ZARATHUSTRA
Berlin, 19. Januar 1911
Unter den Feststellungen der Geisteswissenschaft, auf die im
Verlaufe der bereits stattgefundenen Vorträge dieses
Zyklus hingewiesen werden durfte, findet sich vor allen Dingen
die Idee der wiederholten Erdenleben, das heißt jene heute
ja wenig beliebte und verstandene Idee davon, daß sich die
menschliche Individualität immer wieder und wieder in
einer einzelnen menschlichen Persönlichkeit im Laufe der
Menschheitsentwickelung der Erde auszuleben hat. Wir haben
gesehen und werden noch sehen, wie sich mancherlei Fragen an
diese Idee knüpfen. Unter diesen Fragen wird aber eine
sein, die sich bezieht auf die Bedeutung dieser wiederholten
Erdenleben. Man könnte nämlich fragen: Was hat es
denn für eine Bedeutung, daß die menschliche
Individualität nicht nur einmal dieses Leben zwischen
Geburt und Tod durchläuft, sondern immer wieder und
wieder? Wenn man aber auf der anderen Seite die menschliche
Erdenentwickelung im Sinne der Geisteswissenschaft betrachtet
und findet, daß in dieser menschlichen Entwicklung ein
fortschreitender Sinn enthalten ist, daß jede Epoche,
jedes neue Zeitalter in einer gewissen Beziehung doch
einen andern Inhalt darbietet und die Menschenentwickelung in
einer aufsteigenden Linie ist, — so erscheint es einem
bedeutungsvoll, daß diese mannigfaltigen
Möglichkeiten des Lebens, diese vielen Inhalte des
Lebens, die auf uns einströmen können im Laufe der
Menschheitsentwickelung, eben wirklich von dem
menschlichen Wesenskern auch immer wieder und wieder in
sich aufgenommen werden. Das aber ist nur möglich, wenn
der Mensch mit alledem, was er wesenhaft ist, nicht bloß
einmal, sondern viele Male mit dem lebendigen Strome der
Erdentwickelung verknüpft ist. Wenn wir so diese
ganze menschliche Entwickelung der Erdenmenschheit als ein
sinnvolles Fortschreiten mit Herauskehrung eines immer
neuen Inhaltes betrachten, erscheinen uns erst diejenigen
geistigen Größen in ihrer rechten Bedeutung, welche
in den verschiedenen Epochen als die tonangebenden, als die
eigentlich führenden zu gelten haben, als
diejenigen, von denen in einer gewissen Beziehung neuer Inhalt,
neue Impulse für die fortschreitende Entwickelung der
Menschheit ausgehen. Mit einer Anzahl von solchen
führenden Wesenheiten der Menschheitsentwickelung wollen
wir uns im Zusammenhange mit anderen Fragen in diesem
Winterzyklus beschäftigen. Heute sei die Aufgabe
gestellt, auf eine solche führende
Menschheitsindividualität hinzuweisen, die in einer
gewissen Weise ganz besonders rätselhaft für die
äußere Geschichtsforschung dasteht, sich auch
für dieselbe in einem grauen, nicht mehr durch
äußere Dokumente erreichbaren Altertum verliert: auf
die viel besprochene, aber heute noch wenig erkannte
Persönlichkeit des Zarathustra.
Gerade an einer solchen Persönlichkeit, wie Zarathustra es
war, die in allem, was sie der Menschheit gegeben hat, was von
ihr erhalten ist, das heutige Zeitalter schon so fremdartig
anmutet, kann man sehen, wie groß die Unterschiede
werden in bezug auf die ganze menschliche Wesenheit, wenn
wir die verschiedenen Zeitalter der Menschheit in Betracht
ziehen. Ein kurzsichtiger Blick mag sich leicht denken: wie der
Mensch heute ist, wie er heute denkt, empfindet,
vorstellt, wie er heute moralisch fühlt, so hat er im
wesentlichen gefühlt, solange er Mensch ist. Die
Geisteswissenschaft aber zeigt uns — das geht schon aus
den bisher gehaltenen Vorträgen hervor und wird auch aus
den folgenden hervorgehen —, daß gerade das
menschliche Seelenleben, die Art des Empfindens, Fühlens
und Wollens im Laufe der Menschheitsentwickelung großen,
bedeutungsvollen Veränderungen unterworfen ist, daß
das menschliche Bewußtsein in alten Zeiten ganz anders
war, und daß wir Grund zu der Annahme haben, daß in
der Zukunft wieder andere Stufen dieses Bewußtseins
erreicht werden, als die ist, auf der heute die normale
Menschheit lebt.
Wenn wir nun den Blick auf Zarathustra lenken, so ist es im
Grunde genommen eine weite, weite Zeitstrecke, die wir von
unserem Zeitpunkt aus zurückblicken müssen.
Allerdings machen zwar gewisse neuere Forschungen den
Zarathustra zu einem Zeitgenossen des Buddha, so
daß er also etwa sechs oder sechseinhalb Jahrhunderte vor
der Erscheinung des Christentums auf die Erde zu versetzen
wäre. Allein hier ist die bemerkenswerte Tatsache zu
verzeichnen, daß die Forschung auch in den letzten Jahren,
indem sie aufmerksam alles verfolgt hat, was an
Überlieferungen über Zarathustra vorhanden ist,
darauf hat hinweisen müssen, daß doch diejenige
Persönlichkeit, die sich hinter dem Namen des Zarathustra,
des alten persischen Religionsstifters, verbirgt, viele, viele
Jahrhunderte vor den Buddha zu setzen ist. Griechische
Geschichtsschreiber weisen immer wieder und wieder darauf hin,
daß man Zarathustra hinaufzuversetzen hat weit —
etwa fünf bis sechstausend Jahre weit in die Zeit vor den
Trojanischen Krieg. Man kann schon aus dem, was die
äußere Forschung auf vielen Gebieten erfahren hat,
den Schluß ziehen: die äußere
Geschichtsforschung wird sich zwar schwer dazu
entschließen, wird aber doch zuletzt — auch durch
die Dokumente — genötigt sein dasjenige
anzuerkennen, was die griechische Wissenschaft, die griechische
Überlieferung aufbewahrt hat über das weite
Zurückliegen des Zeitalters des Zarathustra. Die
Geisteswissenschaft muß aus ihren Voraussetzungen heraus
tatsächlich auch das Leben des persischen
Religionsstifters, des Zarathustra, so weit
zurückverlegen, als dies griechische Schriftsteller
schon im Altertum getan haben. Dann aber haben wir ein
Recht, darauf hinzuweisen, wie Zarathustra, wenn er
Jahrtausende vor dem Eintritt des Christentums in der Welt
gelebt hat, vor einer ganz andern Art des menschlichen
Bewußtseins gestanden haben mag.
Nun
ist schon öfters darauf hingewiesen worden und wird noch
weiter ausgeführt werden, daß die Entwickelung des
menschlichen Bewußtseins so geschehen ist, daß
träumhafte, hellseherische-das Wort soll hier nicht so
mißbraucht werden, wie es auf vielen Gebieten heute der
Fall ist — Zustände in alten Zeiten die
Bewußtseinszustände des eigentlichen normalen
Menschen waren, so daß der Mensch nicht so die Welt in
Begriffen und Ideen, in streng umgrenzten sinnlichen
Wahrnehmungen gesehen hat, wie er sie heute sieht. Man bekommt
am besten ein Bild davon, wie der Mensch in Urzeiten die Welt
um sich herum in sein Bewußtsein aufgenommen hat, wenn man
an die letzten Reste des alten Urbewußtseins denkt: an das
Traumbewußtsein. Jedem sind die auf- und abwogenden,
heute zum größten Teil für das menschliche
Bewußtsein sinnlosen Traumbilder bekannt, die oft nur
Reminiszenzen der äußeren Welt sind, obwohl
auch höhere Bewußtseinsarten hineinragen
können, die aber der heutige Mensch schwer zu deuten
versteht. Das Traumbewußtsein — können wir
sagen — verläuft bildhaft, in schnell
wechselnden Bildern, aber zu gleicher Zeit symbolisch. Wer
würde nicht erfahren haben, wie der Eindruck, das ganze
Ereignis eines Feuers sich sinnbildlich im Traume offenbart?
