DAS WESEN DES SCHLAFES
Berlin, 24. November 1910
Es
liegt in der Natur der gegenwärtigen Wissenschaftlichen
Betrachtungen, daß von solchen Erscheinungen, wie
diejenige ist, der wir heute diese Stunde widmen wollen, im
Grunde genommen recht wenig innerhalb der gebräuchlichen
Wissenschaft die Rede ist. Und dennoch sollte jeder Mensch
fühlen, wie der Schlaf etwas ist, was sieh in unsere
Lebenserscheinungen so hineinstellt, wie wenn uns gerade durch
ihn die größten Lebensrätsel aufgegeben werden
sollen. Man hat wohl dieses Geheimnisvolle und das
Bedeutungsvolle des Schlafes immer gefühlt, wenn man
gesprochen hat von dem Schlaf als dem «Bruder des
Todes». Nun werden wir uns heute auf die Besprechung des
Schlafes als solchen zu beschränken haben, denn auf die
Betrachtung des Todes werden uns die folgenden Vorträge
noch in maneher Beziehung zurückführen.
Alles, was der Mensch zu seinem Seelenerleben in
unmittelbarem Sinne rechnen muß, alle vom Morgen bis
zum Abend auf und abwogenden Vorstellungen, alle Empfindungen
und Gefühle, welche das Seelendrama des Menschen
ausmachen, alle Schmerzen und Leiden, auch die
Willensimpulse, sie sinken gleichsam in ein unbestimmtes
Dunkel hinunter, wenn der Mensch in den Schlaf versinkt. Und es
könnten sozusagen manche Philosophen an sich selber irre
werden, wenn sie sprechen von dem Wesen des Seelischen, von dem
Wesen des Geistigen, das sich offenbart in der Menschennatur,
und von dem sie doch zugeben müssen, daß es innerhalb
eines jeden Tageslaufes — auch wenn es sich noch so gut
in Begriffe und Ideen hat einspannen lassen und noch so gut
erforscht zeigt — im Grunde genommen in nichts sich zu
verlieren scheint. Wenn wir die Erscheinungen des Seelenlebens
so betrachten, wie man sie eigentlich sowohl wissenschaftlich
als auch laienhaft zu betrachten gewohnt ist, so müssen
wir im Grunde genommen sagen, sie sind während des
Schlafzustandes ausgelöscht, sind fort. Für den, der
bloß das betrachten will, was sich von dem Seelischen im
Leiblichen äußert, ist gewissermaßen der Mensch
erst recht ein Rätsel, wenn er tiefer nachdenkt. Denn die
eigentlichen leiblichen Funktionen, leiblichen
Tätigkeiten, dauern während des Schlafes fort. Nur
was wir gewöhnlich als das Seelische bezeichnen, hört
auf. Es fragt sich nun nur, ob man in ganz richtigem Sinne
über Leibliches und Seelisches spricht, wenn man in
das, was wie ausgelöscht erscheint mit dem
Einschlafen, wirklich dieses Seelische in seinem ganzen Umfange
einschließt. Oder ob schon die gewöhnliche
Beobachtung des Lebens, wenn wir jetzt ganz absehen von
geisteswissenschaftlichen oder anthroposophischen
Betrachtungen, uns doch zeigen kann, daß dieses
Seelische auch tätig ist, seine Wirksamkeit auch
erweist dann, wenn es vom Schlaf umfangen ist. Will man
allerdings über diese Begriffe einige Klarheit gewinnen,
man könnte auch sagen, will man die Erscheinungen des
Lebens im richtigen Sinne auf diesem Gebiete beobachten, so
muß man sich genaue Begriffe vor die Seele stellen.
Einleitungsweise möchte ich von vornherein erwähnen,
daß auch in bezug auf dieses Thema die Geisteswissenschaft
oder Anthroposophie nicht in der Lage ist, so allgemein zu
sprechen, wie man es heute liebt. Wenn wir heute vom Wesen des
Schlafes sprechen, werden wir nur vom Schlaf des Menschen
sprechen. Denn die Geisteswissenschaft weiß sehr wohl
— das ist in dem letzten Vortrage in bezug auf andere
Gebiete mannigfach gestreift worden —, daß das, was
in dieser oder jener Erscheinung bei verschiedenartigen Wesen
äußerlich sich scheinbar gleich ausdrückt, auf
ganz verschiedenen Ursachen innerhalb der betreffenden Wesen
beruhen kann. Das haben wir angedeutet für den Tod,
für das ganze geistige Leben und für die
Ausgestaltung des geistigen Lebens bei Tier und Mensch.
Es würde heute zu weit führen, über den Schlaf
der Tiere noch zu sprechen. Wir wollen deshalb vorausschicken,
daß alles, was heute gesagt wird, nur für den Schlaf
des Menschen gesagt werden soll.
Von
seelischen Erscheinungen innerhalb unserer selbst zu sprechen,
dazu sind wir Menschen in der Lage — das fühlt ein
jeder — durch unser Bewußtsein, dadurch, daß
wir ein Bewußtsein haben von dem, was wir vorstellen, was
wir wollen, was wir fühlen. Es muß nun die Frage
entstehen — und sie ist gerade für unsere heutigen
Beobachtungen außerordentlich wichtig Dürfen wir den
Begriff des Bewußtseins, wie wir ihn für das
normale Bewußtsein des Menschen in der Gegenwart kennen,
ohne weiteres mit dem Begriff des Seelischen oder des Geistigen
im Menschen zusammenwerfen? Um mich über diese
Begriffe zunächst klarer auszusprechen, möchte ich zu
einem Vergleich greifen. Ein Mensch kann in einem Zimmer
herumgehen und kann nirgends an den verschiedenen Orten, wo er
sich im Zimmer befindet, etwas sehen von seinem eigenen
Antlitz. Nur an einem einzigen Orte, wo er in den Spiegel
hineinschauen kann, kann er etwas von seinem eigenen
Antlitz sehen. Da tritt ihm die Gestalt seines Antlitzes im
Bilde entgegen. Ist es nun nicht für den Menschen doch ein
gewaltiger Unterschied, ob er nur im Zimmer herumgeht und
in sich lebt, oder ob er das, was er so darlebt, auch im
Spiegelbilde sieht? So könnte es vielleicht mit dem
menschlichen Bewußtsein in einer etwas erweiterten Art
sein. Der Mensch könnte sozusagen sein Seelenleben leben,
und dieses Seelenleben selber — wie er es darlebt
— müßte ihm erst dadurch, daß es sich in
einer Art Spiegel ihm entgegenstellt, zum Wissen, zum
Bewußtsein kommen. Das könnte sehr wohl sein. Wir
könnten also zum Beispiel sagen: Es ist durchaus denkbar,
daß das menschliche Seelenleben fortdauert,
gleichgültig ob der Mensch wacht oder schläft,
daß aber der Wachzustand darin besteht, daß der
Mensch durch eine Spiegelung — sagen wir zunächst
durch eine Spiegelung innerhalb seiner Leiblichkeit —
sein Seelenleben wahrnimmt, und daß er es im Schlafzustand
deshalb nicht wahrnehmen kann, weil es sich nicht in seiner
Leiblichkeit spiegelt.
Damit hätten wir zwar zunächst nichts bewiesen, zum
mindesten aber hätten wir zwei Begriffe gewonnen. Wir
könnten unterscheiden zwischen dem Seelenleben als solchem
und zwischen dem Bewußtwerden des Seelenlebens. Und wir
könnten uns denken, daß für unser
Bewußtsein, für unser Wissen um das Seelenleben, wie
wir im normalen Menschenleben gegenwärtig stehen, alles
davon abhängt, daß wir das Seelenleben durch unsere
Leiblichkeit gespiegelt erhalten, weil wir, wenn wir es nicht
gespiegelt erhalten, nichts von ihm wissen könnten. Wir
wären dann ganz in einem Zustande wie im Schlafe.
Versuchen wir jetzt, nachdem wir diese Begriffe gewonnen
haben, die Erscheinung des Wach- und Schlaflebens uns ein wenig
vor die Seele zu führen.
