FÜNFTER
VORTRAG
Dornach,
15. Oktober 1921
Versucht
habe ich zu charakterisieren, wie man etwa einen Dreigliederungsvortrag
aus einem Gedanken heraus formen und dann auch einteilen kann. In dem,
was ich sagte, war ja enthalten sowohl das Allgemeine, was man vorbringen
kann über den gesamten sozialen Organismus, wie auch Hinweise
darauf, was in den ersten zwei Gliedern vorkommen kann, nämlich
bei der Besprechung des geistigen Lebens und bei der Besprechung des
rechtlich-staatlichen Organismus. Sie werden daraus gesehen haben,
wie man, inhaltlich sich vorbereitend für einen solchen Vortrag,
vorgehen kann.
Nun,
man kann sich aber auch, indem man sich in die Gedanken
und Empfindungen hineinlebt, auf das Wie vorbereiten, und wir werden
uns vielleicht am besten verstehen, wenn Ich sage, daß die
Vorbereitung auf das Wie so sein soll, daß wir uns bemühen,
schon zu empfinden und dann auch zu sprechen dasjenige, was sich
bezieht auf das geistige Leben, in einer mehr lyrischen
Sprache – ohne daß wir selbstverständlich ins Singen oder
dergleichen oder ins Rezitieren verfallen –, in einer lyrischen
Sprache, in ruhiger Begeisterung, so daß man verrät durch die Art
und Weise, wie man die Dinge vorbringt, daß alles, was man über
das Geistesleben zu sagen hat, aus einem selbst heraus kommt. Man
soll durchaus die Vorstellung hervorrufen, daß man begeistert
ist für das, was man verlangt für den geistigen Teil des
sozialen Organismus. Natürlich darf es nicht falsch-mystische,
sentimentale Begeisterung, nicht gemachte Begeisterung sein. Das
erreichen wir, wenn wir uns eben zuerst bloß in der Vorstellung,
im inneren Erleben bis auf den Ton hin vorbereiten darauf, wie etwa
so etwas gesagt werden könnte. Ich sage ausdrücklich: wie
etwa so etwas gesagt werden könnte – aus dem Grunde, weil
wir uns niemals wortwörtlich binden sollen, sondern was wir
vorbereiten, ist gewissermaßen eine bloß in Gedanken sich
abspielende Rede, und wir sind durchaus darauf gefaßt, das, was
wir dann sagen, wiederum in anderer Formulierung zu sagen.
Wenn
wir aber reden über Rechtsverhältnisse, da sollten wir
schon den Versuch machen, dramatisch zu sprechen. Das heißt: Wenn
wir sprechen über die Gleichheit der Menschen, diese durch Beispiele
erörternd, sollten wir versuchen, uns möglichst
hineinzudenken in den anderen Menschen. Wir sollten etwa die
Vorstellung vor unsere Seele rufen, wie derjenige, der eine Arbeit
sucht, das Recht für diese Arbeit geltend macht im Sinne der
«Kernpunkte der sozialen Frage». Und wir sollten dann
gewissermaßen, indem wir auf der einen Seite bemerklich machen,
daß wir aus dem anderen heraus reden, aus seiner rechtlichen
Forderung, wir sollten dann bemerklich machen, wie wir durch eine
leise Änderung der Stimmlage dazu übergehen, wie man aus
allgemein menschlichen Gründen heraus solch eine Forderung
erfüllen müsse. Also dramatisches Sprechen, sehr stark
moduliertes dramatisches Sprechen, das die Empfindung bei den
Zuhörern hervorruft, man könne sich in die Seele von
anderen Menschen hineindenken, das wird dasjenige sein, was wir
verwenden sollten beim Sprechen über Rechtsverhältnisse.
Und
beim Sprechen über wirtschaftliche
Verhältnisse, da handelt es sich ja hauptsächlich darum,
daß wir durchaus aus den Erfahrungen heraus sprechen. Man sollte
überhaupt, wenn man im Sinne der Dreigliederung des sozialen
Organismus über wirtschaftliche Verhältnisse spricht, gar
nicht den Glauben aufkommen lassen, daß es so etwas wie eine
theoretische Nationalökonomie auch nur geben konnte. Man soll
vielmehr das Hauptsächlichste darauf beschränken,
Fälle aus dem wirtschaftlichen Leben selber zu beschreiben,
seien es Fälle, die man nachbeschreibt, oder seien es Falle, die
man sich zusammenstellt, wie sie etwa sein sollten oder sein
könnten. Aber bei den letzteren Fällen –
wie sie etwa sein sollten oder sein könnten – soll man
niemals außer acht lassen, aus der wirtschaftlichen Erfahrung
heraus zu sprechen. Man soll eigentlich, wenn man über das
wirtschaftliche Leben spricht, episch sprechen. Gerade wenn man das
vorbringt, was in den «Kernpunkten der sozialen Frage»
steht, soll man so sprechen, wie wenn man eigentlich über das
wirtschaftliche Leben gar keine Vormeinungen hätte, gar nicht
meinte, das soll so sein oder das soll anders sein, sondern wie wenn
man sich alles, alles von den Tatsachen sagen ließe.
