VIERTER VORTRAG
Ilkley, 8. August 1923
Kein Zeitalter kann die Erziehung anders einrichten, als die
allgemeine Zivilisation des Zeitalters ist. Was die
allgemeine Zivilisation hergibt, das kann der Lehrende, der
Unterrichtende dem Kinde in der Erziehung überliefern.
Indem ich Ihnen von den Griechen gesprochen habe, mußte
ich Sie darauf aufmerksam machen, wie die Griechen gedacht
haben, wie die Griechen eine intime Erkenntnis des ganzen
Menschen gehabt haben, und aus dieser intimen Kenntnis des
ganzen Menschen heraus in einer Art, die wir heute nicht mehr
haben können, die Kinder erzogen haben. Diese
Erkenntnis des ganzen Menschen war beim Griechen eine solche,
die ganz und gar folgte aus dem menschlichen Körper. Der
menschliche Körper war in gewisser Beziehung für den
Griechen durchsichtig. Der Körper enthüllte ihm,
offenbarte ihm zugleich Seele und Geist, insofern die Griechen
ein Verständnis hatten für Seele und Geist.
Und
wir haben ja gesehen, wie die Griechen vom Körper aus den
ganzen Menschen erzogen. Was nicht aus dem Körper
herausgeholt werden konnte, so wie ich gezeigt habe, daß
Musik aus dem Körper herausgeholt wurde, das wurde dem
Menschen verhältnismäßig spät, etwa erst
dann, wenn er körperlich ganz erzogen war, im zwanzigsten
Jahre oder später vermittelt.
Wir
sind alle heute in einer ganz anderen Lage. Und die
größten Illusionen in der Menschheitsentwickelung
entstehen eigentlich dadurch, daß man sich dem
Glauben hingibt, alte Zeitalter, die es mit einer ganz anderen
Menschheit zu tun hatten, könnten heute wieder erneuert
werden. Aber gerade in der Gegenwart sind wir darauf
angewiesen, ganz voll und mit praktischem Sinn uns der
Wirklichkeit hinzugeben. Und wenn wir diese unsere
geschichtliche Wirklichkeit verstehen, dann können
wir eben nicht anders als sagen: Geradeso wie die Griechen vom
Körper aus ihr gesamtes Erziehungswesen leiten
mußten, so müssen wir vom Geiste aus die Erziehung
leiten. Und wir müssen die Wege finden, auch zur
körperlichen Erziehung hinzukommen vom Geiste aus.
Denn die Menschheit ist einmal — es mag einem das
sympathisch oder antipathisch sein — in der Gegenwart an
dem Punkte angekommen, den Geist als solchen erfassen zu
müssen, den Geist als eigenen menschlichen Inhalt sich
durch menschliche Arbeit erringen zu müssen.
Aber gerade, wenn man nun ganz aus dem Sinne unseres Zeitalters
heraus erziehen will, dann empfindet man, wie wenig weit die
allgemeine Zivilisation eigentlich mit der Durchdringung
des Geistes gekommen ist. Und dann entsteht die
Sehnsucht, gerade um der Erziehung des Menschen willen,
den Geist immer weiter und weiter auch zu einem menschlichen
Eigentum zu machen. Wir können uns fragen: Wo zeigt sich
uns auf einer gewissen vorläufig höchsten Stufe
dasjenige, was die gegenwärtige Menschheit an Geist
ergriffen hat? — Schrecken Sie nicht davor zurück,
daß ich die Charakteristik hier nehme
gewissermaßen von dem Gipfelpunkt des heutigen
Geisteslebens. Dasjenige, was sich an dem Gipfelpunkt eben nur,
ich mochte sagen, symbolisch in Reinkultur zeigt, das
beherrscht im Grunde genommen auch in den Weiten und in den
Tiefen die ganze Zivilisation.
Wir
sind heute bei dem Ergreifen des Geistes erst dabei
angekommen, diesen Geist in Ideen, im Denken zu
ergreifen. Und das Denken des Menschen in unserem
gegenwärtigen Zeitalter in seiner ganzen Verfassung
ist vielleicht am allerbesten zu ergreifen, wenn man hinschaut
auf die Art und Weise, wie dieses Denken unserer Zeit etwa
geworden ist, sagen wir, bei John Stuart Mill oder bei
Herbert Spencer.
Ich
sagte, schrecken Sie nicht davor zurück, daß ich
jetzt in diesem Augenblicke auf die Gipfelpunkte der
Zivilisation hindeute. Denn dasjenige, was eben nur in einer
gewissen Art als das höchste Symptom bei John Stuart Mill,
bei Herbert Spencer zum Ausdrucke gekommen ist, das beherrscht
alle Kreise, das ist im Grunde genommen das Denken
unserer Zivilisationsentwickelung. Wenn wir also heute fragen:
Wie erkennt die Menschheit den Geist, von dem aus sie erziehen
soll, wie der Grieche den Körper erzogen hat? —
müssen wir uns zur Antwort geben: Die Menschheit
erkennt den Geist, wie ihn John Stuart Mill oder Herbert
Spencer erkannt hat.
Aber wie haben sie ihn erkannt? Denken wir uns einmal, was man
heute vom Geiste meint, wenn man heute vom Geiste spricht. Ich
meine nicht jenes höchst unbestimmte nebulose Gebilde, das
irgendwo über den Wolken schwebt. Wenn die Menschen heute
von Geist reden, so ist das etwas, was traditionell sich dem
Menschen mitgeteilt hat, woran nichts erlebt wird. Wir
können nur dann von dem Geiste sprechen, den die
Menschheit hat, wenn wir darauf hinschauen, wie die Menschheit
mit diesem Geist verfährt, wie sie damit hantiert, was sie
tut damit. Und den Geist, den eben die Menschheit in der
gegenwärtigen Zivilisationsentwickelung hat, den
haben schon John Stuart Mill oder Herbert Spencer in ihre
Weltanschauung, in ihre Philosophien hineingearbeitet. Da
ist er drinnen, da müßte er aufgesucht werden.
Nicht wie die Menschen abstrakt vom Geiste sprechen, sondern
wie sie den Geist anwenden, darauf muß man sehen.
