MENSCHENSEELE UND MENSCHENLEIB
IN NATUR- UND GEIST-ERKENNTNIS
Berlin, 15. März 1917
Bei
dem heutigen Vortrage bin ich in einer etwas schwierigen Lage,
denn es wird im Sinne des Gegenstandes notwendig sein,
Ergebnisse aus einem sehr wehen geisteswissenschaftlichen
Gebiete zu skizzieren, und es könnte manchem
wünschenswert erscheinen, belegende, beweisende
Einzelheiten über das oder jenes heute vorzutragende
Ergebnis zu hören. Solche Einzelheiten können in
nächsten Vorträgen gegeben werden; heute wird es
meine Aufgabe sein, das Gebiet, um das es sich hier handelt, zu
skizzieren. Außerdem werde ich Ausdrücke,
Vorstellungen über Seele und Leib heranzuziehen haben,
deren eigentliche Grundlegung in den Vorträgen liegt, die
ich bereits hier gehalten habe; denn ich werde mich streng
beschränken müssen auf das Thema, auf die Darlegung
des Zusammenhanges zwischen Menschenseele und Menschenleib.
Es
ist dies ein Gegenstand, von dem man sagen kann, daß zwei
geistige Bestrebungen der neueren Zeit gerade über ihn in
den denkbar größten Mißverständnissen
liegen. Und wenn man eingeht auf diese
Mißverständnisse, so wird man finden, daß auf
der einen Seite die Denker und Forscher, welche in der neueren
Zeit versucht haben, das Gebiet der Seelenerscheinungen zu
bearbeiten, mit den großen bewundernswerten Ergebnissen
der Naturwissenschaft — insbesondere auch mit Bezug auf
die Erkenntnisse des menschlichen Leibes — wenig
anzufangen wissen. Sie können gewissermaßen die
Brücke nicht in der rechten Weise herüberschlagen von
dem, was sie als Beobachtungen über die
Seelenerscheinungen ansehen müssen, zu den
Leibeserscheinungen. Auf der anderen Seite muß gesagt
werden, daß die Vertreter der naturwissenschaftlichen
Forschungsarbeit in der Regel so fremd sind den
Seelenbeobachtungen, so fremd sind sogar dem, was man meint,
wenn man Seelenbeobachtung ins Auge faßt, daß sie
wiederum nicht in der Lage sind, von den wirklich gewaltigen
Ergebnissen der neueren Naturwissenschaft die Brücke
herüberzuschlagen zu den Seelenerscheinungen. Und so
findet man, daß Seelenforscher und Naturforscher, wenn sie
über Menschenseele und Menschenleib reden, ganz
verschiedene Sprachen sprechen, sich im Grunde genommen gar
nicht verstehen können. Und gerade durch diese Tatsache
werden heute diejenigen, welche versuchen, auf Grundlage der
Zeitbildung Einsicht zu gewinnen in die großen Rätsel
des Seelischen und ihren Zusammenhang mit den
Weltenrätseln, beirrt, ja man kann schon sagen in
Verwirrung gesetzt.
Ich
mochte ausgehen davon, hinzuweisen, worin eigentlich im Denken
der Fehler liegt. Es hat sich — ich will das nicht
tadeln, sondern nur als eine Tatsache anführen — ein
Eigentümliches herausgebildet mit Bezug auf die Art, wie
sich der Mensch heute zu seinen Begriffen, zu seinen Ideen
stellt. Er bedenkt in den meisten Fällen nicht, daß
Begriffe und Ideen, auch wenn sie noch so begründet sind,
nur Werkzeuge sind, um die Wirklichkeit, wie sie individuell in
jedem einzelnen Fall vor uns hintritt, zu beurteilen. Der
Mensch glaubt heute, wenn er sich einen Begriff erobert hat,
daß dieser Begriff unmittelbar in der Welt anwendbar sei.
Auf dieser Eigenart des heutigen Denkens, die sich
hineinverpflanzt in alles wissenschaftliche Streben, beruht
das, was ich eben als herrschende Mißverständnisse
charakterisiert habe. Man bedenkt heute nicht, daß ein
Begriff ganz richtig sein kann, daß er aber, obwohl er
richtig ist, eine ganz falsche Anwendung erfahren kann. Ich
will dies, um es methodisch voraus zu charakterisieren, durch
vielleicht groteske Beispiele erörtern, die schon
vorkommen könnten im Leben. Nicht wahr, es könnte
jemand die gewiß berechtigte Überzeugung haben,
daß Schlaf, gesunder Schlaf, ein gutes Heilmittel ist. Das
kann ein ganz richtiger Begriff sein, eine richtige
Vorstellung. Wenn sie im einzelnen Fall nicht in der richtigen
Weise angewendet wird, so kann so etwas herauskommen, wie dies,
daß jemand irgendwo einen Besuch macht; er findet einen
alten Mann, der ist unpäßlich, ist krank nach der
einen oder anderen Richtung. Er bringt seine Weisheit an, indem
er sagt: Ich weiß, wie ein gesunder Schlaf guttut. Wenn er
herausgeht, kann man ihm vielleicht sagen: Nun, sehen Sie mal
an, der Alte schläft ja fortwährend. Oder es kann
vorkommen, daß ein anderer die Anschauung hat, daß
für gewisse Krankheiten Spaziergänge,
Sich-Bewegung-Machen etwas außerordentlich Gesundes ist.
Er rät das irgend jemandem. Der muß ihm nur
einwenden: Sie vergessen, daß ich Briefträger
bin.
Ich
will nur das Prinzipielle damit andeuten: daß man durchaus
richtige Begriffe haben kann, daß aber diese Begriffe erst
dann brauchbar werden, wenn sie in der richtigen Art im Leben
angewendet werden.
Und
so kann man auch in den verschiedenen Wissenschaften streng
beweisbare richtige Begriffe finden, so daß Widerlegungen
derselben auf Schwierigkeiten stoßen würden. Allein
die Frage muß immer aufgeworfen werden: Sind nun dem Leben
gegenüber diese Begriffe auch anwendbar? Sind sie
brauchbare Werkzeuge, um zum Verständnis des Lebens zu
kommen? — Die Gedankenkrankheit, die ich damit angedeutet
und durch groteske Beispiele erläutert habe, ist in
unserem heutigen Denken ungeheuer verbreitet. Daher sieht
mancher so wenig, wo die Grenzen seiner Begriffe liegen, wo er
notwendig hat, durch die Tatsachen — seien es die
physischen, seien es die geistigen Tatsachen — seine
Begriffe zu erweitern. Und vielleicht auf wenig Gebieten ist so
notwendig eine Erweiterung der Begriffe, der Vorstellungen, wie
auf dem Gebiete, über das wir heute sprechen wollen.
Von
dem, was geleistet worden ist auf diesem Gebiete vom
naturwissenschaftlichen Standpunkte aus, der ja der wichtigste
in der Gegenwart ist, kann man nur immer wiederum sagen: es ist
bewundernswert, es ist ganz großartig. Auch auf der
anderen Seite, auf dem seelischen Gebiete, liegen
bedeutungsvolle Arbeiten vor, aber sie gewähren nicht
einen Aufschluß über die allerwichtigsten
Seelenfragen und können vor allen Dingen ihre Begriffe
nicht so erweitern, daß der Anprall von Seiten der
modernen Naturwissenschaft, der sich gegen alles Geistige
dennoch in irgendeiner Weise wendet, ausgehalten werden
könnte. Ich möchte anknüpfen an zwei
literarische Erscheinungen der letzten Zeit, welche
Forschungsergebnisse enthalten auf diesen Gebieten;
Erscheinungen, die uns so recht zeigen, wie eine Erweiterung
der Begriffe durch eine Erweiterung der Forschung angestrebt
werden muß. Da liegt vor allen Dingen vor eine
außerordentlich interessante «Physiologische
Psychologie» von Theodor Ziehen, In dieser
Psychologie wird, wenn auch zum Teil die noch schwankenden
Forschungsergebnisse durch Hypothesen ausgebildet werden, doch
in großartiger Weise gezeigt, wie man sich nach modernen
naturwissenschaftlichen Beobachtungen vorzustellen hat den
Gehirn-, den Nervenmechanismus, um eine Idee davon zu bekommen,
wie, während wir uns Vorstellungen bilden, unsere
Vorstellungen sich miteinander verknüpfen, der
Nervenorganismus arbeitet. Gerade auf diesem Gebiete zeigt es
sich aber ganz klar, daß die nach dem Seelischen
hin gerichtete naturwissenschaftliche Beobachtungsmethode zu
eng umgrenzten, ins Leben nicht eindringenden Begriffen
führt. Theodor Ziehen kann zeigen, daß für all
dasjenige, was im Vorstellen vorgeht, sich gewissermaßen
Gegenbilder finden lassen innerhalb des Nervenmechanismus. Und
wenn man das Gebiet der Forschung in dieser Frage durchgeht,
dann findet man, daß insbesondere die Schule Haeckels in
diesem Bereich ganz Außerordentliches geleistet hat. Man
braucht nur hinzuweisen auf die ausgezeichneten Arbeiten, die
der Haeckel-Schüler Max Verworn im Göttinger
Laboratorium angestellt hat darüber, was etwa vorgeht im
menschlichen Gehirn, im menschlichen Nervensystem, wenn wir
eine Vorstellung mit der anderen verknüpfen, oder, wie man
in der Psychologie sagt: wenn eine Vorstellung sich mit der
anderen assoziiert. Auf dieser Verknüpfung der
Vorstellungen beruht ja im Grunde unser Denken. Wie man sich
diese Verknüpfung der Vorstellungen zu denken hat, wie man
sich zu denken hat das Zustandekommen der
Erinnerungsvorstellungen, wie da gewisse Mechanismen vorhanden
sind, die Vorstellungen, man möchte sagen, aufbewahren,
damit sie später aus dem Gedächtnis herausgeholt
werden können, alles das ist in zusammenhängender
Weise von Theodor Ziehen schön dargestellt. Wenn man
überblickt, was er zu sagen hat über das
Vorstellungsleben und über dasjenige, was ihm entspricht
als menschliches Nervensystem, kann man durchaus mitgehen. Dann
aber kommt Ziehen zu einem merkwürdigen weiteren
Resultat.
