SECHSTER
VORTRAG
Dornach,
16. Oktober 1921
Da
wir heute unsere letzte Stunde haben müssen, wird es sich darum
handeln, daß wir einige Ergänzungen und Erweiterungen zu
dem Gesagten vorbringen, und Sie müssen das schon so hinnehmen,
wie wenn eben einiges zuletzt gewissermaßen im Ramschausverkauf
noch vorgebracht würde.
Zunächst
möchte ich vor allen Dingen bemerken, daß man immer
berücksichtigen muß, daß der Redner in einer
wesentlich anderen Lage ist als derjenige, der irgend etwas
Schriftliches von sich gibt gegenüber dem Leser. Der Redner hat
Rücksicht darauf zu nehmen, daß er eben nicht einen Leser
vor sich hat, sondern einen Zuhörer. Der Zuhörer ist nicht
in der Lage, wenn er irgend etwas nicht verstanden hat,
zurückzukehren und den Satz noch einmal zu lesen. Dazu ist ja
der Leser in der Lage, und darauf hat man Rücksicht zu nehmen.
Man wird das dadurch erreichen, daß man in der Rede sich
bemüht, in Wiederholung manches vorzubringen, was man für
ganz besonders wichtig, ja für unerläßlich halt, um
mit dem Ganzen mitzukommen. Man wird natürlich darauf sehen
müssen, daß solche Wiederholungen in Variierungen gegeben
werden, daß man also besonders wichtige Dinge in verschiedenen
Wendungen vorbringt, und daß durch die Verschiedenheit der
Wendungen der Zuhörer zu gleicher Zeit, wenn er leichte
Auffassungsgabe hat, doch nicht ermüdet werde. Man wird also
darauf zu sehen haben, daß gewissermaßen verschiedene
Wendungen für ein und dieselbe Sache eine Art
künstlerischen Charakter tragen.
Das
Künstlerische der Rede ist überhaupt etwas, das
durchaus berücksichtigt werden muß, und zwar vielleicht
gerade um so mehr, je mehr man es zu tun hat mit etwas, das auf
Logik, auf Lebenserfahrung, auf andere Verständniskräfte
Rücksicht nehmen muß. Vielleicht muß man um so mehr
künstlerisch in der Rede verfahren durch solche Wiederholung,
durch die Komposition und noch durch manches andere, was heute zu
erwähnen sein wird, je mehr man durch ein straffes Anspannen
dies Denkens an das Verständnis appellieren muß. Man
muß nur bedenken, daß das Künstlerische eben ein
Mittel des Verständnisses abgibt. Wiederholungen an sich zum
Beispiel, sie wirken ja so, daß sie gewissermaßen eine Art
Erleichterung für den Zuhörer bilden. Man gibt dem
Zuhörer Gelegenheit, wenn er Wiederholungen in verschiedenen
Wendungen hört, gewissermaßen nicht straff sich zu halten
an die eine Wendung oder an die andere Wendung, sondern an dasjenige,
was dazwischen liegt. Dadurch wird er im Auffassen befreit und er hat
dann dieses Gefühl der Befreiung, und das ist etwas, was
außerordentlich zum Verständnis beiträgt.
Aber
auch andere Mittel des künstlerischen Aufbaues nicht nur, sondern
der künstlerischen Durchführung sollen angewendet werden.
Nehmen wir zum Beispiel dies, daß der Redner von Zeit zu Zeit,
indem er die nötige Einkleidung dafür sucht, Fragen
anbringt, so daß er also eigentlich zwischen den
gewöhnlichen Erörterungen in einer Frage zu seinen
Zuhörern spricht. Was heißt es eigentlich, zu seinen
Zuhörern in einer Frage zu sprechen? Ja, Fragen, die der
Zuhörer sich anhört, die wirken eigentlich
hauptsächlich auf die Einatmung des Zuhörers. Der
Zuhörer lebt ja während des Zuhörens in
Einatmung-Ausatmung, Einatmung-Ausatmung. Das ist nicht bloß
für das Sprechen von Bedeutung, das ist durchaus auch von
Bedeutung für das Zuhören. Bringt einer nun als Redner eine
Frage vor, dann kann das Ausatmen gewissermaßen
unbeschäftigt bleiben. Das Einatmen ist dasjenige, was sich auf
das Zuhören verlegt beim Anhören einer Frage. Das
widerspricht nicht dem, daß der Redner etwa gerade, wenn der
Hörer ausatmet, seine Frage vorbringt. Es wird nämlich
nicht nur gerade zugehört, sondern auch schief, so daß das
eigentliche Hören eines Wortes oder eines Satzes, der
hineinfällt in eine Ausatmung, wenn er eine Frage ist,
eigentlich erst recht perzipiert, aufgenommen wird bei der
nachfolgenden Einatmung. Kurz, das Einatmen überhaupt hat etwas
Wesentliches zu tun mit dem Anhören des in Frageform Vorgebrachten.
Dadurch aber, daß das Einatmen engagiert wird durch das Aufwerfen
einer Frage, wird der ganze Prozeß des Zuhörens verinnerlicht.
Er geht gewissermaßen tiefer in der Seele vor sich, als wenn man
nur einfach einer Erörterung zuhört.
Wenn
man einer Erörterung zuhört, dann hat man
eigentlich immer die Tendenz, weder mit der Einatmung noch mit der
Ausatmung sich zu engagieren. Die Erörterung möchte
eigentlich möglichst wenig tief gehen, aber eigentlich auch
nicht die Sinnesorgane viel beschäftigen.