Lenken Sie einmal den Blick auf dieses andersartige
Bewußtsein, auf diesen andersartigen
Bewußtseinshorizont, wie er im Traume vorhanden ist;
so wie er da vorhanden ist, ist er nur der letzte Rest eines
uralten Menschheitsbewußtseins. Aber dieses uralte
Bewußtsein war so, daß der Mensch in der Tat in einer
Art von Bildern lebte. Diese Bilder bezogen sich nicht auf
Unbestimmtes oder auf nichts, sondern auf eine reale
Außenwelt. Es gab in den Bewußtseinszuständen
der alten Menschheit zwischen Wachen und Schlafen
Zwischenzustände, und in diesen
Zwischenzuständen lebte der Mensch gegenüber der
geistigen Welt. Diese geistige Welt kam herein in sein
Bewußtsein. Heute ist das Tor der geistigen Welt
gegenüber dem normalen Menschenbewußtsein
verschlossen. In alten Zeiten war dies nicht so. Da hatte der
Mensch die Zwischenzustände zwischen Wachen und Schlafen;
dann sah er in Bildern, die zwar den Traumbildern
ähnlich waren, aber eindeutig geistiges Wesen und
geistiges Weben darstellten, wie es hinter der
physischsinnlichen Welt ist. So daß der Mensch in
alten Zeiten wirklich — wenn auch zu Zarathustras Zeiten
schon ziemlich undeutlich und unbestimmt — dennoch aber
eine unmittelbare Beobachtung und Erfahrung der geistigen
Welt hatte und sagen konnte: Ebenso wie ich die
äußere physische Welt und das sinnliche Leben sehe,
ebenso weiß ich, daß es Erfahrungen und Beobachtungen
eines anderen Bewußtseinszustandes gibt, daß
eine andere Welt, eine geistige, dem Sinnlichen zugrunde
liegt.
Der
Sinn der Menschheitsentwickelung besteht darin, daß von
Epoche zu Epoche immer geringer und geringer die Fähigkeit
des Menschen wurde, hineinzuschauen in die geistige Welt, weil
sich die Fähigkeiten so entwickeln, daß immer die
eine auf Kosten der anderen erkauft werden muß. Unser
heutiges exaktes Denken, unser Vorstellungsvermögen,
unsere Logik, alles, was wir als die wichtigsten
Triebräder unserer Kultur bezeichnen, war damals nicht
vorhanden. Das mußte sich der Mensch erst in jener Epoche,
die auch schon die unsrige ist, auf Kosten des alten
hellseherischen Bewußtseinszustandes erkaufen. Das
hat der Mensch heute auszubilden. Und in der zukünftigen
Menschheitsentwickelung wird dann zu dem rein physischen
Bewußtsein mit der Intellektualität und der
Logik wieder hinzukommen der alte Hellseherzustand. Ein Abstieg
und ein Aufstieg ist also in bezug auf das menschliche
Bewußtsein zu unterscheiden. Ein tiefer Sinn liegt
in der Entwickelung, wenn wir sagen: Der Mensch lebte
erst mit seinem ganzen Seelenleben noch in einer geistigen Welt
drinnen, stieg dann herunter in die physische Welt und
mußte dazu das alte hellseherische Bewußtsein
aufgeben, damit er sich in Anlehnung an die physische Welt
— erzogen durch die rein physische Welt — die
Intellektualität, die Logik aneignen konnte, um dann
in der Zukunft wieder hinaufzusteigen in die geistige Welt.
Nun
liegt allerdings das, was die Menschen geschichtlich innerhalb
ihres alten, eben geschilderten Bewußtseinszustandes
durchgemacht haben, vor den Zeiten, aus denen äußere
geschichtliche Nachrichten vorhanden sind. Aber Zarathustra
fällt auch in die Zeit, in welche noch nicht
geschichtliche Nachrichten hinaufreichen, und Zarathustra ist
eine der großen führenden Persönlichkeiten,
welche die Anregungen für die großen
Kulturfortschritte der Menschheit gegeben haben. Solche
führenden Persönlichkeiten müssen immer, ob das
normale Menschheitsbewußtsein auf dieser oder jener Stufe
steht, aus dem schöpfen, was man die Erleuchtung, die
Einweihung in die höheren Geheimnisse der Welt
nennen kann. Und zu jenen Persönlichkeiten, die wir im
Laufe dieser Vorträge betrachten werden — Hermes,
Buddha, Moses — gehört nun auch Zarathustra. Er
steht jedenfalls mindestens achttausend Jahre vor unserem
jetzigen Zeitpunkt in der Menschheitsentwickelung, und was er
an Großem, Gewaltigem aus einem erleuchteten Geiste heraus
der Menschheit gegeben hat, ist lange Zeit unter den
allerwirksamsten Kulturgütern der Menschheit deutlich
vernehmbar gewesen. Das kann auch heute noch derjenige
wahrnehmen, der die geheimeren Strömungen in der ganzen
Menschheitsentwickelung beachtet. Zarathustra gehört
wesenhaft zu denen, die in ihrer Seele Wahrheiten,
Weistümer, Anschauungen zu erleben hatten, die weit
über das normale Menschheitsbewußtsein ihrer Zeit
hinausgingen. Wahrheiten also aus den übersinnlichen
Welten, aus jenen Gebieten der übersinnlichen Welten, die
weit hinaus liegen über alles, was das normale
Menschenbewußtsein seiner Zeit schauen konnte, hatte
Zarathustra seinen Mitmenschen in jenem Lande, wo sich
später das persische Reich ausbreitete, zu
verkünden.
Wenn man nun verstehen will, was Zarathustra für die
Menschheit bedeutet, muß man sich darüber klar sein,
daß er einem gewissen Teil der Menschheit, einem ganz
bestimmten Bruchteile der Menschen eine gewisse Art von
Weltanschauung, von Weltverstehen zu überliefern hatte,
während in der Tat andere Menschenströmungen, andere
Völker, andere Menschheitsgebiete eine andere Art von
Weltanschauung sozusagen in das Gesamtgebiet der
Menschheitskultur hineinzutragen hatten. Und Zarathustras
Persönlichkeit ist uns deshalb so interessant, weil
er innerhalb eines Völkergebietes lebte, das nach
Süden hin unmittelbar an ein anderes Volksgebiet
anstieß, das in ganz anderer Weise geistige Güter,
geistige Strömungen der Menschheit zu schenken hatte. Da
haben wir, indem wir in jene alten Zeiten hinaufblicken, auf
dem Boden des alten Indiens diejenigen Völker, deren
Nachkommen später die Vedensänger unter sich gesehen
haben. Und nordwärts von diesem Gebiet, auf dem sich
die große Brahman-Lehre ausgebreitet hatte, haben wir
dasjenige Volksgebiet zu suchen, das durchströmt war
von dem mächtigen Impuls des Zarathustra. Aber in einer
gewissen Weise grundverschieden war das, was Zarathustra der
Welt zu geben hatte, von dem, was die Lehrer, die großen
führenden Persönlichkeiten den alten Indern zu geben
hatten, was dann aufbewahrt ist in den hinreißenden
Gesängen der Veden, in der tiefgründigen
Vedanta-Philosophie, und was noch nachklingt wie in einem
letzten großen Aufleuchten in der Offenbarung des
großen Buddha.
Nun
versteht man nur den Unterschied zwischen dem, was von der
Strömung des alten Indien und was von der Strömung
des Zarathustrismus ausging, wenn man ins Auge faßt,
daß der Mensch von zwei Seiten her in das Gebiet der
übersinnlichen Welt kommen kann. Es ist im Laufe dieser
Vorträge über die Frage gesprochen worden, wie der
Mensch in eine geistige Welt kommt. Es gibt nun zwei
Möglichkeiten, durch die der Mensch die Kräfte seiner
Seele, die Fähigkeiten seines Inneren so über
den normalen Zustand hinaufheben kann, daß er aus
der sinnlichen Welt in die übersinnliche Welt
hinaufgelangen kann. Man kann den einen Weg als den bezeichnen,
durch welchen der Mensch immer mehr und mehr in die eigene
Seele hineinsteigt, sich vertieft in seine eigene Seele; den
anderen kann man so darstellen, daß man sagt, er
führt den Menschen über das, was als der Teppich der
physisch-sinnlichen Welt um uns herum ausgebreitet ist,
führt ihn hinter diesen Teppich der physischen Welt. Man
kommt auf beiden Wegen in das übersinnliche Gebiet. Wenn
wir in einem intimen inneren Erleben alles, was wir in der
Seele an inneren Gefühlswerten, an Vorstellungs- und
Ideenwerten, kurz, an Impulsen in der Seele haben,
vertiefen — sozusagen in uns selber immer mehr und mehr
hineinschlüpfen, so daß die Kräfte unseres
Innern immer stärker und stärker werden dann
können wir gleichsam mystisch in uns untertauchen und
durch das, was in uns selber der physischen Welt
angehört, zu dem durchdringen, was unser
eigentlicher geistigseelischer Wesenskern ist, der von
Verkörperung zu Verkörperung geht und
gegenüber dem Vergänglichen ein Unvergängliches
ist. Wir dringen dann in die geistige Welt unseres eigenen
Inneren ein. Indem wir den Schleier unseres eigenen Inneren
durchdringen, indem wir das, was an Begierden, Leidenschaften
und inneren Seelenerlebnissen in uns lebt und uns nur dadurch
eigen ist, daß wir in dieser physischen Welt in einem
physischen Leibe verkörpert sind, durchdringen und in
unser Ewiges untertauchen, gelangen wir in eine geistige Welt.
