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Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken

Schmidt-Nummer: S-5910

Online seit: 31st December, 2016

F ÜNFTER VORTRAG

Dornach, 9. September 1924

Uns muß es ja vor allen Dingen darauf ankommen, die Apokalypse so zu lesen, wie sie in der Gegenwart gelesen werden soll. Schon aus dem Grunde, weil in der Gegenwart die geistige Entwicklung des Menschen im Zeichen der Bewußtseinsseele sich zu entfalten hat, muß dasjenige, was die Führung des geistigen Lebens ist, auch voll ins Bewußtsein hineintreten. Daher wird es sich für uns darum handeln, die Orientierung über das, was der Apokalyptiker gibt, vollbewußt in uns aufzunehmen.

In früheren Zeitaltern bedeuteten die Mitteilungen des Apokalyptikers vielleicht mehr oder weniger nur etwas für die höchsten Eingeweihten, die es ja in späteren Zeiten immer weniger gab, aber sie bedeuteten nichts für die gewöhnliche Priesterschaft. Heute muß das, was in der Apokalypse enthalten ist, wirklich in das Bewußtsein der Priesterschaft einziehen.

Nun haben wir gestern hingewiesen auf die sieben Gemeinden, und wir haben von einem Gesichtspunkt aus hingewiesen auf die Gemeinde von Ephesus. Die Welt ist wahrhaftig reich an Gesichtspunkten, und in ein und dieselbe Sache können viele Gesichtspunkte hereinspielen. Wir können die Gemeinde von Ephesus so charakterisieren, wie wir das gestern getan haben, und wir finden dann, wie aus heidnischen Voraussetzungen heraus innerhalb dieser einen Gemeinde das Christentum entwickelt worden ist. Wir können aber auch darauf hinweisen, wie in diesen Impulsen wirklich viel von dem enthalten war, was die Grundstruktur der ersten nachatlantischen Zeit war, mehr als das im Indien der späteren Zeit der Fall war. So daß man in dem, was zu Ephesus sich als Christentum entwickelte, in gewissem Sinne die christliche Fortsetzung der Weltauffassung und Lebensanschauung der ersten nachatlantischen Zeit sehen kann, während in der Gemeinde von Smyrna, die in der Apokalypse an zweiter Stelle genannt wird, zunächst die urpersische Kultur gelebt hat, die dann übergegangen ist in das Christentum.

Pergamon wiederum wird angeführt als diejenige Gemeinde, in der die dritte nachatlantische Kultur gelebt hat. Wir finden, wenn wir gerade das Sendschreiben an die Gemeinde von Pergamon auf uns wirken lassen, wie da mehr oder weniger deutlich hingewiesen wird auf das Hermeswort, das innerhalb dieser Kultur gelebt hat.

Dann werden wir in dem Brief an die Gemeinde von Thyatira verwiesen auf jene Kultur, die wir die vierte nachatlantische nennen, das ist diejenige, in die das Mysterium von Golgatha selbst hineinfällt. Wir werden da, wenn wir dieses bedeutende Sendschreiben auf uns wirken lassen, überall daran erinnert, wie wirklich die Botschaft des Mysteriums von Golgatha unmittelbar wirkte.

Und dann die schon gestern besprochene Gemeinde von Sardes. Ich zeigte Ihnen, wie diese Gemeinde von Sardes ja in einer gewissen Weise astrologisch orientiert war, wie sie auf den Sternendienst hinorientiert war. Damit aber trägt diese Gemeinde von Sardes, wie es ja gewiß historisch nicht anders sein kann, viel Vergangenheit in sich, aber vor allen Dingen trägt gerade diese Gemeinde Zukunft in sich. Und jetzt wollen wir versuchen, das in unsere spirituelle Anschauung der Gegenwart hineinzubekommen. Wir leben in der fünften nachatlantischen Periode. Wenn man hinschaut auf das, was in Sardes Vergangenheit war, so ist da auch etwas Keimhaftes, was noch nicht vollendet war zur Zeit, als Johannes die Apokalypse schrieb. Der ganze Ton dieses fünften Sendschreibens ist schon auch ein anderer als bei den vier vorangehenden. Johannes weist im Schreiben an die Gemeinde von Sardes hin auf die Zukunft. Die Zukunft, auf die er damals hinwies, die gewissermaßen keimhaft in Sardes verkörpert war, das ist unsere Zeit; das ist die Zeit, in der wir selber leben.

