DAS
LEBEN ZWISCHEN DEM TODE UND EINER NEUEN GEBURT
München, 26. November 1912
Erster Vortrag
Die
Welt der okkulten Tatsachen wir haben das ja oftmals betont
— ist nicht etwa so einfach zu untersuchen und
darzustellen, wie man sehr häufig meint, und derjenige,
der auf diesem Gebiete gewissenhaft vorgehen will, wird sich
immer wieder und wiederum in die Notwendigkeit versetzt
fühlen, gewisse wichtige Kapitel der Geistesforschung
sozusagen aufs neue zu untersuchen. Und so oblag mir denn
gerade in den letzten Monaten unter mancherlei anderem,
wiederum von neuem ein Kapitel zu untersuchen, über
welches wir ja auch hier schon öfters gesprochen haben.
Bei solch neuen Untersuchungen ergeben sich dann neue
Gesichtspunkte. Das Kapitel, um das es sich da handelt und das
wir heute, wenn das auch nur skizzenhaft geschehen kann, ein
wenig beschreiben wollen, handelt über das Leben zwischen
dem Tod und einer neuen Geburt. Wenn gesagt worden ist, neue
Gesichtspunkte haben sich dabei ergeben, so ist das nicht so zu
nehmen, als ob etwa deshalb das, was früher gesagt worden
ist, irgend verändert zu denken wäre. Das ist gerade
bei diesem Kapitel nicht der Fall. Aber es ist ja einmal so bei
der Betrachtung der übersinnlichen Tatsachen, daß man
ihnen eigentlich nur dann wirklich nahetritt, wenn man sie von
den verschiedensten Gesichtspunkten aus ins Auge faßt. Und
so werden wir vielleicht manches von dem, was zum Beispiel in
meiner «Theosophie» oder
«Geheimwissenschaft» mehr von dem Gesichtspunkt des
unmittelbaren menschlichen Erlebens dargestellt worden ist,
heute von einem universelleren Standpunkt aus darzustellen
haben. Die Dinge sind dieselben, aber man soll eben nicht
glauben, daß man sie schon kennt, wenn man sie von einem
Standpunkt aus einmal charakterisiert erhalten hat. Gerade die
okkulten Tatsachen sind solche, daß man gleichsam um sie
herumgehen und von den verschiedensten Gesichtspunkten aus
anschauen muß. In der Beurteilung dieser Dinge, die von
der Geisteswissenschaft mitgeteilt werden, wird ja am
häufigsten der Fehler gemacht, daß die Leute
urteilen, die, sagen wir, gerade ein paar Ausführungen
über eine Sache gehört haben und nicht die Geduld
besitzen, wirklich alles, was gesagt werden kann, von den
verschiedensten Gesichtspunkten aus auf sich wirken zu lassen.
Dann tritt schon auch für den gewöhnlichen gesunden
Menschenverstand das Verständnis ein, von dem wir gestern
im öffentlichen Vortrage über «Wahrheiten der
Geistesforschung» gesprochen haben. Wir wollen heute nicht
so sehr da beginnen, wo das Leben nach dem Tode, welches wir
gewöhnlich als das Kamaloka bezeichnen, anhebt, sondern
hauptsächlich da, wo das Kamaloka-Leben zu Ende geht und
das Leben in der geistigen Welt beginnt, hauptsächlich
nach dem Kamaloka-Leben bis zum Wiedereintritt in ein neues
Erdenleben, und wo die Kräfte sich bilden zu einer neuen
Inkarnation.
Sie
wissen, daß das hellseherische Hineinschauen in die
geistige Welt einen in einer gewissen Beziehung in dieselbe
Lage versetzt, in welcher der Mensch zwischen dem Tode und
einer neuen Geburt ist, so daß innerhalb der Einweihung
eben das erlebt wird, was auch zwischen dem Tode und einer
neuen Geburt erlebt wird, wenn auch in etwas anderer Weise. Und
damit ist ja überhaupt die Möglichkeit gegeben,
über diese Dinge sprechen und etwas darüber mitteilen
zu können. Da möchte ich zunächst über zwei
wichtige Dinge der hellseherischen Anschauung sprechen, die
auch zum Verständnis des Lebens nach dem Tode führen
können. Zunächst ist ja schon öfters aufmerksam
darauf gemacht worden, wie verschieden das ganze Leben in der
übersinnlichen Welt gegenüber dem Leben hier in der
physischen, in der sinnlichen Welt ist. Wenn wir in die
übersinnliche Welt hinaufkommen, dann ist zum Beispiel
schon der ganze Erkenntnisprozeß ein anderer als hier in
der physischen Welt. Hier in der physischen Welt, da gehen wir
gleichsam durch diese Welt, und die Dinge treten an unsere
Sinne heran, die Dinge machen ihre Farbenund
Lichteindrücke auf unsere Augen, Gehörseindrücke
auf unsere Ohren und andere Eindrücke auf unsere anderen
Sinnesorgane. Wir nehmen die Dinge wahr, wir gehen durch die
Welt und müssen durch die Welt gehen, wenn wir die Dinge
wahrnehmen wollen, und es hilft uns nichts zur Wahrnehmung
irgendeines Dinges, das an einem entfernten Orte ist, wenn wir
nicht hingehen; kurz, wir müssen uns in der Welt der Sinne
regen, wir müssen uns bewegen, wenn wir die Dinge
wahrnehmen wollen. Das genau Entgegengesetzte gilt für die
Wahrnehmungen in der übersinnlichen Welt. Je ruhiger wir
in unserer Seele werden, je mehr wir sozusagen alles von
innerer Beweglichkeit ausschließen, je weniger wir
irgendein Ding aufsuchen, je weniger wir danach streben
können, daß dieses Ding zu uns komme, je mehr wir
warten können, desto sicherer tritt die Wahrnehmung des
Dinges ein, desto wahrer ist dann die Empfindung, das Erlebnis,
das wir von dem Dinge haben können. In der
übersinnlichen Welt müssen wir die Dinge an uns
herankommen lassen, das ist das Wesentliche. Innere Ruhe, die
müssen wir uns erwerben, dann kommen die Dinge an uns
heran.
Und
das zweite, das ich berühren möchte, ist dieses,
daß, wenn wir die übersinnliche Welt betreten, wir
gar sehr nötig haben zu berücksichtigen, daß die
ganze Art, wie uns diese übersinnliche Welt entgegentritt,
abhängig ist von dem, was wir aus der sinnlichen Welt, aus
unserer gewöhnlichen menschlich-sinnlichen Welt in diese
übersinnliche Welt hinein mitbringen. Das gibt zuweilen
recht große Seelenschwierigkeiten in der
übersinnlichen Welt. Es mag für uns in der sinnlichen
Welt zuweilen recht peinlich sein, wenn wir wissen, wir haben
einen Menschen weniger lieb, als wir ihn eigentlich haben
sollten, als er verdiente, von uns geliebt zu werden.
Demjenigen, der mit so etwas behaftet in die übersinnliche
Welt hineintritt, daß er einen Menschen weniger liebt, als
derselbe geliebt werden sollte, steht dies mit einer viel, viel
größeren Intensität vor dem geistigen Auge, als
es jemals uns vor die Seele treten kann hier in der
physisch-sinnlichen Welt. Aber nun kommt etwas dazu, und das
ist das ungeheuer Wichtige, was oftmals gerade dem
hellseherischen Bewußtsein die größten
Seelenschmerzen machen kann. Alle Kräfte, die wir aus der
übersinnlichen Welt herausziehen können, alles, was
wir in der übersinnlichen Welt gewinnen können, kann
uns nichts helfen, um irgendein Seelenverhältnis, das wir
als nicht richtig erkennen in der physischen Welt, etwa durch
Kräfte, die wir aus der übersinnlichen Welt holen,
besser zu machen. Das gibt gegenüber all dem, was uns in
der sinnlichen Welt peinigen kann, etwas viel Peinigenderes
noch in der übersinnlichen Welt; es gibt ein gewisses
Gefühl der Ohnmächtigkeit gegenüber dem
notwendigen Ausleben des Karma, das ja geschehen muß in
der sinnlich-physischen Welt.