Das
Erörtern logischer Dinge durch die mündliche Rede ist
überhaupt eine mißliche Sache. Wer daher so reden will, daß
er etwa bloß in Schlußfolgerungen spricht, der wird dadurch ein
gutes Mittel in der Hand haben, um seine Zuhörer
einzuschläfern. Denn dieses logische Entwickeln, das hat den
Nachteil, daß es das Verständnis vom Gehörorgan
wegschafft, man hört nicht ordentlich dem Logischen zu, und auf
der anderen Seite, daß es wiederum das Atmen nicht eigentlich
gestaltet, nicht in variierte Wellen versetzt. Der Atem bleibt
eigentlich am neutralsten, wenn man logische Erörterungen
anhört; daher schläft man dabei ein. Es ist das ein ganz
organischer Prozeß. Logische Erörterungen wollen
unpersönlich sein; aber das rächt sich.
Daher
wird man, wenn man sich zum Redner entwickeln will,
darauf Rücksicht nehmen müssen, daß man
womöglich, trotzdem man logisch bleibt, nicht bloß in
logischen Formeln spricht, sondern eben in Redefiguren. Und zu den
Redefiguren gehört eben die Frage. Zu den Redefiguren
gehört es auch, daß man zuweilen das Gegenteil von dem
sagt, was man – es ist ein extremer Fall – eigentlich
sagen will, trotzdem der Zuhörer natürlich sehr gut
weiß, daß er das Gegenteil zu verstehen habe, indem man den
Satz eben so einkleidet, daß man das Gegenteil sagen darf. Wenn
also, sagen wir, jemand einfach erörtert und auch im
Erörterungston sagen würde: Der Kully ist dumm –, so
wäre das unter Umständen keine sehr gute Redewendung.
Dagegen könnte es eine gute Redewendung sein, wenn jemand sagt:
Ich glaube nicht, daß jemand hier sitzt, der die Meinung hat:
der Kully ist gescheit! – Da haben Sie den Satz ausgesprochen,
von dem das Gegenteil die Wahrheit ist. Aber Sie haben natürlich
auch etwas dazu getan, um nicht den Satz der geraden Erörterung,
sondern das Gegenteil aussprechen zu dürfen. Also in dieser
Weise vorzugehen, aber auch das mit innerer Empfindung zu tun, wird
der Rede ganz besonders gut auf die Beine helfen können.
Ich
habe eben gesagt: Es wird der Rede ganz besonders gut auf
die Beine helfen können. – So etwas ist ein Bild. Der
Philister kann sagen, eine Rede habe doch keine Beine. Aber eine Rede
hat eben doch Beine! Man braucht nur zum Beispiel sich zu erinnern,
daß Goethe im hohen Alter, als er manchmal schon in der
Müdigkeit sprechen mußte, gern sprach herumgehend im
Zimmer. Die Rede ist im Grunde genommen der Ausdruck für den
ganzen Menschen, sie hat also doch Beine! Und den Zuhörer zu
frappieren durch so etwas, was er vielleicht bisher nicht gewahr
geworden ist, aber was aufzufassen er gegen seine Gewohnheit
genötigt ist, das ist wiederum für die Rede
außerordentlich wichtig.
Zur
Gefühlslogik für die Rede gehört auch, daß man
nicht immer in demselben Tone spricht. Immer in demselben Ton
fortsprechen, das wissen Sie ja, schläfert auch ein. Denn jede
Erhöhung des Tons ist eigentlich ein ganz leiser Alpdruck, so
daß der Zuhörer durch jede Erhöhung des Tons innerlich
etwas aufgerüttelt wird. Jede Senkung des Tons im
Verhältnis zur Höhe ist eigentlich eine leise Ohnmacht, so
daß der Zuhörer genötigt ist, dagegen
anzukämpfen. Man veranlaßt also durch Modulieren der Rede
den Zuhörer, mitzuarbeiten, und das ist für den Redner
schon außerordentlich wichtig.
Besonders
bedeutsam aber ist es auch, zuweilen
gewissermaßen an das Ohr des Zuhörers zu appellieren. Wenn
er gar zu sehr in sich versunken zuhört, dann geht er manchmal
mit gewissen Passagen der Rede nicht mit. Er fängt an, für
sich nachzudenken. Das ist für den Redner ein großes
Unglück, wenn die Zuhörer anfangen, für sich
nachzudenken. Dann hören sie etwas nicht, fangen nach einiger
Zeit wieder an zu hören und kommen eben nicht mit. Daher
muß man die Zuhörer zuweilen beim Ohr nehmen, und das
geschieht dadurch, daß man in seinen Redewendungen ungewohnte
Satzfolgen und Wortfolgen anwendet. Die Frage gibt ja an sich schon
eine andere Stellung von Subjekt und Prädikat, als man gewohnt
ist, aber man sollte auch die Änderung der Wortfolge in der
verschiedensten Weise handhaben. Man sollte darauf achten, daß
manche Sätze so gesprochen werden, daß das Verbum am
Beginne des Satzes steht, oder aber, daß man einen Satz mit
irgendeinem anderen Redeteil beginnt, von dem man sonst nicht gewohnt
ist, daß er im Beginne steht. Da kommt etwas Ungewohntes, da
paßt er wieder auf, und das Merkwürdige ist, er paßt
dann nicht bloß auf diesen Satz auf, sondern auch noch auf den
nächstfolgenden. Und wenn man es mit ganz besonders zahmen
Zuhörern zu tun hat, passen sie dann sogar noch auf den
zweitnächsten auf, wenn man seine Redeteilgliederung etwas
verschränkt. Man muß als Redner diese innere
Gesetzmäßigkeit durchaus beachten. Man lernt eigentlich
diese Dinge am besten, wenn man einmal im Zuhören die
Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat, wie wirklich gute Redner solche
Dinge gebrauchen. Solche Dinge sind es auch, die im wesentlichen zum
Bildlichen der Rede führen.