Nun aber wird ja die aufeinanderfolgende Epochenreihe der Entwickelung der nachatlantischen Zeit und zugleich die innere Entwickelung des Christentums noch von einer anderen Seite her in den sieben Siegeln angedeutet; in diesem Sendschreiben ist ja ineinander geheimnißt die Entwickelung der nachatlantischen

Zeit und die Entwickelung des Christentums. Auch da haben wir in den sieben Siegeln die Geheimnisse der sieben Gemeinden angedeutet. Wir werden da gewahr - den anderen Sinn der sieben Siegel werden wir noch beschreiben -, wie auf die Eröffnung des vierten Siegels, das also entspricht einem Geheimnis der vierten nachatlantischen Epoche, ein fahles Pferd erscheint, und wie nun die Rede ist von dem Tode, der in die Welt gekommen ist (Apk. 6, 8). Damit wird zunächst eines der wichtigsten Geheimnisse der Apokalypse berührt, insofern dieses Geheimnis ganz besonders wichtig ist für unsere Zeit. In der vierten nachatlantischen Epoche tritt in gewissem Sinne wirklich der Tod in die Menschheit ein. Machen Sie sich das nur klar. Man lernt die menschliche Natur gut erkennen, wenn man so etwas wie den Tod betrachtet.

Gehen wir zunächst in die erste, zweite und dritte nachatlantische Epoche zurück. Die menschliche Seelenverfassung, überhaupt die ganze Verfassung des Menschen, sein Sich-Fühlen, ist in den früheren Epochen anders, als sie später geworden ist. Es war einst so, daß der Mensch ein deutliches inneres Fühlen seines Hineinwachsens in den Erdenaufenthalt hatte. Der Mensch hatte in seinem gewöhnlichen Bewußtsein noch eine deutliche Erinnerung daran, daß er vor seinem irdischen Leben droben in der Geisteswelt lebte. Wenn auch in der letzten Zeit vor dem Mysterium von Golgatha dieses Bewußtsein schon stark abgeschwächt war, es war doch in der ersten, zweiten und dritten nachatlantischen Epoche so bedeutsam vorhanden in jeder menschlichen Persönlichkeit, daß der Mensch wußte: Ich bin auch ein geistiges Wesen gewesen, bevor ich ein Kind geworden bin. - Diese Art von Seelenverfassung ist weniger in äußeren Dokumenten enthalten, aber es war so. Man rechnete nicht allein mit dem Erdenaufenthalt, man rechnete mit einer Fortsetzung des Erdenaufenthaltes nach rückwärts in die geistige Welt hinein. Das war es, was in der vierten nachatlantischen Epoche auftrat, gerade in der Epoche, die zusammenfiel mit dem Mysterium von Golgatha, daß der Mensch sein irdisches Leben sozusagen deutlich eingeschlossen sah durch die zwei Tore: das Tor der Geburt oder Empfängnis und das Tor des Todes.

Dieses Bewußtsein, diese Art von Seelenverfassung, trat wirklich erst in der vierten nachatlantischen Epoche ein, so daß wir es also zu tun haben mit der Entfaltung dieses Bewußtseins, daß der Mensch streng eingeschlossen ist innerhalb der Grenzen des irdischen Lebens, etwa vom achten vorchristlichen Jahrhundert an bis in das 15.Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha. Seit dieser Zeit bereitet sich ja ein neues Bewußtsein vor, aber da stehen wir erst im Anfang. Sie müssen nur denken, es sind ja seit dem Beginn dieser Zeit erst vier, fünf Jahrhunderte vergangen; das ist so, wie sich das vierte nachatlantische Bewußtsein im dritten vorchristlichen Jahrhundert entwickelt hatte. Es war eben dazumal noch ein ganz anderes Bewußtsein, als es in der Zeit der vollen Entfaltung der vierten nachatlantischen Epoche war. Die Menschheit der Gegenwart trägt ja zumeist noch nicht das Kleid des neuen Bewußtseins an sich, sondern sie trägt vielfach noch an sich das Bewußtsein, das eigentlich das Bewußtsein der vierten nachtatlantischen Epoche ist. Dafür sorgt eigentlich die ganze Zivilisation.

Bedenken Sie nur, wieviel eigentlich herübergetragen worden ist aus der vierten nachatlantischen Epoche, wie stark die Menschen noch wie in der vierten nachatlantischen Epoche auf selbst-verständliche oder auch auf kokette Weise leben. Unsere ganze Gymnasialbildung ist so, daß noch die vierte nachatlantische Epoche in ihr wirkt. Solange das Lateinische die Gelehrtensprache war - vierte nachatlantische Epoche. Und wir denken ja im öffentlichen Leben durchaus auch noch so, wie in der vierten nachatlantischen Epoche gedacht worden ist. Wir sind sozusagen für die fünfte nachatlantische Epoche, für die Entwickelung der Bewußtseinsseele noch gar nicht zur vollen Menschlichkeit gekommen. Und deshalb sehen die Menschen der Gegenwart noch immer die Sache so, daß ihr Erdenleben zwischen den beiden Toren, dem Tor der Geburt und dem Tor des Todes, eingeschlossen ist.

