SEELENUNSTERBLICHKEIT, SCHICKSALSKRÄFTE UND
MENSCHLICHER LEBENSLAUF
Berlin, 1. März 1917
Was
es schwer macht, der Geisteswissenschaft, so wie sie hier
gemeint ist, mit dem vollen Verständnis nahezukommen, das
ist, daß sie nicht nur in anderer Weise als das
gewöhnliche Bewußtsein denken muß über
gewisse Lebensrätsel — über
Lebensrätsel, von denen sehr viele Menschen glauben,
daß sie dem menschlichen Erkennen überhaupt nicht
zugänglich seien, manche sogar, daß sie
außerhalb des Wirklichen liegen ~, sondern daß sie zu
einem Denken kommt, das in seiner Art, in seiner ganzen Form
anders ist als das Denken des gewöhnlichen
Bewußtseins. Zu einem Denken kommt Geisteswissenschaft,
das in der Art, wie das in den beiden letzten Vorträgen,
die ich hier gehalten habe, angedeutet worden ist, erst aus dem
gewöhnlichen Bewußtsein heraus entfaltet werden
muß, wie die Blüte aus der Pflanze, die noch nicht
blüht, entfaltet werden muß. Man kann aber sagen,
daß die Entwickelung der menschlichen Geisteskultur im
neunzehnten Jahrhundert und bis in unsere Zeit herein zu vielen
Ideen und Vorstellungen gekommen ist, welche auf dem Wege sind
zu dieser Geisteswissenschaft. Wenn auch die entsprechenden
Bestrebungen innerhalb der neuzeitlichen Geistesentwickelung
von dieser Geisteswissenschaft radikal abweichen, so erheben
sie doch Forderungen für die Erkenntnis gewisser
Lebensrätsel und Welträtsel, welche sich auf dem Wege
nach der Geisteswissenschaft hin bewegen. Und da darf
insbesondere auf eine Idee hingewiesen werden, welche innerhalb
gewisser Kreise, nicht nur derjenigen Kreise, in denen sie
Eduard von Hartmann, der bekannte Philosoph,
populär gemacht hat, sondern auch innerhalb anderer
wissenschaftlicher Kreise in der letzten Zeit viel gepflogen
worden ist, ich meine die Idee, die Vorstellung des
Unbewußten oder auch, wie man vielleicht besser sagen
würde: des Unterbewußten im menschlichen Seelenleben.
Sehen wir, was eigentlich mit diesem Unbewußten oder
Unterbewußten gemeint ist. Wenn es auch die
verschiedensten Leute in der verschiedensten Weise ausdeuten,
zuletzt kommt das Gemeinte doch darauf hinaus, daß in den
Tiefen der Menschenseele etwas ruht, was seinem Wesen nach
eigentlich die Grundlage dieser Menschenseele ausmacht, was
aber nicht mit dem gewöhnlichen Bewußtsein des Tages,
auch nicht mit dem gewöhnlichen Bewußtsein der
Wissenschaft erreicht werden kann. So daß man also sagen
kann: Diejenigen, die vom Unterbewußten oder
Unbewußten in der menschlichen Seele sprechen, die
sprechen so davon, daß man sieht, sie sind überzeugt,
daß das eigentliche Wesen der Seele mit alledem nicht
erfaßt werden kann, was der Mensch in seinem
gewöhnlichen Denken, Empfinden, in dem Durchdringen seiner
Willensimpulse in das alltägliche und auch in das
gewöhnliche wissenschaftliche Bewußtsein
hereinbringen kann. Man kann sagen, soweit, wie diese
Vorstellung hier eben charakterisiert worden ist, kann
Geisteswissenschaft mit ihr im Grunde genommen
übereinstimmen. Allein es ist schon einmal das Schicksal
der Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist, daß sie mit
mancherlei Weltanschauungsrichtungen von einem gewissen
Gesichtspunkte aus übereinstimmen muß, daß sie
aber gerade die Wege, welche diese Weltanschauungsrichtungen
andeuten, in einer anderen Weise einschlagen muß, als
diese es tun. Und da kommen wir gleich auf etwas, was nun die
Vertreter des Unterbewußten oder Unbewußten meinen,
worin sich aber die Geisteswissenschaft von ihnen
grundsätzlich unterscheiden muß. Diese Vertreter des
Unbewußten meinen, das, was so unbewußt für das
gewöhnliche Bewußtsein unten in den Tiefen der Seele
ruht und das eigentliche Wesen der Menschenseele ausmacht, das
müsse auch unter allen Umständen unterbewußt
oder unbewußt bleiben, das könne nie
heraufrücken in das gewöhnliche Bewußtsein.
Daher ist auch Eduard von Hartmann, der, wie gesagt, das
Unbewußte am meisten populär gemacht hat im letzten
halben Jahrhundert, der Anschauung, daß man durch
unmittelbares Wissen, durch Erleben, durch Beobachten über
das Wesen der Seele ebensowenig wie über das Wesen der
Natur selber etwas erfahren könne. Er meint, daß man
auf das Unbewußte oder Unterbewußte nur
schließen kann, über dasselbe nur Hypothesen
aufstellen kann, daß man aus den Beobachtungen, die sich
aus der gewöhnlichen Welt ergeben, aus den Erlebnissen des
Alltags oder der Wissenschaft solche Schlüsse ziehen
könne, und dann hypothetisch sich Vorstellungen bilden
könne, wie es in der Welt des Unbewußten oder
Unterbewußten aussieht. In diesem Punkte kann
Geisteswissenschaft nicht mitgehen. Und daß sie das nicht
kann, das werden diejenigen verehrten Zuhörer, die bei den
letzten Vorträgen waren, aus ihnen haben entnehmen
können. Denn es wurde da charakterisiert, wie
Geisteswissenschaft gerade zu der Erkenntnis kommt, daß
allerdings dieses Unbewußte oder Unterbewußte
für das gewöhnliche Wissen unten ruht in den Tiefen
der Seele, daß es aber unter gewissen Umständen
heraufgeholt werden kann. Es kann heraufgeholt werden, wenn
dasjenige Bewußtsein zur Entwicklung kommt im Menschen,
das man, wie ich gezeigt habe in meinem Buche «Vom
Menschenrätsel», das schauende Bewußtsein nennen
kann, in weiterer Ausbildung des Goethe-Wortes
«anschauende Urteilskraft». Goethe hat mit diesem
Worte über die «anschauende Urteilskraft» eine
bedeutungsvolle, eine schwerwiegende Anregung gegeben. Diese
Anregung konnte in seiner Zeit einfach deshalb, weil die
Geisteswissenschaft nicht so weit war wie jetzt, nicht voll
ausgebildet werden. Aber Geisteswissenschaft betrachtet es als
ihre Aufgabe, nicht im Nebulosen, im Schwärmerischen
allerlei Phantasiegebilde zu erzeugen, sondern auf ernstem
wissenschaftlichem Boden gerade das auszubilden, wozu Goethe
die Anregung mit seinem sehr bedeutungsvollen Worte von der
anschauenden Urteilskraft gegeben hat. Die Art und Weise, wie
die menschliche Seele zu dieser anschauenden Urteilskraft oder
zum schauenden Bewußtsein kommt, ist ausgeführt in
meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der
höheren Welten?» oder in anderen meiner Bücher,
auf die ich hier verweisen muß. Das aber, was dieser
anschauenden Urteilskraft zugrunde liegt, wird von einem
gewissen Gesichtspunkte aus, hoffe ich, insbesondere im
heutigen Vortrag zum Vorschein kommen.
Ist
Geisteswissenschaft so genötigt, die Wege, welche die
Vertreter des Unbewußten einschlagen wollen, auf andere
Weise als sie selber zu gehen, so ist sie auf der anderen Seite
in vollem Einklänge gerade mit den naturwissenschaftlichen
Ergebnissen der neueren Zeit. Und auch da ist sie in der Lage,
den Weg, den diese naturwissenschaftliche Forschung
einschlägt, nun wiederum in einer anderen Weise zu gehen
als diese selber; gerade deshalb in einer anderen Weise zu
gehen, weil sie mehr in Übereinstimmung mit der
Naturwissenschaft ist, als die naturwissenschaftliche
Anschauung oftmals mit sich selbst.
Was
nun die Frage des eigentlichen Seelenwesens betrifft, so geht
ja die naturwissenschaftliche Auffassung dahin, daß dieses
Seelenwesen, wie es der Mensch erlebt in seinem
gewöhnlichen Bewußtsein, durchaus abhängig ist
von der menschlichen Leibesorganisation. Und ich habe es hier
oftmals angedeutet, daß es ein vergebliches Bemühen
wäre, sich von irgendeinem Standpunkte aus gegen diese
Anschauung der Abhängigkeit des Seelenlebens, wie es der
Mensch erfährt, von der Leibesorganisation zu wehren.
Nichts scheint klarer, wenn auch die Naturforschung auf diesem
Wege noch vieles wird durchzumachen haben, als daß sie in
feiner Weise, wenn auch die Hauptsachen längst bekannt
waren, dargelegt hat, wie der Verlauf des ganzen menschlichen
Lebens klar zeigt diese Abhängigkeit der Seele in
ihrer Entwickelung von der Leibesorganisation. Man braucht
— und es könnte auf viele feinere Tatsachen
hingewiesen werden — nur zu sehen, wie von der Kindheit
an der Mensch sich organisch als Lebewesen entwickelt, und wie
mit dieser Entwickelung ganz parallel geht die seelische
Entwickelung, wie mit der Ausbildung der Organe, welche die
Naturwissenschaft mit einem gewissen Rechte zuschreibt dem
Seelenleben als dessen Werkzeuge, auch dieses Seelenleben
wächst. Und wenn man die Tatsache hinzunimmt, daß
durch die Untergrabung der Gesundheit oder des
organischen Zusammenhanges gewisser Leibesteile das Seelenleben
untergraben wird, so ergibt sich aus dem allem, wie recht die
naturwissenschaftliche Weltanschauung auf diesem Gebiet hat.