Man
kann ja eine gewisse Empfindung hervorrufen, daß es zum Beispiel
richtig ist, Kapitalverwaltungen übergehen zu lassen von
demjenigen, der nicht mehr selbst daran beteiligt ist, an jemanden,
der wiederum beteiligt sein kann. Man kann aber über so etwas
auch nur sprechen, wenn man es vor die Menschen hinstellt an der Hand
von Beschreibungen dessen, was geschieht, wenn bloße
Blutserbverhältnisse sind, und dessen, was geschehen kann, wenn
ein solches Übergehen stattfindet, wie es in den
«Kernpunkten der sozialen Frage» beschrieben ist. Man kann
nur dadurch, daß man dieses recht lebendig, wie wenn man die
Wirklichkeit abschriebe, vor die Menschen hinstellt, so sprechen,
daß das Sprechen im wirtschaftlichen Leben wirklich
drin-nensteht. Und gerade dadurch wird man auch den
Assoziationsgedanken begreiflich, plausibel machen. Man wird
plausibel machen, daß der einzelne Mensch eigentlich gar nichts
weiß über das Wirtschaftsleben, daß er im Grunde
genommen ganz darauf angewiesen ist, wenn er zu einem Urteil
über das kommen will, was im Wirtschaftsleben zu geschehen hat,
sich mit anderen zu verständigen, so daß eigentlich immer
nur aus Menschengruppen ein wirkliches wirtschaftliches Urteil
hervorgehen kann und man also angewiesen ist auf die Assoziationen.
Man
wird dann vielleicht auf Verständnis stoßen,
wenn man darauf aufmerksam macht, daß ja vieles von dem, was
heute besteht, eigentlich aus alten instinktiven Assoziationen
hervorgegangen ist. Bedenken sie nur einmal, wie der heutige
abstrakte Markt Dinge zusammenbringt, deren Zusammenkommen und
wiederum Weiterverteiltwerden an den Konsumenten gar nicht
überschaut werden kann. Aber wie ist man denn überhaupt zu
diesem Marktverhältnis gekommen? Im Grunde genommen aus der
instinktiven Assoziation heraus, indem eine Anzahl von Dörfern
in solch einer Entfernung, daß man hin- und zurückgehen
kann im Tage, um einen größeren Ort herum waren und da die
Leute ihre Produkte austauschten. Das nannte man nicht eine
Assoziation. Man sprach überhaupt kein Wort aus; aber in
Wirklichkeit war es eine instinktive Assoziation. Diejenigen Leute,
welche hier sich zum Markt vereinigten, waren assoziiert mit all
denen, die in den Dörfern herum wohnten. Sie konnten rechnen auf
einen bestimmten Absatz, der sich erfahrungsgemäß ergab.
Daher konnten sie nach dem Konsum die Produktion regeln in ganz
lebendigen Zusammenhängen. In solchen primitiven Wirtschaften
waren durchaus assoziative Verhältnisse, die sich nur nicht als
solche aussprachen, vorhanden.
Das
alles ist mit der Vergrößerung der wirtschaftlichen Territorien
unüberschaubar geworden, und insbesondere dann sinnlos geworden
gegenüber der Weltwirtschaft. Die Weltwirtschaft, zu der es ja
erst gekommen ist im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die hat ja
alles ins Abstrakte, das heißt, im wirtschaftlichen Leben auf
den bloßen Geld- oder Geldeswertumsatz reduziert, bis sich eben
dieses Reduzieren ad absurdum geführt hat.
Nicht
wahr, als Japan mit China Krieg geführt und Japan den Krieg gewonnen
hatte, da konnte man sehr einfach die Kriegsentschädigung
zahlen, indem einfach der chinesische Minister dem japanischen
Gesandten einen Check übergab, den der japanische Gesandte dann
in Japan auf eine Bank geben konnte. Das ist ein tatsächlicher
Vorgang. Da waren eben Werte darinnen in diesem Check, der Geld und
Geldeswert eben ist. Es waren Werte darinnen. Wenn Sie sich
vorstellen, daß das dazumal alles von dem einen Territorium in
das andere hätte übergeführt werden sollen, es
wäre unter den neuzeitlichen Verhältnissen eben schwer
gegangen. Aber so konnte man durch die ganze Art und Weise, wie Japan
und China in die ganze Weltwirtschaft hineingestellt waren, das
machen. Aber das hat sich ja selbst ad absurdum geführt. In dem
Handel zwischen Deutschland und Frankreich hat sich das nicht mehr
als möglich erwiesen. Ich meine also, man kann aus den
wirtschaftlichen Zusammenhängen heraus am besten die Dinge
erörtern, und dann die Notwendigkeit des assoziativen Prinzips
darlegen.
Dann
wird man sich diesen Stoff gerade mit Bezug auf das Wirtschaftsleben auch
in einer gewissen Weise wiederum zu gliedern haben, und wird dann
überzugehen haben zu einigen Schlußsätzen, von denen
ich schon gesagt habe, daß sie wiederum wortwörtlich
verfaßt werden sollen oder wenigstens nahezu wörtlich.