Wer
das Leben wirklich zu beobachten vermag, kann sehr deutlich
fühlen, man möchte sagen schauen, wie der Moment des
Einschlafens wirklich verläuft. Er kann wahrnehmen,
wie die Vorstellungen, die Gefühle schwächer werden,
in ihrer Helligkeit, in ihrer Intensität abnehmen. Das ist
aber nicht das ganz Wesentliche. Während der Mensch wacht,
lebt er so, daß er in seinem ganzen
Vorstellungsleben von seinem selbstbewußten Ich aus
Ordnung schafft, gleichsam alle Vorstellungen zusammenfaßt
mit seinem Ich. Denn in dem Augenblick, wo wir im
Wachleben unsere Vorstellungen nicht mit unserm Ich
zusammenfassen würden, würden wir kein normales
Seelenleben führen können. Wir würden eine
Gruppe von Vorstellungen haben, die wir auf uns beziehen
würden, die wir unsere Vorstellungen nennen würden,
und eine andere Gruppe, die wir wie etwas Fremdes anschauen
würden, wie eine Außenwelt. Nur Menschen, die eine
Spaltung ihres Ich erleben, was für den gegenwärtigen
Menschen ein krankhafter Zustand ist, könnten eine
solche Auseinanderzerrung ihres Vorstellungslebens in
verschiedene Gebiete haben. Beim normalen Menschen ist es das
Wesentliche, daß alle Vorstellungen wie auf einen Punkt
perspektivisch bezogen sind: auf das selbstbewußte Ich. Im
Moment des Einschlafens fühlen wir deutlich, wie
sozusagen das Ich zunächst von den Vorstellungen
überwältigt wird, trotzdem sie dunkler werden. Die
Vorstellungen machen ihre Selbständigkeit geltend,
leben ein Eigenleben, gleichsam einzelne Vorstellungswolken
bilden sich innerhalb des Horizontes des Bewußtseins, und
das Ich verliert sich an die Vorstellungen. Dann
fühlt der Mensch, wie die Sinnesempfindungen Sehen,
Hören und so weiter immer stumpfer und stumpfer werden,
und er fühlt endlich, wie die Willensimpulse
gelähmt sind. Nun müssen wir auf etwas
hinweisen, was im Grunde genommen von wenigen Menschen
schon klar beobachtet wird. Weiter fühlt der Mensch,
während er im Tagesleben die Dinge mit bestimmten Umrissen
sieht, daß sich im Moment des Einschlafens etwas geltend
macht wie ein Eingeschlossensein in einen unbestimmten
Nebel, der sich zuweilen kühlend, zuweilen mit anderen
Gefühlen geltend macht an gewissen
Körperstellen: an den Händen, an den Gelenken,
an den Schläfen, am Rückgrat und so weiter. Das sind
Gefühle, die der Einschlafende recht wohl beobachten
kann. Das sind — man möchte sagen — solche
trivialen Erfahrungen, wie man sie jeden Abend beim Einschlafen
machen kann, wenn man will.
Bessere Erfahrungen machen schon die Menschen, die durch eine
feinere Ausbildung ihres Seelenlebens den Moment des
Einschlafens genauer beobachten. Sie können dann trotz des
Einschlafens etwas wie ein Aufwachen fühlen. Was ich Ihnen
jetzt erzähle, kann ein jeder sagen, der sich einige
Methoden angewöhnt hat, um diese Dinge wirklich zu
beobachten, denn es ist eine allgemein menschliche
Erscheinung. In dem Moment, wo die Menschen beim
Hinüberschlummern etwas wie Aufwachen fühlen,
ist es so, daß man wirklich sagen kann: Es wacht etwas auf
wie ein sich ausbreitendes Gewissen, etwas wie die Moral der
Seele wacht auf. Das ist tatsächlich der Fall. Und es
zeigt sich insbesondere dadurch, daß solche Menschen an
dem Seelischen die mit Bezug auf das im vorhergehenden
Tagesleben Erlebte Beobachtung machen, womit sie in ihrem
Gewissen selber befriedigt sind. Das fühlen sie in
diesem Moment des moralischen Aufwachens ganz besonders.
Zugleich ist dieses Fühlen ganz entgegengesetzt dem
Fühlen des Tages. Während das Fühlen des Tages
sich in der Weise zeigt, daß die Dinge an uns herankommen,
fühlt der Einschlafende, wie wenn seine Seele sich
ausgießen würde über eine Welt, die jetzt
erwacht und die hauptsächlich umschließt ein
Sichausspannen, ein Sichausgießen des Gefühls
über das, was die Seele durch sich selber wie durch ein
sich ausbreitendes Gewissen in bezug auf ihre moralische
Innerlichkeit erleben kann. Da ist es dann ein Moment, der aber
für den Einschlafenden viel länger erscheint, von
einer inneren Seligkeit, wenn es sich um ein Sichausbreiten
über die Dinge handelt, mit welchen die Seele
einverstanden sein kann, und es ist oft ein Gefühl von
tiefem Zerrissensein, wenn sie sich Vorwürfe zu machen
hat. Kurz, der moralische Mensch, der während des Tages
durch die stärkeren Sinneseindrücke
niedergedrückt wird, spannt sich aus und fühlt
sich ganz besonders im Moment des Einschlafens. Und
jeder, der sich eine gewisse Methode oder vielleicht auch nur
eine Empfindung in bezug auf solche Beobachtungen angeeignet
hat, weiß, daß eine gewisse Sehnsucht in diesem
Moment erwacht, die wir etwa so beschreiben können: Man
will, daß dieser Moment eigentlich sich ins Unbestimmte
ausdehnen möge, daß er nicht ein Ende finde. Dann
aber kommt etwas wie ein Ruck:, eine Art innere Bewegung. Das
ist nun für die meisten Menschen schon
außerordentlich schwer zu beschreiben. Die
Geistesforschung kann diese innere Bewegung natürlich ganz
genau beschreiben. Es ist gleichsam eine Forderung, die sich
die Seele selber macht: Du mußt dich jetzt noch weiter
ausspannen, dich noch weiter ergießen! Aber indem sie sich
diese Forderung stellt, verliert sich die Seele für das
moralische Leben in der Umgebung. Es ist, wie wenn Sie einen
kleinen Farbentropfen ins Wasser werfen und zur
Auflösung bringen: zunächst sieht man die Farbe noch,
wenn sich aber der Tropfen über das ganze Wasser
ergießt, verblaßt er immer mehr und mehr, und endlich
hört die Farbenerscheinung als solche auf. So ist es, wenn
die Seele eben anfängt aufzuquellen, in ihrer moralischen
Spiegelung zu leben, da fühlt sie sich noch; aber das
Fühlen hört dann auf, wenn der Ruck, die innere
Bewegung eintritt, wie sich der Tropfen mit seiner Farbe in dem
Wasser verliert.
Das
ist keine Theorie, das ist zu beobachten und jedem
zugänglich, wie eine naturwissenschaftliche Beobachtung
exakt jedem zugänglich ist. Wenn wir so das Einschlafen
beobachten, können wir allerdings sagen: Der Mensch
fängt mit dem Einschlafen gleichsam etwas ab, was
gewissermaßen nicht mehr nachher in seinem
Bewußtsein sein kann. Der Mensch hat — wenn ich mich
jetzt der früher konstruierten beiden Ideen bedienen darf
— gleichsam einen Moment des Abschiednehmens von dem
Spiegel des Leiblichen, worin ihm die Erscheinungen des
Lebens gespiegelt erscheinen. Und weil er noch keine
Möglichkeit hat, das, was sich im Leibe spiegeln soll, an
etwas anderem sich spiegeln zu lassen, so hört die
Möglichkeit auf, wahrzunehmen, was er ist.
Nun
kann man aber auch wieder — wenn man nicht durchaus
eigensinnig und halsstarrig sein will in bezug auf das, was
sich auf die Seele bezieht und auf die Wirkung dessen, was da
in ein unbestimmtes Dunkel hineingeht — die Erscheinungen
des Tages in einem gewissen Sinn wahrnehmen. In anderem
Zusammenhang habe ich schon darauf aufmerksam gemacht, wie der
Mensch, der genötigt ist dieses oder jenes zu
memorieren, also Dinge auswendig zu 1ernen, dies viel leichter
zustandebringt, wenn er es öfter
überschläft, und wie der größte Feind
des Auswendiglernens das Sichabstehlen des Schlafes ist. Es ist
sogar wieder die Möglichkeit und die Fähigkeit
da, leichter zu memorieren, wenn wir die Sache
überschlafen haben, als wenn wir in einem Zuge etwas
auswendig lernen wollen. So ist es aber auch bei anderen
Tätigkeiten der Seele.