Sehen Sie, diese beiden Dinge, die dem Schüler der
okkulten Wissenschaft sehr bald entgegentreten, wenn er nur ein
wenig Fortschritte macht, sie treten sofort auf in dem Leben
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Nehmen wir nur einmal
den Fall, daß wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt,
bald nach unserem Tode, mit menschlichen Wesenheiten
zusammentreffen, die vielleicht vor uns hier in der physischen
Welt gestorben sind. Wir treffen mit ihnen zusammen; wir
können das ganze Verhältnis empfinden, das wir zu
ihnen hier in der physischen Welt gehabt haben. Wir sind
sozusagen mit einem vor uns oder jetzt oder nach uns
Hingestorbenen zusammen und empfinden: Genau so standest du im
Leben zu diesem Menschen, so war dein Verhältnis zu ihm.
Während wir aber in der physischen Welt, wenn wir zum
Beispiel darauf kommen, daß wir einem Menschen Unrecht
getan haben in unseren Gefühlen oder Taten, imstande sind,
irgend etwas dazu zu tun, um die Sache auszugleichen, sind wir
das in dem Leben nach dem Tode durchaus nicht unmittelbar. Wir
sehen klar ein: So steht es mit unserem Verhältnis, aber
wir sehen, daß es unmöglich ist, innerhalb dieser
übersinnlichen Welt irgend etwas auch aus der tiefsten
Einsicht, daß es anders sein sollte, zu ändern. Es
muß zunächst so bleiben, wie es ist. Das ist das
Drückende manches Vorwurfes, daß man klar
durchschaut, wie das Verhältnis nicht hätte sein
sollen, aber daß man es so lassen muß, während
man immer die Empfindung hat, es sollte anders sein. Und das
wird zu übertragen sein auf das gesamte Leben nach dem
Tode. Die Dinge, von denen wir wissen, sie sind von uns nicht
richtig gemacht im Leben, wir sehen sie um so tiefer ein nach
dem Tode; aber wir müssen sie so lassen, wie sie sind,
müssen sie so weiterleben, wie sie sind. Wir sehen
gleichsam zurück auf das, was wir getan haben, aber wir
müssen vollständig die Konsequenz dessen ausleben,
was wir getan haben, und haben das deutliche Erlebnis, daß
wir nichts daran ändern können.
So
geht es nicht nur mit den Beziehungen zu anderen Menschen, so
geht es mit unserem gesamten seelischen Leben nach dem Tode.
Denn dieses seelische Leben hängt von mancherlei ab.
Zunächst möchte ich wie durch Imaginationen
schildernd dieses Leben nach dem Tode ein wenig darstellen.
Wenn man den Ausdruck Visionen oder Imaginationen so nimmt, wie
das gestern zum Beispiel auseinandergesetzt worden ist, so kann
kein Mißverständnis entstehen über das, was
jetzt gesagt werden soll. Während der Mensch hier durch
seine Organe in der Sinneswelt wahrnimmt, lebt er nach dem Tode
sozusagen in einer Welt von Visionen, nur daß diese
Visionen Abbilder von Wirklichkeiten darstellen. Wie wir das
innere Wesen der Rose hier in der physischen Welt nicht
unmittelbar wahrnehmen, sondern die Röte
äußerlich, so nehmen wir einen verstorbenen Freund
oder Bruder oder dergleichen nicht unmittelbar wahr, sondern
das, was wir nach dem Tode haben, ist das visionäre Bild.
Wir sind sozusagen in der Wolke unserer Visionen darinnen, aber
wir wissen ganz genau: wir sind mit dem anderen zusammen; es
ist ein reales Verhältnis, ja ein viel realeres, als es
hier auf der Erde zwischen Mensch und Mensch sein kann. Durch
das Bild nehmen wir das Wesen wahr. In der ersten Zeit, auch
nach der Kamalokazeit ist es so, daß unsere uns
umgebenden, von uns erlebten Visionen so sind, daß sie
eigentlich zumeist auf das, was wir hier auf der Erde erlebt
haben, in dem angedeuteten Sinn zurückweisen. Wir wissen,
sagen wir, es ist außer uns ein verstorbener Freund hier
in der geistigen Welt; wir nehmen ihn durch unsere Vision wahr.
Dieses Gefühl, mit ihm zusammen zu sein, haben wir
vollständig; wir wissen, wie wir mit ihm
zusammengehören. Was wir aber hauptsächlich
wahrnehmen, ist das, was sich hier auf der Erde mit ihm
abgespielt hat; das kleidet sich zunächst anfangs in
unsere Vision ein. Eine Nachwirkung unserer irdischen
Verhältnisse ist zunächst die Hauptsache im Erleben;
wie wir überhaupt auch noch nach der Kamalokazeit in einer
gewissen Beziehung in den Konsequenzen unseres irdischen
Daseins leben. Und diese Wolke von Visionen, die uns
einschließt, ist durchaus abhängig von dem, wie wir
unser Erdenleben zugebracht haben. Erst nach und nach, wenn die
Zeit etwas verläuft zwischen dem Tode und einer neuen
Geburt, stellt sich für die imaginative Anschauung die
Sache so, daß der Mensch, der seelisch wie in seine
Imaginationen eingehüllt ist, dann anfängt, so zu
erscheinen für die Imagination als wie eine Wolke, die
zuerst dunkel ist — das wäre der Mensch in der
ersten Zeit nach der Kamalokazeit —, dann beginnt diese
Wolke von der einen Seite so beleuchtet zu sein, wie wenn wir
am Morgen eine Wolke von der Sonne glühend erleuchtet
sehen. Wenn dann die Inspiration kommt und diese Imagination
erklären soll, so stellt sich heraus: Wir leben zuerst in
der Welt, in der Wolke unserer eigenen Erlebnisse der Erde,
sind in diese gleichsam eingehüllt und sind nur imstande,
zu den Wesen eine Beziehung zu gewinnen, mit denen wir auf der
Erde zusammen waren, also vorzugsweise zu den Menschen, die
gestorben sind oder die eine Möglichkeit haben, mit ihren
Seelen hinaufzukommen von der Erde in die geistige Welt. Das
aber, was sich da ausdrückt für die imaginative Welt,
daß die Wolke unseres Wesens von der einen Seite
erleuchtet wird wie von einem Glimmlicht, das sich herumlegt,
das bezeugt, daß wir beginnen uns einzuleben in das
Herankommen der Hierarchien an unsere eigene Wesenheit. Die
Wesenheiten der höheren Hierarchien kommen an uns heran,
wir leben uns allmählich in die Welt der höheren
Geistigkeit ein. Vorher haben wir nur Zusammenhänge mit
der Welt, die wir mitgebracht haben; dann beginnt das Leben der
höheren Hierarchien an uns heranzuleuchten und in uns
einzudringen; wir bekommen ein Mitleben mit den Wesen der
höheren Hierarchien, wir leben uns mehr und mehr in die
Welt der höheren Hierarchien ein. Um aber zu verstehen,
wie wir uns einleben, dazu ist notwendig, daß wir
tatsächlich über die durch die imaginative Erkenntnis
wahrzunehmenden sozusagen Größenverhältnisse
unseres Wesens uns aufklären, indem wir uns von unserem
physischen Leibe herausziehen mit unserem seelischen Wesen.
Das
tun wir ja, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Da dehnt
sich tatsächlich unser Wesen aus, da wird unser Wesen
immer größer und größer. Das ist eine
schwierige Vorstellung; aber es ist doch so. Wir sind in der
Tat nur auf der Erde versucht zu glauben, daß wir so
groß sind wie die Grenze unserer Haut. Es ist ein
Hinauswachsen in die endlosen Räume, sozusagen ein immer
Größerund Größerwerden. Und wenn wir am
Ende der Kamalokazeit angelangt sind, sind wir
buchstäblich so groß, daß wir bis zu dem Umkreis
reichen, den der Mond um die Erde macht. Also, wir werden sehr,
sehr groß. Wir werden, wie der Okkultist sagt, zu
Mondbewohnern; das heißt aber, wir dehnen unser Wesen so
weit aus, daß unsere äußere Grenze
zusammenfällt mit dem Kreis, den der Mond um die Erde
beschreibt. Ich kann auf die Lagenverhältnisse der
Planeten heute nicht eingehen, aber Sie werden das, was
scheinbar mit der äußeren Astronomie nicht stimmt,
aufgeklärt finden, wenn Sie die Dinge mit dem in
Düsseldorf gehaltenen Vortragszyklus über
«Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der
physischen Welt» vergleichen. Und dann wachsen wir weiter
hinaus in den Weltenraum, in unser ganzes Planetensystem
hinein, und wachsen dann zunächst in das, was der
Okkultist die Merkursphäre nennt, hinein. Das heisst, wir
werden — in den Grenzen, die Sie sich ja selbst
abstecken, wenn Sie die Dinge richtig verstehen —, wir
werden nach der Kamalokazeit Merkurbewohner, und wir
fühlen uns auch durchaus dann so, daß wir den
Weltenraum bewohnen. So wie wir uns während unseres
physischen Daseins als Erdenbewohner fühlen, so
fühlen wir uns dann als Merkurbewohner. Ich kann in
Einzelheiten nicht beschreiben, wie sich das ausnimmt, aber das
Bewußtsein ist durchaus vorhanden: Wir sind jetzt nicht
etwa nur in einem so kleinen Raumteil eingegrenzt wie auf der
Erde, sondern unser ganzes Sein umfaßt tatsächlich
diesen weiten Umkreis, der begrenzt wird durch die Bahn, die
der Merkur beschreibt. Diese Zeit, die wir da durchleben, wie
wir sie durchleben, das hängt auch davon ab, wie wir uns
vorbereitet haben hier auf der Erde, was wir hier für
Kräfte aufgenommen haben, um in der richtigen oder
unrichtigen Art hineinzuwachsen in diese Merkursphäre.
