ZUR EINFÜHRUNG
in der Mappe mit den 14 Bildtafeln
Berlin
Oktober 1907
Die hier vorliegenden vierzehn Tafeln sind
Wiedergaben der «Siegel und Sinnbilder», welche zur
Auskleidung des Innenraums dienten, in welchem der Kongreß der
«Föderation europäischer Sektionen der Theosophischen
Gesellschaft» am 18., 19., 20. und 21. Mai 1907 (zu
München) stattfand. Sie sind nicht beliebige
«Sinnbilder», welche man verstandes-mäßig
deuten kann, sondern geisteswissenschaftliche
«Schriftzeichen», die so genommen werden müssen, wie
es der wahren Geisteswissenschaft entspricht. Diese erfindet
nicht aus dem Verstande oder der willkürlichen Phantasie heraus
solche «Zeichen», sondern gibt in ihnen nur wieder, was der
geistigen Wahrnehmung in den übersinnlichen Welten
wirklich als Anschauung vorliegt. Keine Spekulation, keine –
wenn auch noch so geistreiche – Verstandeserklärung ist
gegenüber solchen Zeichen angebracht, da sie eben nicht
ausgedacht sind, sondern lediglich eine Beschreibung dessen
liefern, was der sogenannte «Seher» in den unsichtbaren
Welten wahrnimmt. Bei den hier wiedergegebenen Zeichen handelt es
sich um die Beschreibung von Erlebnissen der «astralen» und
der «geistigen» (devahanischen) Welt. Die
«Siegel» der ersten sieben Tafeln stellen solche wirkliche
Tatsachen der astralen Welt dar, und die sieben
«Säulen» ebensolche der geistigen Welt. Während
aber die Siegel unmittelbar die Erlebnisse des «geistigen
Schauens» wieder-geben, ist das bei den sieben Säulen nicht
in gleicher Art der Fall. Denn die Wahrneh-mungen der geistigen Welt
lassen sich nicht mit einem «Schauen», sondern eher mit
einem «geistigen Hören» vergleichen. Bei diesem
muß beachtet werden, daß man es nicht zu sehr dem
«Hören» in der physischen Welt ähnlich denken
soll, denn obwohl es sich damit vergleichen läßt, ist es
ihm doch sehr unähnlich. In einem Bilde lassen sich die
Erlebnisse dieses geistigen Hörens nur ausdrücken, wenn man
sie aus dem «Tönen» indie Form übersetzt. Das ist
bei diesen «Säulen» geschehen, deren Wesen aber nur
verständ-lich ist, wenn man sich die Formen plastisch (nicht
malerisch) denkt.
Im Sinne der Geisteswissenschaft sind die
Ursachen zu den Dingen der physischen Welt im
Übersinnlichen, Unsichtbaren gelegen. Was sich physisch
offenbart, hat seine Urbilder in der astralischen Welt und
seine geis:igen Urkräfte (Urtöne) in der geistigen
Welt. Die sieben Siegel geben die astralischen Urbilder der
Menschheitsentwicklung auf der Erde im Sinne der Geisteswissenschaft.
Wenn der «Seher» auf dem «Astralplane» diese
Entwicklung in die Zeiten ferner Vergangenheit und ferner Zukunft
verfolgt, so stellt sich ihm diese in den gegebenen sieben
Siegelbildern dar. Er. hat nichts zu erfinden, sondern lediglich die
von ihm geistig wahrgenommenen Tatsachen zu verstehen.*
*) Leider war es nicht
möglich, die Photographien der Siegel koloriert wiederzugeben.
Für den Kongreß in München waren sie in Farben
ausgeführt. Doch genügt es zur vorläufigen
Veranschaulichung, daß sie hier in dieser Form vorliegen. Die
Siegel für den Kongreßsaal hat nach den ihr gemachten
Angaben Frl. Clara Rettig, Stuttgart, die Säulen Herr Karl
Stahl, München, ausgeführt. Da es die Umstände nicht
erlauben, an die Vervielfältigung kolorierter Siegel zu
denken, so soll jetzt der Versuch gemacht werden, durch eine neue
Technik der Strichführung im Hell-Dunkel, wie sie besonders
durch Frau Assja Turgenieff-Bugaieff ausgearbeitet wird,
Lichtwirkungen zu erzielen, die über das einfach
Naturalistische hinausgehen.