Aber auch wenn wir auf der anderen Seite diejenigen Kräfte
entwickeln, die nicht nur auf die äußere Welt
hinschauen und Farben sehen, Töne hören,
äußere Wärme- oder Kälteeindrücke
empfangen, sondern wenn wir unsere geistigen Kräfte so
machtvoll machen, daß sie hinter die Farben, hinter den
Ton, hinter Wärme und Kälte und die andern
Sinneseindrücke dringen können, die sich wie ein
Teppich um uns herum ausbreiten, dann dringen die Kräfte,
die in unserer Seele verstärkt sind, hinter den Schleier
der Außenwelt in das übersinnliche Reich, das sich
ins Unendliche, man möchte sagen, in unendliche Fernen
ausbreitet.
So
gibt es einen Weg, den wir den mystischen nennen
können, und so gibt es einen Weg, der durchdringend
den Schleier des Sinnlichen in die Weiten des Kosmos
führt, den wir den eigentlich
geisteswissenschaftlichen nennen können. Auf diesen
zwei Wegen sind alle die großen geistigen
Persönlichkeiten zu Wahrheiten und Offenbarungen
gekommen, die sie den Menschen als Kulturfortschritte
einzuimpfen hatten. Nur war in uralten Zeiten die Entwickelung
der Menschen so, daß immer einem bestimmten Volkstum nur
auf einem dieser Wege die großen Offenbarungen
zukommen konnten. Erst von dem Zeitalter an, in welchem die
Griechen gelebt haben, in das dann auch der Aufgang, die
Entstehung des Christentums hineinfällt, rinnen gleichsam
die beiden Strömungen zusammen und wurden immer mehr
und mehr eine Kulturströmung. Wenn wir heute reden
von dem Betreten der höheren Welten, reden wir so,
daß der, welcher zu den übersinnlichen Welten
hinaufdringen will, gewissermaßen beide Kräftearten
in seiner Seele entwickelt, sowohl die Kräfte für den
mystischen Weg in das eigene Innere, wie auch für den
geisteswissenschaftlichen Weg in die Außenweit.
Heute werden die beiden Wege nicht mehr streng voneinander
geschieden, denn es liegt im Sinne der
Menschheitsentwickelung, daß ungefähr um die
Epoche, die durch das Griechenvolk bezeichnet wird, diese
beiden Ströme zusammenfließen: der, welcher
seine Offenbarungen empfängt durch die mystische
Versenkung in das eigene Innere, und der, welcher seine
Offenbarungen empfängt durch Stärkung der geistigen
Kräfte hinausführend in den großen Kosmos. In
der vorgriechischen oder in der vorchristlichen Zeit aber war
es so, daß diese beiden Möglichkeiten auf
verschiedene Volkstümer verteilt waren, und sie treten uns
— räumlich eng zusammengestellt — in uralten
vorgriechischen und vorchristlichen Zeiten entgegen in der
indischen Kultur, die in den Veden ihren Ausdruck gefunden hat,
und in der Zarathustra- Kultur mehr im Norden. Denn alles, was
wir in der indischen Kultur bewundern, was auch noch in
Buddha zum Ausdruck gekommen ist, ist erlangt durch innere
Versenkung, durch Hinwegwendung des Blickes von der
äußeren Welt, durch Abtötung des Auges für
die sinnlichen Farben, des Ohres für die sinnlichen
Töne, der äußeren Organe für den
Sinnesteppich überhaupt und durch Stärkung der
inneren Seelenkräfte, um herunterzudringen zu Brahman, in
dem sich der Mensch eins fühlt mit dem, was für alle
Zeit webt als das Innere der Welt. Daraus sind die Lehren der
alten heiligen Rishis entsprungen, die in den Veden dichterisch
weiterleben, die in der Vedanta-Philosophie und im Buddhismus
weiterleben. Aus der anderen Art ist der Zarathustrismus
entsprungen.
Zarathustra hatte seinen Schülern namentlich das Geheimnis
davon überliefert, wie man die Erkenntniskräfte des
Menschen stärkt, damit sie den Schleier der
äußeren Sinneswelt durchdringen. Nicht lehrte
Zarathustra wie die Lehrer Indiens: Wendet den Blick ab von den
Farben, von den Tönen, von den äußeren
Sinneseindrücken und suchet den Weg zum Geistigen
lediglich durch Versenkung in euer Seeleninneres! —
sondern er sagte: Stärkt die Erkenntniskräfte so,
daß ihr hinausschauen könnt auf alles, was als
Pflanze und Tier, was in Luft und Wasser lebt, auf
Bergeshöhen und in Talestiefen! Schaut hin auf diese Welt!
— Wie wir wissen, war diese Welt für den
Schüler der indischen Mystik doch nur Maja, um den Blick
dorthin zu wenden, wo man Brahman findet. Zarathustra lehrte
seine Schüler, daß sie den Blick nicht abwenden von
dieser Welt, sondern sie durchdringen, daß sie sich sagen:
Uber all, wo wir in der äußeren Welt
sinnlich-physische Offenbarungen sehen, ist dahinter —
außer uns — wirkend und webend Geistiges! —
Das ist der andere Weg. Merkwürdig kommen in der
griechischen Zeit die beiden Wege zusammen. Und weil in der
Erkenntnis, die wahrhaftig in bezug auf Geistiges tiefer ging
als in unserer Zeit, die es so herrlich weit gebracht haben
will, alles ausgedrückt wird durch Bilder, die in die
Mythen übergegangen sind, so finden wir auch, wie die
beiden Strömungen — die eine, die mystische in das
eigene Innere, und die andere nach außen in den Kosmos
— in der griechischen Kultur zusammengekommen sind, sich
getroffen haben und gleichzeitig gepflegt worden sind. Das
kommt darin zum Ausdruck, wie man den einen Weg auf den Namen
des Dionysos, des geheimnisvollen Gottes getauft hat, der
gefunden werden kann, wenn der Mensch immer tiefer und tiefer
in sein Inneres untertaucht und dort jenes fragliche
Untermenschliche findet, das er früher nicht gehabt hat,
aus dem er sich erst heraufentwickelt hat zum Menschen. Es ist
das, was da noch ungeläutert, noch halb tierisch ist,
getauft auf den Namen des Dionysos. Das aber, was uns
entgegentritt, wenn wir die Welt durchschauen, wenn wir das,
was uns physisch für die Sinne entgegentritt, geistig
schauen, ist getauft auf den Namen des Apollo. Daher treten uns
in der Apollo-Strömung die Zarathustra- Lehre und in der
Dionysos-Strömung die Lehre der mystischen Versenkung im
Griechentum nebeneinander entgegen. Da vereinigen sie sich, da
strömen sie zusammen, der Zarathustrismus und die
mystische Lehre, die uns auf ihren Höhen im alten Indertum
entgegenkommt. So waren die alten Zeiten dazu berufen,
sozusagen zwei Ströme nebeneinanderlaufen zu lassen,
und im apollinischen und im dionysischen Glaubenskreise
Griechenlands strömten beide zusammen, um dann einheitlich
weiterzufließen, so daß sie in unserer Kultur, wenn
wir uns zum Geistigen erheben, einheitlich weiterleben.
Es
ist ganz merkwürdig — und das gehört zu den
vielen Rätseln, die dem Denker aufgegeben werden
daß Nietzsche davon eine Ahnung hatte —
allerdings nicht mehr — und in seiner ersten Schrift
«Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik» begründete, daß dieser dionysische und
apollinische Glaubenskreis Griechenlands sich als die
geisteswissenschaftliche und als die mystische Strömung
begegnen.
