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MENSCHENGEIST UND TIERGEIST

Berlin, 17. November 1910

Es wird mir gestattet sein, heute mit ein paar Worten an einige Ausführungen des letzten Vortrags zu erinnern. Besonders wichtig sind uns ja die Anschauungen gewesen, die wir uns aus der unmittelbaren Beobachtung heraus über den Unterschied des menschlichen und tierischen Seelenlebens haben bilden können. Diesen Unterschied haben wir dahin angegeben, daß wir uns klar waren, daß das tierische Seelenleben nicht so von dem menschlichen unterschieden werden dürfe, daß man sagt: Der Mensch ist so und so weit vor dem Tier voraus in bezug auf diese oder jene geistigen Eigenschaften. Denn um eine solche Anschauung zu widerlegen, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie gewisse Verrichtungen, die beim Menschen zweifellos nur durch Erringung einer gewissen Intelligenzstufe zu erreichen sind, objektiv innerhalb der tierischen Welt im Bau der tierischen Wohnungen, im ganzen tierischen Leben ausgeführt werden, so daß sozusagen in den Produkten, in der Hervorbringung dessen, was das Tier tut, genau dieselbe intelligente Tätigkeit steckt wie in dem, was der Mensch als seine Werkzeuge, als seine Produkte hervorzubringen vermag. Man könnte wirklich sagen: In dem, was das Tier vollbringt, fließt hinein, erstarrt darinnen dieselbe Intelligenz, die wir dann auch beim Menschen finden. Deshalb dürfen wir nicht einfach in der Art von Tierseele und Menschenseele sprechen, daß wir sagen, das Tier wäre so und so weit hinter dem Menschen zurück — der Mensch so und so weit vor dem Tier voraus.

Insoweit wir von Seele gesprochen haben — wir bezeichnen im Gegensatz zu dem Geistesleben, das wir Vorzugsweise in der Formung, in der Ausgestaltung sehen, das seelische Leben als das Leben der Innerlichkeit haben wir uns darauf berufen, daß wir in dem tierischen Seelenleben ein enges Gebundensein an die Organisation des Tieres gesehen haben, und daß das, was das Tier in seinem Seelischen erleben kann, uns vorherbestimmt erscheint durch den ganzen Bau und die ganze Fügung seiner Organe. Deshalb mußten wir sagen: Dieses tierische Seelenleben ist durch die Art und Weise bestimmt, wie das Tier organisiert ist, und das Tier lebt in seinem Seelenleben gleichsam in sich selbst hinein. Das aber ist das Wesentliche des menschlichen Seelenlebens, daß die Seele des Menschen sich von dem unmittelbaren Organismus bis zu einem hohen Grade emanzipiert und gewissermaßen — bitte das nicht mißzuverstehen, es ist nur relativ gemeint — unabhängig von der leiblichen Organisation den Geist als solchen, wie wir ihn verstanden haben, erlebt, das heißt unmittelbar in der Lage ist, sich dem Geist hinzugeben.

Wenn wir nun aufsteigen zur Betrachtung des menschlichen und tierischen Geistes, so müssen wir vor allen Dingen von diesen Begriffen und Ideen ausgehen, die wir an der Betrachtung der menschlichen und tierischen Seele entwickelt haben und uns ein wenig intimer mit einer Erscheinung befassen, die aus alledem hervorgeht, was das vorige Mal gesagt worden ist. Das Tier hat alle seine geistigen Verrichtungen, die ja unmittelbar an seine Organe gebunden sind und in seiner Seele erlebt werden, hineingelegt, gebunden an das, was sich im Tier gattungsmäßig vererbt. Wir können also sagen: In dem tierischen Seelenleben lebt sich das Gattungsmäßige aus, und weil dies vererbbar ist, tritt sozusagen das Tier mit der Geburt so in die Erscheinung, daß alle durch den Geist bedingten Verrichtungen, die durch das Seelische erlebt werden können, veranlagt sind. Dadurch tritt das Tier gewissermaßen fertig ins Dasein und vererbt die Merkmale, die wir als einen Ausfluß des tierischen Geistes bezeichnen können, auch wieder gattungsmäßig auf die Nachkommen. Anders ist es beim Menschen, der sich in bezug auf das seelische Leben von der leiblichen Organisation emanzipiert. Weil diese aber natürlich in die Vererbungslinie übergeht, so tritt er in einer gewissen Beziehung hilflos ins Dasein hinein gegenüber denjenigen Verrichtungen, die ihm im Leben dienen sollen. Auf der andern Seite aber macht diese Hilflosigkeit erst möglich, was man seelisch-geistige Entwicklung nennen kann. So finden wir als das Gewichtigste für den Menschen, wenn er durch die Geburt ins Dasein tritt, daß offen stehen bleibt, was von außen bestimmt ist. Damit haben wir darauf hingewiesen, wie wir uns überhaupt die Beziehung des Geistes zu der Leiblichkeit — zwischen Geist und Leiblichkeit steht das Seelische darinnen — bei Tier und Mensch zu denken haben. In dem, wie uns das Tier gattungsmäßig vor Augen tritt und seine Instinkte nach und nach im Leben auslebt, haben wir eine unmittelbare Betätigung des Geistes in der organischen Leiblichkeit zu sehen. Es ist gleichsam der organische Leib, in dem sich das Tier seelisch erlebt, der in die Wirklichkeit getretene Geist. Ein unmittelbares Verhältnis zwischen Geist und Leib ist beim Tier vorhanden. Wenn wir den Blick auf das Tier richten, es studieren, ob nun oberflächlich mit der Laienbeobachtung oder genauer mit dem, was uns die vergleichende Anatomie und Physiologie oder andere Wissenschaften bieten können: überall sehen wir sozusagen den in den tierischen Formen, in den tierischen Lebensverhältnissen geronnenen Geist, der sich auslebt in dieser Weise in der einzelnen Tiergattung. Die äußere Form und das äußere Leben ebenso ist uns unmittelbar ein Abdruck dessen, was wir den dem Tiere zugrunde liegenden Geist nennen, so daß wir die engste Beziehung zwischen dem Geiste und der Leiblichkeit beim Tiere zu suchen haben.

Das ist ganz anders beim Menschen. Es ist außerordentlich wichtig, wenn man auf das Wichtige im Unterschiede zwischen Mensch und Tier aufmerksam zu machen hat, daß man sozusagen nicht die Dinge weit herholt. Das Wichtigste liegt nahe genug, wenn es sich darum handelt, die Dinge in der richtigen Weise anzusehen, als daß man mit allen möglichen intimen Einzelheiten der Forschung zu kommen brauchte. Wenn wir den Menschen betrachten, finden wir, daß sich zwischen den Geist und die Leiblichkeit etwas hineinstellt, das beim Tier nicht hineingestellt gedacht werden darf. Und das ist das Wesentliche. Gleichsam unmittelbar wirkt sich der Geist in der tierischen Form und Organisation aus. Beim Menschen wirkt er sich nicht unmittelbar aus, sondern es schiebt sich ein Zwischenglied hinein, das wir im unmittelbaren Leben sehr genau beobachten können. Wie uns der Mensch rein in der Beobachtung entgegentritt, drückt sich dieses Zwischenglied, das gleichsam die losere Beziehung zwischen Geist und Leiblichkeit vermittelt, in dem aus, was wir beim Menschen das selbstbewußte Ich nennen. Ich will jetzt noch nicht darauf Rücksieht nehmen, wie sich dieses selbstbewußte Ich wieder in der Leiblichkeit gestaltet, sondern ich will nur sagen: Wie uns der Mensch in der Beobachtung entgegentritt, wie uns seine seelischen Erscheinungen entgegentreten, steht zwischen Geist und Leiblichkeit dieses selbstbewußte Ich. Gewiß, es ist wieder kinderleicht, vom Standpunkt einer Wissenschaft, die glaubt, auf dem festen Boden der Naturwissenschaft zu stehen, bloß gegen den Ausdruck «selbstbewußtes Ich» etwas einzuwenden. Aber wir wollen jetzt die Art verfolgen, wie sich dieses selbstbewußte Ich zwischen Geist und Leiblichkeit hineinstellt.