Es sei hier auch hingewiesen auf
die von Baron Arild Rosenkrantz geschaffenen kolorierten
Gemälde, die in London ausgestellt waren und im Jahre 1924
dann auch vervielfältigt wurden.
DER HERAUSGEBER
Siegel I stellt umfassend die ganze
Erdenentwicklung des Menschen dar. Dieses sowie andere Siegel der
Serie kann man in einem gewissen Sinne auch beschrieben finden in der
«Offenbarung St. Johannis» (Apokalypse). Denn wer diese
Schrift im geisteswissenschaftlichen Sinne zu verstehen vermag, der
sieht in ihr nichts anderes als die in Worten gegebene Beschreibung
dessen, was der «Seher» als Menschheitsentwicklung auf dem
astralischen Plane urbildlich wahrnimmt. So versteht ein solcher auch
die ersten Worte dieser Schrift, die (annähernd richtig
wiedergegeben) so lauten: «Die Offenbarung Jesu Christi, die
Gott ihm dargeboten hat, seinen Dienern zu veranschaulichen, wie in
Kürze sich das notwendige Geschehen abspielt; dieses ist in
Zeichen gesandt durch Gottes Engel seinem Diener Johannes.
Dieser hat zum Ausdruck gebracht das,Wort' Gottes und dessen
Offenbarung durch Jesus Christus, in der Art, wie er es geschaut
hat.» Die «Zeichen», die er geschaut hat, sind von dem
Aufzeichner der «geheimen Offenbarunge dargestellt worden.
– Man kann an den folgenden Siegeln finden, daß sie in
vieler Beziehung ähnlich sind dem, was in der Apokalypse
beschrieben ist, doch nicht ganz. Denn unseren Bildern liegt eine
geisteswissenschaftliche Methode zugrunde, welche zwar mit
allen Überhefe-rungen im Einklange ist, in ihrer eigenen
Gestalt sich aber, den modernen geistigen Bedürfnissen der
Menschheit entsprechend, seit dem vierzehnten Jahrhundert in jenen
Kreisen ausgebildet hat, die seit jener Zeit die Aufgabe haben, diese
Dinge zu pflegen. Dennoch soll hier, wo es darauf ankommt, die
Beschreibung unter Hinweis auf die «Offenbarung St.
Johannis» gegeben werden. Ausdrücklich bemerkt soll werden,
daß manches von den sieben Siegeln schon in diesem oder jenem
Werke der neueren Zeit . veröffentlicht ist; doch wird der in
solchen Dingen Eingeweihte finden können, daß diese anderen
Wiedergaben in manchen Punkten abweichen von der hier gegebenen
Gestalt, welche die echte geisteswissenschaftliche Grundlage zur
Darstellung bringen will.
Zum ersten Siegel
kann man vergleichen dessen Beschreibung in der Apokalypse. «Und
ich wandte mich hin, zu vernehmen die Laute, welche zu mir drangen;
und da schaute ich sieben güldene Lichter, und inmitten der
Lichter des Menschensohnes Bild, mit langem Gewande und mit einem
goldenen Gürtel um die Lenden; und sein Haupt und Haar waren
weißglänzend wie weiße Wolle oder Schnee, und seine
Augen funkelnd im Feuer. Und seine Füße waren
feuerflüssig wie im feurigen Ofen erglüht, und seine Stimme
glich dem Zusammenklange rauschender Wassermassen. Und in seiner
Rechten waren sieben Sterne, und aus seinem Munde kam ein
zweischneidiges scharfes Schwert, und sein Antlitz in seinem Glanze
glich der leuchtenden Sonne.» In allgemeinen Bildern wird da auf
umfassendste Geheimnisse der Menschheitsentwicklung gedeutet. Wollte
man in ausführlicher Art darstellen, was der Seher aus diesen
Bildern sehen kann, so müßte man ein dickes Buch schreiben.