Nun
ist es interessant zu sehen, wie in der Tat Zarathustra in
allen Einzelheiten seine Schüler und damit die ganze
Kultur, die von ihm den Ausgangspunkt nahm, lehrte, hinter
allem Sinnlichen den Geist zu sehen. Da handelt es sich darum,
daß es nicht genügt, wenn man sagt: Vor uns breitet
sich die Sinneswelt aus, und dahinter webt das
Geistig-Göttliche. Man fühlt sich dabei vielleicht
ganz besonders bedeutend, arbeitet aber damit nur auf
einen allgemeinen Pantheismus hin. Man denkt, daß
man schon etwas getan hat, wenn man sagt: Hinter allem
Sinnlichen webt ein Göttliches — das heißt ein
verschwommenes, nebuloses Geistiges hinter allen physischen
Erscheinungen im allgemeinen zugibt. In einer solchen
abstrakten verschwommenen und nebulosen Weise sprach ein
Mensch wie Zarathustra, der wirklich in eine geistige Welt
hinaufgestiegen war, nicht zu seinen Schülern und zu
seinem Volke; sondern er wies darauf hin: so wie sich die
einzelnen sinnlichen Erscheinungen unterscheiden, wie die eine
bedeutender, die andere unbedeutender ist, so ist auch das
Geistige, das dahinter ist, entsprechend den einzelnen
Erscheinungen bald bedeutender, bald unbedeutender. Da wies er
dann darauf hin, daß hinter dem Physischen der Sonne, die
— rein in bezug auf die physische Anschauung unseres
Weltsystems — zum Beispiel den Ursprung alles Lebens,
aller Erscheinungen und Tätigkeiten enthält,
sich verbirgt der Mittelpunkt des geistigen Lebens, insofern
uns dieses geistige Leben zunächst angeht.
Es
sagte Zarathustra, wenn wir etwa das, was er in
eindringlichen Lehren seinen Schülern klarmachen
wollte, in einfache Worte fassen: Seht, wie der Mensch, der vor
uns steht, nicht allein der physische Leib ist, denn der ist
nur der äußere Ausdruck des Geistes. Aber wie der
physische Leib nur die Offenbarung, die Kristallisation des
geistigen Menschen ist, so ist die Sonne, die uns als
physischer Lichtkörper erscheint, insofern sie ein
solcher physischer Lichtkörper ist, nur der
äußere Körper eines Geistigen, gleichsam
einer Geistessonne. — Und wie man das, was der
Geistesmensch gegenüber dem physischen Menschen ist, als
seine Aura bezeichnen kann — als Aura oder Ahura, wenn
man den alten Ausdruck gebrauchen will —, so kann man
das, was hinter der physischen Sonne ist, als «große
Aura», als eine umfassende Aura bezeichnen, wogegen das,
was hinter dem physischen Menschen als Geistiges ist, die
«kleine Aura» ist! Deshalb nannte Zarathustra das,
was hinter der physischen Sonne ist, die «Große
Aura», Auramazda oder Ahura Mazdao. Das war das Geistige
hinter der Sonne, dasjenige, was uns in bezug auf alle
geistigen Ereignisse, alle geistigen Seinszustände ebenso
angeht wie die physische Sonne in bezug auf das Gedeihen der
Pflanzen, Tiere und alles Lebens auf der Erde. Hinter der
physischen Sonne der geistige Herr und Schöpfer, Ahura
Mazdao, Auramazda! Daraus wurde dann der Name Ormuzd oder
«Geist des Lichtes». Während also die Inder
mystisch in ihr Inneres hineinblickten, um so zu Brahman, zu
dem Ewigen zu kommen, das wie in einem Punkte aus dem Inneren
des Menschen herausleuchtet, wies Zarathustra seine
Schüler hin auf die große Peripherie des Daseins und
zeigte, wie in dem Sonnenleib der große Geist der Sonne,
Ahura Mazdao, der Geist des Lichtes vorhanden ist. Und wie im
Menschen sein eigentlicher Geistesmensch hinaufstrebt zur
Vervollkommnung, aber gegen sich die niederen
Leiden-Schäften und Begierden hat, die
Möglichkeit, den Trugbildern der Lüge und
Unwahrheit ausgesetzt zu sein, — wie der Mensch so den
Gegner der eigenen Vervollkommnungsimpulse in sich hat,
so hat Ahura Mazdao sich gegenüber den Gegner, den Geist
der Finsternis; Angro-Mainyush, Ahriman.
Da
sehen wir, wie sich des großen Zarathustra
Anschauung auch umwandeln konnte aus einer Lehre in einen
Empfindungs- und Gefühlsinhalt. Dadurch konnte er seine
Schüler so weit bringen, daß er ihnen klarmachen
konnte: Da steht ihr als Menschen mit einem
Vervollkommnungsprinzip im Innern, das euch sagt: wie ich
auch jetzt sein mag — das Prinzip zur Vervollkommnung in
mir wird so wirken, daß der Mensch immer höher und
höher kommen kann. Aber in diesem Innern arbeiten die zum
Unvollkommenen führenden Neigungen und Triebe, Lug
und Trug. Was so im Menschen ist, das ist ausgebreitet,
expansiert als das Prinzip der Vervollkommnung, das immer
höhere und höhere, immer weisere und weisere
Vervollkommnungszustände in die Welt bringen muß: das
Prinzip von Ahura Mazdao. Dieses Prinzip wird zunächst
überall draußen in der Welt von dem bekämpft,
was Unvollkommenheit, was das Böse, was den Schatten in
das Licht hineinbringt: von Angro-Mainyush, von Ahriman!
— So sahen und fühlten die Zarathustra-Schüler
wirklich in dem einzelnen Menschen ein Abbild dessen, was die
Welt draußen darstellt. Wir müssen das eigentlich
Bedeutungsvolle einer solchen Lehre nicht in ihren Theorien,
nicht in ihren Begriffen und Ideen suchen, sondern in dem
lebendigen Gefühl und in der Empfindung, die sie
durchdringt, wenn durch sie der Mensch so zum Weltall steht,
daß er sich sagt: Ich stehe hier, bin' eine kleine Welt,
bin aber als kleine Welt wie ein Abdruck einer großen
Welt. Wie wir hier als Menschen in uns ein Prinzip zum Guten
haben und etwas, was diesem entgegenarbeitet, so stehen
sich in der großen Welt gegenüber Ormuzd und Ahriman.
Die ganze Welt ist gleichsam ein ausgebreiteter Mensch, und die
besten Kräfte sind die, welche wir als Ahura Mazdao
bezeichnen, denen dann entgegenarbeiten die Kräfte
des Angro-Mainyush.
So
wie der Mensch, der nur das Sinnliche ins Auge faßt, mit
seinen physischen Vorgängen sich in den ganzen
Weltenprozeß hineingestellt findet und —
selbst wenn er materialistisch denkt, aber nur zu
fühlen beginnt — eine heilige Scheu haben kann, wenn
er zum Beispiel durch die Spektralanalyse erfährt:
dieselben Stoffe, die hier auf der Erde sind, existieren auf
den fernsten Sternen, — so fühlte sich der Mensch im
Sinne des Zarathustrismus mit seinem geistigen Teil in
den Geist der ganzen Welt hineinversenkt, fühlte sich aus
ihm herausgeboren. Und darin liegt das Bedeutungsvolle einer
solchen geistigen Lehre.
