieht im menschlichen Weltenlauf. Sie war ursprünglich
der Priesterschaft gegeben als das eigentlich Esoterische des
Christentums, neben dem anderen, das exoterisch war.
Es werden nun die am Vortage schriftlich eingereichten
Fragen besprochen [siehe Seite 196f.]:
Rudolf Steiner: Ja, also ich habe das Brevier
persönlich niemandem gegeben, sondern nur damals im Kurs.
Wir müssen unterscheiden zwischen jenen Versammlungen, die
wir gehalten haben noch im Goetheanum, und den späteren.
Die eine war im Herbst 1921 im großen Saal des
Goetheanums, bei der eine große Anzahl von solchen
Persönlichkeiten war, von denen gedacht werden konnte,
daß sie sich interessierten für die Bewegung für
christliche Erneuerung. Dann haben wir im September 1922 die
engeren Versammlungen gehabt, vor denen Sie sagten, daß
Sie mit gründlicher Vorbereitung kommen, und die dann dazu
geführt haben, daß die Bewegung wirklich inauguriert
worden ist und die erste Weihehandlung vollzogen worden ist.
Das sind zwei Etappen. Bei der zweiten Versammlung gibt es
keine Persönlichkeiten, die dann abgefallen wären, da
sind ja damals alle wirklich eingekleidet und als berechtigte
Priester erklärt worden. Bei dieser im strengsten Sinn den
Ausgangspunkt des Priesterwirkens bildenden Versammlung, da
gibt es kein Abfallen mehr. Bei der ersten Versammlung aber
waren solche Persönlichkeiten, die dann nicht nur nicht
Priester geworden sind, sondern von denen Sie gesagt haben,
daß sie sich sogar feindlich stellen, richtig
feindlich?
Friedrich Rittelmeyer: Zum Beispiel der Jugendpastor
Bruno Meyer.
Werner Klein spricht von der Verbreitung des Breviers.
Es fehle die klare Kontrolle, wo es überall hingekommen
ist.
Rudolf Steiner: Und es gibt keine Möglichkeit,
einen Überblick zu haben über die
Persönlichkeiten, die damals im Herbst 1921 da waren?
Ein Teilnehmer: Doch, die gibt es.
Rudolf Steiner: Andere Persönlichkeiten haben das
Brevier wohl nicht bekommen?
Friedrich Doldinger: Aber die haben es
weitergegeben.
Die Teilnehmer bitten, gegebenenfalls eine Vormeditation
zu geben.
Rudolf Steiner: An eine Vormeditation müßte
zuletzt gedacht werden. Ich möchte, bevor ich über
diese Sache spreche, die andere von Ihnen gestellte Frage
berühren, die mir im Zusammenhang damit wichtig zu sein
scheint, das ist die Frage [aus dem Zettel vorlesend: Frage von
Johannes Werner Klein], ob man gut daran tut, weiterhin den
Schwerpunkt auf das extensive Element zu legen, oder ob es im
Interesse der besseren Vorbereitung auf die zukünftigen
Aufgaben besser ist, den Schwerpunkt auf die intensive
Vertiefung der eigenen Persönlichkeit zu legen. Man kann
vielleicht nicht so ohne weiteres den Zusammenhang zwischen den
beiden Fragen sehen, aber er ist da.
Unter allen Umständen müßte die Möglichkeit
gesucht werden, im jetzigen Stadium des Wirkens der
Priesterschaft noch nicht einzuhalten mit der extensiven
Arbeit, wie Sie sie nennen. Es kann verstanden werden, wie sehr
das Bedürfnis nach einer inneren Vertiefung dringend ist,
und es kann auch verstanden werden, wieviele Sorgen eben
dasjenige, was hier mit dem Satz zusammengefaßt wird
«Abbau der physischen und seelischen Kräfte»,
manchem im Kreise seit Herbst 1922 bereitete. Es kann das alles
verstanden werden. Aber Sie dürfen nicht vergessen, meine
lieben Freunde, daß diejenigen Dinge, die im ganzen Ernste
aus der spirituellen Welt getan werden können, bis zu
einem gewissen Punkte auch getan werden müssen in bezug
auf das Extensive. Vorher haben wir keine Berechtigung, uns auf
uns selbst zurückzuziehen, bevor wir nicht diesen Punkt
erreicht haben.
Mit
mehreren unserer Bewegungen haben wir da ganz furchtbare
Schläge erlebt, wie Sie wissen; ich habe ja in diesem
Sinne vieles in den vergangenen Jahren zu erleben gehabt. Als
die Hochschulbewegung begründet worden ist, sagte ich zu
denjenigen, die sie begründeten, die ihr ihren
Ausgangspunkt verschafften: Ja gut, wenn ihr so etwas macht,
dann müßt ihr aber wissen, daß man so etwas nur
machen darf, wenn man aushält mit seinen Kräften,
gleichviel ob man Erfolg oder Mißerfolg hat, es ist
notwendig, daß man aushält bis zu einem gewissen
Punkt in der Verfolgung des geraden Weges. Das ist dann nicht
geschehen, daher der starke Rückschlag, der uns gerade von
der Hochschulbewegung kommt, denn es hat uns eigentlich wenig
so sehr geschadet wie die in sich, das heißt in den Seelen
zerbrochene Hochschulbewegung, die vollständig im Sand
verlaufen ist. An ihre Stelle ist so etwas wie eine
Verinnerlichung von jugendlichen Seelen getreten, das, was eben
heute da ist. Aber die Hochschulbewegung ist eigentlich ganz
zersplittert.