Wir
würden uns aber ganz leicht überzeugen können,
daß es unmöglich wäre, überhaupt etwas zu
lernen, uns etwas anzueignen, wo die Seele etwas mitzutun hat,
wenn wir nicht immer die Zustände des Schlafes in unsere
Lebenszustände einfügen könnten. Der
natürliche Schluß, der aus solchen Erscheinungen
gezogen werden muß, ist der, daß unsere Seele es
nötig hat, sich von Zeit zu Zeit dem Leibe zu entziehen,
um sich Kraft aus einem Gebiete zu holen, das nicht innerhalb
des Leibes ist, weil innerhalb des Leiblichen die
entsprechenden Kräfte gerade abgenutzt werden. Wir
müssen uns vorstellen: wenn wir morgens aus dem Schlafe
aufwachen, so haben wir uns aus dem Zustande, in dem wir waren,
Stärkung mitgebracht, um Fähigkeiten zu
entwickeln, die wir nicht entwickeln könnten, wenn
wir immer nur an unseren Leib gefesselt wären. So
zeigt sich in unserem gewöhnlichen Wesen die Wirkung des
Schlafes, wenn man geradlinig denken will und nicht halsstarrig
sein will.
Was
sich so im allgemeinen zeigt und wozu man, wenn man im
gewöhnlichen Leben stehenbleibt, schon etwas guten Willen
braucht, um die einzelnen Erscheinungen zusammenzuhalten,
das zeigt sich ganz klar und deutlich, wenn der Mensch
Entwickelungen durchmacht, die ihn zum wirklichen Hineinschauen
in das geistige Leben führen können. Ich möchte
hier etwas darüber ausführen, was eintritt,
wenn der Mensch die in der Seele schlummernden Kräfte
entwickelt hat, um jenen Zustand zu erreichen, wo er nicht
durch die Sinne wahrnehmen und durch den Verstand
begreifen kann. — Genaueres darüber folgt in dem
Vortrag «Wie erlangt man Erkenntnis der geistigen
Welt?», wo die Methoden in ziemlich umfassender Weise
besprochen werden sollen. — Jetzt aber sollen einige von
den Erfahrungen hervorgehoben werden, die ein Mensch
machen kann, der wirklich solche Übungen durchmacht, die
seine Seele gleichsam mit geistigen Augen, mit geistigen Ohren
begaben, wodurch er in die geistige Welt hineinschauen kann,
die nicht ein Gegenstand der Spekulation ist, sondern ebenso
ein Gegenstand, wie es die Farben und Formen, Wärme und
Kälte und Töne sind für den Menschen, der
sinnlich wahrnimmt. Es ist ja schon durch die früheren
Vorträge zutage getreten, wie man zu wahrer
Hellsichtigkeit kommt. Diese geistige Entwickelung, diese
Übungen bestehen ja tatsächlich darin, daß der
Mensch etwas, was er in sich hat, aus sich herausholt, andere
Erkenntnisorgane gewinnt, gleichsam einen Ruck über die
Seele, wie sie im normalen Zustande ist, hinaufmacht und
dadurch eine Welt wahrnimmt, die immer um ihn ist, die
aber im normalen Zustande nicht wahrgenommen werden kann. Wenn
der Mensch solche Übungen durchmacht, ändert sich
allerdings zunächst sein Schlafleben. Das weiß jeder,
der zu wirklichen eigenen geistigen Forschungen gekommen
ist. Ich will nun von dem allerersten Zustand der Änderung
des Schlaflebens bei dem eigentlich hellsichtigen,
geistesforscherischen Menschen sprechen.
Die
ersten Anfänge dieser Möglichkeit des geistigen
Forschens lassen den Menschen eigentlich nicht sehr
verschieden erscheinen von dem gewöhnlichen,
normalen Bewußtseinszustand. Denn wenn der Mensch
solche Übungen vornimmt, wie wir sie später
besprechen werden, schläft er zunächst ganz so wie
ein anderer Mensch und ist geradeso bewußtlos wie
irgendein anderer Mensch. Aber der Moment des Aufwachens zeigt
doch dem, der geistig-seelische Übungen durchgemacht
hat, etwas ganz Besonderes. Und ich will einige ganz konkrete
Erscheinungen vor Sie hinmalen, die Tatsachen sind.
Nehmen Sie an, ein Mensch, der solche Übungen macht, denkt
sehr scharf über etwas nach, worüber auch ein
anderer Mensch nachdenken könnte, er versucht, weil
er vielleicht ein sehr schweres Problem vor sich hat, alle
Geisteskräfte anzuspannen, um hinter die Sache zu
kommen. Es kann ihm da geradeso gehen, wie es einem Schulbuben
geht: es reicht die geistige Kraft nicht aus, um die Aufgabe zu
lösen. Das kann durchaus passieren. Wenn er nun durch
seine Übungen schon mehr Erfahrungsmöglichkeiten
über innere seelische Zustände im Zusammenhang mit
leiblichen hat, dann fühlt er allerdings etwas ganz
Besonderes, wenn er etwas nicht kann. Er fühlt dann in
einer anderen Weise als sonst, wie er einen Widerstand an
seinen physischen Organen hat, zum Beispiel am Gehirn. Er
fühlt richtig, wie wenn das Gehirn ihm Widerstand
entgegensetzen würde, wie wir zum Beispiel den Widerstand
fühlen, wenn wir einen Nagel mit einem zu schweren Hammer
einschlagen wollten. Da fängt das Gehirn an, eine
Realität zu gewinnen. Wie der Mensch gewöhnlich sein
Gehirn benutzt, fühlt er es nicht so, wie wenn er ein
Instrument benutzte, wie es zum Beispiel bei einem Hammer der
Fall ist. Der Geistesforscher fühlt sein Gehirn, er
fühlt sich selbständig gegenüber seinem
Denken. Das ist eine Erfahrung. Aber wo er eine Aufgabe nicht
lösen kann, da fühlt er, daß er für gewisse
Tätigkeiten, die er beim Denken ausführen muß,
nicht mehr die Möglichkeit hat sie auszuführen. Er
verliert die Macht über das Instrument und fühlt das
ganz deutlich. Das ist eine ganz genau zu erlebende
Tatsache.
Wenn nun der Geistesforscher das Problem überschläft
und aufwacht, dann kann es sehr häufig vorkommen, daß
er sich ohne weiteres jetzt der Aufgabe gewachsen fühlt.
Aber er empfindet zu gleicher Zeit ganz präzise, daß
er vor dem Aufwachen etwas getan hat, daß er etwas
gearbeitet hat. Er fühlt, daß er imstande war,
während des Schlafes in sich etwas zur Beweglichkeit, zur
Tätigkeit zu bringen. Für den Wachzustand war er
gezwungen, das Gehirn zu benutzen. Das weiß er. Er kann
gar nicht anders, als das Gehirn im Wachzustand zu benutzen.
Aber er konnte es nicht mehr recht benutzen, weil es ihm
— wie ich beschrieben habe — Widerstand geboten
hat. Im Schlafzustand — das fühlt er — ist er
nicht angewiesen gewesen auf die Benutzung des Gehirns. Er
konnte eine gewisse Beweglichkeit schaffen ohne das sonst zu
stark ermüdete oder sonst zu stark in Anspruch genommene
Gehirn. Nun fühlt er etwas ganz Eigenartiges: er nimmt
wahr seine Tätigkeit, die er im Schlafe ausgeübt hat,
aber nicht direkt. Den Seinen gibt es der Herr doch nicht im
Schlafe. Erspart wird es ihm nicht, daß er das Problem nun
im Wachzustand losen muß. Es kann ihm zufallen; aber
gewöhnlich ist es nicht so, und namentlich nicht bei
Dingen, die nun schon durch das Gehirn gelöst werden
müssen.