Fürs
Reden konnte man in dieser Beziehung, in formaler
Beziehung, sehr viel von den Jesuiten lernen. Die werden sehr gut
geschult. Sie gebrauchen erstens gut das Komponieren der Rede, indem
sie auf Steigerungen und auf Gefälle hin wirken, aber sie
gebrauchen vor allen Dingen das Bild. Und ich muß immer wieder
auf eine ausgezeichnete Jesuitenrede hinweisen, die ich einmal in
Wien anhören konnte, wo mich jemand in die Jesuitenkirche
führte, und gerade einer der berühmtesten Jesuitenpatres
predigte. Er predigte über die österliche Beichte, und ich
will Ihnen den wesentlichen Teil seiner Predigt hier mitteilen. Er
sagte: Liebe Christen! Da gibt es von Gott Abtrünnige, die
behaupten, die österliche Beichte sei vom Papst, vom
römischen Papst eingesetzt. Sie stamme also nicht von Gott,
sondern sie stamme vom römischen Papst. Liebe Christen, wer das
glaubt, der könnte etwas lernen, wenn ich ihm das Folgende sage:
Stellt euch vor, meine lieben Christen, hier stehe eine Kanone. An
der Kanone stehe ein Kanonier. Der Kanonier hat die Zündschnur
in der Hand. Die Kanone ist geladen. Hinten steht der Offizier und
kommandiert. Wenn der Offizier kommandiert: Feuer! – zieht der
Kanonier die Zündschnur. Die Kanone geht los. Wird jetzt ein
einziger von euch sagen: Dieser Kanonier, der auf den Befehl seines
Vorgesetzten gehört hat, er habe das Pulver erfunden? Niemand
von euch, liebe Christen, wird das sagen! Seht ihr, ein solcher
Kanonier war der römische Papst, der auf Befehl von oben
wartete, bis er die österliche Beichte befahl. Daher wird
niemand sagen – geradesowenig wie: Der Kanonier habe das Pulver
erfunden –, der römische Papst habe die österliche
Beichte erfunden, die er nur ausführen läßt auf das
Kommando von oben» – Alle von den Zuhörern waren
niedergeschmettert, überzeugt!
Selbstverständlich kannte der Mann die Situation und die
Verfassung der Gemüter, aber das ist ja auch etwas, was als eine
unerläßliche Vorbedingung für ein gutes Reden in
dieser Betrachtung hier schon charakterisiert worden ist. Er sagte
etwas, was als Bild ganz eigentlich aus dem Gedankengang
hinwegfällt und dennoch den Zuhörer den Gedankengang
vollziehen läßt, ohne daß der Zuhörer das
Gefühl hat, der Mann rede subjektiv. Ich habe Ihnen auch das
Diktum von Bismarck vorgebracht über das Steuern nach dem Winde
bei den Politikern, ein Bild, das sogar entnommen ist dem anderen,
mit dem er debattierte, das aber wiederum frei macht von der Strenge
des erörterten Gedankenganges.
Solche
Dinge, wenn sie richtig empfunden werden, sind diejenigen künstlerischen
Mittel, die durchaus das ersetzen werden, was eben in einer Rede
nicht sein darf: bloße Logik. Logik ist für die Gedanken,
ist nicht für das Reden, ich meine jetzt für die Form der
Rede, die Ausdrucksweise. Natürlich darf nicht Unlogik drinnen
sein. Aber es darf nicht eine Rede so kombiniert werden, wie man eben
einen Gedankengang kombiniert. Sie werden auch finden, daß
irgend etwas ganz spitzig und gut angebracht sein kann in der Debatte
und dennoch eigentlich nicht dauernd zu wirken braucht. Dauernd
wirkt, was in die Rede als Bild eingreift, namentlich dann, wenn es
als Bild ziemlich fern steht dem, was es bedeutet, und wenn
derjenige, der das Bild handhabt, selbst frei geworden ist von dem
sklavischen Anlehnen an den reinen Gedankensinn.
So
etwas führt dann dazu, zu erkennen, inwiefern eine Rede durch Humor
gehoben werden kann. Die tiefernste Rede kann durch einen Humor, der,
sagen wir, zum Beispiel Pfeile hat, gehoben werden. Es ist eben so:
Wenn wir zwangsmäßig, wie ich gesagt habe, Willen
hineingießen wollen in die Zuhörer, dann ärgern sie
sich. Daher sollen wir das Wilienshafte darauf verwenden, daß
die Rede selber Bilder kriegt, die innerlich gewissermaßen
Realitäten sind. Die Rede selbst soll Realität sein. Es
wird Ihnen vielleicht faßbar sein, was ich sagen will, wenn ich
Ihnen von zwei Debatten sage. Die zweite wird nicht eine reine
Debatte sein, aber etwas, was gerade in der charakterisierenden Rede
für die Bildverwendung instruktiv sein kann.
Sehen
Sie, eine ganz subjektive Färbung bekommen oftmals gerade diejenigen
Debattereden, die leicht witzig sein wollen. Das deutsche Parlament
hatte ja eine Zeitlang in dem Abgeordneten Meyer einen solchen
witzigen Debattenredner. Zum Beispiel war es einmal, daß die
berühmte oder berüchtigte «Lex Heinze» in diesem
deutschen Parlament vertreten wurde. Ich glaube, der Mann, der die
Verteidigungsrede hielt, war gerade Minister und sprach immer als
Verteidiger, als Angehöriger der Konservativen Partei von
«das Lex Heinze». Er sagte immer: Das Lex Heinze. Nun,
nicht wahr, so etwas kann passieren. Aber es gehörte zu den
Eigentümlichkeiten der Liberalen Partei, welcher der
Spaßmacher, der Abgeordnete Meyer angehörte, sich gerade
auf solche Dinge zu verlegen, und so ließ er sich denn hinterher
in der Debatte zum Worte melden und sagte etwa folgendes: Der Herr
Minister hat die Lex Heinze verteidigt und immer gesagt «Das Lex
Heinze». Ich wußte gar nicht, wovon er eigentlich redet,
ich ging überall herum und fragte, was das Lex ist. Niemand
konnte mir Auskunft geben. Ich nahm Wörterbücher, suchte
nach, fand nichts. Ich wollte schon hierher kommen, um den Herrn
Minister zu fragen, da fiel mir zuletzt noch ein, die letzte Minute
dazu zu benützen, auch eine lateinische Grammatik
nachzuschlagen, und siehe da, da fand ich, da steht der Satz drinnen:
Was man nicht deklinieren kann, das sieht man als ein Neutrum an!