Wir
wissen ja, daß dieses menschliche Seelenleben in sich
nicht nur das Vorstellen hat. Wie man auch über die
Beziehung der anderen Seelentätigkeiten zum Vorstellen
denken mag — zunächst kann man nicht davon absehen,
daß man außer dem Vorstellen mindestens unterscheiden
muß andere Seelentätigkeiten oder —
fähigkeiten; wir wissen, daß außer dem
Vorstellen das Fühlen da ist, die
Gefühlstätigkeit in ihrem ganzen weiten Bereich, und
außerdem die Willenstätigkeit. Theodor Ziehen spricht
so, als ob das Fühlen eigentlich nichts anderes sei als
eine Eigenschaft der Vorstellung; er spricht nicht vom
eigentlichen Fühlen, sondern vom Gefühlston der
Empfindungen oder Vorstellungen. Die Vorstellungen sind da. Sie
sind da, nicht nur wie wir sie denken, sondern mit gewissen
Eigenschaften behaftet, die ihnen ihren Gefühlston geben.
So daß man sagen kann: Für das Fühlen ist nun
ein solcher Forscher darauf angewiesen, daß er sagt: Das,
was im Nervensystem vorgeht, das reicht nicht zum Fühlen.
Deshalb läßt er das Fühlen selber eigentlich weg
und betrachtet es nur wie ein Anhängsel zum Vorstellen.
Man kann auch sagen: Indem er nun das Nervensystem verfolgt,
kommt er nicht im Nervenmechanismus bis zu der Ergreifung
desjenigen Seelischen, das als Gefühlsleben erscheint.
Daher läßt er das Gefühlsleben als solches weg.
Er kommt aber auch nicht zu irgend etwas im Nervenmechanismus,
welches notwendig machte, von einem Wollen zu sprechen. Deshalb
leugnet Ziehen geradezu die Berechtigung, auf
naturwissenschaftlichem Gebiete in bezug auf die Seelen- und
Leibeserkenntnis von einem Wollen zu sprechen. Was geschieht,
wenn ein Mensch irgend etwas will? Nehmen wir an, er geht, er
ist in Bewegung. Da sagt man — so meint solch ein
Forscher —, es entspringt die Bewegung, das Gehen, aus
seinem Willen. Aber in der Regel, was ist denn eigentlich da?
Nichts anderes ist da, als zunächst die Vorstellung der
Bewegung. Ich stelle vor gewissermaßen, was das sein wird,
wenn ich mich durch den Raum bewege; und dann geschieht nichts
weiter, als daß darauf folgt, daß ich mich selber
sehe oder fühle, das heißt, daß ich meine
Bewegung wahrnehme. Auf die erinnerte Bewegungsvorstellung
folgt die Vorstellung, die Wahrnehmung der Bewegung; ein Wille
ist nirgends zu finden. — Der Wille wird also geradezu
fortgeschafft von Ziehen. Wir sehen, bei der Verfolgung der
Nervenmechanismen kommt man nicht zum Fühlen und auch
nicht zum Wollen; daher muß man mehr oder weniger,
für den Willen sogar ganz, diese Seelengebiete außer
acht lassen. Und dann sagt man gewöhnlich gutmütig:
Nun ja, das überläßt man den Philosophen, aber
der Naturforscher hat keinen Grund, von diesen Dingen zu
sprechen, wenn man nicht mit Bezug auf Seelenverrichtungen so
weit geht wie Verworn, der sagt: Die Philosophen haben vieles
hineingedichtet in das menschliche Seelenleben, das sich vom
naturwissenschaftlichen Standpunkte aus als nicht
gerechtfertigt herausstellt.
Zu
einem ähnlichen Ergebnis wie Ziehen, der ganz von
naturwissenschaftlichen Unterlagen ausgeht, kommt ein
bedeutender Seelenforscher der neueren Zeit, den ich hier schon
öfter erwähnt habe, der bedeutender ist, als man
gewöhnlich von ihm denkt: Franz Brentano. Nur geht
Franz Brentano von der Seele aus. Er hat versucht, in seiner
«Psychologie» das Seelenleben zu durchforschen. Es
ist charakteristisch, daß von diesem Buche nur der erste
Band erschienen ist und seit den siebziger Jahren nichts
weiter. Derjenige, der die Verhältnisse kennt, der
weiß, daß eben aus dem Grunde, weil Brentano mit den
im vorher charakterisierten Sinne begrenzten Begriffen
arbeitet, er über den Anfang nicht hinüberkommen
konnte. Aber eines ist doch außerordentlich bedeutsam bei
Brentano: daß er bei seinem Versuche, die
Seelenerscheinungen durchzugehen, sie in gewisse Gruppen zu
bringen, unterscheidet «Vorstellen» und
«Fühlen». Aber indem er also die Seele, ich
möchte sagen, von oben bis unten durchgeht, kommt er nicht
zu einem Wollen. Das Wollen ist im Grunde genommen ihm nur eine
Unterart des Fühlens. Also auch ein Seelenforscher kommt
nicht zum Wollen. Franz Brentano beruft sich auf solche Dinge
wie die, daß selbst die Sprache andeutet, wenn sie von
Seelenerscheinungen spricht, daß dasjenige, was
«Wollen» gewöhnlich genannt wird, im Grunde
genommen innerhalb der Seelenbegebenheiten, der
Seelentatsachen, sich im Fühlen erschöpfe. Denn es
ist gewiß nur ein Gefühl ausgedrückt, wenn ich
sage: ich habe Widerwillen gegen irgend etwas. Und dennoch,
wenn ich sage: ich habe Widerwillen gegen irgend etwas, nehme
ich das Wort «Wille» so, daß die Sprache schon
instinktiv zum Ausdruck bringt, wie der Wille eigentlich etwas
ist, was für das Seelenleben in das Gefühl
hereingehört. An diesem einen Beispiel mögen Sie
ersehen, wie unmöglich es diesem Seelenforscher ist, aus
einem bestimmten Kreis herauszukommen. Denn zweifellos ist das,
was Franz Brentano gibt, sorgfältige Seelenforschung; aber
zweifellos ist auch, daß das Erlebnis des Willens, des
Überganges des Seelenlebens in die äußere Tat,
und des Entspringens der äußeren Tat aus dem Willen,
ein Erlebnis ist, das sich nicht hinwegleugnen läßt.
Nicht findet also der Psychologe das, was sich zweifellos nicht
hinwegleugnen läßt.
Man
kann nun nicht sagen, daß alle auf dem Boden der neueren
Naturwissenschaft stehenden Forscher, die sich mit dem
Seelenleben in seinem Zusammenhang mit dem Leibesleben
befassen, durchaus Materialisten sind. Ziehen zum Beispiel
betrachtet die Materie als eine reine Hypothese. Aber er kommt
zu einer ganz merkwürdigen Ansicht, zu der nämlich,
daß, wo wir auch hinschauen, nichts anderes um uns herum
ist als Seelisches. Mag irgendwo draußen irgend etwas von
Materie liegen, diese Materie muß in ihren Vorgängen
erst auf uns einen Eindruck machen; so daß, indem die
materiellen Tatsachen auf unsere Sinne einen Eindruck machen,
dasjenige, was wir in unserer Sinneswahrnehmung erleben, schon
seelische Erscheinung ist. Nun erleben wir die Welt nur durch
unsere Sinne; also ist im Grunde genommen alles seelische
Erscheinung, alles ist psychisch. Das ist eine Anschauung
solcher Forscher wie Ziehen. Da würde der ganze
menschliche Erfahrungsbereich eigentlich ein Seelisches sein,
und wir würden im Grunde genommen gar kein Recht haben,
davon zu sprechen, daß irgend etwas anders als
hypothetisch — außer uns selber, außer unseren
seelischen Erfahrungen — angenommen werden dürfte.
Wir weben und leben im Grunde genommen nach solchen
Anschauungen innerhalb des Allbereiches des Seelischen und
kommen nicht aus demselben heraus.
Eduard von Hartmann hat diese Anschauung in einer
drastischen Weise am Schlüsse seines Handbuches über
Seelenkunde charakterisiert, und diese Charakteristik, wenn sie
auch grotesk ist, ist doch ganz interessant sich vor die Seele
zu führen. Er sagt: Man nehme einmal im Sinne dieses
Panpsychismus — man bildet eben solche Worte — das
Beispiel: Zwei Personen sitzen an einem Tisch und trinken
— nun, sagen wir, aus besseren Zeiten stammend —
Kaffee mit Zucker. Die eine Person ist von der Zuckerdose etwas
weiter entfernt als die andere, und es geht äußerlich
für den naiven Menschen das vor, daß die eine
Person zu der anderen sagt: Ich bitte um die Zuckerdose. Die
andere Person gibt diese Zuckerdose der bittenden. Wie muß
nun — meint Eduard von Hartmann —, wenn die
Allbeseelung richtig ist, dieser Vorgang vorgestellt werden? So
muß er vorgestellt werden, daß irgend etwas im
menschlichen Gehirn oder Nervensystem vorgehe, welches im
Bewußtsein sich so gestaltet, daß die Vorstellung
erwacht: Ich möchte Zucker. Aber was da draußen
eigentlich ist, davon habe der Betreffende keine Ahnung. Dann
reiht sich an diese Vorstellung «ich möchte
Zucker» eine andere an; aber das ist auch nur seelisch
eine Vorstellung, daß ihm etwas, was wie eine andere
Person aussieht — denn was objektiv da ist, ist ja nicht
zu sagen, das macht nur so den Eindruck —, daß ihm
das die Zuckerdose reicht. Die Physiologie, sagt nun Hartmann,
meint, objektiv geschehe das Folgende: In meinem Nervensystem,
wenn ich die eine Person bin, bildet sich irgendein Vorgang,
welcher sich im Bewußtsein spiegelt als Illusion «ich
bitte um Zucker». Dann setzt dieser selbe Vorgang, der
nichts zu tun hat mit dem Bewußtseinsvorgang, die
Sprachmuskeln in Bewegung; da kommt wieder irgendwas Objektives
draußen zustande, von dem man nicht weiß, was es ist,
was aber wieder im Bewußtsein gespiegelt wird, wodurch man
den Eindruck empfängt, man spreche die Worte «ich
bitte um Zucker». Dann gehen diese Bewegungen, die in der
Luft hervorgerufen werden, zu einer anderen Person, die man
wieder hypothetisch annimmt, hinüber, erzeugen in deren
Nervensystem Schwingungen. Dadurch, daß in diesem
Nervensystem die sensitiven Nerven schwingen, werden die
motorischen Nerven in Bewegung gesetzt. Und während dieser
rein mechanische Vorgang sich abspielt, spiegelt sich wieder im
Bewußtsein der anderen Person so etwas ab wie: «ich
gebe dieser Person die Zuckerdose», und was weiter damit
zusammenhängt, was wahrgenommen werden kann, die Bewegung
und so weiter.