Da finden wir vor allen Dingen — wir haben schon das letzte Mal darauf aufmerksam gemacht —, daß der Mensch angewiesen ist auf das Leben in seiner Umgebung, in der Außenwelt in bezug auf die Aneignung der Sprache, die Aneignung der Denkweise und auch in bezug auf die Aneignung eines gewissen Selbstbewußtseins. Das ist ja eine allbekannte Tatsache, daß der Mensch, wenn er, ausgeschlossen von jeder menschlichen Gemeinschaft, einsam sich entwickeln müßte, weder zur Sprache, noch zu einer gewissen Denkart, noch zu einem gewissen Selbstbewußtsein kommen würde und in jener Hilflosigkeit verbleiben müßte, in der er geboren ist. Wir sehen also, daß beim Tier alle die Betätigungen, die für das tierische Leben, für die tierische Existenz notwendig sind, von vornherein in die Vererbungslinie hineingeboren sind. Wir sehen die Betätigungen beim Menschen so auftreten, daß sie ebensowenig innerhalb der Vererbungslinie gesucht werden dürfen wie etwa die Wärme, die beim Bebrüten eines Hühnereies notwendig ist, innerhalb des Hühnereies gesucht werden darf, denn sie muß von außen an dasselbe herankommen. Da sieht man schon, daß es der Mensch nötig hat, sich Dinge, die zu seiner Entwickelung gehören, durch etwas anzueignen, was in ihm ist, während sie dem Tier sozusagen direkt geistig eingeprägt sind. Beim Menschen bleiben also bestimmte Entwickelungsmöglichkeiten offen, in die er durch sein selbstbewußtes Ich gewisse Organisationskräfte aufnimmt. Denn niemand wird natürlich daran zweifeln, daß mit dem Hineinwachsen des Menschen in Sprache, in Denkweisen, in das Selbstbewußtsein und durch die damit verbundenen Betätigungen Veränderungen der Organisation verbunden sind; so daß sozusagen dasselbe, was sich beim Tier durch Tätigkeiten veranlagt vorfindet, die vererbbar sind, beim Menschen hereingenommen wird von der Umgebung, wie die Wärme vom bebrüteten Hühnerei aufgenommen wird, das heißt von außen hineinorganisiert wird. So bleiben beim Menschen Entwickelungsmöglichkeiten offen gegenüber den Einwirkungen der Umgebung, denn natürlich steht die Geisteswissenschaft nicht auf dem Standpunkt, daß der Mensch irgend etwas ohne Organe verrichten könne.

So müssen wir uns klar sein, daß alles, was auf den Menschen hereinwirkt, ihn umorganisiert. Das ist auch der Fall, wenn man recht genau auf die menschliche Organisation eingeht, daß der Mensch tatsächlich durch die von außen an ihn herantretenden Kräfte umorganisiert wird, die auf dem Umwege durch sein Ich an ihn erst herantreten müssen. Dabei sehen wir noch etwas: Wenn wir den Menschen betrachten, wie er sich in die Welt hineinstellt, um das zu werden, was er durch Sprache, Denkart und Selbstbewußtsein werden kann, dann fassen wir ihn gleichsam an dem einen Pol, an dem einen Ende an. Wir müssen ihn aber auch an dem andern Ende anfassen. Das ist, wenn man es mit dem Gedanken durchdringen will, nicht so ganz leicht. Aber es ist tatsächlich notwendig, daß man den Menschen auch am andern Ende anfaßt.

Der Mensch kommt tatsächlich hilflos auf die Welt. Es ist ja kinderleicht zu finden, um was es sich handelt, aber nicht so leicht, es in die Betrachtung hineinzustellen. Der Mensch muß im Laufe seines Lebens etwas herstellen, was dem Tier herzustellen erspart bleibt. Dieses stellt der Mensch her, während er gehen lernt, oder, noch besser gesagt, während er stehen lernt. Hinter dem Stehenlernen verbirgt sich sehr viel im menschlichen Leben: nämlich die Überwindung dessen, was man das Gleichgewicht der Leiblichkeit nennen kann. Wenn man genau auf den Organisationsplan eingeht, auf die Organisation des Baues der Tiere, so findet man, daß in der Tat das Tier so organisiert ist, daß ihm ein gewisses Gleichgewicht eingeprägt ist, durch das es sich in die Lage zu bringen vermag, in der es sein Leben fortbringen kann. Es ist so gebaut, daß ein festes Gleichgewicht seiner Körperlichkeit mitgegeben ist. Das ist auf der einen Seite die Hilflosigkeit, auf der andern Seite der Vorzug des Menschen gegenüber dem Tier, daß er darauf angewiesen ist, mit Hilfe seines Ich sich dieses Gleichgewicht erst zu erringen. Hier geht es auch nicht, daß man den Menschen mit den nächststehenden Tieren vergleicht. Wenn man eingeht auf die vergleichende Anatomie, auf alle einzelnen Organe, so würde es kindisch sein von der Geisteswissenschaft, wenn sie eine Kluft annehmen würde zwischen dem Menschen und den nächststehenden Tieren. Aber in dem Organisationsplan des Tieres liegt ein vorbestimmtes Gleichgewicht. Beim Menschen liegt die Möglichkeit offen, nach der Geburt dieses Gleichgewicht erst herzustellen. Es liegt aber noch mehr an Möglichkeiten offen. Beim Tier ist durch die eingeprägte — wenn man das Wort gebrauchen will — vorbestimmte Organisation die Richtung der Eigenbewegung angegeben. Beim Menschen bleibt wieder die Möglichkeit offen, sozusagen innerhalb eines gewissen Spielraumes seinen Eigenbewegungssinn zu entwickeln. Noch mehr bleibt beim Menschen offen — wir werden darauf noch zurückkommen, wie das sich anders äußert —: eine gewisse Möglichkeit, in die Organisation selbst das Leben hineinzuprägen.