Sie kann uns außerdem auch zeigen, wie wiederum mit der
allmählichen Abnahme der Kräfte, welche den
menschlichen Leib durchdringen, mit dem Altern, diese
Seelenkräfte genau parallel der Leibesorganisation
zurückgehen. Gegen diese Anschauung, die von der
naturwissenschaftlichen Weltanschauung vorgebracht wird, konnte
im Grunde genommen nur der Dilettantismus irgendeinen Einwand
machen. Diejenigen, welche glauben, daß
Geisteswissenschaft nicht rechne mit den Ergebnissen der
Naturwissenschaft, die beurteilen eben nicht diese
Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, an sich selbst,
sondern das falsche Bild, das sie sich aus ihrer Phantasie von
ihr zimmern, und das sie dann wenig übereinstimmend finden
mit den ihnen mit Recht wahr scheinenden
naturwissenschaftlichen Ergebnissen der neueren Zeit. So steht
Geisteswissenschaft durchaus auf dem Boden der
naturwissenschaftlichen Ergebnisse. Aber hinzufügen
möchte ich zu dem, daß Geisteswissenschaft in einem
noch viel tieferen Sinne gerade durch ihre Erkenntnisse mit
diesen Ergebnissen im Einklang steht, als das die
Naturwissenschaft selber ausführen kann. Das kann sich
insbesondere zeigen, wenn man zu einer Seelenerlebensrichtung
blickt, welche von vielen Menschen verwechselt wird mit dem,
was hier als Geisteswissenschaft gemeint ist. Alle
möglichen unklaren mystischen Vorstellungsarten und
Erlebnisse der Menschen müssen ja aufrücken, wenn man
Geisteswissenschaft kritisiert, und man verwechselt dann diese
Geisteswissenschaft mit diesen unklaren, verworrenen mystischen
Schwärmereien.
Wenn man sich gerade vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft
eingehender namentlich beschäftigt mit dem, was durch die
verschiedenen Zeitalter Mystik genannt worden ist, so zeigt
sich — nicht bei allem, aber bei vielem — etwas
sehr Bemerkenswertes. Man kann zu den geschätztesten
Mystikern kommen und bei ihnen klar sehen, wie die neuere
naturwissenschaftliche Weltanschauung recht hat, wenn sie
diesen mystischen Bestrebungen oftmals keinen sehr großen
Erkenntniswert für die eigentlichen Seelen-und
Menschheitsrätsel beilegt. Interessant,
außerordentlich anziehend ist gewiß dasjenige, wenn
man es richtig betrachtet, was Mystiker erlebt haben. Und nicht
gegen das Studium, gegen die objektive, gute Betrachtung der
mystischen Erlebnisse verschiedener Zeiten soll hier etwas
eingewendet werden, sondern mehr gegen das Prinzipielle der
Sache; das soll einfach charakterisiert werden. Mystiker
versuchen, was ja wiederum ein richtiger Weg auch im Sinne der
Geisteswissenschaft ist, wie ich sie eben vorhin
charakterisierte, durch das, was sie nennen «Vereinigung
der Seele mit dem Weltengeiste oder mit dem
Göttlichen» — wie man es eben bezeichnen will
—, ein tieferes Erleben durchzumachen, ein solches
Erleben, das sie hinwegführt über die
äußere sinnliche Wirklichkeit, sie eins sein
läßt mit dem Geistig-Göttlichen, das sie
gewissermaßen aus dem Vergänglichen in die
Sphäre des Ewigen hineinhebt. Aber wie versuchen sie das
zumeist? Nun, wenn man wirklich die mystische Entwickelung
studiert, so findet man: Sie versuchen es auf dem Wege,
daß sie das gewöhnliche alltägliche
Bewußtsein verfeinern, daß sie es in einer gewissen
Weise auch vertiefen, durchwärmen, durchglühen mit
allerlei Innerlichkeit, aber daß sie doch bei diesem
gewöhnlichen Bewußtsein verbleiben. Nun weiß
Geisteswissenschaft gerade aus ihren Erkenntnissen, daß
die naturwissenschaftliche Anschauung richtig ist, daß
dieses gewöhnliche, alltägliche Bewußtsein ganz
und gar abhängig ist von seinen Werkzeugen, von dem
Leibesleben. Vertieft man also im mystischen Sinne das
gewöhnliche, das alltägliche Bewußtsein, macht
man es noch so innerlich und fein, aber bleibt man in demselben
stehen, dann erreicht man auch nichts anderes als etwas, was
abhängig ist von der Leibesorganisation. Man kann Mystiker
finden, welche durch hohe poetische Schönheit, durch
wunderbaren Schwung der Phantasie, durch eine merkwürdige
Intuition für allerlei weitabgewandte Dinge das
menschliche Herz erheben und die menschliche Seele erquicken,
daß sie geradezu, ich möchte sagen, durch diese Dinge
einen in Erstaunen versetzen. Aber man muß zuletzt aus
diesem Staunen immer wieder aufwachen mit der Empfindung: ja,
was ist denn das Ganze doch anderes als ein zwar intimeres,
oftmals, möchte man sagen, raffiniertes Vorstellen und
Denken, das an die Leibesorganisation gebunden ist; nur jetzt
nicht so gebunden ist, wie der Mensch im Alltage an sie
gebunden ist, sondern mit feineren, raffinierter ausgebildeten
Kräften der Leibesorganisation im Zusammenhang steht. Man
kann liebenswürdige, achtunggebietende Mystiker finden,
von denen man doch sagen muß: ihre mystischen Erlebnisse
sind nichts anderes als verfeinerte, oder sagen wir,
vergeistigte Leidenschaften, Affekte, Gefühle, die aber
doch ähnlich sind den Leidenschaften, den Affekten, den
Gefühlen des gewöhnlichen Lebens. Solche
Mystiker haben nur ihre Leibesorganisation durch allerlei
asketische Mittel oder durch allerlei Anlagen dahin gebracht,
daß diese Leibesorganisation vielleicht nach ganz anderen
Richtungen hin sich zum Empfinden bringt, als es bei
gewöhnlichen Menschen der Fall ist, aber es ist zum
Schluß doch die Leibesorganisation. Oftmals sieht man den
schwungvollsten Ausführungen und Ergüssen solcher
Mystiker es an, daß sie zwar abgekehrt sind von dem
gewöhnlichen Sinnesleben des Tages, von dem Stehen in der
äußeren Welt, daß sie aber in dieses
Sinnesleben, in das gewöhnliche Leidenschaftsleben und
Affektleben, nur vergeistigend, das hereingebracht haben, was
ihr Vorstellen zu erleben vermag. — Daher wird der
naturwissenschaftlich Denkende mit einem gewissen Recht die
Erlebnisse solcher Mystiker abnorm nennen, weil sie vom
gewöhnlichen Erleben abweichen; er wird sie vielleicht
ungesund nennen, aber er wird recht haben auch damit, daß
er sagt: sie beweisen gar nichts gegen die Abhängigkeit
des menschlichen Seelenlebens von der Leibesorganisation, wenn
es in noch so mystisch-verfeinerter Weise auftritt. Es ist
gewissermaßen die Leibesorganisation nur trainiert worden,
damit das, was sonst in brutaler Sinnlichkeit auftritt, in
geistigen Bildern, in Metaphern, in Symbolen sich in der Seele
äußert, hinter welchen Bildern, Metaphern, Symbolen
der Kenner aber doch nichts anderes als einen verfeinerten
Ausdruck des gewöhnlichen Leidenschaftslebens zu finden
vermag.
Demgegenüber steht nun, was Geisteswissenschaft sagt,
wobei sie mit den Bekennern zum Unterbewußten oder
Unbewußten sich völlig klar darüber ist: Wenn
man das gewöhnliche Bewußtsein auch noch so mystisch
verfeinert, wenn man noch so sehr dieses gewöhnliche
Bewußtsein «vergeistigt» — wie man es
oftmals nennt —, so daß es ein Gefühl der
Vereinigung mit dem Geiste bringt, innerhalb dieses
gewöhnlichen Bewußtseins kommt man nicht in diejenige
Sphäre, die man eigentlich aufsucht, wenn man von
den tieferen Seelenrätseln des Menschen sprechen will.
Namentlich zeigt gerade die geschulte Beobachtung des
Geistesforschers, daß auch alles, was der Mensch im
gewöhnlichen Erleben in seiner Seele haben kann und
bewahren kann, was er zur Erinnerung macht, an die
Leibesorganisation gefesselt ist. So daß mit alledem, was
der Mensch in sich erlebt, wenn er sich in seine Erinnerungen
vertieft, er nicht aus dieser Leibesorganisation herauskommt,
und man darf sagen: Eine wirkliche geisteswissenschaftliche
Selbstbeobachtung zeigt gerade, daß, je treuer von der
Erinnerung die Erlebnisse behalten werden, um so mehr die
Tätigkeit der Erinnerung an diese Leibesorganisation
gebunden ist. — Daher muß die Geisteswissenschaft zu
völlig anderen Methoden greifen, als sie das
gewöhnliche Bewußtsein entwickelt. Selbst wenn dieses
gewöhnliche Bewußtsein eine besondere Treue für
die Erinnerung aufbringt dadurch, daß die
Leibesorganisation gut funktioniert und die Erlebnisse nach
langer Zeit treu wieder heraufgeholt werden können:
Geisteswissenschaft muß andere Methoden einschlagen als
diejenigen, die das gewöhnliche Bewußtsein kennt. Und
ich habe schon auf das, was als Beobachtung gerade des Denkens
sich ergibt, in den letzten Vorträgen hingewiesen und will
das nur von einem anderen Gesichtspunkte aus wiederholen.