Man
kann nun bei der okkulten Untersuchung zwei Menschen
vergleichen — oder mehrere Menschen, aber sagen wir
zunächst zwei Menschen —, um zu einer Erkenntnis
dieser Tatsache zu kommen. Und da ist verglichen worden die
Seele eines Menschen zum Beispiel, welcher in unmoralischer
Verfassung durch die Pforte des Todes gegangen ist, mit der
Seele eines Menschen, der in moralischer Seelenverfassung durch
die Pforte des Todes gegangen ist. Da stellt sich ein
beträchtlicher Unterschied heraus. Es zeigt sich schon
sehr bald, wie der Unterschied zunächst ist, wenn es sich
handelt um das Verhältnis des einen Menschen zu anderen,
die er nach dem Tode trifft. Da ist es so, daß bei dem
Menschen mit moralischer Seelenverfassung ja auch die Bilder da
sind, in die die Seele eingehüllt ist; aber der Mensch
findet überall die Möglichkeit, sozusagen bis zu
einem gewissen Grad mit diesen anderen Menschen zusammen zu
sein. Das macht die moralische Seelenverfassung. Während
bei unmoralischer Seelenverfassung das eintritt, daß der
Mensch das wird, was man nennen kann eine Art Einsiedler in der
geistigen Welt. Er weiß zum Beispiel, daß ein Mensch,
der auch in der geistigen Welt ist, ihn auf der Erde gekannt
hat; er weiß, daß er mit ihm zusammen ist, aber er
kann keine Möglichkeit finden, sozusagen aus dem
Gefängnis seiner imaginativen Wolke herauszukommen und an
ihn heranzutreten. Moralität macht uns zum geselligen
Wesen in der geistigen Welt, zu einem Wesen, das Beziehungen
anknüpfen kann mit anderen Wesen; Unmoralität macht
uns zum Einsiedler in der geistigen Welt, versetzt uns in die
Einsamkeit. Und dies ist eigentlich ein wichtiger kausaler
Zusammenhang zwischen Dingen, die sich hier auf der Erde mit
unserer Seele abspielen, und dem, was zwischen dem Tod und
einer neuen Geburt geschieht.
Und
so ist es auch im weiteren Verlauf. Wir durchleben in einer
weiteren Zeit, nachdem wir durch die Merkursphäre gegangen
sind im Sinne des Okkultismus, die sogenannte
Venus-Sphäre, fühlen uns als Venusbewohner. Da ist
es, zwischen Merkur und Venus, wo allmählich unsere Wolke
sozusagen von außen beschienen wird, wo herankommen
können an den Menschen die Wesenheiten der höheren
Hierarchien. Aber jetzt hängt es wieder davon ab, ob wir
uns in der richtigen Weise bereit gemacht haben, als gesellige
Geister in die Reihen der Hierarchien aufgenommen zu werden,
mit ihnen etwas zu tun haben zu können, oder ob wir zwar
wissen, daß sie da sind, aber wie Einsiedler gleichsam an
jedem vorbeigehen müssen, wie Einsiedler uns da bewegen in
der geistigen Welt. Und in dieser Venus-Sphäre ist es
wiederum von etwas anderem abhängig, ob wir gesellige
Geister sind oder einsam hinwandelnde Geister. Während es
in der vorigen Sphäre nur möglich ist, ein geselliger
Geist zu sein, wenn wir uns durch Moralität dazu
vorbereitet haben auf der Erde, ist im wesentlichen die Kraft,
die uns zur Geselligkeit, das heißt zu einem gewissen
sozialen Leben in der Venus-Sphäre führt, das
religiöse Leben, die religiöse Stimmung der Seele.
Und wir können uns am ehesten zu Einsiedlern in dieser
Venus-Sphäre verurteilen, wenn wir während des
Erdenlebens keine religiöse Stimmung, kein Gefühl
unserer Zusammengehörigkeit mit dem Unendlichen, mit dem
Göttlichen, entwickelt haben. Ja, es ist das eben so,
daß es sich tatsächlich für die okkulte
Beobachtung so darstellt, daß der Mensch zum Beispiel
durch einen bloßen atheistischen Hang, durch ein Ablehnen
jeder Beziehung seiner Endlichkeit zur Unendlichkeit sich in
das Gefängnis seiner eigenen Sphäre einsperrt. Und es
ist eine Wahrheit, wenn gesagt wird, daß der sogenannte
Monistenbund, in dem sich die Leute auch gesellig über die
Erde vereinigen, durch sein Bekenntnis es wirklich dazu bringt,
daß die Leute, die in ihm verbunden sind mit einem nicht
zur religiösen Stimmung hinneigenden Bekenntnis, sich gut
dazu vorbereiten, daß sie dann keinen Monistenbund mehr
bilden können, sondern wirklich jeder in seinem eigenen
Gefängnis sitzt.
Das
ist nicht etwas, was ein Urteil begründen soll, sondern
was sich eben aufdrängt für die okkulte Beobachtung
als etwas, was ganz notwendig als Folge der irdischen
religiösen oder unreligiösen Empfindungen auftreten
muß. Nun wissen wir ja, daß auf der Erde die
verschiedensten Religionen gestiftet worden sind, und zwar im
wesentlichen im Laufe der Menschheitsentwickelung aus einem
gemeinsamen Quell heraus. Sie sind gestiftet worden so,
daß aus diesem gemeinsamen Quell heraus die einzelnen
Religionsstifter berücksichtigt haben die Temperamente der
einzelnen Völker, Klima und alle Dinge, an welche die
Religionen angepaßt werden mußten. So kamen
natürlich die Seelen nicht mit einer allgemeinen
religiösen Stimmung in diese Sphäre der Venus,
sondern sie kamen dahin mit der Stimmung ihres besonderen
Religionsbekenntnisses. Wenn man auch ein Gefühl hat
für das Geistige, für das Ewige, für das
Göttliche, aber dieses Gefühl mit einer bestimmten
Färbung dieses oder jenes Religionsbekenntnisses hat,
bewirkt das wiederum, daß man nur ein geselliges Wesen
wird für die, welche sozusagen die gleichen Empfindungen
haben, welche in demselben Religionsbekenntnis hier auf der
Erde gelebt haben. Und daher können wir gerade in der
Venus-Sphäre die Menschen abgetrennt finden nach ihren
besonderen Religionsbekenntnissen. Die Menschen sind ja auf
unserer Erde, wie wir wissen, nach Rassen, mehr nach
äußeren Merkmalen bisher gegliedert gewesen. Da
Rassen-, Stammeszusammengehörigkeiten mit den
religiösen Bekenntnissen etwas zu tun haben, so entspricht
im allgemeinen, aber nur im allgemeinen, auch etwas diese
Konfiguration von Gruppen in der Venus-Sphäre — aber
doch nicht ganz genau — dem, wie die Menschen hier auf
der Erde gegliedert sind, weil eben dort die Menschen nur sich
gliedern nach ihrem Verständnisse eines gewissen
Religionsbekenntnisses. Dadurch schließen sich gleichsam
die Menschen in bestimmte Grenzen, in Provinzen ein, daß
sie nur Empfindungen haben für ihre bestimmten
Religionsbekenntnisse. In der Merkursphäre zeigt der
Mensch noch mehr hauptsächliches Verständnis für
die Menschen, welche hier auf der Erde mit ihm verbunden waren,
zu denen er eine gewisse Beziehung gehabt hat. Wenn er nun eine
moralische Seelenverfassung hatte, so ist er während der
Merkursphäre im wesentlichen im Umgange mit den Menschen,
zu denen sich hier schon ein Verhältnis angesponnen hat.