Man kann ganz gewiß von einer gewissen Prägung des Lebens in einem Lebewesen sprechen. Oder wer würde mit einigem plastischen Sinn nicht merken, daß sich die Organisation einer Ente an den plastischen Formen zum Ausdruck bringt? Oder daß sich die Organisation des Elefanten an den plastischen Formen zum Ausdruck bringt? Und daß vorzugsweise das Skelett, wenn wir es anschauen, im Unterschiede zu den einzelnen Tierarten uns Rätsel über Rätsel enthüllt, wie sozusagen das Leben in die Form hineinschießt, in der Form sich verfängt und uns wie erstarrt erscheint? Auch da bleibt dem Menschen ein Spielraum, das Leben in einer ganz gewissen Weise in die Form hineinzugießen, so daß wir nur vorauszuschicken brauchten, daß wir, wenn wir eine tierische Form mit unserm plastischen Sinn studieren, uns viel mehr für das Allgemeine, für das Gattungsmäßige, Generelle interessieren und die individuellen Formen sehr vernachlässigen. Beim Menschen interessiert uns das edelste Organ — als das Organ des Skelettes — der Schädelbau, ganz besonders in seiner Plastik. Und er ist bei jedem Menschen ein anderer, weil er offen bleibt für das, was dem Menschen in dem Ich zugrunde liegt, für das Individuelle, während er beim Tier das Gattungsmäßige zum Ausdruck bringt. Wenn wir also den Menschen beim anderen Ende anfassen, dann finden wir, daß er während gewisser Zeiten des Lebens freien Spielräum innerhalb der Ausprägung des Gleichgewichtssinnes, des Eigenbewegungssinnes und des ganzen Lebenssinnes hat. Das Interessante ist, daß wir sozusagen diese Arbeit des Geistes am Menschen, diese Ausprägung des Geistes in Form und Bewegung im Beginne des menschlichen Lebens sehen können: wie in der Erringung des aufrechten Ganges, in der Erringung des Eigenbewegungssinnes und in der Ausprägung der Körperformen sich diese Kräfte wirklich betätigen und zum Ausdruck bringen. Dann aber hört in einem gewissen Lebensalter die Möglichkeit auf, daß die Kräfte, die in der Kindheit frei spielen, weiter einwirken. Mit einem bestimmten Lebensalter sind diese Kräfte in bezug auf die Wirkung, die wir charakterisiert haben, abgeschlossen. Wenn sie aber wirklich in dem Menschen als Individualität darinnen sind, können sie nicht auf einmal verschwinden, wenn sie ihre Arbeit in bezug auf ein gewisses Gebiet getan haben, sondern sie müssen uns in einer späteren Lebenszeit wieder entgegentreten. Wir müßten für das spätere Leben nachweisen können, daß diese Kräfte da sind, Realitäten im menschlichen Leben sind.

Wir finden nun in der Tat diese Kräfte wieder in einer ganz charakteristischen Weise für den Fortschritt des Geistes am Menschen deutlich hervortreten. Was der Mensch in der Ausbildung des Gleichgewichtssinnes leistet, das finden wir im späteren Leben wieder, wenn er dieselbe Kraft für die Ausbildung seiner Gebärden anwendet. Die Gebärde ist etwas, was uns tatsächlich in das tiefere Gefüge der menschlichen Organisation, insofern der Geist im Menschen lebt, hineinführt. Und indem der Mensch sein Inneres in der Gebärde zum Ausdruck bringt, verwendet er dieselbe Kraft, die er erst verwendet, um den Gleichgewichtssinn zur Herstellung einer gewissen Gleichgewichtslage zu erringen. Was der Mensch beim Gehenlernen, beim Stehenlernen handgreiflich entwickelt, das erscheint uns also verfeinert, vertieft, verinnerlicht im späteren Leben, wenn es, statt körperlich zur Darstellung zu kommen, mehr seelisch zur Darstellung kommt in der Gebärde. Daher fühlen wir uns erst so recht intim in das menschliche Innere hinein, wenn wir einem Menschen gegenüberstehen und seine Gebärden, die ganze Art und Weise, wie sich in seinen äußeren Bewegungen das Innere ausdrückt, auf uns wirken lassen können. In dieser Beziehung ist eigentlich jeder Mensch mehr oder weniger ein feiner Künstler gegenüber seinen Mitmenschen. Wenn man eingehen würde auf feine psychologische Wirkungen, die von einem Menschen zum anderen gehen, so würde man sehen, daß unendlich viel davon abhängt — ohne daß es sich die Menschen zum Bewußtsein bringen —, wie die Gebärde als Ganzes genommen auf einen Menschen wirkt. Das braucht nicht in das grobe äußere Bewußtsein einzutreten, es tritt aber darum doch in die Seele ein und äußert sich dann besonders in Wirkungen, wo das äußere Bewußtsein unzählige Intimitäten, die sich unter der Schwelle des Bewußtseins abspielen, einfach grob in Worten zusammenfaßt wie: er gefällt mir, er gefällt mir nicht, oder sie gefällt mir, sie gefällt mir nicht.

Wir können aber auch sehen, wie die Kräfte, die in der Eigenbewegung organisierend wirken, im späteren Leben weiterwirken, wenn wir von der Gebärde, die sich in der Bewegung ausdrückt, mehr übergehen zu dem, wo das Innere des Menschen sozusagen in die äußere Form — aber in Beweglichkeit — sich hineinergießt in der Mimik und in der Physiognomie. Da wirkt in der Tat dasjenige weiter, was erst als Eigenbewegungssinn wirkt und sozusagen der Hilflosigkeit des Menschen Spielraum läßt, sich weiterzuentwickeln, und dann diese Hilflosigkeit in Zucht nimmt. Wenn wir sehen, wie der Mensch sein Äußeres durch sein Inneres sozusagen in fortwährendem Gange hält mit seiner Miene, auch mit dem Spiel seiner Physiognomie, so finden wir, wie in der Tat das, was erst in der Organisation mehr als ein bloßer Ausdruck der Wirkung in die Leiblichkeit erscheint, mehr in das Seelische umgegossen und dadurch verinnerlicht erscheint. Was in der ersten Lebenszeit des Menschen mehr direkt wirkt, wird gleichsam in die Innerlichkeit eingefangen, in das selbstbewußte Ich, um dann von innen nach außen sich in die leibliche Sphäre hineinzuergießen, während es anfangs eine Auseinandersetzung des selbstbewußten Ich mit dem Geist war.

Wenn wir nun beim Menschen sehen, wie uns an ihm berechtigterweise die besondere Schädelform interessiert, so müssen wir sagen: In dieser besonderen Schädelform drückt sich in der Tat auch etwas von seinem innersten Wesen aus. Jeder Mensch weiß, daß dies schon im groben der Fall ist und daß man immer Unterschiede zwischen dem menschlichen Innern bei diesem oder jenem Menschen in der Stirnform, in der Schädelform finden wird. Selbstverständlich darf man nicht auf gewisse Gebiete des geistigen Lebens dabei blicken, die sich wieder von der an den Leib gebundenen Seele emanzipieren. Aber als eine gewisse Grundlage ist doch das vorhanden, was man als Ausdruck des zur Seele gewordenen Geistes bezeichnen kann und mit so großem Unrecht ausgestaltete in dem, was man Phrenologie, Schädelbeobachtung und dergleichen nennt. Denn das Wesentliche ist gerade, sich klarzumachen, daß jene Formen, die im menschlichen Schädel zum Ausdruck kommen, für den Menschen als solchen, wie er als moralisches, intellektuelles Wesen vor uns steht, individuelle und nicht generelle sind. Wo wir aber darangehen, zu generalisieren, da verkennen wir überhaupt den ganzen Zusammenhang. In dieser Art ist die ganze Phrenologie, wenn sie so getrieben wird, ein materialistischer Unfug. Man sollte sie überhaupt zu keiner Wissenschaft machen im rechten Sinne des Wortes, denn das kann sie nicht sein. Was uns in der menschlichen Schädelbildung entgegentritt, ist ein Individuelles, das von Mensch zu Mensch verschieden ist. Die Art und Weise, wie wir dann den Menschen gerade nach diesen Merkmalen beurteilen wollen, muß ebenso eine individuelle sein, wie es das Verhältnis des Menschen zu einem Kunstwerk ist. Wie es da keine allgemeinen, festgestellten Regeln gibt, sondern wie man ein Verhältnis zu einem jeden Kunstwerk gewinnen muß, wenn es wirklich eines ist, so wird man, wenn man nach allgemeinen Regeln an das geht, was an künstlerischem Sinn in dem Menschen steckt, schon zu einigen Urteilen kommen können. Nur werden sich diese Urteile ganz anders ergeben, als sie gewöhnlich ausgesprochen werden. Aber gerade das wird sich uns ergeben: Betrachten wir einen menschlichen Schädel, so werden wir sehen, wie der Geist in der Form in unmittelbarer Beziehung arbeitet, wie die Kräfte des Geistigen — des Ich — von innen heraus die Schädelkapsel förmlich entgegenschieben dem, was von außen nach innen arbeitet. Nur wenn man ein Gefühl für dieses Arbeiten von außen nach innen und von innen nach außen hat, kann man sich auf das einlassen, was in der menschlichen Schädelform, die das Gehirn umschließt, uns entgegentritt.