Nur ein paar Andeutungen seien gemacht. Jedes Zeichen, jede Form an
den Siegelbildern ist vielsagend, und was hier gesagt wird, kann nur
Etwas von Vielem sein. Unter den Organen und Ausdrucksmitteln des
Menschen sind solche, welche in ihrer gegenwärtigen Gestalt die
abwärtsgehenden Entwicklungsstufen früherer Formen
darstellen, die also ihren Vollkommenheitsgrad bereits
überschritten haben; andere aber stellen die Anfangsstufen einer
Entwicklung dar, die in aufsteigender Richtung sich bewegt. Solche
Glieder am Menschen sind heute erst noch unvollkommen und werden
künftig ganz andere höhere Aufgaben zu erfüllen haben.
Ein Organ, das in der Zukunft etwas viel Höheres, Vollkommeneres
sein wird als es gegenwärtig ist, stellt das Sprachorgan dar,
mit allem, was am Menschen zu ihm gehört. Indem man dieses
an-deutet, rührt man an ein großes Geheimnis des Daseins,
welches auch das «Mysterium des schaffenden Wortes» genannt
wird. Es ist damit eine Hindeutung auf den Zukunfts-zustand dieses
Organs gegeben, das einmal, wenn der Mensch vergeistigt sein wird,
Produktions- (Zeugungs-) Organ sein wird.
In den Mythen und
religiösen Erzählungen wird diese zukünftige
vergeistigte Produktionsform durch das sachgemäße
Bild von dem aus dem Munde kommenden feurigen «Schwert»
angedeutet. Die ersten Stufen der Erdenentwicklung des Menschen
verliefen in einer Zeit, als die Erde noch «feurig» war;
und aus dem Elemente des Feuers haben sich die ersten menschlichen
Verkörperungen herausgestaltet; am Ende seiner Erdenlaufbahn
wird der Mensch selbst sein Inneres durch die Kraft des
Feuerelementes schöpferisch nach außen strahlen. Dieses
Fortentwickeln vorn Erdenanfang zum Erdenende erschließt sich
dem «Seher», wenn er auf dem Astralplan das Urbild
des werdenden Menschen erblickt, wie es im ersten Siegel
wiedergegeben ist. Der Anfang der Erdenentwicklung steht da in den
feurigen Füßen, das Ende in dem feurigen Antlitz und die
vollkommene zuletzt zu erringende Kraft des «schöpferischen
Wortes» in dem feurigen Schwert, das aus demMunde kommt.
Während diese Entwicklung abläuft, steht des Menschen
Werden und seine dabei entfalteten Kräfte nacheinander unter dem
Einfluß von Kräften, die sich in den sieben Sternen der
Rechten ausdrücken. So stellt jede Linie, jeder Punkt
gewisser-maßen auf dem Bilde etwas dar, was mit dem umfassenden
Entwicklungsgeheimnis des Menschen zusammenhängt.
Siegel II stellt einen der ersten
Entwicklungszustände der Erdenmenschheit dar, mit allem was
dazugehört. Der Erdenmensch hat in ferner Urzeit nämlich
noch nicht das gehabt, was man Individualseele nennt. Es war damals
bei ihm das vorhanden, vas gegenwärtig noch die auf einer
früheren Entwicklungsstufe der Menschheit zurückgebliebenen
Tiere haben: die Gruppenseele. Wenn durch imaginatives Hellsehen in
der Rückschau auf die Vorzeit die menschlichen Gruppenseelen auf
dem Astralplan verfolgt werden, so ergibt sich, daß die
verschiedenen Formen derselben auf vier Grundtypen
zurückgeführt werden können. Und diese sind in den
vier apokalyptischen Tieren des zweiten Siegels wiedergegeben: dem
Löwen, dem Stier, dem Adler und jener Gestalt, die sich auch als
Gruppenseele der individuellen Seele des gegenwärtigen Menschen
nähert, und die deshalb auch: der «Mensch» heißt.
Damit ist an die Wahrheit dessen gerührt, was oftmals so trocken
allegorisch bei den vier Tieren «ausgedeutet» wird.