Das
gewöhnliche Denken, so sagte ich, ist zwar der
Ausgangspunkt für alles geisteswissenschaftliche Forschen,
und nur der findet diesen Ausgangspunkt, welcher durch eine
wahre Beobachtung dieses Denkens schon sich klarmacht, wie eben
wahr und wirklich ist, daß dieses Denken bereits über
das Sinnlich-Physische hinausführt, daß es selbst
schon ein Geistiges ist. Aber stehenbleiben kann man auf diesem
Punkte nicht. Stehenbleiben kann man nicht dabei, anzuerkennen,
daß dieses Denken, so wie es sich im gewöhnlichen
Leben ergibt, ein Letztes ist. Selbst dann ist es kein Letztes,
wenn es scheinbar am meisten sich vergeistigt hat, nämlich
in den Erinnerungsvorstellungen. Daher sagte ich: Alles
dasjenige, was der Mensch denken, fühlen und wollen kann
im gewöhnlichen Leben, führt nicht zu einer
Erkenntnis des Wesens der Seele, wenn es beobachtet, wenn es
erlebt wird. Vielmehr- das ist nur eine von den vielen
Maßnahmen, die im intimen Seelenleben durchgemacht werden
müssen, andere finden Sie in den genannten Büchern
— muß der Mensch sein Denken so entwickeln, sein
Vorstellen so entfalten, daß er mit seiner
Persönlichkeit, oder sagen wir mit seiner
Subjektivität, nicht mehr bei diesem Denken dabei ist;
denn er ist solange dabei, als das Bewußtsein das
gewöhnliche ist, und da wirkt seine Leibesorganisation
mit. Bringen wir es mit unserem Denken nur so weit, daß
sich Vorstellungen entwickeln und Vorstellungen gesucht werden,
welche behalten werden können und wieder auftauchen, so
bringen wir es doch nur zu dem, was durch die Werkzeuge der
Leibesorganisation zustande kommt. Man muß deshalb, wie
ich mich ausdrückte, dieses Denken so entwickeln, daß
man nicht mehr bei dieser Entwickelung dabei ist. Dazu bedarf
es aber, daß man die Geduld, die Ausdauer hat, nicht zu
glauben, daß die großen Weltenfragen im Handumdrehen
entschieden werden können, daß man jedesmal nur
daranzugehen braucht, um hinter diese Weltenrätsel zu
kommen oder darüber sich eine Meinung zu bilden; dazu
bedarf es etwas ganz anderen. Dazu bedarf es der Geheimnisse
des ganzen menschlichen Lebenslaufes. Es bedarf der Geduld,
solche inneren Methoden auszubilden, deren Leben nicht in einem
Augenblick hereingenommen werden kann, sondern die sich nur
entwickeln können, wenn man sie der Entwickelung, die sie
im Laufe des menschlichen Lebens erfahren können,
überläßt.
Ich
habe angedeutet, daß man dies «meditatives
Leben» nennt, wenn man gewisse Vorstellungen, am besten
solche, die man genau überschauen kann, damit nur ja nicht
irgendwelche unbewußte oder sonstige Reminiszenzen des
Lebens dabei auftauchen, in seine Seele, in sein
Bewußtsein hereinbringt, diese Vorstellungen wirklich nach
allen Seiten mit ruhendem Bewußtsein durchlebt. Wenn man
nun nicht bloß beobachtet, wie im gewöhnlichen
Bewußtsein diese Vorstellungen, so wie sie sind, wiederum
in die Erinnerung hereingebracht werden können, nicht
bloß darauf achtet, wie sie, wie man sagen könnte,
treu ihrer eigenen Gestalt bleiben, sondern wenn man dazu
greift, diese Vorstellungen gewissermaßen aus dem
gewöhnlichen Bewußtsein dadurch herauszulassen,
daß man bei ihrer Entwickelung nicht mehr dabei ist. Man
wird nämlich immer finden, wenn man nur dabei Ausdauer und
Geduld genug hat, daß die Vorstellungen hinabtauchen in
die Untergründe des menschlichen Bewußtseins, wo man,
wie man trivial sagen könnte, nichts mehr von ihnen
weiß; dann wird man erfahren können, wie sie wieder
herauftauchen in die Erinnerung. Mit alledem kann zunächst
die Geistesforschung nichts anfangen. Aber ein anderes findet
statt. Für den, der im Sinne der genannten Bücher
sein inneres Seelenleben entwickelt, zeigt sich, daß die
Vorstellungen, auf denen das Bewußtsein in entsprechender
Weise geruht hat, zwar ebenso wie die anderen nach Monaten,
Jahren wieder herauftauchen als Erinnerung, aber diese
Vorstellungen begegnen ihm so wieder, wie sie gerade eine treue
Erinnerung nicht zeigt, sondern so, daß sie jetzt nicht
sein leibliches, sondern sein seelisches Leben gestaltet haben
so, daß sie es auf einem gewissen Gebiete zu einem anderen
gemacht haben. Diese Vorstellungen tauchen also nicht herauf in
derselben Form, in der wir sie heruntergelassen haben in das
Unterbewußte, sondern sie tauchen herauf und kündigen
sich so an, daß man sich sagen muß: Sie haben nicht
in dem, was dein Persönliches ist, sondern in dem, was
unter dem bewußten Persönlichen ist, gewirkt, sie
haben da ihre Kraft entfaltet und erscheinen jetzt in einer
wesentlich anderen Gestalt. Man kann daher sagen: Wenn sich die
Vorstellung, die man gehabt hat, die man treu behalten hat, die
man treu wiedererweckt hat, wieder begegnet mit dem, was aus
ihr geworden ist, ohne daß wir mit unserem Bewußtsein
dabei waren, mit dem, was sich aus ihr ergeben hat dadurch,
daß sie ohne uns in irgendwelchen Untergründen
gearbeitet hat, so zeigt diese Begegnung der Vorstellung des
gewöhnlichen Bewußtseins mit der Vorstellung, die
heraufrückt aus dem Unterbewußten, diese so
verändert, daß man ihr ihre Wirkungskraft ansieht
für das menschliche Seelenleben. Diese Begegnung zeigt,
wie der Mensch in einem noch völlig anderen Lebensgebiet
drinnensteht als dem der physisch-sinnlichen Wirklichkeit, wie
wirklich in den Untergründen des Seelenlebens ein für
das gewöhnliche Dasein Unbewußtes oder
Unterbewußtes lebt, wie es aber heraufgeholt werden kann
durch entsprechende Methoden, und anders, als dies bei der
gewöhnlichen Erinnerung ist, in das Bewußtsein
hereindringt. Geisteswissenschaft steht also auf dem
Standpunkt, daß durch entsprechende Behandlung unseres
Seelenlebens das Unbewußte in das Bewußte
heraufrücken kann, aber erst heraufrücken soll, wenn
es im Unbewußten seine Arbeit, seine Entfaltung erreicht
hat. Dadurch aber kommt Geisteswissenschaft zu dem, was man das
schauende Bewußtsein nennt. Denn es wird wirklich etwas
durchgemacht, was sich vergleichen läßt mit dem
Übergehen des gewöhnlichen Traumlebens zum wachen
Bewußtsein. Im Traumleben, was erfahren wir da? Wir
erfahren die inneren subjektiven Bilder, die wir, während
wir träumen, für Wirklichkeit halten. Indem wir
aufwachen, wissen wir durch die unmittelbare Berührung mit
der äußeren Wirklichkeit, daß der Traum uns nur
Bilder gebracht hat, und zwar Bilder — das zeigt sich der
genaueren Beobachtung —, die aus unserem organischen
Innern aufsteigen, die zwar dieses organische Innere in
Symbolen zeigen, aber eben aus uns aufsteigen. Und niemand wird
versucht sein zu glauben, daß einem im Traum ein
Bewußtsein davon aufgehen könne, was der Traum
eigentlich ist; niemand kann träumen, was der Traum ist.
Dagegen wenn man aus dem Traum herausrückt ins
gewöhnliche Bewußtsein und vom gewöhnlichen
Bewußtsein aus den Traum sich zu erklären versucht,
so kommt man zu seiner phantastisch-chaotisch-bildhaften Natur.
Ebenso ist es, wenn man in der geschilderten Weise von dem
gewöhnlichen zum schauenden Bewußtsein aufrückt.
Da kommt man, ebenso wie aus dem Traum heraus in die
physisch-sinnliche Wirklichkeit, aus der äußeren
physisch-sinnlichen Wirklichkeit in die — das Wort ist
anfechtbar — höhere, geistige Wirklichkeit. Man
erwacht in eine andere Welt hinein, in eine Welt, die jetzt
ebenso Licht wirft auf die gewöhnliche physisch-sinnliche
Welt, wie die Welt des gewöhnlichen Bewußtseins Licht
wirft auf die Traumeswelt. In dieser Weise gelangt
Geisteswissenschaft dazu, nicht nur anders zu denken über
die Welten- und Seelenrätsel, sondern vor allen Dingen
gelangt sie zu der Erkenntnis, daß, um in die geistigen
Welten einzutreten, erst aus den Tiefen der Seele ein anderes
Bewußtsein herausgeholt werden muß, als das
gewöhnliche Bewußtsein ist. Nun kann ich heute nur
gewisse Ergebnisse und deren Betrachtung herbringen, aber es
ist ja in vielen Vorträgen hier mancherlei
Begründendes über diese Ergebnisse gesagt worden und
es ist in der betreffenden Literatur zu finden.