Es ist dieses Bewußtsein schon in der Entwickelung begriffen, es kommt nur bei den meisten Menschen noch nicht heraus; es kommt nur heraus bei einzelnen, besonders dafür Veranlagten. Ich habe eine Anzahl von so veranlagten Menschen in meinem Leben kennengelernt, aber man beachtet sie für gewöhnlich nicht. Es ist das Bewußtsein, das der Mensch in der fünften nachatlantischen Zeit entwickelt so, daß es gar nicht völlig hinreicht für das Leben zwischen der Geburt und dem Tode, sondern so, daß der Tod eigentlich immer hereinspielt in das Erdenleben. Dem Menschen wird bewußt werden, daß man eigentlich jeden Tag ein bißchen stirbt, daß eigentlich fortwährend das Sterben im Menschen anfängt, daß der Tod fortwährend da ist. Einzelne Menschen gibt es, die entweder den Tod stark fürchten, indem sie ihn als zehrend an ihrer Erdenmenschlichkeit empfinden; aber ich habe auch solche Menschen kennengelernt, die den Tod liebten, weil er sie immer begleitet, und die eigentlich immer nach ihm verlangten.

Das ist etwas, was in der fünften nachatlantischen Epoche immer mehr und mehr heraufkommen wird: das Bewußtsein, den Tod neben sich hergehen zu sehen. Ich will es noch konkreter beschreiben. Der Mensch wird jenen intimen Feuerprozeß, der mit der Entwickelung der Bewußtseinsseele zusammenhängt, an sich wahrnehmen. Insbesondere wird der Mensch in solchen Momenten, wo er aus dem Schlafbewußtsein heraustritt und in das Wachbewußtsein tritt, dieses Wachbewußtsein wie eine Art Feuerprozeß in sich erleben, der ihn verzehrt. Denn die Bewußtseinsseele ist schon ein Hochgeistiges; das Geistige aber verzehrt immer das Materielle. Und die Art und Weise, wie die Bewußtseinsseele das Materielle und das Ätherische im Menschen verzehrt, ist eine Art intimer Feuerprozeß, ein Verwandlungsprozeß. Das wird der Mensch im Verlauf dieser fünften nachatlantischen Epoche immer mehr und mehr in sich wahrnehmen. Nur dürfen Sie sich dieses Feuer nicht so vorstellen wie eine brennende Kerzenflamme; so physisch muß man sich das nicht vorstellen. Sondern der Mensch wird es sozusagen in seiner Seele moralisch sich konstituieren fühlen, dieses Neben-ihm-Stehen des Todes.

Bei den meisten Menschen ist es ja heute so: Wenn sie sehen, wie gute Vorsätze oder starke Absichten, die sie haben, in dem nächsten Augenblick, in der nächsten Stunde, dem nächsten Tage, dem nächsten Monat sich verflüchtigen, so nimmt man das ja bei der herrschenden materiellen Weltanschauung als etwas hin, was eben einfach geschieht. Das wird man aber immer mehr anders fühlen lernen. Man wird fühlen lernen, wie eine gute Absicht, zu deren Erfüllung man zu schwach war, am Leben zehrt, den Menschen vermindert in seinem moralischen Gewicht, man wird fühlen lernen, wie er dadurch moralisch leichter, unbedeutender wird im Weltenall. Heute empfindet man das nur als eine Schwäche der Seele, nicht aber als etwas im Weltenall Fortwirkendes. Das wird man aber in der Zukunft empfinden. Ebenso wird der Mensch gewisse intellektuelle Tätigkeiten immer mehr als an ihm zehrend empfinden, wie durch ein seelisches Feuer zehrend. Es sind ja diese Erscheinungen durchaus heute schon gegeben, auch in großem Maßstab, aber sie sind bisher nicht in dieser Weise empfunden worden.

Es gibt eine Art, sich in die geistige Welt Stufe für Stufe hineinzufinden, zum Beispiel indem man das berücksichtigt, was in dem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» angegeben ist. Dadurch kommt man in eine Harmonie hinein zwischen Geist, Seele und Leib. Aber so, wie die meisten Menschen heute das geistige Leben betreiben, ohne diese Übungen, namentlich auch, wie in einzelnen Konfessionen das religiöse Leben betrieben wird, da wird dieses religiöse Leben in dem Menschen so wirksam, daß es ihn an moralischem Gewicht vermindert, leichter macht.