Wie
wird sich denn also eigentlich die Vorbereitung für
eine Rede ausnehmen? Nun, man suche möglichst in die Situation
oder in dasjenige, worauf die Zuhörerschaft vorbereitet ist,
hineinzukommen dadurch, daß man die ersten Sätze so gestaltet,
wie man es eben für notwendig hält. Man wird größere
Mühe haben bei ganz unvorbereiteten Zuhörern, kleinere
Mühe, wenn man zu einem Kreis spricht, den man schon in der
Sache drinnenstehend findet, wenigstens in den entsprechenden
Empfindungen, von den Forderungen, die man erhebt. Dann wird man den
übrigen Teil der Rede weder aufschreiben, noch wird man
bloße Schlagworte hinschreiben. Die Erfahrung zeigt, daß
die wörtliche Ausarbeitung ebensowenig zu einer guten Rede
führt wie das bloße Aufschreiben von Schlagworten. Das
Aufschreiben aus dem Grunde nicht, weil es einen bindet und dadurch
leicht Verlegenheit bringt, wenn das Gedächtnis holpert, was
gerade dann am leichtesten der Fall ist, wenn die Rede
wortwörtlich aufgeschrieben ist. Schlagworte verleiten sehr
leicht dazu, die ganze Vorbereitung zu abstrakt zu gestalten. Dagegen
ist dasjenige, was man am besten aufschreibt und auch als Manuskript
mitbringt, wenn man nötig hat, sich an so etwas zu halten, eine
Reihe richtig formulierter Sätze als Schlagsätze, die nicht
den Anspruch darauf machen, daß man sie auch so sagt als einen
Bestandteil der Rede, sondern die dastehen: erstens, zweitens,
drittens, viertens und so weiter, die gewissermaßen Extrakte
geben, so daß aus einem Satz vielleicht zehn oder acht oder
zwölf werden. Aber man schreibe sich solche Sätze auf. Man
schreibe sich also nicht etwa auf «Geistesleben als
selbständig», sondern «Das Geistesleben kann nur
gedeihen, wenn es frei aus sich heraus selbständig wirkt».
Also Schlagsätze. Sie werden dann, wenn Sie so etwas tun, selbst
die Erfahrung machen, daß man durch solche Schlagsätze am
allerbesten in verhältnismäßig kurzer Zeit in eine
gewisse Möglichkeit des freien Sprechens, das eben nur die
Leiter der Schlagsätze hat, hineinkommt.
Für
den Schluß ist es oftmals sehr gut, wenn man in einer gewissen
Weise, wenigstens leise, zum Anfang wiederum zurückführt,
wenn also der Schluß in einer gewissen Weise etwas hat, was als
Motiv schon im Anfang enthalten war.
Und
dann geben einem solche Schlagsätze leicht die
Möglichkeit, nun wirklich sich so vorzubereiten, wie vorhin
angedeutet wurde, indem man sich auf seinem Blättchen diese
Schlagsätze aufgeschrieben hat. Also, sagen wir, man
überlegt sich: Was du für das geistige Leben zu sagen hast,
muß in dir eine Art lyrischen Charakter haben; was du für
das Rechtsleben zu sagen hast, muß in dir eine Art dramatischen
Charakter haben; das für das Wirtschaftsleben muß in dir
einen erzählend-epischen Charakter, einen ruhig
erzählend-epischen Charakter haben. – Dann wird in der Tat
schon instinktiv ein wenig die Sucht hervorgehen und auch die Kunst
hervorgehen, in der Formulierung der Schiagsätze so etwas
auszubilden, wie ich es angedeutet habe. Es wird die Vorbereitung
ganz gefühlsmäßig so erfolgen, daß in der Tat die
Art, wie man redet, hineinwächst in das, was man inhaltlich zu
sagen hat.
Dazu
ist aber allerdings notwendig, daß man nun gewissermaßen das,
was Sprachbeherrschung sein soll, bis, ich möchte sagen, zum
Instinkt gebracht hat, daß man also tatsächlich die
Sprachorgane so fühlt, wie man etwa den Hammer fühlen
würde, wenn man irgend etwas mit dem Hammer machen wollte. Das
kann man dann erreichen, wenn man ein wenig Sprachturnen übt.
Nicht
wahr, wenn man Turnen übt, so sind das auch nicht
Bewegungen, welche dann im wirklichen Leben ausgeübt werden,
aber es sind Bewegungen, die einen geschmeidig, geschickt machen. Und
so soll man auch die Sprachorgane geschmeidig, biegsam machen. So
aber, daß dieses Geschmeidig-, Biegsammachen mit dem inneren
Seelenleben zusammenhängt, so daß man fühlen lernt den
Laut im Sagen. Ich habe in dem seminaristischen Kursus, den ich den
Waldorflehrern in Stuttgart vor jetzt mehr als zwei Jahren gehalten
habe, eine Reihe von solchen Sprachübungen zusammengestellt, die
ich Ihnen hier auch mitteilen möchte. Sie sind nun so, daß
sie zumeist durch ihren Inhalt nicht davon abhalten, rein in das
Sprachelement sich hineinzuleben, sondern daß sie lediglich
darauf ausgehen, ein Sprachturnen zu üben. Wenn man diese
Sätze versucht, immer wieder und wiederum sich laut zu sagen,
aber so zu sagen, daß man immer probiert: Wie machst du es am
besten mit der Zunge, wie am besten mit den Lippen, daß du
gerade diese Lautfolge herausbringst? –,
dann macht man sich unabhängig von dem Sprechen selber, und dann
kann man um so mehr auf das seelische Vorbereiten für das
Sprechen Wert legen.
Ich
werde Ihnen also eine Reihe von solchen, für das Inhaltliche
oftmals sinnlosen Sätzen vorlesen, die aber dazu bestimmt sind,
die Sprachorgane geschmeidig zum Reden zu gestalten.