Schon mit Bezug auf, ich möchte sagen, das
allernächst-liegende Wissenschaftliche muß nun,
ebenso wie sie mit der Naturwissenschaft einverstanden ist,
diese Geisteswissenschaft auch wieder von der bloßen
Naturwissenschaft abweichen. Diese Geisteswissenschaft, so wie
sie heute auftreten will, steht voll auf der Grundlage
desselben wissenschaftlichen Gewissens, derselben
wissenschaftlichen Gesinnung wie die Naturwissenschaft der
neueren Zeit. Aber sie kann nicht bei solchem Denken
stehenbleiben, wie es die Naturwissenschaft entwickelt. Daher
wird, so wie die Dinge heute liegen, der Geisteswissenschaftler
vor allen Dingen dann eine gute Grundlage haben, wenn er sein
Denken, sein Vorstellen, sein Empfinden über die Welt
entwickelt hat an den allerstrengsten naturwissenschaftlichen
Vorstellungen, und diese sind heute diejenigen, die
möglichst viel von Mathematik durchdrungen sind, die
Vorstellungen des Physikalischen, des Chemischen, des
Mechanischen sogar. Es wird einmal anders sein, wenn die
biologischen Wissenschaften, die Physiologie, in ihrer Art
ebensoweit sein werden wie die unorganischen
Naturwissenschaften sind. Allein der Geistesforscher kann nicht
dabei stehen bleiben, so über die Welt zu denken, wie
Naturwissenschaft über die Welt denkt. Er kann nur sein
Denken gewissermaßen in Zucht nehmen, indem er es schult
an dem strengen Denken der Wissenschaft. Und wenn er sich
selbst erzogen hat, ich möchte sagen, sich nichts anderes
im Denken zu gestatten, als was vor der denkerischen Gesinnung
der Naturwissenschaften bestehen kann, so wird er als
geisteswissenschaftlicher Forscher den besten Boden geschaffen
haben. Daher stellt es sich auch heraus, daß diese
Geisteswissenschaft in ihrem Wesen vielfach verglichen werden
muß mit dem, was mit dem Aufschwung der neueren
naturwissenschaftlichen Denkweise eingetreten ist. Ich habe
öfter darauf aufmerksam gemacht, wie mit der
kopernikanischen Weltanschauung die Menschen mit Bezug auf die
äußere Welt haben umdenken lernen müssen, wie
das, was Kopernikus geltend gemacht hat, den Menschen
zunächst absurd erscheinen mußte, weil es ja den
Aussprüchen der äußeren Sinneswelt widersprach.
Wenn gerade gegen Geisteswissenschaft eingewendet wird,
daß sie den Aussagen der äußeren Sinneswelt
widerspricht, dann muß man immer wieder darauf aufmerksam
machen, daß ja gerade zum Beispiel die Astronomie durch
Kopernikus dadurch ihre großen Fortschritte errungen hat,
daß sie nicht bei dem geblieben ist, was die
äußeren Sinne zeigen, sondern daß sie kühn
darüber hinweggeschritten ist, indem sie gerade das, was
die äußeren Sinne zeigen, für Schein genommen
hat. Würde man den inneren Nerv eines solchen Umschwunges
gerade auf naturwissenschaftlichem Gebiet erkennen, dann
würde man viel weniger, wie es heute eben doch noch
durchaus vorkommt, unverständige Einwände gegen
Geisteswissenschaft vorbringen. Aber heute will ich noch einen
anderen Punkt vorbringen, in dem diese Geisteswissenschaft sich
ähnlich erkennen muß dem Fortschreiten der
Naturwissenschaft in der kopernikanishen Weltanschauung.
Kopernikus mußte das Denken über die planetarische
Welt, man möchte sagen, völlig auf den Kopf stellen,
um Rechnung zu tragen dem, dem Rechnung getragen werden
mußte. Hier steht die Erde ruhend, die Sonne kreist herum
— so sagte den Leuten das gewöhnliche sinnliche
Bewußtsein. Wenn auch die kopernikanische Weltanschauung
manche Berichtigung erfahren muß, wenn wir weiterkommen
wollen, können wir nicht so denken, daß wir uns
vorstellen, wie die Erde in dem Mittelpunkt des Planetensystems
steht und die Sonne darum herumkreist; sondern wir müssen
die Tatsache, welche sich als Scheintatsache den Sinnen
darbietet, völlig auf den Kopf stellen: wir müssen
die Sonne in den Mittelpunkt des Planetensystems stellen und
die Planeten um die Sonne herumkreisen lassen. Man weiß,
wie von gewissen Kreisen die kopernikanische Weltanschauung
lange nicht angenommen worden ist. Nur weil sie heute so
gewohnt geworden ist, denkt man nicht mehr nach über das
Groteske, als das sie hat erscheinen müssen vielen
Menschen, denen sie von anderen Gesichtspunkten her vor Augen
getreten ist. Man mußte ja völlig neue Vorstellungen
ausbilden; man mußte sich gewöhnen, andere
Vorstellungen zu haben als diejenigen, die man durch
Jahrhunderte gehabt hatte für das gewöhnliche
Denken.
Nun
ist es auf dem Gebiete der Geisteswissenschaft etwas
schwieriger, das Analoge gerade auf ihrem Gebiet zu
durchschauen, aber eben nur aus dem Grunde, weil sie heute sich
in der Lage befindet, in der sich die kopernikanische
Weltanschauung zur Zeit ihres Auftretens befunden hat. Die
Vorstellungen, die die Geisteswissenschaft entwickeln muß,
sind eben heute ganz ungewohnt, und sie müssen mit Bezug
auf einen gewissen Punkt im menschlichen Seelenleben, ich
möchte sagen, einen ähnlichen Weg machen, wie ihn die
kopernikanische Weltanschauung gemacht hat. Was scheint
für das gewöhnliche Seelenleben, für die
gewöhnliche Beobachtung klarer zu sein — so klar,
wie für den Sinnenschein die Tatsache, daß sich die
Sonne um die Erde dreht —, als daß der Mensch mit
seiner Seele geboren wird, seinen Lebenslauf durchmacht,
daß sich seine Seele oder sein Ich im Verlauf dieses
Lebens nach und nach, dieses Leben begleitend, ändert,
daß sie, wenn der Mensch 7, 13, 15, 18, 20, 25 Jahre alt
wird, als Seele begleitet hat diesen durch die Jahre
hingehenden Lebenslauf. Gewissermaßen wie schreitend durch
das Leben von der Geburt bis zum Tode sieht man das
Seelenwesen, so wie wenn es mitginge. Geisteswissenschaft zeigt
es völlig anders. Geisteswissenschaft zeigt die
merkwürdige Tatsache — in den folgenden
Vorträgen soll das weiter ausgeführt werden —,
daß das, was wir Seelenwesen nennen, an das sich die
Vorstellung über Unsterblichkeit knüpft, gar nicht in
dem gewöhnlichen Sinne den Lebenslauf mitmacht.
Geradesowenig wie die Sonne in dem gewöhnlichen Sinne in
ihrem Himmelslauf um die Erde zieht, geradesowenig macht das
menschliche Ich oder die menschliche Seele den Weg von der
Geburt bis zum Tode durch. Also die Sache ist völlig
anders. Nur weil man auf diese Weise nicht gewohnt ist, zu
beobachten, sieht es anders aus. Die Sache verhält sich
ganz anders:
Wir
erinnern uns im späteren Leben bis zu einem gewissen
Punkte zurück, der einige Jahre nach unserer Geburt liegt.
Bis zu diesem Punkte geht allein in seiner Entwickelung das Ich
oder Seelenwesen mit. Dann bleibt es — wenn ich den
Ausdruck gebrauchen darf, er ist richtig — in der Zeit
stehen, bleibt so in der Zeit stehen, wie die Sonne im Raum,
und der Lebenslauf nimmt das Ich nicht mit, sondern bewegt
sich, ebenso wie die Planeten um die Sonne, weiter, indem das
Ich oder die Seele ruhend bleibt in dem Punkte, den ich
angedeutet habe. Der Lebenslauf strahlt dasjenige, was in ihm
verfließt, zurück auf die ruhend gebliebene Seele.
Die Vorstellung ist nur deshalb so schwierig, weil es eben
leichter ist, das Ruhen im Raum vorzustellen, als das Ruhen in
der Zeit. Aber wenn man bedenkt, daß für gewisse
Kreise erst im Jahre 1827 die kopernikanische Weltanschauung
annehmbar geworden ist, so kann man ja auch voraussetzen,
daß sich die Geisteswissenschaft Zeit lassen kann, bis die
Menschen dazu kommen, sich vorstellen zu können, daß
ebenso ein Ruhen in der Zeit möglich ist wie ein Ruhen im
Räume. Man kann sagen: die Seele bleibt eben in sich
selber ruhend zurück, und das Leben läuft bis zum
Tode weiter, indem die Erlebnisse nur zurückstrahlen auf
dasjenige, was in dem genannten Zeitpunkte zurückbleibt.