Dann also fühlt der Mensch etwas, was er vorher in der
Sinnenwelt gar nicht gekannt hat, er fühlt seine eigene
Tätigkeit wie in Bildern sich ihm darlebend, in
merkwürdigen Bildern, die in Bewegung sind —
gleichsam wie wenn die Gedanken, die er nötig hätte,
lebendige Wesen wären, die allerlei Beziehungen zueinander
eingehen. Er fühlt also seine eigene — nennen Sie es
Gedankentätigkeit, die er im Schlafe ausgeübt hat,
— wie eine Reihe von Bildern. Dieses Gefühl ist
schwierig zu schildern, weil man in ganz eigenartiger
Weise darinnensteckt und sich sagen muß: Das bist du
selber! Aber dieses Gefühl kann man auf der andern Seite
wieder ganz genau von sich unterscheiden, wie man eine
äußere Bewegung, die man macht, von sich
unterscheiden kann. Also man hat Bilder, Imaginationen
von einer Tätigkeit, die vor dem Aufwachen ausgeführt
worden ist. Und jetzt kann man merken, wenn man auf sich
achtzugeben gelernt hat, daß diese Bilder einer
Tätigkeit, die vor dem Aufwachen lag, sich mit unserem
Gehirn verbinden und es zu einem beweglicheren,
brauchbareren Instrument machen, so daß man imstande
ist, etwas zu Ende zu führen, was man vorher nicht konnte,
weil ein Widerstand da war, zum Beispiel gewisse Gedanken zu
denken. Es sind dies feine Dinge, aber ohne sie kann man nicht
recht hinter das Geheimnis des Schlafes kommen. Man fühlt
also, daß man nicht eine Tätigkeit ausgeübt hat
wie im Wachen, sondern eine Tätigkeit, die zur
Wiederherstellung gewisser Dinge im Gehirn, die abgebraucht
waren, gedient hat, und daß man das Instrument wieder
aufgebaut hat, wie man es vorher nicht aufbauen konnte. Man
fühlt sich wie ein Baumeister an seinen eigenen
Instrumenten.
Es
ist ein beträchtlicher Unterschied, was man bei einer
solchen Tätigkeit für eine Empfindung hat
gegenüber einer Tätigkeit des Tages. Für die
Tätigkeit des Tages hat man so ein Gefühl, das man
vergleichen kann damit, wie wenn man irgend etwas nach einer
Vorlage oder einem Modell abzeichnet. Da bin ich gezwungen, in
jedem Strich oder Farbenfleck midi nach dem Bilde zu richten,
das vor mir steht. Bei jenen Dingen, die da als Bilder im
Moment des Aufwachens auftreten, und die gleichsam eine
Tätigkeit während des Schlafes verbildlichen, hat man
das Gefühl, wie wenn man die Striche selber erfinden
würde und aus sich selber, ohne an ein Modell gebunden zu
sein, die Figuren schaffen würde. Mit einer solchen
Erscheinung hat man gleichsam abgefangen, was die Seele getan
hat, bevor sie aufgewacht ist: man hat die Tätigkeit der
Regeneration des Gehirns abgefangen. Denn man kommt nach und
nach wirklich dahinter, daß das, was man empfindet wie
eine Art von Überziehen der Gehirnorgane mit dem, was man
da als Figuren erinnert, nichts anderes ist als ein
Wiederaufbauen dessen, was während des Tages daran
zerstört worden ist. Man kommt sich wirklich wie ein
Baumeister an sich selber vor.
Nun
besteht im Grunde genommen der Unterschied zwischen einem
Geistesforscher, der solches wahrnimmt, und einem
gewöhnlichen Menschen nur darin, daß der
Geistesforscher dies eben wahrnimmt, während der
gewöhnliche Mensch darauf nicht achtgeben kann und es
nicht wahrnimmt. Denn dieselbe Tätigkeit, die da vom
Geistesforscher ausgeführt wird, wird von jedem
Menschen ausgeführt, nur fängt der
gewöhnliche Mensch den Moment nicht ab, wo aus der
Tätigkeit während des Schlafes die Organe neu
aufgebaut werden.
Nehmen wir einmal eine solche Erfahrung und vergleichen
wir sie jetzt mit dem, was wir vorher gesagt haben, mit dem
Stumpferwerden und Dumpferwerden, mit dem Abnehmen der
Helligkeit des täglichen Vorstellungslebens beim
Einschlafen. Diese letztere Erscheinung läßt sich
wirklich nur im rechten Lichte betrachten, wenn man sich
entweder frei macht von den heute sehr suggestiv
wirkenden Vorstellungen jener Weltanschauung, die glauben auf
dem festen Boden der Naturwissenschaft zu stehen, oder wenn man
sich wirklich einläßt auf die vorliegenden Ergebnisse
der Naturforschung der Gegenwart. Da werden — zum
Beispiel bei der Gehirnforschung — die genauer denkenden
Menschen gar nicht mehr anders können, als nach den
Ergebnissen der Naturforschung die Unabhängigkeit
des Seelischen von dem Leiblichen zuzugeben. Und es ist sehr
interessant, daß vor kurzem ein populäres Buch
erschienen ist, wo im Grunde genommen alles von dem, was
über das Geistesleben und über die Quellen des
Geisteslebens handelt, verkehrt, vollständig ohne
Einsicht dargestellt ist. Aber es ist in diesem Buche «Das
Gehirn und der Mensch» von William Hanna Thomson
manches sehr Gescheite gesagt. Vor allem ist auf die
Gehirnforschung der Gegenwart eingegangen worden und auf manche
Dinge, welche sich sonst darbieten, zum Beispiel — worauf
ich schon öfter aufmerksam gemacht habe — auf
die Ermüdungserscheinungen, die so lehrreich sind. Aber
ich habe schon ausgeführt, daß die Muskeln oder
Nerven nicht anders ermüden als durch bewußte
Tätigkeit. So lange unsere Muskeln nur der
organischen Tätigkeit dienen, können sie nicht
ermüden, denn es wäre schlimm, wenn zum Beispiel der
Herzmuskel und andere Muskeln sich ausruhen müßten.
Wir ermüden nur, wenn wir eine Tätigkeit
ausüben, die dem Organismus nicht eingeboren ist, wenn wir
also eine Tätigkeit ausüben, die zum bewußten
Seelenleben gehört. Deshalb muß man sagen: Wäre
das Seelenleben so aus dem Menschen herausgeboren wie die
Herztätigkeit, dann wäre dieser gewaltige Unterschied
zwischen dem Ermüdetwerden und dem
Nicht-Ermüdetwerden gar nicht erklärlich. Daher
fühlt sich der Autor jenes Buches gerade genötigt
zuzugestehen, daß das Seelische zum Körperlichen sich
wie nichts anderes verhält als der Reiter zum Pferde, das
heißt also vom Körperlichen ganz unabhängig ist.
Das ist von einem naturwissenschaftlich denkenden Menschen ein
ganz gewaltiges Zugeständnis. Und man könnte ganz
eigentümliche Gefühle erhalten, wenn ein Mensch,
genötigt durch die Naturforschung der Gegenwart, dazu
kommt sich zu gestehen, daß die Beziehung des
seelischen Lebens zum körperlichen ungefähr so
gedacht werden muß wie die Beziehung des Reiters zum
Pferde, das heißt nach dem Bilde, das man in früheren
Zeiten, als man noch mehr in das Geistige hineingesehen
hat, sich im Kentauren vorgestellt hat. Es ist durch nichts
ersichtlich, daß der Autor dieses Buches sich das gedacht
hat, aber dieser Gedanke springt durch die
naturwissenschaftliche Vorstellung wieder hervor, und man
bekommt da Gefühle von solchen Vorstellungen, die aus
Zeiten herrühren, wo ein gewisses Hellsehen für
viele Menschen noch vorhanden war. Allerdings, gewisse heutige
Vorstellungen über den Kentauren scheinen ja besser dem zu
entsprechen, was mir einmal ein Herr sagte. Der Betreffende
meinte: Da haben die Griechen die aus dem Norden
herkommenden Skythen oder andere Reitervölker
gesehen, aber sie haben sie vielleicht aus dem Nebel
hervorkommen sehen, da haben sie jene Gestalten dann nicht
genau unterscheiden können und haben sich dann gedacht,
daß sie aus dem Pferde hervorgewachsen wären. Mit
einer solchen Erklärung mag sich vielleicht der
Materialist zufrieden geben. Aber gerade die
naturwissenschaftlichen Forschungen der Gegenwart drängen
dazu, die Unabhängigkeit des Seelischen von dem
Körperlichen zugeben zu müssen.
Es
wird uns dabei ganz gewiß eines auffallen können, und
wir können solche Dinge am besten verfolgen, wenn wir
gewisse Erscheinungen uns vor die Seele rufen, die nicht
alltäglich sind, aber solche Erscheinungen sind ja
deshalb doch vorhanden und lassen sich nicht ableugnen.