Gewiß,
für das augenblickliche Lachen ist es ein guter, derber Witz,
aber er hat doch keine Pfeile, er braucht nicht tief zu zünden,
weil bei so etwas sich doch in leiser Weise im Unterbewußtsein
wiederum das Mitleid für den Betroffenen bei den Zuhörern
geltend macht. Das ist also eine zu subjektive Art; sie kommt mehr
aus der Spottlust als aus der Sache selbst.
Dagegen
habe ich immer als ein vortreffliches Bild dieses gefunden: Der spätere
preußische König Friedrich Wilhelm IV, war als Kronprinz
ein sehr geistreicher Mann. Sein Vater, der König Friedrich
Wilhelm III., hatte einen ihm besonders lieben Minister, von Klewiz
hieß er. Der Kronprinz konnte den von Klewiz nicht leiden.
Einmal, beim Hofball, redete der Kronprinz den Klewiz an und sagte:
Exzellenz, Ich möchte Ihnen heute einmal ein Rätsel aufgeben:
Das
erste ist eine Frucht auf dem Felde;
das zweite ist so etwas: wenn man es vernimmt,
bekommt man etwas wie einen leichten Schock;
und das Ganze ist eine Landplage!
Von
Klewiz wurde rot bis weit über die Ohren, verbeugte sich und reichte
nach diesem Hofball den Abschied ein. Der König ließ ihn
kommen und sagte: “Was fällt Ihnen denn ein! Ich kann Sie
nicht entbehren* mein lieber Klewiz! –
Ja, aber Königliche Hoheit, der Kronprinz haben mir gestern am
Hofball etwas gesagt, demgegenüber ich nicht weiter im Amte
bleiben kann. – Aber das ist ja nicht möglich! Seine
Liebden, der Kronprinz wird doch so etwas nicht sagen, das kann ich
nicht glauben. – Ja, es ist doch so, Majestät. – Was hat
denn Seine Liebden, der Kronprinz gesagt? – Er hat zu mir gesagt:
Das
erste ist eine Frucht auf dem Felde;
das zweite ist etwas: wenn man es vernimmt,
bekommt man so etwas wie einen leichten Schock;
das Ganze ist eine Landplage!
Es
ist ja kein Zweifel, daß Königliche Hoheit der Kronprinz mich
gemeint haben. – Ja, eine merkwürdige Sache, mein lieber Klewiz.
Aber wir wollen doch den Kronprinzen kommen lassen und hören, wie sich
die Sache verhält.
Der
Kronprinz wird gerufen. – Euer Liebden sollen
gestern Abend einen schwer beleidigenden Ausspruch gesagt haben
gegenüber meinem unentbehrlichen Minister, Exzellenz von Klewiz.
– Der Kronprinz sagte: Majestät, ich wüßte mich
nicht zu erinnern. Wenn es etwas Erhebliches gewesen wäre,
würde ich mich zu erinnern wissen. – Es schien doch etwas
Erhebliches gewesen zu sein. – Ja, ja, ja, ich erinnere mich:
Ich habe zu Seiner Exzellenz gesagt, ich wolle ihm ein Rätsel
aufgeben:
Die
erste Silbe, das sei eine Frucht auf dem Felde;
die zweite Silbe bedeutet etwas, wenn man es vernimmt,
bekommt man so etwas wie einen leisen Schock;
das Ganze ist eine Landplage.
Ich
denke, daß ich doch nicht dadurch Seine Exzellenz so sehr beleidigt
habe, daß Seine Exzellenz das Rätsel nicht lösen konnte. Ich
erinnere mich, Exzellenz konnte einfach das Rätsel nicht lösen!
– Der König sagte: Ja, was ist des Rätsels Lösung?
– Nun ja:
Die
erste Silbe, eine Frucht auf dem Felde ist: Heu
die zweite Silbe, wo man so einen leichten
Schock bekommt, ist: Schreck;
das Ganze ist: Heuschreck; –
das
ist ja eine Landplage, Majestät.
Nun,
warum sage ich das? Ich sage das aus dem Grunde, weil niemand, der so
etwas erzählt, der auch seine Redewendungen in solch eine Form
gießt, nötig hat, die Sache ganz zu Ende zu führen,
denn kein Mensch erwartet, wenn man es erzählt, daß man das
Tableau weiter erörtert, sondern jeder kann sich die
entsprechende bildliche Vorstellung machen. Und es ist gut, zuweilen
in der Rede zu bewerkstelligen, daß etwas übrig bleibt
für den Zuhörer. Das bleibt nicht übrig, wenn jemand
spottet, da geht der Bruch Null für Null auf.
Es
handelt sich also darum, daß man die Anschaulichkeit auch dadurch
hebt, daß der Zuhörer wirklich die Empfindung bekommt, er darf
auch etwas tun, er darf weiterdenken. Dann aber hat man
natürlich nötig, die nötigen Redepausen eintreten zu
lassen. Diese Redepausen müssen durchaus auch da sein.