Nun
blieb aber diese Lehre durchaus nicht etwas Abstraktes,
im Gegenteil, sie wurde etwas ganz Konkretes. Es ist für
das heutige Zeitalter, selbst wenn die Menschen ein gewisses
Gefühl für das Geistige haben, das hinter dem
Sinnlichen steht, schon recht schwer begreiflich zu machen, wie
eine wirklich geisteswissenschaftliche Weltanschauung nicht nur
eine einheitliche zentrale Geistesmacht braucht. Wie wir aber
die einzelnen Naturkräfte unterscheiden müssen
— Wärme, Licht, chemische Kräfte und so weiter
—, so müssen wir auch in der Welt des Geistigen
nicht bloß einen einheitlichen Geist unterscheiden, der
wahrhaftig dadurch nicht geleugnet wird, sondern geistige
Unterkräfte, geistige «Hilfskräfte», deren
Gebiet dann enger umgrenzt ist als das Gebiet des
allumfassenden Geistes. So unterschied denn auch
Zarathustra von diesem allumfassenden Ormuzd sozusagen die
Diener, die dienenden geistigen Wesenheiten des Ormuzd. Bevor
wir aber zu diesen dienenden geistigen Wesenheiten
heruntersteigen, wollen wir noch auf eines aufmerksam machen,
darauf nämlich, daß diese Zarathustra-Anschauung
nicht etwa ein bloßer Dualismus 1st, eine bloße
Zwei-Welten-Lehre, eine Lehre von der Welt des Ormuzd und der
Welt des Ahriman; sondern sie ist schon eine Lehre davon,
daß diesen zwei Weltenströmungen etwas
Einheitliches zugrunde liegt, eine einheitliche Macht, aus der
wieder hervorgeht sowohl das Reich des Lichtes wie das Reich
des Schattens, das Reich des Ormuzd wie das des Ahriman. Es ist
nun sehr schwierig, einen Begriff davon hervorzurufen,
was Zarathustra als das Einheitliche hinter Ormuzd und
Ahriman ansah, von dem uns schon die griechischen
Schriftsteller sagten, daß die alten Perser es als das in
Einheitlichkeit Lebende verehrten, und was Zarathustra nannte
«Zeruane akarene», das ist, was hinter dem Licht
steht. Wodurch können wir uns einen Begriff für das
schaffen, was Zarathustra und die Zarathustra-Lehre unter
«Zeruane akarene» oder «Zaruana akarana»
versteht?
Denken wir uns einmal den Verlauf der Entwickelung. Wir
müssen uns vorstellen, daß die Entwickelung gegen die
Zukunft hin so verläuft, daß die Wesen immer
vollkommener und vollkommener werden, so daß wir,
wenn wir in die Zukunft blicken, immer mehr und mehr den Schein
des Lichtreiches, des Ormuzd, sehen. Wenn wir in die
Vergangenheit den Blick richten, sehen wir, wie da die
Kräfte liegen, welche mit der Zeit völlig
aufhören müssen, die besiegt werden müssen, so
daß wir da in die dem Ormuzd gegnerischen Kräfte, in
die ahrimanischen Kräfte hereinblicken. Nun hat man
sich vorzustellen, daß dieser Bück sowohl in die
Zukunft wie in die Vergangenheit zu demselben Punkte
führt. Das ist eine Vorstellung, die für den heutigen
Menschen außerordentlich schwer zu vollziehen ist. Denken
wir uns dazu einen Kreis: wenn wir von dem untersten Punkte
nach der einen Seite gehen, kommen wir zu dem
gegenüberliegenden Punkte oben; wenn wir nach der andern
Seite gehen, kommen wir ebenfalls zu demselben Punkte. Nehmen
wir den Kreis größer, so müssen wir einen
weiteren Weg machen, und der Bogen wird dadurch flacher und
flacher. Nun können wir den Kreis immer größer
und größer machen, dann ist das Ende, daß die
Kreislinie zuletzt eine Gerade wird: dann geht der Weg
nach der einen Seite in die Unendlichkeit und nach der anderen
Seite auch. Aber kurz vorher, wenn wir nicht so weit gehen,
wenn wir den Kreis nicht so groß machten, dann würden
wir, wenn wir nach der einen Seite wie nach der andern Seite
gingen, zu einem und demselben Punkte kommen. Warum sollte nun,
wenn der Kreis so flach wird, daß seine Linie eine Gerade
wird, nicht dasselbe gelten? Dann muß der eine Punkt in
der Unendlichkeit der gleiche sein wie der auf der anderen
Seite. Und wenn man nur lange genug den Atem halten
könnte, müßte man nach der einen Seite
gehen können und auf der andern Seite
zurückkommen. Das heißt: es liegt für eine die
Unendlichkeit ergreifende Vorstellung eine Linie
zugrunde, die nach beiden Seiten ins Unendliche verläuft,
die aber eigentlich eine Kreislinie ist.
Was
ich Ihnen jetzt als eine Abstraktion vor Augen
geführt habe, das liegt in der
Zarathustra-Anschauung dem zugrunde, was er mit Zaruana akarana
meinte. Wir blicken auf der einen Seite — der Zeit nach
— in die Zukunft hinein, auf der andern Seite in die
Vergangenheit; aber die Zeit schließt sich zum Kreise, nur
liegt dieser Zusammenschluß erst in der Unendlichkeit. Und
dieser sich selbst findenden Schlange der Ewigkeit — die
dargestellt werden kann durch die Schlange, die sich selbst in
ihren Schwanz beißt — ist sowohl die Kraft des
Lichtes einverwoben, die uns immer heller und heller leuchtet,
wenn wir nach der einen Seite blicken, wie auch die Kraft der
Finsternis, die uns nach der andern Seite immer dunkler und
dunkler scheint. Und wenn wir selbst mitten drinnen stehen,
haben wir selbst Licht und Schatten — Ormuzd und Ahriman
— durcheinandergemischt. Alles ist einverwoben dem
sich selbst findenden, unendlichen Strome der Zeit:
Zaruana akarana.
Es
ist nun etwas weiteres für eine solche alte
Weltanschauung dies, daß sie die Sache ernst nahm,
von der sie ausging, daß sie nicht bloß nebulos
hinstellte: da draußen ist hinter den Dingen der
Sinneswelt, die auf unsere Augen, Ohren und anderen Sinne
Eindruck machen, Geist, sondern daß sie in der Tat
in dem, was sie sah, etwas wie die Schriftzeichen des Geistes
oder der geistigen Welten erblickte. Wir nehmen zum
Beispiel irgendein Blatt, sehen darauf die Buchstaben und
setzen sie zu Worten zusammen; wenn wir aber das wollen,
müssen wir erst etwas gelernt haben, nämlich lesen.
Wer das nicht kann, kann nie Zarathustra lesen, sondern sieht
nur gewisse Zeichen, denen er mit dem Blicke nachlaufen kann.
Zarathustra aber kann er erst lesen, wenn er diese Zeichen
gemäß dem, was er in seiner Seele trägt, zu
verbinden versteht. Nun sah Zarathustra hinter dem, was in der
Sinneswelt ist, besonders in der Art, wie sich die Sterne
innerhalb des Weltenraumes zu Gruppen zusammenfügen, eine
solche Zeichenschrift. Wie wir auf dem Papier die Buchstaben
haben, so sah er in dem, was uns als die Sternenwelt im
Räume umgibt, etwas wie die Buchstaben von den geistigen
Welten, die zu uns sprechen. Und es bestand die Kunst,
einzudringen in die geistige Welt und die Zeichen, die
uns durch die Anordnung der Sterne gegeben sind, zu lesen, zu
deuten, an der Bewegung und Anordnung der Sternenwelten
die Art zu entziffern, wie die Geister draußen ihre Taten
des Geist-Erschaffens in den Raum schreiben. Das wurde
für Zarathustra und seine Schüler dasjenige, worauf
es ihnen ankam. So war ihnen besonders ein wichtiges
Schriftzeichen dies: daß Ahura Mazdao seine
Schöpfungen, seine Offenbarungen in der Welt dadurch
vollbringt, daß er scheinbar im Sinne unserer Astronomie
einen Kreis im Himmelsraum zu beschreiben hat. Dieses
Beschreiben eines Kreises wurde der Ausdruck für ein
Schriftzeichen, das Ahura Mazdao oder Ormuzd den Menschen
kundgibt, um zu zeigen, wie er wirkt, wie er seine Taten in den
ganzen Weltenzusammenhang stellt. Da war es wichtig,
daß Zarathustra darauf hinweisen konnte: Es ist der
Tierkreis, der Zodiakus, eine in sich selbst
zurückkehrende Linie, ein Ausdruck für die in sich
selbst zurückkehrende Zeit. Im höchsten Sinne des
Wortes geht der eine Ast der Zeit nach der Zukunft, nach
vorwärts, der andere in die Vergangenheit, nach
rückwärts. Was später der Tierkreis wurde, ist
Zaruana akarana: die in sich selbst sich findende Zeitlinie,
welche Ormuzd beschreibt, der Geist des Lichtes. Das ist
der Ausdruck für die geistige Tätigkeit des Ormuzd.
Die Bahn der Sonne durch die Tierkreisbilder ist der Ausdruck
der Tätigkeit des Ormuzd, und Zaruana akarana hat sein
Symbol im Tierkreis. Im Grunde genommen sind
«Zaruana akarana» und «Zodiakus» dasselbe
Wort so wie «Ormuzd» und «Ahura Mazdao».