Und
nun schauen wir uns einmal diesen gedachten Geist an. Er ist ja
zunächst nur ein gedachter Geist, wie ihn die Zivilisation
der Gegenwart hat, ein gedachter Geist, ein Geist, der
allenfalls philosophische Dinge denken kann. Aber verglichen
mit dem Vollinhaltlichen, das der Grieche angeschaut hat, wenn
er vom Menschen, von seinem Anthropos gesprochen hat, ist ja
das, worinnen wir da herumschwirren im Geiste, wenn wir denken,
etwas höchst, nun sagen wir, Destilliertes, etwas
höchst Dünnes.
Der
Grieche, wenn er vom Menschen sprach, hatte immer das Bild des
körperlichen Menschen vor sich, der zugleich Offenbarung
des Seelischen und des Geistigen war. Dieser Mensch war
irgendwo, dieser Mensch war irgendwann, dieser Mensch hatte
eine Grenze. Seine Haut begrenzte ihn. Und derjenige, der in
den Gymnasien diesen Menschen ausbildete, der bestrich die Haut
mit öl, um diese Grenze stark zu markieren. Der Mensch
wurde stark hingestellt. Das war also etwas ganz Konkretes,
etwas, was irgendwo, irgendwann, was in irgendeiner Weise
gestaltet ist.
Nun
bitte, denken Sie an das Denken, worinnen wir heute den Geist
ergreifen. Wo ist es? Welche Gestalt hat es? Es ist ja alles
unbestimmt. Nirgends ein Wie und Wann, nirgends eine
bestimmte Gestalt, nirgends etwas Bildhaftes. Man
bemüht sich zwar, etwas Bildhaftes zu gewinnen. Nun
ja, schauen wir uns das zum Beispiel gerade bei John Stuart
Mill an, wie man sich etwas Bildhaftes vorstellt.
Da
sagte man: Wenn der Mensch denkt, dann geht eine Idee
vorüber, eine zweite Idee, eine dritte Idee. Er
denkt eben in Ideen. Das sind so innerlich vorgestellte Worte.
Er denkt in Ideen, und diese Ideen assoziieren sich. Das ist
eigentlich das Wesentliche, wozu man kommt: Eine Idee heftet
sich neben die zweite Idee, dann eine dritte Idee, eine vierte
Idee; die Ideen assoziieren sich. Und die gegenwärtige
Psychologie ist dazu gekommen, von Ideenassoziationen in der
verschiedensten Weise als der eigentlichen inneren
Wesenheit des geistigen Lebens zu sprechen.
Denken Sie, wenn man nun die Frage stellt: Wie würde man
sich selber fühlen und empfinden als Mensch, wenn man nun
als Geist diese Ideenassoziation bekäme? — Man steht
in der Welt drinnen, da beginnen nun die Ideen sich zu
bewegen — jetzt assoziieren sie sich. Und jetzt blickt
man auf sich selber zurück und fragt sich, was man da
eigentlich ist als Geist in diesen assoziierten Ideen? Man
bekommt dabei eine Art Selbstbewußtsein, das ganz
dem Selbstbewußtsein gleicht, welches man haben
würde, wenn man plötzlich in den Spiegel schaute und
wie ein Skelett wäre, und zwar wie ein ganz totes Skelett.
Denken Sie sich den Schock, den Sie bekämen, wenn
Sie in den Spiegel schauten, und Sie wären plötzlich
ein Skelett! Im Skelett ist das so: die Knochen sind
assoziiert; sie sind auf äußerliche Weise
zusammengehalten; sie ruhen durch Mechanik aufeinander.
Dasjenige also, was wir von unserem Geiste erfassen, das ist
nur ein der Mechanik Nachgebildetes! Man fühlt sich
in der Tat, wenn man ein Vollmenschliches in sich hat, wenn man
gesund fühlt und als Mensch gesund ist, wie wenn man sich
in einem Spiegel als Skelett schaut. Denn in den Büehern,
die Assoziations-Psychologie beschreiben, sieht man sich ja in
der Tat wie in einem Spiegel, da sieht man sich ja als Geist
knochig!
Dieses Vergnügen, meine sehr verehrten Anwesenden,
können wir ja fortwährend haben, nur nicht
äußerlich körperlich, da es sich, wenn man den
heutigen Bestand mit dem griechischen Bestand vergleicht,
fortwährend ergibt. Geistig haben wir das
fortwährend. Unsere Philosophen ersuchen wir, sie
mögen uns Selbsterkenntnis geben: sie legen uns ihre
Bücher als den Spiegel vor, und da sehen wir uns drinnen
als Knochengeist in Ideenassoziationen.
Das
überkommt heute den Menschen, wenn er nun über
Erziehung praktisch nachsinnen will, wenn er praktisch an das
Erziehungswesen herangehen will aus der allgemeinen
Zivilisation! Da bekommt er nämlich nicht eine Anweisung,
wie die Erziehung sein soll, sondern eine Anschauung
darüber, wie man einen Haufen Menschenknochen findet und
daraus ein Skelett zusammenstellt.
Das
ist, was die allgemeine Menschheit heute, die Laienmenschheit,
fühlt. Sie lechzt nach einer neuen Erziehung! Überall
tritt die Frage auf: Wie soll erzogen werden? — Aber
wohin soll sich die Menschheit wenden? Sie kann sich nur wenden
zu dem, was allgemeine Zivilisation ist. Da zeigt man ihr,
daß man eigentlich nur ein Skelett aufbauen kann.
Und
da muß den Menschen überkommen, ich möchte
sagen, ein tiefes Zivilisationsgefühl. Er muß sich,
wenn er gesund fühlt, durchdrungen fühlen
können mit dieser intellektualistischen Weise des
heutigen Vorstellens und Denkens. Und darüber
betäubt sich die heutige Menschheit. Sie möchte
dasjenige, was man ihr im Spiegel zeigt, doch als etwas ganz
Hohes und Vollendetes ansehen und möchte dann damit
etwas machen, möchte vor allen Dingen damit erziehen. Und
das geht nicht. Man kann damit nicht erziehen.
Und
so muß man heute zunächst, um den nötigen
Enthusiasmus als Erzieher zu haben, hinschauen lernen auf alles
dasjenige, was in unserem Denken, in unserer
intellektualistischen Kultur nicht lebend, sondern tot ist.