Siegel III stellt die Geheimnisse der sogen.
Sphärenharmonie dar. Der Mensch erlebt diese Geheimnisse in der
Zwischenzeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt (im
«Geisterlande» oder dem, was in der gebräuchlichen
theosophischen Literatur «Devahan» genannt wird). Es ist
aber bei allen diesen Siegeln festzuhalten, daß sie nur die
Erfah-rungen der astralischen Welt darstellen. Doch
können auch andere Welten als diese astralische selbst, in
dieser beobachtet werden. Unsere physische Welt kann man nach ihren
Urbildern auf dem Astralplan beobachten. Und die geistige Welt ist in
ihren Nachbildern auf diesem Plan zu schauen. So stellt das
dritte Siegel die astralischen Nachbilder des
«Geisterlandes» dar. Die posaunenblasenden Engel stellen
die geistigen Urwesen der Welterscheinungen dar; die
Posaunentöne selbst die Kräfte, die von diesen Urwesen aus
in die Welt strömen und durch welche die Wesen und Dinge
aufgebaut und in ihrem Werden und Wirken erhalten werden. Die
«apokalyptischen Reiter» stellen die
Hauptentwicklungspunkte dar, durch welche eine
Menschenindividualität im Laufe vieler Verkörperungen
durchgeht und die sich auf dem Astralplan in den Reitern auf den
Pferden darstellen: ein weißglänzendes Pferd, eine sehr
frühe Stufe der Seelenentwicklung ausdrückend; ein
feuerfarbenes Pferd, auf die kriegerische Entwicklungsstufe der Seele
deutend; ein schwarzes Pferd, entsprechend jener Seelenstufe, wo nur
das äußere physische Wahrnehmen der Seele entwickelt ist;
und ein grünschimmerndes Pferd, das Bild der reifen Seele,
welche die Herrschaft über den Leib hat (daher die grüne
Farbe, welche sich als Ausdruck der von innen nach außen
wirkenden Lebenskraft ergibt).
Siegel IV stellt unter anderem zwei Säulen
dar, deren eine aus dem Meer, die andere aus dem Erdreich aufragt. In
diesen Säulen ist das Geheimnis angedeutet von der Rolle, welche
das rote (sauerstoffreiche) Blut und das blaurote
(kohlensäurereiche) Blut in der menschlichen Entwicklung
spielen. Das menschliche «Ich» macht im Erdenkreislauf
seine Entwicklung dadurch durch, daß es sein Leben physisch zum
Ausdruck bringt in der Wechselwirkung zwischen rotem Blut, ohne das
es kein Leben, und dem blauen Blut, ohne das es keine
Erkenntnis gäbe. Blaues Blut ist der physische Ausdruck
der Erkenntnis gebenden Kräfte, die aber für sich allein in
ihrer menschlichen Form mit dem Tode zusammenhängen, und rotes
Blut ist der Ausdruck des Lebens, das aber in der menschlichen Form
keine Erkenntnis für sich allein geben könnte. Reide in
ihrem Zusammenwirken stellen dar den Baum der Erkenntnis und den Baum
des Lebens, oder auch die beiden Säulen, auf denen sich das
Leben und die Erkenntnis des Ich fortentwickeln bis zu jenem
Vollkommenheitgrade, wo der Mensch Eins werden wird mit den
universalen Erdenkräften. Dieser letztere Zustand der Zukunft
kommt auf dem Siegel durch den Oberleib zur Anschauung, der aus
Wolken besteht, und durch das Gesicht, das sich die geistigen
Kräfte der Sonne angeeignet hat. Das «Wissen» wird
dann der Mensch nicht mehr von außen in sich aufnehmen, sondern
in sich «verschlungen» haben, was in dem Buche in der Mitte
des Siegels angedeutet ist. Erst durch solches
«Verschlingen» auf höherer Daseinsstufe öffnen
sich die sieben Siegel des Buches, wie sie auch auf Siegel III
angedeutet sind. In der «Offenbarung St. Johannis» findet
man darüber die bedeutungsvollen Worte: «Und ich nahm das
Büchlein aus des Engels Hand und verzehrte es. ...»