Nun,
nach dieser Richtung hin wäre wirklich außerordentlich viel
zu sagen über die Form, über die Gestaltung einer Rede. Denn
gewöhnlich glaubt man, daß die Menschen bloß mit den
Ohren zuhören, wogegen schon das spricht, daß manche, wenn
sie etwas ganz besonders auffassen wollen, den Mund aufsperren beim
Zuhören. Sie würden das nicht tun, wenn man bloß mit
den Ohren zuhören würde. Man hört nämlich viel
mehr mit den Sprachorganen zu, als gewöhnlich gemeint wird. Man
schnappt gewissermaßen in die R.ede des Redners immer ein gerade
mit seinem Sprachorgan, und der ätherische Leib redet eigentlich
immer mit, macht sogar immer Eurythmie mit, wenn zugehört wird,
und zwar Bewegungen, die durchaus den eurythmischen Bewegungen
entsprechen. Nur kennt sie der Mensch meistens nicht, wenn er nicht
Eurythmie gelernt hat.
Es
ist so, daß alles, was gehört wird von den unlebendigen
Körpern, mehr von außen mit dem Ohr gehört wird,
daß aber die Rede des Menschen eigentlich so gehört wird,
daß beachtet wird, was von innen an das Ohr anschlägt. Das
ist eine Tatsache, die, wie man sagen kann, die wenigsten Menschen
wissen. Die wenigsten Menschen wissen, welch großer Unterschied
besteht, sagen wir zwischen dem Anhören eines
Glockengeläutes oder einer Symphonie, und dem Zuhören der
menschlichen Rede. Bei der menschlichen Rede wird eben eigentlich das
Innere am Sprechen gehört. Das andere ist viel mehr
Begleiterscheinung, als es dies ist beim Anhören von irgend
etwas Unorganischem. Deshalb mußte alles das gesagt werden, was
ich sagte über das eigene Zuhören, damit man
tatsächlich die Rede so formuliert, wie man sie kritisieren
würde, wenn man sie hörte. Ich meine, daß das
Formulieren aus derselben Kraft, aus demselben Impuls heraus kommt
wie die Kritik, wenn man sie hört.
Es
wird schon von einiger Wichtigkeit sein, daß die
Persönlichkeiten, welche sich zur Aufgabe machen, etwas gerade
für die Dreigliederung des sozialen Organismus oder
Ähnliches zu wirken, Rücksicht darauf nehmen, daß in
einer gewissen Weise auch künstlerisch an das Publikum
herangebracht werde, was man sagen will. Denn im Grunde spricht man
heute – ich habe das schon angedeutet – doch zu ziemlich
tauben Ohren, wenn man vor einem gewöhnlichen Publikum über
die Dreigliederung des sozialen Organismus spricht. Und man wird
schon müssen, ich möchte sagen, von einer gewissen Seite
ganz in der Sache drinnen stehen, namentlich mit Gefühl und
Empfindungen in der Sache drinnen stehen, wenn man so wirken will,
daß es Aussicht auf Erfolg haben soll. Nicht als ob es
nötig wäre, gewissermaßen die Geheimnisse des Erfolges
zu studieren – das ist gewiß nicht nötig – und
sich anzupassen in einer kleinlichen Weise an das, was der
Zuhörer gern hört. Das ist ganz gewiß nicht dasjenige,
was angestrebt werden darf. Aber angestrebt werden muß ein
wirkliches Drinnen-stehen in den Zeiterscheinungen. Und sehen Sie,
ein solches Drinnen-stehen in den Zeiterscheinungen, ein Erregen des
wirklich tieferen Interesses für die Zeiterscheinungen kann
heute doch nur hervorgerufen werden durch Anthroposophie. Aus diesen
und aus anderen Gründen muß derjenige, der wirksam
über Dreigliederung sprechen will, schon absolut wenigstens
innerlich durchdrungen sein davon, daß notwendig ist für
das Verständnis der Dreigliederung von Seiten der Welt, auch die
Anthroposophie an die Welt heranzubringen.
Gewiß,
seit im Sinne der Dreigliederung gewirkt wird, ist ja die Sache so,
daß auf der einen Seite diejenigen Menschen stehen, von denen
man sagt, sie interessieren sich für Dreigliederung, wollen aber
von Anthroposophie nichts wissen, und auf der anderen Seite
diejenigen, die sich für Anthroposophie interessieren, und dann
nichts von der Dreigliederung, wissen wollen. Wenn man aber mit
dieser Tatsache zu stark bei sich selbst rechnet, dann erreicht man
doch nichts für die Dauer; für den Augenblick mag etwas
erreicht werden, für die Dauer aber erreicht man doch nichts.
Insbesondere
wird man wenig mit so etwas, was man für
eine Taktik halten könnte, gerade in der Schweiz erreichen
können, mit aus den Gründen, die ich ja schon mit Bezug
gerade auf die Schweiz angegeben habe. Es wird sich schon darum
handeln, daß wenigstens im Untergrunde des Redenden stark die
Überzeugung vorhanden sein muß, daß man ohne
anthroposophische Grundlage der Dreigliederung nicht richtig auf die
Beine helfen kann. Man kann natürlich das benutzen, daß
manche Menschen die Dreigliederung entgegennehmen und die
Anthroposophie abweisen; aber man sollte durchaus wissen – und
wenn man es weiß, wird man schon die nötigen Wendungen in
seine Rede hineinbringen –, daß ohne die Verbreitung
wenigstens der elementarsten Dinge der Anthroposophie nichts
dreigegliedert werden kann.