Denn das Skelett ist tot. Und durchdringt man sich mit dieser
Erkenntnis, daß unser Denken ein totes Denken ist, dann
kommt man sehr bald darauf, daß alles Tote aus einem
Lebenden stammt. Wenn Sie einen Leichnam finden, so werden Sie
den für nichts Ursprüngliches halten; nur wenn Sie
keinen Begriff hätten von einem Menschen, würden Sie
den Leichnam für etwas an sich halten. Wenn Sie aber einen
Begriff haben vom Menschen, so werden Sie wissen: der Leichnam
ist übriggeblieben vom Menschen. Aus dem Charakter des
Leichnams schließen Sie nicht nur auf den Menschen,
sondern Sie wissen, daß da ein Mensch war.
Erkennen Sie das Denken als etwas Totes, so wie es heute als
Denken gepflegt wird, erkennen Sie das Denken als einen
Leichnam, dann beziehen Sie es auf etwas Lebendes. Haben Sie
nun auch den innerlichen Impuls, dieses Denken zu etwas
Lebendem zu machen und dadurch unsere ganze Zivilisation
zu beleben, dann erst kann aus unserer heutigen Zivilisation
wiederum etwas ähnlich Praktisches hervorgehen, das an den
lebenden Menschen herankommen kann, nicht an den
Skelettmenschen, so wie die griechische Erziehung an den
lebendigen Menschen herangekommen ist.
Unterschätzen wir nicht die Empfindungen, von denen der
Lehrende und Unterrichtende ausgehen kann und ausgehen
muß. Die Lehrer der Waldorfschule haben zunächst
einen seminaristischen Kursus durchgemacht. Da handelte
es sich nicht bloß um Aneignung bestimmter Programmpunkte,
da handelte es sich darum, daß dieser Kursus eine ganz
bestimmte Seelenverfassung gab: dasjenige, was unser Zeitalter
als ein stolzestes Erbgut hat, zurückzuführen in das
Innerste des Menschen, um das tote Denken zum lebendigen
Denken, um das neutrale Denken zum charaktervollen Denken, um
das natürliche, unorganische Denken zum charaktervollen,
vom ganzen Menschen durchsetzten, eben «menschlichen»
Denken zu machen. So daß der Gedanke zunächst
im Lehrer beginnen muß zu leben.
Wenn aber etwas lebt, so hat das Leben eine Folge. Der Mensch,
der irgendwo und irgendwann ist, mit Geist, Seele, Körper,
der eine bestimmte Gestalt, eine bestimmte Begrenzung hat, der
bleibt nie beim Denken stehen: der fühlt und will. Und
wenn Sie ihm einen Gedanken übermitteln, so ist der
Gedanke der Keim eines Fühlens und Wollens, wird zu etwas
Ganzem.
Unser Denken, das hat zum Ideal, möglichst, wie man es
nennt, objektiv zu sein, möglichst still und ruhig zu
werden, ein ganz ruhiges Abbild der Außenwelt zu sein, nur
der Erfahrung zu dienen. Da ist keine Kraft drinnen; da wird
nichts daraus, was fühlt und will.
Der
Grieche, der ging vom körperlichen Menschen aus; den hatte
er vor sich. Wir müssen von einem menschlichen Ideal
ausgehen, das fühlt jeder, aber dieses Ideal darf nicht
bloß gedacht sein, dieses Ideal muß leben, dieses
Ideal muß die Kraft des Fühlens und Wollens
haben.
Das
ist das erste, das wir brauchen, wenn wir heute an
Erziehungsumwandlung denken: daß wir aus abstrakten, aus
gedachten Idealen kommen, bei denen es gar nicht anders
möglich ist, wenn wir sie uns in die Seele schreiben, als
daß sie in uns auch fühlen und wollen, daß aus
ihnen auch hervorgeht die Menschlichkeit bis in die
körperliche Erziehung hinunter.
Unsere Gedanken werden nicht Gebärden. Sie müssen
aber wiederum Gebärden werden. Sie müssen nicht
nur aufgenommen werden von dem Kinde, das dasitzt, sondern sie
müssen die Arme und Hände des Kindes bewegen, sie
müssen das Kind geleiten, wenn es hinausgeht in die Welt.
Dann werden wir einheitliche Menschen haben, und
einheitliche Menschen müssen wir wiederum erziehen;
dann werden wir Menschen haben, bei denen dasjenige, was wir im
Schulzimmer ihnen beibringen, seine Fortsetzung erfährt in
der körperlichen Erziehung.
So
denkt man heute nicht. Heute denkt man: im Schulzimmer, da ist
so etwas für sich Intellektualistisches, das muß
einmal beigebracht werden; das macht den Menschen müde,
das macht den Menschen abgespannt, vielleicht sogar
nervös. Jetzt muß dazu etwas hinzukommen! Und da
denkt man abgesondert die körperliche Erziehung dazu.
Und
so sind heute zwei Dinge da: intellektualistische Erziehung
für sich — körperliche Erziehung für sich.
Das eine fordert nicht das andere! Wir haben im Grunde
genommen zwei Menschen, einen nebulosen, erdachten, und einen
wirklich, den wir nicht mehr durchschauen, wie ihn die Griechen
durchschaut haben. Und wir schielen immer, wenn wir nach dem
Menschen hinschauen, wir haben immer zwei vor uns.
Wir
müssen wiederum sehen lernen. Wir müssen wiederum den
ganzen Menschen sehen lernen als Einheit, als
Totalität. Das ist zunächst das Wichtigste für
unser ganzes Erziehungswesen.
Es
wird sich also darum handeln, aus einer mehr oder weniger heute
doch vorhandenen theoretischen Erziehungsmaxime zu einer
wirklichen, praktischen Erziehung vorzudringen. Und aus
den Betrachtungen, die ich eben gepflogen habe, wird ja
hervorgehen, daß vieles abhängig davon ist, wie wir
den Geist, den wir eigentlich nur intellektuell erfassen,
an den Menschen wiederum heranbringen, wie wir den Geist bis
zum Menschen herantragen, so daß unser nebuloser,
verschwommener Geist, mit dem wir auf den Menschen
hinschauen, Mensch wird. Wir müssen, wie der Grieche den
Menschen im Körper geschaut hat, den Menschen im Geiste
schauen lernen.