Der Geistesforscher kennt es, wie jener einfache Mensch auf dem
Lande plötzlich anfing in seiner Todesstunde in
lateinischer Sprache zu reden, die er niemals eigentlich
gebraucht hat, und von dem man nachweisen konnte, daß er
sie nur als kleiner Knabe in der Kirche einmal gehört
hatte. Das ist keine Fabel, sondern eine Realität. Er hat
natürlich nichts davon verstanden, als er sie gehört
oder rezitiert hat. Aber wahr ist es doch. Daraus
müßte sich jeder Mensch die Vorstellung bilden,
daß das, was von der Umgebung auf uns wirkt, noch ganz
anderes in sich enthält als das, was wir in unser
gewöhnliches Bewußtsein aufnehmen. Denn was wir
in unser gewöhnliches Bewußtsein aufnehmen,
hängt vielfach von dem ab, was wir für eine Bildung
haben, wofür wir Verständnis haben und
dergleichen. Aber nicht allein das, wofür wir
Verständnis haben, vereinigt sich mit uns, sondern wir
haben in uns die Möglichkeit, unendlich viel mehr
aufzunehmen als das, was wir bewußt aufnehmen. Wir
können es sogar bei jedem Menschen beobachten, wie zu
gewissen Zeiten Vorstellungen bei ihm auftreten, die
damals, als er sie da oder dort erfahren hat, gar nicht so
stark beachtet wurden, so daß er sich vielleicht an gar
nichts mehr erinnern kann. Aber durch gewisse Dinge treten sie
wieder auf, stellen sich vielleicht sogar in den Mittelpunkt
des Seelenlebens. Wir müssen durchaus zugeben, daß
das, was den Umfang unseres Seelenlebens ausmacht, unendlich
viel mehr ist als das, was wir in unser Tagesbewußtsein
aufnehmen und mit demselben umfassen können. Das ist
außerordentlich wichtig. Denn dadurch wird sozusagen unser
Blick auf ein Inneres in uns hingelenkt, das ja wahrhaftig auf
unsere Leiblichkeit aus dem Grunde nur geringen Eindruck machen
kann, weil es kaum beachtet worden ist, und das andererseits
dennoch fortlebt in uns. Wir werden dadurch auf
Untergründe unseres Seelenlebens hingewiesen, die
eigentlich für jeden vernünftigen Menschen da sein
müßten. Denn jeder vernünftige Mensch
müßte sich sagen: Was für sein Bewußtsein
um ihn herum in der Welt ist, während er die Welt
bewußt anschaut, das ist im Grunde genommen von der
Einrichtung seiner Sinnesorgane abhängig und von dem, was
er verstehen kann. Und niemand ist berechtigt, etwa das
Wirkliche begrenzen zu wollen durch das, was er
wahrnehmen kann. Ganz unlogisch wäre es, dem
Geistesforscher abstreiten zu wollen, daß es hinter
der physischen Welt eine geistige Welt gibt, aus dem einfachen
Grunde, weil doch der Mensch nur sagen darf, was er sieht und
hört und worüber er denken kann, und niemals
über das urteilen darf, was er nicht wahrnehmen kann. Denn
die Welt des Wirklichen ist nicht die Welt des Wahrnehmbaren.
Die Welt des Wahrnehmbaren ist begrenzt durch die
Sinnesorgane. Deshalb sollte man niemals — wie im
kantischen Sinne — von Grenzen der Erkenntnis
sprechen, oder davon, was der Mensch wissen oder nicht wissen
könnte, sondern nur von dem, was man in
Gemäßheit seiner Wahrnehmungsorgane vor sich hat.
Wenn man das bedenkt, muß man sich sagen: Dann liegt
hinter dem Farbenteppich der Sinneswelt, hinter dem, was der
Wärmesinn wahrnimmt als Wärme oder Kälte und so
weiter, eine unbegrenzte Wirklichkeit. Sollte daher nur das auf
uns Einfluß haben, was wir wahrnehmen, oder nur
diejenige Wirklichkeit, die wir wahrnehmen? Logisch
haltbar ist nur, wenn wir uns denken, daß durch unsere
Wahrnehmung uns ein Teil, ein Ausschnitt der ganzen
Wirklichkeit gegeben ist, daß hinter dem, was uns
durch unsere Wahrnehmung gegeben werden kann, eine unbegrenzte
Wirklichkeit liegt, die aber auch für uns wirklich ist,
denn wir sind in sie hineingestellt, so daß für uns
weiterlebt, was da draußen wogt und lebt und auf uns
Einfluß hat. Wie stellt sich dann aber eigentlich unser
waches Tagesleben dar? Dann müßten wir uns ja das
wache Tagesleben so vorstellen — und es gibt gar
keine andere Möglichkeit daß wir sagen: Wir
öffnen unsere Sinne, unser Erkenntnisvermögen einer
Unermeßlichkeit und stellen uns dieser
Unermeßlichkeit entgegen. Dadurch, daß wir so
geartete Augen, so geartete Ohren, einen solchen Wärmesinn
und so weiter haben, stellen wir einen bestimmten Ausschnitt
der Wirklichkeit vor uns hin; das andere weisen wir
zurück, wehren uns gleichsam dagegen, schließen es
von uns aus. Worin besteht also dann unsere bewußte
Tätigkeit? Sie besteht in einem Sich-Wehren, in einem
Ausschließen von etwas anderem. Und indem wir unsere
Sinnesorgane anstrengen, ist es ein Zurückhalten eines
Nicht-Wahrgenommenen. Was wir wahrnehmen, ist der Rest, der
bleibt von dem, was sich um uns ausbreitet, und das wir zum
größten Teil zurückstoßen. So
fühlen wir uns aktiv in die Welt hineingestellt,
fühlen uns mit ihr verbunden. Wir wehren uns gleichsam
durch unsere Sinnestätigkeit gegen die Menge der
Eindrücke, indem wir — bildlich gesprochen
— die ganze unermeßliche Unendlichkeit nicht
ertragen können und nur einen Ausschnitt von ihr
aufnehmen. Wenn wir so denken, müssen wir zwischen unserem
ganzen Organismus, zwischen unserer ganzen Leiblichkeit und
zwischen der Außenwelt noch ganz andere Beziehungen denken
als die, welche wir wahrnehmen oder mit dem Verstände
begreifen können. Dann liegt es uns nicht mehr so fern,
daran zu denken, daß diese Beziehungen, die wir zur
Außenwelt haben, in uns leben, daß auch das
Unsichtbare, Übersinnliche oder Außersinnliche
in uns tätig ist, daß das Außersinnliche, indem
es in uns tätig ist, sich der Sinne bedient, um einen
Ausschnitt zu fabrizieren aus dem gesamten Unermeßlichen
der Wirklichkeit. Dann ist aber unser Verhältnis zur
Wirklichkeit ein ganz anderes, als wir es durch unsere Sinne
wahrnehmen können. Dann liegt in unserer Seele etwas an
Beziehungen zur Außenwelt, was sich gar nicht
erschöpft in der Sinneswahrnehmung, was sich dem
wachen Tagesbewußtsein entzieht, — dann ist es
mit uns so, wie wenn wir mit unserm Wesen vor einen Spiegel
hintreten und uns sagen müssen: Du bist im Grunde genommen
etwas ganz anderes; der Spiegel zeigt dir nur die Form,
vielleicht auch die Farben; aber da denkst du drinnen, da
fühlst du drinnen, das alles kann dir der Spiegel nicht
zeigen, er zeigt dir nur, was von seinen Gesetzen abhängig
ist. Wie du aber als Seele gegenüber deinem
Organismus bist, so bist du etwas ganz anderes, als deine Sinne
dir zeigen; die beschränken dich darauf, was ihren
Gesetzen angemessen ist. Also tatsächlich stehst du, wenn
du der Welt entgegentrittst — in ähnlicher Weise wie
das auch beim Spiegel der Fall ist —, einer Welt
gegenüber, die nur durch die Einrichtung deiner
Sinne möglich wird!