Daß er dir log, uns darf es nicht loben
ist
das Einfachste. Ein schon etwas Komplizierteres:
Nimm
nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen
Und
man soll immer mehr versuchen, angemessen der Lautfolge die Sprachorgane zu
geschmeidigen, zu biegen, zu hohlen, zu erhabenen. Ein anderes Beispiel:
Rate
mir mehrere Rätsel nur richtig
Es
genügt natürlich nicht, einmal oder zehnmal so etwas zu
sagen, sondern immer wieder und wiederum. Denn wenn die Sprachorgane
auch schon biegsam sind, sie können noch immer biegsamer werden.
Ein
Beispiel, von dem ich glaube, daß es ganz besonders nützlich
ist, ist das Folgende:
Redlich
ratsam
Rüstet rühmlich
Riesig rächend
Ruhig rollend
Reuige Rosse
Dabei
hat man auch zugleich die Gelegenheit, in den Zwischenpausen den Atem in
Ordnung zu bringen, worauf man sehen muß, und was insbesondere
durch solch eine Übung sehr gut gemacht werden kann.
In
einer ähnlichen Weise – es haben nicht alle Buchstaben,
nicht alle Laute den gleichen Wert für dieses Turnen –
kommen Sie vorwärts, wenn Sie zum Beispiel das Folgende haben:
Protzig
preist
Bäder brünstig
Polternd putzig
Bieder bastelnd
Puder patzend
Bergig brüstend
Wenn
es Ihnen gelingt, nach und nach sich hineinzufinden in diese Lautfolge,
so haben Sie viel davon.
Hat
man solche Übungen gemacht, dann kann man auch versuchen, diejenigen
Übungen zu machen, die dann notwendig darauf hinauslaufen, schon
Stimmung hineinzubringen in das Sprechen der Laute. Ich habe ein
Beispiel, wie das Lauten in die Stimmung hinein sich ergießen
kann, versucht, in dem Folgenden zu geben:
Erfüllung
geht
Durch Hoffnung
Geht durch Sehnen
Durch Wollen
und
jetzt kommt es mehr ins Lauten hinein, wodurch gerade hier die
Stimmung im Laut selber festgehalten wird:
Wollen
weht
Im Webenden
Weht im Bebenden
Webt bebend
Webend bindend
Im Finden
Findend windend
Kündend
Sie
werden immer sehen, wenn Sie gerade diese Übungen machen, wie Sie
in der Lage sind, ohne daß Sie der Atem stört, den Atem zu
regulieren, wenn Sie sich einfach an das Lauten halten. Man hat in
der neueren Zeit allerlei mehr oder weniger pfiffige Methoden
für das Atmen und für alles mögliche, was die
Begleittatsachen sind des Sprechens und Singens, ausgedacht. Allein
das alles sind eigentlich Nichtsnutzigkeiten, denn Sprechen soll mit
allem, was dazugehört, auch mit dem Atmen, durchaus im Sprechen
selbst gelernt werden. Das heißt, man soll lernen so zu
sprechen, daß in den Notwendigkeiten, die die Lautfolge, die
Wortzusammenhänge ergeben, auch der Atem sich wie
selbstverständlich mitreguliert. Man soll also nur im Sprechen
auch das Atmen beim Sprechen lernen. Es sollen also die
Sprechübuneen so sein, daß man, wenn man sie richtig
fühlt dem Lauten nach, nicht dem Inhalte, sondern dem Lauten
nach, genötigt ist, durch dieses Richtigfühlen des Lautens
auch den Atem richtig zu gestalten.
Auf
das Inhaltliche wiederum der Stimmung geht schon dasjenige, was nun
der folgende Spruch ist. Er hat vier Zeilen. Diese vier Zeilen sind
so angeordnet, daß sie gewissermaßen ein Aufstieg sind.
Jede Zeile erregt eine Erwartung. Und die fünfte Zeile ist
der Abschluß und bringt Erfüllung. Nun soll man sich
bemühen, diese Sprechbewegung, die ich eben charakterisiert
habe, wirklich auszuführen. Der Spruch
heißt:
In
den unermeßlich weiten Räumen,
In den endenlosen Zeiten,
In der Menschenseele Tiefen,
In der Weltenoffenbarung:
Suche des großen Rätsels Lösung
Da
haben Sie die fünfte Zeile als die Erfüllung jener stufenweisen
Erwartung, die in den vier ersten Zeilen angeschlagen ist.
Nun
kann man auch versuchen, schon, ich möchte sagen, die Stimmung der
Situation in das Lauten, in die Sprechart, in das Wie des Sprechens
hineinzubringen. Und dazu habe ich folgende Übung geformt. Man
stelle sich vor einen recht großen grünen Frosch, der vor
einem sitzt mit offenem Mund. Also einen riesigen Frosch stelle man
sich vor mit offenem Mund, dem man gegenübersteht. Und nun
stelle man sich vor, was man für Affekte haben kann
gegenüber diesem Frosch. In dem Affekt wird Humor drinnen sein,
manches andere drinnen sein; das rufe man recht lebhaft in der Seele
hervor. Dann spreche man diesen Frosch so an:
Lalle
Lieder lieblich
Lipplicher Laffe
Lappiger lumpiger
Laichiger Lurch
Stellen
Sie sich einmal vor: einen Acker, darüber gehe ein Pferd. Auf
den Inhalt kommt es nicht an. Sie müssen sich natürlich
jetzt vorstellen, daß die Pferde pfeifen! Nun sprechen Sie die
Tatsache, die Sie hier haben, folgendermaßen aus:
Pfiffig
pfeifen
Pfäffische Pferde
Pflegend Pflüge
Pferchend Pfirsiche
und
dann variieren Sie das, indem Sie so sprechen:
Pfiffig
pfeifen aus Näpfen
Pfäffische Pferde schlüpfend
Pflegend Pflüge hüpfend
Pferchend Pfirsiche knüpfend
Und
dann – aber bitte, lernen Sie es auswendig, so daß Sie recht
geläufig die eine und die andere Form hintereinander sagen
können – noch eine dritte Form. Lernen Sie alle drei
auswendig, und versuchen Sie, sie so geläufig zu sprechen,
daß Sie niemals die eine Form im Aussprechen der anderen beirrt.