Lassen Sie mich dafür, wie man den Menschen vom Geiste aus
bis zum Körper hinein zu verstehen beginnen kann, heute
vorläufig ein erklärendes Beispiel betrachten. Ich
will als erklärendes Beispiel einmal im Menschen die Art
wählen, wie sich der Geist an ein bestimmtes Organ des
Menschen heranbringen läßt. Ich möchte heute ein
möglichst auffälliges Beispiel wählen, nur
vorläufig, die Dinge werden sich ja in späteren Tagen
erhärten. Ich möchte heute zeigen, wie der Geist
heranzubringen ist an dasjenige, was auch die Griechen bei der
Entwickelung des Kindes als etwas außerordentlich
Wichtiges, Symbolisches angesehen haben: das
Zähnebekommen.
Die
Griechen haben den Zahnwechsel als dasjenige Lebensalter
angesehen, wo das Kind der öffentlichen Erziehung
übergeben wird. Nun versuchen wir einmal, uns das
Heranbringen des Geistes an den Menschen, die Beziehung des
Geistes zu den menschlichen Zähnen vor die Seele zu
stellen.
Es
wird das etwas paradox aussehen, daß ich gerade, um den
geistigen Menschen zu betrachten, zunächst von den
Zähnen spreche, allein das scheint nur deshalb paradox,
weil eben aus der heutigen Zivilisation heraus der Mensch zwar
sehr gut weiß, wie sich irgendein kleiner Tierheim
ausnimmt, wenn man durch das Mikroskop schaut, aber sehr wenig
von demjenigen, was eigentlich offen zutage liegt. Man
weiß von den Zähnen, daß sie zum Essen notwendig
sind. Das ist zunächst dasjenige Wissen, was am
hervorstechendsten ist. Man weiß auch noch von den
Zähnen, daß sie zum Sprechen notwendig sind; denn man
weiß, daß es Zahnlaute gibt, daß in einer
bestimmten Weise die Luft, die aus den Lungen, dem Kehlkopfe
dringt, durch die Lippen und den Gaumen und auch durch die
Zähne zu gewissen Konsonanten geformt werden
muß. Man weiß also, daß die Zähne zum Essen
und zum Sprechen gut sind.
Nun, eine wirklich geistige Erfassung des Menschen zeigt uns
noch etwas anderes. Wenn man in der Lage ist, den Menschen zu
studieren etwa in dem Sinne, wie ich es in meinem ersten
Vortrage, der noch nicht über Erziehung handelte,
auseinandersetzte, dann eben kommt man darauf, daß das
Kind die Zähne noch wegen etwas ganz anderem entwickelt
als wegen des Essens und wegen des Sprechens.
Das
Kind entwickelt nämlich die Zähne, so paradox es
heute klingt, wegen des Denkens! Und wenig weiß die
Wissenschaft von heute davon, daß die Zähne die
allerwichtigsten Denkorgane sind. Beim Kinde, bevor es durch
den Zahnwechsel gegangen ist, sind die physischen Zähne
als solche die allerwichtigsten Denkorgane.
Indem das Kind sich wie selbstverständlich im Verkehre mit
seiner Umgebung hineinfindet in das Denken, indem aus dem
dunklen Schlaf- und Traumleben des Kindes herauftaucht das
Gedankenleben, ist dieser ganze Prozeß gebunden
daran, daß sich im Haupte des Kindes die Zähne
durchdrängen, gebunden an die Kräfte, die aus dem
Haupte des Kindes heraus sich drängen. Und wie die
Zähne gewissermaßen durch den Kiefer vorstoßen,
sind diejenigen Kräfte da, die aus dem unbestimmten
Schlafesleben, Traumesleben, seelisch nun auch das Denken
an die Oberfläche bringen. Und in demselben Maße, in
dem das Kind zahnt, lernt es denken.
Und
wie lernt das Kind denken? Das Kind lernt denken, indem es ganz
und gar als ein nachahmendes Wesen an die Umgebung
hingewiesen ist. Es ahmt nach bis ins Innerste hinein
dasjenige, was in seiner Umgebung vor sich geht und in seiner
Umgebung sich unter dem Impulse von Gedanken abspielt.
Aber in demselben Maße, in dem da in dem Kinde
aufsprießt das Denken, in demselben Maße
schießen die Zähne hervor. In diesen Zähnen
liegt eben die Kraft, die seelisch als Denken erscheint.
Verfolgen wir das Kind in seiner Entwickelung weiter. Diese
ersten Zähne werden ausgestoßen. Ungefähr um das
siebente Jahr herum unterliegt das Kind dem Zahn Wechsel.
Es bekommt die zweiten Zähne. Ich habe schon gesagt: da
war die ganze Kraft, welche die ersten, die zweiten Zähne
hervorgebracht hat, im ganzen Organismus des Kindes; sie zeigt
sich nur im Haupte, im Kopfe am stärksten. Man bekommt nur
einmal zweite Zähne. Die Kräfte, welche aus dem
kindlichen Organismus die zweiten Zähne
hervortreiben, wirken später im Erdenleben des
Menschen bis zum Tode hin nicht mehr als physische
Impulskräfte: sie werden seelisch, sie werden
geistig; sie beleben das menschliche seelische
Innere.
Wenn wir also hinschauen auf das Kind zwischen dem siebenten
und vierzehnten Lebensjahre ungefähr und fassen die
seelischen Eigenschaften des Kindes ins Auge, dann
müssen wir uns sagen: Was uns da als seelische
Eigenschaften, namentlich als das kindliche Denken zwischen dem
siebenten und vierzehnten Lebensjahre erscheint, das war bis
zum siebenten Jahre Organkraft. Das wirkte im Organismus, im
physischen Organismus, trieb die Zähne heraus und erlangte
im Zahnwechsel seinen Abschluß im physischen Wirken und
verwandelt sich, transformiert sich in seelisches Wirken.
Diese Verhältnisse sind allerdings nur dann zu studieren,
wenn man vordringt zu derjenigen Erkenntnisart, die ich in dem
genannten ersten Vortrage als die erste Stufe der exakten
Clairvoyance beschrieben habe, als die imaginative Erkenntnis.