Da
haben wir die eigentümliche Ausdeutung, daß das, was
wirklich außer uns vorgeht, einem unbekannt bleibt, nur
hypothetisch ist, aber so erscheint, daß es
Nervenvorgänge sind, die hinüberschwingen durch die
Luft in die andere Person, dort von den sensitiven zu den
motorischen, den Bewegungsnerven hinüberspringen und die
äußere Handlung vollziehen. Das ist ganz
unabhängig von dem, was etwa in den zwei Bewußtseinen
vorgeht, das vollzieht sich automatisch. Dadurch kommt man aber
allmählich dazu, überhaupt nicht mehr einen Einblick
gewinnen zu können in den Zusammenhang dessen, was sich
draußen automatisch vollzieht, mit dem, was wir eigentlich
erleben. Denn was wir erleben, hat, wenn man den Standpunkt der
Allbeseelung annimmt, nichts zu tun mit irgend etwas, was
draußen objektiv wäre. Merkwürdigerweise wird da
ganz in die Seele hereingenommen, ich möchte sagen, die
ganze Welt. Und einzelne Denker haben schon ganz Gewichtiges
eingewendet. Wenn zum Beispiel ein Kaufmann ein Telegramm
erwartet mit einem bestimmten Inhalt, so braucht nur ein
einziges Wort zu fehlen, und statt Freude kann bei ihm Unlust,
Leid, Schmerz in der Seele ausgelöst werden. Kann man da
sagen, daß das, was man in der Seele erlebt, nur innerhalb
des Seelischen vorgeht, oder muß man da nicht nach den
unmittelbaren Ergebnissen annehmen, daß wirklich
draußen sich etwas vollzogen hat, was im Seelischen mit
erlebt wird? Und auf der anderen Seite, stellt man sich auf den
Standpunkt dieses Automatismus, so könnte man sagen: Ja,
Goethe hat den «Faust» geschrieben, das ist ja
richtig; das bezeugt aber nur, daß in seiner Seele der
ganze «Faust» gelebt hat in der Vorstellung. Aber
diese Seele hat nichts zu tun mit dem Mechanismus, der diese
Vorstellung beschrieben hat. Man kommt nicht hinaus aus dem
Mechanismus des Seelenlebens zu dem, was da draußen
ist.
Dadurch hat sich allmählich die Anschauung herausgebildet,
die jetzt sehr verbreitet ist, daß gewissermaßen
dasjenige, was seelisch ist, nur eine Art Parallel-Vorgang sei
zu dem, was draußen in der Welt ist, daß es nur
hinzukomme zu dem, was draußen in der Welt ist, und
daß man gar nicht wissen könne, was wirklich da
draußen in der Welt vorgeht. Im Grunde genommen kann man
dann schon dazu kommen, wozu ich gekommen bin, daß ich in
meinem Buche «Vom Menschenrätsel» diesen
Standpunkt, der sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat und
immer mehr geltend geworden ist in gewissen Kreisen, den
Standpunkt des Illusionismus nenne. Nun wird man sich die Frage
aufwerfen: Ruht denn dieser Illusionismus nicht auf sehr guten
Grundlagen? — Das scheint fast so. Es scheint wirklich,
daß gar nichts dagegen zu sagen ist, daß da
draußen irgend etwas sein mag, das auf unser Auge wirkt,
und daß erst die Seele das, was draußen ist, in Licht
und Farbe umsetzt, so daß man es wirklich nur mit
Seelischem zu tun habe, daß man nie über die Grenzen
des Seelischen hinauskomme, daß man nie berechtigt
wäre zu sagen: das oder jenes entspricht dem, was in der
Seele lebt. Solche Dinge haben nur scheinbar keine Bedeutung
für die höchsten Seelenfragen, zum Beispiel für
die Unsterblichkeitsfrage. Sie haben eine tiefe Bedeutung
dafür, und auch darüber werden heute einige
Andeutungen gemacht werden können. Aber ich möchte
gerade von dieser Grundlage ausgehen.
Diejenige Richtung, die ich damit charakterisiert habe, die
bedenkt vor allen Dingen nicht, daß sie mit Bezug auf das
Seelenleben nur rechnet mit dem, was geschieht, wenn von
außen durch die sinnliche Welt Eindrücke gemacht
werden auf den Menschen, und der Mensch dazu kommt, durch
seinen Nervenapparat sich über diese Eindrücke
Vorstellungen zu bilden. Daran denken diese Anschauungen nicht,
daß das, was da geschieht, nur anwendbar ist auf den
Verkehr des Menschen mit der äußeren sinnlichen Welt,
aber für diesen Verkehr, auch wenn man die Sache im Sinne
der Geistesforschung prüft, ganz besondere Resultate
aufweist. Da zeigt sich, daß gerade die menschlichen Sinne
in ganz besonderer Weise gebaut sind. Nur ist das, was ich hier
über diesen Bau vorzubringen habe in bezug auf die
Feinheiten dieses Baues, so, daß es vielfach dem, was
heute schon bemerkt wird von der äußeren
Wissenschaft, noch nicht zugänglich ist. In den Organen,
die wir für die Sinne haben, ist etwas in den Menschenleib
hineingebaut, das von dem allgemeinen inneren Leben dieses
Menschenleibes bis zu einem gewissen Grade ausgeschlossen ist.
Symbolisch dafür können Sie das Beispiel des Auges
betrachten. Das Auge ist fast wie ein ganz selbständiges
Wesen in unseren Schädelorganismus hineingebaut,
hängt nur durch gewisse Organe mit dem Innern des gesamten
Organismus zusammen. Das Ganze könnte im einzelnen
geschildert werden, das ist aber für unsere heutige
Betrachtung nicht notwendig. Aber eine gewisse
Selbständigkeit liegt vor. Und solche Selbständigkeit
liegt in Wahrheit für alle Sinnesorgane vor. So daß,
was eben niemals berücksichtigt wird, bei der sinnlichen
Wahrnehmung, bei der sinnlichen Empfindung etwas ganz
Besonderes geschieht. Die sinnliche Außenwelt setzt sich
durch unsere Sinnesorgane in unsere eigenen Organe hinein fort.
Was da draußen durch Licht und Farbe geschieht, oder
besser gesagt, in Licht und Farbe vorgeht, das setzt sich durch
unser Auge so in unseren Organismus hinein fort, daß das
Leben unseres Organismus zunächst nicht daran teilnimmt.
Also Licht und Farbe kommen so in unser Auge, daß das
Leben des Organismus, ich möchte sagen, das Hereindringen
dessen, was draußen geschieht, nicht hindert. Dadurch
dringt wie in einer Anzahl von Golfen der Fluß des
äußeren Geschehens durch unsere Sinne bis zu einem
gewissen Teile in unseren Organismus ein. Nun nimmt an dem, was
da eindringt, zunächst teil die Seele, indem sie das, was
von außen unlebendig eindringt, selbst erst belebt. Dies
ist eine außerordentlich wichtige Wahrheit, die durch die
Geisteswissenschaft zutage tritt. Indem wir sinnlich
wahrnehmen, üben wir fortwährend Belebung desjenigen,
was aus dem Fluß der äußeren Ereignisse in
unseren Leib hinein sich fortsetzt. Die Sinnesempfindung ist
ein wirkliches lebendiges Durchdringen, ja sogar Beleben
desjenigen, was als Totes sich in unsere Organisation herein
fortsetzt. Dadurch aber haben, wir in der Sinnesempfindung
wirklich die objektive Welt unmittelbar in uns, und indem wir
seelisch sie verarbeiten, erleben wir sie. Dies ist der
wirkliche Vorgang, und das ist außerordentlich wichtig.