So zeigt uns die Beobachtung, wie in der Tat der Geist im Tiere unmittelbar sich auslebt in den Formen. Da das seelische Leben des Tieres wieder unmittelbar an die Organisation gebunden ist und das instinktive Leben ein Ausdruck der Organisation ist, so wird man immer finden können, warum diese oder jene Instinkte oder Impulse gefühlsmäßig beim Tier auftreten müssen. Dagegen kann man vom Menschen sagen: Bei ihm sehen wir ebenso den Geist von innen an seiner Organisation arbeiten. Wir sehen aber auch, wie das, was dem selbstbewußten Ich zugrunde liegt, sich entgegenstellt und sich hineinschiebt in die Organisation — und damit in die Arbeit des Geistes.

Nun betrachten wir aber den Menschen einmal etwas anders. Da haben wir — was offen am Tage liegt — die Fähigkeit der Sprache, eine gewisse Denkungsart und ein gewisses Selbstbewußtsein durch die Erziehung bei ihm vorliegend. Diese Fähigkeiten entstehen durch die Berührung des Menschen mit der Außenwelt. Aber man tut nicht genug, wenn man diese Dinge einfach hinnimmt. Denn man muß sich klar sein, daß etwas viel Tieferes, viel Intimeres sowohl der Sprache, der Denkart wie auch dem Selbstbewußtsein zugrunde liegt, das durch die Umgebung ausgelöst wird. Es liegt dem zugrunde, daß der Mensch in der Tat gewissermaßen drei Sinne hat, die wir beim Tier nicht finden. Man darf dabei das Wort Sinn nicht nur vergleichsweise nehmen; aber halten wir uns an Tatsachen und nicht an Worte. Das Tier zeigt sich im weitesten Umfange unfähig, auf dem Gebiete des Lautes, des Begriffes und dem, was wir Ich-Wesenheit nennen, sich so aufnahmefähig zu erweisen wie der Mensch. Das Tier geht, wenn wir die Sinne durchgehen, bis zum Tonsinn hinauf. — Das liegt für die äußere Wahrnehmung dem Tier als eine Art Höchstes zugrunde. — Bis zum Ton geht es mit seiner Sinnfähigkeit, dann aber lösen sich aus seiner allgemeinen Organisation nicht die Möglichkeiten heraus, ein Verständnis zu haben für Laut, Begriff und für die Ich-Wesenheit, die in einem anderen Wesen ist. Das Tier sieht die Gattung: der Hund den Hund, der Elefant den Elefanten und so weiter. Aber kein Geistesforscher würde dem Tier die Wahrnehmung für eine Ich-Wesenheit zuschreiben. Es wird der materialistischen Forschung nicht gelingen, für die Wahrnehmung einer Ich-Wesenheit in der tierischen Organisation etwas nachzuweisen; also die Naturforschung sollte es nicht bezweifeln, und die Geistesforschung wird es nicht bezweifeln. So haben wir Entwickelungsmöglichkeiten beim Menschen offen für die Wahrnehmung der Innerlichkeit des Lautes, für die Innerlichkeit von Begriff und Vorstellung und für die Innerlichkeit des Ich-Wesens selbst. Hätte der Mensch für diese drei Betätigungen nicht Entwickelungsmöglichkeiten offen, so würden die andern Kräfte, die ich genannt habe, keine von innen sich ergießende Nahrung haben und sich auch nicht ausdrücken können. Das Tier hat für diese drei Entwickelungsmöglichkeiten nicht die Organe. Denn in alledem, was der Mensch in seinem Hinausgehen über das Tier darlegt, zeigt sich der Abdruck dessen, was in seinem Innern ist, als Möglichkeit des Ausdruckes der Lautauffassung, der Begriffsauffassung und der Ich-Auffassung, des Ich-Bewußtseins, währenddessen haben wir beim Tier ausgedrückt, wie der Geist in die Form gegossen ist, und es zeigt uns daher eine durch das Gattungsmäßige gegebene Gebärde und eine durch das Gattungsmäßige bedingte Physiognomie. Das alles drückt sozusagen aus, wie sich der Geist unmittelbar in die Form hineingerinnend betätigen kann. Beim Menschen sehen wir, wie ein jeder seine spezielle Gebärde hat, seine spezielle Physiognomie und Mimik, und wie sich gerade darin ganz besonders ausdrückt, was er auf der anderen Seite an Entwickelungsmöglichkeiten für den Laut, für Begriff oder Vorstellung und für das Selbstbewußtsein hat. In der Tat ergießt sich in die Gebärde, in die Physiognomie und Mimik und in das ganze Auftreten des Selbstbewußtseins dasjenige, was der Mensch in bezug auf Entwickelungsmöglichkeiten für Laut, Begriff und Ich-Wesenheit hat. Da sehen wir von innen nach außen rinnen das, was erst durch den unmittelbaren Verkehr des selbstbewußten Ich mit dem Geist erlebt wird, und sehen es sich am Menschen ausdrücken.

Wenn wir dies so erleben, dürfen wir uns sagen: Also sehen wir am Menschen, wenn wir nur nicht mit abstrakten, trockenen, nüchternen Begriffen an ihn herantreten, sondern mit lebendiger, lebensvoller Anschauung, wie Ich-Wesen, Vorstellungs-Wesen und Laut-Wesen unmittelbar an der äußeren Gestaltung und Bewegung arbeiten. Es ist förmlich so, wie wenn wir als Kristallographen die Formkräfte eines Kristalls studieren würden und uns dann eine Vorstellung bilden, wie wir im Steinsalz einen Würfel, im Schwefel ein Oktaeder, im Granat ein Rhombendodekaeder und so weiter vor uns haben. Wie wir da sehen, wie innere Kraftwirkungen sich in die Form ergießen, so sehen wir beim Menschen nach außen unmittelbar leben vor der lebendigen Anschauung alles, was der Mensch uns eigentlich ist, was gerade starken Eindruck in bezug auf seine Wesenheit auf uns macht, und was uns wie geronnene Ich-Vorstellung, wie geronnene Begriffe oder Vorstellungen und wie geronnener Lautsinn entgegentritt. Ja, das Letzte, was uns im Ton oder Laut entgegentritt, können wir ganz besonders anschaulich uns vor Augen führen. Denn jenen Verkehr mit dem Geist, den der Mensch vielleicht auf die intimste Art pflegt, den jeder Mensch, ob Künstler oder nicht, mit dem Geiste pflegen kann, der sozusagen ganz in die feinsten Seelenverwebungen seines Wesens hineinwirkt, erlebt der Mensch in jener Eigentümlichkeit, die doch nicht in ihrer ganzen Bedeutung für das menschliche Leben übersehen werden soll, übersehen werden darf in dem Gehalt, in der Innigkeit — ich sage jetzt nicht des Wortinhaltes, sondern in der Innigkeit des Wie im Wortinhalt, in der Innigkeit des Lautcharakters, der Seele der Sprache. Die Sprache hat nicht nur den Geist, der sich äußert im Inhalt der Worte, die Sprache hat auch eine Seele. Und viel mehr als wir denken, wirkt gerade in dem Lautcharakter eine Sprache auf uns. Ganz anders wirkt in unserer Seele eine Sprache, welche viel a hat, ganz anders eine solche, die im Wortcharakter mehr i oder u hat. Denn in dem, was im Timbre des Lautcharakters liegt, ergießt sich wie im Unbewußten die Seele, die über die ganze Menschheit ausgegossen ist, über uns herüber. Das baut und wirkt an uns, und das kommt im Leben wieder als eine besondere Art von Gebärde zum Ausdruck. Denn eine besondere Art von Gebärde ist auch die Sprache des Menschen, aber nicht insofern sie Ausdruck der Worte ist, sondern insofern sie Seele hat, wie der Mensch mit seiner Seele in der Sprache lebt und sich ausdrückt. Da können wir sogar ganz wichtige Unterschiede angeben.