Mit dem, was heute verbreitet ist als abstraktes, als
intellektualistisches Denken, dringt man nicht bis zu einer
solchen Erkenntnis des Menschen. Es muß das Denken sich
innerlich beleben, so daß es bildhaft wird, daß man
wirklich durch das Denken selber etwas erfassen kann. Durch das
intellektualistische Denken erfaßt man ja gar
nichts. Da bleiben die Dinge alle draußen. Man schaut sie
an, man macht Abbilder von dem Angeschauten. Aber das Denken
kann innerlich erkraftet, aktiviert werden. Dann hat man keine
abstrakten, keine intellektualistischen Gedanken, dann hat man
imaginative Bilder. Die füllen die Seele so aus wie sonst
die intellektuellen Gedanken. Kommt man zu einer solchen
ersten Stufe des exakten Schauens, dann durchschaut man
eben, wie im Menschen nicht nur ein physischer Leib wirkt,
sondern ein übersinnlicher Leib, ein
übersinnlicher Körper, wenn ich mich des
paradoxen Ausdrucks bedienen darf. Das erste Übersinnliche
wird man gewahr im Menschen!
Und
man schaut dann in der folgenden Weise auf den Menschen hin.
Man sagt sich: Da hat man den physischen Körper des
Menschen, den kann man abwiegen, der strebt in der Richtung der
Schwere zur Erde hin, der unterliegt der Gravitationskraft. Das
ist seine wichtigste Eigenschaft: man kann den physischen
Körper abwiegen.
Wird man gewahr durch imaginative Erkenntnis den
übersinnlichen Leib des Menschen, den ich in meinen
Büchern den Ätherleib oder Bildekräfteleib
genannt habe, erkennt man: den kann man nicht abwiegen,
der wiegt nichts, im Gegenteil, der will fort von der Erde nach
allen Seiten des Weltenalls hinaus. Der hat die
entgegengesetzte Kraft als die Schwere in sich, der strebt
fortwährend der Schwere entgegen.
Man
erreicht — ebenso wie man durch die gewöhnliche
physische Erkenntnis für den schweren physischen
Körper des Menschen Erkenntnis erlangt — durch
die imaginative Erkenntnis die erste Stufe der exakten
Clairvoyance, eine Erkenntnis des Ätherleibes, der
fortwährend weg will. Und so wie man den physischen
Leib allmählich auf die Umgebung zu beziehen lernt, so
lernt man auch den Ätherleib auf die Umgebung zu
beziehen.
Sie
suchen, wenn Sie an den physischen Leib des Menschen denken,
die Stoffe, aus denen er besteht, draußen in der Natur, in
der physischsinnlichen Natur. Sie sind sich klar
darüber, daß dasjenige, was am Menschen der
Gravitation unterliegt, die Schwere, das Gewicht, da
draußen auch wiegt, das geht durch die Nahrungsaufnahme in
den Menschen hinein. Man erlangt auf diese Weise eine Art
Naturanschauung über den menschlichen Organismus,
insofern der Organismus ein Physisches ist.
Durch die imaginative Erkenntnis erlangt man ebenso eine
Anschauung von der Beziehung des in sich beschlossenen
Äther- oder Bildekräfteleibes des Menschen zu
der umgebenden Welt. Dasjenige, was im Frühling die
Pflanzen aus dem Boden heraus, der Schwere entgegen, in allen
Richtungen dem Kosmos zu treibt, was die Pflanzen
organisiert, was die Pflanzen schließlich mit dem
nach aufwärts wirkenden Lichtstrom in Verbindung bringt,
was in der Pflanze eigentlich auch chemisch nach aufwärts
strebend wirkt, das muß man mit dem Ätherleib
des Menschen ebenso in Beziehung bringen wie die Salze und das
Kraut und die Rüben und die Kalbsbrüste mit dem
physischen Menschenleibe.
Und
so geht in der ersten Stufe der exakten Clairvoyance dieses in
sich gesättigte, einheiterfüllte Denken an die zweite
Wesenheit des Menschen heran, an den Ätherleib oder
Bildekräfteleib. Dieser Bildekräfteleib, der
ist bis zum Zahnwechsel, bis zum siebenten Jahre, ganz innig
verbunden mit dem physischen Leibe. Da drinnen organisiert er,
da drinnen ist er diejenige Kraft, die die Zähne
heraustreibt.
Wenn der Mensch die zweiten Zähne hat, so hat das
Stück dieses Ätherleibes, das die Zähne
heraustreibt, nichts mehr am physischen Leibe zu tun. Das ist
jetzt sozusagen in seiner Tätigkeit emanzipiert vom
physischen Leibe. Wir bekommen mit dem Zahnwechsel die
Ätherkräfte frei, die unsere Zähne
herausgedrückt haben; und mit diesen
Ätherkräften vollziehen wir nun das freie Denken, wie
es sich von dem siebenten Jahre an beim Kinde geltend macht.
Die Kraft der Zähne ist jetzt nicht mehr wie beim Kinde,
wo direkt die Zähne die Organe des Denkens sind, die
physische Kraft, sondern sie ist die ätherisierte Kraft.
Aber es ist die im Ätherleib nun wirkende gleiche Kraft,
welche die Zähne hervorgebracht hat, die nun denkt.
Wenn Sie also sich als denkender Mensch fühlen und so das
Gefühl haben, man hat es ja, daß vom Kopfe das Denken
ausgeht — manche Menschen spüren das nur, wenn sie
vom Denken Kopfschmerz bekommen —, dann zeigt Ihnen
eine wirkliche Erkenntnis, daß dieselbe Kraft, die im
Zahnen gelegen hat, die Kraft ist, mit der Sie vom Haupte aus
denken.
So
nähern Sie sich selbst mit Ihrer Erkenntnis der Einheit
des Menschen. So lernt man wiederum wissen, wie das Physische
mit dem mehr Seelischen zusammenhängt. Man weiß, das
Kind hat noch mit den physischen Zahnen gedacht, daher die
Zahnkrankheiten so innig mit dem ganzen Leben des Kindes
zusammenhängen. Denken Sie nur, was da alles eintritt,
wenn das Kind zahnt! Weil das Zahnen so innig mit dem innersten
Leben zusammenhängt, weil es mit der innersten
Geistigkeit des Kindes denkerisch zusammenhängt,
deshalb diese Zahnkrankheiten! Dann emanzipiert sich die
Wachstumskraft der Zähne und wird Denkkraft im Menschen,
selbständige, freie Denkkraft. Wenn Sie Beobachtungsgabe
dafür haben, sehen Sie dieses Selbständigwerden. Man
sieht ganz genau, wie mit dem Zahnwechsel das Denken sich
emanzipiert von dem Gebundensein an den Leib.