Während der Venus-Sphäre ist der Mensch mehr
aufgenommen in die großen religiösen Gemeinschaften,
in die er aufgenommen sich fühlte durch die Beschaffenheit
seiner Seele hier im Erdendasein. Die nächste Sphäre
nun, die der Mensch zu betreten hat, ist die Sonnensphäre.
Und wir kommen in der Tat zwischen dem Tod und einer neuen
Geburt dazu, uns eine gewisse Zeit hindurch als Sonnenbewohner
zu fühlen, das heißt zu wissen: Wir sind mit der
Sonne verbunden. Wir lernen in dieser Zeit durchaus das Wesen
der Sonne kennen, das ganz anders ist, als die physische
Astronomie es heute beschreibt. Und wiederum handelt es sich
darum, daß wir in die Sonnensphäre uns einzuleben
vermögen in der richtigen Art. In der Sonnensphäre
tritt nun namentlich eines uns entgegen: da tritt das starke
Bedürfnis in der Seele auf wie durch eine elementare
Kraft, dass alle Sonderheiten zwischen den Menschenseelen
aufhören müssen. Während wir in der
Merkursphäre mehr oder weniger eingereiht sind in den
Kreis, zu dem wir auf der Erde Beziehung gehabt haben,
während wir in der Venus-Sphäre heimisch sind durch
ein religiöses Leben innerhalb der Kreise, die mit uns
religiös gleich empfunden haben auf der Erde, und wir uns
noch in gewisser Weise befriedigt fühlen können
bloß in diesen Gemeinschaften, fühlt die Seele tiefe
Einsamkeit auf der Sonne, wenn sie sich verurteilt fühlt,
kein Verständnis zu haben für alle Seelen, die von
der Erde zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in diese
Sonnensphäre versetzt werden. Nun war es für die
alten Zeiten der Menschheitsevolution so, daß ja
tatsächlich die Seelen während der Venus-Sphäre
sozusagen in den einzelnen Religionsprovinzen befindlich waren,
dort ihr Verständnis fanden und gaben und daß, weil
alle Religionen aus einem gemeinsamen Quell sind, der Mensch,
wenn er in die Sonnensphäre übertrat, gleichsam von
dem alten gemeinsamen Erbstück aller Religionsbekenntnisse
so viel hatte, daß ihm die Möglichkeit gegeben war,
in der Sonnensphäre an alle anderen Seelen heranzutreten
und mit ihnen zusammen zu sein, sie zu verstehen, mit ihnen
Gemeinsamkeit zu pflegen, mit ihnen geselligen Geistes sein zu
können.
Die
Seelen der älteren Menschheitsentwickelung konnten durch
sich selber nicht viel dazu tun, dieser Sehnsucht, die da
auftritt, entgegenzukommen; aber dadurch, daß ohne
menschliches Zutun ein allgemein menschlicher Kern in den
Seelen war, fanden die Seelen die Möglichkeit, über
das religiöse Bekenntnis hinaus mit den Seelen anderer
Religionsbekenntnisse zu verkehren. Im alten Brahmanismus, im
chinesischen Bekenntnis, in den anderen Religionen der Erde
steckte so viel von dem gemeinsamen religiösen Kern, der
mitgegeben war aus dem gemeinsamen Urquell aller Religionen,
daß die Seelen in der Sonnensphäre sich gleichsam in
der Urheimat aller Religionen fanden, welche den Quell alles
religiösen Lebens in sich birgt. Das ist nun in der
mittleren Erdenzeit anders geworden. Der Zusammenhang mit dem
Urquell der Religionen ist verlorengegangen, und er kann erst
wiederum durch eine okkulte Erkenntnis aufgefunden werden; so
daß auch für diese Sonnensphäre in unserem
gegenwärtigen Menschheitszyklus sich der Mensch schon auf
der Erde vorbereiten muß und nicht von selbst zu einer
allgemein menschlichen Geselligkeit kommt. Darin haben wir
wiederum etwas, worin das große Bedeutsame des Mysteriums
von Golgatha, des Christentums, liegt, daß es für die
neuere Menschheit, für den jetzigen Menschheitszyklus die
Möglichkeit gibt, auf der Erde sich so vorzubereiten,
daß der Mensch zu einem allgemein-menschlich geselligen
Leben während der Sonnensphäre kommt. Darum
mußte der Sonnengeist, der Christus, herniedersteigen auf
die Erde. Und nachdem er herniedergestiegen ist und sich
vereint hat mit der Erde, kann auf der Erde die
Möglichkeit gefunden werden für die Seelen, in der
Sonnensphäre zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ein
allgemein menschliches geselliges Wesen zu werden.
Es
könnte vieles angeführt werden für das
Universelle des wirklich verstandenen Christus-Mysteriums. Wir
haben ja schon vieles angeführt im Laufe der Jahre; man
kann aber dieses ChristusMysterium immer wieder und wiederum
von neuen Seiten beleuchten. Wenn gesagt wird, daß durch
eine besondere Hervorhebung des Christus-Mysteriums etwa
Vorurteile gegenüber den anderen Religionsbekenntnissen
hervorgerufen würden — das ist ja oftmals gesagt
worden, daß zum Beispiel in unserer
geisteswissenschaftlichen Bewegung hier in Mitteleuropa das
Christus-Mysterium besonders betont würde und dadurch
gleichsam die ändern Religionsbekenntnisse nicht gleich
behandelt würden —, wäre ein solcher Vorwurf
das Unverständlichste, was gemacht werden kann; denn
dieses Christus-Mysterium ist seiner eigentlichen Bedeutung
nach eben sozusagen erst in den neuen Zeiten okkult entdeckt
worden. Und wenn etwa der Buddha-Bekenner sagen wollte: Du
stellst das Christentum über das Buddha-Bekenntnis, weil
du den Christus als irgend etwas Besonderes hinstellst, das
steht noch nicht in meinen heiligen Büchern, also
benachteiligst du den Buddhismus — so ist das nicht
verständiger, als wenn der Buddhist verlangen wollte, man
solle auch nicht die kopernikanische Weltanschauung annehmen,
weil die auch nicht in seinen heiligen Büchern steht. Es
hat nichts zu tun mit der Gleichberechtigung der Religionen,
daß Dinge, die später gefunden worden sind, anerkannt
werden. Das Mysterium von Golgatha ist so, daß es kein
besonderes Privileg eines christlichen Bekenntnisses ist,
sondern es ist eine geisteswissenschaftliche Wahrheit, die
geradeso wie das kopernikanische Weltensystem von jedem
religiösen System anerkannt werden kann, und es handelt
sich wahrhaftig nicht um die Geltendmachung eines
Religionsbekenntnisses, das das Mysterium von Golgatha recht
schlecht bisher verstanden hat, sondern um die
geisteswissenschaftliche Tatsache des Mysteriums von Golgatha.
Ist dieses aber schon recht unverständig, so ist noch
unverständiger, davon zu sprechen, daß man nun alle
Religionsbekenntnisse abstrakt vergleichen und eine Art
abstrakter Gleichheit des Wesens aller Religionsbekenntnisse
annehmen solle. Denn da müssen konkret diese verschiedenen
Religionsbekenntnisse nicht mit dem, was das Christentum
geworden ist als dieses oder jenes Bekenntnis, sondern mit dem,
was es seinem Wesen nach enthält, zusammengestellt
werden.
Nehmen Sie das Hindu-Bekenntnis. Zu diesem wird niemand
aufgenommen, der nicht ein Hindu ist. Das ist im wesentlichen
an ein Volk gebunden. So ist es bei den meisten alten
Religionsbekenntnissen. Einzig der Buddhismus hat es
durchbrochen; aber auch er ist nur für eine bestimmte
Gemeinschaft, wenn er richtig verstanden wird. Aber nehmen Sie
jetzt die äußeren Tatsachen. Würden wir zum
Beispiel in Europa ein Religionsbekenntnis haben, das in
gleicher Weise zu behandeln wäre wie meinetwillen das
Hindu-Bekenntnis, dann müßten wir auf den alten Wotan
schwören. Das war ein nationaler Gott, war das, was
gegeben war einem einzelnen Stamm, einem Volk. Aber was ist
geschehen im Abendlande? Wahrhaftig, nicht irgendein nationaler
Gott ist angenommen worden, sondern in bezug auf das
äußere Leben eine ganz fremde Persönlichkeit:
der Jesus von Nazareth ist herübergenommen worden.