Wenn Sie diese Vorstellung zu Ende denken, werden Sie nicht
mehr verwundert sein, daß im Grunde genommen alles Leben
unseres wachen Tagesbewußtseins sehr abhängt von der
Einrichtung unserer Sinnesorgane und unseres Gehirns,
geradeso wie das, was wir von uns im Spiegel sehen, von der
Beschaffenheit des Spiegels abhängt. Wer in einen
Gartenspiegel hineinsieht und das karikierte Gesicht sieht, das
ihm da entgegenscheint, wird gern zugeben, daß das Bild
darin nicht von ihm, sondern von dem Spiegel
abhängt. So hängt das, was wir wahrnehmen, von
der Einrichtung unseres Spiegelungsapparates ab, und
unsere seelische Tätigkeit wird begrenzt, gleichsam in
sich selber zurück reflektiert, indem sie sich im
Leibesleben spiegelt. Dann ist es nicht weiter wunderbar,
daß der Ausschnitt — was man auch physiologisch
nachweisen kann — abhängt von dem Leiblichen, indem
dieses oder jenes im Bewußtsein so oder so sich vollzieht,
denn alles, was die Seele tut, hängt von der Einrichtung
unseres Leibes ab, wenn es uns zum Bewußtsein, zum Wissen
werden soll. Die Beobachtung zeigt uns, daß die Begriffe,
die wir anfangs nur konstruiert haben, durchaus den Tatsachen
entsprechen. Der Unterschied ist nur der, daß unsere
Leiblichkeit ein lebendiger Spiegel ist. Den Spiegel, in den
wir hineinschauen, lassen wir so, wie er ist. Allerdings durch
eines können wir auch die Spiegelung beeinträchtigen:
wenn wir den Spiegel anhauchen, dann spiegelt er auch
nicht mehr ordentlich. Aber die Spiegelung in unserer
Leiblichkeit, welche die Tätigkeit unserer Seele erlebt,
ist verbunden damit, daß, während wir uns in unserer
Leiblichkeit spiegeln, die Spiegelung selbst eine
Tätigkeit, ein Vorgang ist in unserer Leiblichkeit, und
daß wir das, was da als Spiegelung auftritt, als eine
Tätigkeit vor uns selber hinstellen.
So
stellt sich uns das Leibesleben tatsächlich so dar, wie
wenn wir in einer gewissen Beziehung das, was wir denken,
aufschreiben und dann die Buchstaben vor uns haben. So
schreiben wir die Tätigkeit der Seele in unser Leibesleben
hinein. Was der Anatom nachweist, das sind nur die Buchstaben,
der äußere Apparat, denn unser Seelenleben beobachten
wir nicht vollständig, wenn wir es nur im Leibesleben
beobachten, wir beobachten es nur dann vollständig,
wenn wir es unabhängig von dem Leibesleben beobachten. Das
kann aber nur der Geistesforscher, wenn er das Seelenleben
beobachtet, wie es sich hineinspiegelnd zeigt beim Aufwachen in
das wache Tagesleben. Es zeigt sich, daß das Seelenleben
wie ein Architekt ist, der etwas aufbaut während der
Nacht, und im Tagesleben der Abbauer ist.
Nun
haben wir also das Seelenleben im Wach- und im Schlafzustand
vor uns, und wir haben es uns im Schlafzustand
unabhängig zu denken vom Leibesleben, wie der Reiter
unabhängig ist vom Pferde. Aber wie der Reiter das Pferd
benützt und seine Kräfte verbraucht, so verbraucht
die Seele die Tätigkeit des Leibes, so daß chemische
Prozesse sich abspielen als die Buchstaben des Seelenlebens.
Damit kommen wir an einen Punkt, wo wir das Leibesleben, wie es
in den Sinnen, im Gehirn begrenzt wird, so abgenutzt haben,
daß wir es zunächst erschöpft haben. Dann
müssen wir die andere Tätigkeit beginnen, den
umgekehrten Prozeß einleiten und das Abgebaute wieder
aufbauen. Das ist das Schlafesleben, so daß wir von der
Seele aus zwei entgegengesetzte Tätigkeiten an
unserm Leibe verrichten. Während des Wachens haben wir
zwar um uns herum unsere Welt der auf- und abwogenden
Vorstellungen, Freud und Leid, Gefühle und so weiter.
Während wir aber diese vor uns haben, nutzen wir unser
Leibesleben ab, zerstören es im Grunde genommen
fortwährend. Während wir schlafen, sind wir die
Architekten, wo wir wieder aufbauen, was wir während des
wachen Lebens zerstört haben.
Was
nimmt nun der Geistesforscher wahr? Er nimmt die
architektonische Tätigkeit in eigentümlichen Bildern
wie sich in sich schlingende Bewegungen wahr, dieses
Wiederaufbauen: ein wirklicher Prozeß, der umgekehrt
ist dem gewöhnlichen wachen Tagesleben. Das ist wirklich
keine Phantasterei, wenn man davon spricht, daß man in
diesen sich verschlingenden Bewegungen jene geheimnisvolle
Tätigkeit wiedererkennt, welche die Seele im Schlafe
ausführt, und die darinnen besteht, daß wir
wiederherstellen, was wir im Tagesleben zerstört haben.
Daher das Gesundende und das Notwendige des Schlaflebens.
Warum ist nun das Schlafleben ein solches, daß es nicht
zum Bewußtsein kommt? Ja, woran liegt es, daß das
wache Leben uns zum Bewußtsein kommt? Das liegt daran,
daß wir bei den Prozessen, die wir im Tagesleben
vollziehen, etwas wie Spiegelbilder haben; indem wir aber die
andere Tätigkeit ausüben, das Wiederherstellen des
Abgenutzten, haben wir nichts, worin sie sich spiegeln kann.
Der Spiegel fehlt uns dafür. Was dem zugrunde liegt, das
kann wieder nur der Geistesforscher zeigen. Von einem
bestimmten Punkte an erlebt der Geistesforscher nicht nur die
seelische Tätigkeit, wie ich sie beschrieben habe, wie
eine Traum-Erinnerung aus dem Schlafe, sondern so, wie
wenn er gar nicht angewiesen ist auf das Instrument des Leibes,
so daß er dann eine Tätigkeit wahrnehmen kann, die
sich nur im Geistigen abspielt. Da kann er sich sagen: Jetzt
denkst du nicht mit deinem Gehirn, sondern jetzt denkst du in
ganz anderen Formen, jetzt denkst du Bilder, unabhängig
von deinem Gehirn. Der Geistesforscher kann aber erst dazu
kommen, so etwas zu erleben, wie es beschrieben wurde, wenn er
erlebt, daß das Ganze, was sich beim Einschlafen als ein
Nebuloses um ihn herumlegt, nicht verschwindet, sondern wenn
der Nebel, der an den Schläfen, an den Gelenken, am
Rückgrat wahrnehmbar ist, etwas wird, aus dem sich
reflektiert, was er tut — geradeso wie sich
zurückreflektiert, was wir im groben Leibesleben erleben
wenn er in sich selber seine Tätigkeit begrenzen und
zurücknehmen kann. Der ganze Unterschied der wirklichen
Hellsichtigkeit von dem gewöhnlichen wachen Tagesleben
besteht darin, daß das wache Tagesleben, um zum
Bewußtsein der seelischen Tätigkeit zu kommen, eines
andern Spiegels bedarf, indem es sich der Leiblichkeit dazu
bedient, während die Tätigkeit des Hellsehers, wenn
sie als Seelentätigkeit ausstrahlt, so stark ist, daß
der ausfallende Strahl in sich selber zurückgezogen wird.
So findet gleichsam eine Spiegelung an dem eigenen inneren
Erleben, an einem Geistes-Organismus statt. In diesem
Geistesorganismus ist im Grunde genommen unsere Seele auch
dann, wenn wir keine Geistesforscher sind, in der Nacht. Da
hinein ergießt sie sich. Und wir kommen mit dem ganzen
Schlafleben nicht zurecht, wenn wir uns nicht klar sind,
daß in der Tat unsere Leibes- Vorgänge — alles,
was die Anatomie, die Physiologie, erforschen kann —
nichts anderes bewirken als die Spiegelung der
Seelenvorgänge, und daß diese Seelenvorgänge
immer vom Einschlafen bis zum Aufwachen in einem geistigen
Dasein leben. Wenn wir anders denken, können wir gar nicht
zurechtkommen. Wir müssen also gleichsam von einem
geheimnisvollen Seelenleben sprechen, das gar nicht in das
Bewußtsein, das durch den Leib vermittelt ist,
hineinkommen kann. Wenn man also bei einem Menschen
Vorstellungen, die er lange nicht beachtet hat, in seinem
Bewußtsein auftreten sieht, so muß man doch
sagen: Es ist noch etwas anderes im Menschen vorhanden als die
Vorstellungen des bewußten Seelenlebens, die in
Aufmerksamkeit aufgenommen sind.