Denn mit Bezug auf die Sinnesempfindung läßt sich
nicht sagen, daß sie nur ein Eindruck ist, daß sie
nur eine Wirkung von außen ist; dasjenige, was
äußerlich vorgeht, geht wirklich bis in unser Inneres
herein, leiblich, wird in die Seele aufgenommen und mit Leben
durchdrungen. In den Sinnesorganen haben wir etwas, worinnen
die Seele lebt, ohne daß im Grunde unser eigener Leib
darinnen unmittelbar lebt. Man wird einmal auch
naturwissenschaftlich den Vorstellungen, die ich jetzt
entwickelt habe, näher kommen, wenn man vergleichend sich
richtige Anschauungen bilden wird über die Tatsache,
daß bei gewissen Tierarten in den Augen — und das
wird man auf alle Sinne ausdehnen können — gewisse
Organe sind, die beim Menschen nicht mehr sind. Das menschliche
Auge ist einfacher als die Augen niederer Tiere, ja sogar ihm
sehr nahestehender Tiere. Wenn man einmal sich fragen wird:
Warum haben zum Beispiel gewisse Tiere noch den sogenannten
Fächer im Auge, ein besonderes Organ aus
Blutgefäßen, warum haben andere den sogenannten
Schwertfortsatz, wiederum ein Organ aus Blutgefäßen?
dann wird man darauf kommen, daß im tierischen Organismus,
indem diese Organe in die Sinne hereinragen, das unmittelbare
Leibesleben noch teilnimmt an dem, was in den Sinnen sich
abspielt als Fortsetzung der Außenwelt. Daher ist die
Sinneswahrnehmung des Tieres durchaus nicht so, daß man
sagen kann, das Seelische erlebt unmittelbar die hereinragende
Außenwelt. Denn das Seelische in seinem Werkzeuge, dem
Leib, durchdringt da noch das Sinnesorgan; das leibliche Leben
durchsetzt das Sinnesorgan. Gerade dadurch aber, daß die
menschlichen Sinne so gestaltet sind, daß sie seelisch
belebt werden, ist für denjenigen, der die
Sinnesempfindung wirklich in ihrer Wesenheit erfaßt, klar,
daß wir in der Sinnesempfindung äußere
Wirklichkeit haben. Dagegen kommt aller Kantianismus,
Schopenhauerianismus, alle moderne Physiologie nicht auf, weil
diese Wissenschaften noch gar nicht dazu geeignet sind, ihre
Begriffe bis zu einer regelrechten Auffassung der
Sinnesempfindung vordringen zu lassen. Erst indem das, was sich
im Sinnesorgan abspielt, in das tiefere Nervensystem, das
Gehirnsystem, aufgenommen wird, erst dadurch geht es über
in dasjenige, wo das Leibesleben unmittelbar eindringt, und
daher inneres Geschehen vor sich geht. So daß der Mensch
den Sinnenbezirk äußerlich hat, und innerhalb dieses
Sinnenbezirkes gleichsam die Zone gegenüber der
Außenwelt, wo diese Außenwelt rein an ihn herantreten
kann, insofern sie eben auf die Sinne wirken kann. Denn nichts
anderes geht vor sich. Dann aber, wenn aus der Sinnesempfindung
Vorstellung wird, dann stehen wir innerhalb des tiefer
liegenden Nervensystems, dann entspricht jedem
Vorstellungsvorgang ein nervenmechanischer Vorgang; dann spielt
sich immer, wenn wir eine Vorstellung bilden, die von der
Sinnesanschauung hergenommen ist, etwas ab, was im menschlichen
Nervenorganismus vorgeht. Und da muß man jetzt sagen: In
dem, was da geleistet worden ist von der Naturforschung,
insbesondere auch durch die Entdeckungen Verworns, in bezug auf
die Vorgänge, die sich im Nervensystem, im Gehirn
abspielen, wenn das oder jenes vorgestellt wird, liegt
Bewundernswertes vor. Geisteswissenschaft wird sich nur
über folgendes klar sein müssen: Indem wir durch die
Sinne der Außenwelt gegenüberstehen, stehen wir dem
äußeren wirklichen Tatsachenverlauf gegenüber.
Indem wir vorstellen, zum Beispiel aus der Erinnerung, beim
Nachdenken, wo man nicht an Äußeres anknüpft,
sondern das verknüpft, was von außen aufgenommen
worden ist, da lebt durchaus etwas in unserem Nervensystem; und
das, was da in unserem Nervensystem sich abspielt, was da lebt
in seinen Strukturen, seinen Vorgängen, das ist wirklich
— je weiter man eingeht auf diese Tatsache, desto mehr
kommt man darauf — ein wunderbares Abbild des Seelischen,
des Vorstellungslebens selbst. Wer sich nur ein wenig
einlaßt auf das, was heute schon die Gehirnanatomie, die
Nervenanatomie sagen kann, der findet, daß zum
Wunderbarsten, das in der Welt geoffenbart werden kann, dieser
Bau und diese Bewegungsverhältnisse im Gehirn
gehören. Dann aber muß die Geisteswissenschaft sich
klar sein: Wie wir, den Blick nach außen hin gerichtet,
der Außenwelt gegenüberstehen, so stehen wir unserer
eigenen Leibeswelt gegenüber, wenn wir dem Spiel der
Gedanken, die der Außenwelt entnommen sind, hingegeben
sind. Es kommt das gewöhnlich nur nicht klar zum
Bewußtsein. Allein wenn der Geistesforscher sich zu dem
erhebt, was er imaginative Vorstellungen nennt, so erkennt er,
daß das zwar, ich möchte sagen, traumhaft bleibt,
aber doch so ist, daß im sich selbst überlassenen
Vorstellen der Mensch sein inneres Spiel im Gehirn und
Nervensystem so auffaßt, wie er sonst die Außenwelt
auffaßt. Man kann durch Erstarkung des Seelenlebens mit
solchen Meditationen, wie ich sie geschildert habe, erkennen,
daß man dieser inneren Nervenwelt nicht anders
gegenübersteht als der äußeren Sinnes weit; nur
daß bei der äußeren Sinneswelt der Eindruck
stark ist, der von außen kommt, und man es dadurch zu dem
Urteil bringt: die Außenwelt macht einen Eindruck;
während das, was von innen aus dem Leibesleben kommt,
nicht so sich aufdrängt, trotzdem es ein wunderbares Spiel
von materiellen Vorgängen ist, daß man daher den
Eindruck hat: die Vorstellungen spielen von selber.
Für alles das, was ich bisher angedeutet habe über
den Verkehr des Menschen mit der äußeren Sinneswelt,
gilt das, was ich gesagt habe. Die Seele betrachtet, indem sie
den Leib durchdringt, einmal die äußere Wirklichkeit;
die Seele betrachtet andrerseits das Spiel des eigenen
Nervenmechanismus. Nun hat aber eine gewisse Anschauung —
und dadurch entsteht das Mißverständnis — aus
dieser Tatsache die Vorstellung gebildet, das sei
überhaupt das Verhältnis des Menschen zu der
äußeren Welt. Wenn diese Anschauung die Frage auf
wirft: Wie wirkt die äußere Welt auf den Menschen?
dann beantwortet sie sie so, wie sie sie beantworten muß
nach den wunderbaren Ergebnissen der Gehirn-Anatomie und
Gehirn-Physiologie, dann beantwortet sie sie so, wie wir jetzt
charakterisieren mußten, was geschieht, wenn der Mensch
sich entweder den Vorstellungen mit Bezug auf die
Außenwelt hingibt, oder solche Vorstellungen später
aus dem Gedächtnis heraufspielen läßt. Das ist
— so sagt diese Anschauung — überhaupt das
Verhältnis des Menschen zu der Welt. Dadurch aber muß
sie dazu kommen, daß eigentlich alles seelische Leben
neben der Außenwelt herläuft. Denn es kann gewiß
der Außenwelt ganz gleichgültig sein, ob wir sie
vorstellen oder nicht; sie verläuft, wie sie
verläuft; unser Vorstellen kommt da rein hinzu. Da gilt
sogar das, was ein Grundsatz ist dieser Anschauung: Alles, was
wir erleben, ist seelisch. Aber in diesem Seelischen lebt eben
einmal die Außenwelt, einmal die Innenwelt. Und zwar
— das ergibt sich eben daraus — das eine Mal, wie
die Vorgänge draußen sind, das andere Mal, wie die
Vorgänge im Nervenmechanismus sind. Nun geht diese
Anschauung davon aus: Also müssen auch alle anderen
seelischen Erlebnisse in einer ähnlichen Weise zur
Außenwelt in Beziehung stehen, auch das Gefühl, auch
der Wille. Und wenn nun solche Forscher, wie Theodor Ziehen,
ehrlich sind, so finden sie solche Beziehungen nicht. Daher
leugnen sie, wie auseinandergesetzt, das Gefühl teilweise,
den Willen ganz. Sie finden innerhalb des Nervenmechanismus
nicht die Gefühle und am allerwenigsten den Willen. Franz
Brentano findet nicht einmal innerhalb der Seelenwesenheit den
Willen. Woher kommt das?
Darauf wird einmal, wenn jene Mißverständnisse, die
ich heute geschildert habe, geschwunden sein werden, wenn man
die Geisteswissenschaft zu Hilfe nehmen wird über diese
Dinge, die Geisteswissenschaft Aufklärung geben. Denn die
Tatsache, die ich nur angedeutet habe, ist eben diese: Was wir
den Bereich des Fühlens im Seelenleben nennen, das hat
zunächst, so sonderbar es klingt, überhaupt in seiner
Entstehung nichts zu tun mit dem Nervenleben. Ich weiß
sehr wohl, wievielen Behauptungen der heutigen Wissenschaft ich
damit widerspreche. Ich kenne auch sehr gut alles dasjenige,
was gut begründet eingewendet werden kann. Allein, so
wünschenswert es wäre, auf alle Einzelheiten
einzugehen, ich kann heute nur Ergebnisse anführen. Ziehen
hat ganz recht, wenn er das Fühlen und auch das Wollen
nicht findet im Nervenmechanismus, wenn er nur das Vorstellen
findet, so daß er sagt: Gefühle sind nur Töne,
das heißt Eigenschaften, Betonungen des
Vorstellungslebens; denn in den Nerven lebt nur das
Vorstellungsleben. Wille ist überhaupt nicht da für
den Naturforscher, denn unmittelbar an die Vorstellung der
Bewegung knüpft sich an die Wahrnehmung der Bewegung, die
folgt. Ein Wille ist nicht dazwischen. Im Nervenmechanismus
liegt nichts von menschlichem Fühlen; diese Konsequenz
wird nur nicht gezogen, aber sie liegt darin. Wenn also
menschliches Fühlen im Leibe sich ausdrückt, womit
hängt denn das zusammen? Welches ist das Verhältnis
des Fühlens zum Leibe, wenn das Verhältnis des
Vorstellens zum Leibe das ist, wie ich es eben geschildert habe
mit Bezug auf das Verhältnis der Sinnesempfindung zum
Nervenmechanismus? Nun, da zeigt Geisteswissenschaft, daß,
wie mit dem Wahrnehmen und dem innerlichen Nervenmechanismus
das Vorstellen zusammenhängt — so sonderbar das
heute noch klingt, das wird einmal Ergebnis der
Naturwissenschaft sein, kann aber heute schon als durchaus
gesichertes Ergebnis der Geisteswissenschaft bezeichnet werden
—, das Fühlen in ähnlicher Weise
zusammenhängt mit alledem, was leiblich zur Atmung des
Menschen gehört, und was mit dieser Atmung
zusammenhängt. Fühlen hat nichts zu tun zunächst
in seiner Entstehung mit dem Nervenmechanismus, sondern mit
dem, was mit dem Atmungsorganismus zusammenhängt. Aber
nun, wenigstens ein Einwand, der so nahe liegt, sei hier
angebracht: Ja, aber die Nerven erregen doch all das, was mit
der Atmung zusammenhängt! Ich werde beim Wollen auf diesen
Einwand noch einmal zurückkommen. Die Nerven erregen gar
nichts von dem, was mit dem Atmen zusammenhängt, sondern
gerade so, wie wir durch unsere Sehnerven Licht und Farbe
wahrnehmen, so nehmen wir durch diejenigen Nerven, die vom
Zentralorganismus nach dem Atmungsorganismus hingehen, nur in
dumpferer Weise, den Atmungsvorgang selber wahr. Diese Nerven,
die gewöhnlich als motorische Nerven für das Atmen
bezeichnet werden, sind nichts anderes als sensitive Nerven.