Was
soll man denn eigentlich dreigliedern? Denken Sie sich
nur einmal, in einem solchen Territorium, in dem, sagen wir, ein
Staat auf der einen Seite ganz in seiner Hand hat das Schulwesen, auf
der anderen Seite das Wirtschaftsleben, so daß
zwischendurchgefallen ist das Rechtsleben – ja, denken Sie nur
einmal, es könnte das Unwahrscheinliche eintreten, daß da
nun dreigegiiedert würde! Es würde ja auf dem Gebiet des
Schulwesens, das nun selbständig wäre, wahrscheinlich in
kürzester Zeit zu der Wahl eines Schulmonarchen und
Schuloiinlsters geschritten werden, und das freie Geistesleben
würde In kürzester Zeit in einen Staat verwandelt!
Solche
Dinge lassen sich nicht formal nehmen, sie müssen in dem ganzen
Lebendigen der Menschen ruhen. Es muß doch erst etwas da sein
als freies Geistesleben, in dem die Menschen drinnenstehen, wenn man
das Geistesleben auf sich selbst in dem sozialen Organismus stellen
will. Nur dann, wenn das Geistesleben auch im anthroposophischen
Sinne gehandhabt wird, wie zum Beispiel in der Freien Waldorfschule
in Stuttgart, kann davon geredet sein, daß man da etwas hat, was
ein kleiner Keim ist für ein freies Geistesleben. Aber in der
Freien Waldorfschule hat man weder einen Rektor, noch hat man
Lehrpläne, noch hat man irgend etwas anderes dieser Art, sondern
das Leben ist da, und es ist durchaus Rücksicht genommen auf
dasjenige, was man eben bedenken muß gegenüber dem Leben.
Ich
bin ganz überzeugt davon, daß über ein
ideales freies Schulwesen sich jeweilig drei, sieben, zwölf,
dreizehn oder fünfzehn Menschen, die sich zusammensetzen, die
allerallerschönsten Gedanken machen können, und ein
Programm aufstellen können: Erstens, zweitens, drittens –
viele Punkte. Dieses Programm könnte so sein, daß man sich
eigentlich nichts Schöneres vorstellen könnte. Die Leute,
die dieses Programm ausdenken, brauchten nicht einmal besonders
gescheit zu sein, könnten zum Beispiel durchaus
Durchschnittsparlamentarier sein, brauchten nicht einmal solche zu
sein, könnten Wirtshauspolitiker sein unter Umständen, und
die könnten dreißig, vierzig Punkte herausfinden, die die
höchsten Ideale erfüllen für ein tadelloses Schulwesen
– aber anfangen kann man damit nichts! Es ist ganz
unnötig, Paragraphen und Statuten in dieser Weise zu formen,
wenn man damit nichts anfangen kann. Man kann nur etwas anfangen mit
einem zusammengestellten Lehrerkollegium, wenn man gar nicht nach
Statuten rechnet, sondern nach dem, was man halt eben hat, und daraus
in aller Lebendigkeit das Beste macht.
Freies
Geistesleben muß eben ein wirkliches Geistesleben sein. Wenn die
Menschen heute von Geistesleben reden, reden sie gar nicht vom
Geiste, reden sie von Ideen; sie reden ja nur immer von Ideen.
Also
wenn schon Anthroposophie dazu da ist, in den Menschen
wiederum die Empfindung von einem realen Geistesleben hervorzurufen,
so kann sie nicht entbehrt werden, wenn man überhaupt die
Forderung der Dreigliederung des sozialen Organismus aufstellt. Also
muß im Grunde genommen in einem gehen: Förderung der
Anthroposophie, Förderung der Dreigliederung des sozialen Organismus.
Man
sieht ja auch heute, wie wenig die Leute Empfindung haben
für ein freies Geistesleben, daran, daß da oder dort
Forderungen auftreten für ein vom Staate emanzipiertes
Wirtschaftsleben. Man denke sich einmal im Konkreten aus, was nun das
für ein soziales Gebilde wäre, bei dem auf der einen Seite
der Rechtsstaat ist, der aber die ganze Schulverfassung in sich hat,
aus dem also eigentlich alles das hervorgehen soll, was an Weisheiten
dann in den Wirtschaftszusammenhängen entwickelt wird, und auf
der anderen Seite ein emanzipiertes Wirtschaftsleben! Wer im wahren
Sinne für die Dreigliederung des sozialen Organismus ist, dem
sollte es nur nie einfallen, etwa zu sagen: Da ist ja schon ein
Stück von der Dreigliederung des sozialen Organismus,
nämlich die Zweigliederung. – Viel besser ist der
chaotische Einheitsstaat als eine irgendwie geartete Zweigliederung.
Denn das ist das Wesen der Dreigliederung, daß sie eben eine
Dreigliederung ist und nicht eine Zweigliederung.
Nun
sagte ich: Man hätte zum Beispiel in Deutschland
nach der Revolution, weil jeder etwas Neues erwartete, durchaus in
verhältnismäßig kurzer Zeit einen Weg finden
können für die Dreigliederung des sozialen Organismus; aber
aus den Gründen, die Sie ja kennen, ist das eben nicht geworden.
In der Schweiz war zunächst überhaupt eine solche
äußere Veranlassung gar nicht da, absolut nicht da, kaum
daß etwa die Diskrepanzen zwischen den drei schweizerischen
Nationalitäten eine Empfindung von der Notwendigkeit der
Dreigliederung hervorrufen. Aber diese sind ja im Grunde genommen so
sehr wenig tiefgehend, trotzdem viel in ihrem Sinne geschrieben wird,
daß auch dadurch keine gründliche Empfindung für die
Dreigliederung des sozialen Organismus – ich meine jetzt
natürlich nicht in drei Nationen, sondern in die drei in den
«Kernpunkten» angeführten Glieder –
hervorgerufen werden könnte. Deshalb wird es für die
Schweiz schon notwendig sein, daß man immer bestrebt ist, den
Horizont der Betrachtung zu erweiterns daß man die Schweiz eben
so betrachtet, wie ich es vor ein paar Tagen getan habe: als eine Art
Drehungsmittelpunkt für die ganze Welt. Und diese Empfindung
sollte man bei den Schweizern hervorrufen.