Damit aber hängt etwas anderes zusammen: daß das, was
wir eigentlich Seelenwesen nennen, gar nicht heraustritt in
diejenigen Ereignisse und Tatsachen, die mit dem Leibesleben
zusammenhängen, daß die Seele in ihrer eigentlichen
Wesenheit im Geistigen drinnenbleibt. Sie tritt deshalb nicht
in den gewöhnlichen Lebenslauf ein, weil dieser Lebenslauf
eben einströmt in das sinnlich-physische Geschehen. Die
Seele bleibt zurück, hält sich zurück im
Geistigen. Nun verläuft das gewöhnliche
Bewußtsein durchaus mit dem gewöhnlichen Lebenslauf,
mit dem gewöhnlichen Hinströmen des Lebens
zwischen Geburt und Tod; es verläuft darinnen so, daß
es erscheint in Gemäßheit der Leibeswerkzeuge. Aber
das Tiefere, das wahre Seelenwesen, das ergießt sich als
solches nicht in dieses Leibeswesen, sondern bleibt im
Geistigen stehen. Damit aber ist schon gegeben, daß ein
Wissen, eine Erkenntnis von diesem Seelenwesen gar nicht
erlangt werden kann im gewöhnlichen, von der
äußeren Welt abhängigen Lebenslauf, sondern
daß dieses Wissen, diese Erkenntnis nur erlangt werden
kann, wenn in der geschilderten Weise das Bewußtsein sich
selber ausschaltet, wenn — um eben dieses eine Beispiel
noch einmal zu wiederholen — der im Bewußtsein
gebliebene Gedanke dem unterbewußt arbeitenden Gedanken
nun begegnet. Dann aber tritt das Bedeutungsvolle ein, daß
allmählich dieses unterbewußte Arbeiten über den
gesamten menschlichen Lebenslauf, sofern er durchlaufen ist,
sich ergießt, und daß der Mensch sich in seinem
inneren Erleben wirklich weiß am Ausgangspunkte seines
Erdenlebens, vor der Grenze, bis zu der die Erinnerung reicht,
sich drinnen-stehend weiß im geistigen Leben, aber
herausgehoben aus der Zeit, in welcher das gewöhnliche
Bewußtsein verläuft. Daher kann keine Mystik, die so
ist, wie ich es vorhin charakterisiert habe, die ebenso tief in
das Bewußtsein, das in der Zeit verläuft,
hineinbringen will ein feineres Erleben als das
gewöhnliche, das Seelenwesen erreichen. Sondern dieses
Seelenwesen kann nur erreicht werden, wenn die Zeit als solche
überwunden wird, wenn die Seele hinaufrückt in
dasjenige Gebiet, das vor dem Eintreten in die Erinnerung
auftaucht, vielleicht besser gesagt: Wenn der Mensch mit seinem
inneren Erleben hinaufrückt über diesen Zeitpunkt,
die Seele entwickelt, um da die Seele erst zu finden, wie sie
in ihrer inneren Wesenheit ist.
Dies alles sind schwierige Vorstellungen, aber das Schwierige
liegt nicht darin, daß die menschliche Seele sie nicht
vollziehen könnte, sondern nur darin, daß die
Menschen sich im Laufe der Jahrhunderte gewöhnt haben,
eben anders zu denken. Der Mensch muß also nicht, indem er
geisteswissenschaftliche Methoden entwickeln will, im Sinne der
gewöhnlichen Mystik durch das gewöhnliche
Bewußtsein eine Vereinigung mit dem Geistigen suchen,
sondern dasjenige, was er sucht, muß ihm Objekt sein; er
muß sich ihm nahen mit dem Bewußtsein, daß es
eigentlich etwas dem gewöhnlichen Leben Fremdes ist,
daß es stehen geblieben ist, bevor dieses gewöhnliche
Seelenleben eingetreten ist. Dann, wenn der Mensch so sein
inneres Seelenwesen erkennt, dann hat er im Grunde genommen
erst die Seele so, daß er jetzt weiß: Diese Seele hat
mitgearbeitet, indem sie durch die Geburt geschritten ist mit
den Kräften, die sie auch vorher schon im Geistigen hatte,
an der Ausgestaltung des gesamten Lebens bis in die
Leibesorganisation hinein, indem sie ihre Kraft vereint mit
dem, was der Mensch durch die physische Vererbung erlangt hat.
Der Mensch gelangt auf dieses Weise hin zum Unsterblichen der
Seele.
Die
Frage nach dem Unsterblichkeitsrätsel verändert sich
für die Geisteswissenschaft gegenüber der Gestalt,
die man dieser Frage sonst gibt. Man denkt immer, wenn man
diese Frage auf wirft, man könne sie beantworten, wenn man
sie so stellt: Ist nun die Seele mit ihrem gewöhnlichen
Denken, Fühlen und Wollen so, daß sie irgend etwas
davon als Unsterbliches bewahrt? So wie dieses Denken,
Fühlen und Wollen im gewöhnlichen Leben ist, ist es
gerade dadurch, daß es sich der Leibeswerkzeuge bedienen
muß. Wenn diese Leibeswerkzeuge abgelegt sind, indem die
Seele durch die Pforte des Todes schreitet, hört auch die
Form des Denkens, Fühlens und Wollens
selbstverständlich auf für ein inneres Erleben,
welches vom gewöhnlichen Bewußtsein erreicht werden
kann. Dagegen lebt in jedem Menschen das, was eben für die
gewöhnliche Seelenbeobachtung verborgen ist, so wie die
Dinge verborgen sind, die erst durch die Naturwissenschaft
über die Natur erkundet werden können, was aber in
der skizzenhaft angedeuteten Weise erreicht werden kann, und
was stehen bleibt gewissermaßen vor dem Tore der
Erinnerung. Das kann die Ereignisse des gewöhnlichen
Lebenslaufes aufnehmen, indem es sie zurückstrahlt. Und
wenn dann das, was in diesem gewöhnlichen Leben
drinnensteht, was an die Leibeswerkzeuge gebunden ist, dem
Menschen genommen wird, indem er durch die Pforte des Todes
schreitet, wird dasjenige, was niemals aus der geistigen Welt
herausgeschritten ist, eben auch durch die Pforte des Todes
schreiten. Das, was sich hindurchträgt, das hat sich nicht
entwickelt innerhalb des gewöhnlichen Bewußtseins,
sondern das hat sich entwickelt im Unterbewußten, das eben
nur herauf gebracht werden kann auf die geschilderte Weise.
So
verändert sich die angedeutete Frage für die
Geisteswissenschaft so, daß der Geistesforscher vor allen
Dingen den Weg zeigt, wie das wahre Seelenwesen gefunden wird,
und indem er diesen Weg zeigt, stellt sich durch die Art und
Weise, wie dieses wahre Seelenwesen ist, dessen Unsterblichkeit
als eine Wahrheit heraus. Wie man nicht zu beweisen braucht,
daß die Rose rot ist, wenn man jemand hingeführt hat
zu der Rose, und er sie vor sich hat, so braucht man nicht zu
beweisen durch allerlei Hypothesen, Schlußfolgerungen,
daß das Seelenwesen unsterblich ist, wenn man den Weg
zeigt, wodurch der Mensch das Seelenwesen so rindet, daß
er sieht: es arbeitet das Sterbliche aus sich heraus, es ist
der Erzeuger des Sterblichen, das Sterbliche ist seine
Offenbarung — wenn man die Unsterblichkeit als eine
Eigenschaft dieses Seelenwesens aufzeigen kann, so wie man die
Röte als eine Eigenschaft der Rose aufzeigt. Darauf kommt
es gerade an, daß sich die Fragestellung völlig
verändert, wenn Geisteswissenschaft in ihrer wirklichen
Gestalt an dieses Seelenrätsel herangeht.
Es
wird das, was damit nur skizzenhaft angedeutet worden ist, sich
ein wenig durch eine Seitenbeleuchtung, möchte man sagen,
klären, wenn man einen Blick wirft auf etwas, was im
menschlichen Leben eine so bedeutungsvolle Rolle spielt, was
aber, wie schon oftmals gesagt, für die meisten
Philosophen der denkerischen, der wissenschaftlichen
Betrachtung völlig unzugänglich erscheint: wenn man
einen Seitenblick wirft auf das, was man das menschliche
Schicksal nennt. Das menschliche Schicksal erscheint ja in der
Aufeinanderfolge der Begebenheiten, die den Menschen treffen,
vielen wie eine reine Summe von Zufälligkeiten; es
erscheint vielen wie eine vorausbestimmte Notwendigkeit, wie
eine Notwendigkeit der Vorsehung. Alle diese Vorstellungen aber
nähern sich dem Schicksalsrätsel wiederum vom
Standpunkte des gewöhnlichen Bewußtseins aus. Und
wenn diese Vorstellungen auch noch so mystisch vertieft sind,
man kommt solchen Rätseln durch diese Vorstellungen nicht
näher. Daher habe ich das letztemal gerade mit Bezug auf
die Schicksalsfrage gezeigt, wie man sich überhaupt erst
vorbereitet in der rechten Weise, an diese Frage nach dem
menschlichen Schicksal heranzutreten. Es muß das noch
einmal von einem gewissen Gesichtspunkte aus wiederholt werden,
damit über die Frage nach den Schicksalskräften
genauer gesprochen werden kann. Ich sagte: Gibt sich der Mensch
als Geistesforscher in seinem Inneren gewissen Entwicklungen
hin, deren eine Art ich gezeigt habe in der Entwickelung des
Denkens, so bedeutet diese innere Entwickelung für ihn ein
wirkliches Sichherausheben aus dem gewöhnlichen
Bewußtsein; nicht eine mystische Vertiefung dieses
gewöhnlichen Bewußtseins bloß, sondern ein
Sichherausheben, ein Aufsteigen zu dem, was in das
gewöhnliche Bewußtsein gar nicht hereintritt. Dann
gehört viel Geduld und Ausdauer dazu, um diese innere
Entwickelung immer weiter und weiter zu führen. Sie
braucht das äußere Leben nicht im geringsten zu
beeinträchtigen. Diejenigen Menschen sind schlechte
Geistesforscher, welche durch die Geistesforschung für das
gewöhnliche Leben unbrauchbar, unpraktisch werden. Sie
zeigen, daß sie im Grunde genommen noch durchaus
materialistisch gesinnte Naturen sind. Denn wer aus dem
gewöhnlichen Leben herausgerissen wird, wer aus dem festen
Drinnenstehen im Leben, aus des Lebens Pflichten und Aufgaben,
kurz, aus der Lebenspraxis gerissen wird durch eine Art von
Geistesforschung, der zeigt, daß er das Wesen wahrer
Geistesforschung nicht begriffen hat; denn diese verläuft
im Geistigen, in dem, was mit dem gewöhnlichen Leben in
unmittelbarer Art durchaus nicht in Widerstreit kommen kann.