Nun
habe ich schon einmal angedeutet, daß es
kinderleicht ist, die Dinge, welche für den
Geistesforscher eine Realität sind, zu widerlegen. Wahr
sind sie aber doch. Die Geistesforschung muß davon
sprechen, daß wir es beim Menschen einmal mit dem
menschlichen physischen Leibe zu tun haben, den wir mit Augen
sehen, mit Händen greifen können, und den auch
die Anatomie und die Physiologie kennt. Weiter haben wir
als ein inneres Glied der menschlichen Wesenheit den
Astralleib, den Träger alles dessen, was der Mensch mit
Bewußtsein aufnimmt, was er wirklich während des
Tageslebens so erlebt, daß er es aus dem Leib gespiegelt
erhalten kann. Zwischen dem Astralleib und dem physischen
Leib liegt der Träger dessen, was Vorstellungen sind, die
unbeachtet bleiben, jahrelang, die dann in den Astralleib
heraufgeholt werden und sich dann ausleben. Kurz, wir sprechen
davon, daß zwischen dem Astralleib, dem Träger des
Bewußtseins, und dem physischen Leib der Ätherleib
des Menschen tätig ist. Dieser Ätherleib ist nicht
nur der Träger von solchen unbeachtet gebliebenen
Vorstellungen, sondern überhaupt der Aufbauer des
ganzen physischen Leibes.
Was
tritt nun eigentlich im Schlafe ein? Es tritt ein, daß der
Astralleib, der Träger des Bewußtseins, mit dem Ich
aus dem physischen Leib und Ätherleib herausgeht, so
daß eine Spaltung der menschlichen Natur eintritt. Wenn
der Mensch im wachen Tagesleben ist, steckt der Astralleib mit
dem Ich im physischen Leib und Ätherleib drinnen, und die
Vorgänge des physischen Leibes wirken wie
Spiegelungs-Vorgänge, durch die alles, was im Astralleib
vorgeht, zum Bewußtsein kommt. Bewußtsein ist die
Spiegelung der Erlebnisse durch den physischen Leib, und
wir dürfen daher Bewußtsein nicht verwechseln mit den
Erlebnissen selbst. Wenn der Astralleib im Schlafe herausgeht,
ist er zunächst beim gewöhnlichen Menschen nicht
imstande, in der Welt des Astralischen etwas wahrzunehmen. Der
Mensch ist da bewußtlos.
Welche Fähigkeit erlangt nun der Geistesforscher, indem
ihm im Schlafe auch Dinge bewußt werden, wenn er sich auch
nicht auf sein Gehirn stützt? Da erlangt er die
Fähigkeit, in etwas wahrzunehmen und seine
Seelentätigkeit spiegeln zu können, was so für
ihn zwischen den Dingen webt und lebt, daß es im wachen
Tagesbewußtsein ebenso wahrzunehmen ist wie der eigene
Ätherleib. Der Ätherleib des Menschen ist aus dem
gewoben, wodurch der hellsichtige Mensch wahrnimmt; so daß
für den hellsichtigen Menschen die äußere Welt
spiegelnd wird, wie für das Seelenleben des normalen
Menschen die physische Leiblichkeit spiegelnd wird.
Nun
gibt es Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen. Ein
solcher Zwischenzustand ist der Traum. In bezug auf seine
Entstehung zeigt die Geistesforschung, daß in der Tat das
Träumen auf etwas Ähnlichem beruht wie Hellsehen, nur
ist das Letztere etwas Geschultes, während das
Träumen immer phantastisch ist. Der Mensch verliert die
Möglichkeit, wenn er mit dem Astralleib herausgeht, durch
den physischen Leib sein Seelenleben gespiegelt zu erhalten.
Aber er kann unter gewissen abnormen Verhältnissen,
die für jeden Menschen eintreten, die Fähigkeit
erhalten, durch den Ätherleib die seelischen Erlebnisse
gespiegelt zu erhalten. Denn in der Tat müssen wir
nicht nur den physischen Leib als einen Spiegelungsapparat
betrachten, sondern auch den Ätherleib, denn solange die
äußere Welt auf uns Eindruck macht, ist es in der Tat
der physische Leib, der wie ein Spiegelungsapparat wirkt. Wenn
wir aber still in uns selber werden und das, was die
äußere Welt an Eindrücken auf uns gemacht hat,
verarbeiten, dann arbeiten wir in uns selber, unsere Gedanken
aber sind trotzdem real. Wir leben unsere Gedanken, und wir
fühlen auch, daß wir von etwas Feinerem abhängig
sind, als unser physischer Leib ist, nämlich von dem
Ätherleib. Dann ist der Ätherleib dasjenige,
was im einsamen Sinnen, dem keine äußeren
Eindrücke zunächst zugrunde liegen, in uns sich
abspiegelt. Aber wir stecken in unserm Ätherleib im wachen
Tagesbewußtsein; wir nehmen das wahr, was sich
spiegelt, aber wir nehmen nicht die Tätigkeit des
Astralleibes direkt wahr. Indem wir in einem Zwischenzustand
zwischen Wachen und Schlafen nicht die Fähigkeit haben,
äußere Sinneseindrücke zu empfangen, wohl
aber noch in gewisser Weise etwas, was mit unserm
Ätherleib zusammenhängt, kann uns der Ätherleib
das spiegeln, was wir in unserm Seelischen mit unserm
Astralleibe erleben. Das sind dann die Träume, die
deshalb, weil der Mensch dabei in einer ganz ungewohnten Lage
ist, jene Regellosigkeit zeigen.
Wenn wir dies bedenken, wird sich uns manches an der Traumwelt
aufklären, was sonst an ihr recht rätselhaft ist. Wir
werden daher die Untergründe des Seelenlebens eng mit dem
Traumleben verknüpft denken müssen. Während der
physische Leib der Spiegler des Seelenlebens ist und unsere
Tagesinteressen sich daran auswirken, hängen wir durch den
Ätherleib oft in der abgelegensten Art mit
Erlebnissen zusammen, die lange hinter uns sind und die
uns, weil das Tagesleben stark auf uns wirkt, nur schwach zum
Bewußtsein kommen. Daher bleiben sie uns etwas höchst
Unbekanntes. Wenn wir aber nun Träume betrachten, die
wirklich auf guter Beobachtung beruhen, kann sich uns
mancherlei Merkwürdiges zeigen. Zum Beispiel ein guter
Komponist erlebt das Bild, daß eine etwas teuflische
Gestalt ihm eine Sonate vorspielt. Er wacht auf — und
kann die Sonate hinschreiben. Da ist etwas in ihm tätig
geworden, was wie ein Fremdes gewirkt hat. Und das ist
möglich gewesen, weil etwas in ihm war, wozu die
Seele des Komponisten reif war, was aber im wachen
Tagesleben sich nicht wirksam erweisen konnte, weil das
Leibesleben nur ein Hemmnis und nicht geeignet zu spiegeln war.
Da sehen wir, daß das Leibesleben ein Hemmnis ist und
darin seine Bedeutung hat. Wir können im Tagesleben nur
das erleben, wofür das Leibesleben — bildlich
gesprochen — eingeschmiert ist als Maschine. Das
Leibesleben ist uns immer ein Hemmnis. Aber wir bringen
es bis zu einem gewissen Grade dahin, das Leibesleben zu
gebrauchen. Man braucht ja überall «Hemmungen».
Wenn eine Lokomotive über die Schienen fährt, sind es
auch die Hemmungen, die Reibungen, wodurch sie fahren
kann, denn ohne Reibung könnten sich die Räder nicht
umdrehen. Unsere Leibesvorgänge sind in Wahrheit das, was
unserem Seelenleben hemmend entgegentritt, und diese
Hemmungsvorgänge sind zu gleicher Zeit die
Spiegelungsvorgänge. Wenn wir in unserer Seele für
etwas reif sind und es noch nicht dazu gebracht haben, unsere
Maschine gut zu schmieren, so ist das wache Tagesleben
ein guter Hemmschuh. Wenn wir aber herausgehen aus unserm
physischen Leib, dann kann unser Ätherleib — was uns
als etwas ganz Fremdes erscheinen muß, weil es feinerer
Natur ist — dasjenige, was im Seelenleben lebt, zum
Ausdruck bringen. Wenn es dann stark genug ist, drängt es
sich in das Traumleben herein wie in diesem Falle bei dem
Komponisten. Das hängt mit den Tagesinteressen weniger
zusammen als mit verborgenen Interessen, die weiter
abliegen in den feinen Untergründen. So zum Beispiel
auch in dem Folgenden. Ich bemerke, ich erzähle nur etwas
wirklich Beobachtetes. Eine Frau träumt —
trotzdem sie Kinder hat, die sie sehr liebt, und einen Mann
hat, der sie außerordentlich liebt —, daß
sie sich zum zweiten Male verlobt und alle Ereignisse, die sie
dabei durchmacht, mit großer Freude erlebt. Was
träumt sie? Sie träumt Erlebnisse, die ihrem jetzigen
Leben sehr fern liegen, die sie einmal durchgemacht hat,
die sie aber nicht wiedererkennt, weil das gewöhnliche
Tagesinteresse nur mit dem physischen Leibe zusammenhängt.