Ich
war immer der Meinung, daß während der furchtbaren Weltkatastrophe
das Wirksamste schon 1915 zur Erreichung des Friedens, wenn es scharf und
tüchtig angefaßt worden wäre, von der Schweiz aus
hätte geschehen können, so sonderbar es klingt. Aber das
ist vorerst notwendig, daß eben der Blick des Schweizers auf den
großen Welthorizont hingelenkt werde.
Dazu
wird für den, der im Sinne der Dreigliederung des
sozialen Organismus reden will, vor allen Dingen notwendig sein
– ja, sollte ich im Alltäglichen sprechen, so möchte
ich sagen: die Wochenschrift «Das Goetheanum» nicht nur zu
lesen, sondern auch zu studieren. Und wenn ich es nun ins Allgemeine
wende, so würde ich sagen: Sich bekümmern um alles, was auf
dem großen Welthorizont heute vorgeht, ein Herz und einen Sinn
haben dafür, daß, sagen wir, der Minister für
Südafrika, Smuts, einen Teil der heutigen Weltwende damit
ausgedrückt hat, daß er sagte: Die Weltinteressen wenden
sich ab von der Nordsee und dem Atlantischen Ozean und bekommen ihren
neuen Ausstrahlungspunkt im Stillen Ozean. – Was nun eben so
ein südafrikanischer Minister vom heutigen Schnitt denken kann,
weist alles darauf hin, wo Niedergangskräfte, namentlich in
bezug auf den europäischen Kontinent, zu suchen sind. Ich sage:
Was ein Minister von solchem Schnitt sagen kann. Er kann ja nur vom
wirtschaftlichen Gesichtspunkte aus sprechen, weil nur der ihm
naheliegt, weil er ja nur den versteht. Und wenn sich das realisiert,
was solche Leute heute denken können, dann wird in der Tat
Europa eine Art halbbarbarisches Bauernland. Die Tendenz geht
durchaus dahin.
Man
muß das in seiner Empfindung haben, sonst wird man
heute wirklich nicht mit dem Duktus der Wahrheit seine Rede formen
können. Man mag noch so viel politisieren, man wird ohne innere
Wahrheit sprechen, und daher auch unwirksam sprechen, wenn man im
Hintergrunde die Empfindung hat: Na, es ist immer gegangen; wenn es
einmal eine Weile talab gegangen ist, ging es wiederum bergauf; so
wird es auch jetzt nicht so gefährlich sein! – Es ist
nicht so! Nur der kann empfinden, welches die richtigen
Aufgangskräfte sind, der ganz durchdrungen ist davon, wie in dem
Angedeuteten für Europa eben nur Niedergangskräfte
entfesselt werden. Es muß eben einfach die Empfindung heute
leben bei dem richtigen Dreigliederer: In alldem, was sich heute als
Weltgestaltung herausgebildet hat, lebt für Europa die
Abenddämmerung. – Daher muß man frei werden von dem,
was sich da herausgestaltet und muß aus ursprünglichen
Quellen heraus, vor allen Dingen aus geistigen Quellen heraus, die
Wüste wieder beleben, zu der Europa gemacht werden soll vom
Westen und auch vom Osten. Es ist durchaus so, daß man
hinzuhorchen hat auf so etwas, wie heute die «altbewährten
Staatsmänner» reden, wie es zum Beispiel jetzt wiederum in
Genf gehört worden ist. Wenn da ein Staatsmann etwa den Traum
hinstellt von einem «Weltgerichtshof», in dem die
Staatsmänner dann zum Heil der Völker ihre Weisheit
loslassen, so sollte man immer das Gefühl haben und auch nicht
zurückschrecken, dieses Gefühl hervorzurufen: daß
diese Staatsmänner, die hier allein gemeint sind, den heutigen
Zustand herbeigeführt haben und daß sie ihn verstärken
werden, wenn es in ihrem Sinne weitergeht.
Aber
die Menschen sind gerade heute insbesondere gedanken- und seelenmüde.
Sie möchten eigentlich vermeiden, zu ursprünglichen Gedanken
und Empfindungen zu kommen. Sie möchten immer nur fortpflegen,
was eben altbewährt ist. Sie möchten irgendwo
unterkriechen. Sie wenden sich nicht zur Anthroposophie, weil es da
nötig ist, daß man die Seele in Regsamkeit bringt, sondern
sie wenden sich heute, insbesondere die Intellektuellen, in
großen Scharen zur römisch-katholischen Kirche, weil da
keine Anstrengung nötig ist. Da tut es der Pfarrer oder der
Bischof, daß er die Seele durch den Tod hindurchführt. Man
denke doch nur, wie tief es eigentlich heute in den Menschen sitzt:
Eltern haben einen Sohn, sie haben ihn gern; daher wollen sie seinen
Lebensweg sichern. Da ist der Staat, da muß er unterkommen, denn
da ist er ganz sicher untergebracht, da braucht er nicht selber den
Lebenskampf zu führen. Da arbeitet er, so lange er kann; dann
wird er pensioniert; also noch über seine Arbeit hinaus ist er
gesichert. Wie soll man da diesen Staat nicht lieben, wenn er einem
die Kinder versorgt!