Darauf kommt es hier an. Als dritte Form nehmen Sie:
Kopfpfiffig
pfeifen aus Näpfen
Napfpfäffische Pferde schlüpfend
Wipfend pflegend Pflüge hüpfend
Tipfend pferchend Pfirsiche knüpfend
Also
das hintereinander, so daß man auswendig die drei Formen kann, so
daß Sie niemals das eine in dem anderen stört.
Ein
Ähnliches können Sie dann etwa mit den folgenden zwei Sprüchen
machen:
Ketzer
petzten jetzt kläglich
Letztlich leicht skeptisch
und nun die andere
Form:
Ketzerkrächzer petzten jetzt kläglich
Letztlich plötzlich leicht skeptisch
Wiederum
auswendig lernen und hintereinander sprechen!
Man
kann die Sprache geschmeidig kriegen, wenn man etwa das Folgende übt:
Nur
renn nimmer reuig
Gierig grinsend
Knoten knipsend
Pfänder knüpfend
Man
muß sich gewöhnen, diese Lautfolge zu sagen: Nur renn ... Sie
werden schon sehen, was Sie für Ihre Zunge, Ihre Sprachorgane haben,
wenn Sie solche Übungen machen.
Nun
eine etwas länger dauernde, eine solche Übung,
wodurch dieses Geschmeidigwerden im Sprechen hervorgerufen werden
kann – ich glaube, es haben ja hinterher schon Schauspieler
gefunden, daß sie auf diese Weise am besten ihre Sprache
geschmeidig machen –:
Zuwider
zwingen zwar
Zweizweckige Zwacker zu wenig
Zwanzig Zwerge
Die sehnige Krebse
Sicher suchend schmausen
Daß schmatzende Schrnachter
Schmiegsam schnellstens
Schnurrig schnalzen
Dann:
Man braucht zuweilen Geistesgegenwart im unmittelbaren Sprechen. Man
kann sie sich durch folgendes etwa ausbilden:
Klipp
plapp plick glick
Klingt Klapperrichtig
Knatternd trappend
Rossegetrippel
Dann:
zum weiteren Geistesgegenwärtigsein im Sprechen die folgenden zwei
Beispiele, die zusammengestellt werden können:
Schlinge
Schlange geschwinde
Gewundene Fundewecken weg
Da
ist auch das «Wecken weg» drinnen. Dann aber dasselbe
Motiv als Lautmotiv so:
Gewundene
Fundewecken
Geschwinde schlinge Schlange weg
Dann
zu dem Kräftigmachen der Sprache, daß man die Sprache so hat,
daß man auch einmal einem eins in der Diskussion herunterhauen
kann – so etwas ist schon in der Sprache nötig! –,
das folgende Beispiel:
Marsch
schmachtender
Klappriger Racker
Krackle plappernd linkisch
Flink von vorne fort
Dann
wären für jemanden, der etwas stottert, die folgenden zwei
Beispiele noch anzuführen:
Nimm
mir nimmer
Was sich wässerig
Mit Teilen mitteilt
Es
ist für jeden Stotterer gerade dieses Beispiel gut. Man kann es auch
in der folgenden Weise dann sagen beim Stottern:
Nimmer
nimm mir
Wässerige Wickel
Was sich schlecht mitteilt
Mit Teilen deiner Rede
Es kommt
natürlich darauf an, daß sich der Stotterer Mühe gibt.
Man
soll durchaus nicht glauben, daß man das, was ich
Redeturnen nennen mochte, nur an für den Verstand sinnvollen
Sätzen üben kann oder auch nur üben soll. Denn an den
für den Verstand sinnvollen Sätzen überwiegt
zunächst unbewußt-instinktiv zu stark die Aufmerksamkeit
für den Sinn, als daß wir richtig rechneten mit dem Lauten,
mit dem Sagen. Und es ist schon notwendig, daß wir, wenn wir
reden wollen, auch darauf Rücksicht nehmen, daß wir das
Reden in einem gewissen Sinne losbringen von uns selber, wirklich
losbringen von uns selber. Geradeso wie man die Schrift losbringen
kann von sich selber, so kann man ja auch das Reden losbringen von
sich selber.
Es
gibt zweierlei Arten, zu schreiben bei einem Menschen. Die
eine Art besteht darinnen, daß der Mensch egoistisch schreibt,
daß er gewissermaßen die Buchstabenformen in seinen
Gliedern hat und sie aus den Gliedern herausfließen läßt.