Das sind Dinge, die immer mehr im Bewußtsein wahrgenommen werden. Es ist schon so, daß der Mensch in dieser fünften nachatlantischen Epoche sich sehr ändern wird. Denn es ist eine bedeutende Änderung, wenn man durch das, was man seelisch ist, in seiner ganzen Menschlichkeit sich gekräftigt oder vermindert fühlt, wenn man das Schicksal nicht bloß als eine Sache der Verhältnisse fühlt, die äußerlich um einen herum sind und auf einen wirken, sondern wenn man das Schicksal als etwas fühlt, das einen moralisch leichter oder schwerer macht.

Sehen Sie, das ist das Bewußtsein, das sich in den Menschen vorbereitet, das man auch äußerlich, empirisch sich vorbereiten sehen kann. Es beginnt heute die Zeit, wo die Priesterschaft auf diese Dinge hinzuschauen hat, wenn die Gläubigen vor ihr stehen. Denn da handelt es sich nun darum, das, was da heraufzieht in das Bewußtsein der Menschen - was jetzt noch nicht voll bewußt ist, aber in allerlei Unruhe, Nervosität, disharmonischen Empfindungsgehalten sich zeigt -, dies so zu behandeln, daß der Mensch Trost hat, Stärkung hat.

Es wird immer weniger möglich sein, von seiten der Priesterschaft sich nur allgemeine Ideen zu bilden, nach denen man die einzelnen Menschen behandelt. In gewissem Sinn - Sie nehmen mir das nicht übel - war und ist ja auch heute noch die Schablone in vieler Beziehung das Maßgebende. Man kann ja wirklich hören, wenn man bei einem Menschen nachfrägt, der irgendwie an Wahnideen leidet und der bei einem Pfarrer Zuflucht gesucht hat, was der Pfarrer mit ihm gemacht hat. Nun, da konnte man hören, daß der Pfarrer versuchte, bei dem Menschen das Sündenbewußtsein zu erwecken. Und auch in einem zweiten Fall konnte man hören, daß der Pfarrer wiederum versuchte, das Sündenbewußtsein zu erwecken. So geht die Schablone durch alles hindurch.

Als ich einmal an einem Tage drei Begräbnisse anhörte, ist mir aufgefallen, daß von demselben Pfarrer jedes Begräbnis mit demselben Satz begonnen wurde: «So hoch der Himmel über der Erde ist, so viel sind meine Gedanken höher als eure Gedanken.» Immer war da diese Schablone, die noch verhältnismäßig berechtigt war in der vierten nachatlantischen Epoche. Das hat sich, mit anderem, das ich erwähnt habe, herübererstreckt auch in die fünfte Epoche und herrscht noch bei uns, während gerade in unserer Kulturepoche in alldem eine feinere Beobachtung und eine Umwandlung eintreten muß.

Damit muß heute die Priesterschaft beginnen. Die Priesterschaft muß damit beginnen, wieder den Seelenblick hinüberlenken zu können in das Herz des anderen Menschen. Das können ja heute die wenigsten Menschen. Der Mensch bleibt dem anderen Menschen heute furchtbar unbekannt. Sehen Sie, wenn man mit einer gewissen Ehrfurcht - und ohne Ehrfurcht geht ja das Lesen der Apokalypse nicht -, wenn man mit Ehrfurcht in der Apokalypse die Stelle von den weißen Kleidern liest (Apk. 3, 4-5), mit denen diejenigen angetan werden müssen, die die Aufgabe der fünften Kulturepoche erfüllt haben, dann bekommt man den Eindruck: Hier handelt es sich darum, tief in diese besondere Bewußtseinsart des Menschen durch den Priesterblick hineinzuschauen, den Menschen, wie er nun im fünften nachatlantischen Zeitraum vor ihn hintritt, sozusagen kennenzulernen. Das ist die Mahnung: den Menschen kennenzulernen, nicht an den Kleidern, die er trägt, nicht durch das, was er in der äußeren Welt darstellt, sondern ihn an seinen Seelenkleidern kennenzulernen. Durch diesen Brief an die Gemeinde von Sardes spricht der Apokalyptiker diese Mahnung gerade in unsere Gegenwart hinein.