Und wer da glaubt, daß er, nun, sagen wir, sich in die
geistige Welt hinaufhungern kann, oder durch ein anderes
äußeres, materielles Mittel in die geistige Welt
hinaufkommen kann, der zeigt eben, daß er, trotzdem erden
Geist sucht, ganz von materialistischen Vorstellungen
durchdrungen ist. Aber wenn der Mensch den Weg wahrer
Geistesforschung oder auch nur wahrer Geisteswissenschaft geht,
indem er durchdringt, in seine Seele aufnimmt, was die
Geistesforschung zutage fördert, dann wird im rechten
Zeitpunkte das, was der Mensch da innerlich erlebt, für
ihn nach und nach zu einer inneren Schicksalsfrage, zu einer
inneren Schicksalswendung. Er erlebt ein inneres
Durchdrungenwerden, welches ihn in die Sphäre des
Geistigen hineinträgt, so lebendig, so intensiv, daß
dieses Erlebnis, das ganz ohne Beeinträchtigung des
äußeren Erlebens vor sich geht, zu einer
Schicksalswendung wird, die größer, bedeutungsvoller
ist als jede noch so bedeutungsvolle Schicksalswendung des
äußeren Lebens. Ja gerade darin zeigt sich das
Bedeutsame des Drinnenstehens in der Geisteswissenschaft,
daß diese also für den Menschen zu einer
Schicksalswendung werden kann. Nicht abgestumpft für die
anderen Schicksalswendungen braucht dadurch der Mensch für
seine Seele zu werden; voll empfinden kann der Mensch, was als
äußere Schicksale, nicht nur von ihm, sondern auch
von anderen, verläuft, wenn er also die höhere
Schicksalswendung auch erlebt hat, die rein innerlich
verläuft. Wer stumpf wird für das äußere
Leben und äußere Schicksal, wer etwa gar sein Mitleid
und Mitgefühl für die äußere Welt und die
Menschen abstumpfen würde dadurch, der ist nicht auf dem
rechten Wege. Aber wer sich, wie es bei der guten Erziehung
schon sein kann, beim vollen Drinnenstehen im sozialen Leben in
einer geistigen Welt stehend findet, bei dem kann es doch sein,
daß ein Zeitpunkt eintritt, in dem er, nachdem er
innerlich den Weg zu dem, was nicht eingeht in die sinnliche
Welt, gefunden hat, dieses innere Erlebnis als eine
Schicksalswendung empfindet, die größer und
eindringlicher ist als die furchtbarste Schicksalslage oder die
freudigste Schicksalswendung, die ihn sonst im Leben treffen
kann. Daß aber eine solche Schicksalswendung eintreten
kann, das vertieft das Gemüt, verinnerlicht die
menschliche Seele; das stattet sie aus mit Kräften, die
zwar immer in der Seele ruhen, die aber gewöhnlich nicht
heraufgebracht werden.
Zu
einem wird die Seele vor allen Dingen zubereitet: Indem die
Seele also ein Schicksal erlebt hat rein innerlich, so daß
sie diesem Schicksal, nur jetzt mit den innerlich erlebbaren
Seelenkräften gegenübersteht, wird der Mensch so
intim bekannt mit der größten Schicksalswendung,
daß er einen Erkenntnismaßstab gewinnt für das
äußere Schicksal. Man braucht ja — trivial
gesagt — für alles im Leben einen Maßstab. Den
Maßstab für die Schicksalsbeurteilung, man erlangt
ihn dadurch, daß man nicht betrachtet zunächst
bloß durch allerlei Spekulation, durch Phantasterei, die
dunklen Schicksalsverläufe, sondern daß man
betrachtet einen so hellen Schicksalsverlauf, wie man ihn
dadurch durchmacht, daß man Schritt für Schritt in
seinem inneren Seelenleben so die Kraft entwickelt hat,
daß man alles mit angesehen hat. Man sieht: So ist es
durch Jahre geworden, so haben wir uns allmählich eine
innere, wahre, ohne Selbsttäuschung errungene
Überzeugung von der geistigen Welt, in der wir leben und
weben und sind, geschaffen, da waren wir dabei bei der
Schicksalswendung, da tritt sie uns nicht entgegen als etwas,
was dunkel bleibt, und woran wir nur uns freuen oder leiden
können, sondern da tritt sie uns in heller innerer
Klarheit entgegen. Und wenn wir also die Kräfte, die uns
in heller innerer Klarheit entgegentreten, entwickelt haben in
der Seele, dann erst vermögen wir das, was dunkel bleibt,
mit innerem Lichte zu beleuchten, dann vermögen wir die
Hergänge des äußeren Schicksals auch zu
betrachten. Diese Hergänge des äußeren
Schicksals, sie sind dunkel für das gewöhnliche
Bewußtsein. Aber das gewöhnliche Bewußtsein ist
ja für die Betrachtung der Schicksalsfrage gerade dadurch
zum schauenden Bewußtsein geworden, daß es eine
solche Schicksalswendung eintreten läßt. Für die
Schicksalsfrage hat sich dieses Bewußtsein zum schauenden
Bewußtsein gemacht. Dadurch erlangt man überhaupt
erst das, was nötig ist, um nun an die Schicksalsfrage so
heranzutreten, daß sie in dem Sinne, wie es sein soll,
eine gewisse Aufklärung erfahren kann. Dadurch zeigt sich
aber, daß, soviel man auch das Schicksal mit dem
gewöhnlichen Bewußtsein betrachtet, alles
Konstatieren über dieses Schicksal gewissermaßen
hypothetisch oder eine leere phantastische Annahme bleibt. Denn
es zeigt sich gerade, daß das Schicksal so, wie es
außen für das gewöhnliche Bewußtsein
auftritt, nur in seiner Offenbarung auftritt, in seinem
Hineinragen in das gewöhnliche Bewußtsein, daß
aber dieses Schicksal im Unterbewußten an der menschlichen
Seele arbeitet, so daß diese menschliche Seele, die
niemals aus der geistigen Welt, wie ich angedeutet habe,
heraustritt, im Unterbewußten im Schicksalsstrome lebt. So
lebt sie im Schicksalsstrome, daß sich dem
gewöhnlichen Bewußtsein ihr Verstricktsein mit dem
Schicksal so wenig zeigt, wie sich dem Träumer das zeigt,
was ihn als physische Wirklichkeit in der äußeren
Welt umgibt.
Wenn das schauende Bewußtsein sich übt, die
Bewußtseinskräfte zu entwickeln, die hierfür
nötig sind, dann gelangt man dazu, mit ganz anderen
Geistesaugen — um den Goethe'schen Ausdruck zu gebrauchen
— auf die Schicksalsfrage hinzuschauen. Die Seele gelangt
dann dazu, die Zusammenhänge, die verstrickt sind in dem,
was wir eine Schicksalswendung nennen, ganz anders zu
betrachten, als man sie im gewöhnlichen Bewußtsein
betrachtet. Man erkennt erst, auf was man die Aufmerksamkeit
richten muß in der Schicksalsfrage, wenn man also durch
das innere Ergriffensein von einer rein geistigen
Schicksalswendung dazu vorbereitet ist. Nehmen wir irgendeine
Schicksalswendung, die leicht im äußeren Leben uns
entgegentreten kann. Als typisch für das, was im
äußeren Leben uns entgegentritt, könnte man etwa
das Folgende erzählen — es ist durchaus
möglich, daß es auf diese Art zum Beispiel sich
abspielt —: Ein Mensch ist voll vorbereitet, sagen wir,
für irgendeinen äußeren Beruf, für eine
äußere Arbeit. Seine Anlagen zeigen, daß er
dieser Arbeit voll gewachsen sein könnte, daß er der
Welt, der Menschheit viel nützen könnte durch die
Verrichtung seiner äußeren Arbeit. Die Sachen sind
gewissermaßen so weit gediehen, daß der Posten schon
ausersehen ist, auf den der betreffende Mensch kommen soll.
Alles ist vorbereitet, der Mensch selbst ist vorbereitet,
diejenigen Menschen, welche ihm den entsprechenden Posten geben
können, sind aufmerksam geworden für das, was er
leisten kann; alles ist vorbereitet. Da, gerade, ich
möchte sagen, bevor diesen Menschen die Urkunde trifft,
daß er auf den Posten versetzt wird, tritt irgend ein
Unfall ein, durch den er unfähig wird, diesen Posten
auszufüllen. — Da haben wir eine typische
Schicksalswendung. Ich will nicht sagen, daß dieser
Mensch, den ich meine, gleich mit dem Tode abgehen müsse,
aber er wäre unfähig, in dem gewöhnlichen
Lebensverlauf, das, was gut vorbereitet war von allen Seiten,
wirklich zu erlangen. Den Menschen trifft ein
Schicksalsschlag.