Während im wesentlichen die anderen Religionsbekenntnisse
etwas Religiös-Egoistisches haben und nicht über sich
hinaus wollen, ist ja das gerade das Bezeichnende des
Abendlandes, daß es zurückgedrängt hat seine
religiös-egoistischen Systeme, zum Beispiel das alte
Wotan-System, und etwas angenommen hat, was nicht in seinem
eigenen Fleisch und Blut gewachsen ist, es angenommen hat wegen
seines seelischen Gehaltes. Das Christentum ist für das
Abendland durchaus nicht in demselben Sinne ein
religiös-egoistisches Bekenntnis, als es andere
Religionsbekenntnisse für die einzelnen Völker waren.
Das ist das außerordentlich Wichtige, das schon von den
äußeren Tatsachen her ins Auge gefaßt werden
muß. Und das macht das Universelle des Christentums in
einer anderen Beziehung aus, wenn dieses Christentum wirklich
das Mysterium von Golgatha in den Mittelpunkt des
Menschheitswerdens zu stellen weiß.
Dieses Christentum ist ja noch nicht sehr weit fortgeschritten
in seiner Entwickelung; denn zwei Dinge kann man in diesem
Christentum noch immer nicht ordentlich unterscheiden. Man wird
sogar sehr langsam und allmählich erst dahin kommen, dies
zu unterscheiden. Im richtigen Sinn des Mysteriums von
Golgatha, wer ist da ein Christ? Der ist ein Christ, der
weiß, daß mit dem Mysterium von Golgatha etwas Reales
geschehen ist, dass der Sonnengeist im Christus gelebt hat,
sein Wesen ausgegossen hat über die Erde und daß der
Christus für alle Menschen gestorben ist. Obwohl Paulus
schon verkündet hat, der Christus ist nicht nur für
die Juden gestorben, sondern auch für die Heiden, versteht
man dieses Wort heute immer noch recht wenig. Erst wenn man
weiß, daß der Christus für alle Menschen die Tat
auf Golgatha vollbracht hat, dann wird man das Christentum
verstehen. Denn ein anderes ist diese reale Wirkung die sich
ausgegossen hat von Golgatha, und ein anderes, ob man sich ein
Verständnis dafür angeeignet hat. Daß man
weiß, was der Christus ist, soll man anstreben, aber man
kann niemals einen Menschen auf Erden nach dem Mysterium von
Golgatha anders ansehen als so, daß man sagt: Ob du
Chinese oder Hindu bist, der Christus ist auch für dich
gestorben, und er hat diese Bedeutung für dich wie
für einen ändern. So daß im richtigen
Verständnis des Mysteriums von Golgatha sich die
Anschauung ergibt, daß wir jedem Menschen entgegentreten
und fragen: Wieviel hat er Christliches? —
gleichgültig, was er für einen Glauben hat. Weil der
Mensch sich immer mehr und mehr Bewußtsein davon erwerben
muß, was in ihm real ist, ist es selbstverständlich
ein hohes Ideal, auch etwas zu wissen vom Christus-Mysterium.
Dieses wird sich immer mehr und mehr verbreiten. Und das wird
dazu gehören: Verständnis zu haben für das
Mysterium von Golgatha. Das ist aber etwas anderes als die
Auffassung, die man haben kann von dem Mysterium von Golgatha:
das Universelle, das für alle Menschen gültig ist.
Jetzt kommt es darauf an, daß wir es in der Seele
empfinden: das macht uns zu geselligen Wesen in der
Sonnensphäre. Wir sind dort Einsiedler, wenn wir uns
eingeschlossen in irgendein Religionsbekenntnis fühlen;
wir sind gesellige Wesen in der Sonnensphäre, wenn wir
Verständnis haben für das Universelle des Mysteriums
von Golgatha. Da finden wir die Möglichkeit, mit jedem
Wesen etwas zu tun zu haben, das in der Sonnensphäre an
uns herankommt. Zu frei beweglichen Wesen in der
Sonnensphäre macht uns die Empfindung, die wir uns
aneignen während der Erdenzeit für das Mysterium von
Golgatha innerhalb unseres Menschheitszyklus.
Denn zu was müssen wir in der Lage sein gerade für
diesen Zeitpunkt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt?
Hier kommen wir auf eine Tatsache, die außerordentlich
wichtig ist für den neueren Okkultismus. Diejenigen
Menschen, welche in den Zeiten, bevor sich auf der Erde das
Mysterium von Golgatha vollzogen hatte, gelebt haben — im
wesentlichen gilt das, was ich jetzt sage, ganz genau nicht
—, fanden in der Sonnensphäre sozusagen den Thron
Christi und den Christus dort darauf. Sie konnten ihn erkennen,
weil die alten Erbstücke von der Gemeinsamkeit aller
Religionen in ihnen gelebt haben. Aber dieser Christusgeist ist
von der Sonne heruntergestiegen, und im Mysterium von Golgatha
ist er sozusagen ausgeflossen in das Leben der Erde. Und indem
er da in das Leben der Erde ausgeflossen ist, hat er die Sonne
verlassen, und man findet heute zwischen dem Tod und einer
neuen Geburt in der Sonne bloß das Akasha-Bild von dem
Christus. Der Thron ist dort nicht eingenommen von dem
wirklichen Christus. Wir müssen von der Erde die
Vorstellung von dem lebendigen Zusammenhang mit dem Christus
mit hinaufbringen, damit wir durch das Akasha-Bild den
lebendigen Zusammenhang mit dem Christus haben können.
Dann finden wir die Möglichkeit, von der Sonne aus auch
den Christus zu haben, die Möglichkeit, daß er alle
Kräfte in uns erregt, die wir erregt haben müssen,
wenn wir die Sonnensphäre in der richtigen Weise
durchwandern sollen.
Unsere Wanderung zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geht
noch weiter. Von der Erde aus haben wir die Kraft gehabt,
namentlich durch moralische und religiöse
Seelenverfassung, uns sozusagen hineinzuleben in die
Wesenheiten, mit denen wir zusammen waren auf der Erde, und
dann in die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Aber
diese Kraft erlahmt allmählich, wird immer
dämmerhafter und dämmerhafter, und das Wesentliche,
was uns bleibt, ist eigentlich die Kraft, die wir saugen auf
der Erde aus dem Mysterium von Golgatha, daß wir uns
zurechtfinden in der Sonnensphäre. Dafür tritt ein
neuer Lichtträger in der Sonnensphäre auf, den wir
kennenlernen müssen in seiner urkräftigen Eigenart.
Das Verständnis für den Christus bringen wir uns von
der Erde mit; damit wir uns aber weiter entwickeln können,
weiter hinauf in das Weltenall von der Sonnensphäre in die
Mars-Sphäre hinein, dazu ist notwendig, daß wir
— und das können wir einfach dadurch, daß wir
Menschenseelen sind —, daß wir den zweiten Thron
erkennen, der sozusagen neben dem Christus-Thron in der Sonne
sich befindet, von dem aus wir das andere Wesen kennenlernen,
das jetzt mit dem Christus uns weiterleitet: den Luzifer. Wir
lernen jetzt Luzifer kennen, und durch das, was er uns an
Kräften zu geben in der Lage ist, können wir die
Weiterwanderung durch die Mars-, Jupiterund Saturnsphäre
machen.
Und
immer weiter kommen wir in den Weltenraum, in immer dauernder
Vergrößerung. Es tritt nun in der Tat, wenn wir uns
so über die Saturnsphäre hinausbewegen, etwas ein,
was unseren Bewußtseinszustand etwas ändert. Wir
geraten gleichsam in eine Art von kosmischer Dämmerung
— man kann nicht sagen kosmischen Schlafes, aber
kosmischer Dämmerung. Dadurch können aber gerade erst
recht die Kräfte des gesamten Weltalls auf uns
hereinwirken. Von allen Seiten wirken dann die Kräfte auf
uns, und wir nehmen Kräfte des ganzen Kosmos in uns auf.