Und
auch die ringende Seele haben die Leute nicht besonders
gern. Die Seele soll von der Kirche so versorgt werden bis zum Tode
hin, wie die Arbeit durch den Staat. Und wie der Staat den
äußeren physischen Menschen pensioniert durch seine Macht,
so soll die Kirche auch die Seele pensionieren, wenn der Mensch
stirbt; sie soll für die Seele sorgen, soll ihr Pensionsgeld
geben nach dem Tode. Das ist etwas, was so tief in den heutigen
Menschen sitzt, was so sehr in jedem einzelnen sitzt. Aus
Höflichkeit will ich nur sagen, daß es nicht etwa bloß
für die Söhne gilt, sondern für die Töchter auch,
denn die heiraten doch wiederum diejenigen am liebsten, nicht wahr,
welche in dieser Weise versorgt sind. Also, dahinein sind schon die
Menschen versessen: Nicht auf sich selbst bauen, sondern irgendwo
eine mystische Macht haben, auf die gebaut werden kann. Der Staat ist
ja auch, wie er heute besteht, eine mystische Macht. Oder ist nicht
vieles dunkel in dem Staate? Ich denke, viel mehr ist da dunkel als
selbst bei dem schlechtesten Mystiker.
Alle
diese Dinge müssen eben als Empfindungen in uns
sitzen, wenn wir uns solche Aufgaben stellen, wie Sie sie sich
stellen wollen, und wie die sind, die eigentlich zum Abhalten dieses
Kursus geführt haben. Ich kann zum Schlüsse nur sagen: Ich
mußte mich bei diesem Kursus mehr auf das Formale der Redekunst
beschränken. Aber das Wesentliche ist doch dasjenige, was in
Ihren Herzen sitzt an Enthusiasmus, an Hingegebensein an die
Notwendigkeit jener Wirksamkeit, die vom Goetheanum in Dornach
ausgehen kann. Und in demselben Maße, in dem diese
Überzeugungskraft in wirklicher Wahrheit innerlich in Ihnen
wächst, in demselben Maße wird sie auch nicht bloß in
Ihnen überzeugende Kraft, sondern sie wird auch
überzeugende Kraft für andere werden können. Denn, was
braucht man? Wir brauchen heute nicht etwa bloß eine Lehre. Die
kann noch so gut sein, aber sie kann in den Bibliotheken
verschimmeln, sie kann in Worten von Wüstenpredigern da oder
dort figurieren, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß
möglichst bald der Impuls der Dreigliederung mit allem, was
dazugehört, in eine möglichst große Anzahl von
Köpfen hineinkommt. In eine möglichst große Anzahl von
Köpfen muß das hinein, was mit der Dreigliederung des
sozialen Organismus zusammenhängt, denn dadurch nur
läßt sich doch etwas erzielen, daß der eigentliche
Nerv dieser Dreigliederungsbewegung in möglichst vielen
Köpfen sitzt. Dann wird dasjenige, was zur Verwirklichung
führen soll, ja ganz von selber kommen.
Aber
wir müssen eben versuchen, ins Große hineinzuwirken. Es ist
durchaus, man möchte sagen, fast notwendig, daß so etwas
wie die Wochenzeitung «Goetheanum» so intensiv wie
möglich gerade in der Schweiz verbreitet wird. Das ist
natürlich nur eines unter Mannigfaltigem. Denn solch eine
Wochenschrift wird ja nicht immer nur in derselben Form wiederholen,
was schon im Anfange gesagt wurde, und was ja jeder natürlich
sich immer und immer wieder aneignen soll; aber es wird eine solche
Wochenschrift genötigt sein, sich auch in die Zeitbewegung
hineinzustellen und in den verschiedensten Gebieten anzuwenden und
auszugestalten, was im Sinne der Dreigliederung wirkt. Mitzuerleben,
was so durch das «Goetheanum» fließt, das wird
insbesondere notwendig sein für diejenigen, welche wirken
wollen, so wie Sie es wollen, im Sinne der Dreigliederung des
sozialen Organismus.
Aber
vor allen Dingen: Was wir brauchen, das ist Energie, Mut und Einsicht
und Interesse für die großen Weltbegebenheiten! Nicht sich
abkapseln von der Welt, nicht sich in enge Interessen hineinspinnen,
sondern sich für alles, was heute auf der ganzen Erde vorgeht,
interessieren. Das beflügelt auch unsere Worte, das wird uns zu einem
richtigen Mitarbeiter machen auf dem Felde, das wir ja gesucht haben.
In
diesem Sinne, meine lieben Freunde, möchte ich zu Ihnen gesprochen
haben, und in diesem Sinne habe ich namentlich dasjenige zu dem in dieser
Woche Gesprochenen noch heute, gewissermaßen als Ramschergänzung,
hinzugefügt, was ich glaubte, hinzufügen zu müssen, da
ja doch in einer solch kurzen Zeit nur außerordentlich Weniges
gegeben werden kann.
Wenn
Sie nun an Ihre Arbeit gehen, dann können Sie sicher sein, daß
die Gedanken dessen, der in diesen acht Tagen zu Ihnen gesprochen hat.
Sie begleiten werden. Und in einem solchen Zusammenwirken mag auch
etwas liegen von einer Erkraftung des Impulses, der uns beseelen
soll, wenn wir im richtigen Sinne, insbesondere in der Schweiz,
wirken wollen.
Damit
rufe ich Ihnen zu ein schönes «Glück
auf», trotzdem ich Sie nicht in die Tiefen eines finsteren
Schachtes hinunterschicken möchte, sondern gerade dorthin, wo es
hell ist, wo es luftig werden kann für die Entwickelung der
Menschheit und dahin, wo Ihnen diese Helligkeit, diese Luftigkeit
eine besondere Befriedigung gewähren kann, weil Sie es ja selbst
sein müssen, die dieses Licht, diese frische Luft in einen Teil
der Welt hineinbringen.
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