Nun, wenn man so den menschlichen Lebenslauf betrachtet im
gewöhnlichen Bewußtsein — wenn man auch glaubt,
man mache es anders —, da macht man es doch so, daß
man das betrachtet, was irgendeiner Tatsache im Lebenslauf
vorangegangen ist. Man betrachtet die Welt ja so, daß man
immer Wirkung an Ursache und wiederum Wirkung an Ursache reiht,
daß man immer von dem Späteren auf das Frühere
zurückgeht. Jetzt, wenn der Mensch vorbereitet ist zum
Erkennen dieser Schicksalswendung, die uns etwas lehren kann,
jetzt zeigt es sich, daß wir es zu tun haben bei jener
Schicksalswendung mit einem Zusammenströmen von zwei
Reihen. Hier in dem angeführten typischen Beispiel haben
wir es auf der einen Seite damit zu tun, daß der Mensch
etwas geworden ist, wodurch er auch Vorgänge in der
äußeren Welt gezwungen hat, sich auf ihn zu richten.
Eine andere Ereignisreihe kommt, welche diese erste
Ereignisreihe durchkreuzt. Man lernt gerade, wenn man solche
Schicksalsvorgänge betrachtet, erkennen, daß es im
höchsten Sinne richtig, vortrefflich ist, den menschlichen
Lebenslauf so wie Naturvorgänge zu betrachten, indem man
darauf sieht, wie das Spätere aus dem Früheren folgt.
Aber man lernt auch erkennen, daß diese Betrachtung nur
eine höchst einseitige ist. Man lernt erkennen, daß
man, wenn man das Dasein in seiner Vollständigkeit
betrachten will, nicht nur fortdauernde, wachsende,
aufsteigende Ströme der Ereignisse in Betracht ziehen
kann, sondern auch in Betracht ziehen muß den absteigenden
Strom, denjenigen Strom, der den aufsteigenden Strom immer
durchschneidet, durchkreuzt, vernichtend trifft. Dann gelangt
man dazu, durch das Treffen der beiden Ströme an den Punkt
geführt zu werden, wo der Geist sich einem enthüllt.
Denn der Mensch ist kein anderer geworden, indem er auf der
einen Seite selber eine Durchkreuzung erfahren hat dessen, was
er geworden ist; es sind zwei Lebensströme
zusammengekommen, aber der Mensch ist kein anderer geworden.
Und gerade dieses, daß man mit seinen Seelenkräften
stößt auf dieses Sichdurchkreuzen der beiden
Lebensströme, das zeigt einem, wie in dem Augenblick, wo
irgend etwas schicksalsmäßig an der menschlichen
Seele arbeiten soll, es sich gerade aus dem äußeren
Leben zurückziehen muß. Man gelangt auf diesem Wege
hinein in das Innere des Seelischen, das aber gar nicht aufgeht
in dem äußeren sinnlichen Leben. Indem man das Dasein
ergreift, wo es nicht nur sich offenbart, sondern wo es
verschwindet aus der äußeren Offenbarung, findet man
den Weg hinein in das Gebiet, aus dem die Seele gar nicht
herauskommt, und in dem an ihr das Schicksal arbeitet.
Und
jetzt merkt man auch, wenn man die Betrachtung so weit
getrieben hat, daß es durchaus im Wesen der Seele liegt,
daß sich das Schicksal so zu der Seele verhält, wie
ich es eben gezeigt habe. Denn nehmen wir an, die Sache
wäre so, daß die menschliche Seele im vollen
Bewußtsein, mit voll entwickelten Vorstellungen, so wie
sie an die äußere sinnliche Wirklichkeit herantritt
und sie sich in naturwissenschaftlichen Vorstellungen
erklärt, auch an die Schicksalsverkettung herantreten
würde. Was würde dann daraus folgen? Es würde
daraus folgen, daß die Seele innerlich tot bliebe,
daß sie innerlich dem Schicksal, ich möchte sagen, so
gelassen, um nicht zu sagen gleichgültig,
gegenüberträte, wie sie den Aussagen entgegentritt,
die die Naturwissenschaft macht. Aber so tritt die menschliche
Seele dem Schicksal nicht gegenüber. Ich entwickele hier
nicht bloß Zweckmäßigkeitsvorstellungen. Wer auf
die Methoden dessen, was hier vorgebracht wird, eingeht, wird
das einsehen, daß ich nicht in teleologische oder
Zweckmäßigkeitsvorstellungen zurückfalle,
sondern daß ich die Frage so stelle: Was ist notwendig zum
Wesen der Seele? —, wie man fragen könnte: Inwiefern
ist die Wurzel notwendig zum gesamten Leben der Pflanze?
Insofern die Seele im Schicksal steht, erlebt sie dieses
Schicksal überhaupt nicht durch erkenntnisgemäße
Vorstellungen, sondern sie erlebt es so, daß Affekte,
Empfindungen, Gefühle der Freude, Gefühle des Leides
in dieser Seele auftreten, und daß über diesen
Empfindungen nicht schweben so klare Vorstellungen, wie man sie
sonst in der Erkenntnis hat. Würden aber solch klare
Vorstellungen darüber schweben, so würden das eben
solche Vorstellungen sein, die nur in der Sphäre des
gewöhnlichen Bewußtseins, das heißt in der
Sphäre, die an den Leib gebunden ist, arbeiten. Gerade
indem das Schicksalserlebnis herausgehoben ist aus diesen
Vorstellungen, die an den Leib gebunden sind, indem das
Schicksalserlebnis getrieben wird durch die Empfindungen und
Gefühle, durch die fortschreitenden oder Widerstreben
findenden Willensimpulse, bleibt dieses Schicksalserlebnis im
Unterbewußten oder wird, besser gesagt, ins
Unterbewußte hinuntergeleitet. Dadurch arbeitet das
Schicksalserlebnis außerhalb des Bewußtseins so an
dem Seelenwesen, wie die Erlebnisse der äußeren Welt
um den Träumenden herum vorgehen, ohne daß sie
— wenigstens in unmittelbarer Weise — in sein
Bewußtsein hereindringen.
Die
Art und Weise, wie der Mensch seine Leiden und Freuden erlebt,
die macht es, daß sein Schicksal in die tieferen
unterbewußten Regionen des Seelenlebens, in diejenigen
Regionen, aus denen das Seelenleben überhaupt nie
heraustritt, hereingeleitet wird. So daß der Mensch im
Lebenslauf unter der Schwelle des gewöhnlichen
Bewußtseins von seinem Schicksal getrieben wird. Da unten
aber, wo das Bewußtsein nicht hinreicht, das im
gewöhnlichen Leben steht und auf das gewöhnliche
Leben gerichtet ist, ist Ordnung; da unten leuchten die
Schicksalserlebnisse zurück auf die Seele, die vor der
Empfindungsgrenze stehen geblieben ist. Da zimmert das
Schicksal selber an unserer Seele fortwährend, so daß
die Art und Weise, wie der Mensch in seinem Schicksal
drinnensteht, von ihm ebensowenig durch das gewöhnliche
Bewußtsein durchschaut werden kann, wie durchschaut werden
kann von dem träumenden Bewußtsein, was in dem
Zimmer, in dem geträumt wird, äußerlich,
sinnlich-physisch vorgeht. Das Schicksal verbindet sich mit der
Seele unter der Schwelle des Bewußtseins. Da aber zeigt
sich, wie auch dieses Schicksal beschaffen sein mag, daß
es intim mit der Seele zusammenhängt, daß es gerade
der Arbeiter ist an der Gestaltung unseres Seelenlebens. Einer
der Arbeiter ist es, welcher macht, daß das, was wir im
Lebenslauf zwischen Geburt und Tod durchmachen,
hinübergetragen wird zu der Seele, die durch Geburt und
Tod in wiederholten Erdenleben geht, so daß diese Seele
durch Verrichtungen, durch Kräfte, durch Wirkungen, die
nicht ins gewöhnliche Bewußtsein hineinreichen, durch
dieses gesamte Leben, das durch die wiederholten Erdenleben
geht, hindurchgetragen wird. Da sehen wir die Verknüpfung
des menschlichen Schicksals mit der menschlichen Seele. Da
gelangen wir durch das Schicksal selber in die
unterbewußten Gründe, in die ewigen Gründe der
Menschenseele. Und erst da, wo Unsterblichkeit waltet, da
waltet auch in seiner wahren Gestalt das Schicksal. Und
hingetragen wird es dahin durch den Umstand, daß wir im
gewöhnlichen Leben ihm so überliefert sind, daß
wir es nicht erkennend durchdringen. Dadurch, daß wir es
affektmäßig, gefühlsmäßig durchleben,
dadurch wird das Schicksal selber in diejenige Region
hingetragen, wo es an dem unsterblichen Seelenteil arbeiten
kann.
Da
erweist sich dann das Schicksal — es klingt ja
pedantisch, fast philisterhaft — als der große
Lehrer durch den gesamten Lebenslauf. Aber es ist so. Es
trägt uns das Schicksal weiter. Und wahr ist es, was
einzelne Menschen, die durch einen besonders dazu veranlagten
Lebenslauf vorbereitet waren, über das
Zusammenhängende im menschlichen Schicksalslauf empfinden.
Ein solches Beispiel möchte ich Ihnen wörtlich
vorlesen. Goethes Freund Knebel ist im späten Alter
zu Vorstellungen über das Schicksal getrieben worden, die
sich ihm wahrhaftig nicht durch Spekulationen, nicht durch
philosophische Phantastereien ergeben haben, sondern die, ich
möchte sagen, wie heraufgestrahlt sind aus dem, was sonst
im unterbewußten Seelenleben vorgeht, wenn das Schicksal
an der Seele arbeitet. Da sagt Knebel:
«Man wird bei genauer Beobachtung finden, daß in dem
Leben der meisten Menschen sich ein gewisser Plan findet, der,
durch die eigene Natur oder durch die Umstände, die sie
führen, ihnen gleichsam vorgezeichnet ist. Die
Zustände ihres Lebens mögen noch so abwechselnd und
veränderlich sein, es zeigt sich am Ende doch ein Ganzes,
das unter sich eine gewisse Übereinstimmung bemerken
läßt. — Die Hand eines bestimmten Schicksals,
so verborgen sie auch wirken mag, zeigt sich auch genau, sie
mag nun durch äußere Wirkung oder innere Regung
bewegt sein: ja, widersprechende Gründe bewegen sich
oftmals in ihrer Richtung. So verwirrt der Lauf ist, so zeigt
sich immer Grund und Richtung durch.»