Jeder weiß, daß zu jenen eigentümlichen Imponderabilien, die von Mensch zu Mensch spielen, die Innigkeit gehört, wie ein Mensch spricht, ganz abgesehen davon, was er sagt. Wenn wir dieses berücksichtigen, werden wir uns sagen: Wir lernen viel, viel von dem Intimsten eines Menschen gerade dadurch kennen, wenn wir beobachten, wie ein Mensch spricht. Wir müssen im Leben oftmals darüber hinwegsehen, denn höhere Gesichtspunkte können es in den Hintergrund treten lassen. Dennoch ist aber etwas in uns, was sehr rechnet mit dem Krächzen oder dem Wohllaut einer Stimme. Wer ein wirklicher Seelenbeobachter ist, der weiß, daß eine krächzende Stimme bei einem Mann viel unangenehmer ist als bei einer Frau — aus dem einfachen Grunde, weil diese Gebiete ganz intim mit unserer Organisation zusammenhängen und beim Manne eine viel intimere Beziehung, eine viel innigere Verbindung des Seelenlebens mit der ganzen Behandlung der Stimme, dem Timbre und so weiter besteht, als es bei der Frau der Fall ist. Wahr ist es, aber beweisen kann man es nicht. Man kann nur darauf hinweisen. Wenn Sie darauf achtgeben, werden Sie es schon bemerken. Wer auf solche Dinge einzugehen vermag, wird daher gerade das Bedürfnis haben, wenn er besonders wichtige Dinge aussprechen will, in die Sprache nicht bloß Inhalt hineinzulegen, sondern auch dasjenige, was jetzt gerade angedeutet worden ist. Und wahrhaftig nicht aus Unbescheidenheit, sondern um ein Beispiel anzuführen für das, was gemeint ist, will ich dabei hinweisen auf das von mir verfaßte Rosenkreuzermysterium «Die Pforte der Einweihung». Da tritt an den gewichtigsten Stellen überall hervor, daß das, was überdies nicht in dem Inhalt gesagt werden kann, in der Behandlung der Sprache bis auf den Vokalklang gegeben ist; Sie werden nicht dort, wo ein u klingt auf ein a, ein i auf ein a folgen lassen können.

Es ist außerordentlich wichtig, daß wir dieses Gebiet als die «Gebärde der Sprache» ins Auge fassen und sehen, wie der Geist in seiner Macht auf die Organisation wirkt, und daß wir die unmittelbare Wirkung des Geistes auf die Seele, die das selbstbewußte Ich in sich enthält, beachten. Dann sehen wir wieder zurück, wie die menschliche Seele in die Leiblichkeit sich hineinergießt. Jetzt komme ich allerdings zu einer Sache, welche für viele von Ihnen selbstverständlich eine Hypothese sein muß, und die auszusprechen für den einen gewagt, für den andern sogar ärgerlich erscheinen kann. Aber darauf kommt es nicht an.

Wir sehen am Menschen die Ich-Wesenheit, was der Vorstellungssinn ergibt und erleben kann und was der Lautsinn erleben kann, in die Gebärde, in die Physiognomie und Mimik sich hineinergießen und auch in die Form innerhalb jener Grenzen, die ich angedeutet habe, so daß wir im Menschen eine unmittelbare Wirksamkeit des Geistes sehen in jenem Lebensalter zwischen Geburt und Tod, wo das Ich sich hineinstellt zwischen Geist und Leiblichkeit. Nun denken wir uns jetzt einmal folgendes: ich rede, weil die Dinge mehr oder weniger subtil sind, in Gleichnissen. Denken wir uns das, was der Mensch vollbringt mit IchWesenheit, Begriffsvermögen und Lautsinn, so wie es sich hineinergießt wirklich zunächst mehr oder weniger in das Gleichgewicht, in die Eigenbewegung und in das Selbstbewußtsein, später in die freie Gebärde, in die freie Mimik und in die das Innerliche verratende Physiognomie, von vornherein mit einer Notwendigkeit zusammenwirken, so daß sich zwischen diese zwei, beziehungsweise drei Seiten kein Ich hineinstellt. Denken wir uns also das Ich ausgeschaltet und so die beiden Seiten der menschlichen Natur aufeinanderwirken, daß gleichsam durch einen nicht zum Bewußtsein gekommenen Lautsinn, der das tiefste Innere auslebt, von vornherein in seinen Erlebnissen eine ohne das Dazwischentreten des Ich bewirkte Herstellung des Gleichgewichtes zustande kommt, so haben Sie etwas, was beim Menschen offen bleibt, ohne ein Dazwischentreten eines Ich hergestellt: das ist das, was dem Tier sein Gleichgewicht von vornherein bestimmt. Und denken Sie sich die Vorstellung, wodurch der Mensch seine Gesetze und die tierische Gattung erfaßt, das heißt, die ganze Organisation insofern sie Eigenbewegung ist, und wo sie Physiognomie und Mimik ist, in der ganzen Bewegung des Tieres ausgedrückt — was ausgedrückt wird in den tierischen Instinkten, Leidenschaften und so weiter —, so haben Sie wieder dasjenige, durch eine naturgesetzliche Notwendigkeit im Tier verbunden, was der Mensch in seinem Leben so hat, daß sein Ich verbindend dazwischen tritt. Wieder haben wir beim Tier durch naturgesetzliche Notwendigkeit verbunden, was im Menschen der unmittelbare Ausdruck des Lebens ist. Beim Menschen arbeitet die Lebensgestaltung noch hinein in die Form. Denken Sie es sich aber nicht mehr aufgespart für das Leben, sondern unmittelbar durch die Naturwirksamkeit gestaltet, dann haben Sie es gattungsmäßig, wie es uns in der Plastik der verschiedenen Tiergattungen entgegentritt.

So sehen wir im Menschen ein Wesen, das seine Sinnenweit in der Mitte hat zwischen zwei Polen. Er hat seine Sinnen weit: die Wahrnehmungswelt, die Ton weit, die Geschmackswelt, die Geruchswelt und so weiter. Diese liegen zwischen dem, wie er sich selber wahrnimmt, sich Beziehungen gibt in den verschiedenen Richtungen des Raumes im Gleichgewichtssinn, wie er sich im eigenen Leib befindlich fühlt, und zwischen dem Lautsinn, dem Begriffsverständnis und der Ich-Vorstellung auf der anderen Seite. Wie sich nun mit innerer Notwendigkeit das innere Leben für die dazwischen liegenden Sinne verhält, so verhält es sich für das Tier, notwendig gestaltend die ganze Leibesorganisation. Lassen Sie beim Menschen die beiden Seiten zusammengehörig sein ohne ein Dazwischenkommen eines Ich, so haben Sie das unmittelbare, ohne das Dazwischentreten seiner Seele vorhandene Einwirken der Geistigkeit auf die Leiblichkeit. Beim Menschen haben wir das, was wir nennen können: er ist nach der geistigen und physischen Seite eine Auslegung in Raum, Gebärde und so weiter, die offen bleibt für die Wirkung des Geistes nach der einen Seite und nach der andern Seite. Damit müssen wir uns befreunden, daß in der Tat gewissermaßen dadurch die Grundlage für das ganze Verständnis des Menschen und des menschlichen Geisteslebens überhaupt geschaffen ist, insofern es sich in der Geistesgeschichte abspielt.