Es gibt also, indem wir uns da hinausgedehnt haben, eine Zeit
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wo in unser Wesen wie
von allen Seiten die Kräfte des ganzen Kosmos
hereinkommen, wie von allen Sternen die Kräfte
hereinkommen in unser Wesen. Dann beginnen wir uns
zusammenzuziehen, kommen wieder durch die verschiedenen
Sphären herein bis zur Venus-Sphäre, ziehen uns
zusammen, kleiner und kleiner werdend, bis die Zeit kommt, wo
wir uns wiederum mit einem irdischen Menschenkeim verbinden
können.
Was
aber sind wir da, indem wir uns mit diesem Keim verbinden? Das
sind wir, was wir geschildert haben zwischen Tod und neuer
Geburt. Aber wir haben die Kräfte des ganzen Kosmos
aufgenommen. Draußen in der größten Ausdehnung
haben in unser Wesen die Kräfte des ganzen Kosmos
hereingewirkt. Während wir beim Hinausentwickeln das, was
an uns herandringen kann, um so mehr aufgenommen haben, je
besser wir uns dazu vorbereitet haben, und unser Karma
präpariert wird durch die Art, wie wir zusammengelebt
haben mit den Menschen, die wir getroffen haben, bilden sich in
uns dadurch, daß wir nach dem Tode mit ihnen
zusammenleben, die Kräfte aus, die durch Karma in einem
neuen Erdenleben diese Dinge ausgleichen. Daß wir als ein
Mensch erscheinen, daß wir imstande sind, innerlich Karma
zu haben, welches zugleich die kosmischen Kräfte in sich
aufnimmt, das hängt aber davon ab, daß wir in einer
bestimmten Zeit zwischen Tod und einer neuen Geburt die
Kräfte des ganzen Kosmos aufnehmen. Und wenn ein Mensch
hereingeboren wird in die physische Welt, dann hat sich mit dem
physischen Menschenkeim das verbunden, was bis ins kleinste
zusammengezogen ist, aber herein sich geholt hat aus einer
riesenhaften Vergrößerung die Kräfte des ganzen
Kosmos. Wir tragen eben den ganzen Kosmos in uns, wenn wir uns
auf der Erde wieder verkörpern. Und in einer gewissen
Beziehung dürfen wir sagen: Wir tragen diesen Kosmos so in
uns, wie er sich vereinigen kann, wie er sich richtig
vereinigen kann mit dem, was wir beim Hinauswandern, beim uns
Ausdehnen in die Sphären nach unserem früheren
Erdendasein in der Seele als Stimmung mitgebracht haben.
Diese zwei Dinge werden zusammengefaßt,
zusammengepaßt, könnten wir sagen: die Anpassung an
den gesamten Kosmos und an unser früheres Karma. Daß
wir auch an unser früheres Karma angepaßt sind
— was aber in Harmonie treten muß mit dem Kosmos
—, das trat mir bei den Untersuchungen der letzten Monate
in außerordentlich merkwürdiger Weise entgegen in
einzelnen Fällen — das sage ich ausdrücklich
—, in einzelnen Fällen; ich will nicht ein
allgemeines Gesetz damit aussprechen. Wenn ein Mensch stirbt,
also durch die Pforte des Todes geht, dann stirbt er unter
einer gewissen Sternenkonstellation. Und diese
Sternenkonstellation ist in der Tat wesentlich für sein
weiteres Seelenleben insofern, als sie sich in einer gewissen
Weise abdrückt in sein Seelenwesen und als Abdruck
wirklich bleibt. Und es bleibt das Bestreben in dieser Seele,
mit dieser Sternenkonstellation wiederum hereinzukommen bei der
neuen Geburt, wiederum gerecht zu werden den Kräften, die
man aufgenommen hat im Todesmoment, wiederum hereinzukommen in
dieser Sternenkonstellation. Und da ist es interessant: Wenn
man so versucht die Sternenkonstellation herauszubekommen
für einen menschlichen Tod, so stimmt die
Sternenkonstellation der späteren Geburt in hohem
Maße überein mit der Sternenkonstellation des
früheren Todes. Nur muß man berücksichtigen,
daß ein anderer Fleck der Erde es ist, auf dem der Mensch
geboren wird, der dieser Sternenkonstellation entspricht. So
wird der Mensch in der Tat dem Kosmos angepaßt, fügt
sich hinein in ihn, und es gibt so in der Seele eine Art von
Ausgleich zwischen dem individuellen und dem kosmischen
Leben.
Kant hat einmal den schönen Ausspruch getan: Zwei
Dinge seien es, die ihn ganz besonders erhöben, der
bestirnte Himmel über ihm und das moralische Gesetz in
ihm. Es ist dieses ein schöner Aus-Spruch aus dem Grund,
den der Okkultismus uns anzeigt. Beide sind ja dasselbe: der
bestirnte Himmel über uns und das, was wir als moralisches
Gesetz in uns tragen. Denn im Leben zwischen dem Tod und einer
neuen Geburt wachsen wir hinaus in den Weltenraum, nehmen den
gestirnten Himmel in uns auf und tragen dann in der Seele als
unsere moralische Verfassung ein Abbild mit des gestirnten
Himmels. Hier ist einer der Punkte, wo es in der Tat kaum mehr
möglich ist, daß in der Seele die Geisteswissenschaft
zu etwas anderem werde als zu einer moralischen universellen
Empfindung. Hier ist einer der Punkte, wo sich das, was Theorie
scheint, umwandelt in unmittelbares moralisches Leben der
Seele, in moralische Impulse der Seele; denn hier fühlt
der Mensch alle Verantwortlichkeit gegenüber seinem
eigenen Wesen. Hier fühlt der Mensch: Du warst zwischen
dem Tod und einer neuen Geburt in so einer Lage, daß der
ganze Kosmos in dein Wesen hereinwirken mußte, und du
zogst zusammen das, was du herausgezogen hast in den kleinen
physischen Menschenkeim. Du bist verantwortlich dem ganzen
Kosmos, du trägst wirklich den ganzen Kosmos in dir.
— Hier ist es, wo man etwas fühlt von dem, was
anzudeuten versucht worden ist in der «Prüfung der
Seele» in dem Monolog des Capesius, wo darauf aufmerksam
gemacht wird in der Stelle: «In deinem Denken leben
Weltgedanken ...», was für ein bedeutungsvoller
Augenblick es ist, wenn die Seele fühlt: Man hat die
heilige Verpflichtung, die Kräfte hervorzuholen, die man
aus dem Kosmos herausgezogen hat, weil man das den Göttern
wieder zurückbringen muss, und wo die Seele erkennt,
daß es größte Sünde wäre, diese
Kräfte brachliegen zu lassen. Bei diesen konkreten
Untersuchungen stellte sich heraus, wie wir in der Tat den
ganzen Kosmos in uns aufnehmen und ins Dasein wiederum
hereinbringen. Ja, von denjenigen Kräften, die der Mensch
in der Tat mit sich herumträgt, sind nur die wenigsten
eigentlich solche Kräfte, für die es irgendwelchen
Ursprung auf der Erde gibt. Wir betrachten ja den Menschen in
bezug auf die Kräfte, die in seinem physischen Leibe
wirken, in seinem Ätherleibe walten, in seinem
astralischen Leibe und Ich walten. Die Kräfte, die in
unseren physischen Leib hereinspielen, kommen uns allerdings
unmittelbar von der Erde zu; aber was wir für den
Ätherleib brauchen, können wir nicht unmittelbar aus
der Erde herausziehen, sondern nur aus den Kräften, die an
uns herantraten zwischen dem Tod und der neuen Geburt, wenn wir
uns hinausdehnen ins Planetensystem. Und ein Mensch, welcher
eine unmoralische Seelenverfassung da hineinbringt, wird nicht
die richtigen Kräfte heranziehen können, während
er in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durch
die Merkursphäre geht. Ein Mensch, der nicht die
religiösen Impulse ausgebildet hat, kann nicht die rechten
Kräfte in der Venus heranziehen, und so kommt es, daß
wir die Kräfte, die wir im Ätherleib brauchen,
verkümmert haben können. Hier sehen wir den
karmischen Zusammenhang zwischen folgenden und früheren
Leben sich ausbilden. Das alles sind Dinge, welche uns zugleich
darauf hinweisen, wie die Erkenntnisse, die wir uns verschaffen
durch den Okkultismus, zu Impulsen in unserem Seelenleben
werden können, und wie wir eigentlich nur zu wissen
brauchen, was wir sind, um zu einem immer geistigeren und
geistigeren Leben aufzusteigen.