Und
was geschieht nun? Die Zähne werden zunächst Helfer
für dasjenige, was die Gedanken durchdringt, für die
Sprache. Die Zähne, die zuerst die selbständige
Aufgabe hatten, zu wachsen nach der Denkkraft, werden
gewissermaßen um eine Stufe hinuntergedrückt: das
Denken, das jetzt nicht mehr im physischen Leibe, sondern im
Ätherleibe ist, rückt eine Stufe herunter
— das geschieht ja schon während der ersten
Lebensjahre, denn der ganze Vorgang vollzieht sich
sukzessiv, hat nur seinen Abschluß beim zweiten
Zahnen —, aber die Zähne werden zu Helfern des
Denkens, wenn das Denken sich im Sprechen zum Ausdrucke bringen
will.
Und
so sehen wir auf den Menschen hin. Wir sehen sein Haupt; im
Haupte emanzipiert sich die Zahnwachskraft als Denkkraft; dann
wird gewissermaßen hinuntergeschoben dasjenige, was die
Zähne jetzt nicht mehr direkt zu besorgen haben —
weil es nun der Ätherleib zu besorgen hat
hinuntergeschoben ins Sprechen, so daß die Zähne
Heifer werden beim Sprechen; darinnen zeigt sich noch
ihre Verwandtschaft mit dem Denken. Verstehen wir, wie
die Zahnlaute sich in das ganze Denken des Menschen
hineinstellen, wie da die Zähne zu Hilfe genommen werden
gerade dann, wenn der Mensch durch D, T das bestimmte
Denkerische, das definitive Denkerische in die Sprache
hineinbringt: dann sehen wir an den Zahnlauten noch diese
besondere Aufgabe der Zähne.
Ich
habe Ihnen an einem Beispiel, zwar vielleicht an dem
groteskesten Beispiel, an den Zähnen, gezeigt, wie
wir vom Geiste aus den Menschen erfassen. Nun wird
allmählich, wenn wir so verfahren, das Denken nicht mehr
jenes abstrakte Schwimmen in Ideen, die sich assoziieren,
sondern das Denken verbindet sich mit dem Menschen, geht zum
Menschen hin, und wir haben nicht mehr ein bloß Physisches
im Menschen, das Beißen der Zähne, oder
höchstens das Sich-Bewegen beim Sprechen bei den
Zahnlauten, sondern wir haben in den Zähnen ein
äußerliches Bild, eine naturhafte Imagination des
Denkens. Das Denken schießt gewissermaßen hin und
zeigt sich uns an den Zähnen: Seht ihr, da habt ihr meine
äußere Physiognomie!
Wenn der Mensch sich zu den Zähnen hin entwickelt, wird
dasjenige, was sonst abstraktes, nebuloses Denken ist, bildhaft
gestaltet. Man sieht wiederum, da wo die Zähne sind, wie
das Denken im Haupte arbeitet: man sieht dann wiederum, wie das
Denken sich da entwickelt von den ersten zu den zweiten
Zähnen. Das ganze bekommt wieder gestaltende Grenzen. Der
Geist fängt an, bildhaft in der Natur selber aufzutreten.
Der Geist wird wieder schaffend.
Wir
brauchen nicht bloß diejenige Anthropologie, die heute den
Menschen ganz äußerlich betrachtet und ihn innerlich
so assoziiert, wie wir heute die Ideen in ihren
Eigentümlichkeiten assoziieren. Wir brauchen ein
Denken, das sich nicht scheut, bis zum Innerlichen
vorzudringen, das sich nicht geniert zu sagen, wie der
Geist Zähne wird, wie der Geist in den Zähnen
wirkt.
Das
ist dasjenige, was wir brauchen; dann durchdringen wir vom
Geist aus den Menschen. Da beginnt etwas Künstlerisches.
Da muß man überführen die abstrakte,
theoretische, unpraktische Betrachtungsweise, die nur den
skelettdenkenden Menschen gibt, in das Bildhafte. Da schwimmt
hinüber die theoretische Betrachtungsweise in das
künstlerische Anschauen, in das künstlerische
Gestalten. Man muß zugleich die Zähne gestalten, wenn
man den Geist da innen wirksam sehen will. Da beginnt das
Künstlerische Leiter zu sein zu der ersten exakten
clairvoyanten Stufe, zu der Stufe der imaginativen Erkenntnis.
Da erfassen wir dann den Menschen in seiner Wirklichkeit. Wir
haben ja heute, indem wir den Menschen denken, bloß
den Menschen in Abstraktion.
Aber dasjenige, was wir vor uns hingestellt bekommen in der
Erziehung, das ist der wirkliche Mensch. Da steht er.
Hier stehen wir mit dem abstrakten Geist. Dazwischen ist ein
Abgrund. Jetzt müssen wir hinüber über den
Abgrund. Überall haben wir zuerst zu zeigen, wie wir
hinüberkommen. Wir wissen heute höchstens dem
Menschen eine Mütze aufzusetzen, aber wir wissen nicht den
Geist in seinen ganzen Menschen hineinzuschieben. Das
müssen wir lernen. Wir müssen, so wie wir den
Menschen äußerlich anzuziehen gelernt haben, auch
innerlich ihn anzuziehen lernen, so daß der Geist
verfährt, wie die Kleider um ihn herum
verfahren.
Wenn wir in dieser Weise wiederum an den Menschen
herankommen, dann beginnen wir lebendige Pädagogik
und lebendige Didaktik.
Wie
der Lebensabschnitt um das siebente Jahr herum durch all das,
was ich auseinandergesetzt habe, bedeutsam ist für das
menschliche Erdendasein, so ist wiederum ein zweiter Punkt im
menschlichen Erdenleben da, der durch das Auftreten der
Symptome des Lebens sich als nicht minder bedeutend erzeigt.