Wir sehen, daß wir nicht zusammenwerfen dürfen, was der Mensch im Begriff erlebt, mit dem, was er erlebt, indem er den Begriff selber verwirklicht und selber ausgestaltet. In einer gewissen Beziehung ist der Mensch in bezug auf die Ausgestaltung des Begriffes in einer ganz anderen Lage als in bezug auf das Verständnis des Begriffes. Die Ausgestaltung des Begriffes steht auf einem ganz anderen Blatt als die Mittel zum Verständnis des Begriffes. Ich möchte dabei auf eine Tatsache hinweisen.

Im Jahre 1894 hielt ein großer Verehrer Galileis in Wien, als er das Rektorat der Wiener Universität antrat, Laurenz Müllner, eine Rektoratsrede und machte dabei auf eine eigentümliche Tatsache aufmerksam, die ja zunächst sehr interessant ist. Er machte darauf aufmerksam, daß in Galilei derjenige Geist der Menschheit gegeben worden ist, der in Begriffe fassen konnte die mechanisch-physikalischen Gesetze — die Gesetze der Pendelbewegung, der Wurfbewegung, der Fallgeschwindigkeit, des Gleichgewichtes —, die in der grandiosesten Weise vielleicht zum Ausdruck kommen — so sagte Professor Müllner — in der himmelansteigenden Kuppel der Peterskirche in Rom, in dem wunderbaren Werke Michelangelos. Das ist wahr, das muß jeder sagen, auf den das betreffende Kunstwerk einen Eindruck macht. Und so können wir sagen, meinte Laurenz Müllner: In Galileis Verständnis treten jene Gesetze zuerst in Begriffe gefaßt auf, die wir in dem Gleichmaße und den Gleichgewichtsverhältnissen der gigantischen Kuppel der Peterskirche zu Rom zum Himmel aufragen sehen. Der Mensch hat sozusagen in Galilei in Begriffe zu fassen verstanden, was sich in der Peterskirche in Rom als Kunstschöpfung Michelangelos darstellt. Nur tritt dazu jetzt die eine Tatsache: daß der Geburtstag Galileis und der Todestag Michelangelos in dasselbe Jahr fallen: 1564 stirbt Michelangelo am 18. Februar, und in demselben Jahr, fast auf den Tag genau, am 15. Februar, wird Galilei geboren, der die mechanisch-physikalischen Gesetze für die Menschheit entdeckte!

Das ist in der Tat eine außerordentlich interessante Tatsache, denn sie weist darauf hin, daß der Mensch jenen Verkehr mit dem Geist, durch den er in die Lage kommt, die Gesetze, die nachher gefunden werden, selber den Dingen einzuprägen, in unmittelbarer Weise vollzieht und nicht durch den Verstand, nicht durch den Begriff, überhaupt nicht durch die Intelligenz. Das weist uns aber auf etwas anderes hin, nämlich darauf, daß der Mensch in seiner Organisation in einem Verkehr mit dem Geiste ist, bevor innerlich, seelisch, die Intelligenz ihn auch verarbeitet hat. Daher können wir gewissermaßen sagen: Der Mensch ist so beschaffen, daß er selber der Materie einverleiben kann, was in ihm lebt als Ausfluß des Geistes, was auf ihn gewirkt hat, bevor er es in die Intelligenz fassen konnte. Und das ist ja so bei allem künstlerischen Schaffen. Diese Tatsache interessiert uns deshalb, weil wir daran sehen, daß der Mensch im physischen Leben mit Bezug auf alles, was er lebt und was offenbar in einem Organ seinen Ausdruck hat, vor dem Verständnis für die Gesetze jener Organe etwas an sich hat, was die Gesetze plastisch durchführt, sie plastisch gestaltet. So daß es also, wenn wir den Gedanken durchdenken, ganz klar ist, daß der Sinn für jene Gesetze des Geistes, die sich zum Beispiel in einem Kunstwerk ausdrücken, vor dem Einverleiben der Gesetze in die Seele da ist und da sein muß. Daher haben wir also sozusagen an dem geistigen Ende des Menschen auch das Umgekehrte, wenn wir nur das Wort nicht unedel anwenden, sondern entsprechend ins Geistige hinaufgehoben. Dann zeigt sich uns in der Tat: durch einen ins Geistige her auf gehobenen und geläuterten Instinkt schafft der Mensch dasjenige, was er erst später entdeckt. Wie das Tier instinktiv schafft, wie zum Beispiel die Bienengenossenschaft ihren wunderbar eingerichteten Bienenstaat zustande bringt, so schafft der Mensch unmittelbar aus der geistigen Welt heraus, bevor sich die geistige Welt in seiner Intelligenz spiegelt.

So sehen wir, daß auch nach dieser Richtung hin alles auf das Gegenübertreten des selbstbewußten Ich gegenüber dem Wirken des Geistes hinweist. Das Tier kommt mit seinem Instinkt eben seelisch dazu, in seiner Intelligenz zu spiegeln, was es hineinbaut in seine Baue und dergleichen. Nehmen wir als Beispiel den Biber und seinen Bau: Unter den Bibern wird es immer <Michelangelos> geben, aber niemals einen <Galilei>, der in derselben Weise die Gesetze versteht, die der <Biber-Mid1elangelo> in den Biberbau hineinbaut. Beim Menschen gibt es das, was dem selbstbewußten Ich gegenübertritt, was der Geist schafft, wenn er in die Organisation hineintritt.

So haben wir bei der Betrachtung der menschlichen Entwickelung klar gesehen, daß sich zwischen Geist und Leibesorganisation dasjenige hineinstellt, was der Ausdruck des selbstbewußten Ich beim Menschen ist, daß beim Menschen die veredelte Organisation den Geist unmittelbar erlebt, wie wir es im künstlerischen Phantasieschaffen erblicken, und daß dann noch die selbstbewußte Wesenheit in ihm lebt, die sich der Einordnung des Geistes in den Leib entgegenstellen kann. Also es kommt nicht darauf an, ob wir dem Menschen einen Vorzug geben vor dem Tier oder nicht, das wäre der verkehrte Weg; sondern wir haben darauf zu sehen, daß beim Tier der Geist unmittelbar an die Leibesorganisation heranrückt und die Seele gemäß dieser Leibesorganisation das Leben hinbringt, während beim Menschen sich zwischen Geist und Leibesorganisation das in der Seele befindliche lebendige Ich hineinstellt, die Vermittlung herstellt und arbeitet zwischen Geist und Leibesorganisation. Damit aber hat das Ich des Menschen einen unmittelbaren Verkehr mit dem, was in der geistigen Welt lebt. Es lebt zunächst diesen unmittelbaren Verkehr dadurch aus, daß es sich durchringt, geistige Verhältnisse in seiner Umgebung zu begründen, welche das Tier nur aus seinen Instinkten begründen kann. Wir sehen ein gewisses Rechtsleben, ein moralisches Leben beim Tier schon ausgeprägt. Wir verstehen aber das Rechtsleben, das moralische Leben, das Staatsleben, den ganzen Gang der Weltgeschickte nur, wenn wir beim Menschen die Emanzipation des Geistes von der Leiblichkeit sehen, indem sich das Ich hineinstellt zwischen Geist und Leiblichkeit und dadurch in unmittelbaren Verkehr mit der geistigen Welt tritt.