In unserer Gegenwart muß der Priester von allem Äußeren, in das der Mensch gestellt ist, durchdringen in seine Seele hinein. Der Priester muß in gewissem Sinne anfangen, den Menschen so anzusehen, wie ich es vorgestern charakterisiert habe, daß man den Menschen ansehen muß, wenn man auf sein Karma kommen will. Ich habe gesagt: Wenn man auf das Karma des Menschen kommen will, darf man ihn nicht auf seinen Beruf, nicht auf seine sozialen Verhältnisse und nicht auf sein Können oder Nichtkönnen ansehen, sondern man muß tief in seine Seele hineingehen, in die Eigenschaften, in die Fähigkeiten, die in jedem Beruf im Grunde genommen zum Ausdruck kommen können. Denn man muß ja hinschauen auf dasjenige, was der Mensch im vorigen Erdenleben war. Nun, soweit braucht ja der Priester nicht zu gehen. Aber anfangen muß der Priester damit, alles Äußerliche zu durchschauen und auf das Innerliche zu sehen, das rein Menschliche, das, wodurch der Mensch jedesmal innerlich eben Mensch, individuell gearteter Mensch ist.

Es ist schon so, wenn wir uns bis zu diesem Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes in dem Buch der Apokalypse herauflesen, dann fühlen wir das, was da steht, wie eine unmittelbare Aufforderung an die Gegenwart. Und wir können dann beim weiteren Lesen schon einen noch tieferen Eindruck empfangen.

Denken Sie nur einmal über das folgende nach. Denken Sie, die fünfte nachatlantische Epoche geht vorüber. Während dieser Epoche verändert der Mensch sein Bewußtsein so, daß er das Arbeiten, das Wirken, das Werk des Todes an sich durchschaut. Er wird es durchschauen lernen, aber er wird es nicht so durchschauen, daß ihm in jedem Augenblick sein Alter, das er erreichen kann, vor der Seele steht. Sehen wird er das Arbeiten des Todes an sich. Er wird den Tod fortwährend als Begleiter um sich haben. Um sich haben wird er ihn natürlich, aber was neu geschaffen werden muß auf den verschiedenen Lebensgebieten, das ist, daß der Mensch einen seelischen Gehalt wird haben müssen, der ihm dieses Den-Tod-neben-sich-stehen-Haben als etwas Naturgemäßes erscheinen läßt. In sich die Kräfte ewigen Seelenwachens erweckt zu haben, das bedeutet: den Tod neben sich als einen guten Freund immerfort als Begleiter haben zu können.

Wenn Sie hinausschauen in die Umgebung, so sehen Sie sie heute noch ganz im Lichte der vierten nachatlantischen Epoche. Sie sehen im Grunde genommen Leben, das den Tod in sich trägt, in jeder Pflanze, in jedem Stein, aber Sie sehen den Tod nicht, weil Sie ihn noch nicht in sich sehen. Die Menschen werden aber anfangen, den Tod immer zu sehen. So wird man zu den Menschen der Gegenwart immer mehr sprechen müssen, denn wenn man mehr und mehr den Tod sieht, verwandelt sich ja das ganze Schauen des Menschen.

Ja, den Tod sehen, heißt mancherlei zu sehen, das sich heute hinter den Erscheinungen ganz und gar verbirgt. Wir sehen in einem gewissen Sinn die Natur heute sehr stabil, weil wir in ge - wisse feine Intimigehen durch das Land und sehen zum Beispiel Tafeln, auf denen steht: In diesem Ort ist Maul- und Klauenseuche. - In Wirklichkeit ist über einem solchen Ort etwas im Intimeren geschehen, was so gesehen werden kann, daß es sich vergleichen läßt mit demjenigen, was das sturmbewegte Meer oder ein Vulkanausbruch darstellt. Und so wird das sein, was in der sechsten nachatlantischen Epoche an den Menschen herantritt.

Weil der Mensch noch nicht den Tod schaut, sieht er heute nur, wenn zum Beispiel der Vesuv speit oder wenn mächtige Erdbeben durch den Seismographen wahrgenommen werden, aber jene Spannung im Ätherischen, die sich zum Beispiel dann auslebt, wenn in irgendeiner Gegend ein bedeutender Genius lebt oder geboren wird, sieht der heutige Mensch nicht. Ebensowenig sieht der Mensch jenes gewaltige Geisterwalten und Geisterweben, für das ja die Sterne und ihre Konfigurationen nur der äußere Ausdruck sind.

Das alles in einem gewissen Sinne zu sehen, steht dem Menschen in der sechsten nachatlantischen Epoche bevor. Die Sonne, wie sie jetzt ist, wird vom Himmel heruntergefallen sein, die Sterne werden vom Himmel heruntergefallen sein. Wo jetzt die Sterne in ihrer materiellen Abstraktheit erglänzen, wird man Geisteswalten und Geistesweben schauen. So wird sich im Laufe der fünften nachatlantischen Epoche die Selbstanschauung des Menschen sehr ändern und im Laufe der sechsten Epoche wird sich die ganze Welt um den Menschen herum ändern. Aber glauben Sie nicht, daß zum Beispiel der Initiierte die Welt geradeso sieht wie der Nicht-Initiierte. Und so ist es auch mit den aufeinanderfolgenden Bewußtseinsstufen. Der Mensch in den aufeinanderfolgenden Bewußtseinsstufen sieht die Welt nicht in gleicher Weise.