Siegel V stellt dar eine höhere
Entwicklungsstufe des Menschen, wie sie eintreten wird, wenn die Erde
sich wieder mit der Sonne vereinigt haben und der Mensch nicht mehr
bloß mit den Erdenkräften, sondern mit den
Sonnenkräften arbeiten wird. Das «Weib, das die Sonne
gebiert» bezieht sich auf diesen Zukunftsmenschen. Gewisse
Kräfte niederer Natur, welche im Menschen leben und ihn
an der vollen Entfaltung seiner höheren Geistig-keit hindern,
wird er dann aus sich herausgesetzt haben. Diese Kräfte stellen
sich im Siegel einerseits dar in dem Tiere mit den «sieben
Köpfen und zehn Hörnern», anderseits in dem Monde zu
Füßen des Sonnenmenschen. Der Mond ist für die
Geisteswissenschaft der Mittelpunkt gewisser niederer Kräfte,
welche heute noch in der menschlichen Wesenheit wirken, und
die der Mensch der Zukunft «unter sich» zwingen wird.
Siegel VI stellt den gereinigten, nicht nur
vergeistigten, sondern in der Geistigkeit stark gewordenen
Menschen dar, welcher die niederen Kräfte nicht nur
überwunden, sondern sie so umgewandelt hat, daß sie als
verbesserte zu seinen Diensten stehen. Das gezähmte
«Tier» drückt dieses aus. In der «Offenbarung St.
Johannis» ist darüber zu lesen: «Und ich schaute, wie
dem Himmel ein Engel entstieg, der den Schlüssel des Abgrunds
hielt und eine große Kette in der Hand hatte. Und er brachte den
Drachen, die Schlange der Vorzeit, in seine Gewalt, welche der Teufel
und Satan ist, und er band ihn auf tausend Jahre.»
Siegel VII ist Wiedergabe des «Mysteriums vom
heiligen Gral». Es ist dasjenige astra-lische Erlebnis, welches
den universellen Sinn der Menschheitsentwicklung wiedergibt. Der
Würfel stellt die «Raumeswelt» dar, die noch von
keinem physischen Wesen und keinem physischen Ereignis durchsetzt
ist. Für die Geisteswissenschaft ist nämlich der Raum nicht
bloß die «Leere», sondern er ist der Träger, der
auf noch unsichtbare Art die Samen alles Physischen in sich birgt.
Aus ihm heraus schlägt sich gleichsam die ganze physische Welt
nieder, wie sich ein Salz niederschlägt aus der noch ganz
durchsichtigen Lösung. Und was – in bezug auf den Menschen
– sich aus der Raumeswelt herausbildet, das macht die
Entwicklung vom Niedern zum Höhern durch. Es wachsen heraus aus
den «drei Raumesdimensionen», welche im Würfel
ausgedrückt sind, zuerst die niedrigeren Menschenkräfte,
veranschaulicht durch die beiden Schlangen, die aus sich wieder die
geläuterte höhere geistige Natur gebären, was in den
Weltenspiralen sich darstellt. Durch das Aufwärtswachsen dieser
höheren Kräfte kann der Mensch Empfänger werden
(Kelch) für die Aufnahme der rein geistigen Weltwesenheit,
ausgedrückt durch die Taube. Dadurch wird der Mensch Beherrscher
der geistigen Weltmächte, deren Abbild der Regenbogen ist. Das
ist eine ganz skizzenhafte Beschreibung dieses Siegels, das
unermeßliche Tiefen in sich birgt, die sich demjenigen
offenbaren können, der es in der hingebungsvollen Meditation auf
sich wirken läßt. Umschrieben ist dieses Siegel mit dem
Wahrheitsspruch der modernen Geisteswissenschaft: «Ex deo
nascimur, in Christo morimur, per spiritum sanctum reviviscimus»,
«Aus Gott bin ich geboren; in Christo sterbe ich; durch den
Heiligen Geist werde ich wiedergeboren». In diesem Spruch ist ja
der Sinn der menschlichen Entwicklung voll angedeutet.