Auf ein solches Schreiben hat man insbesondere eine Zeitlang –
wahrscheinlich ist es auch jetzt noch der Fall – dann viel
gesehen, wenn man für kaufmännisch Anzustellende oder
ähnliche Leute Schreibunterricht gegeben hat. Ich habe zum
Beispiel einmal beobachtet, wie ein solcher Schreibunterricht
für kaufmännische Angestellte so erteilt worden ist,
daß die Betreffenden jeden Buchstaben aus einer Art Kurve heraus
entwickeln mußten. Sie mußten Schwingen lernen mit der
Hand, dann das Schwingen zu Papier bringen, so daß alles in der
Hand, in den Gliedern ist, und man eigentlich mit nichts anderem als
mit der Hand dabei ist beim Schreiben. Eine andere Art, zu schreiben,
ist die nichtegoistische, die selbstlose Art des Schreibens. Sie
besteht darin, daß man eigentlich nicht mit der Hand, sondern
mit dem Auge schreibt, also immer hinschaut und im Grunde genommen
den Buchstaben zeichnet, so daß das im geringen Maße in
Betracht kommt, was in der Gliederung der Hand liegt, daß man
eigentlich ebenso verfährt wie beim Zeichnen, wo man also nicht
eine Handschrift hat, deren Sklave man ist, sondern wo man nach und
nach Mühe hat, selbst seinen Namen noch ebenso zu schreiben, wie
man ihn sonst geschrieben hat. Den meisten Menschen ist es ja so
furchtbar leicht, ihren Namen so zu schreiben, wie man ihn sonst
geschrieben hat. Er kommt ihnen aus der Hand. Aber die Menschen, die
etwas Künstlerisches in die Schrift hineinlegen, die schreiben
mit dem Auge. Sie verfolgen die Strichführung mit dem Auge. Da
sondert sich in der Tat die Schrift ab vom Menschen. Da kann dann der
Mensch – obwohl es nicht wünschenswert ist in einer
gewissen Beziehung, das zu praktizieren – Schriften nachahmen,
in verschiedener Weise Schriften variieren. Ich sage nicht, daß
man das besonders praktizieren soll, aber ich sage, daß es als
ein Extrem herauskommt, wenn man die Schrift malt. Das ist das
selbstlosere Schreiben. Das Schreiben heraus aus den Gliedern dagegen
ist das selbstische, das egoistische.
Auch
die Sprache ist bei den meisten Menschen egoistisch. Sie
kommt einfach aus den Sprachorganen heraus. Sie können sich aber
allmählich angewöhnen, Ihre Sprache so zu empfinden, als
wenn sie eigentlich um Sie herumhauchte, als wenn die Worte um Sie
herumflögen. Sie können wirklich eine Art Empfindung von
Ihren Worten haben. Da sondert sich das Sprechen vom Menschen ab. Es
wird objektiv. Der Mensch hört sich ganz instinktiv selber
sprechen. Es wird gleichsam im Sprechen sein Kopf größer,
und man fühlt um sich herum das Weben der Laute und der Worte.
Man lernt allmählich hinhören auf die Laute, auf die Worte.
Und das kann man eben gerade durch solche Übungen erreichen.
Dadurch aber wird dann in der Tat nicht bloß hineingebrüllt
in einen Raum –
ich meine mit Brüllen jetzt nicht bloß laut schreien; man
kann auch lispelnd brüllen, wenn man nur für sich selber
eigentlich redet, so wie es aus den Sprachorganen herauskommt-,
sondern man lebt im Sprechen wirklich mit dem Raum. Man fühlt
gewissermaßen im Räume die Resonanz. Das ist bei gewissen
Sprachtheorien – Sprachlehr- oder Sprachlerntheorien, wenn Sie
wollen – in der neueren Zeit zum stammelnden Unfug geworden,
indem man die Leute mit Körperresonanzen sprechen
läßt, Bauchresonanzen, Nasenresonanzen und so weiter. Alle
diese inneren Resonanzen sind aber eine Untugend. Eine wirkliche
Resonanz kann nur eine erlebte sein. Die fühlt man aber dann
nicht etwa in dem Anstoßen des Lautes ans Innere der Nase,
sondern die fühlt man erst vor der Nase, außen. So daß
tatsächlich die Sprache etwas bekommt vom Vollen. Voll werden
soll überhaupt die Sprache des Redners. Der Redner soll
möglichst wenig verschlucken.
Glauben
Sie nicht, daß dies für den Redner
unbedeutend ist, sondern es ist höchst bedeutend für den
Redner. Denn ob wir in der richtigen Weise etwas an die Menschen
heranbringen, das hängt durchaus davon ab, wie wir in der Lage
sind, uns zur Sprache selbst zu verhalten. Man braucht ja nicht
gleich soweit zu gehen wie ein mir einst befreundeter Schauspieler,
der niemals Freunder! sagte, sondern immer Freun-derl, weil er sich
in jede Silbe hineinlegen wollte. Das tat er bis zum Extrem. Aber man
soll schon die instinktive Begabung entwickeln, nicht Silben, nicht
Silbenformen, nicht Silbengestaltungen zu verschlucken. Das kann man,
wenn man versucht, in rhythmische Sprache sich so hineinzufinden,
daß man sie sich vorsagt mit einem Hineinlegen in die ganze
Lautgestaltung:
Und
es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt ...
Also:
sich hineinlegen nicht nur in den Laut als solchen, sondern auch in die
Lautgestaltung, in dieses Runden und Eckigen des Lautes.
Wenn
jemand glaubt, er könne ein Redner werden, ohne auf dieses Wert zu
legen, so lebt er in demselben Irrtum wie eine Menschenseele, die
zwischen Tod und neuer Geburt an dem Punkte angekommen ist, auf die
Erde herunterzusteigen und die sich nicht verleiblichen will, weil
sie nicht eingehen will auf Gestaltungen des Magens, der Lunge, der
Niere und so weiter. Es handelt sich durchaus darum, daß zum
Reden alles herangezogen werden muß, was die Rede
tatsächlich fertig gestaltet.