Einverwoben ist zweierlei in dem «Gehen durch den
Tierkreis»: einmal ein gewisser Gang der Sonne im Hellen,
wo sie im Sommer ihre vollen Kräfte als Lichtkräfte
auf die Erde sendet, — aber auch ihre geistigen
Kräfte schickt sie uns aus dem Lichtreich des Ormuzd.
Derjenige Teil des Tierkreises also, den Ormuzd während
des Tages oder während des Sommers durchläuft, zeigt
uns, wie Ormuzd unbehindert von Ahriman wirkt; diejenigen
Tierkreisbilder dagegen, die unter dem Horizont liegen,
symbolisieren das Reich des Schattens, das sozusagen Ahriman
durchläuft.
Wodurch drückt nun sowohl Ormuzd, der gedacht ist als der
helle Teil des Tierkreises, des Zaruana akarana, und wodurch
drückt Ahriman, der dunkle Teil des Tierkreises, die Art
aus, wie sie auf die Erde wirken?
Anders wirkt die Sonne des Morgens, anders am Mittag. Indem sie
hinaufsteigt vom Widder bis zum Stier, indem sie wieder
hinuntersteigt, wirken ihre Strahlen immer anders; anders
wirken sie im Winter, anders im Sommer, von jedem Sternbild aus
verschieden. So werden für Zarathustra die Wirkungen des
Ormuzd von den verschiedenen Riehtungen, die symbolisiert
werden durch das Stehen der Sonne in den verschiedenen
Sternbildern, das heißt die verschiedenen Richtungen
der Ormuzd-Wirkungen, zum Ausdruck derjenigen geistigen
Wesenheiten, die gleichsam die Diener, die Söhne des
Ormuzd sind, die das ausführen, was er anordnet: das
sind die «Amshaspands» oder
«Amesha-Spentas», die gleichsam unterhalb des Ormuzd
stehen und ihre Spezialtätigkeit haben. Während
Ormuzd die ganze Tätigkeit des Lichtreiches hat, haben die
Amshaspands die Spezialtätigkeiten, die
ausgedrückt werden durch das Herleuchten der Sonne aus dem
Widder, aus dem Stier, dem Krebs und so weiter. Die
Ormuzd-Wirksamkeit kommt durch das volle Leuchten der Sonne
durch alle hellen Tierkreisbilder — vom Widder bis zur
Waage oder zum Skorpion — zum Ausdruck. So können
wir weiter im Sinne des Zarathustra sagen: Ahriman wirkt
gleichsam wie durch die Erde hindurch aus dem Finstern
und hat da seine Diener, seine Amshaspands, die Gegner sind der
guten Genien, welche dem Ormuzd zur Seite stehen. Zarathustra
hat so in der Tat zwölf verschiedene geistige Wesenheiten
unterschieden, welche die Diener sind — auf der einen
Seite sechs beziehungsweise sieben des Ormuzd, auf der
andern Seite sechs beziehungsweise fünf des Ahriman, die
dann symbolisiert werden als gute oder böse Genien
oder Untergeister, Amesha-Spentas, je nachdem die Sonne
von den hellen oder von den dunklen Tierkreisbildern strahlt.
Diese dienenden Geister des Ormuzd meinte zum Beispiel auch
Goethe, als er im Anfang des «Faust», im
«Prolog im Hirnmel» sagte:
Doch ihr, die echten Göttersöhne,
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!
Das
Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und
was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
An
dasselbe noch, an was Zarathustra bei seinen Amshaspands
dachte, dachte Goethe bei seinen «echten
Göttersöhnen», welche die Diener sind der
höchsten göttlichen Macht. Zwölf solcher Genien
haben wir zu verzeichnen, die wir als die Amshaspands zu nennen
haben. Unter diesen stehen wieder andere geistige Machte oder
Kräfte, und zwar unterscheidet man gewöhnlich als
unter ihnen stehend im Zarathustrismus achtundzwanzig. Aber die
Zahl ist nie so ganz bestimmt; man könnte sagen
vierundzwanzig bis achtundzwanzig oder einunddreißig
«Yazatas» oder «Izeds». Was sind dies
für Wesenheiten? Wenn wir uns die großen Kräfte,
die durch den Raum wirken, in der Zwölfzahl denken
als die Amshaspands, dann sind wieder die dienenden
Kräfte, die hinter den niederen Naturwirkungen stehen, die
Kräfte der Izeds, achtundzwanzig bis einunddreißig
etwa. Und als eine dritte Gattung solcher geistiger Kräfte
oder Mächte nennt dann der Zarathustrismus die
«Fravashis». Diese Kräfte sind sozusagen die in
unserem Sinne am wenigsten in die körperliche Welt
eingreifenden. Während wir uns vorzustellen haben,
daß in alledem, was physische Lichtwirkungen auf unserer
Erde sind, die zwölf Kräfte wirksam sind, hinter
denen die Amshaspands stehen, und wir uns hinter den Izeds
Kräfte zu denken haben, die ins Tierreich hineinwirken,
haben wir uns unter den Fravashis nur solche geistigen
Wesenheiten vorzustellen, welche die Gruppenseelen der Tiere
lenken. So sieht der Zarathustrismus ein spezialisiertes Reich
hinter der Sinneswelt als übersinnliches Reich.
Was
Zarathustra so-nicht in einer allgemeinen, abstrakten
Weise, sondern ganz konkret — als die Welt
durchorganisierend denkt: Ormuzd und Ahriman, hinter
ihnen Zaruana akarana, dann die Amshaspands, die guten und die
bösen, dann die Izeds, die Fravashis — was sind sie?
Sie sind das, was die große Welt, den Makrokosmos,
durchgeistigt, was hinter allen sinnlich-physischen
Wirkungen steht, was das Wesenhafte ist hinter dem, was uns
scheinbar bloß als äußeres Sinnliches
erscheint. Der Mensch aber, wie er dasteht in der Welt, ist ein
Abbild dieser großen Welt. Und in ihm muß sich daher
alles finden, was die große Welt durchkraftet. Wie wir in
den nach Vollkommenheit strebenden Kräften den
Ausdruck des Ormuzd im Menschen, in den ungeläuterten
Kräften den Ausdruck des Ahriman im Menschen gefunden
haben, so werden wir auch für die anderen geistigen
Wesenheiten, gleichsam für die Untergenien, den Ausdruck
finden. Jetzt muß ich allerdings etwas sagen, was in
unserer heutigen Zeit bei dem gegenwärtigen Stande unserer
Weltanschauungen geeignet ist, unendliches Ärgernis zu
erregen. Aber es wird sich schon in einer gar nicht so weiten
Zukunft auch für die äußere Wissenschaft zeigen,
daß hinter allem Physischen ein Übersinnliches,
hinter allem Sinnlichen ein Geistiges steht. Dann wird sich
auch zeigen, daß der physische Leib des Menschen in den
gröbsten Teilen ein Abdruck ist von dem, was die ganze
Welt durchwebt und durchlebt und in den physischen Leib des
Menschen hereinströmt, um sich gleichsam im Menschen zu
verdichten. Und wenn wir uns jetzt auf die
Zarathustra-Vorstellung berufen, die der
geisteswissenschaftlichen sehr nahe steht, so können
wir sagen: Draußen wirken Ormuzd und Ahriman; sie wirken
herein in den Menschen — und zwar Ormuzd als die Impulse
zum Vollkommenen, Ahriman als alles, was diese
aufhält. Aber auch die Amshaspands wirken herein, schicken
herein ihre geistige Wirksamkeit. Denken wir uns diese im
Menschen gleichsam verdichtet, so müßten sie sich
nachweisen lassen bis in die physische Wirksamkeit hinein.
Zur
Zeit Zarathustras gab es noch keine Anatomie im heutigen Sinne.
Da sahen Zarathustra und seine Schüler durch ihre geistige
Anschauung die Strömungen wirklich, von denen wir heute
gesprochen haben, die als zwölf Ströme von der
großen Welt auf den Menschen zufließen und sich in
den Menschen hinein fortsetzen, so daß uns in der Tat das
menschliche Haupt als der Ausdruck dessen erscheint, daß
in den Menschen hereinströmen die Kräfte der sieben
guten und der fünf bösen Amshaspands-Strömungen.