Und was in ihr noch fortlebt in ihrem Ätherleibe, das wird
durch ein anderes Ereignis, weil vielleicht irgendeine
freudige Empfindung den Traum ausgelöst hat, nun vom
Ätherleib her gespiegelt.
Ein
Mann träumt, daß er Kindheitserlebnisse
durchmacht. Und diese Kindheitserlebnisse spiegeln sich
ganz wunderbar ab. Ein ihm besonders wichtiges, weil ihm sehr
zu Herzen gehendes Ereignis bewirkt, daß er aufwacht.
Zunächst ist ihm der Traum etwas sehr Liebes, er
schläft aber bald wieder ein und träumt weiter. Eine
ganze Summe von unangenehmen Erlebnissen gehen jetzt durch
seine Seele, und ein besonders schmerzliches Ereignis weckt ihn
auf. Alles das liegt höchst fern seinen gegenwärtigen
Erlebnissen. Er steht auf, weil er von dem Traum sehr
erschüttert ist, geht eine Weile im Zimmer herum, legt
sich dann aber wieder hin und erlebt jetzt im Traum Ereignisse,
die er nicht erlebt hat. Alle Ereignisse, die er durchgemacht
hat, verwirren sich, und er erlebt nun etwas ganz Neues. Das
Ganze wird zu einem Gedicht, das er sogar nachher
niederschreiben und in Musik setzen kann. Das ist eine durchaus
reale Tatsache. Nun wird es nicht schwer sein, mit den
Begriffen, die wir schon gewonnen haben, uns vorzustellen, was
da geschehen ist. Für den Geistesforscher stellt es sich
so dar: Der Mann hat in einem ganz bestimmten Augenblick seines
Lebens gewissermaßen in seiner Entwickelung einen Bruch
erlitten. Er mußte etwas, was in seiner Seele lag,
aufgeben. Aber wenn er es auch hat aufgeben müssen, so ist
es darum nicht aus seinem Ätherleib gewichen. Die
gewöhnlichen Interessen waren nur so stark, daß
sie es zurückdrängten. Und wo es durch innere
Elastizität stark genug war, drängte es sich im Traum
heraus, weil der Mensch da von den Hemmungen des wachen
Tageslebens befreit ist. Das heißt, der betreffende Mensch
war tatsächlich nahe daran, einmal zu dem zu kommen, was
in dem Gedicht sich ausdrückte; aber dann ist es
übertäubt worden.
So
sehen wir im Traume anschaulich die Unabhängigkeit des
Seelenlebens vom äußeren Leibesleben. Und das
muß uns zur Evidenz klar machen, daß der Gedanke der
Spiegelung des Seelenlebens im Leibesleben eine
große Berechtigung haben muß. Gerade der
Umstand, daß die Interessen, in die wir verstrickt sind,
nicht geradlinig in unser unmittelbares Erleben sich
hineinprägen, zeigt uns, daß neben dem Leben, wie es
sich im Alltag darlebt, ein anderes nebenherläuft, das ich
für ein bewußtes feineres Beobachten wie eine Art von
Aufwachen bezeichnet habe. Darin lebt alles, was für unser
geistiges Leben — auch schon begrifflich, ideell —
wie zum Beispiel das Gewissen, unabhängig ist vom
Leibesleben, das fühlt ein jeder. Aber im Tagesleben
erweist sich dieses andere Leben doch als etwas, was sehr
begrenzt ist durch unsere Tagesinteressen. Im Schlafe
zeigt sich unsere Seele ganz erfüllt auch von dieser ihrer
moralischen Qualität. Es ist wirklich ein
Hineinleben in das Geistige, was wir als einen Ruck, als eine
innere Bewegung bezeichnen können. Was wir
geisteswissenschaftliche Forschung nennen, wird sich uns
ergeben als etwas, wodurch wir bewußt hineinleben
in die Welt, in die der normale Mensch unbewußt jedesmal
beim Einschlafen hineinlebt.
Die
Menschen werden sich schon nach und nach damit bekannt machen
müssen, daß die Welt viel weiter ist als das, was wir
mit den Sinnen begreifen und mit dem Verstände
verfolgen können, und daß das Schlafesleben ein
Gebiet ist, das wir brauchen, weil wir im Tagesleben eine
Abnutzung gerade der edelsten Organe haben, die zum
Vorstellungsleben dienen. Im Schlafe stellen wir sie wieder
her, so daß sie sich stark und kräftig der Welt
gegenüberstellen können und unser Seelenleben
im wachen Tagesleben uns spiegeln können. Alles
Charakteristische des Seelenlebens könnte uns
dadurch klar werden. Wer wüßte nicht, daß er
sich nach einem guten, tiefen Schlaf abgespannt,
ermüdet fühlt? Da klagen oft die Menschen
darüber; aber das ist gar keine Krankheitserscheinung,
sondern durchaus begreiflich. Denn im Grunde genommen
tritt die vollständige Erholung durch den Schlaf
erst eine oder anderhalb Stunden nachher ein. Warum? Weil wir
gut gearbeitet haben an unseren Organen, daß sie nicht
bloß für ein paar Stunden wieder aushalten, sondern
für den ganzen Tag. Und da sind wir unmittelbar nach dem
Aufwachen noch nicht eingeschult, um sie zu gebrauchen,
wir müssen sie erst einschleifen, und erst nach
einiger Zeit können wir sie gut gebrauchen. Man
müßte in einer gewissen Weise bei einer bestimmten
Art von Abgespanntheit davon sprechen, daß man sich freuen
könnte nach anderhalb Stunden, wie man sich
hineinfühlen kann in die wieder gut gemachten Organe. Denn
aus dem Schlaf kommt uns, was wir brauchen: die
architektonischen Kräfte für die Organe, die
abgenutzt und abgebraucht sind während des Tages.
So
dürfen wir nun sagen: Unser Seelenleben ist ein Leben in
Selbständigkeit, ein Leben, von dem wir im wachen
Tagesleben durch unser Bewußtsein etwas haben, was eine
Spiegelung ist. Bewußtsein ist Spiegelung des Verkehrs
der Seele mit der Umgebung. Da sind wir im wachen
Tagesleben verloren an unsere Umgebung, an ein Fremdes,
sind hingegeben an etwas, was wir nicht selber sind.
Während des Schlafes aber — und das ist das Wesen
des Schlafes — ziehen wir uns von aller äußeren
Tätigkeit zurück, um an uns selber zu arbeiten. Der
Vergleich dafür ist treffend: An dem Schiff, das der
Schiffahrt gedient hat, während es auf hoher See war, wird
gezimmert und ausgebessert, wenn es in den Hafen
einfährt.
Wer
da glaubt, daß nichts mit uns geschieht während des
Schlafes, der könnte auch glauben, daß nichts mit dem
Schiff zu geschehen braucht, wenn es nach einer Fahrt im Hafen
ist. Es wird aber wieder ausfahren, und da wird er schon sehen,
was geschieht, wenn es nicht ausgebessert wird. So würde
es sein, wenn nicht an uns selber von der Seele aus
während des Schlafes gearbeitet würde. Wir sind uns
selbst zurückgegeben im Schlafe, während wir im
Tagesleben an die Außenwelt verloren sind. Der
normale Mensch ist nur nicht fähig, was die Seele im
Schlafe macht, so wahrzunehmen, wie er die Außenwelt
am Tage wahrnimmt.
In
dem Vortrag «Wie erlangt man Erkenntnis der
geistigen Welt?» werden wir sehen, daß auch im
Geistigen eine Spiegelung als Erkenntnis erreicht werden kann,
wodurch dann der Mensch zur Wahrnehmung in den höheren
Welten kommen kann. Das alles zeigt uns, daß gerade die
Seele, wenn sie ihrer selbst nicht bewußt ist, nichts
weiß von ihrer eigenen Tätigkeit, daß sie aber
mit sich selbst beschäftigt ist, in sich selber arbeitet
und unabhängig von aller Leiblichkeit die
Kräfte holt, die gerade dem Aufbau des Leiblichen
dienen sollen.
So
dürfen wir zusammenfassen, was wir ausgesprochen haben,
und das Wesen der Seele mit den Worten bezeichnen, die aus der
Erkenntnis des Wesens des Schlafes eine Art Grundlegung bilden
für manches in der Geisteswissenschaft:
Es gibt sich selbst zurück
Die Seele, die schlafumfangen
In Geistesweiten flicht,
Wenn Sinnesenge sie bedrückt!
|