Das
ist nicht entstanden durch eine Spekulation, durch eine
Philosophie über das Schicksal, sondern das ist ein
Ergebnis, welches die Seele selbst heraufgetrieben hat aus der
Region, wo an ihr selbst das Schicksal arbeitet. Daher werden
in der Regel nur Menschen, welche mit vollem inneren Anteil in
den Ereignissen des Lebens, nicht nur des eigenen Lebens,
stehen, sondern mit mitleidsvollem Anteil leben in dem
Lebensschicksal vieler Menschen, in einem gewissen Zeitpunkt
ihres Lebenslaufes aus den Tiefen ihrer Seele eine solche
Anschauung über das Schicksal heraufleuchten sehen.
Nun, Fragen der Wissenschaft, auch der Geisteswissenschaft, sie
hängen nicht ab von irgendwelchen äußeren
Ereignissen — Fragen der Wissenschaft, Fragen der
Erkenntnis gehen ihren Lauf-, vielmehr richtet sich das
äußere Leben in vielen seiner Eigentümlichkeiten
nach dem, was die Wissenschaft zutage fördert. Aber auf
der anderen Seite — man kann das auch in der
Naturwissenschaft verfolgen — tragen gewisse
äußere Umstände bei, daß Erkenntnisse erst
in der rechten Weise gewürdigt, genau ins Auge gefaßt
werden können von den Menschen. Man braucht nur daran zu
erinnern, wie die Venus-Durchgänge, die nur zweimal im
Jahrhundert eintreten, abgewartet werden müssen, bis sie
eintreten, wie da die äußeren Umstände kommen
müssen, damit eine bestimmte Erkenntnis auf einem gewissen
Gebiete auftrete. So kann es auch sein mit Bezug auf die Fragen
der Geisteswissenschaft, die sich auf das Seelenleben beziehen.
Und obzwar das nicht im eigentlichen Sinne zur
Geisteswissenschaft gehört, so kann doch das in unserer
schicksaltragenden Zeit lebende Empfinden hingelenkt werden
darauf, wie gerade unsere Zeit im tiefsten Sinne des Wortes den
Menschen in ihrer Seele das nahebringt, was Geisteswissenschaft
zu geben vermag.
Der
alte Heraklit, der große griechische Philosoph, von
dem einzelne, aber tief bezeichnende Leuchtstrahlen seines
Forschens seit seinem Leben durch alle Zeiten dringen, sagt
einmal, indem er auf das Traumleben hindeutet: In bezug auf die
Traumwelt hat jeder Mensch seine eigene Welt. In einem Zimmer
können die verschiedensten Menschen schlafen, und jeder
kann das Verschiedenste träumen; da hat jeder seine eigene
Traumwelt. In dem Augenblick, wo sie aufwachen, sind sie alle
in einer gemeinschaftlichen äußeren Umgebung. Da regt
diese gemeinschaftliche Umgebung ein großes Seelenbild an,
da sind sie in einer Einheit. — In einer noch
größeren, bedeutungsvolleren Einheit sind die
Menschen — trotz alledem, was dagegen gesagt werden kann,
denn das ist nur scheinbar, was dagegen gesagt werden kann
—, wenn sie auf dasjenige hinblicken, was das schauende
Bewußtsein aus der geistigen Welt herausbringt. Da finden
sich die Menschen zusammen, und Täuschung ist es nur, wenn
man glaubt, der eine behaupte das, der andere jenes. Der eine
kann auch richtig, der andere falsch rechnen, deshalb bleibt
doch die Rechnungsmethode richtig. In einem höheren Sinne
finden sich die Menschen in einer Einheit, wenn sie ins
schauende Bewußtsein aufrücken und in die geistige
Welt eintreten. Aber es können auch die äußeren
Verhältnisse die Menschen zu einer gewissen Einheit im
Leben führen. Dann können — ich möchte
sagen, wie sich die astronomische Forschung für die
Venusdurchgänge herbeiläßt, die aber, weil es
die Tiefen des Menschlichen weniger berührt,
gleichgültig sind —, dann können diese
Erlebnisse anregend sein für dasjenige, was nach des
Lebens Einheit hinstrebt: für die Geisteswissenschaft. Und
wir leben ja in unserer Zeit in einem Schicksalsgeschehen, das
die Menschen in einer ganz anderen Weise eint — sagen wir
jetzt, weil das ja uns zunächst nahegeht —, die
Menschen Mitteleuropas, als sie sonst von außen geeint
werden. Gemeinsame Schicksalserlebnisse, die der eine in der
einen, der andere in der anderen Weise als sein Schicksal
empfindet, strömen über die Menschenseelen,
strömen über die Menschenleiber, strömen
über die Menschenleben dahin. Das kann Anregung sein, und
wird hoffentlich Anregung sein, aus der schweren, der
schicksaltragenden Zeit heraus auch zu den schwerwiegenden
Wegen der Geisteswissenschaft hin die Menschen zu lenken. Und
man darf denken: Wenn Geisteswissenschaft auch immer ein
Wichtigstes in bezug auf die ewigen Fragen den Menschen zu
sagen hat — in unserer Zeit, wo so viele Schicksale sich
entscheiden, wo das Schicksal so furchtbar fragend vor der
ganzen Zeitseele steht, da werfen sich die Schicksals- und
Seelenfragen in einer besonders tiefen Weise auf.
Geisteswissenschaft, weil sie appelliert an dasjenige, was
nicht nur im Leben steht, sondern, weil es stehen bleibt in der
geistigen Welt, dieses Leben auch durch den menschlichen
Lebenslauf hindurchträgt, Geisteswissenschaft kann dadurch
den Menschen besondere Stärken, besondere Kräfte
geben, um durch alle Schicksalswendungen hindurch mit dem
Bewußtsein, was das Schicksal für Unsterblichkeit,
für ewiges Leben bedeutet, sich durch das Leben hindurch
in entsprechender Weise zu finden, um abzuwarten, was aus
dieser schicksaltragenden Zeit geboren wird. Lernt man das
Schicksal verstehen, dann lernt man auch, wenn es nötig
ist, mit der wahren, nicht mit der abstumpfenden Seelenruhe,
mit jener Seelenruhe, die Stärke ist, dem Schicksal
entgegenzutreten. Und die Seele wirkt in ihrer Ruhe oft
kraftvoller, als sie wirken kann, wenn sie auf den Wogen des
äußeren Lebens, selber mit diesen Wogen auf- und
abschaukelnd, getragen wird.
Und
vielleicht ist gerade das Bewußtsein von dem Stillestehen
der Seele in unserem Lebenslauf, so abstrakt diese Vorstellung
heute noch scheinen mag, eine Vorstellung, welche
überzugehen vermag in die Grundkräfte des
menschlichen Gemütes, und dort zu werden vermag ein
großer, nicht abstumpfender, sondern erkraftender Beweger
für dieses menschliche Gemüt. Denn — das zeigt
uns insbesondere die Wendung, die nach den heutigen
Betrachtungen die Unsterblichkeits-und Schicksalsfrage genommen
hat-ebenso wie es unrichtig ist von jemandem, der einen Magnet
vor sich hat, zu sagen: das ist ein Stück Eisen in
Hufeisenform und sonst nichts, und du bis ein Phantast, wenn du
glaubst, daß da besondere Kräfte drinnen seien, wie
es unrichtig ist, den, der die Kräfte zunächst nicht
zeigen kann durch die Anziehung des Eisens, sondern sie nur
behauptet, deshalb für einen Phantasten zu halten, so ist
es unrecht, den für einen Phantasten zu halten, der von
dem äußeren, im physischsinnlichen Dasein
verlaufenden Leben so spricht, daß dieses Leben nicht nur
dasjenige ist, als was es den äußeren Sinnen
erscheint, sondern daß es durchzogen, durchleuchtet und
durchglüht ist von dem Geistigen, in dem die Seele wurzelt
und webt. Denn wahr bleibt das Wort des Heraklit — lassen
Sie mich damit schließen —, bekräftigend, wenn
es richtig verstanden wird, dasjenige, was der innerste Nerv
der Geisteswissenschaft ist, bekräftigend, daß nur
der die Welt kennt, der den Geist im Sinnenschein zu
durchschauen vermag:
«Augen und Ohren, sie sind Zeugen für das, was in der
Welt vorgeht, Zeugen gegenüber den Menschen; sie sind aber
schlechte Zeugen gegenüber denjenigen Menschen, deren
Seelen die Sprache, die wahre Sprache der Augen und Ohren nicht
verstehen.»
Die
wahre Sprache der Augen und Ohren will die Geisteswissenschaft
sprechen und damit den Weg finden hinein in dasjenige, was
für das gewöhnliche Bewußtsein Augen und Ohren
nicht zu zeigen vermögen; in dasjenige, aus dem das Leben
selber sprießt und webt. Daher auch der Mensch mit seinem
eigenen Arbeiten am besten sprossen und wirken wird, wenn er
sich bewußt ist, daß er als Ewiges aus diesem ewigen
Lebensquell heraus nicht nur stammt, sondern immer in demselben
drinnensteht.
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