Daß wir als Menschen in einem solchen Umwandlungsprozeß leben, in einem Prozeß der menschlichen Umwandlung und der Umwandlung des Weltbildes, das wird in der Apokalypse unter anderem dadurch angedeutet, daß in den ersten vier Briefen verhältnismäßige Gleichheit herrscht. Der erste Brief wird entsiegelt: ein weißes Pferd erscheint, ein Pferd. Der zweite Brief wird entsiegelt: ein rotes Pferd erscheint, wieder ein Pferd. Der dritte Brief wird entsiegelt: ein schwarzes Pferd erscheint, wiederum ein Pferd. Der vierte Brief wird entsiegelt: es erscheint ein falbes Pferd, aber eben ein Pferd (Apk. 6. Kapitel).

Der fünfte Brief wird entsiegelt: es erscheint nicht mehr ein Pferd; es ist nicht mehr vom Pferd die Rede. Es wird das, um was es sich handelt, ganz anders angedeutet. Wenn wir fortschreiten im Lesen der Briefe, finden wir, wie in dieser Weise hingedeutet wird auf eine grundbedeutsame Verwandlung, die gerade während unserer Zeitepoche eintritt.

Und man kann nicht anders als sagen: Wir müssen uns schon vorbereiten, die neue, verwandelte Gemeinde von Sardes zu werden. Diese neue, verwandelte Gemeinde von Sardes, die wird Verständnis dafür haben müssen, daß es ja schließlich ein Triviales ist, Pflanzen, Tiere, Steine zu kennen, und daß man das alles erst richtig kennt, wenn man in jedem Stein, in jeder Pflanze die Sterne wirksam findet. Auch geistig müssen die Sterne herunterfallen vom Himmel. Man kann auch das schon wahrnehmen.

Ich möchte dafür nur ein besonderes Beispiel anführen. Solche Dinge werden ja in ihrer äußeren Konfiguration von den Menschen genommen, aber man sieht nicht viel hin auf die Art, wie so etwas in der ganzen geistigen Entwickelung der Menschheit drinnensteht. Jeder kann nur etwas tun auf seinem Platz, auf dem Platz, auf dem er steht. Bevor ich auf die letzte Reise nach England gefahren bin, ergab sich hier folgendes. Sie wissen ja vielleicht, daß ich, wenn ich in Dornach bin, den Arbeitern dieses Baues jede Woche während der Arbeitszeit eine oder zwei Stunden gebe, in denen ich ihnen von naturwissenschaftlichen und von geisteswissenschaftlichen Dingen spreche. Weil das unter der Arbeiterschaft sehr gerne gesehen wird, mache ich das so, daß ich mir von den Arbeitern das Thema geben lasse. Die Arbeiter haben es gerne, wenn sie das Thema selbst geben können, und sie begehren von mir auch solche Dinge zu wissen, wie sie im heutigen Geistesleben möglich sind. Das gehört schon zu dem, wofür auch die Priester volles Verständnis haben müssen.

Bevor ich die englische Reise machte, da kam ich in die Stunde, und ein Arbeiter hatte die Frage präpariert: Ja, woher kommt es eigentlich, daß manche Pflanzen duften und andere nicht? Woher kommt der Duft der Blumen? - Ja, soweit sind nun diese Arbeiter erzogen durch die Vorträge, die ja schon seit langem stattfinden, schon seit Jahren, daß sie natürlich nicht vorlieb nehmen damit, daß man ihnen irgendeine chemische Erklärung gibt und ihnen etwa sagt: das ist dieser oder jener Stoff, der diesen oder jenen Duft verbreitet - Sie kennen ja die Art, wie unsere naturwissenschaftlichen Erklärungen meistens sind: die Armut kommt von der pauvrete -, sondern die Arbeiter verlangen nach wirklichen Erklärungen.

Nun, sehen Sie, da mußte ich ihnen das folgende sagen - ich will hier nur kurz wiederholen, was ich eine Stunde lang auseinandergesetzt habe -: Zunächst weist uns das, was duftet, auf unsere Sinnesorgane hin; wir nehmen den Duft durch unser Geruchsorgan wahr. Aber fragen wir uns einmal, ob wir unser Geruchsorgan so ungeheuer fein ausgearbeitet haben, daß wir es bis zum Polizeihund bringen können. Daß das nicht gut möglich ist, werden Sie wohl zugeben müssen. Im Gegenteil, Sie werden zugeben müssen, daß der Mensch ein grobes Geruchsorgan hat, nicht ein feines, und daß man, wenn man die Reihe in der Natur heruntergeht, auf verfeinerte Geruchsorgane trifft.