Wie dieses Ich mit der geistigen Welt in einen unmittelbaren Verkehr tritt, ist es der normale Menschheitszustand. Wie aber ein Fortschritt gegenüber der Tierentwickelung das Hineinstellen eines selbstbewußten Ich zwischen Geist und Leiblichkeit bedeutet, so ist es auch möglich, daß der Mensch weiterschreitet auf dieser Bahn, indem er den Geist wieder, den er emanzipiert hat von der Leiblichkeit, in sich selber weiterentwickelt, wie er sich im freien Verkehr mit ihm erlebt. Dessen Möglichkeiten werden wir sehen in dem Vortrag über das «Wesen des Schlafes», und dessen volle Bedeutung wird sich uns zeigen in dem Vortrag «Wie erlangt man Erkenntnis der geistigen Welt?». Da werden wir sehen, wie das Emanzipieren des Geistes von der Leiblichkeit für den normalen Menschen bis zu einer gewissen Stufe eingetreten ist, aber weitergeführt werden kann, indem schlummernde, keimhafte Kräfte in dem Menschen veranlagt sind, durch deren Entfaltung er zu einem unmittelbaren Hineinschauen in die geistige Welt geführt werden kann.

Wir mußten erst einen Unterbau schaffen für das, was wir als die eigentliche Betrachtung der geistigen Welt werden pflegen können. Wir haben damit gewonnen, daß wir die eigentliche Bedeutung des menschlichen Wesens darin zu suchen haben, daß das menschliche Ich hineintritt zwischen Geist und Leiblichkeit. Das aber ist auch wieder äußerlich leiblich gegeben, indem uns sozusagen das selbstbewußte Ich, wie es uns im Leben entgegentritt, in der menschlichen Innerlichkeit schon durchaus, man möchte sagen, physiognomisch und auch der Geste nach entgegentritt. Einige von Ihnen werden sich erinnern, daß ich nicht nur ausgesprochen, sondern auch belegt habe, daß dem alten Satz «Blut ist ein ganz besonderer Saft» eine tiefe Wahrheit zugrunde liegt. Das ist in der Tat so. Und in dem, was sich einfach als eine unmittelbare Wirkung der Seele auf die Blutzirkulation ausdrückt, kann man schon etwas erraten von jenem Hineinwirken des selbstbewußten Ich in die Leiblichkeit, in die Organisation. Das ist sozusagen die nächste Pforte, wo das vom Geist befruchtete Ich in die Leiblichkeit hineinwirkt. Wir sehen es, wenn wir das Seelische in seiner Wirkung auf die Blutzirkulation betrachten. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, daß wir in den ganz groben Erscheinungen der Schamröte und der Angstbleichheit eine unmittelbare Wirkung sehen von etwas, was in der Seele vor sich geht und im Leib sich ausdrückt, denn es sind in der Tat Furcht und Schamgefühl seelische Vorgänge. Man müßte, wollte man das bestreiten, unbewußter Materialist sein, was zum Beispiel William James tatsächlich ist, obwohl er Spiritualist sein will, indem er in der Tat den Satz verfechten will: «Der Mensch weint nicht, weil er traurig ist, sondern er ist traurig, weil er weint.» Man müßte sich demnach vorstellen, daß der Mensch dadurch in seiner Seele Traurigkeit erlebt, daß irgendwelche, wenn auch noch so feine, materielle Einflüsse auf den Organismus ausgeübt werden, welche die Tränen herauspressen, und wenn der Mensch dies merkt — so meint William James — dann werde er traurig. Wenn wir diesen Schluß in seiner ganzen Unhaltbarkeit nicht erkennen, werden wir nicht einsehen können, daß wir es in Dingen wie Lachen und Weinen, aber auch in der Schamröte, wo eine Umlagerung des Blutes vom Zentrum nach der Peripherie stattfindet, mit materiellen Vorgängen zu tun haben, welche unmittelbar unter seelisch-geistigen Einflüssen stehen.

Wenn wir das bedenken, werden wir sagen können: In der Tat drückt sich beim Menschen das Seelische in der Blutzirkulation aus. Was wir aber so vom Menschen sagen, daß das selbstbewußte Ich im Blut und in der Blutzirkulation sich auslebt, können wir nicht unmittelbar auf das Tier anwenden, weil da ein selbstbewußtes Ich nicht in die Blutzirkulation hineinwirken kann. Das aber ist das Wesentliche, weil das Tier sich nicht unmittelbar dem Einfluß der geistigen Welt Öffnet, die mit Notwendigkeit hereinwirkt. Während wir in der tierischen Blutzirkulation wieder etwas vor uns haben, wo sich unmittelbar auslebt, wie das tierische Seelenleben zum Ausdruck kommt, haben wir in der menschlichen Blutzirkulation etwas von der Art zu sehen, wie der Geist auf das Ich wirkt.

Wenn die Menschen dereinst anfangen werden, ein wenig die Dinge zu studieren, auf die es ankommt, nämlich daß das, was ich heute im Anfang sagte, wesentlich ist für das menschliche Leben, daß der Mensch nicht von vornherein organisiert ist für eine bestimmte Ausprägung von Gleichgewichts-, Eigenbewegungs- und Lebenssinn, sondern sie sich erst erringen muß, — wenn man dahinterkommen wird, daß mit den Richtungen im Räume Realitäten gegeben sind, daß es nicht gleichgültig ist, ob ein Rückgrat horizontal oder vertikal zu den Raumverhältnissen steht oder ob eine Blutzirkulation in dieser oder jener Richtung fließt, dann wird man vor allen Dingen in der Art und Weise, wie sich solche Organisationen in den ganzen Weltenzusammenhang hineinstellen, das Wesentliche sehen. Man wird zum Beispiel in der Tat in den Richtungen nach einer bestimmten Linie im Raum hin etwas Wesentliches sehen müssen. Wenn man das einsieht, wird man die große Bedeutung gerade der Lage und der ganzen Blutvorgänge im menschlichen Blutsystem beurteilen können. Heute glaubt man, daß die Lehre von der Blutzirkulation etwas einigermaßen Abgeschlossenes ist. Das ist es gar nicht. Wir sind erst im Beginn, etwas von den Geheimnissen der Blutzirkulation kennenzulernen. Damit ich diese Dinge nicht so hinstelle, als ob sie bloße Behauptungen wären, will ich auf folgendes hinweisen.

Es ist höchstens fünfundzwanzig Jahre her, daß ein auf diesem Gebiete sehr bedeutender Naturforscher, weil er die nötige mathematische Vorbildung dafür hatte, nämlich der Kriminalanthropologe Moriz Benedikts erst auf die sehr erhebliche Tatsache aufmerksam machte, die ja heute wieder vielfach ignoriert wird, daß die gleichartigen Schläge in der Pulsader rechts und links verschieden sind, was außerordentlich wichtig ist für die Erkenntnis der Zusammenhänge im Menschenwesen. Und besonders ist wichtig, was kein berühmter Mann auf diesem Gebiete gefunden hat, sondern ein sehr einfacher Mann, Dr. Karl Schmid, und was er 1892 veröffentlichte in der «Wiener Medizinischen Wochenschrift» in seiner Abhandlung «Herzstoß und Pulskurven». Da wird hingewiesen auf ganz wichtige Beobachtungen. Erst wenn man diese Dinge, die jetzt erst im Anfang sind, einigermaßen studieren wird, wird man einen Anfang gemacht haben in der Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen selbstbewußtem Ich und Blutzirkulation auf der einen Seite und auf der andern Seite zwischen dem im Tier wirkenden tierischen Geist und der tierischen Blutzirkulation.