Sie sind da, um, wie die Gehirn-Nerven, nur dumpfer, die Atmung
selber wahrzunehmen. Entstehung des Gefühls, in alledem,
was da vorliegt vom Affekt bis hinauf zum leisen Fühlen,
das hängt leiblich zusammen mit alledem, was sich abspielt
im Menschen als Atmungsprozeß, und dem, was
dazugehört, was seine Fortsetzung nach der einen oder
anderen Richtung im menschlichen Organismus ist. Man wird ganz
anders denken über das, was das Fühlen leiblich
charakterisiert, wenn man einmal durchschauen wird, wie man
nicht sagen kann: Von irgendeinem Zentralorgan, von dem Gehirn,
gehen gewisse Strömungen aus, die erregen die
Atmungsvorgänge, sondern umgekehrt ist es eben der Fall.
Die Atmungsvorgänge sind da, sie werden wahrgenommen durch
gewisse Nerven; dadurch kommen sie mit ihnen in eine Beziehung.
Aber es liegt nicht eine Beziehung so vor, daß die
Entstehung der Gefühle im Nervensystem verankert
wäre. Und hier kommen wir auf ein Gebiet, welches trotz
der bewundernswürdigen Naturwissenschaft der Gegenwart
noch gar nicht bearbeitet ist. Die leiblichen Ausdrücke
des Gefühlslebens, sie werden in einer wunderbaren Weise
beleuchtet werden, wenn man einmal die feineren
Atmungsveränderungen und namentlich die feineren
Veränderungen in der Wirkung des Atmungsprozesses
studieren wird, während das eine oder andere Gefühl
in uns abläuft. Der Atmungsprozeß ist ein ganz
anderer als derjenige, der sich im menschlichen
Nervenmechanismus abspielt. Für den Nervenmechanismus kann
man in einer gewissen Beziehung sagen, er ist eine getreuliche
Nachbildung des menschlichen Seelenlebens selber. Und wollte
ich einen Ausdruck gebrauchen — solche Ausdrücke
sind ja in der Sprache noch nicht geprägt, man kann daher
nur Lehnbilder-Ausdrücke gebrauchen — für die
Art, wie wunderbar im menschlichen Nervensystem abgebildet ist
das Seelenleben, so möchte ich sagen: das Seelenleben malt
sich selber hinein in das Nervenleben, das Nervenleben ist
wirklich ein Gemälde des seelischen Lebens. Alles, was wir
mit Bezug auf die äußere Wahrnehmung seelisch
erleben, malt sich ab im Nervensystem. Gerade dies ist es, was
begreiflich erscheinen lassen muß, daß das
Nervenleben namentlich des Hauptes schon bei der Geburt ein
getreulicher Abdruck des seelischen Lebens ist, das aus der
geistigen Welt herauskommt, und sich mit dem Leibesleben
verbindet. Was man heute vielleicht gerade vom
gehirn-physiologischen Standpunkte einwendet gegen die
Verbindung der aus der Geisteswelt herauskommenden Seele mit
dem Gehirn, mit dem Hauptes-Organ, das wird einmal
gerade als Beweis dafür vorgebracht werden. Die Seele
bereitet sich vor der Geburt oder Empfängnis aus geistigen
Untergründen heraus jene wunderbare Bildung des Hauptes,
die da vorliegt als Bildung des menschlichen Seelenlebens. Das
Haupt—wie es zum Beispiel auch im Verlauf des
menschlichen Lebens nur viermal schwerer wird, als es bei der
Geburt ist, während der ganze Organismus 22mal schwerer
wird im Verlaufe des weiteren Wachstums — das Haupt tritt
uns schon bei der Geburt als etwas in sich Ausgestaltetes, wenn
der Ausdruck erlaubt ist: Vollkommenes entgegen. Schon vor der
Geburt ist es im Grunde ein Bild des seelischen Erlebens, weil
das seelische Erleben arbeitet an dem Haupte aus der geistigen
Welt heraus lange Zeit, bevor überhaupt physische
Tatsachen sich abspielen in der bekannten Art, die dann
zum Dasein des Menschen in der physischen Welt führen.
Für den Geistesforscher ist gerade dieser wunderbare Bau
des menschlichen Nervensystems, der ein Abbild ist des
menschlichen Seelenlebens, zugleich die Bewahrheitung, daß
die Seele aus dem Geistigen herauskommt, und daß im
Geistigen die Kräfte liegen, die das Gehirn zu einem
Gemälde des Seelenlebens machen.
Soll ich nun einen Ausdruck gebrauchen für den
Zusammenhang des Gefühlslebens mit dem Atmungsleben, der
ähnlich charakterisieren würde, wie der Ausdruck
«das Nervenleben — ein Bild, ein Gemälde des
Seelenlebens, des Vorstellungslebens,» — so
möchte ich nennen das Atmungsleben und alles, was
dazugehört, einen Abdruck des seelischgeistigen Lebens,
den ich vergleichen möchte mit der Bilderschrift. Das
Nervensystem — ein wirkliches Bild, ein wirkliches
Gemälde; das Atmungssystem-nur Bilderschrift. Das
Nervensystem ist so gebaut, daß die Seele sich nur sich
selber zu überlassen braucht, um aus dem Gemälde
herauszufinden, was sie in sich nunmehr erleben will. Bei der
Bilderschrift muß man schon deuten, da muß man etwas
wissen, da muß die Seele sich mehr beschäftigen mit
der Sache. So ist es auch mit Bezug auf das Atmungsleben. Das
Atmungsleben ist weniger ein getreulicher Ausdruck —
sollte ich das genauer charakterisieren, dann müßte
ich hinweisen auf die Goethe'sche Metamorphosen-Lehre, dazu ist
heute die Zeit zu kurz —, ein unmittelbar bildhafter
Ausdruck des seelischen Erlebens, es ist vielmehr ein solcher
Ausdruck, den ich vergleichen möchte mit dem
Verhältnis der Bilderschrift zu dem Sinn der
Bilderschrift. Das seelische Leben ist daher ein innerlicheres
im Gefühlsleben, ein weniger an die äußeren
Vorgänge gebundenes. Daher entgeht auch der Zusammenhang
der gröberen Physiologie. Für den Geistesforscher ist
aber gerade dadurch klar: ebenso wie zusammenhängt das
Atmungsleben mit dem Gefühlsleben, ebenso muß, weil
dieses Atmungsleben ein weniger genauer Ausdruck desselben ist,
das Gefühlsleben freier, selbständiger in sich
sein.
So
umfassen wir also den Leib weiter, wenn wir ihn betrachten als
einen Ausgestalter des Gefühlslebens, als wenn wir ihn nur
betrachten können als einen Ausgestalter des
Vorstellungslebens. Dadurch aber, daß das
Gefühlsleben mit dem Atmungsleben zusammenhängt, lebt
im Gefühlsleben das Geistige regsamer, innerlicher, als im
bloßen Vorstellungsleben — in jenem
Vorstellungsleben, das sich nicht zur Imagination erhebt,
sondern nur eine Offenbarung ist des äußeren
sinnlichen Erlebens. Das Gefühlsleben wird nicht so klar,
nicht so hell, geradesowenig wie die Bilderschrift so klar
ausdrückt, was sie bedeutet, wie ein Bild das
ausdrückt — ich muß mehr vergleichsweise
sprechen —; aber gerade dadurch auch steht das, was sich
im Gefühlsleben ausdrückt, im Geistigen mehr darinnen
als das gewöhnliche Vorstellungsleben. Es ist das
Atmungsleben weniger Werkzeug als das Nervenleben.
Und
wenn wir nun zum Willensleben kommen, da ist die Sache schon
so, daß, wenn man beginnt, gerade als Geistesforscher
über die Tatsache zu sprechen, man als ein arger
Materialist verschrieen werden kann. Aber der Geistesforscher
muß schon, wenn er von dem Verhältnis der
Menschenseele zum Menschenleibe spricht, die ganze Seele im
Verhältnis zum ganzen Leibe betrachten, nicht nur, wie es
heute vielfach geschieht, im Verhältnis zum Nervensystem.