Nehmen Sie zum Beispiel den Hund, der so feine Geruchsorgane hat, daß er es zum Polizeihund bringen kann. Wenn Sie den Hund betrachten, so werden Sie sehen, daß seine Stirne zurückgeht, sie folgt den sich fortsetzenden Geruchsnerven, die hineintragen in das Wesen des Hundes den Geruch. Bei uns Menschen ist das aufgeplustert zur Stirne. Unser Intelligenzapparat ist ein umgewandeltes Geruchsorgan, besonders das Apperzeptionsvermögen. Schon daraus geht hervor: Wenn wir zu niederen Wesen heruntersteigen, kommen wir zu feineren Geruchsorganen.

Nun lehrt die Geisteswissenschaft: Eine große Anzahl von Pflanzen sind nichts weiter in ihrer Blüte und in ihrer Geruchsentfaltung als Geruchsorgane, richtige vegetabilische Geruchssorgane von ungeheurer Feinheit. Und was riechen diese? Sie riechen den Weltgeruch, der immer vorhanden ist. Und der Weltgeruch, der von der Venus ausgeht, ist ein anderer als der, der vom Mars oder vom Saturn ausgeht. Es ist zum Beispsiel so, daß Veilchengerüche das Geruchsecho desjenigen sind, was das Veilchen als Weltgeruch wahrnimmt. Solche wohlriechenden Pflanzen nehmen aus dem Weltgeruch dasjenige wahr, was von Venus, Merkur oder Mars kommt. Der Stinkasant, Ferula asa-foetida, nimmt den Geruch vom Saturn wahr und gibt ihn wieder.

Da muß man den Leuten erklären, weil sie es verlangen, wie gewissermaßen die Sterne herunterfallen. Denn was sind schließlich die Wesen der Welt anderes als das, was die Sterne heruntergeben. Wenn man der Realität nach über diese Dinge spricht, so muß man sagen: Jetzt fallen ja wirklich schon die Sterne herunter, denn sie sind in den Pflanzen drinnen. Nicht nur der Geruch ist in ihnen, sondern die Pflanzen sind richtige Geruchsorgane.

Nun kam ich heute zur ersten Stunde wieder zu den Arbeitern und ließ mir die Fragen geben, die sie beantwortet haben wollten. Da haben sie die Frage gestellt: Wenn nun das in der letzten Stunde über die Gerüche Gesagte richtig ist und die Pflanzen feine Geruchsorgane sind, woher kommen dann aber die Farben der Pflanzen?

Nun mußte ich die Erklärung abgeben, daß allerdings die Düfte der Pflanzen von den Planeten kommen, aber die Farben der Pflanzen von der Kraft der Sonne. Ich setzte das weiter auseinander an Beispielen, aus denen das ersehen werden kann. Da war aber einer unzufrieden und sagte: Da haben Sie noch übersehen, warum auch die Steine Farben haben. Ich verstehe schon - so sagte er -, warum die Pflanzen Farben haben, und daß eine Pflanze, wenn sie im Keller wächst, wo die Sonne nicht hinkommt, zwar Form und Duft hat, aber weil die Sonne nicht die Kellermauern durchdringt, die Pflanzen fahl bleiben, sogar bis zur Farblosigkeit. Wie ist es aber mit den Steinen?

Jetzt mußte ich auseinandersetzen: Es gibt einen Tageslauf der Sonne, eine Umdrehung der Erde in 24 Stunden, einen Jahreslauf, der die Jahreszeiten bewirkt, der die Sonne hinaufgehen läßt bis zum Zenit und heruntergehen läßt. Es gibt aber noch etwas anderes. Jetzt mußte ich das platonische Weltenjahr klarmachen, ich mußte erklären, daß die Sonne ihren Frühlingsaufgangspunkt den sie jetzt in den Fischen hat - früher im Widder, noch früher im Stier, in den Zwillingen hatte und so weiter, und daß sie im Verlaufe von 25 920 Jahren einmal mit dieser Konstellation rund herum durch den ganzen Tierkreis geht, daß es also einen Tageslauf, einen Jahreslauf und einen Weltenjahreslauf der Sonne gibt. Und während der Jahreslauf der Sonne den Pflanzen ihre Farben gibt, brauchen die Steine, um ihre Farben zu bekommen, den Weltenjahreslauf der Sonne. In den Farben der Steine, im Grün des Smaragd, im Weingelb des Topas, im Rot des Korund, da lebt die Kraft, die sich entwickelt durch den Umgang der Sonne durch das platonische Weltenjahr.