Ich habe das letzte Mal darauf hingewiesen, daß wir in der Tat vermögen, bis in die Einzelheiten der Organologie und der einzelnen Funktionen zu gehen, und den Unterschied nachweisen können, wie der Geist sich im Menschen und wie der Geist sich im Tier zeigt. Demgegenüber ist es ganz begreiflich, daß die neueren Forschungen über die Verwandtschaft von Menschen- und Affenblut weniger besagen, weil sie auf das Äußere, rein Stoffliche gehen, auf die chemische Reaktion und so weiter und nicht auf das, worauf es ankommt. Käme es auf das bloß Stoffliche an, so müßte es ganz gleichgültig sein, ob ein Rad als Spielzeug für Kinder, oder bei einer Uhr verwendet wird. Aber es hängt immer davon ab, wie ein Glied oder Organ in der Gesamtheit eines Wesens oder Dinges verwendet wird. Es hängt nicht davon ab, wie Menschenblut sich zu Affenblut verhält oder dergleichen, sondern wie die betreffenden Organe in den Dienst der Gesamtorganisation gestellt sind. Wie sich da wirklich das, was wahr ist, berührt mit der äußeren Forschung, das zeigt uns ja am besten das Verhältnis Goethes zur Naturwissenschaft. In dem Zeitalter Goethes war in bezug auf die Naturdinge schon ein harter Materialismus im Schwünge, und gerade die hervorragendsten Naturforscher, die den Unterschied zwischen Mensch und Tier festhalten wollten, beriefen sich dabei auf etwas rein Materielles. Sie meinten, jener Unterschied zeige sich darin, daß die Tiere in der oberen Kinnlade noch einen Zwischenknochen haben, der beim Menschen fehle, und sie sagten etwa: Das ist die Kluft zwischen Mensch und Tier, daß das Tier noch einen Zwischenknochen für die Aufnahme der oberen Schneidezähne hat, der Mensch aber keinen! Für Goethe war das unerträglich. Ihm kam es darauf an, nicht in den einzelnen Baustücken, sondern in bezug auf die Art, wie der Geist im Menschen und wie der Geist im Tier sich der Organe bedient, den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu finden. Nebenbei will ich nur darauf hinweisen, daß man die Goethesche Metamorphosen-Lehre anwenden kann in bezug auf alle einzelnen menschlichen Organe. So konnte sich Goethe niemals, von Anfang an nicht mit dem Gedanken befreunden, daß in einer materiellen Einzelheit das Hinausragen des Menschen über die Tiere zu suchen sein sollte. Deshalb wollte er zunächst nachweisen, daß jene Behauptung nicht zutrifft und daß diese Kluft nicht da ist, und er ging nun daran, den «Zwischenkieferknochen» beim Menschen aufzuweisen. Wenn Goethe weiter nichts getan hätte als diese eine einzige Tat, wenn er nichts anderes gefunden hätte, als daß in der Tat der Zwischenkieferknochen beim Menschen da ist, nur verwachsen, so daß man ihn nicht sieht, so würde er schon dadurch ein gewaltiges Genie in der menschlichen Entwickelung sein. Goethe sagte sich — nicht weil er es getan hat, erzähle ich es, sondern weil es in der Empfindung Goethes zutage tritt —: Ich habe mit Herder und mit andern, die sich bemühen, den Menschen aus dem Geist heraus zu begreifen, vor allen Dingen das Augenmerk darauf gerichtet, daß der Mensch gerade deshalb über den Tieren steht, weil die Tiere an ihre Organisation gebunden sind. Der Mensch aber emanzipiert sich davon und tritt in einen unmittelbaren Verkehr mit dem Geist und kann dadurch wieder zurückwirken auf die Organe, was Goethe, wie ich auch schon andeutete, mit den Worten sagte: «Die Tiere werden durch ihre Organe belehrt, sagten die Alten. Ich setze hinzu: die Menschen gleichfalls; sie haben jedoch den Vorzug, ihre Organe wieder zu belehren.» Goethe konnte gar nicht anders als zugeben: die Organe sind dieselben; nur werden sie von einer andern Seite her gestaltet. Daher die große Freude Goethes, als er den Zwischenkieferknochen am Menschen endlich gefunden hatte. Da schreibt er an Herder:

«… Ich habe gefunden — weder Gold noch Silber, aber was mir unendliche Freude macht — das os intermaxillare am Menschen! Ich verglich mit Lodern Menschen- und Tierschädel, kam auf die Spur und siehe, da ist es. Nun bitt' ich dich, laß dich nichts merken, denn es muß geheim behandelt werden. Es soll dich auch recht herzlich freuen, denn es ist wie der Schlußstein zum Menschen, fehlt nicht, ist auch da! Aber wie! Ich habe mir's auch in Verbindung mit deinem Ganzen gedacht, wie schön es da wird ...»

In nichts einzelnem kann der Unterschied des Menschen vom Tier gefunden werden; er muß durchaus in dem gefunden werden, wie sich der Geist der Dinge bedient. Denn dadurch blicken wir auf das hin, was der Mensch dem Geist gegenüber ist, wie er sich von der Leiblichkeit emanzipiert hat und in einen unmittelbaren Verkehr mit dem Geiste treten kann. Daher der Unterschied in der Empfindung, der uns überkommt, wenn wir auf ein Geistiges und wenn wir auf ein Leiblich-Materielles hinblicken. Wir werden versuchen, die Worte mit einem ganz andern Sinn zu gebrauchen, ob wir auf das Geistige hinblicken oder auf das Leibliche.

Zwei Gedichte stehen in Goethes Werken nebeneinander. Merkwürdige drei Zeilen enthalten sie:

Das Ewige regt sich fort in allen:

Denn alles muß in nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.

So schließt das eine Gedicht. Und das andere beginnt:

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!

Das Ewige regt sich fort in allen,

Am Sein erhalte dich beglückt!

Ein vollständiger Widerspruch! Wie können wir ihn erklären? Goethe hat ihn so grob in zwei Gedichten hingestellt, die unmittelbar aufeinander folgen. In der Tat können wir die Empfindung in unserm Herzen auslösen, wenn wir hinschauen auf den Geist im materiellen Dasein. Wenn der Geist beharren wollte im materiellen Dasein, wenn er nicht jede Form zerbrechen wollte, müßte er in nichts zerfallen. In dem Augenblick, wo wir den Geist in der Leiblichkeit erblicken, müssen wir sagen: Er muß in nichts zerfallen! Wo wir aber auf den Geist sehen, der in jeder Form in dem Geistigen neu erscheint, da müssen wir sagen: Wir haben es mit dem ewigen, unsterblichen Sein zu tun, mit dem Geist, mit dem wir uns in der emanzipierten Menschenseele verbinden können. Da dürfen wir gerade so sagen. Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!

Das Ewige regt sich fort in allen,

Am Sein erhalte dich beglückt!

wenn wir das unsterbliche Ewige eines Wesens ins Auge fassen.

Sehen wir die Seele, sehen wir den Geist in der Leiblichkeit an, so müssen wir sagen: Lebte er sich ganz in der Leiblichkeit aus, wollte er die Leiblichkeit festhalten: er müßte in nichts zerfallen.

So führt uns gerade die Betrachtung des Tiergeistes und Menschengeistes dahin, nach und nach zu einer Ahnung erst aufzusteigen von dem, was im Grunde genommen Geist genannt werden darf. Und bevor man dazu vordringen will, wie man Erkenntnisse über den Geist gewinnen kann, muß man vor allem erst wissen, wie der Geist hereinleuchtet in die menschliche Seele, die er emanzipiert von der Leiblichkeit, um innerhalb ihrer ein von der leiblichen Organisation unabhängiges und ein in seine Eigengebiete führendes Leben zu haben.


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