Natürlich sind die Zeitangaben, die man dabei macht, mehr
oder weniger approximativ. Bei dem einen Menschen kommt die
Sache etwas früher, bei dem anderen etwas später; und
die ganzen Angaben von der Siebenzahl sind ja eben nicht
wirkliche Angaben, sondern eben nur approximative Angaben. Aber
es liegt wiederum ebenso um das vierzehnte, fünfzehnte
Jahr herum ein außerordentlich wichtiger Lebensabschnitt
im menschlichen Erdendasein. Das ist derjenige Abschnitt,
in dem der Mensch, wie man sagt, geschlechtsreif wird.
Aber die Geschlechtsreife, das Auftreten des sexuellen Lebens,
ist nur das alleräußerste Symptom für eine
vollständige Umwandlung des menschlichen Wesens vom
siebenten bis zum vierzehnten Lebensjähre. Wie wir suchen
müssen in den Wachstumskräften der Zähne, also
im menschlichen Kopf, den physischen Ursprung des Denkens, das
sich dann emanzipiert um das siebente Lebensjahr herum und
seelisch wird, so müssen wir suchen die Wirksamkeit der
zweiten Seelenkraft des Menschen, die Wirksamkeit des
Fühlens, in anderen Teilen des menschlichen
Organismus.
Das
Fühlen emanzipiert sich viel später von der
Körperlichkeit des Menschen, von der physischen
Organisation, als das Denken. Und während wir das Kind zu
pflegen haben zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre, ist
eigentlich das Fühlen noch immer innig verbunden mit
der physischen Organisation. Das Denken ist schon frei
geworden, das Fühlen ist zwischen dem siebenten und
vierzehnten Jahre noch innig an den Körper gebunden.
Alles, was in dem Kinde als Freudengefühle, als Trauer,
als Schmerzgefühle auftritt, hat noch ein intensives
physisches Korrelat in der Absonderung der Gefäße, in
der Akzeleration oder Retardation, in der Beschleunigung oder
Verzögerung des Atmungssystems. Und gerade an
solchen Dingen kann man bemerken, wenn man wirklich bis zu
diesem Grade Menschenbeobachter sein kann, wie eine
großartige Umwandlung mit dem Fühlen vor sich geht
mit dem Momente, wo wiederum die äußeren Symptome
auftreten, die diese Umänderung andeuten.
Wie
die Zähne, wenn sie als zweite Zähne erscheinen,
einen gewissen Abschluß bilden im Wachstum, so tritt
ein Ähnliches auf im Sprechen, wenn das Lebensalter seinen
Abschluß findet, in welchem das Fühlen sich
allmählich herausbildet zu einer seelischen
Emanzipation aus dem Körperlichen. Wir sehen es beim
Knaben am stärksten. Er verändert die Stimme, sein
Kehlkopf zeigt die Veränderung. Wie der Kopf die
Veränderung zeigt, die das Denken aus dem physischen
Organismus herausholt, so zeigt die Brust des Menschen, der
Sitz der rhythmischen organischen Tätigkeit, die
Emanzipation des Fühlens. Jetzt wird das Fühlen
losgelöst vom Körperlichen, wird selbständig
seelisch. Wir wissen ja, daß das beim Knaben dadurch
zutage tritt, daß der Kehlkopf sich ändert, daß
die Stimme dumpfer wird. Bei dem weiblichen Geschlecht treten
andere Erscheinungen auf im Körperwachstum. Aber das
ist im Grunde genommen nur zunächst
äußerlich.
Derjenige, der die vorhin erwähnte erste Stufe der exakten
Clairvoyance, das imaginative Hellsehen sich errungen
hat, der weiß, weil er das schaut, daß der physische
Leib des Menschen den physischen Kehlkopf um das vierzehnte
Jahr herum ändert. Dasselbe geht mit dem Äther- oder
Bildekräfteleib beim weiblichen Geschlecht vor sich. Da
zieht sich die Veränderung in den Ätherleib
zurück, und der Ätherleib des weiblichen
Geschlechtes wird mit dem vierzehnten Jahre als Ätherleib
ganz gleich gestaltet dem physischen Leib des Mannes. Und
wiederum der Ätherleib des Mannes wird mit dem vierzehnten
Jahre gleich gestaltet dem physischen Leibe der Frau. So
daß mit diesem wichtigen Lebenspunkte wirklich das
eintritt, so sonderbar es sich für die heutige, ja nur am
Physischen haftende Erkenntnis noch ausnimmt, daß der Mann
vom vierzehnten Lebensjahr ab die Frau ätherisiert in sich
trägt, die Frau trägt ätherisiert den Mann in
sich. Das drückt sich an den entsprechenden Symptomen in
verschiedenartiger Weise aus bei Frau und Mann.
Wenn man nun die zweite Stufe der exakten Clairvoyance, die Sie
in meinen Büchern genauer beschrieben finden, sich
erwirbt, wenn man zur Imagination die Inspiration, die
wirkliche Wahrnehmung eines Selbständig-Geistigen erwirbt,
das nicht mehr an den physischen Leib beim Menschen
während des Erdendaseins gebunden ist, sondern wenn man
aus Inspiration die Gabe, die Fähigkeit, die
Möglichkeit sich angeeignet hat,
Selbständig-Geistiges zu schauen, dann wird man gewahr,
wie in der Tat mit diesem wichtigen Lebensabschnitte um das
vierzehnte, fünfzehnte Jahr herum sich ein dritter
Mensch absondert zur Selbständigkeit — ich habe ihn
im Einklang mit älteren Terminologien in meinen
Büchern den astralischen Leib genannt —, ein schon
mehr Seelisches, als der Ätherleib es ist, ein schon
Seelisch-Geistiges. Es ist das dritte Glied des Menschen und
das zweite übersinnliche Glied des Menschen.
Das
wirkt bis zum vierzehnten, fünfzehnten Jahre als geistiges
Wesen durch den physischen Organismus und wird selbständig
mit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahre. Dadurch tritt an
den Erzieher, den Unterrichter die ganz bedeutsame Aufgabe
heran, zu helfen bei diesem Selbständigwerden desjenigen,
was eigentlich als Geistig-Seelisches bis zum siebenten,
achten Jahre noch in den Tiefen des Organismus ist und
dann allmählich — denn die Sache geschieht sukzessiv
— sich loslöst.