Sehen Sie, wenn man da anfängt, aus dem Spirituellen heraus über die Welt zu sprechen, dann fragen die Leute auch über das Irdische so, daß sie nicht mehr zufrieden sind, wenn man ihnen das Irdische mit den Trivialitäten unserer Laboratorien und Seziersäle erklärt. Sie wollen schon richtig erkennen und fühlen sich dann sehr zufrieden, die Sache auf «Sardessche» Weise zu erkennen, indem man die Sterne und ihre Wirksamkeit zu Hilfe nimmt. Was tut man da schließlich anderes, als es der Schreiber der Apokalypse tut: man stellt Sardes hinein in die Gegenwart.

Sehen Sie, es ist das nur ein Beispiel. Aber es muß eben damit begonnen werden, dieses Sternenempfinden, diese SternenwesenEmpfindung hereinzutragen in die Gegenwart. Es muß damit begonnen werden, daß die Menschen wieder einsehen: Der Christus ist ein Sonnenwesen. - Das wird aber am allermeisten bekämpft.

Wenn ich Ihnen solche Dinge sage, namentlich wenn ich Ihnen sage, wie diese moderne fünfte nachatlantische Epoche gewissermaßen das auferweckte Sardes sein muß, wie wir es kurz, prägnant, großartig charakterisiert finden in der fünften Gemeinde und im fünften Siegel, das nun entsiegelt werden muß, wenn ich Ihnen das sage, werden Sie fühlen, wir haben heute die Aufgabe, dieses besondere Verständnis der Apokalypse zu entfalten: Die Apokalypse verstehen zu können als Aufgabe, die täglich an unser Herz herandringt. Es nützt heute nichts, die Apokalypse bloß zu interpretieren. Es ist notwendig, daß wir die Apokalypse in allem tun, sonst können wir es überhaupt lassen. Das bloße Interpretierenwollen hat nicht viel Wert.

So habe ich Ihnen das zweite anzudeuten versucht, was zum Lesen der Apokalypse gehört. Gestern versuchte ich ja, das Formale anzugeben, heute versuchte ich Ihnen zu zeigen, wie zum Lesen der Apokalypse das Dabeisein mit dem Wollen gehört. Und das ist auch natürlich, denn die Apokalypsen sind immer entstanden durch Inspirationen des Willens. Und hier berühren wir einen wirklichen, einen lebensvollen apokalyptischen Punkt.

Es gibt heute schon Leute, die in gewisser Beziehung apokalyptisch erzogen werden, aber sie werden apokalyptisch so erzogen, daß sie eine Art und Weise der Willenserziehung erhalten, die spezifisch auf die römisch-katholische Kirche hinorientiert ist: das sind die Jesuiten. In der Jesuitenerziehung, namentlich in den Jesuitenexerzitien, liegt etwas stark Apokalyptisches. Die Jesuitenexerzitien enthalten eine Schulung des Willens, wie sie immer dem Schauen des Apokalyptischen zugrunde liegt.

Die Willens erziehung ist also dasjenige, was vor allen Dingen ins Auge gefaßt werden muß von demjenigen, der es heute mit einer wirklichen Priesterschaft im Sinne der christlichen Erneuerung ernst nimmt. Er muß die Apokalypse verstehen, damit er in ihr sehen kann den richtigen Impuls für den Willen, während in der Tat ein sehr einseitiger Impuls für den Willen gegeben worden ist durch Ignatius von Loyola, zwar in großartiger Weise, aber in außerordentlich einseitiger Weise. Heute ist das schon ahrimanisch verhärtet, aber gerade bei der Betrachtung des Ignatius von Loyola zeigt sich, wie falsch wir die Welt anschauen, wenn wir sie nicht geisteswissenschaftlich erkennen. Die Leute führen die heutige Jesuitenentwickelung noch immer auf Ignatius von Loyola zurück. Das ist aber nicht richtig. Ignatius von Loyola war längst wieder da in einer neuen Verkörperung und hat sich damit natürlich ganz herausgelöst aus der früheren Strömung. Er hat wieder gelebt als Emanuel Swedenborg, und die Jesuitenentwickelung ist seit jener Zeit völlig ins Ahrimanische hineingesegelt; sie knüpft nicht mehr an Ignatius an, sondem sie ist heute in ahrimanischem Sinne wirksam. Sie haben da, ich möchte sagen, das Schatten-Gegenbild dessen, was Sie selber sich anerziehen müssen, indem Sie, wie ich gesagt habe, in Ihr Ich das Apokalyptische aufnehmen, so daß Ihr Ich zur Summe von Wirkenskräften wird, die selber apokalyptisch sind.




Zuletzt aktualisiert: 24-Mar-2024
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