Zwischen je zwei dieser Siegel befand sich im
Kongreßraume eine der sieben Säulen, welche in der zweiten
Serie der Bilder wiedergegeben sind. In den Kapitälen dieser
Säulen sind, wie oben bereits angedeutet, Erfahrungen des
«Sehers» (was auf diesem Gebiete eigentlich nicht mehr ein
passender Name ist) in der «geistigen Welt» dargestellt. Es
handelt sich um die Wahrnehmung der Urkräfte, welche in
geistigen Tönen bestehen. Die plastischen Formen der
Kapitäle sind Übersetzungen dessen, was der
«Seher» hört. Doch sind diese Formen keineswegs
willkürlich, sondern so, wie sie sich auf ganz natürliche
Art ergeben, wenn der «sehende Mensch» die «geistige
Musik» (Sphärenharmonie), die sein ganzes Wesen
durchströmt, auf die formende Hand wirken läßt. Die
plastischen Formen sind hier wirklich eine Art «gefrorener
Musik», welche die Weltgeheimnisse zum Ausdruck bringt. Daß
diese Formen als Säulenkapitäle auftreten, erscheint
für den, welcher die Sachlage durchschaut, wie
selbstverständlich. Die Grundlage der physischen Entwicklung der
Erdenwesen liegt in der geistigen Welt. Von dort aus wird sie
«gestützt». Nun beruht alle Entwicklung auf einem
Fortschreiten in sieben Stufen. (Die Zahl sieben soll dabei nicht als
Ergebnis eines «Aberglaubens» aufgefaßt werden,
sondern als der Ausdruck einer geistigen Gesetzmäßigkeit,
wie die sieben Regenbogenfarben der Ausdruck einer physischen
Gesetzmäßigkeit sind). Die Erde selbst schreitet in ihrer
Entwicklung durch sieben Zustände, die mit den sieben
Planetennamen bezeichnet werden: Saturn-, Sonne-, Mond-, Mars-,
Merkur-, Jupiter- und Venuszustand. (Über den Sinn dieser Sache
vergleiche man meine «Geheimwissenschaft» oder die
Aufsätze Zur Akasha-Chronik. Doch nicht allein ein
Himmelskörper schreitet in seiner Entwicklung so vorwärts,
sondern jede Entwicklung durchläuft sieben Stufen, die
man im Sinne der modernen Geisteswissenschaft mit den Ausdrücken
für die sieben pIanetarischen Zustände bezeichnet. In der
oben gekennzeichneten Weise sind die geistigen Stützkräfte
dieser Zustände durch die Formen der Säulenkapitäle
wiedergegeben. Man wird aber zu keinem wahren Verständnis dieser
Sache kommen, wenn man nur die verstandesmäßige
Erklärung beim Beschauen der Formen zugrunde legt. Man muß
künstlerisch-empfindend sich in die Formen hineinschauen
und die Kapitäle eben als Form auf sich wirken lassen.