Da drinnen im Menschen sind die Fortsetzungen der Ströme
der Amshaspands. Wie geben sie sich heute kund einer viel
späteren Zeit? Heute deckt der Anatom zwölf
Hauptpaare von Gehirnnerven auf, die vom Gehirn aus in den Leib
gehen. Das sind die physischen Gegenbilder, gleichsam die
zwölf gefrorenen Strömungen der Amshaspands,
zwölf Nervenpaare für die höchste menschliche
Tätigkeit, durch die der Mensch zu den höchsten
Vollkommenheiten wie auch zum ärgsten Bösen
kommen kann. Da sehen wir, wie in unserm Zeitalter —
materialistisch umgestaltet — das wiedererscheint,
was Zarathustra seinen Schülern aus der geistigen Welt
heraus gesagt hat. Das ist das Ärgerliche, und leicht wird
es für einen heutigen Menschen, zu sagen: Da predigt die
Geisteswissenschaft das ganz Phantastische, daß
Zarathustra mit den zwölf Amshaspands etwas gemeint habe,
was mit den zwölf Nervenpaaren im menschlichen Kopfe
zusammenhängen soll! Aber die Welt wird noch etwas ganz
anderes erfahren: sie wird erfahren, wie sich in den Menschen
hinein fortsetzt, was die ganze Welt durchwebt und durchlebt.
In unserer Physiologie steht der alte Zarathustrismus
wieder auf! Und wie die achtundzwanzig bis einunddreißig
Izeds unter den Amshaspands stehen, so stehen die
achtundzwanzig Rückenmarksnervenpaare unter den
Gehirnnerven. In den Rückenmarksnerven, die das
niedere Seelenleben des Menschen anregen, schaffen die Izeds,
die als geistige Strömungen draußen vorhanden sind;
sie wirken in uns herein, kristallisieren sich gleichsam
in den achtundzwanzig Rückenmarksnerven, denn in
denselben haben wir die verdichteten Izeds-Strömungen. Und
in dem, was nicht mehr Nerv ist, was uns zur
Persönlichkeit abrundet, haben wir das, was nun nicht mehr
in einer äußeren Strömung, in einer
äußeren Richtung sich auslebt: was die
Fravashis sind, das sind in uns die Gedanken, die sich
über das bloße Gedanken- und Gehirnleben erheben.
Es
ist damit in der Tat in einer ganz eigenartigen Weise unsere
Zeit wieder verknüpft mit dem, was Zarathustra —
allerdings in seinem geistigen Urbilde — den Menschen hat
geben können als eine Strömung nach dem, was hinter
dem Teppich der Sinneswelt ausgebreitet liegt. Das ist nun das
ganz Bedeutsame der Zarathustra-Lehre. Nachdem sie eine lange
Zeit hindurch durch diese oder jene Kulturfermente sich immer
wieder und wieder in die weiterstrebenden Menschen
hineinergossen hat und dann eine Weile
zurückgegangen ist, ist es so gekommen, daß es
in der Tat — wie man immer, nachdem im Griechentum sich
die beiden Wege in die geistige Welt vereinigt hatten, eine
Vorliebe für die mystische oder für die
geisteswissenschaftliche Strömung hatte — heute
wieder eine Vorliebe für eine mystische
Strömung gibt. Daher die Vorliebe mancher für
eine indische Geisteswissenschaft oder Vertiefung. Diese
Tatsache hat es mit sich gebracht, daß das Wesentlichste,
das Tiefbedeutsamste des Zarathustrismus — sein
eigentlicher Lebensnerv — heute in unserem ganzen
Geistesleben kaum bemerkt wird. Vieles von zarathustrischer
Anschauungsweise und zarathustrischem Denken wird sich ja auch
heute in unserem Geistesleben finden. Aber etwas, was als
ein Grundnerv, als das Gesündeste in ihm liegt, ist in
einer gewissen Weise unserem Zeitalter verlorengegangen.
Und wenn man wieder verstehen wird, wie der Zarathustrismus das
geistige Urbild ist für alles, was wir auf dem
Gebiete der physischen Forschung — Unzähliges
könnte von ihr angeführt werden — wiederfinden
und was sich weiter einleben wird, dann wird ein Grundton in
unserer Kultur glücklich überwunden werden
durch einen anderen, der sich eben im Zarathustrismus
findet.
Es
ist merkwürdig, wie im Zarathustrismus durch seine
Hingebung an die großen Erscheinungen des
Makrokosmischen, der äußeren Welt, etwas
zurücktritt, was fast in allen anderen, sich mehr an die
Mystik anschließenden Kulturströmungen eine
bedeutende Rolle spielt, auch in unserm Materialismus. Man
faßte den großen Gegensatz, der in der Welt doch
immer wieder vorhanden war, so auf, daß man als Symbol
dafür den Gegensatz des Geschlechtlichen — des
Männlichen und des Weiblichen — nahm: so zum
Beispiel indem man in den alten Religionssystemen, die auf
mystischem Boden fußen, den Göttern Göttinnen
entgegenstellte für das, was als ein Gegensatz die Welt
durchströmt. Im Zarathustrismus haben wir das
Wunderbare, daß er sich erhebt über diese
Anschauung, um die Urgründe der geistigen Wirksamkeit in
einem andern Bilde sich zu denken: in dem Bilde des Guten, des
Lichtvollen und des Bösen, des Schattenhaften. Daher die
ungeheure Keuschheit des Zarathustrismus, die Erhabenheit, das
Hinausgehen über alle die Vorstellungen und
Anschauungen, die wieder in unserer Zeit eine so
häßliche Rolle spielen, wenn man glaubt, die
Anschauung des Menschen über das geistige Leben vertiefen
zu können. Wenn auch selbst noch die griechischen
Schriftsteller sagen: es mußte die höchste Gottheit,
um Ormuzd zu schaffen, auch Ahriman schaffen, damit er einen
Gegensatz hätte, so ist doch, indem Ahriman sich dem
Ormuzd entgegenstellt, damit etwas gegeben, wie sich eine
Urkraft der anderen entgegenstellt; was selbst noch im
Hebräischen zum Ausdruck kommt, indem das Böse durch
das Weib — durch Eva — in die Welt getreten ist.
Nichts von dem, was die Welt durchlebt als das Böse, das
durch einen Geschlechtsgegensatz in die Welt kommt, ist im
Zarathustrismus zu finden. Was heute so häßlich bis
in die Tagesliteratur unser ganzes Denken und Fühlen
durchströmt, was vieles so verhäßlicht in bezug
auf den Hauptwert bei Krankheits- und Gesundheitserscheinungen
und was doch nicht die Hauptsachen des Lebens enthält, das
wird überwunden werden, wenn der Gegensatz von Ormuzd und
Ahriman, der ein ganz anderer — ein
heroischer gegenüber dem
spießbürgerlichen ist, sich einmal als ein Ferment
mit den Worten des Zarathustrismus in unsere Kultur
einleben wird. Die Dinge gehen in der Welt ihren Weg —
und nichts wird den Siegeslauf der Zarathustra-Anschauung
aufhalten, die sich ja nach und nach auch einleben wird.