Die Seele drückt sich aus im ganzen Leibe, in all dem, was
im Leibe vorgeht. Will man nun das Willensleben betrachten,
womit muß man beginnen? Man muß beginnen bei den
untersten, den allertiefstliegenden Willensimpulsen, die noch
ganz an das Leibesleben gebunden erscheinen, im Leibesleben
aufgehen. Wo ist ein solcher Willensimpuls? Nun, ein solcher
Willensimpuls äußert sich einfach, wenn wir zum
Beispiel Hunger haben, wenn gewisse Stoffe in unserem
Organismus verbraucht sind und ersetzt werden müssen. Wir
kommen hinunter in das Gebiet, wo die
Ernährungsvorgänge verlaufen. Wir sind
heruntergestiegen von den Vorgängen im Nervenorganismus
durch die Vorgänge im Atmungsorganismus und kommen zu den
Vorgängen im Ernährungsorganismus; und die
alleruntergeordnetsten Willensimpulse finden wir gebunden an
den Ernährungsorganismus. Geisteswissenschaft zeigt nun,
daß wir überhaupt, wenn wir von Beziehungen des
Wollens sprechen zum Organismus, sprechen müssen von dem
Ernährungsorganismus. Eine ähnliche Beziehung wie
zwischen dem Vorstellen und Empfinden und dem
Nervenmechanismus, wie zwischen dem Atmen und dem
Gefühlsleben, nur eine noch losere, besteht zwischen dem
Ernährungsorganismus und dem Willensleben der menschlichen
Seele. Allerdings hängen damit nun weitergehende Dinge
zusammen. Und da muß man sich einmal vollständig
über eines klar sein, das heute im Grunde nur die
Geisteswissenschaft behauptet. Ich habe es in engeren Kreisen
seit vielen Jahren vertreten, was ich jetzt auch hier
öffentlich als ein Ergebnis der Geisteswissenschaft
klarlege. Die heutige Physiologie glaubt sich darüber klar
zu sein, daß, wenn ein Sinneseindruck auf uns geschieht,
er sich fortpflanzt zum sensitiven Nerv und — wenn sie
eine Seele zugibt, die Physiologie — so von der Seele
aufgenommen wird. Dann aber gibt es außer diesen
sensitiven Nerven sogenannte motorische, Bewegungsnerven
für die heutige Physiologie. Solche Bewegungsnerven
— ich weiß, wie ketzerisch das ist, was ich jetzt
ausspreche — gibt es für die Geisteswissenschaft
nicht. Ich habe mich mit der Sache wirklich seit vielen Jahren
beschäftigt und ich weiß selbstverständlich,
daß man an dieser Stelle kommen kann mit alledem, was so
gut begründet erscheint. Man nehme einen Tabeskranken oder
irgend jemand, dem das Rückenmark durchquetscht ist, bei
dem von einem gewissen Organ an sein unterer Organismus wie tot
ist, und dergleichen. Alle diese Dinge sind nicht eine
Widerlegung dessen, was ich sage, sondern wenn man sie in der
richtigen Weise durchschaut, sind sie gerade ein Beweis
für das, was ich sage. Es gibt keine motorischen Nerven.
Was die heutige Physiologie noch als motorische Nerven, als
Bewegungsnerven, als Willensnerven ansieht, das sind sensitive
Nerven. Wenn das Rückenmark an einer Stelle durchquetscht
ist, dann wird einfach das, was im Bein, im Fuß vorgeht,
nicht wahrgenommen, und dann kann auch der Fuß, weil das
nicht wahrgenommen wird, nicht bewegt werden; nicht weil ein
motorischer Nerv durchschnitten wird, sondern weil ein
sensitiver Nerv durchschnitten ist, der einfach nicht
wahrnehmen kann, was da im Bein geschieht. Doch ich kann dies
nur andeuten, denn ich muß zu den wichtigen Ergebnissen
dieser Sache fortschreiten.
Derjenige, der sich Gewohnheiten aneignet in bezug auf das
seelisch-leibliche Erleben, weiß, daß es sich zum
Beispiel bei dem, was wir eine Übung nennen, bei
Klavierspiel und dergleichen, um etwas ganz anderes handelt als
um das, was man heute «Ausschleifen der motorischen
Nervenbahn» nennt; darum handelt es sich nicht. Denn bei
alledem, was wir vollziehen an Bewegungen aus unserem Willen
heraus, kommt zunächst überhaupt als Leibesvorgang
nichts in Betracht als ein Stoffwechselvorgang. Seiner
Entstehung nach ist dasjenige, was aus dem Willensimpuls heraus
kommt, aus dem Stoffwechsel heraus. Bewege ich einen Arm, so
kommt zunächst nicht das Nervensystem in Betracht, sondern
der Wille selbst, den die Physiologen, wie Sie gesehen
haben, gerade leugnen; und der Nerv hat nichts anderes damit zu
tun, als daß das, was als Stoffwechselvorgang infolge des
Willensimpulses stattfindet, wahrgenommen wird durch den
motorischen Nerv, der in Wirklichkeit ein sensitiver Nerv ist.
Wir haben es mit Stoffwechselvorgängen in unserem ganzen
Organismus zu tun als leiblichen Erregern derjenigen
Vorgängen, die dem Willen entsprechen. Weil alle Systeme
im Organismus ineinander greifen, sind natürlich diese
Stoffwechselvorgänge auch im Gehirn und mit
Gehirnvorgängen verbunden. Der Wille aber hat in
Stoffwechselvorgängen seine leiblichen Ausgestaltungen;
Nervenvorgänge als solche haben in Wirklichkeit damit nur
zu tun dadurch, daß sie die Wahrnehmung der
Willensvorgänge vermitteln. Das alles wird auch die
Naturwissenschaft in Zukunft zeigen. Wenn wir aber den Menschen
auf der einen Seite als Nervenmenschen betrachten, auf der
anderen Seite als Atmungsmenschen und alles, was damit
zusammengehört, und als drittes ihn betrachten als
Stoffwechselmenschen — wenn ich den Ausdruck gebrauchen
darf —, dann haben wir den ganzen Menschen. Denn alle
Bewegungsorgane, alles, was sich im menschlichen Leib bewegen
kann, hängt in seiner Bewegung selbst mit
Stoffwechselvorgängen zusammen. Und auf die
Stoffwechselvorgänge wirkt der Wille unmittelbar. Der Nerv
ist nur da, um sie wahrzunehmen.
Es
ist in einer gewissen Weise mißlich, wenn man in dieser
Art einer, wie es scheint, so gut begründeten Anschauung,
wie der von den beiderlei Nerven, widersprechen muß;
allein dabei steht einem ja wenigstens das zu, daß bis
jetzt weder mit Bezug auf die Reaktion noch mit Bezug auf den
anatomischen Bau irgend jemand einen Unterschied gefunden hat,
der erheblich wäre, zwischen einem sensitiven und einem
motorischen Nerven. Sie sind mit Bezug auf alles gleich. Wenn
wir uns Übung in irgend etwas aneignen, dann eignen wir
uns diese Übung dadurch an, daß wir lernen, durch
unseren Willen die Stoffwechselvorgänge zu beherrschen.
Das ist dasjenige, was das Kind lernt, nachdem es zuerst nach
allen Richtungen zappelt und keine geregelte Willensbewegung
ausführt: die Stoffwechsel Vorgänge, wie sie sich in
ihren feineren Gliederungen abspielen, zu beherrschen. Und wenn
wir zum Beispiel Klavier spielen oder ähnliche
Fähigkeiten haben, dann lernen wir, die Finger in einer
gewissen Weise bewegen, die entsprechenden feineren
Stoffwechselvorgänge mit dem Willen beherrschen. Die
sensitiven Nerven, die aber die sonst sogenannten motorischen
Nerven sind, die merken es immer mehr und mehr, welches der
richtige Griff und die richtige Bewegung ist, denn diese Nerven
sind nur dazu da, um das, was im Stoffwechsel geschieht,
nachzufühlen. Ich möchte einmal jemand, der wirklich
seelisch-leiblich beobachten kann, fragen, ob er nicht bei
einer genaueren Selbstschau nach dieser Richtung fühlt,
wie er nicht motorische Nervenbahnen ausschleift, sondern wie
er lernt, die feineren Vibrationen seines Organismus, die er
durch den Willen hervorbringt, zu fühlen, wahrzunehmen,
dumpf vorzustellen. Es ist wirklich Selbstwahrnehmung, die wir
da üben. Wir haben es zu tun im ganzen Bereich mit
sensitiven Nerven. Es soll nur jemand einmal nach dieser
Richtung das Sprechen beobachten, wie es sich aus dem Lallen
beim Kinde entwickelt. Es beruht durchaus darauf, daß der
Wille in einen Sprechorganismus lernt einzugreifen. Und was das
Nervensystem lernt, ist nur die feinere Wahrnehmung desjenigen,
was als feinere Stoffwechselvorgänge vorgeht.