Das, was das Mysterium von Golgatha vorbereitet hat, ist in
unserem Menschheitszyklus notwendig, damit der Mensch in der
richtigen Weise in die Sonnensphäre sich hineinleben kann
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das, was die
Geistesforschung in Wirklichkeit zu leisten hat, ist das,
daß der Mensch nun auch noch weiter über die
Sonnensphäre hinauszuwachsen in der Lage ist mit jenem
allgemein menschlichen, geistig geselligen Bewußtsein, das
da notwendig ist. Für die Sonnensphäre genügt
der empfindungsgemäße Zusammenhang mit dem Mysterium
von Golgatha. Damit aber das, was allgemein menschliches
Verständnis und allgemein menschliches Fühlen gibt,
auch über die Sonnensphäre hinaus bleibt für die
Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist eben
notwendig, daß wir in geisteswissenschaftlicher Weise die
Beziehungen der einzelnen Religionen zueinander verstehen, die
Entwickelung der einzelnen religiösen Impulse; daß
wir nicht aufwachsen in einem eng umgrenzten religiösen
Bekenntnis mit den Empfindungsnuancen desselben, sondern
daß wir die Möglichkeit gewinnen, für jede
Seele, gleichgültig, was sie glaubt, Verständnis zu
haben, wie auch sonst die Seelen sind. Eines erfüllt sich
als das, was, wie man sagen kann, mit dem Christus-Impuls
zusammenhängt für alle Seelen der Erdenentwickelung,
eines erfüllt sich insbesondere zwischen dem Tode und
einer neuen Geburt — das, was in den Worten liegt:
«Wo zwei in meinem Namen vereinigt sind, bin ich mitten
unter ihnen.» Und in diesem Ausspruch knüpft der
Christus das Vereinigtsein von Zweien nicht an diesen oder
jenen Glauben, sondern bloß an die Möglichkeit,
daß er unter ihnen ist, indem sie in seinem Namen
vereinigt sind.
Dasjenige, was jetzt seit Jahren gepflogen worden ist auch
durch unsere Mysterienaufführungen, insbesondere durch die
letzte, «Der Hüter der Schwelle», das sollte ein
geisteswissenschaftliches Verständnis geben für das,
was im heutigen Zeitenzyklus notwendig ist. Da ist es
notwendig, in einer gewissen Weise ein Verhältnis zu
gewinnen auf der einen Seite zum Christus-Impuls, dann aber
auch zu den Mächten, die im Gegensatz zu ihm stehen: zu
dem Luziferund Ahriman-Impuls. Daß wir es da zu tun haben
mit Mächten, die im Weltenall, sobald wir über die
Maja hinauskommen, Kräfte entwikkeln, das ist das, was wir
verstehen lernen müssen. Denn die Zeit kommt immer mehr
und mehr heran in der Menschheitsentwickelung, wo man wird
lernen müssen, daß es auf das Wesenhafte ankommt und
nicht auf die Lehre. Und an nichts so sehr wie an dem Mysterium
von Golgatha stellt es sich uns dar, wie es auf das Wesenhafte
ankommt und nicht auf den Inhalt des Wortes. Ich möchte
— denn mit den Menschen, die wirklich genau prüfen
das, was hier gesagt sein soll aus okkulten Quellen heraus, ist
am leichtesten auszukommen —, ich möchte, daß
man ganz genau prüfe, was ich jetzt zu sagen haben werde.
In allen Religionsbekenntnissen gibt es nichts Ähnliches
wie dieses. In all dieser Tiefe, wie es sich durch das
Mysterium von Golgatha darstellt, ist es nicht in den anderen
Religionsbekenntnissen.
Die
Welt hat heute noch ein ganz besonderes Vorurteil. Man redet
davon, wie wenn es in der Welt durchaus so zugehen
müßte wie in einer Schule: dass es bloß auf die
Weltenlehrer ankäme. Beim Christus handelt es sich nicht
um einen Weltenlehrer, sondern um einen Weltentäter, der
das Mysterium von Golgatha vollbracht hat und dessen Wesenheit
man zu erkennen hat. Darauf kommt es an. Wie wenig es auf das
bloße Wort ankommt, auf den bloßen Lehrgehalt, das
kann uns gerade dieses lehren, das ein schönes Wort aus
dem Mund des Christus ist: «Ihr seid Götter!»
(Johannes-Ev. 10, 34), und daß er immer und immer
hingewiesen hat darauf, daß der Mensch sein Höchstes
erreicht, wenn er zum Bewußtsein des Gotteswesens in
seiner Natur kommt. Und man könnte sagen, es tönt in
die Welt das Christus-Wort hinaus: Ihr sollt euch bewußt
sein, daß ihr göttergleich seid! — Man
könnte sagen: Eine große Lehre!
Von
anderswo her tönt dieselbe Lehre. Da wo die Bibel
erzählt von dem Ausgang der Erdenentwickelung, da ist es
Luzifer, der herantritt und sagt: Ihr sollt werden wie die
Götter! Derselbe Lehrgehalt, von Luzifer hertönend,
derselbe Lehrgehalt, von Christus herrührend: Ihr sollt
sein wie die Götter! Und beides bedeutet für die
Menschen das Entgegengesetzte. Es sind wahrhaft
erschütternde Posaunenklänge, die in diesen Worten
klingen: das eine Mal hertönend von dem Versucher, das
andre Mal von dem Erlöser und Befreier und dem
Wiederhersteller der menschlichen Natur.
Auf
die Erkenntnis des Wesens kommt es an, kommt es gar sehr an
zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Die größte
Gefahr ist vorhanden, den Luzifer mit dem Christus zu
verwechseln in der Sonnensphäre, weil beide dieselbe
Sprache sprechen, dieselbe Lehre auf der Sonne lehren und wir
dieselben Worte von ihnen vernehmen, wenn wir von Worten da
sprechen dürfen. Auf das Wesen kommt es an. Daß
dieses oder jenes Wesen dieses oder jenes Wort spricht, darauf
kommt es an, nicht auf den Lehrgehalt; denn das, was als reale
Kräfte durch die Welt pulsiert, das ist das Wesentliche.
Und in den höheren Welten und vor allem in dem, was in die
irdischen Sphären hineinspielt, verstehen wir die Worte
erst richtig, wenn wir wissen, von welchem Wesen die
betreffenden Worte kommen. Niemals erkennen wir an dem Inhalt
der Worte die Höhe eines Wesens, sondern dadurch, daß
wir den ganzen Welten-Zusammenhang kennenlernen, in den ein
Wesen hineingestellt ist. Das können wir ganz genau
bestätigt sehen an dem Wort von der Göttergleichheit
der Menschen, an dem Hereintönen des Luzifer und Christus
in das Dasein.
Mit
solchen Dingen sind wichtige Tatsachen der Evolution
ausgesprochen. Und sie werden ausgesprochen, nicht — auch
in diesem Falle gar nicht so sehr — wegen ihres Inhaltes,
sondern wegen ihres Wesenhaften; werden ausgesprochen, damit in
den Seelen die Empfindungen entstehen, die notwendig als
Konsequenz solcher Worte entstehen sollten. Und wenn
diejenigen, die solche Wahrheiten in sich aufgenommen haben,
die Empfindungen aufnehmen und die Worte vergessen, so ist
eigentlich gar nicht einmal so sehr viel verloren. Selbst wenn
ich mir den radikalsten Fall denke, daß unter uns jemand
wäre, der alles vergessen hätte, was jetzt gesprochen
worden ist, und sich gar nicht an ein Wort erinnert, aber in
der Empfindung das in sich trüge, was herausfließen
kann aus solchen Worten, so würde er genügend in
geisteswissenschaftlichem Sinne von dem haben, was eigentlich
mit diesen Worten gemeint ist.
Wir
müssen ja in Worten sprechen, und Worte nehmen sich
zuweilen theoretisch aus. Aber das, worauf es ankommt, das ist,
daß wir durch die Worte hindurch auf das Wesenhafte im
Geiste zu blikken verstehen und dieses Wesenhafte in unsere
Seele aufnehmen. Die Welt wird gar mancherlei gerade in bezug
auf den Fortgang der Menschheitsentwickelung verstehen lernen,
wenn sie die Geisteswissenschaft wesenhaft erfaßt. Und da
möchte ich heute nur zwei Beispiele anführen, die
nicht gerade innerlich, sondern mehr äußerlich mit
meinen okkulten Forschungen der letzten Monate
zusammenhängen, aber die mir zum Beispiel recht
frappierend waren, weil sie mir gezeigt haben, wie eigentlich
erst dadurch, daß man etwas erkannt hat in der okkulten
Lehre, was dem entspricht, das in der Welt schon da ist, was
hereingeleitet worden ist durch inspirierte Menschen, diese
Wahrheit dort wieder aufgefunden werden kann.