Wenn wir Zarathustra so betrachten, sehen wir in ihm in der Tat
einen Geist, der in einer längst vergangenen Zeit der
Menschheitskultur mächtige Impulse gegeben hat. Denn man
braucht nur das, was erlebt worden ist in Vorderasien in den
späteren Zeiten der Völker der Assyrer, Babylonier
bis in die ägyptische Zeit, ja bis in die Zeit, wo sich
das Christentum ausgebreitet hat, zu verfolgen: überall
wird man etwas an Vorstellungen finden, das sich
zurückverfolgen und in seinem Ursprung sich
aufweisen läßt in den großen Lichtern, die
Zarathustra der Menschheit angesteckt hat. Wir werden es
begreiflich finden, wenn der griechische Schriftsteller, der
ausdrücken wollte, wie einzelne Führer ihren
Völkerschaften immer den späteren Anteil gegeben
haben, den diese Völker an der Kultur brauchen, darauf
hinwies: als Pythagoras von den Vorfahren lernte, was
auf ihn übergehen konnte — von den Ägyptern die
Geometrie, von den Phöniziern die Arithmetik, von den
Chaldäern die Astronomie —, da mußte er zu den
Nachfolgern des Zarathustra gehen, um von ihnen die
geheimnisvollen Lehren des Verhältnisses der
Menschheit zur geistigen Welt und einer wahren
Lebensführung zu lernen. Damit ist von dem Schriftsteller,
der uns das von Pythagoras sagt, konstatiert, daß
die Zarathustra-Lebensführung über alle anderen
Gegensätze hinausführt und alle die anderen
Gegensätze gipfeln läßt in dem einen
Gegensatz von Gut und Böse, — ein Gegensatz,
welcher nur seine Überbrückung in der Läuterung
von dem Bösen, von Lug und Trug findet. Es wird zum
Beispiel als schlimmster Gegner des Ormuzd derjenige angesehen,
der mit dem Namen «Verleumdung» bezeichnet wird: das
ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Ahriman. Damit wird
von dem griechischen Schriftsteller darauf hingewiesen,
wie Pythagoras das reinste Sittenideal, das Ideal für die
moralische Läuterung des Menschen, weder finden konnte bei
den Ägyptern, von denen er die Geometrie lernen konnte,
noch bei den Phöniziern, von denen er die Arithmetik
lernen konnte, und auch nicht bei den Chaldäern, von denen
er die Astronomie 1ernen konnte, sondern wie er zu den
Nachfolgern des Zarathustra gehen mußte, um eine heroische
Weltanschauung zu haben, die ernst anerkennt die
Überwindung des Bösen in der Läuterung. Damit
war also der hohe Adel und die Einzigkeit des Zarathustrismus
schon im Altertum anerkannt
Alles, was jetzt gesagt worden ist, könnte auch durch
Aussprüche aus der äußeren Geschichte belegt
werden. So sollten die Menschen nachdenken, ob es stimmt, was
die Vertreter der äußeren Wissenschaft sagen, wenn
zum Beispiel Plutarch erwähnt, daß es im
Sinne des Zarathustrismus liegt, als Leiblichkeit für die
höchste für die Erde in Betracht kommende Wesenheit
das Licht anzusehen, und daß ihr Geistiges als die
Wahrheit erscheint. Da gibt einer der alten
Schriftsteller eine Definition, die ganz genau mit dem
übereinstimmt, was jetzt ausgedrückt ist. Aber auch
die historischen Erscheinungen werden klar werden, wenn wir in
Betracht ziehen, was jetzt charakterisiert worden ist.
Sehen wir da noch einmal auf die altvedische Anschauung.
Sie beruhte auf einem mystischen Hinuntertauchen in das eigene
Innere. Bevor der Mensch zum inneren Licht des Brahman kommt,
trifft er auf das, was innerlich an Begierden,
Leidenschaften, an wilden, halbmenschlichen Impulsen
entgegensteht der Vertiefung in das eigentliche
Geistig-Seelische, in das ewig Innere. Durch das muß der
Mensch durch. Der Inder kam zu der Anschauung, daß er nur
zu dem inneren Licht kommt, wenn es ihm wirklich in der
mystischen Versenkung gelingt, mit Brahman alles
auszulöschen, was man in der Sinneswelt erlebt, was uns in
den Farben und Tönen reizt und sinnliche Begierden erregt.
Solange das noch in unsere Meditation hereinspielt, solange
haben wir den Gegner unserer mystischen Vervollkommnung
in uns. Werft alles heraus, so hätte der indische
Lehrer gesagt, was aus den äußeren Mächten in
die Seele hereinkommen kann, vertieft euch nur in das Innere
der Seele, steigt zu den Devas herunter; da werdet ihr, wenn
ihr auch die niederen Devas zu überwinden habt, im Reiche
der Devas Brahman finden. Aber meidet das Reich der Asuras, der
Wesenheiten, die aus der Welt der Maja, der äußeren
Welt, an euch her andringen. Das muß unter allen
Umständen gemieden werden! — Zarathustra dagegen
mußte seinen Schülern sagen: Auf dem Wege, auf dem im
Süden die Anhänger eines anderen Volkstumes durch
ihre andersgeartete Organisation das Geistige suchen, kann ein
Volk nicht vorwärtskommen, das nicht bloß zum
übersinnlichen Brüten und Träumen berufen ist,
sondern zum Leben in einer Welt, die reichlich alles, was zum
Lebensunterhalt nötig ist, hergibt, — das dazu
berufen ist, der Menschheit die Künste des
Ackerbaues und die Überwindung der Unkultur zu geben. Ihr
dürft nicht bloß das Äußere als Maja
ansehen, sondern durch den Teppich, der sich in Farben
und Tönen und so weiter um uns ausbreitet, müßt
ihr durch! Alles daher, was in eurem Innern euch selbst in
eurem Egoismus halten will, alles, was Deva-Charakter hat, das
meidet! Ihr müßt durch das Reich der niederen Asuras
bis zu den höchsten Asuras empordringen. Und da ihr dazu
organisiert seid, durch die niederen Asuras hindurch zu
den höheren Asuras zu kommen, so müßt ihr das
Reich der Devas meiden! — In Indien dagegen war die Lehre
der Rishis: Ihr seid nicht dazu organisiert, das zu suchen, was
in den Reichen der Asuras ist; meidet das Reich der Asuras; in
das Reich der Devas müßt ihr
hinunterkommen!»
So
ist der Gegensatz zwischen der indischen und der
persischen Kultur: bei den Indern der Hinweis darauf, wie
man die Asuras zu meiden hat, wie dies böse Geister sind,
denn man kannte nur vermöge der indischen Organisation die
niederen Asuras. Bei dem persischen Volke dagegen, wo man nur
die niederen Devas im Reiche der Devas finden konnte, sagte
man: Geht in das Reith der Asuras. Ihr seid so organisiert,
daß ihr die Höchsten der Asuras finden könnt!
— Es lag in dem, was Zarathustra als Impuls seiner
Menschheit gab, die Stimmung: Ich habe der Menschheit etwas zu
geben, was fortwirken muß durch alle Zeiten, was der
Menschheit den Weg nach oben ebnet und alle Irrlehre
überwindet, die ein Hindernis ist und die Menschen
abzieht von dem Vollkommenheitsstreben! — Daher
empfand sich Zarathustra als der Diener des Ahura Mazdao und
empfand selber als solcher Diener des Ahura Mazdao die
Gegnerschaft des Ahriman. Seine Lehre aber sollte der
Menschheit dazu dienen, zur heroischen Überwindung alles
Ahriman-Prinzips zu kommen. Das sprach Zarathustra mit den
bedeutungsvollen Worten aus, die wir dann auch noch in den
späteren Schriften finden, denn alles Schriftliehe
ist ja erst später aufgezeichnet, — was die
Geisteswissenschaft aber zu sagen hat, hat sie aus andern
Quellen-, sprach er aus mit dem schönen Wort, aus dem uns
der ganze innere Impuls seiner Mission herausklingt; die ganze
Leidenschaft aber auch klingt uns da heraus, mit der er sich
als Gegner des Ahriman- oder Finsternis-Prinzipes fühlte,
wenn er sagt: «Ich will reden! Nun kommt und hört mir
zu, ihr, die ihr von fern — ihr, die ihr von nah darnach
Verlangen tragt, und merket alles genau. Denn nicht mehr soll
besiegen er, der böse Feind und Irrlehrer, den guten
Geist; solange hat er schon durchdrungen mit seinem
schlimmen Hauch des Menschen Stimme und Rede. Ich aber
will reden ihm entgegen im Sinne dessen, was das Höchste,
das Erste mir sagt, was Ahura Mazdao mir sagt. Und wer nicht
hören will meine Worte, wie ich sie sage, wie ich sie
meine, der wird Schlimmes erfahren, bevor der Erdenzyklen Ende
gekommen ist!»
So
spricht Zarathustra. Und wir wollen darin empfinden, daß
er der Menschheit etwas sagen konnte, was wirklich gespürt
und empfunden werden kann durch alle späteren
Kulturepochen. Und wer einen Sinn hat, hinzuhorchen auf das,
was in unserer Zeit lebt, wenn auch nur schwach
wahrnehmbar, wer mit geistigem Sinne unsere Kultur
belauscht, dem wird noch immer der Nachklang dessen wahrnehmbar
sein, was vor Jahrtausenden Zarathustra der Menschheit gesagt
hat. Und so wird er einer von denjenigen sein, denen
gegenüber das, was wir — auch in bezug auf vieles
noch, was wir über Hermes, Buddha, Moses und andere
große Führer noch hören werden — über
die Gaben dieser großen Führer für die
Menschheit und ihre Stellung innerhalb der Menschheit sagen
können, sich zusammenfassen läßt in die
Worte:
Es leuchten gleich Sternen
Am Himmel des ewigen Seins
Die gottgesandten Geister.
Gelingen mög' es allen Menschenseelen,
Im Reich des Erdenseins
Zu schauen ihrer Flammen Licht!
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