Wir
haben es also beim Willen zu tun mit etwas, was sich leiblich
im Stoffwechsel ausdrückt. Und der Ausdruck des
Stoffwechsels sind Bewegungen, selbst bis in die Knochen
hinein. Das ließe sich sehr leicht zeigen, wenn man auf
die wirklichen naturwissenschaftlichen Ergebnisse der Gegenwart
eingehen würde. Aber dieser Stoffwechsel drückt noch
weniger als die Atmung das aus, was sich seelisch-geistig
abspielt. Wenn ich verglichen habe den Nervenorganismus mit
einem Bild, den Atmungsorganismus mit einer Bilderschrift, so
kann ich den Stoffwechselorganismus vergleichen mit einer
bloßen Zeichenschrift, wie wir sie heute haben im
Gegensatz zu der Bilderschrift der alten Ägypter oder der
alten Chaldäer. Das sind bloß Zeichen, da muß
das Seelische noch mehr innerlich werden. Dadurch aber,
daß im Wollen das Seelische noch mehr innerlich wird,
kommt die Seele, die sich, ich möchte sagen, im
Stoffwechsel nur lose mit dem Leiblichen beschäftigt, mit
dem größten Teil ihres Wesens in die Region des
Geistigen hinein. Sie lebt im Geistigen. Und so, wie sich durch
die Sinne die Seele mit dem Stoff verbindet, so verbindet sie
sich durch den Willen mit dem Geiste. Auch da zeigt sich
wiederum das besondere Verhältnis des Seelisch-Geistigen,
das die Geisteswissenschaft anschaut durch die Mittel, die ich
angeführt habe im letzten Vortrag. Es ergibt sich,
daß der Stoffwechselorganismus, so wie er heute vorliegt
— ich müßte, um das genauer zu
charakterisieren, auf die Goethe'sche Metamorphosen-Lehre
eingehen —, nur eine vorläufige Andeutung desjenigen
ist, was vollkommenes Bild ist im Nerven-, im
Hauptesorganismus. Die Seele bereitet in dem, was sie im
Stoffwechsel vollführt, indem sie sozusagen sich am
Stoffwechsel zurechtrückt, dasjenige vor, was sie dann
durch die Pforte des Todes hinüberträgt in die
geistige Welt für das fernere Leben im geistigen Reiche
nach dem Tode. Sie trägt aber natürlich auch all das
mit hinüber, wodurch sie mit dem Geistigen lebt. Sie ist
ja innerlich am lebendigsten, wie ich charakterisiert habe,
gerade da, wo sie mit dem Stofflichen nur lose verbunden ist,
so daß für dieses Gebiet der Stoffvorgang nur wie ein
Zeichen für das Geistige wirkt; so ist es gerade im
Wollen. Dadurch ist es, daß das Wollen besonders
ausgebildet werden muß, wenn man zum geistigen Anschauen
kommen will. Dieses Wollen muß zu dem ausgebildet werden,
was man die eigentliche Intuition nennt — nicht in dem
trivialen Sinne, sondern in dem Sinne, wie es neulich
charakterisiert worden ist. Das Fühlen, das kann so
ausgebildet werden, daß es zur Inspiration führt; das
Vorstellen kann, wenn es geistesforscherisch ausgebildet wird,
zur Imagination führen. Dadurch tritt aber das andere
objektiv, seiner wahren Wirklichkeit nach, in das Seelenleben
herein, das Geistige. Denn ebenso, wie wir die Sinnesempfindung
so charakterisieren müssen, daß nach Anlage der
menschlichen Sinnesorgane die Außenwelt Golfe in uns
hineinschickt, so daß wir in ihnen uns erleben, so erleben
wir im Wollen den Geist. Da sendet der Geist in uns seine
Wesenheit hinein. Und niemand wird die Freiheit jemals
einsehen, der nicht dieses unmittelbare Leben des Geistes im
Wollen erkennt.
Auf
der anderen Seite sehen Sie, wie Franz Brentano, der nur die
Seele durchforscht, recht hat: er kommt nicht zum Wollen, weil
er nur die Seele durchforscht, er kommt bloß bis zum
Gefühl. Was das Wollen hinuntersendet in den Stoffwechsel,
darauf läßt sich der moderne Psychologe nicht ein,
weil er nicht Materialist werden will; und der Materialist
läßt sich nicht darauf ein, weil er glaubt, alles
hänge vom Nervensystem ab. Da aber die Seele von ihrem
Wesen so viel mit dem Geiste verbindet, daß der Geist in
seiner Urgestalt in das Menschenwesen eindringen kann, der
Geist seine Golfe in den Menschen hineinschickt, so ist das,
was wir als höchstes, als sittliches Wollen, als geistiges
Wollen in die Welt hineinsteilen, wirklich ein unmittelbares
Leben des Geistes im Seelischen. Und dadurch, daß wir
unmittelbar das Geistige im Seelischen erleben, ist das
Seelische in denjenigen Vorstellungen, die ich in meiner
«Philosophie der Freiheit» charakterisiert habe als
dem freien Wollen zugrunde liegend, wirklich nicht mit sich
allein, sondern es ist, in hohem Maße, höher und vor
allen Dingen in anderer Weise bewußt im Geiste drinnen. Es
ist nur ein Verkennen dieses Drinnenseins im Geiste, wenn, so
wie der Physiologe mit Bezug auf den Willen bei Theodor Ziehen,
auch der Psychologe nichts wissen will von feineren
Willensimpulsen, die doch ein wahrhaftig wirkliches Erleben
sind. Im Seelischen können sie allerdings nicht gefunden
werden, aber die Seele erlebt in sich den Geist, und indem sie
im Willen den Geist erlebt, lebt sie in Freiheit.
Damit aber ist Menschenseele und Menschenleib so miteinander im
Verhältnis gedacht, daß die ganze Seele mit dem
ganzen Leibe in Beziehung steht, nicht bloß die Seele mit
dem Nervenorganismus. Und damit habe ich Ihnen charakterisiert
den Anfang einer wissenschaftlichen Richtung, die gerade durch
die Entdeckungen der Naturwissenschaft, wenn diese in der
richtigen Weise werden angeschaut werden, fruchtbar werden
wird. Sie wird zeigen, daß auch der Leib, wenn er in
seiner Gänze als Ausdruck des Seelischen betrachtet wird,
ein Beweis ist für die Seelenunsterblichkeit, die ich von
ganz anderer Seite im letzten Vortrag charakterisiert habe und
im nächsten Vortrag weiter charakterisieren werde von
einem anderen Gesichtspunkte.
Eine gewisse wissenschaftlich-philosophische Richtung der
neueren Zeit, weil sie nicht zurechtkommen konnte aus den
angedeuteten Gründen mit dem seelisch-leiblichen Leben,
hat Zuflucht genommen zu dem sogenannten Unbewußten. Ihr
hauptsächlichster Vertreter außer Schopenhauer ist
Eduard von Hartmann. Nun ist gewiß die Annahme des
Unbewußten in unserem Seelenleben etwas durchaus
Gerechtfertigtes. Aber so, wie Eduard von Hartmann vom
Unbewußten spricht, ist es unmöglich, mit ihm in
einer befriedigenden Weise die Wirklichkeit zu verstehen. Er
setzt in einer merkwürdigen Weise in dem Beispiel, das ich
erwähnt habe, von den zwei Personen, die sich
gegenübersitzen, und von denen die eine die Zuckerdose von
der andern will, auseinander, wie das Bewußte in das
Unbewußte hinuntertaucht, und das, was im Unbewußten
geschieht, wieder herauftaucht in das Bewußtsein. Aber man
kommt den Anschauungen, die die Geisteswissenschaft gewinnt,
mit einer solchen Hypothese durchaus nicht nahe. Man kann vom
Unbewußten sprechen, nur muß man in zweifacher Weise
davon sprechen: man muß sprechen vom Unterbewußten
und vom Überbewußten. In der Sinnesempfindung wird
etwas, was an sich selber unbewußt ist, bewußt, indem
es in der heute charakterisierten Weise belebt wird. Da dringt
das Unterbewußte herauf in das Bewußtsein. Ebenso
wenn der Nervenorganismus betrachtet wird innerlich im Spiel
der Vorstellungen: Unbewußtes dringt ins Bewußtsein
herauf. Aber man darf nicht vom absolut Unbewußten
sprechen, sondern man muß davon sprechen, daß das
Unterbewußte ins Bewußtsein heraufkommen kann.
Unterbewußt ist dann auch nur zeitlich, ist nur relativ
unterbewußt; das Unterbewußte kann bewußt
werden. Ebenso kann man sprechen vom Geiste als dem
Überbewußten, das in der ethischen Idee oder in der
geisteswissenschaftlichen Idee, welche in den Geist selber
eindringt, in den Bereich des menschlichen Seelenlebens
hereinkommt. Da kommt das Überbewußte in das
Bewußtsein herein.
Sie
sehen, wieviele Begriffe und Vorstellungen, wenn man dem Leben
gerecht werden will, zu korrigieren sind. Und aus der Korrektur
dieser Begriffe wird sich erst ein freier Blick ergeben
über das, was die Wahrheit ist mit Bezug auf das
menschliche Seelenleben. Allerdings, von welch weittragender
Bedeutung eine solche Betrachtung des Verhältnisses
zwischen Seele und Leib ist, das auszuführen muß ich
mir auf das nächste Mal versparen. Heute möchte ich
zum Schlüsse nur noch darauf aufmerksam machen, daß
die neuere Bildungsentwickelung gar zu sehr hinweggeführt
hat von den Ideen, die auf diesem Gebiete Klarheit geben
können. Auf der einen Seite hat sie eingeengt das gesamte
Verhältnis des Menschen zur Außenwelt auf dasjenige,
was nur in bezug auf die sinnliche Außenwelt in ihrem
Verhältnis zum menschlichen Nervenorganismus gilt. Dadurch
ist aber auch auf diesem Gebiete eine Summe von Vorstellungen
entstanden, die mehr oder weniger materialistisch gefärbt
sind; und weil man den Blick gar nicht gewendet hat auf andere
Zusammenhänge des menschlich Geistig-Seelischen mit dem
Leiblichen, ist dieser Blick eingeengt worden. Und es hat sich
diese Eingeengtheit des Blickes sogar übertragen auf alle
Bestrebungen des Wissenschaftlichen überhaupt. Daher kommt
es, daß es einem in der Seele wehe tun muß, wenn man
liest, wie in einem verhältnismäßig guten
Vortrag, den der Professor Dr. A. Tschirch
am 28. November 1908 als einen Festvortrag an der
Universität Bern über «Naturforschung und
Heilkunde» gehalten hat bei der Übernahme seines
Rektorates — diejenigen Zuhörer, die öfter hier
sind, werden wissen, daß ich von mir aus in der Regel nur
diejenigen angreife, die ich schätze in gewisser anderer
Beziehung, und daß ich von mir aus nur etwas
Abträgliches sage, wenn es in Abwehr geschieht — ein
merkwürdiges Bekenntnis sich findet, das so recht
entspringt aus den angedeuteten Mißverständnissen und
aus der Ohnmacht, das Verhältnis von Seele und Leib zu
verstehen. Da sagt der Professor Tschirch:
«Ich meine aber, daß wir uns heute noch nicht den
Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, ob wir wirklich nie
<ins Innere> vordringen werden.»
Er
meint, in das Innere der Welt. Aus dieser Gesinnung entspringt
all dasjenige, was an Antipathie vorhanden ist gegen die
mögliche geisteswissenschaftliche Forschung. Deshalbt sagt
er weiter: «Wir haben wirklich Nötigeres zu
tun.»