Man
soll also auf den Organismus der Sprache und ihren Genius
immerhin Wert legen. Man soll nicht vergessen, daß dieses
Wertlegen auf den Organismus der Sprache, auf den Genius der Sprache
bildschöpferisch ist. Wer sich nicht innerlich hörend mit
der Sprache beschäftigt, dem kommen nicht Bilder, dem kommen
nicht Gedanken, der bleibt ungelenk im Denken, und er wird ein
Abstraktling im Sprechen, wenn nicht gar ein Pedant. Gerade an dem
Erleben des Lautlichen, des Bildhaften in der Sprachformung selbst
liegt etwas, was herauslockt aus unserer Seele auch die Gedanken, die
wir brauchen, um sie vor die Zuhörer hinzutragen. Es liegt eben
in dem Erleben des Wortes etwas Schöpferisches mit Bezug auf den
inneren Menschen. Das sollte niemals außer acht gelassen werden.
Das ist außerordentlich wichtig. Es sollte uns überhaupt
durchaus die Empfindung beherrschen, wie das Wort, die Wortfolge, die
Wortgestaltung, die Satzgestaltung, wie diese zusammenhängen mit
unserer ganzen Organisation. Geradeso wie man aus der Physiognomie
den Menschen gewissermaßen erraten kann, so kann man
natürlich erst recht – ich meine jetzt nicht aus dem, was
er uns sagt, sondern aus dem Wie der Sprache – den ganzen
Menschen erfühlen aus dem Wie der Sprache.
Aber
dieses Wie der Sprache kommt aus dem ganzen Menschen
heraus. Und es handelt sich durchaus auch darum, daß wir, in
leichter Weise natürlich, nicht indem wir uns so behandeln wie
einen Patienten, sondern in leichter Weise, auch den physischen Leib
ins Auge fassen. Es ist zum Beispiel für jemanden, der durch
Erziehung oder vielleicht sogar durch Vererbung dazu veranlagt ist,
pedantisch zu sprechen, gut, wenn er versucht, durch anregenden Tee,
den er ab und zu zu sich nimmt, sich die Pedanterie
abzugewöhnen. Diese Dinge müssen, wie gesagt, vorsichtig
gemacht werden. Für den einen ist dieser Tee, für den
anderen ein anderer Tee gut. Der gewöhnliche Tee, der ist ja,
wie ich öfter erwähnt habe, eine sehr gute Diplomatenkost:
weil die Diplomaten geistreich sein müssen, das heißt,
unzusammenhängend eins hinter dem anderen plappern müssen,
und das darf nur ja nicht pedantisch sein, sondern das muß die
Leichtigkeit des Übergangs von einem Satz zum anderen aufweisen.
Daher ist schon der Tee das Diplomatengetränk. Der Kaffee aber,
der macht logisch. Daher schreiben Journalisten ihre Artikel, weil
sie gewöhnlich von Natur aus nicht sehr logisch sind, sehr
häufig in Kaffeehäusern. Jetzt, seit der
Schreibmaschinenzeit, sind ja die Dinge etwas anders; aber
früher konnte man in ganzen Trupps Journalisten in
Kaffeehäusern antreffen, an der Schreibfeder knuspernd und
Kaffee trinkend, damit ein Gedanke nun wirklich auch an den anderen
sich anreihen konnte. Also, wenn man findet, daß man zuviel von
dem Teeartigen hat, dann ist der Kaffee etwas, das ausgleichend
wirken kann. Aber wie gesagt, das alles ist eben nicht ganz
arzneimäßig gemeint, aber doch in der Richtung liegend. Und
wenn zum Beispiel jemand veranlagt ist, irgendwelche störenden
Laute in die Rede hineinzumischen –
sagen wir, wenn jemand «he» sagt nach jeder dritten Silbe
oder dergleichen, dann rate ich ihm, etwas schwachen
Sennesblättertee zweimal in der Woche abends zu trinken, und er
wird sehen, was das für eine günstige Wirkung ausübt.
Es
ist schon so: Da die Dinge, die in der Rede, in der
Sprache zum Ausdruck kommen, aus dem ganzen Menschen kommen
müssen, darf da durchaus nicht die Diät vernachlässigt
werden. Es ist das nicht bloß im groben der Fall. Natürlich
hört man es der Rede an, wenn sie von einem Menschen kommt, der
endlose Mengen Bier durch seine Kehle hat strömen lassen, oder
dergleichen. Das ist im groben der Fall. Wer ein Ohr hat für das
Sprechen, der weiß ganz gut, ob irgendein Sprecher ein
Teetrinker oder ein Kaffeetrinker ist, ob er an Obstipationen oder am
Gegenteil leidet. In der Sprache drückt sich alles mit einer
absoluten Sicherheit aus, und auf all das muß durchaus
Rücksicht genommen werden. Man wird allmählich instinktiv
sich auf diese Dinge einlassen, wenn man so, wie ich es sagte, die
Sprache in der Umgebung fühlt.