Das
ist natürlich nicht etwas, was sich mit Ihrer Bewegung
vergleichen läßt, aber das eine gilt auch hier: Wir
müssen, wenn wir eine Bewegung inaugurieren, die
unmittelbar aus der geistigen Welt ihren Urimpuls hat, ganz
absehen von Erfolg oder Mißerfolg, ganz absehen von dem,
was wird, und nicht in uns selbst beschließen: wir
ändern den Kurs.
Es
wird ja wirklich manches noch recht schwierig werden. Was den
Abbau der physischen Kräfte betrifft, so handelt es sich
natürlich darum, daß da die Mittel und Wege gesucht
werden müssen, diesen physischen Kräften wiederum
aufzuhelfen, daß aber diejenigen unter Ihnen, die vom
Abbau der seelischen Kräfte sprechen, zunächst einmal
sehr stark mit sich nach dieser Richtung zu Rate gehen sollten,
bei sich selber die Frage zu beantworten: Inwiefern kann mir
dasjenige, was aus dem lebendigen Quell dieser religiösen,
vom Christus-Impuls durchdrungenen Bewegung fließt,
inwiefern kann mir das jederzeit die seelischen Kräfte auf
der Höhe erhalten?
Die
seelischen Kräfte, meine lieben Freunde, sie müssen
durch dasjenige auf der Höhe erhalten werden können,
was durch Kultus und Lehre fließt. Für die physischen
Kräfte muß man die physische Gesundung suchen. Aber
die seelischen Kräfte - man kann geradezu sagen, daß
es eine Art Erprobung dieser Priesterbewegung wäre, ob man
imstande ist, aus der Situation dieser Priesterbewegung das
herauszuziehen, was die seelischen Kräfte auch dann auf
der Höhe erhält, wenn die physischen Kräfte noch
so sehr abgebaut werden. Mut, innere Intensität für
die konkrete Arbeit, klares Verfolgen der priesterlichen Ziele,
damit verbundenes sicheres Stehen auf dem
göttlich-menschlichen Boden, der die Seele fest trägt
im Weltenall, das dürfen wir nicht verlieren. Denn sonst
würde das ein Beweis dafür sein, daß gerade das,
was das Stärkste sein muß, nicht stark genug
wäre. Das ist auch etwas, was nicht richtig ist. Es
ist stark genug. Daher ist der Abbau der seelischen
Kräfte etwas, was mit irgendeiner Art von Illusion
verbunden ist, zumeist damit, daß von ganz anderen Seiten
her Ursachen von Depressionen kommen, die da die hellen
Strahlen verdunkeln, die von dieser religiösen Bewegung
selbst ausgehen und die jeden Abbau der seelischen Kräfte
verhindern. Sehen Sie nur nach, Sie werden überall die
seelischen Kräfte finden, wenn man auch meinen
könnte, daß sie abgebaut seien; sie sind abgebaut
durch irgend etwas, was von außen hereinspielt, was man zu
stark gelten läßt in bezug auf diese seelischen
Kräfte und demgegenüber man zu wenig den geistigen
Quell selber aufruft. Aber das kann anders werden, wenn man
sich der hohen Mission dieses Priesterberufes im vollsten
Umfang bewußt wird.
Nun, sehen Sie, wenn ich dies sage, so meine ich allerdings,
daß dies schon die Voraussetzung dazu ist, daß wir
überhaupt daran denken können, etwas zu tun, um das
Brevier, das also gefährdet ist, zu seiner
ursprünglichen Wirksamkeit zu bringen. Jedenfalls die zwei
Dinge, meine lieben Freunde, müssen zusammenkommen, wenn
sich, und das kann ja bis morgen geschehen, herausstellen
sollte, daß Ihr klar werdet über die Frage - und zwar
nur in bezug auf die seelischen Kräfte, denn für die
physischen Kräfte haben wir ja klinisch-therapeutische
Unternehmungen -, wie Ihr das, was in bezug auf die seelischen
Kräfte gilt, aus Euren eigenen Erwägungen heraus von
allen Illusionen befreit, so daß der Bewegung die
Schwungkraft bleibt, mit der sie anfangs da war. Dann
läßt sich weiter sprechen, was wir, auch wenn es
nicht möglich sein sollte, alle Breviere
zurückzubekommen, zur Wiedergutmachung desjenigen, was am
Brevier geschädigt ist, unternehmen können.
Darüber können wir morgen weiter sprechen.
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