Nun, wer gegenüber den großen, brennenden
Seelenfragen überhaupt den Satz zuwege bringt: «Wir
haben wirklich Nötigeres zu tun», bei dem würde
man nach dem Ernst der wissenschaftlichen Gesinnung fragen
müssen, wenn es nicht begreiflich wäre aus der
charakterisierten Richtung, die das Denken genommen hat;
besonders wenn man die Satze liest, die sich daran
schließen:
«Das <Innere der Natur>, mit dem wohl Haller etwas
Ähnliches meinte, was Kant später <das Ding an
sich> nannte, liegt für uns zur Zeit noch so tief im
Innern, daß noch Jahrtausende vergehen werden, bis wir
— immer vorausgesetzt, daß nicht eine neue Eiszeit
alle unsere Kultur vernichtet — auch nur in seine
Nähe gedrungen sind.»
So
angelegentlich bestreben sich diese Persönlichkeiten um
das Geistige, was das «Innere» ist, daß sie zu
sagen vermögen: Wir haben nicht nötig, uns heute
darum zu bekümmern, sondern wir können ruhig
Jahrtausende warten. Wenn das die Wissenschaft antwortet auf
die brennenden Fragen der menschlichen Seele, dann ist die Zeit
gekommen für die Ergänzung dieser Wissenschaft, wie
sie die Geisteswissenschaft ist. Denn die charakterisierte
Gesinnung hat dazu geführt, daß das Seelische
überhaupt, man möchte sagen, geradezu abgeschafft
worden ist, daß die Anschauung heraufkommen konnte: das
Seelische ist höchstens eine Begleiterscheinung des
Leiblichen — was noch der berühmte Professor
Jodl als seine Überzeugung vertreten hat bis fast
in unsere Tage; aber er ist nur einer unter vielen.
Aber wozu führt diese Denkweise? Nun, wahre Orgien hat sie
ja gefeiert, als der Professor Dr. Jacques Loeb,
wiederum ein Mann, den ich in bezug auf seine positiven
Forschungen außerordentlich schätze, im Jahre 1911 am
10. September beim ersten Monisten-Kongreß zu Hamburg
einen Vortrag gehalten hat über «Das Leben». Da
sehen wir, wie das, was nur auf einem Mißverständnis
beruht, schon übergeht in menschliche Gesinnung, und in
dieser menschlichen Gesinnung gegenüber der
Seelenforschung — verzeihen Sie den Ausdruck — zur
Brutalität wird, indem das, was nur beruhen darf auf jener
Überzeugung, die aus der Forschung quillt, geradezu zu
einer Machtfrage gemacht wird. So beginnt Professor Jacques
Loeb jenen Vortrag, indem er sagt:
«Die Frage, welche ich zu diskutieren beabsichtige, ist
die, ob nach dem heutigen Stande unseres Wissens Aussicht
vorhanden ist, daß das Leben, das heißt die Summe der
Lebenserscheinungen, restlos physikalisch-chemisch erklärt
werden kann. Wenn wir diese Frage nach ernstlicher
Überlegung bejahen können, so müssen wir auch
unsere soziale und ethische Lebensgestaltung auf rein
naturwissenschaftlicher Grundlage aufbauen, und kein
Metaphysiker kann das Recht beanspruchen, uns über unsere
Lebensführung Vorschriften zu machen, die mit den
Konsequenzen der experimentellen Biologie im Widerspruch
stehen.»
Hier haben Sie das Streben nach Eroberung des gesamten Wissens
durch jene Wissenschaft, von der Goethe den Mephisto sagen
läßt: «Sie bohrt sich selbst einen Esel und
weiß nicht wie!» So steht es nämlich in der
älteren Fassung des Goethe'schen «Faust»
für die Worte:
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band!
Encheiresin naturae nennt's die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.
Heute steht im «Faust»: «Spottet ihrer selbst
und weiß nicht wie» — der junge Goethe hat
geschrieben: «Bohrt sich selbst einen Esel und weiß
nicht wie.»
Dahin arbeitet das, was auf Grundlage jener
Mißverständnisse errichtet ist: abzuschaffen all
dasjenige Wissen, das nicht eine bloße Ausdeutung
physikalischer und chemischer Vorgänge ist. Gerüstet
gegen solchen Anprall wird aber keine Seelenwissenschaft sein,
die nicht in sich die Möglichkeit hat, wirklich auch
vorzudringen von sich aus bis in das Leibliche hinein. Ich
erkenne all dasjenige an, was geleistet haben geistvolle
Männer wie Dilthey, Franz Brentano und andere. Ich erkenne
es voll an. Ich schätze alle diese Persönlichkeiten;
aber, die Vorstellungen, die da entwickelt worden sind, sie
sind zu stumpf, zu schwach, um von sich aus vorzudringen, so
daß sie es aufnehmen könnten mit dem, was die
naturwissenschaftlichen Ergebnisse sind. Eine Brücke
muß geschlagen werden zwischen dem Geistigen und
Leiblichen. Gerade am Menschen muß diese Brücke
geschaffen werden dadurch, daß wir zu starken
geisteswissenschaftlichen Begriffen kommen, die auch
hinübertragen in das Begreifen des leiblichen Lebens. Denn
gerade am Begreifen des leiblichen Lebens werden die
großen Fragen, die Unsterblichkeitsfrage, die Todesfrage,
die Schicksalsfrage und so weiter begriffen werden. Sonst, wenn
nicht Sinn in die Menschheit kommt für diese
Geisteswissenschaft, Sinn auch für diesen Ernst in so
ernster Zeit, dann können wir es erleben, daß wir auf
Anschauungen stoßen, welche sich etwa in dem Folgenden
aussprechen: Da kann man jetzt ein Buch in die Hand bekommen,
welches von Amerika herübergekommen ist, ins Deutsche
übersetzt worden ist, ein Buch von einem amerikanischen
Gelehrten Snyder. Darin findet sich ein niedlicher Satz,
der aber die Gesinnung des ganzen Buches ausdrückt,
welches betitelt ist «Das Weltbild der modernen
Naturwissenschaft». Und der Übersetzer, Hans
Kleinpeter, weist geradezu darauf hin, daß diese Gesinnung
allmählich übergehen muß zur wahren
Aufklärung in die gegenwärtige und in die
zukünftige Zeit. Nun, einen, ich möchte sagen,
Zentralsatz aus diesem Buche gestatten Sie zum Schlüsse
Ihnen vorzulesen:
«Was auch immer die Hirnzelle eines Glühwurms oder
die Empfindung der Harmonien von Tristan und Isolde sein mag,
der Stoff, aus dem sie bestehen, ist im ganzen der gleiche; es
handelt sich offenbar mehr um einen Unterschied in der Struktur
als um einen in der materiellen Beschaffenheit.»
Und
damit soll etwas Wesentliches, etwas Aufklärendes gesagt
sein! Aber es ist eine Gesinnung, die schon zusammenhängt
mit dem, was ich heute auseinandergesetzt habe. Und es ist tief
bezeichnend für die moderne Zeit, daß überhaupt
solche Dinge Anhänger finden können, daß sie als
etwas Besonderes hingestellt werden.
Ich
weiß zu schätzen auch Philologie, auch diejenigen
Wissenschaften, die heute von manchen unterschätzt werden.
Wo wirklich Wissenschaft ist, auf jedem Gebiete, ich weiß
sie zu schätzen. Aber wenn jemand kommen und mir sagen
würde: Goethe hat den «Faust» geschrieben; neben
ihm saß sein Schreiber Seydel, der vielleicht einen Brief
schrieb an seine Geliebte; der Unterschied zwischen dem
«Faust» und dem Brief des Seydel mag in was immer
gelegen sein, die Tinte ist bei beiden dieselbe! — Beide
Behauptungen stehen auf gleicher Höhe, nur gilt die eine
als großer Fortschritt der Wissenschaft, die andere gilt
selbstverständlich als das, was diejenigen verehrten
Zuhörer bezeugt haben, die darüber gelacht haben.
Demgegenüber muß zurückgegriffen und aufgebaut
werden auf jene Gesinnung, die auch eine wissenschaftliche ist,
aber aus der ganzen vollen Menschenseele und einer tiefen
Betrachtung der Welt heraus erst die Elemente zu einer
Wissenschaft gelegt hat, auch dasjenige, was in Goethes
naturwissenschaftlichen Betrachtungen vorliegt. Die ersten
Elemente zu dem, was Geisteswissenschaft immer weiter ausbilden
will, liegen in Goethe; und es liegt die wahre, echte Gesinnung
gegenüber einer wahrhaftigen Weltbetrachtung in vielen
seiner Worte so paradigmatisch schön ausgedrückt. Ich
möchte diese Betrachtung schließen, indem ich sein
allseitiges Betrachten des Verhältnisses von Geist und
äußerer stofflicher Wesenheit, namentlich mit Bezug
auf den menschlichen Leib, Ihnen vor die Seele rücke.
Indem Goethe Schillers Gebeine betrachtet und in dieser
«teilweisen» Form der edlen Seele nachfühlt, der
Beziehung des ganzen Geistes und der ganzen Seele zum ganzen
Menschenleib, prägt er Worte in seinem schönen
Gedicht, das er überschrieben hat «Bei der
Betrachtung von Schillers Schädel», — Worte,
aus denen wir die Gesinnung ersehen, die ein allseitiges
Geist-Natur-Betrachten braucht:
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,
Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen,
Wie sie das Geist-Erzeugte fest bewahre!
Und
wir können auf Menschenseele und Menschenleib diese Worte
anwenden und sagen:
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,
Wie sie im Geiste läßt den Stoff zerrinnen,
Und wie im Stoff der Geist sich selbst erfahre!, —
indem sie ihm zeigt, wie der Leib ein Ausdruck und Abbild und
Zeichen der Seele ist, und wie er gerade dadurch der physische
Beweiser und Offenbarer der unsterblichen Seele und des ewigen
Geistes ist.
|