Wer dies nicht beachtet, wird glauben, nur Allegorien, oder im besten
Falle Symbole vor sich zu haben. Dann hätte er alles
mißverstanden. Dasselbe Motiv geht durch alle sieben
Kapitäle: eine Kraft von oben und eine von unten, die sich erst
entgegenstreben, dann, sich erreichend, zusammenwirken. Diese
Kräfte sind in ihrer Fülle und in ihrem inneren Leben zu
empfinden und dann ist von der Seele selbst zu erleben,
wie sie lebendig gestaltend sich breiten, zusammenziehen, sich
umfassen, verschlingen, aufschließen usw. Man wird diese
Komplikation der Kräfte fühlen können, wie man das
«sich-gestalten» der Pflanze aus ihren lebendigen
Kräften fühlt, und man wird empfinden können, wie die
Kraftlinie erst senkrecht nach oben wächst in der Säule,
wie sie sich entfaltet in den plastischen Gestalten der
Kapitäle, welche sich den von oben ihnen entgegenkommenden
Kräften öffnen und aufschließen, so daß ein
sinnvoll tragendes Kapitäl wird. Erst entfaltet sich die Kraft
von unten in der einfachsten Art, und ihr strebt ebenso einfach die
Kraft von oben entgegen (Saturn-Säule); dann füllen sich
die Formen von oben an, schieben sich in die Spitzen von unten hinein
und bewirken so, daß die unteren Formen nach den Seiten
ausweichen. Zugleich schließen sich diese unteren Formen zu
lebendigen Gebilden auf (Sonnensäule). Im ferneren wird das
obere mannigfaltiger; eine Spitze, die hervorgetrieben war,
wächst wie zu einem befruchtenden Prinzip aus, und das untere
gestaltet sich zu einem Fruchtträger um. Das andere Kraftmotiv
zwischen beiden ist zu einer tragenden Stütze geworden, weil das
Verhältnis der Zwischen-glieder nicht genug stark als Tragkraft
empfunden würde (Mond-Säule). Weiterhin tritt eine
Abscheidung des Unteren und Oberen ein, die starken Träger des
Mondkapitäls sind selbst säulenartig geworden, das
dazwischenliegende Obere und Untere sind verwachsen zu einem Gebilde,
von oben deutet sich ein neues Motiv an (Mars-Säule). Die aus
der Verbindung des Oberen und Unteren entstandenen Gebilde haben
Leben angenommen, erscheinen daher als von Schlangen umwundener Stab.
Man wird empfinden müssen, wie dieses Motiv aus dem vorigen
organisch herauswächst. Die mittleren Gebilde des
Marskapitäls sind verschwunden; ihre Kraft ist von dem
stützenden inneren Teile des Kapitäls aufgesogen; die
vorher von oben kommenden Andeutungen sind voller geworden
(Merkur-Säule). Nun geht es wieder zu einer Art Vereinfachung,
die aber die Frucht der vorhergängigen Vermannigfaltigung in
sich schließt. Das Obere schließt sich kelchartig auf, das
Untere vereinfacht das Leben in einer keuschen Form
(Jupiter-Säule). Der letzte Zustand zeigt diese «innere
Fülle» bei der äußeren Vereinfachung aufs
höchste. Die Wachstumsumgestaltungen von unten haben von obenher
ein fruchttragendes Kelchartiges hervorgelockt (Venus-Säule).
Wer alles das
empfinden kann, was in diesen «Säulen» des
Weltgeschehens ausgedrückt ist, der fühlt umfassende
Gesetze alles Seins, welche die Lebensrätsel in ganz anderer
Weise lösen als abstrakte «Naturgesetze».
Es soll in diesen
Abbildungen eine Probe gegeben sein, wie die geistige Anschauung
Form, Leben, künstlerische Gestaltung werden kann. Man beachte,
daß die Abbildungen lebendige Daseinskräfte der
höheren Welten wiedergeben; und diese höheren
Geisteskräfte zuirken auf den Betrachter der Bilder. Sie
wirken direkt auf Kräfte, die, ihnen entsprechend, in jedem
Menschen schlummern. Aber ihre Wirkung ist nur eine richtige, wenn
man diese Bilder mit der rechten inneren Seelenverfassung betrachtet.
Wer mit spirituellen
Vorstellungen im Kopfe und mit devotionellen Gefühlen im Herzen
die Bilder betrachtet, der wird aus ihnen ein Heiligstes empfangen.
Wer sie sich an einen beliebigen Ort hängen oder stellen wollte,
wo er ihnen mit alltäglichen Gedanken und Empfindungen
gegenübertritt, der wird eine ungünstige Wirkung
verspüren, die bis zur schlimmen Beeinflussung des
körperlichen Lebens gehen kann. Man richte sich dar-nach und
trete zu den Bildern nur in ein Verhältnis, das im Einklange
steht mit einer Hingabe an die geistigen Welten. Zum Schmucke eines
dem höheren Leben gewidmeten Raumes sollen solche Bilder
dienen; nimmermehr soll man sie an Orten finden oder betrachten, wo
die Gedanken der Menschen nicht mit ihnen im Einklange sind.
Dr. Rudolf Steiner
Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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