Diesem allmählichen Sich-loslösen hat man zu helfen,
wenn man das Kind zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre
zu unterrichten hat. Da wird man, wenn man Menschenerkenntnis
in der geschilderten Weise sich angeeignet hat, wie sie hier
gemeint ist, gewahr, wie das Sprechen etwas ganz anderes
wird.
Die
heutige, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, grobe
Wissenschaft hält sich ja nur an das Grob-Seelische des
Menschen, und sie nennt das andere die sekundäre
Geschlechtscharakteristik. Für die geistige Betrachtung
sind gerade die sekundären Dinge die primären und
umgekehrt.
Ungeheuer viel liegt in diesen Umwandlungen, in der Art und
Weise, wie gerade das Fühlen sich herauslöst aus den
Sprachorganen. Und man hat dann als Lehrer, als Erzieher, diese
wunderbare, wirklich das Innere begeisternde Aufgabe zu
üben, die Sprache allmählich loszulösen
vom Körperlichen. Wie wunderbar, wenn noch auf
natürliche Weise, von selbst, wenn das Kind erst sieben
Jahre alt ist, die Lippen sich bewegen durch organische
Tätigkeit! Es ist, wenn das Kind mit dem siebenten Jahre
die Lippenlaute hervorbringt, etwas ganz anderes, als
wenn das Kind mit dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahre
die Lippenlaute hervorbringt.
Wenn das Kind mit dem siebenten Jahre die Lippenlaute
hervorbringt, dann ist das eine organische
Tätigkeit, dann ist das Blutzirkulation,
Säftezirkulation, die unwillkürlich in die Lippen
schießt. Wenn das Kind zwölf, dreizehn, vierzehn
Jahre alt ist, dann setzt sich diese organische Tätigkeit
in den Organismus hinein. Die seelische Aktivität des
Fühlens muß aufrücken und muß durch
Willkür die Lippen bewegen, welche das
Gefühlsmäßige des Sprechens zum Ausdruck
bringen.
Wie
in den Zähnen sich manifestiert das
Gedankenmäßige des Sprechens, das harte
Gedankenmäßige, so manifestiert sich das weiche, in
Liebe sich tauchende Gefühlsmäßige des Sprechens
in den Lippen. Und die Lippenlaute sind dasjenige, was der
Sprache das Liebevolle, das mit dem anderen Sympathisierende
und ihm die Sympathie Ubertragende mitteilt.
Und
dieses wunderbare Übergehen von der organischen
Tätigkeit der Lippen zu einem seelischen Aktivieren der
Lippentätigkeit, dieses Bilden der Lippen in dem
organisch-seelischen Wesen des Menschen, das ist etwas, was der
Erzieher zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre
begleiten kann, was eine so wunderbare Atmosphäre in die
Schule hineintragen kann.
Denn wenn man sagen muß, daß man dasjenige, was als
Übersinnlich-Ätherisches den Leib durchdringt,
mit dem siebenten Jahre hervorschießen sieht als
selbständige Denkkraft, so sieht man jetzt das
selbständig Geistig-Seelische mit dem vierzehnten,
fünfzehnten Jahre hervorschießen. Man wird zum
Geburtshelfer des Geistig-Seelischen als Lehrer und Erzieher.
Auf einer höheren Stufe erscheint dasjenige, was Sokrates
gemeint hat.
Ich
werde dann in den weiteren Vorträgen zu erklären
haben, was noch mit dem Gehen, mit dem Bewegen Neues auftritt,
selbst noch im zwanzigsten, einundzwanzigsten Jahre des
Menschen, im dritten Lebensabschnitt. Heute wollen wir
uns damit begnügen, daß wir darauf hingewiesen haben,
wie das Denken sich emanzipiert von der organischen
Tätigkeit, wie das Fühlen sich emanzipiert bis zum
vierzehnten, fünfzehnten Jahre von der organischen
Tätigkeit, wie wir da hineinsehen in das Werden des
Menschen, wie dasjenige, was sonst nur abstrakte Denkart ist,
zum Bilde, zur Imagination wird. Wie aber dasjenige, was in der
Sprache des Menschen zutage tritt, was in seinen Worten sich
offenbart, tatsächlich in seiner wahren Gestalt erscheint
als Geistig-Seelisches, wenn der Mensch das vierzehnte,
fünfzehnte Jahr erreicht hat.
Man
kann daher sagen: Man muß ins Künstlerische
hineinsteuern, wenn man vom Denken aus lebendig an den Menschen
herankommen will, wenn man den Geist in seiner Lebendigkeit an
den Menschen heranbringen will. — Wenn man das
Gefühl, das Geistige im Fühlen, an den Menschen
heranbringen will, dann muß man das nicht nur wie dort mit
einer künstlerischen Stimmung tun, sondern jetzt mit einer
religiösen Stimmung. Denn allein die religiöse
Stimmung dringt zum wirklichen Geiste, zum Geiste in seiner
Wirklichkeit vor. Daher kann alle Erziehung zwischen dem
siebenten und dem vierzehnten Jahre nur dann ganz wirklich
menschlich geleistet werden, wenn sie in der Atmosphäre
des Religiösen geleistet wird, wenn sie fast zur
Kultushandlung wird, allerdings nicht zur sentimentalen,
sondern zur rein menschlichen Kultushandlung.
So
sehen wir, wie hineinströmt dasjenige, was der Mensch tut,
indem er sein sonst abstraktes, sich bloß aus Ideen
assoziierendes Denken zu Leben und Seele bringt, in das geistig
Wesenhafte. Wir sehen, wie er den Weg hineinfindet zum
künstlerischen Erfassen des Menschen, zum Erfassen des
Menschen innerhalb des religiösen Lebens. Und so wird
Künstlerisches und Religiöses der Pädagogik
beigemischt.
So
wird hineingeleuchtet von der Schülerfrage zu der
Lehrerfrage, indem man sich klar wird, daß so klare, so
praktische, so lebendige Erkenntnis die Pädagogik und
Didaktik werden soll, und daß der Lehrer nur dann
wirklicher Erzieher, Unterrichter der Jugend sein kann, wenn er
imstande 1st, ein innerlich ganz künstlerischer, ein
innerlich ganz religiöser Mensch zu werden.
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