Allerdings,
die verschiedenen Sprachen neigen in verschiedener Art, in verschiedenem
Grade dazu, so in der Umgebung gehört zu werden. Eine Sprache
wie die lateinische, die eignet sich besonders dazu, gehört zu
werden. Das Italienische auch. Ich meine jetzt, vom Sprecher selbst
als objektiv gehört zu werden. Wenig eignet sich zum Beispiel
die englische Sprache dazu, weil diese als Sprache sehr ähnlich
ist dem Schreiben, das aus den Gliedern heraus fließt. Je
abstrakter die Sprachen werden, desto weniger eignen sie sich dazu,
innerlich gehört zu werden, objektiv zu werden. Wie tönt
noch in älteren Zeiten das deutsche Nibelungenlied:
Uns
ist in alten maeren
von heleden lobebaeren,
von freude unt hôchgezîten,
von küener recken strîten
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Wunders
vil geseit
von grôzer arebeit;
von weinen unde klagen,
müget ir nu wunder hoeren sagen.
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Ez
wuohs in Buregonden
daz in allen landen
Kriemhilt geheizen;
Dar umbe muosen degene
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ein
vil edel magedîn,
niht schoeners mohte sîn,
diu wart ein schoene wîp,
vil Verliesen dën lîp.
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Das
hört sich, indem man spricht! An solchen Dingen muß man lernen,
die Sprache zu empfinden. Natürlich, es werden die Sprachen im Laufe
ihrer Entwickelung abstrakt. Man muß dann mehr von innen heraus das
Konkrete hineinbringen, das Sinnenfällige hineinbringen. Abstrakt
nebeneinandergestellt, was ist für ein Unterschied:
Uns
ist in alten maeren
Uns wird in alten Märchen
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wunders
vil geseit
Wunderbares viel erzählt
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und so weiter!
Es
kann aber natürlich, wenn man sich an das Hören gewöhnt,
dieses auch in die neuere Sprache hineingebracht werden, und da kann viel
in der Sprache darauf hingewirkt werden, daß die Sprache wirklich
etwas wird, was einen eigenen Genius hat. Aber es gehören eben
solche Übungen dazu, um aufeinander einschnappen zu machen das
Hören im Geiste und das Sprechen aus dem Geiste. Und da will ich
denn noch einmal die eine Formel anführen:
Erfüllung
geht
Durch Hoffnung
Geht durch Sehnen
Durch Wollen
Wollen weht
Im Webenden
Weht im Bebenden
Webend bindend
Im Finden
Findend windend
Kündend.
Nur
eben dadurch, daß man den einen Laut in verschiedene Zusammenhänge
hineinstellt, kommt man zum Empfinden des Lautes, zur Metamorphose
des Lautes und zum Anschauen des Wortes, zum Schauen des Wortes.
Wenn
sich dann so etwas, wie ich es heute dargestellt habe im Dispositionenmachen
durch Schlagsätze, als unsere innerlich seelische Vorbereitung mit dem
vereinigt, was wir in dieser Weise aus der Sprache heraus gewinnen,
dann geht es eben zu dem Reden hin.
Eines
braucht man noch zu dem Reden außer all den
Dingen, die ich schon erwähnt habe: Verantwortlichkeit! Das
heißt, man soll fühlen, daß man kein. Recht hat, alle
seine Sprachungezogenheiten auskramen zu dürfen vor einem
Publikum. Man soll fühlen lernen, daß man zum
öffentlichen Auftreten Spracherziehung, ein Herausgehen aus sich
selbst und ein Plastizieren in bezug auf die Sprache eben schon
nötig hat. Verantwortlichkeit gegenüber der Sprache! Es ist
ja bequem, dabei stehenzubleiben, zu sprechen, wie man eben spricht,
und zu verschlucken, wieviel man gewohnt ist, zu verschlucken, zu
quetschen und biegen und brechen und drücken und dehnen die
Worte, wie es einem bequem ist. Aber man darf eben bei diesem
Quetschen und Drücken und Dehnen und Ecken und Ähnlichem
nicht stehenbleiben, sondern muß versuchen, auch in diesem
Formalen seinem Reden zu Hilfe zu kommen. Man wird eben einfach, wenn
man in dieser Weise seinem Reden zu Hilfe kommt, auch dazu
geführt, mit einem gewissen Respekt vor dem Publikum zu
sprechen, mit einer gewissen Scheu an das Sprechen heranzugehen, mit
Respekt vor dem Publikum zu sprechen. Und das ist durchaus
nötig. Das kann man, wenn man das Seelische auf der einen Seite
ausarbeitet, und das mehr Physische, das ich heute im zweiten Teil
der Auseinandersetzung gegeben habe, auf der anderen Seite. Auch wenn
man nur Gelegenheitsreden zu halten hat, so kommen durchaus derlei
Dinge stark in Betracht.
Sagen
wir zum Beispiel, man hat den Bau, das Goetheanum, zu erörtern. Dann
sollte man im Grunde genommen, weil man natürlich nicht zu jeder
Erörterung eine Extravorbereitung machen kann, sich wenigstens
zweimal in der Woche zu der entsprechenden Rede entsprechend
vorbereiten, wie ich es auseinandergesetzt habe. Man sollte
eigentlich nur aus dem Stegreif reden, wenn man gewissermaßen
das Vorbereiten als eine ständige Übung übt.
Dann
wird man auch finden, wie sich, ich möchte sagen, das Formale mit dem
Inhaltlichen verbindet. Und gerade über diesen Punkt werden wir
dann morgen nochmals zu sprechen haben: über die Verbindung der
formalen Praxis mit der seelischen Praxis.
Der
Kurs ist ja leider kurz; man kann kaum über die Einleitung hinauskommen.
Aber ich würde es unverantwortlich finden, gerade dasjenige
nicht gesagt zu haben, was ich im Verlaufe dieser Vorträge
gesagt habe.
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