Sehen Sie, ich habe mich viel mit Homer
beschäftigt, habe sie oft gelesen, die homerischen Werke.
Nun trat mir im Verlauf der letzten Monate immer wieder das
gerade lebendig vor die Seele: wie man nach dem Tode nichts
ändern kann, wie die Verhältnisse dieselben bleiben;
wie man zum Beispiel von einem Menschen, zu dem man irgendwie
gestanden hat im Leben, weiß: du hast ihn zu wenig
geliebt, aber wie man das nicht ändern kann. Wenn man
diese Tatsache ins Auge faßt und dann bei Homer liest,
daß er das Jenseits schildert als den Ort, wo das Leben
unveränderlich wird, dann fängt man erst an, die
ganze Tiefe dieser Worte zu verstehen von dem Orte, wo die
Dinge keiner Wandlung mehr unterliegen: Und das ist ein
wunderbarer Eindruck, die eigene okkulte Erkenntnis mit dem zu
vergleichen, was der «blinde Homer» wie ein
Seelenseher hereinbrachte als wichtige okkulte Wahrheit und sie
in seinem Dichterwerk zum Ausdruck brachte!
Und
noch etwas anderes war mir frappierend, wogegen ich mich
wahrhaft gesträubt habe, weil es mir unglaublich erschien,
dem aber nicht zu entkommen ist, wenn man mit allen Mitteln der
okkulten Forschung daran herantritt.
Einige — oder die meisten von Ihnen — werden
vielleicht von den sogenannten Mediceergräbern wissen in
Florenz, von Michelangelo. Es sind Giuliano und Lorenzo
de Medici und vier allegorische Figuren. Dabei denkt man sich
gewöhnlich nichts Künstlerisches. Stroherne
Allegorien, sagt man gewöhnlich. Nun sind ja eigentlich
diese sogenannten allegorischen Figuren mit Ausnahme einer
nicht recht fertig geworden; aber sie machen trotzdem nicht den
Eindruck von Allegorien. In den Reisehandbüchern ist es
sehr eigentümlich, daß man hingewiesen wird bei
diesen Mediceergräbern auf die eine Seite: da stünde
der eine der Mediceer, Lorenzo, auf der anderen der andere,
Giuliano. Und die sind genau verwechselt. Der als der Lorenzo
angesprochen wird, ist der Giuliano, und der als Giuliano
angesprochen wird, ist der Lorenzo. So ist es einmal. Und da
steht es fast in allen Kunstgeschichten so wie es nicht ist.
Jedenfalls ist es nicht so, wie es in den Kunstgeschichten und
im Baedecker steht. Ich habe mich nicht weiter darum
bekümmert, warum es so ist, aber wahr ist es, daß die
beiden Figuren immer verwechselt werden. Die Beschreibungen
würden gar nicht stimmen, und wahrscheinlich hat man sie
einmal umgestellt. Sie stehen jetzt anders als Michelangelo sie
gestellt hat. Aber davon will ich nicht sprechen, sondern nur
davon, daß da vier allegorische Figuren sind: am Fuße
des einen Mediceers die «Nacht» und der
«Tag», beim ändern die
«Morgendämmerung» und
«Abenddämmerung». Nun bedenken Sie, ich habe
mich gesträubt gegen das, was ich jetzt sagen werde, aber
man vertiefe sich wirklich hinein in jede Geste, in alles, was
man vor sich hat, und gehe zunächst von der
«Nacht» aus, schaue sich diese Figur an, von der die
unsinnige Bemerkung in den Büchern steht, daß sie
eine Geste hätte, die ein schlafender Mensch nicht
einnehmen könnte. Wenn man aber jede Geste und jedes
einzelne Glied studiert und dann sich folgende Frage vorlegt:
Wie müßte ein Künstler die menschliche Figur
darstellen, wenn er darstellen wollte in dem Ausdruck der Figur
die größtmögliche Tätigkeit des
Ätherleibes, wie sie stattfinden könnte gerade im
Schlaf — also eine Lagerung der Glieder der Figur geben
wollte, die am besten entspräche dem Moment, da der
Ätherleib am allermeisten arbeitet an dem physischen Leib
—, dann müßte er das gerade so machen, wie
Michelangelo aus seinen künstlerischen Instinkten das
gemacht hat. Er hat die Geste, die dem Ätherleib
entspricht, hineingeheimnißt in diese «Nacht».
Ich behaupte nicht, daß Michelangelo das gewußt hat,
aber es ist so.
Und
dann sehe man sich den «Tag» an! Das ist keine
stroherne Allegorie. Wenn man sich vorstellen würde, die
niederen Glieder der menschlichen Wesenheit seien weniger
tätig und am meisten tätig sei das Ich, dann
ergäbe das, bis auf die eigentümliche Umdrehung der
ganzen Figur, die Figur des «Tages». Und wenn man
ausdrücken wollte, wie am freiesten bei Ausschluß der
anderen menschlichen Glieder der astralische Leib wirkt, wie er
sich in der Geste ausdrückt, so hätte man das bei der
sogenannten Allegorie der Morgendämmerung. Und wenn man
ausdrücken wollte, wie wenn der physische Leib nicht
sogleich zusammenfallen würde, sondern wie er schlaff
wird, wenn sich Ich und astralischer Leib herausziehen, so ist
das in der Geste der «Abenddämmerung» wunderbar
ausgedrückt. Man hat da vor sich die lebendigen
Ausgestaltungen der vier menschlichen Wesensglieder. Man kann
sich da ganz gut denken, wie eine solche Legende hat entstehen
können, die sich verbreitet hat in bezug auf die
«Nacht», von der gesagt worden ist, wenn Michelangelo
allein war mit ihr, dann konnte sie lebendig werden und
aufstehen und herumgehen, wenn man weiß, daß sie die
entsprechende Geste des Ätheroder Lebensleibes hat, und
der Ätheroder Lebensleib voll tätig sein kann bei
dieser Geste. Und wenn man dies empfindet, dann sieht man diese
Figur aufstehen, dann weiß man: sie kann herumgehen. Wenn
sie nicht aus Marmor wäre, wenn wirklich der
Ätheroder Lebensleib allein tätig wäre, der das
Belebende ist, dann wäre kein Hindernis, daß sie
herumginge.
Vieles ist hineingeheimnißt in das, was die
Menschheitsevolution hervorgebracht hat, und vieles wird erst
verständlich werden, wenn die Menschen durch das, was den
okkulten Blick schärfen kann, die Dinge betrachten werden.
Aber auf alle diese Dinge kommt es letzten Endes nicht an! Ob
wir ein Kunstwerk besser verstehen oder nicht, das ist nichts
allgemein Menschliches. Aber auf etwas anderes kommt es an:
Wenn wir den Blick so geschärft haben, so geht uns ein
Verständnis auf für die Seele des anderen Menschen;
nicht durch den okkulten Blick, der etwa schon hineinschauen
muss in die geistige Welt, sondern durch den Blick, der durch
die Geisteswissenschaft geschärft ist. Durch das durch den
gesunden Menschenverstand bewirkte Verständnis der
Geisteswissenschaft wächst in uns die Erkenntnis dessen,
was uns im Leben entgegentritt, vor allem dessen, was die Seele
unserer Mitmenschen ist. Und wir werden versuchen,
Verständnis für jede menschliche Seele zu
gewinnen.
Allerdings ist dieses Verständnis für jede
menschliche Seele etwas anderes, als was man oftmals im Leben
Verständnis nennt. Im Leben ist die Liebe leider nur zu
häufig recht egoistisch. Man liebt den — nun, zu dem
man eben durch dieses oder jenes Verhältnis ganz besonders
hingezogen ist, und im übrigen begnügt man sich meist
mit dem, was man allgemeine Menschenliebe nennt: man liebt die
allgemeine Menschheit. Was ist denn das? Man muß jede
Seele verstehen können.
Vielleicht wird man nicht jede vortrefflich finden, aber das
ist ja nicht schlimm, denn mancher Seele schadet man durch
nichts mehr, als wenn man sie in blinder Liebe anhimmelt.
Von
diesem Faktor werden wir dann übermorgen noch etwas
näher sprechen.
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